Re: Schreie in der Nacht - Antonio Margheriti (1969)
Verfasst: Do 7. Jul 2011, 23:36
Große Hartbox von X-Rated / Red River
Schreie in der Nacht (Deutschland, Italien 1969, italienischer Titel: Contronatura)
Vor uns die Sintflut
Ich verzichte an dieser Stelle auf den üblichen Inhaltseinblick, rate ausdrücklich zur Entdeckung dieser wundervollen Mixtur aus Krimi und Gruselfilm. Gruselfilm? Tatsächlich? Überprüft es selbst, vielleicht habe ich gelogen...
Eine Sache ist amtlich, der Streifen ist auf keinen Fall ein Giallo, auch wenn die Verpackung der DVD dies behauptet. Sicher, Antonio Margheriti verdanken wir den schönen "Sieben Jungfrauen für den Teufel" (1968), der gekonnt "Giallo-Elemente" mit "Wallace-Feeling" vermengt. Einige Jahre später (1973) sorgte Margheriti mit dem "Giallo-Grusel-Mix" namens "7 Tote in den Augen der Katze" für Wohlbefinden. Der 1969 produzierte "Schreie in der Nacht" passt allerdings kaum in die Giallo-Schublade, erinnert lediglich hin und wieder an das von mir sehr verehrte Genre. Der Unterhaltungswert wird dadurch nicht beschädigt, "Schreie in der Nacht" wechselt souverän zwischen seiner kammerspielartigen Gegenwart und Rückblenden, Rückblenden in denen wir interessante Details über die relevanten Charaktere erfahren. Keiner der Mitwirkenden scheint eine weisse Weste zu haben, jeder kocht in seinem eigenen Sündensüppchen, taumelt durch seine kleine Privathölle.
Giuliano Raffaelli spielt einen gierigen Burschen namens Archibald, dessen abstossende Eigenschaften sich im Laufe des Films mehr und mehr offenbaren. Joachim Fuchsberger sehen wir als Rechtsverdreher, der Raffaelli seit langer Zeit auch als Freund zur Seite steht. Fuchsberger mag zunächst eine für ihn übliche Rolle ausfüllen, darf sich aber (auch) von einer erfrischend anderen Seite zeigen. Doch gibt es in diesem Sündenpfuhl so etwas wie Freundschaft, werden alle Beteiligten nicht vielmehr durch ihr Verlangen nach Geld, Macht und Lust angetrieben? Claudio Camaso ist als weiterer Mitarbeiter Archibalds zu sehen, am liebsten vergnügt er sich jedoch mit dessen Weib Margarete (Dominique Boschero). In absoluter Bestform präsentiert sich Marianne Koch, die als Vivian ihre lesbischen Neigungen offen zur Schau stellt. Vivian mutet zunächst wie die sanfte Verführung an, wird aber zunehmend aufdringlich, besitzergreifend, verzweifelt und sogar psychotisch gezeichnet. Auch Helga Anders kommt nicht unbefleckt davon, ein vermeintlich zartes Pflänzchen mit Hang zur kalten Überheblichkeit. Die Krone gebührt jedoch Luciano Pigozzi (unter dem Pseudonym Alan Collins unterwegs), der mit dämonischer Verschlagenheit als Gastgeber über dem Szenario schwebt. Unterstützung erfährt Pigozzi durch Marianne Leibl, die wir in der Rolle seiner paranormal begabten Mutter sehen.
Wo z.B. der Italowestern noch seine legendären Antihelden aufbietet, regiert bei "Schreie in der Nacht" durch die Bank die Verdorbenheit. Antonio Margheriti (einmal mehr als Anthony M. Dawson am Start) verzichtet nahezu völlig auf übliche Schauwerte, Gewalt und/oder Nacktheit bahnen sich höchstens für kurze Momente ihren Weg an die Oberfläche. Selbst die sehr offensiv angelegte Rolle von Marianne Koch, driftet nie in wirklich sleazige Bereiche ab. Doch unter der eher ruhigen Oberfläche brodelt es gewaltig, so gewaltig, dass das Finale wie die einzig mögliche Entladung der aufgestauten Spannung erscheint. Will man nach einem Haar in der Suppe suchen, könnte man sich eventuell über die plakative Dampfhammer-Symbolik beschweren, mit der der Zuschauer konfrontiert wird. Mir steht der Sinn nicht nach Gemecker, ich halte die Auflösung für gelungen und angemessen. Grossen Anteil am guten Gelingen des Films, hat zweifellos die hervorragende Kameraarbeit von Riccardo Pallottini, dem stets sehr stimmungs- und eindrucksvolle Aufnahmen gelingen.
"Schreie in der Nacht" zündet mit Nachdruck, wenn man dazu bereit ist, (s)eine vorgefertigte Erwartungshaltung in der Schublade zu lassen. Hier erwartet euch kein Giallo, kein Wallace-Verschnitt und auch kein Gothic-Grusler. Klar, gewisse Spuren der genannten Genres sind erkennbar, doch der Flick entzieht sich kraftvoll und überzeugend, lässt sich nicht auf eine solche Zuordnung ein. Längst war eine brauchbare DVD-Veröffentlichung überfällig, nun ist "Schreie in der Nacht" gleich in mehreren Verpackungs- und Ausstattungsvarianten veröffentlicht worden. Mir liegt die oben gezeigte Hartbox vor. Diese enthält zwei DVDs, dort findet man auf einer Scheibe die deutsche Kinofassung (knapp 80 Minuten), auf der anderen DVD die italiensiche Version (rund 87 Minuten). Die Langversion verfügt -verständlicherweise- nicht über eine vollständige deutsche Synchronisation, die in italienischer Sprache vorhandenen Szenen wurden deutsch untertitelt. Beide Fassungen funktionieren erstaunlich gut, für ungedulige Menschen mag die kürzere Version die bessere Wahl sein. Die gebotene Bildqualität geht in Ordung, Boni sind nur in geringer Dosis vorhanden, immerhin liegt ein kleines Booklet bei.
Gut = 7/10
Lieblingszitat:
"Äusserlich waren Sie damals anders. Jünger, strahlender, aber schon ebenso pervers!"