Originaltitel: Faccia di spia
Produktionsland: Italien 1975
Regie: Giuseppe Ferrara
Darsteller: Mariangela Melato, Francisco Rabal, Ugo Bologna, Lou Castel, Claudio Camaso
Von Anfang an spielt FACCIA DI SPIA mit offenen Karten: Nein, dieser Mixtur aus Dokumentar- und Spielfilm möchte gar nicht erst versuchen, seinem Sujet gegenüber eine objektive Position einzunehmen, sondern agiert explizit eingefärbt bei seiner chronologischen Aufarbeitung der Verbrechen des CIA, das Ferrara zur dunklen Triebfeder hinter so ziemlich jedem relevanten Ereignis der jüngeren Geschichte modelliert. Stationen von FACCIA DI SPIA sind unter anderem: Die Gründung des CIAs kurz nach dem Zweiten Weltkrieg; der Militärputsch in Guatemala 1954; die Kubakrise 1961; die Ermordung Kennedys 1963; die Ermordung Che Guevaras 1967; der Militärputsch in Chile 1973 – wobei Ferrara bei seiner Darstellung stets denjenigen Blickwinkel einnimmt, bei dem der US-amerikanische Geheimdienst am schlechtesten wegkommt, sprich: Natürlich hat Harvey Lee Oswald nicht als Einzeltäter agiert, sondern mehrere gedungene Scharfschützen haben den US-Präsidenten gleichzeitig aufs Korn genommen; oder: Natürlich hat das CIA aktiv dabei mitgemischt, Salvador Allende zu entmachten, und letztlich gar dafür gesorgt, dass ihm eine Kugel in den Kopf gejagt und seine regelrechte Hinrichtung als Suizid getarnt wird – also all jene Theorien, die nicht nur heutzutage gerne mit dem Stigma der haltlosen Verschwörung diskreditiert werden. Zwar präsentiert Ferrara seine Alternativgeschichtsschreibung als Faktum, dadurch aber, dass der Film seine anti-imperialistischen Agenda zu keinem Zeitpunkt bemäntelt, kann man einen Streifen wie FACCIA DI SPIA auf Rezipientenseite, meiner Meinung nach, als wesentlich förderlicher zur Gewinnung eines eigenen Standpunkts betrachten als angeblich unparteiisch daherkommende Mainstream-Medien-Berichte, die mir trotz betonter Wertfreiheit eine bestimmte Weltsicht unterjubeln wollen, ohne dies kenntlich zu machen.
Allerdings hat FACCIA DI SPIA - mag man von seiner aggressiven Agenda nun begeistert oder entgeistert sein - ein ganz anderes Problem: Sicher, Mitte der 70er sind all die von Ferrara aufgedröselten internationalen Verstrickungen, Verschwörungen, Intrigen, Entführungen, Attentate wesentlich präsenter im Gedächtnis der Öffentlichkeit gewesen als heutzutage, jedoch kann ich mir gut vorstellen, dass es manchen Kinogänger schon damals heillos überfordert haben mag, mit welcher Rasanz und Vehemenz Ferrara all seine Informationen, Episoden, Namen, Daten aus der Hüfte feuert. Ästhetisch-technisch orientiert sich FACCIA DI SPIA nämlich offensichtlich an den Filmen der Mondo-Geburtshelfer Gualtiero Jacopetti und Franco Prosperi, (wobei mir gerade deren ADDIO ZIO TOM Pate für vorliegendes Werk gestanden zu haben scheint.) In FACCIA DI SPIA finden sich nicht nur die extremen Großaufnahmen, für die Jacopetti/Prosperi berühmt sind, eine agile Handkamera, die den Bildern etwas Unmittelbares verleiht, sowie einen diese Bilder oftmals weniger kommentierenden, sondern regelrecht überformender Soundtrack, sondern vor allem auch ein verwobenes Gemenge aus Fakten und Fiktionen: Schulter an Schulter stehen Spielszenen, in denen Schauspieler historische Gestalten zum Leben erwecken, - (darunter Mariangela Melato als Tamara Bunke; Ugo Bologna als Salvador Allende; Francisco Rabal als Mehdi Ben Bakar; Claudio Camaso als Che Guevara; Lou Castel in einem Sekundenbruchteil-Auftritt als Folterknecht), Filmaufnahmen oder Photographien, die ursprünglich aus eindeutig dokumentarischem Kontext stammen, und Szenen, in denen ein Off-Sprecher in belehrender Nüchternheit sachliche Hintergründe preisgibt. Dass nicht zuletzt der Schnitt deutlich von Jacopettis und Prosperis Arbeit mit Kontrasten und Dichotomien beeinflusst ist, macht FACCIA DI SPIA zwar für jeden Aficionado rhythmisch-virtuoser semi-avantgardistischer Filmmontage zum Fest, verhilft dem Werk aber kaum zu gesteigerter Kohärenz. Drunter und drüber geht es in Ferraras Film, dass selbst ich, der ich mit den meisten angeprangerten Politik-Schweinereien zumindest ansatzweise vertraut bin, bald völlig den Überblick verliere, in welcher Zeit, in welcher geographischen Region, in welchem historischen Kontext wir uns denn nun auf einmal befinden. Im Sekundentakt wechseln die Szenerien, die Personen, die Themen, wodurch FACCIA DI SPIA einen wirklich überfrachteten Eindruck erweckt. Alles soll gleichzeitig erzählt werden, noch jeder unbedeutendere Skandal wenigstens kurz angetippt werden. Auf der Strecke bleibt dabei irgendein Kompass, der dem Publikum dabei unter die Arme greifen würde, sich in dem Wust an Material zurechtzufinden. Als habe Ferrara mehrere Ordner Recherchearbeit auf dem Zelluloid ausgeschüttet, und die Fülle an Informationen dann auch noch wild und assoziativ zusammengeschnitten – das kann zwar durchaus unterhaltsam sein, hat zumindest mich aber zumal bei einer Länge von weit über hundert Minuten auf Dauer doch ziemlich angestrengt.
Berühmt-berüchtigt ist FACCIA DI SPIA indes für eine etwa fünfminütige Sequenz in seinem Mittelteil, die meine Ausgangsfrage nach den intendierten Adressaten dieses Werks nur noch verkompliziert. Kurz gesagt: In dieser Sequenz scheint Ferrara für einen Moment von allen guten Geistern verlassen zu werde und stürzt sich kurzerhand kopfüber in wüstestes Exploitation-Territorium. Tatsächlich haben die zusammenhangslosen Folterungen, die der Film uns in graphischster Weise präsentiert, im europäischen Kino der 70er eine Sonderstellung inne. Rein gemessen an dem, was gezeigt wird, stellt Ferrara locker jeden italienischen Nazi-Exploiter in den Schatten, und muss sich schon eher mit asiatischen Sickos wie OXEN SPLIT TORTURING messen lassen: Da werden Hände abgehackt; da wird ein Auge aus seiner Höhle geschnitten; da wird eine Frau brutal vergewaltigt; da wird einer weiteren Frau eine Schlange vaginal eingeführt, (und nein, ich bin mir nicht mal sicher, ob das wirklich ein Spezialeffekt gewesen ist!); da wird einem Mann ein Metallstab via Eichel in die Harnröhre eingeführt und sodann erhitzt usw. Dabei stehen diese furchtbaren Vignetten nicht nur in keinem erkennbaren Zusammenhang zum restlichen Film – es sind nicht mal ausschließlich CIA-Schergen, die foltern, was das Zeug hält, stattdessen wird uns suggeriert, all diese Grausamkeiten fänden synchron überall auf der Welt statt, von Afrika über Asien bis in die westliche Hemisphäre –, sondern suhlen sich außerdem in einer Selbstzweckhaftigkeit, die staunen macht. Gegengeschnitten sind diese Gräuel übrigens mit Bewegtbildern der Mächtigen der Welt á la Regierungschefs, kirchliche Würdeträger, Militärs, die auf offiziellen Empfängen, bei Staatsbegräbnissen, bei Konferenzen zu sehen sind – eine Kontrast-Montage, die genauso verdeutlicht, wie sehr Ferrara die spezifische Mondo-Stilistik verinnerlicht hat, wie der Umstand, dass natürlich auch in FACCIA DI SPIA originale Photographien und Filmaufnahmen der Opfer von Bürgerkriegen, Autobomben und Massakern eingeflochten sind – am alptrauminduzierendsten möglicherweise eine Reihe von Bildern gleich zu Beginn, auf denen Soldaten mit den abgeschlagenen Köpfen ihrer Feinde posieren, als handle es sich um besonders beeindruckende Trophäen.
Für wen soll dieser Film demnach gedacht gewesen sein? Ein normales Kinopublikum wird angesichts der bloßen Datenmenge die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen haben; der Gore-Hund wird sich zwar die Finger nach den erwähnten fünf Minuten Terror lecken, von dem restlichen Spektakel jedoch weitgehend angeödet sein. Bei einem Kadertreffen antiimperialistischer Studentengruppen in den 70ern kann ich mir FACCIA DI SPIA noch am ehesten vorstellen, wobei dort dann aber die exploitativen Szenen des Mittelteils möglicherweise für gerümpfte Nasen gesorgt haben dürften. Alles in allem ist FACCIA DI SPIA, (sofern man ihn denn überhaupt diesem Genre zuschlagen möchte), jedenfalls einer der eigenartigsten Mondo-Filme, die mir jemals untergekommen sind. Ach ja, und wenn mir nur eins seiner Bilder im Gedächtnis bleiben wird, dann sicherlich das, mit dem der Film, seine Stoßrichtung perfekt zusammenfassend, schließt: Die beiden Türme des World Trade Center, von denen all das Blut rinnt, das der US-amerikanische Imperialismus der Welt abgeschöpft hat...