14.06.2022, Stadtpark, Hamburg:
GIANNA NANNINI
Ich war schon als Kind von der rauen Stimme der italienischen Rock-/Pop-Sängerin Gianna Nannini und ihrem zuweilen burschikosen Auftreten fasziniert. Ihre musikalische Bandbreite reicht von Chansons über Pop-Rock mit Elektro-/Synthie-Einflüssen bis hin zu E-Gitarre-dominiertem Hardrock und Indie-/Alternative-Einflüssen. Ich liebte – und liebe! – Songs wie „Bello E Impossibile“, „Hey Bionda“ und „Un Ragazzo Come Te“, „Hey Bionda“ war gar eine meine allerersten 7“-Singles, mir seinerzeit von meinen Eltern gekauft worden. Als Erwachsener, weit nach Abschluss der Punk- und Metal-Sozialisation und mittlerweile in der „Was gab’s denn da noch so alles?“-Kindheits- und Jugendaufarbeitungsphase gelandet, konnte ich mich dank der breiten Verfügbarkeit im Internet durch weite Teile der Nannini-Diskographie hören, fand viel Schönes und stellte fest, dass die ‘80er-Alben „Profumo“ und „Malafemmia“, flankiert von den Live-Alben „Tutto Live“ und „Giannissima“, für mich am besten, um nicht zu sagen: hervorragend funktionieren. Gianna hatte schon immer eine rebellische Ader, setzte sich für Frauenrechte ein und war fürs eine oder andere Skandälchen gut. Auch das passt also.
Wenn nicht gerade eine Pandemie wütet, findet jährlich eine Saison mit Open-Air-Konzerten im Hamburger Stadtpark statt, bei der das Programm ungefähr von Mainstream bis Indie reicht. Vor etlichen Jahren, als jüngerer Punk, lauschte ich dort mal von außen BILLY IDOL, ging mangels der nötigen Finanzen aber nicht hinein. Mein erster wirklicher Besuch ließ länger als geplant auf sich warten, denn natürlich kauften meine Liebste und ich auch dieses Ticket kurz vor Pandemieausbruch, sodass sich der Konzertbesuch um rund zwei Jahre verzögerte… Dafür spielte an diesem sonnigen Dienstag aber das Wetter perfekt mit. Das Konzertgelände ist sehr schön: ein Rund mit Verzehrbuden und Toiletten im äußersten Kreis, abgetrennt durch hohe Hecken mit zahlreichen Durchgängen, die Gedrängel vermeiden. Im Inneren zur Bühne hin immer leicht abschüssiges Gelände grob im Amphitheater-Stil, sodass gute Sicht kein Problem ist. Und auch noch mal paar Bierbuden.
Auf dem Hinweg waren uns schon zahlreiche Picknicker(innen) begegnet, die es sich vorm Gelände mit Snacks und Getränken bequem gemacht hatten – ein bisschen wie ich damals, nur war’s da schlicht Dosenbier. Der Einlass ging superflott. Um 19:00 Uhr sollte es losgehen. Wir schauten uns nach Essbarem um. Bratwurst mit Brötchen ohne Brötchen, weil diese ausgegangen waren. Hm. Vegetarisch war das auch nicht. Die Burritos sahen ganz gut aus, schlugen aber mit unverschämten 8,- EUR zu Buche, und fürs Sättigungsgefühl musste Bier nachgekippt werden. Memo: Nächstes Mal auch vorher im Park picknicken. Das Gelände war gut gefüllt, aber nicht ganz ausgefüllt – zum Glück, wie jemand am Bierstand anmerkte, bei FOREIGNER sei es zuletzt ein heilloses Gedrängel gewesen. Hier ist’s entspannt. Wir suchten uns ein Plätzchen in Bierstandnähe und warteten, bis es um 19:18 Uhr tatsächlich losging: Ein quickfideles 68-jähriges Geburtstagskind (Sie hatte an diesem Tag Geburtstag!) spurtete auf die Bühne, ihr Fanclub in den ersten Reihen war mit Partyhütchen und Luftballons ausgestattet, stimmte irgendwann zwischen zwei Songs „Happy Birthday To You“ an, überreichte Blumen und war generell die ganze Zeit ganz aus dem Häuschen. Sozusagen der Pogomob der Veranstaltung.
Gianna und ihre Band stiegen mit „L'aria sta finendo“ vom aktuellen 2019er Album „La differenza“ ein, das ich mir ehrlich gesagt noch gar nicht angesagt hatte. Der Song gefällt mir, doch es sollte einer von ich glaube nur zwei brandaktuellen Songs bleiben. Der überwiegende Teil des 20 Songs umfassenden Sets ging in Richtung Best of, „Primadonna“, „Profumo“, „Ragazzo dell'Europa“ und „I maschi“ hießen die Hits, ferner natürlich „Scandalo“, „Hey Bionda“, „America“, „Latin Lover“ und „Bello E Impossibile“. Wunderbare Stücke mit großen Melodien, etwas Pathos und ganz viel Ausdruck in Giannas Stimme bei einwandfreiem Sound. „Bello…“ klang wieder näher an der Studioversion und weniger punkig als sie ihn zwischenzeitlich gemäß
YouTube-Clips gespielt hatte. Die Kinderchöre schienen mir aus der Konserve zu kommen, alles andere dürfte die fünfköpfige, international besetzte Band aber live intoniert haben. Die Gitarristen wechselten je nach Song ihr Gitarre, Gianna ihre Jacke mehrmals und vermied in ihren Ansagen jedes englische Wort.
Bis auf ein paar Worte in gebrochenem Deutsch ging’s hier ausschließlich italienisch zu, was nicht nur meine Mitsingfähigkeiten arg einschränkte. Manch Refrainzeile konnte Gianna dennoch rein vom Publikum singen lassen. Dieses wies ein erhöhtes Durchschnittsalter auf, oder um es positiver zu formulieren: Es bestand aus zahlreichen seit Jahrzehnten loyalen Fans. Und darunter waren neben augenscheinlich völligen Normalos auch Rockfans mit AC/DC-Shirt, ein Metal-Shirt habe ich auch gesichtet, jedoch keine Betrunkenen, keine Rempler oder ähnliche Klientel. Verdientermaßen erhielt das Hamburger Publikum einen mehrere Songs umfassenden Zugabenblock, darunter „Nel blu, dipinto di blu“, besser bekannt als
„Volaaaareeee!!! Ooohoo!!!“, einer meiner ewigen Favoriten: die herzergreifende Ballade „Meravigliosa creatura*“, und ganz am Schluss der ultimative Flashback zur Fußball-WM 1990 in Italien, der von Giorgio Moroder komponierte und von Nannini seinerzeit zusammen mit Edoardo Bennato gesungene offizielle WM-Song „Un'estate italiana“. Hach. Die Urlaubsstimmung hatte ihren Höhepunkt erreicht, wenngleich wir am nächsten Tag wieder zur Maloche mussten.
Ok, kein „Un Ragazzo Come Te“, kein „Kolossal“, aber meckern kann ich über die Songauswahl nicht. Blöd nur, dass ich ausgerechnet während „Hey Bionda“ auf dem Klo war (ähnlich wie kürzlich während „Heart“ bei den PET SHOP BOYS – offenbar pinkle ich Hits), aber wie auch immer: 68 muss das neue 42 oder so sein, jedenfalls hatte Gianna ordentlich Pfeffer im Hintern, klang ihre Stimme herrlich verraucht wie eh und je und war die ganze Band in bester Spiellaune. Großen Respekt vor dieser Frau!
Einen Absacker gab’s anschließend noch im Biergarten des Lesecafés des Parks, wo man sich aufs Konzertpublikum mit entsprechender Musik aus der Anlage und Bierbestellschnellstraße eingerichtet hatte. Für mich war’s mal wieder ein etwas anderes Konzert, das sich gelohnt hat und schlicht Spaß machte – nicht nur, weil es mir eine ‘80er-Hitdosis nach der anderen injizierte. An meine fixe Idee, Nannini mal live sehen zu wollen, kann ich jetzt ‘nen Haken machen. Und wenn’s nach mir geht, muss es nicht das letzte Mal gewesen zu sein. Ich glaube, ich werde mich die Tage mal ein wenig durch ihr Spätwerk hören…
*) Was sich wie eine fiese Beleidigung oder der Name einer Death-Metal-Band anhört, heißt übersetzt nichts anderes als „Wunderbares Wesen“.
Bebildert auch hier:
https://www.pissedandproud.org/14-06-20 ... a-nannini/