Die beiden 14jährigen Klosterschülerinnen Anne und Lore interessieren sich nicht sonderlich für das, was Mädchen ihres Alters normalerweise so umtreibt. Statt sich mit so profanen Dingen wie Jungs abzugeben, lesen sie nachts lieber heimlich unter der Bettdecke die Werke von Lautréamont und Baudelaire und huldigen, ganz dem verführerischen Reiz des Verbotenen erlegen, ihrer einzig wahren Liebe, dem Teufel. Angefacht von ihrer Leidenschaft für das Böse und dem Plan, ihrem Liebsten zu imponieren, um sich ihm bei einem Hochzeitsritual vollends hingeben zu können, beginnen die beiden in den Sommerferien, den Männern aus ihrem Dorf gemeine Streiche zu spielen. Was als Spiel aus Verführung und Demütigung beginnt, gerät aber zusehends außer Kontrolle...
[Zitat: "Und erlöse uns nicht von dem Bösen", erschienen bei BILDSTÖRUNG]
Der sehr stimmungsvoll klingende Titel des Films war Anreiz genug, ihn mir zuzulegen, da mich von darstellereischer Seite eher mit unbekannten Gesichtern konfrontiert sah, und um es direkt zu betonen; dieser Beitrag ist einer der beachtlichsten, die ich auf das Genre reduziert, in den letzten Jahren zu sehen bekam! Zunächst zeigt sich die Handhabe der Regie, im Rahmen bestehender Konventionen als sehr progressiv im Veranschaulichen der Thematik, und es wird schnell deutlich, dass sich dieser Film sehr stark von der Konkurrenz abheben wird. Die optisch unschuldig anmutenden Protagonistinnen Anne und Lore wirken in ihrer Unberechenbarkeit teils beängstigend, und bedienen ein einfaches Prinzip erstaunlich sicher und überzeugend, ja, etwa nach dem Motto, was passieren könnte, falls man einem Schimpansen eine Pistole in die Hand drückt. Dieser, im übertragenen Sinne angeführte Vergleich bezieht sich natürlich auf die Unberechenbarkeit und Ursache und Wirkung, da die Regie zwar offensichtlich und gerne auch lauthals, aber äußerst clever mit Institutionen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen abrechnet, so dass unterm Strich kein sensationslüsterner Film zurückbleibt.
Das perfide Element in der gesamten Inszenierung sind und bleiben die beiden Protagonistinnen. Als Zuschauer findet man sich nämlich ebenfalls in einem Wechselbad aus Faszination und Abscheu wieder, und es ist oft schwer zu ordnen, was die beiden Mädchen alles so treiben. Die allgemeine Provokation beschwört nicht nur bei den Beteiligten eindeutige Reaktionen, sondern dem Zuseher geht es ebenso. Verwirrung stiften Anne und Lore durch ihr unscheinbares Aussehen. Bei 14jägrigen Klosterschülerinnen, die zwischen Unschuld und Laszivität hin- und herpendeln, fühlt man sich irgendwie ertappt, gerade weil man ihnen zuschaut. Allerdings waren die Hauptdarstellerinnen damals bereits 21, beziehungsweise 20 Jahre alt, was nur noch mehr Zustimmung in Richtung dieser unmöglich perfiden Inszenierung bringt. In Krimis wird man von Seiten der Regie beispielsweise gerne zum Komplizen gemacht, hier möchte Joël Séria den Zuschauer verführen, und originellerweise quasi selbst zum
Sünder werden lassen, was gleichzeitig bedeutet, dass es bei diesem Stoff keine hohe Distanz zu finden gibt, obwohl er aufgrund fehlender Exposition keineswegs distanzlos, oder besser gesagt aufdringlich wirkt.
Anne und Lore stammen beide aus sehr betuchten Verhältnissen. Damit brauchbare und gottesfürchtige Ehefrauen aus ihnen werden, schickte man sie auf eine Klosterschule. Dabei springen ihre eigenen Mütter als Prototypen der Frau mit einer Art ins Auge, die es mit allen Mitteln zu verhindern gilt. Kultiviert, brav und langweilig. Wenige Szenen im Kloster erinnern an einschlägig bekannte Abhandlungen in diversen anderen Filmen, lediglich ein zaghafter Blick durchs Schlüsselloch, wo man eine Schwester mit einer Novizin beim leichten Vorspiel sehen kann, doch die Warnungen vor der gefährlichen Fleischeslust und die erhobenen Zeigefinger der Moral schweben allgegenwärtig wie schwarze Schatten umher. Bei der Predigt stellt sich Anne den Pfarrer halb nackt vor, der dabei von der Kanzel herab am Fluchen ist, oder bei der Beichte spielt sich in ihrer Vorstellung der Anfang einer sexuellen Handlung mit ihrem Beichtvater ab. Auch wenn das nach wenig aussieht, aber immerhin spielt sich alles Weitere in den Gedanken der Zuschauer ab. Immer wieder wird die unbändige Lust nach Brutalität und Vandalismus gezeigt, beispielsweise das Quälen einer jungen Katze oder das Töten von kleinen Vögeln, und dieser Verlauf nimmt seelenruhig und beinahe unbemerkt aggressivere Formen an.
Die Mädchen suchen sich erwachsene Männer aus, die sie anspitzen indem sie sich ihnen anbieten, und sich wie erwachsene Frauen aufführen, oder wahlweise wie Prostituierte. Doch nur aus Büchern und der Fantasie lässt es sich eben nicht kopieren oder erlernen, so dass man andere Seiten der Herren kennen lernen muss, was in einigen Fast-Vergewaltigungen gipfelt, bis auch schon der kleine Showdown kommt, den man tatsächlich erahnt hat, weil die logische Konsequenz so unausweichlich erscheint. Wie eine solche dann schließlich aussehen kann, bekommt man schließlich im großen Finale mit einem großen Schock offeriert. Handwerklich gesehen, bewegt sich
"Mais ne nous délivrez pas du mal" auf aller höchstem Niveau, und besticht durch elegante Settings und Details, atmosphärisch dichte Bilder und einer feierlich klingenden Musik von Dominique Ney, die den Film trügerisch-idyllisch, aber auch verheißungsvoll begleitet und den Titel untermauert. Die teils bizarren Dialoge versetzen in Staunen und dieser Beitrag von Joël Séria ist schon ein grotesker, und schließlich kleiner Geheimtipp geworden. Beachtlich!