Eine Jungfrau in den Krallen von Frankenstein
La maldición de Frankenstein
Frankreich/Spanien 1973
Regie: Jess Franco
Dennis Price, Britt Nichols, Howard Vernon, Anne Libert, Luis Barboo, Fernando Bilbao, Alberto Dalbés, Jesús Franco, Lina Romay, Beatriz Savón, Doris Thomas, Daniel White
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OFDB
Italo-Cinema (Gerald Kuklinski)
Wie muss man eigentlich drauf sein, um sich einen Film wie EINE JUNGFRAU IN DEN KRALLEN VON FRANKENSTEIN anzuschauen? Und so einen Stuss dann auch noch gut zu finden? Ich meine, da passt einfach gar nichts mehr, sollte man meinen. Die Schauspieler sind „bemüht“, die Settings deutlich unterbudgetiert, die Musik schräg, die Geschichte ist nicht vorhanden und die Anschlüsse zwischen den Szenen sind wild.
Sollte man meinen. Aber ich glaube in erster Linie muss man diese extrem miese deutsche Synchro überhören, die den Film problemlos mehrere Stufen nach unten zieht und ihm ein Billigflair verleiht, das er überhaupt nicht hat. Wenn man diesen Punkt in den Griff bekommt, ist die psychedelische Story vielleicht gar nicht mehr so tragisch.
Es beginnt damit, dass Dr. Frankenstein in seinem Labor, bestehend aus zwei kleinen Schaltschränken, einer Liege und einem Assistenten, per Stromschalter ein Monster mit silbernem Körper zum Leben erwecken kann. Er freut sich ganz narrisch, doch parallel dringen zwei finstere Gestalten in die Villa des Menschenerweckers ein. Die eine Gestalt ist Luis Barboo all dressed in Black, und die andere ist die Vogelfrau Melisa, die unter ihrem schwarzen Umhang nur ein paar blaue Federn trägt, dafür aber grüne Federhände hat. Die beiden dringen in das Labor ein, töten Frankenstein und seinen Assistenten, entführen das Monster und bringen es zu seinem neuen Meister, Cagliostro. Dieser will die Menschheit ausrotten, und darum eine ganze Rasse von Monstren erschaffen. Dafür wiederum benötigt er zum einen die schönsten Frauen, aus deren schönsten Körperteilen er Superfrauen erschaffen will, und zum anderen eben das Monster. Eine Win-Win-Situation also: Das Monster kann vögeln auf Teufel komm raus, und Cagliostro kann jede Menge spannen. Und die Vogelfrau darf als Belohnung für die gute Arbeit einen Gefangenen zerfleischen.
Als nächstes entführt das Monster ein Aktmodell, aber da wirft sich Vera Frankenstein, die Tochter des Alten, in den Weg und programmiert das Monster neu. Sie will zu Cagliostro, um den Tod ihres Vaters zu rächen. Cagliostro schaut zwar aus wie der Obermufti von Absurdistan, ist aber nicht so blöd wie er maskiert ist und erkennt Vera Frankenstein. Er übernimmt die Kontrolle über ihr Gehirn und macht sie zu seiner Arbeitssklavin. Doch Dr. Seward, der Konkurrent von Frankenstein, und Inspektor Tanner sind auf der Spur von Vera. Können die beiden tapferen Helden den schrecklichen Plan Cagliostros vereiteln? Wird die schrecklich-schöne Melisa ihre Krallen auch weiterhin an unschuldigen Menschen wetzen? Kann Howard Vernon jemals wieder ohne Lachanfall in den Spiegel schauen, wenn er an den idiotischen Bart denkt den er in diesem Film tragen muss? Wird es Zuschauer geben, die sich diesem Schmarrn rückhaltlos hingeben und den Film am Ende auch noch gut finden?
Fragen über Fragen - Und da könnte man noch weiter machen! Wer zum Beispiel ist das spitzohrige Männchen im Verlies von Cagliostro, das aussieht wie eine Mischung aus Mr. Spock und einem türkischen Basarhändler? Wieso kommt Jess Franco immer wieder auf die Idee, dass Totenköpfe aus erkennbarem und ausgesprochen sauberem weißen Plastik wandelnde Tote darstellen könnten (den gleichen lachhaften Effekt setzt er 1982 in MANSION OF THE LIVING DEAD erneut ein, und wieder mit dem gleichen lächerlichen Ergebnis)? Wieso hat Luis Barboo Striemen von Peitschenhieben auf dem Leib, wenn doch der Prügelaugust immer nur auf Vera Frankenstein einschlägt? Aber gut, da gehen wir schon deutlich in das Reich der Filmfehler, und sowas zählt bei Jess Franco nicht!
Was bei Jess Franco zählt, und zwar vor allem bei Filmen aus dieser Schaffensperiode, ist die Atmosphäre, die der Regisseur mit ganz wenigen Mitteln zaubert. Ein Wald, ganz leichter Nebel, vielleicht ein wenig feucht und vor allem düster wirkend, und eine Gruppe Gestalten bewegt sich langsam in weißen Tüchern vorwärts. M. Night Shyamalan könnte so etwas überzeugend und stimmungsvoll-gruselig auf Film bannen – Und Jess Franco ebenfalls. Erinnerungen an ENTFESSELTE BEGIERDE aus dem gleichen Jahr werden wach, wo Lina Romay überirdisch schön in einen Umhang gehüllt durch den Wald läuft, auf der Suche nach Liebe, Sperma und Tod. Ohne dass diese Gestalten irgendeinen Sinn haben, ohne dass auch nur das Geringste passiert, sind diese Momente so magisch, so poetisch und zugleich gruselig. Tatsächlich ist der Wald in beiden Filmen der gleiche - Diese Szenen wurden bei den Dreharbeiten zu LA COMTESSE PERVERSE gedreht und nachträglich in JUNGFRAU eingefügt. Aber das ist geschenkt, der Stimmung des Films sind diese Szenen nur zuträglich. Nicht so überzeugend sind allerdings die Momente, die nach den Dreharbeiten zu LA COMTESSE PERVERSE mit Lina Romay als Zigeunermädchen eingefügt wurden. Sie ergeben keinen Sinn und bremsen die Geschichte aus, zudem wirkt das Zigeunermädchen in hohen schwarzen Lederstiefeln etwas eigenartig. Aber man muss auch zugeben, dass Lina in diesen Bildern geradezu überirdisch schön ist …
Wunderschön ist auch Anne Libert als Vogelfrau Melisa. Schön im Sinne einer Barbara Steele - Ihre Kleidung, die gotische Schminke im attraktiven Gesicht, diese Zerbrechlichkeit und gleichzeitige Härte im Ausdruck, und dann noch die Vogelschreie … Wer würde sich nicht gerne dieser Frau in einer Orgie aus Sex und Blut hingeben wollen? Anne Libert spielt überragend und wirkt wie eine Gestalt aus einer anderen Welt, genauso wie ihr Nebenmann Howard Vernon als Cagliostro. Dem unsterblichen Magier, der die europäische (Pop-) Kultur schon seit Jahrhunderten bereichert, wird hier ein eindrückliches und starkes Gesicht (mit einem der Lächerlichkeit preisgebenden Bart) gegeben. Ein Gesicht voller Grausamkeit und Machtgier, aber auch voller Liebe zu seiner Melisa. Die Kamera betont immer wieder Vernons Augen, die hier tiefgründig und finster wirken, und dem ganzen Film sehr viel Ausstrahlung geben.
Während ich die Screenshots für JUNGFRAU erstellte lief im Hintergrund Musik der amerikanischen Gothic-Band Lycia, die den Film ganz vortrefflich untermalte. Diese geheimnisvolle und ruhige Stimmung des Films wurde durch die passende Musik noch verstärkt und versetzte mich fast in ein Zauberland. Doch andererseits malen die im Film tatsächlich verwendeten Dissonanzen geschickt eine weitere Schicht der Unwirklichkeit hinzu. Vor einem nervösen und oft surrealen musikalischen Hintergrund wirken die in sich ruhenden Bilder des Zauberers und seiner Gehilfin wie zwei Seiten eines sich entfaltenden Märchens.
Zu warnen ist auf jeden Fall vor der deutschen Synchro! Sätze wie „
Es war sehr traumatisierend. Sie ist völlig inkontinent.“ sollten schon Warnung genug sein. Auf der anderen Seite möchte ich genauso sterben wie Dr. Frankenstein, dessen letzte Worte „
Merken Sie sich eines, es ist sehr wichtig: Uuuuhhhuhuh …“ ich in meiner letzten Minute auch gerne von mir geben möchte. Aber insgesamt ist die Synchro billig, billig und vor allem billig. Die Stimmen sind schlecht gewählt, und einzig die Sprecherin von Anne Libert hat den Mut und das Können gehabt aus sich heraus zu gehen, und den Schreien und dem Gegurre der Vogelfrau überzeugend Leben einzuhauchen. Wenn irgend möglich sollte auf die englische Synchro ausgewichen werden, die den Film merklich aufwertet …
Und um die Eingangsfrage zu beantworten, wie man als Zuschauer denn drauf sein muss, um so etwas gut zu finden? Man sollte auf jeden Fall ein Herz haben für Filme, die nicht den Gesetzen des modernen Blockbusters gehorchen. Man sollte Filme mögen, die ihre Geschichte nicht mit aller Kraft voraus verfolgen, sondern auch mal Umwege gehen, oder sich in skurrilen Nebenhandlungen verlieren, die voller liebreizender Details sind, und eine Fantasiewelt heraufbeschwören, die nicht das Produkt gewiefter Marketing-Experten ist, sondern einfach mal eben so entsteht. Aus der schöpferischen Kraft eines Künstlers und seines Teams. Denen sehr wohl bewusst ist, dass ihr Kunstwerk niemals groß Geld machen wird, die aber stattdessen etwas geschaffen haben, was auch dann noch Bestand haben wird, wenn all die nichtssagenden Superhelden und blassen Action-Langweiler bereits zu Staub verfallen sind. Denn auch dann werden noch weißgewandete Gestalten durch vernebelte Wälder ziehen. Ohne Sinn, ohne Zweck. Einfach, weil sie es können …
8/10