Richard Harloff kommt aus Bolivien zurück nach Wiesbaden. Zwischen seiner Abreise und dem Jetzt liegen 30 Jahre Tod, Schmerz, Drogenhandel, Kampf … Nun ist er wieder da, und der LKA-Ermittler Murot, damals Harloffs bester Freund und Kollege auf der Polizeischule, weiß nicht so recht wie damit umgehen: Mit den drei Toten am Bahnhof. Dem verschwundenen Gangsterboss Bosco, dessen drei Söhne die Toten am Bahnhof sind. Dass Harloff die Bande von Bosco offensichtlich übernommen hat. Und noch ein anderer Mann spurlos verschwindet: Franz Oswald, der vor 30 Jahren ursächlich dafür verantwortlich war, das Harloff sich nach Südamerika absetzen musste ...


Ein Mann kommt zurück in eine Stadt um Rache zu nehmen. Der örtliche Sheriff und der Mann waren früher beste Freunde, etwa so wie in Jules und Jim. Und sie liebten sogar dieselbe Frau, etwa so wie Jules und Jim. Aber etwas geschah, etwas zerbrach, und jetzt ist der Mann wieder da und tötet, und sein einstmals bester Freund muss ihn aufhalten.
Ein grundlegendes filmisches Sujet, in unzähligen Western und Krimis gesehen, und immer wieder gut. Aber als Tatort? Ja, gerade als Tatort! Was Ulrich Matthes hier abliefert ist Extraklasse. Matthes ist als Richard Harloff so spöttisch wie Harry Lime, so süffisant wie Hans Landa, so abgründig wie Tommy Judo, und so tödlich und rücksichtslos wie Loco. Dagegen Ulrich Tukur als kleiner deutscher Beamter: Eine graue Maus, die sich hinter einer Maske der Biederkeit und Zurückhaltung versteckt, als perfektes Gegenstück zum weltläufigen und selbstsicheren Harloff. Und der doch genügend Power im Leib hat, um mit der Maschinenpistole im Anschlag auf die Straße zu rennen und alle Angreifer einfach über den Haufen zu ballern. Wie es ein guter Sheriff halt auch mal machen muss.


Und a propos Sheriff: Was für eine Inszenierung! Der örtliche Don als griechischer Chor, Shakespeare zitierend und mit wohlgesetzter Sprache im klassischen Duktus das große Drama um Tod, Leidenschaft und Verderben kommentierend. Die drei Söhne des Don als Gunmen, am Bahnhof und in der glühenden Sonne wartend auf die Ankunft des Fremden, um ihn zu erschießen. Anstatt 08/15-Abblenden frieren die Bilder ein und werden zu Zeichnungen, stellen die wahren Grausamkeiten nur als Gemälde dar, als Abbild der Wirklichkeit. So wie auch die Geschichte von einem zum andern Gemälde reist, und der Shakespeare-Conférencier uns die Zusammenhänge zwischen den Bildern erläutert. Szenen wie Tableaus, im filmischen Stil erzählt: Murot besucht Harloffs Sohn David. Sie trinken Wein in der leeren Wohnung und verstehen sich blendend. Der Kommissar und der Mörder benehmen sich wie Vater und Sohn - Lange getrennt, endlich vereint, und von einer Überstimme sinnig kommentiert. Oder Murot und Harloff sitzen auf der Parkbank, und ein Off-Erzähler schildert uns humorig, was gerade in den Köpfen der Figuren vor sich geht. Momente, die das Korsett einer Fernsehinszenierung und das Format eines “Fernsehkrimis“ weit sprengen. Die nichts anderes wiedergeben als eine Shakespeare-Tragödie, mit all ihren schrecklichen Mordtaten, Treueschwüren und Verrätereien, mit ihren deftigen, blutigen und komischen Szenen.
Lust am Spiel und am Experiment. Lust am Kino. Lust am Erzählen guter Geschichten. Das ist hier alles drin. Und ich glaube, wenn man sich diese Tatort-Folge öfters anschaut, findet man, wie in allen wirklich guten Geschichten, auch noch einiges mehr. Entweder hier, oder beim großen englischen Dichter …