Horrorschocker Grusel Gigant #1
Ha, mein zweiter Weissblech-Comic! Nach „Derber Trash #1“ natürlich wieder ein Sammelband, diesmal aus der Horrorcomicsparte. Dieser erschien im Jahre 2016 und vereint auf 148 vollfarbigen Seiten im Softcover und Heftchenformat die Inhalte der ersten fünf „Horror Schocker“-Ausgaben mit Ausnahme der Geschichte „Heimfahrt“ aus der Nummer 4. Hierfür werden nicht näher benannte rechtliche Gründe angegeben. Das ist alles sehr farbenfroh; die jeweilige Panelstruktur wurde individuell den Erzählungen angepasst, hier wirkt nichts in Form gezwängt. Für diesen Band wurden das Lettering überarbeitet und Rechtschreibfehler korrigiert – das ist sehr löblich. Wie im großen Vorbild, den in den 1950ern im US-amerikanischen EC-Verlag erschienenen Horrorcomics, gibt es einen Meta-Erzähler, der in die Geschichten einführt und sie zuweilen kommentiert: den Styx-Fährmann Charon.
Los geht’s mit „Unten am Sumpf“, einer schwer an die alten EC-Sumpfgeschichten erinnernden Geschichte über einen Mörder, der Opfer seiner eigenen Tötungsmethoden wird. Was im darauffolgenden „Winter 1389“ als typische mittelalterliche Anti-
Hexenjäger-Story beginnt, gibt mit einer am Schluss gezogenen kruden Parallele den Christen die Schuld am Ausbruch der Pest – als habe es sich um eine Rache der Hexen an ihnen gehandelt. Da bekanntlich nicht nur Christen unter der Seuche zu leiden hatten, scheint mir dies nicht ganz zu Ende gedacht. Bei „Martin der Entdecker“ handelt es sich um eine Geschichte über Massen- und individuellen Abenteuertourismus, zivilisationskritisch und mit herrlich bösem Ende – hier kriegen alle ihr Fett weg.
„Insektentod“ handelt von einem brutalen Gangsterboss, der von Wespen totgestochen wird, nachdem er eines seines Opfer mittels insektenspray umbrachte, gefolgt von Niniwes Fluch, einer längeren, abenteuerlichen Mär über eine antike Totengöttin mit lebenden Leichen, Skeletten – und einem offenen Ende in der Gegenwart. In ihrem Anschluss findet sich mit „Im Tal des Drachen“ eine etwas unspektakuläre Ritter- und Drachen-Story.
Dafür geht’s mit „Der Bote“, die vom Kampf Mensch gegen Ameise – erzählt aus Sicht einer Ameise! – handelt, umso origineller weiter. „Maria!“ entpuppt sich als cooler
Rape’n’Revenge-Fetzer mit einer Werwölfin und „Der Schlächter von Oakwood Manor“ als schwarzhumorige Kurzgeschichte um einen Geisterjäger. „Der Bestatter“ zeigt, wie ein ebensolcher zu einem seltsamen Assistenten gelangt.
„El Dorado“ präsentiert Konquistadoren auf ihrer fatalen Suche nach diesem mythischen Ort, hier siegt – wie so oft in diesen Comics – eine höhere Gerechtigkeit. Wiederum nicht der Fall ist dies in „Gute Nacht Geschichte“, einer Geschmacklosigkeit über Alpträume und Kopfschmerzen als Symptome eines Gehirntumors. Im Anschluss erhält Charon eine kurze
Origin-Story.
Das letzte Heft des Sammelbands eröffnet mit „Tauwetter“, einem lakonischen Schocker über ein Mordkomplott in einem vereisten Bergsee. „Flurbereinigung“ thematisiert ein Hünengrab, einen ignoranten Bauern und einen vermeintlichen Fluch, der diesen das Leben kostet. In „Der Kuss der Seejungfrau“ begibt sich ein schiffbrüchiger Abenteurer auf die Suche nach einer ebensolchen und in die „Die Wüste lebt!“ fahndet eine Expedition nach einer neuen Spezies, auf die sie auch trifft, aber niemandem mehr über sie berichten kann…
Als Bonusmaterial erhält man drei Seiten Historie über die Heftreihe und einige Hintergrundinformationen sowie „Der Sturm“, eine Geschichte über den Kapitän eines Sklavenschiffs, der sein Ziel knapp verfehlt.
Die mal noch etwas unbehauenen, mal aber auch sehr filigranen und zum Teil hübsch-morbiden Zeichnungen verschiedener Künstler wissen zu gefallen, die mal sarkastische, mal düster-gruselige, mal moritatische oder makabre Erzählweise überzeugt größtenteils und die überwiegend wirklich guten Texte stechen hervor. Liebloser Schund geht definitiv anders und mit dem hommagenartig an EC angelehnten Konzept rennt man bei mir offene Türen ein – wenngleich sich der spezielle Geist der 1950er-Jahre-Originale natürlich nicht ohne Weiteres kopieren und/oder auf die Neuzeit übertragen lässt. In all den Jahren ist es auch nicht leichter geworden, auf diesem Gebiet originell zu sein, und so fallen diese Geschichten und Geschichtchen denn auch etwas weniger erinnerungswürdig als die Klassiker aus. Unterhaltsam und kurzweilig ist die Lektüre aber allemal!