Re: Basket Case - Frank Henenlotter (Trash Collection # 54)
Verfasst: Sa 31. Okt 2015, 19:02
„Wir werden uns nie trennen!“
US-Jung-Regisseur Frank Henenlotter begann seine „Karriere“ im Jahre 1982, als er gerade einmal 35.000 lumpige Dollar zusammenkratzte und einige Laiendarsteller um sich scharte, um mehr in Amateur- denn professioneller Manier den kleinen, trashigen Horrorreißer „Basket Case“ nach Grindhouse-Vorbild zu drehen. In seiner von Zensurschnitten entstellten ersten Kinofassung floppte er, doch als der vollständige Film in die Underground-Kinos gelangte, avancierte er zu einem Kulttitel und beliebten Leihartikel aus den Videotheken der 1980er und -’90, der längst in absolut jede Genresammlung gehört.
Duane (Kevin Van Hentenryck) und Belial Bradley sind Zwillinge, jedoch keine normalen. Sie wurden als siamesische Zwillinge geboren und damit nicht genug: Belial wuchs vollkommen deformiert aus Duanes Seite. Ihr Vater (Richard Pierce) ertrug den Anblick irgendwann nicht mehr und beraumte eine illegale Operation an, die von drei Ärzten in ihrem verschlafenen Heimatort Glenn Falls durchgeführt wurde und die Brüder voneinander trennte. Der missgebildete, klumpenartige Belial sollte heimlich und unwürdig in einem Müllsack entsorgt werden, überlebte jedoch und blieb telepathisch zur Kontaktaufnahme mit Duane fähig. Duane rettet Belial, der seinen Vater tötet und ihre Tante (Ruth Neuman) kümmert sich bis zu ihrem Tod aufopferungsvoll um die beiden. Im Alter von 20 Jahren sinnen die Geschwister auf Rache und suchen nacheinander die drei Ärzte auf, die sie seinerzeit trennten. Dr. Lifflander (Bill Freeman) finden sie noch in der Provinz, dessen Akte mit den Adressen der anderen beiden führt sie jedoch in die Metropole New York. Seinen Bruder pflegt Duane in einem Weidenkorb spazieren zu tragen. Sie kommen in der billigen Absteige „Hotel Broslin“ in der berüchtigten 42nd Street unter und planen von dort aus den weiteren Rachefeldzug. Doch die Sprechstundenhilfe Dr. Needlemans (Lloyd Pace), die junge und attraktive Sharon (Terri Susan Smith), findet Gefallen an Duane, ohne von Belials Existenz zu ahnen. Als dieser eine ausgeprägte Eifersucht entwickelt, droht die Situation vollends zu eskalieren…
„Haben Sie vielleicht ein Haustier bei sich?“ – „Nein, Sir, wieso?“
Bereits im Prolog geht es in die Vollen: Jemand wird bedroht und von einer gruseligen Pranke getötet. Zu wem diese gehört und was das Motiv war, erfährt man noch nicht. Schnitt, die Leuchtreklamen des Big Apple und ein leicht deplatziert wirkender Junge mit einem Weidenkorb, der direkt von einem Drogendealer angequatscht wird, welcher seine unheimlich lange Angebotsliste herunterrattert – willkommen im Sündenpfuhl New York! Unfreundlich wird Duane beim Einchecken ins „Hotel Broslin“ abgefertigt, das sich fortan als Mikrokosmos voll skurriler Charaktere entpuppt, die allesamt leicht neben der Spur, der Realität entrückt wirken. Bei seinem ersten NY-Arzt-Besuch präsentiert Duane ein riesiges Narbengewebe an seiner Seite, zu dessen Entstehung man als Zuschauer noch keine Informationen bekommt. Seine Spannung bezieht der Film zu diesem Zeitpunkt vor allem aus dem Inhalt des Korbs, der bis jetzt noch nicht enthüllt wurde. Henenlotter bedient sich nun zunächst einer beunruhigenden Point-of-View-Perspektive aus Sicht des stöhnenden Belials, erneut sieht man erst einmal lediglich seine Pranke.
„Er sieht aus wie ein geplatzter Oktopus!“
Im direkten Anschluss aber macht „Basket Case“ Schluss mit dem bis dahin prima funktionierenden Versteckspiel, endlich bekommt man Belial erstmals als unförmigen Klumpen, ein Kopf mit zwei Armen ohne Rumpf oder Beine, zu sehen, der Dr. Needleman tötet – wobei viel Blut spritzt. Eine bizarre Szene, die bereits wenig subtil andeutet, dass man im weiteren Verlauf nicht mit Kunstblut geizen wird und die Modellierkunst der Kreaturengestaltung zeigt, die irgendwo zwischen Pappmaché, Knetmasse und Gummiklumpatsch anzusiedeln ist und eine ganz eigenartige Stimmung verbreitet: Einerseits ist Belial unschwer als wenig organisch anmutende Handarbeit zu erkennen, andererseits erscheint er derart fremdartig, dass er tatsächlich unheimlich wirkt.
„Ich bezweifle sogar, dass es menschlich ist!“
Die telepathische Verbindung zwischen den Brüdern wird verdeutlicht, als Duane eine Liaison mit Sharon beginnt. Obwohl örtlich gerade voneinander getrennt, schreit der nicht sprechen könnende Belial infernalisch das komplette Hotel zusammen und scheucht so die Bewohner auf. Ein Einblick in sein Hotelzimmer wird für eine im Entstehungsjahr natürlich hoffnungslos veraltete, jedoch höchst charmante Stop-Motion-Animation Belials genutzt, die jedoch sicherlich nicht mit den Künsten eines Ray Harryhausen mithalten kann. Schließlich offenbart sich Duane betrunken einer Prostituierten in einer Bar – lachend, in scheinbar bester Stimmung; dabei ist es lediglich die Erleichterung, die Befreiung von der tonnenschweren Last, mit niemandem darüber reden zu können, was ihn so ausgelassen erscheinen lässt. Dementsprechend wird der Dialog auch bald ernst und traurig – und läutet eine Rückblende ein. Die Ereignisse kurz vor und nach der OP werden visualisiert, die Operationsszene mit ekligen Geräuschen unterlegt. Nun ist der Zuschauer voll im Bilde.
Dass Henenlotter auch das Stilmittel der Suspense wunderbar beherrscht, beweist die mahlend langsam ausgewalzte Szene der schlafengehenden Dame, die quasi perfekt inszeniert wurde. Gegen Ende holt man dann noch zu diversen Höhepunkten aus: grafisch fiesen wie dem Bild der Ärztin voller Skalpelle im Kopf, effekthascherischen wie dem dämonisch roten Aufleuchten von Belials Augen sowie künstlerischen bzw. psychologischen wie dem in seinen Träumen nackt durch die Straßen rennenden Duane. Höhepunkt der Provokation und des kalkulierten Ekels ist indes die Vergewaltigung Sharons durch Belial, deren Oberweite man nun auch unbekleidet zu Gesicht bekommt. Letztendlich läuft das alles auf ein dramatisches Finale und tragisches Ende hinaus, das für ein Regiedebüt ebenfalls erstaunlich punktgenau umgesetzt wurde.
„Das ist kein Hotel, das ist ein Irrenhaus!“
Als immer amüsanter werdender Running Gag zieht sich das Chaos durch den Film, das Duanes und Belials Aufenthalt im Hotel mit sich bringt und viel Raum bietet, die teilweise wahrhaftigen Charakterfressen der Nebendarsteller ins Licht zu rücken, deren Rollen immer wieder aufgescheucht werden. Der mürrische Rezeptionist (Robert Vogel, „Die Chaotenkneipe“, bereits 1989 39-jährig verstorben – R.I.P.!) kann einem dabei fast schon leidtun, auch wenn er seinen Gästen gern einmal „Jeder geht wieder auf sein Zimmer!“ zubrüllt, als befänden sie sich in einem Internat. Generell wird in „Basket Case“ viel geschrien und die Schauspieler neigen zum Chargieren, was jedoch mittels feinsinnigem bis schwarzem Humor überaus genießbar abgefedert wird. Die Spezialeffekte wurden einfach, aber effektiv gestaltet und man merkt dem Film die diebische Freude an, die das Team dabei gehabt haben muss, Belial zum Leben zu erwecken und seine Untaten grafisch auszuarbeiten. „Basket Case“ ist ferner ein echter „New-York-Film“, wie sie für die 1970er und -'80er typisch waren, begeistert dank seines authentischen Zeit- und Lokalkolorits und frönt den drei „sch“: Er ist schmuddelig, schunding und schmutzig, was ihn zu einem perfekten Vertreter des urbanen Grindhouse-Kinos macht. Doch „Basket Case“ kann sogar noch mehr, spielt nämlich mit der Faszination für die immer von einem leicht mystischen Hauch umwobene Verbundenheit von Zwillingen und provoziert darüber hinaus ethische Fragen nach dem Umgang mit „unwertem Leben“, was etwas weitergesponnen in eine Auseinandersetzung mit Andersartigem und seinem Platz in der Gesellschaft mündet. Henenlotter ist ein nicht nur für ein No-Budget-Debüt mehr als beachtlicher Genrefilm gelungen, der mir über die Jahre doch sehr ans Herz gewachsen ist – dem ich hoffentlich mit dieser Rezension entsprechend Ausdruck verleihen konnte.
US-Jung-Regisseur Frank Henenlotter begann seine „Karriere“ im Jahre 1982, als er gerade einmal 35.000 lumpige Dollar zusammenkratzte und einige Laiendarsteller um sich scharte, um mehr in Amateur- denn professioneller Manier den kleinen, trashigen Horrorreißer „Basket Case“ nach Grindhouse-Vorbild zu drehen. In seiner von Zensurschnitten entstellten ersten Kinofassung floppte er, doch als der vollständige Film in die Underground-Kinos gelangte, avancierte er zu einem Kulttitel und beliebten Leihartikel aus den Videotheken der 1980er und -’90, der längst in absolut jede Genresammlung gehört.
Duane (Kevin Van Hentenryck) und Belial Bradley sind Zwillinge, jedoch keine normalen. Sie wurden als siamesische Zwillinge geboren und damit nicht genug: Belial wuchs vollkommen deformiert aus Duanes Seite. Ihr Vater (Richard Pierce) ertrug den Anblick irgendwann nicht mehr und beraumte eine illegale Operation an, die von drei Ärzten in ihrem verschlafenen Heimatort Glenn Falls durchgeführt wurde und die Brüder voneinander trennte. Der missgebildete, klumpenartige Belial sollte heimlich und unwürdig in einem Müllsack entsorgt werden, überlebte jedoch und blieb telepathisch zur Kontaktaufnahme mit Duane fähig. Duane rettet Belial, der seinen Vater tötet und ihre Tante (Ruth Neuman) kümmert sich bis zu ihrem Tod aufopferungsvoll um die beiden. Im Alter von 20 Jahren sinnen die Geschwister auf Rache und suchen nacheinander die drei Ärzte auf, die sie seinerzeit trennten. Dr. Lifflander (Bill Freeman) finden sie noch in der Provinz, dessen Akte mit den Adressen der anderen beiden führt sie jedoch in die Metropole New York. Seinen Bruder pflegt Duane in einem Weidenkorb spazieren zu tragen. Sie kommen in der billigen Absteige „Hotel Broslin“ in der berüchtigten 42nd Street unter und planen von dort aus den weiteren Rachefeldzug. Doch die Sprechstundenhilfe Dr. Needlemans (Lloyd Pace), die junge und attraktive Sharon (Terri Susan Smith), findet Gefallen an Duane, ohne von Belials Existenz zu ahnen. Als dieser eine ausgeprägte Eifersucht entwickelt, droht die Situation vollends zu eskalieren…
„Haben Sie vielleicht ein Haustier bei sich?“ – „Nein, Sir, wieso?“
Bereits im Prolog geht es in die Vollen: Jemand wird bedroht und von einer gruseligen Pranke getötet. Zu wem diese gehört und was das Motiv war, erfährt man noch nicht. Schnitt, die Leuchtreklamen des Big Apple und ein leicht deplatziert wirkender Junge mit einem Weidenkorb, der direkt von einem Drogendealer angequatscht wird, welcher seine unheimlich lange Angebotsliste herunterrattert – willkommen im Sündenpfuhl New York! Unfreundlich wird Duane beim Einchecken ins „Hotel Broslin“ abgefertigt, das sich fortan als Mikrokosmos voll skurriler Charaktere entpuppt, die allesamt leicht neben der Spur, der Realität entrückt wirken. Bei seinem ersten NY-Arzt-Besuch präsentiert Duane ein riesiges Narbengewebe an seiner Seite, zu dessen Entstehung man als Zuschauer noch keine Informationen bekommt. Seine Spannung bezieht der Film zu diesem Zeitpunkt vor allem aus dem Inhalt des Korbs, der bis jetzt noch nicht enthüllt wurde. Henenlotter bedient sich nun zunächst einer beunruhigenden Point-of-View-Perspektive aus Sicht des stöhnenden Belials, erneut sieht man erst einmal lediglich seine Pranke.
„Er sieht aus wie ein geplatzter Oktopus!“
Im direkten Anschluss aber macht „Basket Case“ Schluss mit dem bis dahin prima funktionierenden Versteckspiel, endlich bekommt man Belial erstmals als unförmigen Klumpen, ein Kopf mit zwei Armen ohne Rumpf oder Beine, zu sehen, der Dr. Needleman tötet – wobei viel Blut spritzt. Eine bizarre Szene, die bereits wenig subtil andeutet, dass man im weiteren Verlauf nicht mit Kunstblut geizen wird und die Modellierkunst der Kreaturengestaltung zeigt, die irgendwo zwischen Pappmaché, Knetmasse und Gummiklumpatsch anzusiedeln ist und eine ganz eigenartige Stimmung verbreitet: Einerseits ist Belial unschwer als wenig organisch anmutende Handarbeit zu erkennen, andererseits erscheint er derart fremdartig, dass er tatsächlich unheimlich wirkt.
„Ich bezweifle sogar, dass es menschlich ist!“
Die telepathische Verbindung zwischen den Brüdern wird verdeutlicht, als Duane eine Liaison mit Sharon beginnt. Obwohl örtlich gerade voneinander getrennt, schreit der nicht sprechen könnende Belial infernalisch das komplette Hotel zusammen und scheucht so die Bewohner auf. Ein Einblick in sein Hotelzimmer wird für eine im Entstehungsjahr natürlich hoffnungslos veraltete, jedoch höchst charmante Stop-Motion-Animation Belials genutzt, die jedoch sicherlich nicht mit den Künsten eines Ray Harryhausen mithalten kann. Schließlich offenbart sich Duane betrunken einer Prostituierten in einer Bar – lachend, in scheinbar bester Stimmung; dabei ist es lediglich die Erleichterung, die Befreiung von der tonnenschweren Last, mit niemandem darüber reden zu können, was ihn so ausgelassen erscheinen lässt. Dementsprechend wird der Dialog auch bald ernst und traurig – und läutet eine Rückblende ein. Die Ereignisse kurz vor und nach der OP werden visualisiert, die Operationsszene mit ekligen Geräuschen unterlegt. Nun ist der Zuschauer voll im Bilde.
Dass Henenlotter auch das Stilmittel der Suspense wunderbar beherrscht, beweist die mahlend langsam ausgewalzte Szene der schlafengehenden Dame, die quasi perfekt inszeniert wurde. Gegen Ende holt man dann noch zu diversen Höhepunkten aus: grafisch fiesen wie dem Bild der Ärztin voller Skalpelle im Kopf, effekthascherischen wie dem dämonisch roten Aufleuchten von Belials Augen sowie künstlerischen bzw. psychologischen wie dem in seinen Träumen nackt durch die Straßen rennenden Duane. Höhepunkt der Provokation und des kalkulierten Ekels ist indes die Vergewaltigung Sharons durch Belial, deren Oberweite man nun auch unbekleidet zu Gesicht bekommt. Letztendlich läuft das alles auf ein dramatisches Finale und tragisches Ende hinaus, das für ein Regiedebüt ebenfalls erstaunlich punktgenau umgesetzt wurde.
„Das ist kein Hotel, das ist ein Irrenhaus!“
Als immer amüsanter werdender Running Gag zieht sich das Chaos durch den Film, das Duanes und Belials Aufenthalt im Hotel mit sich bringt und viel Raum bietet, die teilweise wahrhaftigen Charakterfressen der Nebendarsteller ins Licht zu rücken, deren Rollen immer wieder aufgescheucht werden. Der mürrische Rezeptionist (Robert Vogel, „Die Chaotenkneipe“, bereits 1989 39-jährig verstorben – R.I.P.!) kann einem dabei fast schon leidtun, auch wenn er seinen Gästen gern einmal „Jeder geht wieder auf sein Zimmer!“ zubrüllt, als befänden sie sich in einem Internat. Generell wird in „Basket Case“ viel geschrien und die Schauspieler neigen zum Chargieren, was jedoch mittels feinsinnigem bis schwarzem Humor überaus genießbar abgefedert wird. Die Spezialeffekte wurden einfach, aber effektiv gestaltet und man merkt dem Film die diebische Freude an, die das Team dabei gehabt haben muss, Belial zum Leben zu erwecken und seine Untaten grafisch auszuarbeiten. „Basket Case“ ist ferner ein echter „New-York-Film“, wie sie für die 1970er und -'80er typisch waren, begeistert dank seines authentischen Zeit- und Lokalkolorits und frönt den drei „sch“: Er ist schmuddelig, schunding und schmutzig, was ihn zu einem perfekten Vertreter des urbanen Grindhouse-Kinos macht. Doch „Basket Case“ kann sogar noch mehr, spielt nämlich mit der Faszination für die immer von einem leicht mystischen Hauch umwobene Verbundenheit von Zwillingen und provoziert darüber hinaus ethische Fragen nach dem Umgang mit „unwertem Leben“, was etwas weitergesponnen in eine Auseinandersetzung mit Andersartigem und seinem Platz in der Gesellschaft mündet. Henenlotter ist ein nicht nur für ein No-Budget-Debüt mehr als beachtlicher Genrefilm gelungen, der mir über die Jahre doch sehr ans Herz gewachsen ist – dem ich hoffentlich mit dieser Rezension entsprechend Ausdruck verleihen konnte.