Handlung:
Eines Tages lernt Christian (Robert Hoffmann) die mysteriöse Barbara (Suzy Kendall) kennen. Sie stellen fest, dass sie beide existent sind und beschließen aus diesem Grund miteinander zu schlafen. Bevor es jedoch dazu kommt bricht ein Mann (Adolfo Lastretti) in ihr Motelzimmer ein, versucht sie zu erschießen und wird dabei von Christian aus Notwehr umgebracht, doch die Leiche verschwindet spurlos. Ist der Mann gar nicht tot? Was haben die Schaufensterpuppen die überall auftauchen zu bedeuten? Und was hat Christians Bruder (Ivan Rassimov) damit zu tun?
Kritik:
Schon lange hat mich kein Film so beschäftigt wie dieser. Nicht etwa weil er besonders verstörend wäre, auch nicht weil er besonders gut wäre und schon gar nicht weil er besonders schlecht wäre, sondern weil er so enttäuschend begann um dann so befriedigend zu enden. Die ersten beiden Drittel fand ich furchtbar, doch in der letzten halben Stunde wird plötzlich ein Kurs eingeschlagen, der sie irgendwie wieder rechtfertigte. Diese Tatsache werde ich jedoch kurz mal ignorieren um die Gründe meiner Enttäuschung über den Großteil des Filmes ungestört in Worte fassen zu können, bis ich gegen Ende auf die Genialität zu sprechen kommen werde, mit der die negativen Aspekte positiv gemacht wurden:
Robert Hoffmann als Christian ist eine Katastrophe: Mit seinem betröppelten Gesichtsausdruck wirkt er über weite Strecken wie eine humanoide Schlaftablette. Zwar kann man auf ihn ganz am Anfang noch die wegen Hugo Stiglitz eingeführte Regel anwenden: „Schauspieler mit Steingesichtern in Filmen von Umberto Lenzi sind unterhaltsam, solange sie witzige Bärtchen haben.“, aber schon zehn Minuten nach Beginn des Filmes säbelt sich der Eumel besagtes Bärtchen ab (Kein Witz, ich beschloss schon VOR der Rasierszene den Typen allein aufgrund seines lustigen Bärtchens zu mögen, meine Enttäuschung als er zur Schere griff lässt sich also vorstellen). Zudem gehen viele Handlungen auf sein Konto, die einfach nicht zu seinem Charakter zu passen scheinen: Er präsentiert sich als schüchterner nervöser Typ, den die rätselhaften Ereignisse sichtlich fertig machen, aber er weigert sich konstant die Polizei einzuschalten und außerdem vergewaltigt er nach einer Weile völlig aus dem Nichts eine Frau (mir ist es egal, ob es ihr im Endeffekt zu gefallen scheint, solange sie anfangs protestiert ist es eine Vergewaltigung und ich mag den Typen nicht mehr).
Er ist also langweilig und verwirrend, aber wenigstens noch erträglich verglichen mit (macht euch bereit einen Lynchmob gegen mich zu bilden) Suzy Kendall als Barbara. Bevor die Kendall-Fans allzu sauer werden: Sie gehört zu den fixen Größen des Genres und leistete in anderen Filmen hervorragende Arbeiten, aber ich gehöre weiß Gott nicht zu den Leuten, die gewissen Schauspielern alles durchgehen lassen, nur weil ich sie mag *hüstel* [beliebige Anthony-Steffen-Referenz einfügen]

. Jedenfalls fand ich, dass die Figur und Kendalls Darstellung derselben einfach zu unschlüssig waren. Sicher, sie soll eine mysteriöse Frau sein, von der wir nicht genau wissen, wer sie ist, aber es geht einfach zu weit, wenn sie in der Hälfte ihrer Szenen jeder Situation mit einer kühlen Gelassenheit begegnet, vor Einbrüchen nicht zurückschreckt und bei potentiellen Gefahren sarkastische Sprüche ablässt und in der anderen Hälfte einen auf schreckhaftes kleines Mäuschen, schwach und zur Hysterie neigend, macht.
An dieser Stelle sei nochmal darauf hingewiesen, dass dies (wie auch meine Ansichten über Hoffmanns Figur)meine Meinung ist, wenn ihr diesen ständigen Wechsel gegensätzlicher Charaktereigenschaften als ein Anzeichen ihrer Komplexität seht oder als Beweis für ihre undurchsichtige Figur ist das fein, für mich wirkte es allerdings so, als wäre es den Drehbuchschreibern einfach egal wie sie die Rolle beschreiben (oder sie waren sich nicht einig, immerhin waren vier Leute für das Skript verantwortlich), als wäre es Suzy Kendall egal wie sie die Rolle auslegt und als wäre es Umberto Lenzi sowieso egal wie er sie in Szene setzt.
Diese beiden, Christian und Barbara, sollen nun, nach ihren Dialogen und nach der manchmal ein wenig überdeutlichen Musik von Meister Morricone zu urteilen, in wahrer Liebe verbunden sein. Allerdings, wenn eine Beziehung mal so beginnt, dass sie sich einen Tag nach ihrem Kennenlernen weniger als halbherzig zu einer Liebesnacht entschließen, die nicht zustande kommt, weil sie gelangweilt seinen Bart irgendwie doof findet und er es irgendwie doof findet, das Ding abzuschneiden, dann habe ich so meine Zweifel an der wahren Liebe, die uns spätere Szenen signalisieren. Romeo und Julia fanden zueinander, obwohl der tödliche Hass ihrer Familien zwischen ihnen stand, die beiden Gefühlsamöben aus „Spasmo“ fanden (anfangs, er rasiert sich ja schließlich doch) nicht zueinander, weil ein wenig Gesichtsbehaarung zwischen ihnen stand.
Die Crew hinter der Kamera leistet allerdings hervorragende Arbeit: Ennio Morricone setzt wie oft in seinen Giallo-Soundtracks auf ein melancholisches Gesäusel (im positiven Sinn des Wortes) und Lenzi kreiert zusammen mit seinem Kameramann Guglielmo Mancori einige beeindruckend durchkomponierte Bilder. Beide verstehen es die wunderbaren Orte der Handlung, besonders das schlossartige Haus an der Steilküste, hervorragend stimmig in Szene zu setzten.
Doch diese Bemühungen von Seiten des Teams sind leider umsonst, da sich jede Szene, jede Einstellung, immer um die beiden Hauptcharaktere dreht. Ich hab kein Interesse an den beiden, also habe ich auch kein Interesse an Szenen, welche nur den beiden gewidmet sind. Es gibt keine Subplots (so wie in beispielsweise „Casablanca Express“, in dem ich die miesen Protagonisten aus diesem Grund verschmerzen konnte), es gibt nicht Mal Morde, wir haben anfangs einen Bodycount von 0, es gibt wenig Action, es gibt nur Charakterisierung von zwei Charakteren die mich nicht interessieren. Ich sage nicht, dass ein Giallo sonderlich viele Morde braucht, Spannung kann auch ohne Tote erzeugt werden, solange wir um das Leben der Protagonisten fürchten. Aber mir ist es egal ob die beiden draufgehen oder nicht, im Gegenteil, ich habe gehofft, dass sie zu Opfern des Killers werden, denn dann könnte der Film einen auf „Der Schwanz des Skorpions“ machen und nach dem Tod der vermeintlichen Hauptfiguren einfach neue einführen. Vielleicht ein putziges Ermittler-Pärchen, vorzugsweise gespielt von Edwige Fenech und George Hilton. Edwige könnte ihre Rolle aus „Politess im Sittenstress“ spielen und George die seinige aus „Time to kill, Darling“. Die beiden würden ein wenig ermitteln, dann würde der Mörder versuchen sie zu beseitigen, aber sie sind taffer als der Killer und überlisten ihn am Schluss und so weiter

…Das hätte den Film für mich gerettet.
Nun brach jedoch die letzte halbe Stunde an und oh Wunder, der Film wurde für mich gerettet
ohne ein putziges Ermittler-Pärchen, gespielt von Edwige Fenech und George Hilton, einzuführen. Zunächst bekommen wir mal durch Ivan Rassimovs Rolle eine Figur, die wir wirklich mögen können, die einerseits sympathisch ist, sich andererseits aber auch zu moralisch nicht ganz einwandfreien Handlungen hinreißen lassen muss, was sie obendrein noch interessant macht. Das weiteren schlägt der Streifen bezüglich Christian und Barbara plötzlich eine vollkommen andere Richtung ein.
Dies war besonders schön für mich, denn ich dachte, dass ich weiß wie es ausgehen wird, ich glaubte zu wissen, wer hinter den rätselhaften Ereignissen steckt, ich glaubte zu wissen, wer am Ende umkommt und wer mit einem Happy End gesegnet wird. Und was ich da zu wissen glaubte gefiel mir ganz und gar nicht. Doch ich sollte mich irren, die letzte halbe Stunde lenkt die Handlung in eine komplett andere Richtung, weg von herkömmlichen Konventionen und hinein in eine faszinierende originelle Wendung.
Plötzlich ergab alles Sinn, damit meine ich nicht nur die Handlung (die oft kritisierte „verwirrende“ Handlung störte mich weniger als gar nicht) sondern das Verhalten der Hauptpersonen, selbst, dass Barbara Christian eine Rasur aufzwingt ist im Nachhinein betrachtet gar nicht mal so dumm. Die Art wie Hoffmann die Figur auslegte ergibt plötzlich Sinn, die Art wie Suzy Kendall ihre auslegte ist nicht mehr ganz so sinnlos wie vorher (allerdings bin ich immer noch nicht vollkommen zu Frieden mit ihr), ich erkannte, dass alles, worüber ich mich in den ersten beiden Dritteln geärgert hatte, nur dazu diente das Ende umso besser zu machen.
Die Kernfrage, die bei einer Bewertung von „Spasmo“ zu stellen ist lautet also: Heiligt der Zweck die Mittel? Eine schwierige Frage und ich bin mir immer noch nicht sicher, wie ich das Teil jetzt bewerten soll: Die Inszenierung war nicht schlecht, es störten mich allein die Hauptcharaktere, die wurden aber so vehement in den Mittelpunkt gerückt, dass der ganze Film mit ihnen aufsteigt oder fällt, was darin resultierte, dass mir die ersten beiden Drittel unendlich langweilig vorkamen. Doch der Schluss war so befriedigend, nicht zuletzt wegen den Aspekten, die mich vorher noch so aufregten, dass der Film einen positiven Eindruck hinterlässt. Bei einer Zweitsichtung hingegen werde ich wohl konstant ein Lächeln auf den Lippen haben, das Ende wird mich jedoch natürlich nicht mehr so positiv überraschen…
Ich tendiere dazu, dem Film seine Schwächen, die mich eine Stunde lang wirklich gequält haben, zu verzeihen, da mir, berücksichtigt man das Ende, nicht wirklich viel eingefallen ist, was Lenzi hätte besser machen können. Er hätte höchstens Rassimovs Figur schon ein wenig früher auftreten lassen, damit mir zumindest ein Charakter Freude bereitet (und er hätte ein putziges Ermittler-Pärchen, gespielt von Edwige Fenech und George Hilton, einführen können

) aber sonst gibt’s nicht viel auszubessern, weil alles Miese im Dienste des genialen Gesamtwerkes steht.
Fazit: Durch die beiden augenscheinlich miesen Hauptcharaktere, die ständig ins Zentrum des Geschehens gerückt werden, wird die erste Stunde von „Spasmo“ unerträglich langweilig, bis im letzten Drittel die gesamte Handlung eine Wendung nimmt, die auf wundersame Weise alle Kritikpunkte in Pluspunkte zu verwandeln weiß.