bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Euer Filmtagebuch, Kommentare zu Filmen, Reviews

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buxtebrawler
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Masks
Stella, die lange vergeblich versucht hat, sich erfolgreich bei einer Schauspielschule zu bewerben, wird überraschend an der Matteusz Gdula-Privatschule angenommen. Stella ist ehrgeizig, aber nicht sehr talentiert, was sie schnell zur Zielscheibe des Gespötts der anderen Schauspielschüler macht. Nur in der schüchternen Cecile, die in der Schule zu leben scheint, findet sie eine neue Freundin. Von ihr erfährt sie von Gdula, dem geheimnisvollen Gründer der Schule, der eine fragwürdige Schauspielmethode entwickelt hat. In den 70er Jahren kamen in seiner Theatergruppe mehrere Schüler um's Leben. Gdula brachte sich um, seine Methode wurde verboten. Als eine Schülerin spurlos verschwindet, vermehrt merkwürdige Geräusche aus dem geschlossenen, baufälligen Flügel der Schule dringen und die Lehrerschaft ihren Fragen zu Gdula und seiner Methode ausweicht, ahnt Stella, dass jemand Gdulas Lehre noch praktiziert. Sie hat daraufhin nur noch ein Ziel: An der Methode teilzunehmen. Selbst, wenn es sie das Leben kosten sollte... (Covertext)
Der Deutsche Andreas Marschall ist nicht nur Comiczeichner und Gestalter von Plattencovern beispielsweise für Bands wie „Blind Guardian“ und „Kreator“, hin und wieder strebt er auch nach (noch) Höherem und nimmt auf dem Regiestuhl platz. So inszenierte er 1990 für „Kreator“ den Musik-/Horrorfilm „Hallucinative Comas“, drehte 2004 schließlich seinen ersten eigenständigen Horrorfilm „Tears of Kali“ und acht Jahre später die Hommage an das italienische Genrekino der 1970er „Masks“, für den er auch das Drehbuch verfasste:

Die angehende Schauspielerin Stella (Susen Ermich) fiel wieder einmal durch die Aufnahmeprüfung einer Schauspielschule. Doch einer der Prüfung gibt ihr den vielversprechenden Hinweis auf eine spezielle Lehreinrichtung am Rande Berlins, der „Matteusz Gdula“-Schule, die nach ihrem Gründer benannt wurde. Dessen zweifelhafte Methoden kosteten in den 1970ern einige Schüler das Leben, woraufhin Gdula den Freitod gewählt haben soll. Stella wird aufgenommen, stößt jedoch bei ihren Mitschülern nicht sonderlich auf Gegenliebe. Eine Freundin findet sich lediglich in Cecile (Julita Witt). Zudem birgt die Schule ein düsteres Geheimnis, das Stella schließlich in Lebensgefahr bringt…

Vereinfacht ausgedrückt ist „Masks“ ein Horror-Giallo aus deutschen Landen. Er versteht sich als Ehrerbietung an die alten Italo-Meister Bava, Argento und Martino, die in längst vergangenen Jahrzehnten mit ihren Gialli und Horrorfilmen auf sich aufmerksam machten und stilistisch eigenständige Werke mit einer einzigartigen, unverkennbaren Ästhetik schufen. Marschall orientiert sich dabei weniger an klassischen Gialli, sondern vornehmlich an Argentos Farbenrausch „Suspiria“, der trotz vieler gialloesker Elemente vorrangig dem Horror-Genre zuzuordnen ist. Marschall geht gar so weit, aus „Masks“ ein Quasi-Remake zu machen, das von Freiburg nach Berlin umgesiedelt wurde und statt in einer Ballett- in einer Schauspielschule spielt. Das mag wenig originell erscheinen, wird von mir jedoch als durchaus spannende Ausgangssituation für eine solche Hommage aufgefasst – zumal die Handlung auch im Original eher nebensächlich war; stattdessen ging es um Bildgewalt, um Stimmungen, um die vielzitierte Atmosphäre.

Bei aller Orientierung am großen Vorbild begehen Marschall und sein Team nicht den Fehler, eine bavaeske bzw. argentoeske Farbästhetik/-dramaturgie 1:1 kopieren zu wollen. Man setzt eigene stilistische Akzente, ist in der Bildkomposition unschwer zu erkennen inspiriert und greift auf bekannte Charakteristika (wie den Zooms auf die Augenpartien) zurück, taucht „Masks“ jedoch weder in Neon-Farbfilter noch in absonderliche Illumination. Diese eher zurückhaltende, sich nicht überschätzende, dennoch eindeutige Akzente setzende und effektive Herangehensweise an die Kameraarbeit gefällt mir ausgesprochen gut und sollte positiv zu einem niederschwelligen Eintritt in diese spezielle Kinowelt gerade auch für Genreunerfahrene beitragen. Die sich ins Ohr schmeichelnde Titelmelodie wird auf der Gitarre gezupft und im weiteren Verlauf bescheren Sebastian Levermann und Nils Weise „Masks“ eine wohlklingende, von klassischen Italo-Kino-Komponisten nicht unbeeinflusste musikalische Untermalung, die zwar vielleicht nicht das Zeug zum Klassiker hat, jedoch hörbar liebevoll ausgewählt und arrangiert wurde. Besonders gelungen ist die punktgenau auf die Szenen abgestimmte und kreative Arbeit mit Klangeffekten.

Schon der Prolog mit seiner fiesen Fingernagelszene hat mich gepackt und durch einen Stoß ins kalte Wasser auf die zu erwartenden Gemeinheiten eingestimmt. So kommt es dann auch erwartungsgemäß zu herben Schocks, unangenehmen Gewaltausbrüchen und sehr grafischen Morden – wohldosiert und schaurig-ästhetisch. Die Charakterisierung der Rollen konzentriert sich vornehmlich auf Stella und Cecile, wobei letztere geheimnisvoll und undurchsichtig bleibt, die Freundschaft Stellas zu ihr immer von einer gefahrvollen Aura umgeben, aber auch alternativlos bleibt. Innerhalb dieser faktischen Isolation, die erst auf den zweiten Blick als solche erkannt werden kann – immerhin ist Stella umgeben von Mitmenschen –, appelliert „Masks“ an mögliche leidvolle Erfahrungen, die der eine oder andere Zuschauer im Kindheitsalter auf Schulausflügen, Klassenfahrten oder unmittelbar in Internaten o.ä. gemacht haben und sich tief ins emotionale Unterbewusstsein eingespeichert haben könnten. In diesem Zusammenhang ist die Charakterzeichnung Stellas als besonders emanzipatorisch zu betrachten, da sie aus ihr eine ambitionierte, eigensinnige, neugierige, kämpferische Frau macht, statt sie zum Metzelfutter zu degradieren. Das Finale ist nicht nur für „Suspiria“-Kenner ein gutes Stück weit hervorsehbar, doch bleibt die Frage, wie eng man sich an ihm orientiert oder wie man es evtl. variiert – was ich hier nicht verrate. Doch auch ohne diesen Spannungseffekt ist der betont entschleunigt erzählte Film faszinierend anzuschauen, außer, wenn er gerade stellenweise zu langsam wird und trotz seines ‘70er-Tribut-Charakters Timing-Probleme bekommt. Die guten Leistungen der zum Teil direkt aus der echten Schauspielschule, in der „Masks“ spielt, verpflichteten Darsteller lassen diese Schwankungen schnell verzeihen, die morbide, konspirative Mystery-Stimmung bleibt konsequent erhalten und wird zum sicheren Begleiter bis zum Abspann, in dem Marschall wie dereinst Argento in „Opera“ und „Phenomena“ zum Heavy Metal greift und die Gruppe „Orden Ogan“, der Sebastian Levermann als Gitarrist, Keyboarder und Sänger vorsteht, das Stück „Winds of Vale“ darbieten lässt.

Neben „Suspiria“ fällt mir aber noch ein ganz anderer Vergleich ein, der sich zwar nicht so sehr aufdrängt, meines Erachtens aber nicht ganz von der Hand zu weisen ist: „Masks“ erinnert mich bisweilen, was seinen Härtegrad und die – wenn man so will – Aussage betrifft, an „Saw“, verquickt das Torture-Element geschickt mit seinem Retro-Stil. Bei allem Lob fühle ich mich aber genötigt, nicht unerwähnt zu lassen, dass „Masks“ keine epochale Pomp-Produktion ist, sondern sichtbar mit einem begrenzten Budget zu arbeiten hatte und man ihm diesen Umstand auch dann und wann ansieht. Diese Kenntnis beugt hoffentlich falschen Erwartungshaltungen vor, soll jedoch ausdrücklich nicht bedeuten, dass „Masks“ ein Amateurprodukt oder eine Fernsehkrimi-Produktion wäre. Nein, hier wurde ökonomisch gearbeitet, alle scheinen an einem Strang zu ziehen und das Ergebnis wirkt rundum gelungen. Mögliche Kritikpunkte wie dieser oder auch mangelnde Originalität, Überraschungsarmut etc. stören mich in diesem Falle kaum. Ich bin positiv beeindruckt von „Masks“, obwohl ich mich bisher an andere Giallo-Tribute nicht herangetraut habe – und Marschalls Film ohnehin eher als Verneigung vor gialloeskem Italo-Horror verstehe, was dann ja (glücklicherweise?) doch noch einmal etwas anderes ist. 7,5 von 10 von Nachwuchsschaupielerinnen opfere ich diesem Unterfangen gern!
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Vermisst
Nachdem ihr Mann in einem südamerikanischen Land verschwunden ist, wendet sich dessen Frau Beth Horman (Sissy Spacek) an dessen konservativen Vater Ed Horman (Jack Lemmon). Der reist mit ihr in die von politisch-militärisch hochbrisante Region und stellt gefahrvolle Untersuchungen über das Verschwinden seines Sohnes an. Dabei stehen ihm nicht nur das Militär, sondern auch die fremde Bürokratie im Weg und auch die amerikanischen Behörden scheinen in diesem Zusammenhang nicht so ganz sauber zu sein. Langsam aber sicher setzen die Hormans ein brisantes Puzzle zusammen, was geschehen ist...
„Keine Sorge, sie können uns nichts tun – wir sind Amerikaner!“

In seiner ersten Hollywood-Produktion setzte sich der griechische Filmemacher und Experte für die oft erschütternde Realität nachzeichnende Polit-Thriller Costa-Gavras („Z – Anatomie eines politisches Mordes“) mit den Folgen des aus wirtschaftlichen Gründen vom US-amerikanischen Geheimdienst CIA erzwungenen Militärputsches und der Installation des Diktators Pinochet in Chile auseinander. Der Film heißt schlicht „Vermisst“ und datiert auf das Jahr 1982.

Das Drama basiert auf dem realen Fall des US-amerikanischen Journalisten Charles Horman. Das Sachbuch „The Execution of Charles Horman: An American Sacrifice von Thomas Hauser“ war Grundlage für die im Film nachgezeichneten Ereignisse: Charles Horman (John Shea, „Kennedy“) verschwindet in Chile spurlos. Seine Frau Beth (Sissy Spacek, „Carrie“) wendet sich hilfesuchend an ihren konservativen Schwiegervater Ed Horman (Jack Lemmon, „Ein verrücktes Paar“). Dieser will zunächst nicht recht glauben, dass die USA in die Ereignisse verstrickt sind und sucht die Schuld zunächst bei seinem Sohn selbst, sieht sich jedoch nach seiner Ankunft in Chile bald einer verschleiernden Bürokratie ausgesetzt und muss einsehen, dass doch nicht alles wie erwartet mit rechten Dingen zugeht…

Zur Musik von Angelis lernt der Zuschauer den fest vom „American Way of Life“ überzeugten Ed Horman kennen, der dem Treiben seines Sohns und seiner Frau misstrauisch gegenübersteht. Er ist ein typischer naiver US-Amerikaner, der an sein Land und dessen Politik glaubt und allem argwöhnisch gegenübersteht, das diese kritisch hinterfragt. Dementsprechend angespannt ist die Beziehung zwischen ihm und seiner Schwiegertochter zunächst. Man kontaktiert das US-amerikanische Konsulat, während ständig Schüsse zu hören sind und sich die Leichen (nicht nur) in den Straßen mehren, bis es bald schon zynischerweise zum gewohnten Anblick wird. Am Esstisch werden die Ereignisse der Vergangenheit rekonstruiert und der Zuschauer erfährt nach und nach die genauen Abläufe. So wird deutlich, dass US-Funktionäre in den Militärputsch verwickelt sind, während man den Hormans einzureden versucht, linke Kräfte hätten sich als Militär ausgegeben und Charles entführt. Parallel zeigt „Vermisst“ die Verhaftung zweier weiterer US-Amerikaner und deren naiven Glauben an die vermeintliche Unverwundbarkeit als US-Bürger. Nachdem man Ed aufgrund vorsichtiger Andeutungen direkt zum Konsulat zitiert und er zusammen mit Beth erfolglos alle Krankenhäuser abgeklappert hat, kommen beide sich endlich näher und lernen gegenseitiges Verständnis füreinander. Zu Eds Überraschung kann Beth ihm Dinge über seinen Sohn erzählen, die er noch nicht wusste und die das Bild, das er von ihm hatte, auf den Kopf stellen. Dies ist in Costa-Gavras Film quasi gleichbedeutend mit dem Durcheinanderrütteln von Eds Weltbild, was analog dazu geschieht – beispielsweise als er einen kritischen Polizisten trifft, der die Militärjunta als Nazis bezeichnet. Und je mehr er über die wahren Vorgänge erfährt – Charles hatte in Viña den texanischen Marine-Oberen Babcock (Richard Bradford, „Dr. Giggles“) kennengelernt, der den Staatsstreich zum Auftrag hatte und zusammen mit den übrigen Abgesandten des US-Militärs Charles aufgrund seiner Herkunft automatisch für einen Verbündeten hielten –, desto kritischere Fragen stellt er und umso höher wird der behördliche Aufwand, den Schein zu wahren und die Hormans eiskalt anzulügen. Nachdem Ed und Beth in einer Leichenhalle die Überreste Frank Teruggis (Joe Regalbuto, „Exit - Ausgang ins Nichts“) entdecken, der ebenfalls vom Militär verschleppt wurde, schwindet die Hoffnung immer mehr. Costa-Gavras verstand es, diese wie auch andere wichtige Momente der Handlung als aufwühlende Schlüsselszenen zu inszenieren, die das Grauen in unappetitliche Häppchen aufteilen und dem Zuschauer kalt serviert werden. Am Ende stehen (Achtung, Spoiler!) traurige Gewissheit, de facto ein Geständnis der US-Macht und die abgewiesene Klage eines trauernden, um Gerechtigkeit bemühten Vaters, dem damit das letzte bisschen Vertrauen in den Rechtsstaat und die Ideale seiner Nation genommen werden.

Zwischen Costa-Gavras‘ nicht unähnlich gelagertem „Z – Anatomie eines politischen Mordes“ und „Vermisst“ liegen 13 Jahre. Während „Z“ mit dokumentarischer Genauigkeit sezierte, wie es zum griechischen Militärputsch kam und voll von kaum gebändigter, ehrlicher Aufgebrachtheit war, gelang ihm mit „Vermisst“ ein gefasster, ernüchterter Film, der dem Gezeigten macht-, aber nicht kraftlos gegenübersteht, der die Sachlichkeit sucht, um sie als Waffe einzusetzen, sich mit ihrer Hilfe zu wehren. Geschickt umgeht Costa-Gavras meist vorschnell formulierte Anti-Amerikanismus-Vorwürfe, indem er die wahre Geschichte aus Sicht von US-Amerikanern erzählt. Dass er die Ereignisse um den Staatsstreich abstrahiert und auf ein Einzelschicksal herunterbricht, wurde Costa-Gavras wiederum von einigen Kritikern angekreidet und als „Amerikanisierung“ seines Filmschaffens gewertet. Dabei erlaubt gerade diese Herangehensweise eine besonders intime Perspektive, die Costa-Gavras berührend zu inszenieren versteht, ohne sich großer Theatralik oder kitschigen Schmonzes bedienen zu müssen. Dass „Vermisst“ bei all seiner Gefasstheit prima funktioniert, ohne gefühlskalt zu wirken, ist besonders Jack Lemmon zuzuschreiben, der genau dieses Typus Mensch scheinbar mühelos in seiner Rolle als Ed verkörpert und mit Glaubwürdigkeit versieht – sowohl im Generationenkonflikt, der seinen Dialogen mit Beth innewohnt, als auch in seinem blauäugigen Konservatismus und schließlich seiner sich selbst gegenüber harten Art, mit allen Schrecken in der Höhle des Löwens umzugehen, ohne sich selbst durch emotionale Ausbrüche oder unüberlegte Affekthandlungen in Gefahr zu bringen. Kontrollverlust ist nie Eds Thema gewesen. So ergibt sich ein prima Wechselspiel mit Beth, gespielt von einer gereiften Sissy Spacek. Obwohl alle Charaktere recht eindeutig umrissen werden, widersteht Costa-Gavras jedweder Versuchung, aus ihnen wandelnde Klischees zu machen, woraus viel Respekt vor den Menschen und letztlich sein Humanismus spricht.

Anhand eines Einzelschicksals die Bedeutung einer Militärdiktatur durchzuexerzieren, deren Methoden keine Staatsangehörigkeiten kennen und sich nicht darum scheren, ob der kritische Journalist Einheimischer oder US-Amerikaner ist, öffnet „Vermisst“ einem breiten, die persönliche Ebene die der politischen vorziehenden Publikum und schafft damit Öffentlichkeit. Da Costa-Gavras die US-Opfer der Handlung mit keiner Silbe oder Szene erhöht, nie ihr Schicksal über das der vielen namenlos Bleibenden stellt, hat „Vermisst“ nichts mit US-Chauvinismus am Hut, sondern beweist durch dessen Entlarvung das exakte Gegenteil. Dazu braucht er gar nicht ins Detail zu gehen und dokumentarische Züge anzunehmen. Und auch, wenn man von den Umtrieben der US-Weltmacht im Allgemeinen und in Chile im Speziellen weiß, bleibt (zumindest bei Unkenntnis der Buchvorlage) „Vermisst“ ein spannender, anspruchsvoller ebenso wie ansprechender Film, weil Charles Schicksal lange Zeit allenfalls erahnt werden kann. In einer US-Produktion das Produktionsland anzuprangern, statt sich vornehmlich auf die von ihm unterstützten ausländischen Kräfte zu konzentrieren, ist eine gewagte, kühne Fokussierung, die zurecht mit einer Vielzahl von Auszeichnungen belohnt wurde.
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Der Bastard
(Quelle: Covertext X-Rated) Die ungleichen Brüder Jason (Giuliano Gemma) und Adam (Klaus Kinski) werden nur von ihrer trunksüchtigen Mutter Martha (Rita Hayworth) zusammen gehalten. Als sich nach einem erneuten Überfall Jason eigenmächtig Beute einsteckt, kommt es zum gnadenlosen Kampf zwischen allen Beteiligten.
The Hills Have Blei

„Der Bastard“ ist ein vom italienischen Regisseur Duccio Tessari („Der Mann ohne Gedächtnis“) im Jahre 1968 in deutsch-französisch-italienischer Koproduktion inszenierter Gangster-Streifen, der zur ersten Welle des italienischen Gangster-Film zu zählen ist, die noch deutlich vom Italo-Western inspiriert war und noch einige Jahre vor Begründung des Poliziesco-Genres um die Zuschauergunst buhlte. Tessari hatte sein Regiegeschick zuvor besonders mit seinen „Ringo“-Western, die bereits mit Giuliano Gemma in der Hauptrolle aufwarteten, unter Beweis gestellt.

Jason (Giuliano Gemma, „Eine Pistole für Ringo“) und Adam (Klaus Kinski, „Leichen pflastern seinen Weg“) sind ein ungleiches Brüderpaar. Nachdem Jason erfolgreich Juwelen im Wert von 200.000 Dollar erbeuten konnte, versucht Adam, ihm die Beute abspenstig zu machen. Doch der smarte Jason ist nicht so leicht hinters Licht zu führen, weshalb Adam ihn und seine Freundin Karen (Margaret Lee, „Das Rätsel des silbernen Dreieck“) eines Tages stellt. Doch auch unter Folter und nachdem Adam Jasons rechte (Schuss-)Hand zerstört hat, rückt Jason nicht mit der Sprache heraus. Erst als Adam droht, Karen zu vergewaltigen, gibt Jason das Versteck des Diebesguts preis. Karen jedoch spielt ein falsches Spiel und steckt mit Adam unter einer Decke. Jason sinnt auf Rache – zum Leidwesen der alkoholkranken Mutter (Rita Hayworth, „Die Lady von Shanghai“), die stolz auf ihre Söhne ist und sich nichts sehnlicher wünscht, als dass beide endlich miteinander auskämen…

„Man denkt an nichts Böses und schon ist der Herzanfall da!“

Die der christlichen Mythologie zugrunde liegende Geschichte der Brüder Kain und Abel als Basis für einen Gangsterfilm heranzuziehen und gleich aus beiden wenig skrupelbehaftete Verbrecher zu machen, bedarf schon einer gewissen Kaltschnäuzigkeit, die letztlich stellvertretend für den dem Italo-Western und Gangsterfilm häufig innewohnenden Verweis auf den allgegenwärtigen Zynismus menschlichen Verhaltens verstanden werden darf. Analog dazu weisen sowohl die biblische Mär als auch „Der Bastard“ Elemente einer klassischen Tragödie auf. Gedreht in Rom, Madrid, Arizona, Nevada und New Mexico beschränkt man mitnichten auf lokale Drehorte und beginnt unmittelbar mit einer Verfolgungsjagd in den Bergen New Mexicos, aus der Jason schließlich dank List und Geschick als einziger Überlebender hervorgeht – ein rasanter Einstieg, u.a. mit den für derartige Szenen beliebten Automobil-Außenkameras. Dass sich Jason anschließend erst einmal ein Glas Milch bestellt, darf als Reminiszenz an den ebenfalls von Gemma verkörperten Western-Pistolero und Milchtrinker Ringo verstanden werden. Eine stylische halbrunde, knallgelbe Sitzgarnitur in einer innenarchitektonisch interessanten Wohnung versprüht sodann geballtes End-‘60er-Zeitkolorit, das immer mal wieder durch den kantigen Stil durchblitzt und ihm Form verleiht.

Die Charakterisierung der einzelnen Rollen lässt aufmerken, denn eine Rita Hayworth als alternde Schnapsdrossel, die ihre Zöglinge zu handfesten Verbrechern erzogen hat, sieht man nicht alle Tage und füllt ihre Rolle mit einer Mischung aus Tragik und Komik aus, verdeutlicht aber auch, dass „Der Bastard“ ein waschechter Gangsterfilm ist, der sich ganz auf jene Parallelwelt konzentriert, in der völlig andere Vorstellungen von Recht, Gesetz und Moral herrschen und ein einmal gnadenvoller Jason plötzlich in Ermangelung von Alternativen gefühlt zum Sinnbild für charakterliche Integrität avanciert. Diese Rolle hätte theoretisch auch Claudine Auger („James Bond 007 – Feuerball“) als sich aufopferungsvoll Jasons annehmende und zudem attraktive Farmerin zuteilwerden können, doch so viel Zeit Tessari auch aufwendet, um sie Jason aufpäppeln zu lassen, so eingeschränkt ist ihre Funktion, die sich in erster Linie auf die des Katalysators beschränkt, der Jason trotz Anbändelei mit ihr begreifen lässt, dass er noch immer seine Ex-Freundin Karen liebt, obwohl diese ihm so übel mitgespielt hat. Dabei handelt es sich um den nächsten tragischen Aspekt der Handlung, die aus dem athletischen Gangster Jason, der ein guter Schütze ist und sich zu prügeln versteht, einen bemitleidenswerten, von einer Frau hintergangenen und zum Opfer von Vertrauensmissbrauch gewordenen Menschen macht – und aus Karen eine Femme fatale, wie sie im Buche steht. Adam hingegen ist ein echter Strauchdieb, ein bösartiger und sadistischer grober Klotz, der seinen Bruder auszubooten versucht, wo es nur geht und ihm nicht die Butter aufs Brot gönnt – sich tief in seinem Inneren aber als minderwertig gegenüber Jason empfindet, was zu Neid mit all seinen negativen Begleiterscheinungen führt. Für Klaus Kinski dürfte diese Rolle einmal mehr eine Fingerübung gewesen, seine Präsenz in der verglichen mit Gemma weit geringeren Screen Time ist gewohnt groß.

Im Laufe der Zeit erfährt der Zuschauer, dass es sich bei beiden um Halbbrüder handelt, was ihre grundlegende Andersartigkeit zu erklären hilft.

Jasons von Adam irreparabel zerstörte rechte Hand erinnert nicht von ungefähr an „Django“, wie auch der weitere Verlauf der Rachegeschichte aus manch Western bekannt vorzukommen scheint. Jason will seine Karen zurück und seinen Bruder umbringen. Im Zuge dieses Unterfangens dient die wunderbare Bergkulisse erneut als Schauplatz einer Schießerei und lässt das Drehbuch Jason noch einmal seine List unter Beweis stellen, wenn er einen Coup anstelle seines Bruders durchführt und ihn so durchkreuzt. Konsequenterweise läuft all das auf ein finales Duell hinaus, in dem manch eine(r) noch immer falsch spielt und sich zudem die Naturgewalt einmischt, um die sich (zumindest in der Komplettfassung des Endes, deutsche Veröffentlichungen weisen dieses leider nicht auf) mehrfach potenzierende Tragödie perfekt zu machen. Das mit seinen Standbildern stilistisch verfremdete Ende setzt einen außergewöhnlichen Schlusspunkt unter einen Film, der seine mitunter spröde Ästhetik und eigenwillige Dramaturgie immer wieder durch die geschmackvolle Präsentation ungewöhnlicher Ambiente aufpeppt und visuelle Akzente setzt – sei es durch die starke filmische Umsetzung des von Gift benebelt davontaumelnden Jasons oder seien es die hochästhetischen Aufnahmen im blühenden Mohnfeld. Für akustischen Genuss sorgt die von Nicole Croisille interpretierte Titelmelodie „Love and Money“. Von filmhistorischen Interesse dürfte außerdem sein, dass sich ein Film dieses Kalibers im Gegensatz zu den späteren Polizieschi mit meist deutlichen Heimatbezug in der Tradition des Euro-Westerns stehend sehr US-amerikanisch gibt, statt die eigene Kriminalitätsproblematik thematisch heranzuziehen. Ein Film, der besser ist als sein Ruf. Schade, dass es keine tatsächlich ungekürzte deutsche Fassung gibt.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Beitrag von buxtebrawler »

Als nächstes sah ich noch einmal "The Church":
buxtebrawler hat geschrieben:Bild
The Church
Mittelalter: Eine Horde Kreuzritter fällt über ein Dorf her, das angeblich Schauplatz von Ketzerei sein soll. Sämtliche Dorfbewohner werden brutal getötet und in einem Massengrab vergraben. Neuzeit: Während der Arbeit in einer Kirche, die auf dem Massengrab erbaut wurde, entdeckt die Restauratorin Lisa eine geheimnisvolle Schriftrolle. Sie vertraut sie dem Bibliothekar Evan an, der daraufhin beginnt, das Geheimnis des alten Gemäuers zu erforschen. Doch dabei geht er einen Schritt zu weit: Er öffnet ein uraltes Siegel und entlässt so das Böse aus dem Grab...
Der 1989 veröffentlichte „The Church“ ist eine Zusammenarbeit des italienischen Regisseurs Michele Soavi, dem zuvor mit „Aquarius“ ein schöner Slasher gelang und Giallo-Meister sowie Schöpfer der Mutter-Trilogie Dario Argento, der das Drehbuch schrieb und den Film produzierte. Das klingt überaus vielversprechend, hielt meinen Erwartungen aber kaum stand. Doch der Reihe nach:

Der im Mittelalter angesiedelte Prolog zeigt Kreuzritter, die ein Dorf niedermetzeln. Die Bewohner wandern in ein Massengrab, auf dem eine Kirche erbaut wird, um die dunklen Kräfte zu bannen. In der Gegenwart wird ein altes Pergament Gegenstand des Interesses des Bibliothekars Evan, der durch seine Neugier das Böse heraufbeschwört...

Damit sei die Geschichte grob umrissen, die eine Kirche als Hort des Bösen und damit eine nicht uninteressante Ausgangssituation bietet. Diese erscheint mit zunehmender Spieldauer aber recht wirr und lässt kaum einen roten Faden erkennen. Trotz Soavis Versuchen, mit einer stellenweise beachtlichen Kameraarbeit in wunderbaren Kulissen dagegen anzuwirken, bleibt die Atmosphäre des Films erschreckend dröge und arm an Intensität, fast wie eine typische Direct-to-Video-Produktion. Eine als solche erkennbare, den Raum ausfüllende Hauptrolle gibt es nicht und leider gelingt es auch nicht – wie beispielsweise noch bei Argentos „Inferno“ –, diesen Umstand durch Lenkung der Aufmerksamkeit auf etwas anderes annehmbar auszugleichen. „The Church“ dümpelt über weite Strecken vor sich hin und lässt keine richtige Dramaturgie erkennen. Dazu bei trägt auch, dass man unverständlicherweise dem Soundtrack erfahrener und bewiesenermaßen zu Großtaten fähiger Komponisten wie Keith Emerson („Inferno“) und Goblin („Dawn of the Dead“) viel zu wenig Platz einräumte, ihn kaum zur Geltung kommen lässt, häufig gar in vollkommener Stille verharrt.

Zwar legte man durchaus Wert auf grafische Explizität, doch längst nicht jeder Spezialeffekt, vor allem nicht jede Maske – man denke an die alles andere als furchterregende Teufelsgestalt – ist gelungen. Einige harte Szenen jedoch fielen der Zensur meiner geliehenen VHS-Kassette zum Opfer, so dass zumindest für ein kurzes Splattervergnügen gesorgt worden sein dürfte. Obschon das generell ruhige Erzähltempo des Films genügend Zeit bietet, einzelnen Charakteren wie Evan (Tomas Arana, „Jagd auf roter Oktober“) oder der jugendlichen Asia Argento als niedliche und eigensinnige Lotte („Aura – Trauma“) eine undurchsichtige Aura zu verleihen und schleichende Prozesse der Besessenheit darzustellen, wird das Interesse, das für sie geweckt wird, durch das sprunghafte Drehbuch kaum befriedigt. Immer wieder scheint das Potential des Films und seiner Macher durch, doch das Ergebnis enttäuscht letztlich.

Wie ich kürzlich auf http://www.filmtipps.at lesen konnte, wurde „The Church“ anscheinend ursprünglich als dritter Teil der spaßig-trashigen „Demons“-Reihe konzipiert, erfuhr aber aufgrund des geringen kommerziellen Erfolgs des zweiten Teils eine Neuausrichtung. Das könnte als Erklärung herhalten, denn ich kann mir ausmalen, was die Folge war: Ein unter Zeitdruck x-mal umgeschriebenes Drehbuch, ein Sammelsurium unausgereifter Ideen und der verzweifelte Versuch, aus einer rasanten Dämonensause einen mystischen Suspense-Okkult-Horrorfilm zu machen. Die italienische End-80er-Seuche hat auch vor Soavi/Argento nicht Halt gemacht – schade.
Von der nun gesichteten ungekürzten Laser-Paradise-DVD scheinen ein paar blutige Spezialeffektive etwas länger zu sehen zu sein, aber an meinem Gesamteindruck hat sich nichts wirklich geändert. :|
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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The Sect
1991. Seitdem die junge Lehrerin Miriam nach einem Autounfall einen geheimnisvollen alten Mann in ihr Haus aufgenommen hat, der kurz darauf stirbt, geschieht nur noch Schreckliches und Unfaßbares in ihrer Umgebung. Männer, die bisher ein normales Leben führten, werden plötzlich zu Mördern, zu wilden Bestien. Ein mysteriöses, weißes Tuch läßt jeden, der es berührt, verrückt werden. Unbekannte Insekten tauchen auf und dringen in menschliche Gehirne ein. Ein Netz aus Horror, Blut und Todesangst zieht sich immer dichter um Miriam. Welches Geheimnis birgt der tiefe Brunnenschacht in ihrem Keller ? (Covertext)
Von Sekten und Insekten

Der Italiener Michele Soavi, ehemaliger Assistent des stiefelländischen Ausnahme-Regisseurs Dario Argento („Opera“), begann seine eigene Regie-Karriere 1987 mit dem gelungenen Slasher „Aquarius“ alias „Stage Fright“, schwächelte 1989 beim von Argento mitproduzierten und -geschriebenen Horrorfilm „The Church“, arbeitete aber 1991 – längst zu einer Zeit also, zu der das italienische Genre-Kino danieder lag – erneut mit Argento als Mitproduzent und -autor zusammen. Das Ergebnis ist ein weiterer Horrorfilm und trägt den Titel „The Sect“.

Die alleinstehende junge Lehrerin Miriam (Kelly Curtis) fährt versehentlich einen älteren Herrn (Herbert Lom, „Hexen bis aufs Blut gequält“) an und nimmt ihn mit nach Hause, wo er nach kurzer Zeit überraschend stirbt. Daraufhin wird ihr normales Leben vollends auf den Kopf gestellt und sie scheint sich in einem realen Alptraum zu befinden: Die Realität ist nicht mehr das, was sie einmal zu sein schien, denn Miriam befindet sich ohne es zu ahnen in den Fängen einer satanischen Sekte…

„Unsere Rache gegen Gott!“

Südkalifornien, 1979: Jesus latscht durchs statt übers Wasser und gibt sich als Rolling-Stones-Fan zu erkennen. Ist es wirklich Jesus? Nein, es ist Charles Manson, der ein paar verlauste Hippies aufmischt! Nach diesem Prolog spielt „The Sect“ in der Gegenwart im bei Argento so beliebten Deutschland, genauer: zunächst in Frankfurt am Main, anschließend in Seligenstadt in der Nähe der Metropole, wo Miriam zusammen mit ihrem Hasen in einem etwas abseits gelegenen Haus wohnt und schnell unbemerkt Opfer des geheimnisvollen alten Mannes wird, der dafür Sorge trägt, dass sie surreale Alpträume erleidet – womit die gravierenden Veränderungen ihres Alltags ihren Lauf nehmen. Wer nun beim Einlegen des Films dachte, „The Sect“ würde sich in die im Laufe der 1980er immer billiger produzierten Italo-Genre-Ausläufer in mieser Optik und Technik einreihen, wird schon früh Lügen gestraft: Soavis Film sieht exzellent aus, verfügt über eine kongeniale, perspektivisch bisweilen argentoeske Kameraarbeit und traut sich einen meist gelungenen eigenwilligen Stil zu. Ohne ins Detail gehen und dadurch zu viel verraten zu wollen, sei gesagt, dass sich dieser durch eine Verquickung von Traum- und Realitätsebene auszeichnet, deren Unterscheidung dem Zuschauer nicht immer leichtgemacht wird. Ferner verfügt „The Sect“ über ein relativ hohes Überraschungspotential, das zur Spannung positiv beiträgt, ohne die Handlung beliebig erscheinen zu lassen. Nichtsdestotrotz erscheint der Mittelteil etwas sehr langatmig, doch im Anschluss lässt man sich nicht lumpen und liefert fiese Sekten-Action der im wahrsten Sinne des Wortes im Untergrund agierenden Religionsgemeinschaft sowie einige gut gemachte Spezialeffekte von Sergio Stivaletti, allen voran eine krude Gesichtstransplantation.

Soavi und seine Autoren zeigen sich inspiriert, beispielsweise vom Polanski-Okkult-Klassiker „Rosemaries Baby“, entlehnen die Türeinschlagszene aus Kubricks „Shining“ und schaffen mit vielen originellen eigenen Zutaten eine interessante Mischung aus atmosphärischem Okkult-Grusel, surreal-entrücktem Argento-Stil und beinhartem grafischen Horror, wobei letzterer gewiss nicht den Schwerpunkt bildet. Kelly Curtis besitzt eine sympathische Aura, beherrscht ihre Rolle als ihrer jungfräulichen Unverdorbenheit geschuldet etwas blauäugigen Miriam und tritt in die Scream-Queen-Fußstapfen ihrer filmerfahreneren Schwester Jamie Lee Curtis („Halloween – Die Nacht des Grauens“). Herbert Lom ist natürlich eine schauspielerische Bank und veredelt den Film mit seiner Anwesenheit. Zugegeben, das Ende von „The Sect“ hat mich nicht überzeugt, da hätte ich mir doch etwas mehr gewünscht. Doch wie so oft ist auch hier der Weg das Ziel, sind es die fantastischen, märchenhaften Bilderwelten, in die es einzutauchen gilt – die Handlung spielt eine eher untergeordnete Rolle und sollte vielleicht auch besser nicht bis ins Detail hinterfragt werden. Gerade für das Entstehungsjahr ist „The Sect“ indes großes Kino und auch von dieser Betrachtungsweise losgelöst macht er eine verdammt gute Figur. Das bundesdeutsche Lokalkolorit trägt sein Übriges dazu bei. Die verstümmelten deutschen Fassungen von „New Vision“ (VHS) und „Laser Paradise“ (DVD) sollte man jedoch meiden wie der Teufel das Weihwasser.
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Das Schiff der gefangenen Frauen
Yvette gelingt durch die Hilfe eines Kunden die Flucht aus einem Luxusbordell. Eigentlich wollte sie Revuetänzerin werden, doch sie fällt in die Hände von gnadenlosen Mädchenhändlern. Diese entführe jungen Frauen und bringen sie heimlich auf ein heruntergekommenes Schiff, das als Bordell genutzt wird und die Mädchen zum Weiterverkauf in den fernen Osten bringen soll. Der Interpol-Agent Jack ist den Mädchenhändlern dicht auf den Fersen und will den Drogen- und Prostitutionsring sprengen, bevor das Schiff aus Marseille ablegen kann. Doch die Kriminellen kommen hinter die Pläne der Polizei. Sie versuchen, die Agenten auszuschalten. Interpol schaltet die Agentin Minouche ein, die den Mädchenhandel undercover infiltrieren soll - eine extrem gefährliche Mission. [Quelle: DVD-Forum.at]
„Ich weiß, die Geschichte klingt wie ein billiger Drei-Groschen-Roman, aber sie ist wahr!“

Im Jahre 1967 erschien die italienisch-spanische Eurospy-Komödien-Koproduktion „Agente Sigma 3 - Missione Goldwather“, für die Gian Paolo Callegari die Regie führte. 1974 kam man dann bei der französischen „Eurociné“-Produktion auf die abwegige Idee, den spanischen Vielfilmer Jess Franco („Frauengefängnis“) das Drehbuch für eine Zweitverwertung des Films, umgeschnitten und angereichert mit reichlich neugedrehten Sleaze- und Schmuddel-Elementen, verfassen zu lassen, woraus das dreiste Bahnhofskino-Flickwerk „Das Schiff der gefangenen Frauen“ resultierte. Regie hierbei führte der Franzose Pierre Chevalier („Mit Rohrstock und Peitsche“)...

Die Prostituierte Yvette (Magda Mundari) eröffnet einem ihrer Freier (Raymond Schettino, „Das Mädchen von St. Tropez“), dass sie gegen ihren Willen im Luxusbordell festgehalten wird und das Opfer von skrupellosen Mädchenhändlern wurde. Ihr gelingt die Flucht und der Interpol-Agent Marc Roberts (Jack Taylor, „Pieces“) wird damit beauftragt, die Hintermänner des international agierenden Drogen- und Prostitutionsring ausfindig zu machen und ihnen das Handwerk zu legen. Die Kriminellen entführen junge Frauen, verschleppen sie auf ein altes Schiff und verkaufen sie an verschiedene Puffs. Ferner wird eine hübsche junge Agentin als verdeckte Ermittlerin eingeschaltet. Der Kampf um die Freiheit der Mädchen wird zum Kampf um Leben und Tod.

Aus Eurospy mach Sexploitation – dass dabei jegliches Niveau, Anspruch und Logik auf der Strecke bleiben, dürfte die wenigsten überraschen, „Das Schiff der gefangenen Frauen“ ist unfreiwilliger Vollblut-Trash in Formvollendung. Dass es sich strenggenommen um eine Mogelpackung handelt, überrascht da vielleicht schon ein bisschen mehr, denn selbst nach Francos Drehbuch ist der Film keinesfalls ein Women-in-Prison-Heuler geworden und auch das titelgebende Schiff spielt eigentlich nur in einer Szene eine Rolle. Dafür laden direkt die allerersten Szenen zum kräftigen Kopfschütteln oder auch Auslachen ein, wenn die Entscheidung, aus dem Bordell zu flüchten, in Sekundenschnelle getroffen und förmlich mit dem Auto durch marokkanische Laubwälder (…) geschlichen wird, um nach einiger Zeit erst einmal ein Schäferstündchen einzulegen. In den unteren Schubladen des schlechten Geschmacks fischt man im Anschluss, wenn gleich mehrere Vergewaltigungsszenen quasi aufeinander folgen, die zwar grundsätzlich wenig ernstzunehmen sind, jedoch dennoch ein mulmiges Gefühl angesichts des Umstands, dass diese offenbar zu voyeuristischen Unterhaltungszwecken integriert wurden, hinterlassen. Und sie sollen nicht die einzigen bleiben, treten ungefähr gleichberechtigt mit den Agentenfilm-typischen zahlreichen Prügeleien auf. Die Handlung, will man sie denn als eine solche bezeichnen, erscheint – wen wundert's – unzusammenhängend, beliebig und erwartet anscheinend gar nicht erst vom Zuschauer, dass dieser mitkommen kann oder will. „Das Schiff der gefangenen Frauen“ ist bisweilen erbarmungswürdig geschauspielert, die Dialoge sind nicht nur grenz-, sondern volldebil und der Schnitt ist lachhaft. Aber: Irgendwie ist es tatsächlich gelungen, bei aller Sprunghaftigkeit die beiden immerhin sieben Jahre auseinanderliegenden Filme halbwegs gekonnt zusammenzufügen, dass man als unbedarfter Zuschauer nicht immer gleich mit der Nase darauf gestoßen wird, welche Szene nun aus welchem Jahrzehnt stammt (alle Szenen mit Jack Taylor als Marc Roberts stammen aus dem „Sigma 3“-Film, wo Taylors Rolle eben die des Agenten „Sigma 3“ war). Das soll jedoch nicht heißen, dass man hier nicht mit Perücken, die Gesichter handelnder Personen nicht zeigenden nachgedrehten Szenen und wenig Ähnlichkeiten aufweisenden Doubles arbeiten würde, doch das fällt in der Idiotie des Gesamtwerks gar nicht immer auf und so könnte beispielsweise ein unbekanntes Gesicht kein schlechtes Double, sondern schlicht eine weitere uninteressante Rolle sein, die zu Streck- oder Alibi-Zwecken zwischen Agenten-Trash, nackter Haut ansehnlicher Damen bzw. unappetitlicher Herren und Drehort-Hopping ihren Auftritt bekommt. Wen schert's angesichts geballten Blödsinns?

Da fallen ein Agent in Eierkneifer-Badehose mit hochgeschlossenem Taucheranzugsoberteil oder mit martialischer Faust- und Handkanten-Pose schon eher erinnerungswürdig ins Gewicht, ebenso der Frauentransport in Körben, der allgemeine Machismo absolut jeder männlichen Rolle und das so dermaßen übertrieben präsentierte misogyne Frauenbild, das trotz oberflächlicher Verurteilung der Zwangsprostitution so selbstentlarvend ausfällt, dass man nur darüber lachen kann. Sollte der originale „Sigma 3“ als eine Art Parodie auf die ganzen Bond-und-Konsorten-Testosteron-Fantastereien zu verstehen gewesen sein, hat man von der Ironie nichts merklich herübergerettet. Vergiftete Fingernägel kennt man, großangelegte Showdowns aus dem Agenten-Genre eigentlich auch, auf letzteren muss man jedoch verzichten. Kurz wird’s hektisch und unvermittelt wird der Zuschauer mit einem Happy End konfrontiert, der nun endlich darüber sinnieren kann, wie viele Gehirnzellen ihn die Neugierde, die ihn in diesen Unfug getrieben hat, nun wieder gekostet hat... Unglaublich – aber wahr! (um eine Brücke zum Eingangszitat zu schlagen)
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Vigilante
Als selbständiger Elektriker hat sich Eddie im New Yorker Stadteil Queens eine bescheidene Existenz aufgebaut. Er glaubt fest daran, daß Recht und Gesetz in seiner Stadt die Bürger vor Terror und Gewalt schützen. Er glaubt es auch noch an dem Tag, an dem sein kleiner Junge erschossen und seine Frau zum Krüppel geschlagen wird.
Als aber der gleichgültige und überlastete Richter mit dem Verteidiger des Bandenchefs einen billigen Geständnishandel abschließt und den Schuldigen laufen läßt, zerbricht sein Traum von "Gerechtigkeit".
Zusammen mit den "Street Fighters", einer Bürgerwehr im Untergrund, jagt er die Mörder und zieht sie zur Rechenschaft.
„Ein Verbrecher ist normalerweise schneller aus dem Knast wieder raus als sein Opfer aus dem Krankenhaus!“

Seine Regiekarriere begann der US-Amerikaner William Lustig als „Billy Bagg“ im Pornobereich, bevor er 1980 mit „Maniac“ Horrorfilmgeschichte schrieb. 1982 folgte sein zweiter „richtiger“ Spielfilm: „Vigilante“ alias „Streetfighters“, ein offensichtlich von der „Death Wish“-Reihe inspirierter Selbstjustiz-Streifen.

Der New Yorker Stadtteil Queens steht im Zeichen der Gewalt marodierender Banden, die schwerbewaffnet auch nicht davor zurückschrecken, Frauen zu misshandeln und aus reiner Mordlust Kinder zu erschießen – wie der Elektriker Eddie (Robert Forster, „Der Horror-Alligator“) schmerzhaft erfahren muss. Als der Mörder seines Sohns sich vor Gericht verantworten muss, gerät die Verhandlung zur Farce und der Täter kommt mit einer Bewährungsstrafe davon. Wutentbrannt geht Eddie auf den Richter los, woraufhin er zu 30 Tagen Gefängnis verdonnert wird. Tief enttäuscht und den Glauben an Recht und Gesetz verloren habend, schließt er sich nach anfänglichem Zögern der das Gesetz selbst in die Hand nehmenden Truppe um Nick (Fred Williamson, „Die Todesreise“) an und bringt die Verbrecherbande zur Strecke...

„Wer hilft mir, wenn die Punks eines Tages bei mir auf der Matte stehen?!“

In William Lustigs Dystopie der 1980er ist die Justiz vollkommen unfähig und unwillig, das Verbrechen in den Griff zu bekommen und steht den Taten brutaler Straßengangs weitestgehend gleichgültig gegenüber. Zudem ist der ganze Apparat durchsetzt von Korruption. „Vigilante“ zeichnet ein unheimlich klischeehaftes Bild von Straßengangs, die mit lächerlich gezeichneten Rückenaufnähern nicht einmal davor zurückschrecken, eine Frau mit Kind zu überfallen, das Kind zu erschießen und die Frau fast totzuprügeln. Bereits hier stellt sich unweigerlich die Frage, ob Lustig auf diese Weise Selbstjustiz-Filme à la „Dirty Harry“, „Ein Mann sieht rot“ und all ihrer Epigone mittels bewusster gnadenloser Überzeichnung persiflieren will, ob er die Thematik exploitativ ausschlachten und an den Stammtischen dieser Welt neues Publikum erschließen will oder ob all das Mittel zum Zweck sein soll, um zumindest die Ambivalenz des Themas Selbstjustiz (ähnlich wie noch „Ein Mann sieht rot“) nach scheinbarer Glorifizierung zu behandeln. Nur eines ist sicher: Diese derart plumpe und unglaubwürdige Prämisse seines eigenen Films glauben kann er selbst nicht, denn so blöd ist Lustig ganz gewiss nicht.

So vermischen sich also Bilder im herrlichsten bunten '80er-Ghetto-Erscheinungsbild mit um fatalistische Düsterheit bemühten Inhalten, die häufig an tendenziöse „Bild“-Schlagzeilen erinnern. Da wird nachvollziehbare Kritik an faulen Bullen geübt, Panikmache in Form von Berichten über zehnjährige Kinder, die sich einen Druck setzen oder sich prostituieren betrieben und eben als Lösungsmöglichkeit Selbstjustiz propagiert – der Eddie zunächst kritisch gegenübersteht und die richtigen Fragen stellt. Seinen Knastaufenthalt resultierend aus seinem Wutausbruch vor Gericht, nachdem der Verteidiger (Joe Spinell, „Maniac“) des Killers jene lächerliche Bewährungsstrafe ausgehandelt hatte, nutzt „Vigilante“ für mehrere Aspekte: Zum einen zeigt er uns Woody Strode („Spiel mir das Lied vom Tod“) als Knast-Insassen-Autorität Rake, der – und damit kommen wir zum zweiten – dem guten Eddie unter der Dusche beisteht, als diesem übel mitgespielt werden soll. Die Hilflosigkeit des im Knast um alles beraubten, in der Gemeinschaftsdusche nicht nur im übertragenden Sinne, sondern faktisch nackten Individuums, der abgeschottet von der Außenwelt den unbarmherzigen Gesetzen des Gefängnisalltags ausgeliefert ist. Der dritte Aspekt ist der der jegliche Resozialisierung gefährdenden Verhärtung und Abstumpfung Gefangener, die statt geläutert ohne Hoffnung, dafür voller Wut die Mauern mit den Gitterfenstern verlassen. Seine zu Unrecht aufgebrummte Haftstrafe ist es letztlich, die Eddie nicht nur den Glauben an die Gerechtigkeit verlieren, sondern sich auch in eine Verteidigungshaltung gedrängt sehen lässt – und die beste Verteidigung ist bekanntlich der Angriff.

Die Rolle der Straßengangs relativiert „Vigilante“, indem ihre Spur zu „Saubermann“ Stroke führt, einem vermögenden Anzugträger, der sich selbst nicht die Finger schmutzig macht. Das geht allerdings ein wenig unter, insbesondere dann, wenn er (Achtung, Spoiler!) schon nach einer guten Stunde kurzerhand aus der Handlung geschossen wird. Im Folgenden stellt sich heraus, dass die Selbstjustiz keineswegs ein Allheilmittel ist, sondern strenggenommen lediglich Symptom des allgemeinen Werteverfalls, der Verbitterung und des Hasses – ohne jedoch, dass ihr ein alternativer Weg gegenübergestellt werden würde. Lustig kümmert sich derweil lieber um deftig inszenierte, blutige Schießereien, zum Film passend gern mal ebenfalls heillos übertrieben (die Gang erschießt nicht einfach zwei Polizisten, nein, sie durchsiebt sie), und bemüht sich, so oft wie möglich das Wort „Punk“ als Beschimpfung unterzubringen. Auf eine über deutlich sichtbare Oberflächlichkeiten hinausgehende Charakterisierung der Antagonisten muss man übrigens vollends verzichten, was sie zu austauschbaren, entmenschlichten Karikaturen macht.

„Vigilante“ sieht nicht nur geil aus, sondern klingt mit seinem lässigen '80er-Synthie-/Elektro-/E-Gitarren-Soundtrack auch klasse, ist inhaltlich jedoch ein äußerst zweischneidiges Schwert, von dem ich noch nicht so recht weiß, was ich von ihm halten soll. Einen Hinweis auf Interpretationsmöglichkeiten liefert indes der Abspann: Die Erwähnung des J&B-Whisky-Verschnitts könnte vermuten lassen, dass „Vigilante“ als Hommage an und/oder Parodie italienischer Selbstjustiz-Streifen gemeint sein könnte (wenngleich in diesen i.d.R. die Polizisten ihre Kompetenzen überschreiten und nicht die „einfachen Bürger“) oder schlicht Rückschlüsse auf die Entstehung des Drehbuchs gestatten…
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Mesrine

„Ich habe schon viele Mörder gesehen, aber keiner war wie du, Mesrine!“

Der am 28. Dezember 1936 geborene und am 02.11.1979 gestorbene Franzose und Algerien-Kriegsveteran Jacques René Mesrine legte eine unvergleichliche kriminelle Karriere angefangen mit unerlaubtem Waffenbesitz über Raubüberfälle bis hin zu Mord und Totschlag und spektakulären Gefängnisausbrüchen hin, die aus ihm schließlich den französischen Staatsfeind Nr. 1 machten. Auf der Flucht halfen ihm seine Intelligenz und sein Verkleidungsgeschick, sich des Zugriffs der Staatsmacht zu entziehen. Von Teilen der Medien und der Öffentlichkeit wurde er als eine Art moderner Robin Hood betrachtet und Mesrine selbst versuchte, seinen Taten eine politische Dimension zuzusprechen. Der im Jahre 1984 vom französischen Regisseur André Génovès (offenbar seine einzige Regie-Arbeit neben der Erotik-Komödie „Ein Slip auf Trip“) inszenierte Film „Mesrine“ zeichnet das Leben Jacques Mesrines beginnend mit einem seiner Gefängnisausbrüche und mit seinem Tod endend biographisch nach.

„Der Staat ist die Bevölkerung und die bedroh‘ ich nicht!“

(Achtung! Enthält ab hier massive Spoiler, die jedoch bei Kenntnis der Vita Mesrines bekannt sein sollten.)

Génovès‘ filmische Aufarbeitung des Wirkens Mesrines beginnt mit dem spektakulären Ausbruch 1972 aus dem kanadischen Gefängnis mit deftigen Schießereien und etlichen Toten. Nachdem er erneut aufgegriffen wurde, zückt Mesrine sogar im Gerichtssaal eine Waffe und bedroht den Richter. Die Ereignisse bis hierhin erweisen sich als Rückblende; der erneut aufsehenerregende Ausbruch aus einem Pariser Gefängnis, der strikt durchorganisiert war, läutet die filmische Gegenwart des Jahres 1978 ein. Zuvor war Mesrine zu 20 Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Mesrine überfällt mit einem Komplizen ein Casino, beide werden von der Polizei gestellt, Mesrine wird angeschossen und befindet sich weiter auf der Flucht. Er nennt sich Bruno und bändelt mit einer Frau an, kooperiert mit einer linken Terrororganisation. Er vertraut sich seiner Freundin an und kritisiert harsch die Zustände hinter Gittern, fordert die Abschaffung der Hochsicherheitstrakte und plant die Stürmung eines Gefängnisses. Doch längst wird er beschattet und als er entgegen des ursprünglichen Plans einen Richter überfallen will, der jedoch nicht zuhause ist, greift die Polizei ein. Sein Komplize wird verhaftet und packt aus, Mesrine und seine Freundin tauchen unter. Er entführt den Millionär Henri Lelièvre und erpresst sechs Millionen Francs, gibt einer Journalistin Interviews und sorgt damit für einen Medienskandal. Einen Journalisten, der wenig wohlwollend über ihn berichtete, misshandelt er und lässt ihn angeschossen in einer Höhle zurück. Als er sich vergegenwärtigt, dass sich die Schlinge um ihn immer enger zuzieht, legt er Rechenschaft auf einem Tonband ab. Es dauert nicht lange und die Polizei stoppt Mesrine in seinem Wagen in Wohnungsnähe mit einem LKW, aus dem die Polizei ihn mit nicht weniger als 21 Schüssen öffentlich hinrichtet.

„Ich sterbe lieber durch eine Kugel, als in einer Zelle zu verfaulen!“

Wie eng sich Génovès' Film an die tatsächlichen Vorgänge hält, ist mir nicht bekannt. Die Stationen auf Mesrines Laufbahn scheinen zu stimmen, bzgl. seiner Charakterisierung fehlen mir Vergleichsmöglichkeiten. Beeindruckend ist die souveräne und abgeklärte Art, mit der Nicolas Silberg Jacques Mesrine spielt, die sich bestens in den trotz aller Action unaufgeregten Inszenierungsstil Génovès‘ einfügt. Mesrines Beteuerungen, sich niemals gegen die normale Bevölkerung zu richten und auch aus politischen Bestrebungen zu handeln, scheint Génovès ernstzunehmen; er nähert sich der Person Mesrine mit nicht zu leugnender Faszination, ohne dessen Skrupellosigkeit zu verschleiern. Gleichberechtigt zeigt er die Kapitulation der Staatsmacht vor ihren eigenen Gesetzen und allzu gern formulierten Ansprüchen, indem sie Mesrine letztlich ohne Verhandlung kurzerhand wie in rasender Wut in aller Öffentlichkeit exekutiert, was trotz des Ausschaltens Mesrines für ein Versagen auf ganzer Linie steht und sich durch die Geschichte des Umgangs mit politisch motivierten Gewaltverbrechern zieht – zum Beispiel hinsichtlich der deutschen RAF. Den Zynismus dieser Aktion unterstreichen die Spekulationen auf den Showdown Lauernder, welche persönlichen Vorteile sich für sie durch Mesrines Tod ergeben werden.

„Mesrine“ ist eine technisch einwandfrei umgesetzte und tadellos geschauspielerte, actionreiche Biographie einer ebenso ambivalenten wie faszinierenden Persönlichkeit, deren Erinnerung diese gleichzeitig anklagende Verfilmung auf hochspannende Weise aufrechterhält. Ein Jammer, wie unbekannt Génovès‘ Werk hierzulande ist – gleich, wie man jemandem wie Mesrine gegenüberseht, wer etwas auf anspruchsvolle Action-Thriller fernab von „patriotischem“ Sondermüll und unglaubwürdiger Actiongülle gibt oder sich schlicht mit dem Leben Mesrines vertraut machen möchte, sollte versuchen, an diesen Film heranzukommen.
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Leben und Sterben in L.A.
Obwohl Eric Masters - ein eiskalter Geldfälscher der über Leichen geht - der Polizei bekannt ist, konnte ihm bisher keine Straftat nachgewiesen werden. Detective Richard Chance versucht mit aller Kraft dem Verbrecher das Handwerk zu legen, als sein langjähriger Kollege bei seinen Ermittlungen gegen Masters getötet wird. Zusammen mit seinem neuen Partner Vukovich startet er einen unerbittlichen und sehr emotionalen Feldzug gegen den Gangster, wobei Chance auch mit seiner Dienststelle in Konflikt gerät.
US-Regisseur William Friedkin bewies allem Anschein nach bereits 1971, also noch vor seinem Okkult-Horror-Klassiker „Der Exorzist“, dass er etwas von Action-Thrillern versteht. „The French Connection“ alias „Brennpunkt Brooklyn“ lautete der Titel des Films und weithin anerkannten Klassikers, und ich muss zu meiner Schande eingestehen, dass ich ihn immer noch nicht gesehen habe. Stattdessen nahm ich mir Friedkins dem gleichen Genre zugehörigen „Leben und Sterben in L.A.“ aus dem Jahre 1985 vor, der gewisse Parallelen aufweisen soll und auf dem gleichnamigen Roman aus der Feder Gerald Petievichs basiert:

Eric Masters (Willem Dafoe, „American Psycho“), ein ebenso begabter wie skrupelloser Geldfälscher, ist der Polizei gut bekannt, doch nie reicht die Beweislage, um seiner juristisch Herr zu werden. Als er den Secret-Service-Agenten Jim Hart (Michael Greene, „Eine verrückte Reise durch die Nacht“) vier Tage vor dessen Pensionierung erschießt, reicht es dessen heißspornigem Junior-Partner Richard Chance (William L. Petersen, „Blutmond“). Zusammen mit seinem neuen Partner John Vukovich (John Pankow, „Der Affe im Menschen“) ist er wie besessen davon, Masters zur Strecke zu bringen und nimmt dafür auch eigene Gesetzesübertretungen billigend in Kauf…

Nach einigem „Vorgeplänkel“, das bei Friedkin so aussieht, dass man es direkt mit einem Selbstmordattentäter zu tun bekommt, zeigt „Leben und Sterben in L.A.“ die Herstellung von Falschgeld, führt behutsam seine Charaktere ein, reißt einen davon früh und unvermittelt auf drastische Weise aus der Handlung und… lädt ein, sich an seinen Bildern, seinem Stil, seiner Ästhetik zu ergötzen, sich in ihnen zu verlieren. Meine Notiz sagt diesbzgl. schlicht und ergreifend „fettgeil ‘80er!“ und tatsächlich wurde das Kult-Jahrzehnt selten so fulminant in Szene gesetzt wie mittels Friedkins urbanem Bilderrausch, der weit mehr zu bieten hat als Panoramen der Metropole. Der zum Puls der Großstadt passend treibende und von der britischen Gruppe „Wang Chung“ beigesteuerte Pop-/Rock-Soundtrack ist ebenfalls ‘80s as fuck und macht auch losgelöst vom Film eine gute Figur – ebenso die freizügige Blondine Darlanne Fluegel („Friedhof der Kuscheltiere 2“), die Richards Informantin und Bettgespielin mimt (und zum Indiz für die De-facto-Aufgabe seines Privatlebens wird).

Doch genug der Oberflächlichkeiten; „Leben und Sterben in L.A.“ nimmt sich alle Zeit, um seine Geschichte in Ruhe zu erzählen, immer mal wieder jäh durchbrochen von Actionszenen und blutigen Schießereien. Die Erzählweise erscheint mir relativ komplex, zumindest eine gewisse Konzentration abverlangend. Fast jeder treibt ein falsches Spiel, was zu einem Klima des Misstrauens, jedoch auch zu handfesten Missverständnissen und daraus resultierenden Problemen führt. Für Geld wird skrupellos über Leichen gegangen, doch diese Skrupellosigkeit scheint sich nicht nur auf Kapitalverbrecher zu beschränken, sondern durch die ganze Stadt zu ziehen und schon gar nicht vor Richard Chance halt zu machen, der sich leidenschaftlich in seine Hatz hineinsteigert und dadurch nicht nur sein eigenes Leben aufs Spiel setzt. Ob Friedkin bzw. Petievich diese Verhaltensmuster angesichts des Filmtitels als symptomatisch für Los Angeles verstanden wissen möchte, entzieht sich jedoch meiner Kenntnis. Nach rund 80 Minuten münden Chances und Vukovichs nie wirklich aufgehende Pläne in einer wahnsinnigen, spektakulären Verfolgungsjagd durch die Straßen der Metropole und läuten das Finale ein, das letztlich ein überaus grausames Ende findet und wahrlich zu schockieren versteht.

Bei alldem kommt „Leben und Sterben in L.A.“ ohne eindeutige Sympathieträger aus. Stattdessen versucht Friedkin, den Zuschauer für seine Charaktere zu interessieren, ohne dass sich dieser mit ihnen identifiziert. Von Masters geht eine gewisse Faszination aus, er ist eine Mischung aus eigenbrötlerischem Künstler, knallhartem Geschäftemacher und skrupellosem Gewaltverbrecher, verfügt derweil über Dafoes Charisma und wirkt trotz seiner Berechnungen unberechenbar und kreuzgefährlich. Petersen als Richard Chance muss demgegenüber viel in die Waagschale werfen und entlarvt den ‘80er-Sonnyboy-Cop als wenig lässigen, beinahe triebhaften, irrsinnigen und überforderten Typen, dem weder sonderlich Heldenhaftes noch Sympathisches anhaftet und aus dem Film einen sonnigen Neo-Noir macht. Nichtsdestotrotz behält die Handlung penibel die alte „Dirty Harry“-Formel bei, den ermittelnden Beamten gesetzliche Hürden in Form behindernder Vorschriften in den Weg zu legen, für deren Überschreitung lange Zeit Verständnis beim Zuschauer herrscht, bis die Angelegenheit jedoch eine Eigendynamik entwickelt, bei der es quasi keine Gewinner mehr gibt.

Dieses Konzept hat allerdings zur Folge, dass der eigentliche Inhalt des Films mich seltsam kaltgelassen hat, da mir zu keinem Zeitpunkt eine wirkliche Bindung zu einer der handelnden Personen möglich war. Das mag den Film bewusst ein Stück weit kalt und abweisend machen, erwies sich jedoch insbesondere in der langen Exposition nicht immer als zielführend, da den Zuschauer an zu loser Leine lassend. Dies ist aber wohl auch einer der Gründe, weshalb Filme dieser Art nie zu meinen Favoriten zählen werden, wenngleich dieses Exemplar ein audiovisuell besonders gelungenes darstellt.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Maniac
Serienkiller Frank Zito (Joe Spinell) versetzt die Straßen von New York City in Angst und Schrecken. Unbarmherzig geht der Psychopath gegen seine Opfer vor, die gequält, getötet und skalpiert werden. Die Ursache ist tief in seiner Kindheit verankert, wo er von seiner Mutter, einer Prostituierten, pausenlos misshandelt wurde. Seine Welt besteht nur aus Schaufensterpuppen, die detailgetreu mit Haaren und Kleidern seiner Opfer ausgestattet sind. Eine zufällige Begegnung im Central Park mit der Fotografin Anna (Caroline Munro), die zunächst vielversprechend erscheint, lässt seine gestörte Seite auffliegen...
US-Filmemacher William Lustigs („Maniac Cop“) Non-Porno-Regiedebüt ist der 1980 entstandene Horrorfilm „Maniac“. Berüchtigt für seine Splattereffekte und bekannt u.a. durch seine unrühmliche Zensurgeschichte, erschließen sich die darüber hinausgehenden Qualitäten dieses Slashers oftmals erst auf den zweiten Blick. Hauptdarsteller Joe Spinell („Taxi Driver“, „Rocky“) arbeitete das Drehbuch aus und beteiligte sich an der Produktion des Low-Budget-Streifens, der zunächst in den Bahnhofskinos lief, bevor er den Heimvideo-Markt eroberte und nicht nur Sittenwächter in Angst und Schrecken versetzte.

Frank Zito (Joe Spinell) ist ein psychopathischer Serienkiller, der unerkannt in New York sein Unwesen treibt. Er tötet junge Frauen, trennt ihnen die Kopfhaut ab und schmückt die Schaufensterpuppensammlung in seiner kleinen Wohnung mit ihren Skalps. Als er eines Tages zufällig die Fotografin Anna (Caroline Munro, „Star Crash“) kennenlernt, scheint er endlich eine normale Beziehung zu einer Frau eingehen zu können…

Oberflächlich betrachtet ist „Maniac“ ein harter Splatter-Slasher, der mit den detailgetreuen, realistischen Spezialeffekten Tom Savinis auftrumpft. Doch „Maniac“ ist viel mehr: Er ist das Psychogramm eines traumatisierten Serienkillers, der dem Zuschauer auf derart distanzlose Weise das Seelenleben Frank Zitos näherbringt, dass dieser nicht nur mit den Opfern, sondern auch mit dem Täter mitleidet und „Maniac“ zu einem verstörenden, düsteren, dreckigen und ungemütlichen Downer macht. Das gelingt zum großen Teil durch Spinells haarklein ausgearbeitete Charakterisierung Franks, der zudem in sein Schauspiel eine Intensität legt, dass einem Angst und Bange werden kann. Überlieferungen zufolge wäre „Maniac“ gar noch härter ausgefallen, wäre es allein nach Spinell gegangen, der sich auf seine Rolle angeblich durch Schlafentzug und Drogen- und/oder Alkoholkonsum vorbereitete, um Frank Zito möglichst authentisch verkörpern zu können. Wenn die Kamera auf sein vernarbtes, verschwitztes, vom Wahnsinn gezeichnetes Gesicht hält, glaubt man davon jedes Wort.

Nach einem Prolog am Strand, der bereits die ersten Mordopfer fordert, stürzt sich „Maniac“ in den Großstadtdschungel und transportiert Ed Gein’schen Backwood-Horror und Hitchcock-Inspirierte „Psycho“-Variationen in ein urbanes Ambiente – und verzichtet auf jegliches Whodunit?. Dort bewohnt Frank eine schäbige, dunkle kleine Bude, in der er eine Art Altar um ein Frauenfoto errichtet hat und mit seinen Schaufensterpuppen zusammenlebt. William Lustig zeigt ein Gespräch zwischen zwei Prostituierten und läutet damit einen weiteren Mord ein. Er betont das Unglamouröse der billigen Absteige, in die die käufliche Dame Frank mitnimmt und zeigt ausgiebig und schmuddelig, geradezu abtörnend Franks Besuch, bevor das Unausweichliche geschieht. Doch dann lernt der Zuschauer die andere Seite des Mörders kennen, der sich übergibt und jammert und heult, bevor er sein Opfer skalpiert und zurück in seinem Zimmer mit seinen Puppen bzw. seiner toten Mutter redet. Hier wird deutlich, welch ein kranker Mann er ist, wie er mit sich, seiner Vergangenheit und seinen Taten hadert, aber keine Kontrolle über sich hat.

Sein inszenatorisches Geschick stellt Lustig beim langsamen, aber hochspannenden Aufbau jener berüchtigten Szene unter Beweis, die darin mündet, dass sich der auch in einer Nebenrolle wiederfindende Tom Savini quasi selbst den Schädel wegpusten darf – auf spektakuläre Weise. Atmosphärisches Windrauschen untermalt die Szenerie, deren Vollstreckung in Zeitlupe geschieht. Die ganze Szene ist ein klassisches Beispiel für die Selbstzweckhaftigkeit und Übertreibung blutiger Spezialeffekte – dabei aber schlicht grandios. Und unerbittlich dreht Lustig weiter, walzt seine Szene aus, bis es keine Überlebenden mehr gibt – bis auf Frank. Viel Zeit zum Durchatmen bleibt auch im Anschluss nicht, denn was Nervenkitzel und Suspense betrifft, setzt Lustig in einer fast noch fieser inszenierten Verfolgungsjagd durch eine U-Bahn-Station glatt noch einen drauf.

Doch statt in diesem Schema zu verharren, kommt es nach rund 50 Minuten zur Kontaktaufnahme Franks mit Anna – und plötzlich lernt man ihn von einer ganz anderen Seite kennen: Als galanten, charmanten, redegewandten Mann, der sich gut zu kleiden und zu benehmen versteht und anscheinend auch das Interesse Annas an seiner Person weckt. Spätestens hier dürfte sich manch Zuschauer plötzlich auf Franks Seite wiederfinden, mit ihm hoffend, dass der Kontakt zu Anna positive, evtl. gar heilsame Auswirkungen auf ihn hat. Doch es kommt zu weiteren verstörenden Morden und Frank verfällt immer mehr dem Wahnsinn. Er spricht mit sich selbst, jammert nach seiner Mutter und setzt seine Beziehung zu Anna aufs Spiel. Am Ende einer stilecht auf einem Friedhof spielenden Sequenz erfährt man durch Stimmen in Franks Kopf Details aus seiner Kindheit, von den Misshandlungen durch seine Mutter und bekommt spätestens hier Mitleid. Franks innere Dämonen versinnbildlichen sich durch einen Spezialeffekt und verleihen „Maniac“ ab nun seine surreale Ebene, auf der schließlich das von Realitätsverlust und Wahnsinn geprägte Finale stattfindet, das zudem verdammt gruselig umgesetzt wurde.

„Maniac“ ist die Geschichte eines Mannes, der um seine Kindheit betrogen wurde und die Hassliebe zu seiner Mutter auf andere Frauen projiziert, seine Traumata nie verarbeitet hat. „Maniac“ ist aber auch ein Paradebeispiel dafür, welch ein Film möglich ist, wenn man es versteht, harte, explizite Splatter-Szenen mit unangenehmer Anti-Party-Stimmung, über eindimensionale, klischeehafte Darstellung hinausgehender Charakterisierung und großem Schauspiel zu verbinden und dabei den Antagonisten genialer- wie perfiderweise gleichzeitig fast zur Identifikationsfigur für den Zuschauer zu machen. Dabei ist auch kein hohes Budget vonnöten, im Gegenteil: Sein Grindhouse-Look passt prima und versieht „Maniac“ gar mit einem gewissen Realismus. Der von Lustig und seinem Team zum Teil in Guerilla-Manier ohne Drehgenehmigungen gedrehte Film versteht es bestens, zu improvisieren und das Maximum aus den gegebenen Möglichkeiten herauszuholen. Lustig persönlich gönnt sich übrigens einen Cameo als Stundenhotelbetreiber. Vermutlich gar nicht hoch genug geschätzt werden kann der Einfluss Spinells auf den Erfolg des Films, der nicht ohne Grund seit „Maniac“ zu meinen favorisierten Charakterdarstellern zählt und interessanterweise gleich mehrmals zusammen mit Caroline Munro drehte, beispielsweise im sein Image aus „Maniac“ karikierenden, ungewöhnlichen Slasher „Love to Kill“ aus dem Jahre 1982. Ebenfalls keinesfalls zu unterschätzen ist der überaus stimmige Soundtrack Jay Chattaways, der die zurückhaltenden, traurigen, unheilschwangeren Glockenspiel-Töne in intimen Momenten ebenso beherrscht wie die leicht funkigen, oftmals aber langsamen, sich nur aus einzeln gezupften Gitarren- oder Basssaiten zusammensetzenden Klänge, die um einige Geräusche erweitert werden.

Trotz subjektiver Point-of-View-Kameraführung in vorausgegangenen Filmen wie „Halloween“, um nur das populärste Beispiel zu nennen, war man dem Monster selten so nahe wie dem Großstadt-Ed-Gein Frank Zito in „Maniac“ – und es entpuppt sich als nur allzu menschlich. Obwohl sich „Maniac“ stilistisch deutlich von Standard-Slashern wie „Halloween“ oder „Freitag, der 13.“ absetzt, möchte ich ihn dennoch diesem Subgenre zuordnen und als leuchtendes Beispiel für den kreativen Umgang mit der Thematik innerhalb des Genrefilm-Spektrums hervorheben. Ruhe in Frieden, Joe Spinell – mit „Maniac“ hast du dich unsterblich gemacht.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
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