Puh, endlich fertig:
26.-28.05.2023, Amphitheater, Gelsenkirchen:
ROCK-HARD-FESTIVAL 2023
Auf dem Rock-Hard-Festival war ich bisher zweimal, in den Jahren 2015 und 2016. Das Gelsenkirchener Amphitheater mitten im Grünen am Rhein-Herne-Kanal ist sicherlich einer der schönsten Open-Air-Konzertorte Deutschlands und dürfte so um die 8. bis 10.000 Besucherinnen und Besucher fassen, will sagen: Das Festival ist kein überdimensioniertes Spektakel à la Wacken & Co. Dieses Jahr sah das Billing derart vielversprechend aus, dass es selbst bei mir, der ich nun eigentlich kein großer Festival-Gänger bin, zu kribbeln begann und ich letztlich den Entschluss fasste – bzw. mir die Erlaubnis meiner besseren Hälfte einholte –, dann doch mal wieder zu partizipieren. Ausschlaggebend hierfür waren in erster Linie die Ankündigung, dass Tom Warriors TRIPTYKON hier ein spezielles CELTIC-FROST-Klassikerset Schland-exklusiv darreichen würden und ich die Chance erhalten sollte, erstmals in meinem Leben (!) TESTAMENT live zu sehen. Mit HOLY MOSES, DISCHARGE, ENFORCER, KNIFE, den für die verhinderten EXODUS eingesprungenen SODOM und MSG, die ich 2015 bereits ebenda gesehen hatte, klang aber auch der Rest vom Fest vielversprechend – und bei den übrigen Bands dürfte bestimmt wieder die eine oder andere Entdeckung zu machen sein, dachte ich mir.
Als ich mich im Februar auf die Suche nach einer Unterkunft begab, musste ich ernüchtert feststellen, dass es seinerzeit wesentlich einfacher war, günstige, privatvermietete Zimmer in Gelsenkirchen zu finden. Die Preise sind explodiert bei zugleich anscheinend ausgedünntem Angebot – oder ich war schlicht zu spät dran. Letztlich kam ich in einem Nobel-Appartement unter, das für mich als Alleinreisenden sehr großzügig bemessen und nun auch nicht gerade ein Schnäppchen, dafür aber sehr zentral direkt am Bahnhof gelegen war. Wat soll man machen…
Die Anreise mit diesem komischen
Flixtrain von HH nach GE verlief zunächst etwas abenteuerlich, am Ende aber beinahe pünktlich und somit ziemlich flott. Die Bude war schnell bezogen; also noch mal feucht durch den Schritt gewischt, ins legere Beinkleid geschlüpft und die Tradition gewahrt, wenigstens an einem der Tage – diesmal am ersten – zu Fuß zum Festivalgelände zu latschen. In den Jahren 2015 und 2016 hatte mich der Weg durch wunderschöne grüne Wanderwege am Rhein-Herne-Kanal geführt, diesmal ging’s längere Zeit an Bahngleisen entlang. Die gut vier Kilometer waren trotzdem ein Genuss, denn das vielgescholtene Gelsenkirchen lädt mit seinen Sandwegen, Wiesen, Parks und Wäldchen auch abseits des Kanal zum Lustwandeln ein. Die grüne Lunge des Ruhrgebiets, oder wat? Gegen 14:15 Uhr traf ich ein, zog mir meine Eintrittskarte an der Tageskasse, ließ mir mein Bändchen geben, griff zum ersten Fischbrötchen und freute mich auf den Eröffnungs-Act um 15:00 Uhr.
Bei diesem handelte es sich um die Schweden SCREAMER, die mir von zwei Clubgigs als gute Liveband in Erinnerung waren. Seit 2009 sind SCREAMER aktiv und hatten nun ihr fünftes Album „Kingmaker“ im Gepäck, von dem sie zum Einstieg gleich die ersten beiden Songs spielten. Das Quintett zockt klassischen Heavy Metal mit ein paar Ausflügen in Richtung Speed. Der Sound war von Beginn an top, der Gesang vielleicht sogar etwas zu laut (ging in den Höhen aber ein bisschen unter). Das Rund des Amphitheaters füllte sich rasch, die Leute hatten Bock. Meine persönlichen Highlights waren „Demon Rider“ und „Shadow Hunter“, „Screamer“ und „Highway of Heroes“ habe ich hingegen vermisst. Die Band gefällt mir am besten, wenn sie etwas ungestümer zur Sache geht, was sie für meinen Geschmack gern wieder öfter tun dürfte. Eher albern sah das (Beinahe-)Einheitsoutfit mit den weißen Westen aus, dem sich nur der Drummer entzog (deshalb „beinahe“). Dieser hatte natürlich wieder seine Becken pervers hoch hängen, eines seiner Markenzeichen. Die Klampfer boten schöne Twinguitars und Soli. Das ging klar und war ein absolut solider Festival-Auftakt.
MOTORJESUS folgten, die hatte ich seinerzeit auch schon mal hier gesehen und sind mit ihrem Schweinerock-Metal musikalisch nicht ganz mein Ding, was aber nicht viel heißen muss. Sie traten mit einem Ersatzgitarristen für den leider erkrankten festen eigentlichen Sechssaiter an und der Sänger klagte über eine Erkältung, von der man aber nichts hörte – allerdings habe ich den Gig auch nicht konzentriert verfolgt. Dass das ein sehr energiegeladener Auftritt war, blieb mir dennoch nicht verborgen und mit dem sehr gelungenen SACRED-REICH-Cover „Independent“ als Rausschmeißer holten sie mich dann sogar doch noch ab.
Die deutsche Thrash-Institution HOLY MOSES mit Shouterin Sabina als besonders hervorstechendem, weil damals noch seltener als heute anzutreffendem Alleinerstellungsmerkmal hat gerade ihr finales Studioalbum „The Invisible Queen“ veröffentlicht und wird sich nach einer Abschiedstournee auch von der Live-Front verabschieden. Das Intro aus der Konserve begann mit der ‘80er-Pop-Schnulze „Careless Whisper“; die Band stieg direkt mit „Def Con II“ von „The New Machine of Liechtenstein“ ein, jenem ‘89er-Langdreher, von im weiteren Verlauf auch die meisten Stücke stammen sollten (nämlich vier an der Zahl). Mischer oder Mischerin schienen sich mit dem Sound zunächst etwas schwerzutun, das bekamen er oder sie mit der Zeit aber in den Griff. Die 59-jährige, gertenschlanke und agile Sabina war hochmotiviert und hatte sichtlich Spaß, headbangte, röhrte, grunzte und sprang auf der Bühne herum, wenn sie nicht gerade ungekünstelt und sympathisch mit dem Publikum kommunizierte. Vom aktuellen Album wurden das Titelstück sowie das geniale „Cult Of The Machine“ kredenzt, mit „World Chaos“ war einer meiner absoluten Favoriten dabei und ‘ne echte Überraschung hielt man gegen Ende parat: Sabinas Ex-Mann und Ex-HOLY-MOSES-Mastermind Andy Classen kam auf die Bühne, um bei „Finished With The Dogs“ vom gleichnamigen Kultalbum ‘ne zweite Klampfe zu spielen und mitzusingen, wofür Sabina ihm ihr Mikro hinhielt. Da war er, mein erster magischer Moment des Festivals! Leider war dann anschließend nicht mehr genug Zeit, um sowohl „Life’s Destroyer“ als auch „Current of Death“ zu spielen, weshalb Sabina das Publikum abstimmen ließ: „Current of Death“ erhielt den Zuschlag und besiegelte diesen starken Gig, der einen veritablen Moshpit vor der Bühne erzeugt hatte, vor allem aber einen Unterschied wie Tag und Nacht gegenüber dem Reunion-Gig 2015 in der Hamburger Markthalle darstellte, als die Band wie ein zusammengewürfelter Haufen auf mich wirkte und Sabina unbeholfen auf Pömps über die Bühne stackste und die Texte von der Zettelsammlung auf dem Fußboden abzulesen schien. Apropos Markthalle: Sie lud zum ebendort stattfindenden Abschiedskonzert am 27.12. dieses Jahres ein! Wäre ‘ne Überlegung wert…
VICIOUS RUMORS schenkte ich als US-Metal-Muffel mir. Gitarrist und Bandgründer Geoff Thorpe glaubt anscheinend bis heute, NIRVANA & Co. hätten in den ‘90ern den Metal gekillt. Außerdem spielen die gefühlt auf absolut jedem deutschen Metal-Festival. Stattdessen latschte ich zu „Krachmucker TV“-YouTuber Ernie Fleetenkiekers Lesung aus seinem in Kürze auch im offiziellen Handel erscheinenden autobiographischen Pamphlet „Metal-Manifest“. Aufgrund der Hitze stand er nur in Socken, Hotpants und Kutte (ach ja, und Schlips!) da, las auszugsweise aus seinem Buch, kommunizierte mit seinen Zuhörerinnen und Zuhörern, fragte Fachwissen ab, hielt LPs in die Luft und trank Bier. Sehr sympathisch, sehr eloquent, sehr ehrlich, authentisch und, ja – witzig! Ich fürchte, der Schinken muss beizeiten her… Leider schaffte ich’s das Festival über aber zu keiner der zwei oder drei verschiedenen „Kumpels in Kutten“-Ruhrpott-Metal-Fachbuchlesungen mehr.
Apropos Muffel: Die britischen Death-Metal-Urgesteine BENEDICTION hatte ich als Death-Metal-Muffel eher unter schleppend bis doomig abgespeichert, was ja nicht so mein Ding ist – je trashiger der Death Metal klingt, desto besser. In diesem Falle war ich anscheinend zu ignorant, denn BENEDICTION zockten überraschend flotte Stücke, hatten im italienischen Drummer ein Tier an den Kesseln und in Dave Ingram einen Sänger mit herrlich tiefem Organ, verziert mit dezentem Hall. Das zog mir die Falten aus dem Arsch, mit dem ich mich auf die Amphitheater-Stufen gefläzt hatte, und der Pöbel drehte völlig frei, schmiss sogar das teure Bier durch die Gegend. Den Song „Stormcrow“ widmete Ingram TRIPTYKON-Bandkopf Tom Warrior. Die Zugabe wurde im direkten Anschluss an den nominell letzten Song dargereicht, ganz ohne die üblichen Spielchen, die ihr normalerweise vorausgehen.
Die Überraschung des Festivals für mich, werde mir in Kürze den „WDR-Rockpalast“-Mitschnitt drücken und die Chose reevaluieren.
Pünktlich zum Einbruch der Dunkelheit dann der langerwartete Headliner des Tages und mein persönlicher Festival-Höhepunkt: TRIPTYKON performing early CELTIC FROST! „Danse Macabre“ kam als Intro aus der Konserve, wobei ich auch „Human (Intro)“ (auf einem Livealbum von den KASSIERERN als „Aufschrei der Kreaturen im Moment des Bewusstwerdens“ gecovert) goutiert hätte. Wie auch immer, „Into the Crypts of Rays“ als erster livegespielter Song flashte mich sofort. Dieser Gitarrensound – hier sogar von gleich zwei Klampfen kreiert –, Toms Stimme, die treibenden Drums und der wummernde Bass – hier stimmte einfach alles! Weiter ging’s durch die großartigen Songs von Meisterwerken wie „Morbid Tales“ und später „To Mega Therion“, abgeschmeckt mit ein bisschen „Emperor’s Return“-Material. Ich hatte CELTIC FROST nie live gesehen; als vor Jahren eine ähnliche Veranstaltung zusammen mit dem damals noch lebenden Martin Ain geplant war, war diese ins Wasser gefallen. Hier war ich nun aber zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Die Band spielte vor einem riesigen Backdrop mit dem Giger-Gemälde des „To Mega Therion“-Albums, die Lightshow mit ihren Grün- und Lilatönen war erhaben und Tom in all seiner Bescheidenheit dem Publikum überaus dankbar – dabei haben
wir zu danken! Mein zweiter magischer Moment des Festivals, wobei sich der „Moment“ vom ersten bis zum letzten Song erstreckte.
Mit dem natürlich mit Festival-Besucherinnen und -Besuchern überfüllten Linienbus ging’s bis fast vor die Haustür meiner Unterkunft zurück und ich schlief zeitig glückselig ein, schließlich wollte ich am nächsten Tag fit sein.
Dieses Unterfangen klappte dann auch ganz gut. Die Buslinie vom Vortag fuhr zwar gerade nicht, aber mit einer anderen konnte ich nach einem nahrhaften und fair bepreisten Frühstück vom Bahnhofspassagenbäcker zumindest in die Nähe der entgegengelegenen Seite des Festivalgeländes fahren. Der anschließende Fußmarsch zeigte mir abermals sehr malerische Seiten Gelsenkirchens und pünktlich zum Eröffnungs-Act des heutigen Tages fand ich mich vor der Bühne ein: MIDNIGHT RIDER aus Koblenz um die ehemaligen METAL INQUISITORen Blumi und Cliff haben letztes Jahr ihr zweites Album „Beyond the Blood Red Horizon“ veröffentlicht und spielen trotz nur einer Klampfe recht JUDAS-PRIEST-lastiges Material. Diesen Eindruck verstärkt auch Sänger Wayne, der früher bei einer Priest-Coverband sang, über eine ähnliche Stimmfarbe wie Rob Halford verfügt und auch in seinen Bewegungen mitunter stark an den
Metal God erinnert, auf dessen spitze Schreie er aber weitestgehend verzichtet. Blumi kam mit Gipsbein und musste daher auf einem Stuhl sitzend spielen, was seiner Spielfreude aber anscheinend keinen Abbruch tat. „Your Parole“ entpuppte sich als klasse Opener und das getragene „Beyond the Blood Red Horizon“ kam ebenso gut rüber wie „Intruder“, wobei letztgenanntes Stück wirklich sehr stark nach Priests mittlerer Schaffensphase klang. Weiß jemand, welcher Song danach gespielt wurde? Der konnte nämlich auch echt wat. Mit „Demons“ folgte ein echter Hit und mit „Opium Trail“ ging’s zurück zur Debüt-Maxi-Single aus dem Jahre 2008. Vereinzelte spitzere Gesangstöne und Refrainbetonungen wurden durch Echoeffekte verstärkt, auf Backgroundgesang hingegen vollständig verzichtet. Der wäre aber auch tatsächlich nicht nötig gewesen. MIDNIGHT RIDER wurden gut gefeiert und freuten sich sichtlich über den schon zu früher Stunde – 12:30 Uhr – starken Zuspruch, durften sogar für eine Zugabe wiederkommen: ihren Signature-Song „Midnight Rider“! Ein gelungener Auftritt, bei dem meines Erachtens aber der eine oder andere Gitarrensolo-Passus etwas abfiel. Eventuell über einen zweiten Gitarristen nachdenken? Ach ja, und „Always Marching On“ hätte ich mir noch im Set gewünscht – aber man kann nicht alles haben.
Mandy vom Rock-Hard-Team gab nun auf der Bühne bekannt, dass der Flug der Schweden NESTOR gestrichen worden sei und die Band daher später einträfe, weshalb der Ablaufplan geändert werden müsse. Die drei nach dem nächsten Act folgenden Bands wurden also vorgezogen, Nestor auf 18:20 Uhr datiert. Gut wäre vermutlich gewesen, dies öfter mal durchzusagen und hier und da ‘nen entsprechenden Aushang anzubappen, denn das dürfte nicht jeder mitbekommen haben…
KNIFE aus dem Hessischen rüpeln sich mit ihrem angeschwärzten Speed Metal und punkiger Attitüde seit 2019 durch die Szene, haben einige Hits auf Lager und Bock auf ‘nen nietenbesetzten, kettenbehangenen Gig bei prallem Sonnenschein. Eigentlich gehört so was eher in ‘nen stickigen Club, aber auch auf großer Bühne mit protzigem Riesen-Backdrop ließ ich mir den Einstieg „Chromium Pryer“ und Knaller wie „Black Leather Hounds“ (ein verdammter Ohrwurm!), „K.N.I.F.E.“ und natürlich „Sword Loser“ gefallen. Nach „I Am the Priest“ stellte der Sänger mit dem wunderschönen Künstlernamen Vince Nihil seinen Drummer als Kaiser (heißt der mit bürgerlichem Nachnamen so?) und nach dem nächsten Song Basser Gypsy Danger vor, ließ ‘ne schöne Ansage gegen Homophobe, Faschisten und ähnliches Geschmeiß da und kommunizierte und interagierte generell viel mit dem Publikum. Diverse Songs widmete er diversen Personen, bevor’s am Schluss mit „Sacrifice“ noch ein Cover der frühen BATHORY auf die Ohren gab. Unterhaltsamer Gig für Freundinnen und Freunde der etwas gröberen Kelle!
Nun hieß es abwägen: DEPRESSIVE AGE mit ihrem ‘90er-Thrash sind weniger was für Vadder sein‘ Sohn und die krankheitsbedingt leider DISCHARGE ersetzenden VOIVOD habe ich hier schon mal gesehen, sind mir nach den ersten vier Alben aber zu proggy und lahm geworden. Apropos: Was war das eigentlich für ‘ne Nummer, VOIVOD aus ‘nem kleineren Konzert in Ulm, wo sie eigentlich am Abend spielen sollten, herauszukaufen und die Ulmer Szene damit im Regen zu stehen zu lassen? So etwas trägt mit Sicherheit nicht dazu bei, dass die Leute noch Bock haben, sich Konzertkarten im Vorverkauf zu holen – worunter ja größere Teile des Konzertbetriebs ohnehin zu ächzen scheinen. Da hätte ich als DISCHARGE-Ersatz lieber ein, zwei Punk- oder Hardcore-Bands aus dem Pott herangeholt. Ich weiß, das war alles sehr kurzfristig, aber diese Aktion hinterlässt doch einen schalen Beigeschmack. Doch ich hatte ja ohnehin andere Pläne: Schnell mal die Karten-App angeschmissen und nach „Fußballkneipe“ gesucht, 15:30 Uhr war Anpfiff des Erstligafinals. Aha, zwei Kilometer entfernt sollte es eine geben. Nur wenige Meter hinterm Festivalgelände traf ich aber bereits auf einen schnieken Biergarten mit bezahlbarem Imbiss und Fussek-Bezahlfernsehen, wo ich sogar nach Jahren mal wieder gezapftes Alt trinken konnte. Um mich herum bereits zahlreiche Metallerinnen und Metaller, deren Anzahl sich nach und nach erhöhte. Ich war erwartungsgemäß also nicht der Einzige, der Metal mal eben Metal sein ließ und lieber dem Gekicke überbezahlter Söldner beiwohnen wollte. Dass die Nummer für die Region alles andere als gut ausging, ist hinlänglich bekannt und muss hier nicht vertieft werden. Nur eines dazu: Schalke 04 – Seele vom Revier! Jetzt erst recht!
Zurück auf dem Festival bekam ich immerhin noch das letzte Drittel des BRIAN-DOWNEY’S-ALIVE-&-DANGEROUS-Auftritts mit. Downey, ehemaliger THIN-LIZZY-Drummer, hat sich eine Band zusammengestellt, mit der er das legendäre „Live & Dangerous“-Album wieder auf die Bühne bringt. Für Bass und Gesang hat er tatsächlich eine Art Phil-Lynott-Double gefunden und zockt die Nummern offenbar möglichst originalgetreu. Wer auf diese Art klassischen irischen Hardrocks schwört, dürfte damit viel Freude haben, denn zumindest hier war der Sound astrein, konnten sich die Twin-Gitarren optimal entfalten und war es äußerst respektabel, wie der ja nicht mehr ganz taufrische Downey auf seinem Kit umherwirbelte. Man scheint das Erbe in vollen Ehren zu halten und verzückte das Publikum, das fröhlich mitsang und die Band anfeuerte. The Boys sind mal wieder back in town! Und mit dem Traditional „Whiskey in the Jar“ als krönendem Abschluss kann man ohnehin nicht viel falsch machen. Nicht nur ich schmettere die einst von METALLICA einer jüngeren Generationen wieder nahegebrachte Nummer artig mit.
Nun aber zu einer Band, auf die ich mich so richtig gefreut hatte: NESTOR! Die Schweden haben sich einem Sound zwischen AOR und Pop-Rock der ausgehenden 1980er verschrieben, allerdings jener Variante, die ihre Wurzeln im Hard’n’Heavy-Bereich hat, sprich: Es dominiert Keyboard und -tar (!) zum Trotz eine entschlossen riffende und zuweilen sehr gekonnt solierende Gitarre. Das Retro-Kommando – der Legende nach bereits 1989 gegründet, aber erst vor wenigen Jahren wiedervereint, um nun tatsächlich etwas außerhalb des Proberaums zu reißen – trat zum Rollback in mein Lieblingsjahrzehnt an und zelebrierte diesen mit Mut zu Geschmacksverirrung und Klischee, aber auch einem stets mitschwebenden Augenzwinkern. Da wird Schauspielerin Demi Moore ebenso besungen wie das
„lost child on the run“ oder eben jenes magische Jahr 1989, bei dem auch mir ganz warm ums Herz wird. Bis auf das Album „Kids in a Ghost Town“ hat man zwar, von zwei obskuren CD-EPs in den ‘90ern, noch nichts veröffentlicht, ist in diesem speziellen musikalischen Metier aber nach wie vor eine der Bands der Stunde. Dies liegt u.a. daran, dass es sich um kein vom Frontiers-Label zusammengecastetes Studio- oder ein Ein-Mann-Heimprojekt für Bandcamp und Co. handelt, sondern um eine fantastische Live-Band, die in Sänger Tobias Gustavsson eine echte Rampensau in ihren Reihen weiß und der es spielend gelingt, diese spezielle ‘80er-Atmosphäre zu reproduzieren. Tobias hat anscheinend längere Zeit in Deutschland gelebt und versuchte sich an der einen oder anderen deutschsprachigen Ansage respektive Publikumskommunikation
(„Du bist der Bestes!“), sang das auf der LP mit Samantha Fox (!) eingesungene Duett „Tomorrow“ zusammen mit einer anderen Dame und fiel lediglich aus der Retro-Rolle, als er darum bat, zu diesem Song das Smartphone zu schwenken (argh!). Das als Zugabe nachgeschobene, auf der LP etwas abfallende, weil an das schmissige Original nicht herankommende WHITNEY-HOUSTON-Cover „I Wanna Dance With Somebody“, wurde hier ebenfalls zusammen mit der Gastsängerin intoniert und avancierte zur fulminanten Party, bei der das Amphitheater kollektiv zum Grinsen und Mitsingen bewegt wurde. Der nächste magische Moment!
Eigentlich hätten nun die Bay-Area-Thrash-Urgesteine EXODUS spielen sollen, fielen jedoch (wie deren gesamte Tour mit TESTAMENT und VOIVOD) aus, weil Gitarrist Gary Holt sich um seinen Bruder kümmern muss, der einen schweren Autounfall in Italien erlitten hat. Ein solcher Unfall ist natürlich höchst unerfreulich, aber auf EXODUS hätte ich ohnehin gar nicht unbedingt Bock gehabt. Mittlerweile gelten drei Fünftel der Band als Trumpster und selbst Gary Holt sagt von sich, längst zu den Republikanern übergelaufen zu sein, wäre da nicht deren frauenfeindliche Abtreibungspolitik. Traurig. Umso mehr freute ich mich über den Ersatz: SODOM! Die hatten es nicht weit und gehen eigentlich immer. Kurzer Monitor-Check auf der Bühne und Abfahrt! Überraschend mit „Silence is Consent“, der sich als Top-Opener herausstellte, beginnend, knüppelte und riffte man sich bei einem von Beginn an bombigen Sound quer durch die Bandhistorie, wobei das aktuelle Studioalbum „Genesis XIV“ lediglich mit „Sodom & Gomorrah“ berücksichtigt wurde. „Sodomy & Lust“ und „Agent Orange“ dürfen natürlich in keinem SODOM-Set fehlen, „Blasphemer“ ist frühester Kult, „Nuclear Winter“ eines meiner Lieblingsstücke, „Conflagration“ von der „Partisan“-EP ebenso wie der live besonders mächtig kommende „Caligula“ jüngeren Datums und „Equinox“ – neben „After the Deluge“ mein Favorit vom krachigen „Obsessed by Cruelty“-Langrillen-Debüt – eine Nummer, von der ich nie geglaubt hätte, sie mal live um die Ohren geballert zu kriegen. Ich liebe es, wie die aktuelle SODOM-Besetzung die Setlist immer wieder variiert und das musikalische Banderbe pflegt. Dem kürzlich bedauerlicherweise verstorbenen ex-THE-DAMNED-Bassisten und TANK-Gründer Algy Ward widmete die Band das „Don't Walk Away“-Cover, und Tom betonte, welch bedeutender Einfluss Algy und seine Musik auf ihn waren. Sehr schöne Geste; R.I.P., Algy! Der ins Steigerlied übergehende „Bombenhagel“ setzte den Schlusspunkt hinter diesen herrlich unprätentiösen Auftritt, bei dem SODOM ohne spektakuläre Show-Elemente oder Konfettiregen allem voran die Musik sprechen ließen. Frank Blackfire an der Klampfe tobte sich am Bühnenrand aus und suchte die Nähe zum Publikum, während Toni Merkel an den Drums seine Fills fast wie weiland Chris Witchhunter (R.I.P.) wirbelte. Yorcks zweite Gitarre sorgt für mehr Druck als früher in Trio-Besetzung und lässt erst gar keine Soundlücken entstehen. Über Fußball wollte Tom verständlicherweise nicht reden und über den hohen Festival-Bierpreis schüttelte er den Kopf. Das tat ich auch, war nun aber trotzdem so richtig in Trinklaune gekommen, brüllte begeistert die Refrains mit und feierte zusammen mit dem Großteil des Amphitheaters diese Institution des Ruhrpott-Thrashs, der alles andere als nur ein Ersatz war.
Jetzt sollte es eigentlich noch mal richtig feierlich werden: Die US-Thrasher TESTAMENT zählen zu den großen Vier in ihrem Segment und waren eine der allerersten Metal-Bands, die ich jemals zu hören bekommen hatte. Als kleinem Stöpsel von acht Jahren oder so hatte man mir u.a. ein paar Stücke von der „Live in Eindhoven“ überspielt; schon damals war ich hin und weg von Sänger Chuck Billys brachialem Organ und Alex Skolnick Gitarrenzusammenspiel mit Eric Peterson. „The Legacy“ zählt für mich bis heute zu den stärksten Thrash-Scheiben überhaupt. Dass die Band danach meines Erachtens stark nachgelassen hatte und in den unsäglichen 1990ern gar anfing, diese langweilige Groove-Zeug zu spielen – geschenkt. Dafür flashte mich die spät von mir entdeckte „Return to the Apocalyptic City“-Mini-LP noch mal so richtig, enthält sie doch die bestmögliche „Disciples of the Watch“-Liveversion überhaupt. Und „Dark Roots of Earth“ war dann doch noch mal ein richtig geiles Album der Neuzeit. Mein TESTAMENT-Bezug ist also durchaus von starken Liveaufnahmen geprägt. Umso ungläubiger war ich, als ich nach dem Rock-Hard-Festival 2014 (an dem ich nicht teilgenommen hatte) vom durch den eigenen Mischer völlig zergrützten TESTAMENT-Sound gelesen hatte. Von dem hatte man sich aber irgendwann getrennt, konnte also nur besser werden – sollte man meinen. Tatsächlich sollte dies mein erstes TESTAMENT-Konzert werden, meine Vorfreunde war entsprechend groß – auch wenn Phil Demmel von VIO-LENCE für Skolnick einspringen musste, weil dieser aus familiären Gründen passen musste. Über das Castle-Grayskull-Backdrop freute ich mich als alter MOTU-Fan noch, die Lightshow war auch fett, doch, oh Graus: Der Sound war unter aller Kanone. Zunächst flüsterleise, später ein einziger, heillos übersteuerter und höhenlastiger Brei. Wieder einmal wurde im Amphitheater kräftig die Rübe geschüttelt, jedoch von links nach rechts oder umgekehrt. Enttäuscht verließ ein beträchtlicher Teil des Publikum die Szenerie, ich hielt zumindest wacker bis zum Ende durch, ärgerte mich jedoch nur noch. Hinterher erfuhr ich, dass die Band wieder eigenes Personal ans Mischpult gelassen habe, diesmal eine Mischerin. Diese habe erst nach einer halben Stunde bemerkt, dass eine der Gitarren überhaupt nicht über P.A. lief, hat ohrenscheinlich aber so oder so in jeglicher Hinsicht versagt. Beim Headliner und der vermutlich kostspieligsten Combo des Festivals! Ich frage mich, wie die Festivalleitung das nach den Erfahrungen von vor neun Jahren zulassen hat können, warum man der Frau nicht wenigstens jemanden danebengesetzt hat, der sich mit der Location und der Anlage auskennt. Und wie man tatenlos 80 Minuten lang zuhören kann, wie der Sound des Hauptacts komplett in den Sand gesetzt wird. Besten Dank auch.
Kräftig angeheitert ging’s mit dem Bus zurück zur Unterkunft, in deren unmittelbarer Nähe noch ‘ne Hipster-Kneipe geöffnet hatte, die doch tatsächlich die Hamburger Astra-Industrieplörre als vermeintliches In-Getränk ausschenkte, bei den lokalen Marken aber wenigstens halbwegs zivile Preise aufrief. Am Stehtisch vor der Tür laberte ich einige Bierlängen lang mit ‘nem sympathischen Typen von einem Schalker Fan-Projekt und seinem Kumpel über Fußball, und es wurde spät…
Natürlich verschlief ich am nächsten Tag und schleppte ‘n Katerchen mit mir herum, sodass ich die deutschen US-Metaller IRON FATE verpasste, aber immerhin bei meiner Ankunft noch deren kompetent gezockte QUEENSRŸCHE-Coverversion „Walking in the Shadows“ vernahm. UNDERTOWs Groove-Metal ist überhaupt nicht meins, also suchte ich mir ein schattiges Plätzchen bei nach wie vor sengender Sonne und trank artig mein Mineralwasser aus. Für die Dresdner Band WUCAN gesellte ich mich aber vor die Bühne, denn die wollte ich mir dann doch mit möglichst voller Aufmerksamkeit geben – zwecks Urteilbildung, ist nämlich was Besonderes: Die Ende 2011 gegründete Band spielt eine Mischung aus Hippiemucke und Krautrock, Musik also, mit der man mich normalerweise jagen kann. Nach einem atmosphärischen Intro klang das bei perfektem Livesound aber irgendwie frisch statt miefig, was vor allem Frontfrau Francis geschuldet war, die ihre Musik mit einer derartigen Leidenschaft und Inbrunst in der glockenklaren Stimme interpretiert, dass es einen unweigerlich mitreißt – zumindest insoweit, dass man dem Spektakel gern beiwohnt, wenn die Multiinstrumentalistin zur Gitarre greift, die JETHRO-TULL-Flöte auspackt oder Klänge mit dem Theremin (!) erzeugt und dazu schlangenartig ihren in ein sommerlich knappes Outfit gehüllten Körper bewegt. Seit 2015 veröffentlichen WUCAN auch Tonträger, die Titel wie „Fette Deutsche“ enthalten – Humor ist nämlich auch mit von der Partie; ebenso ein Synthie, dessen Tasten Gitarrist Tim und Francis hin und wieder quetschen. Ein als Katerband nicht unangenehmes, sinnliches Retro-Musikerlebnis mit einer überragenden Frontfrau – wenngleich meine musikalischen Präferenzen dann doch etwas anders gelagert sind.
Tendenziell liegen diese eher bei den Niederländern LEGION OF THE DAMNED und ihrem Thrash mit Death-Einsprengseln, wenngleich ich einwenden muss, dass, so gut mir das Debüt auch gefiel, danach gefühlt oftmals „more of the same“, nur in nicht mehr ganz so geil, von ihnen kam. In guter Erinnerung ist mir aber noch der Abriss, den die Band vor ein paar Jahren im Hamburger Kulturpalast auf die Bühne gebracht hatte. Dieser Gig hier wurde nach Intro und Signature-Song „Legion of the Damned“ in seinem Fluss durch zahlreiche Intermezzi aus der Konserve immer wieder unterbrochen und die Bassdrum war mir etwas zu laut, bei Doublebass-Geballer wurde alles andere übertönt. Die flotteren Stücke waren aber grundsätzlich geiler Scheiß, „The Poison Chalice“ vom kommenden Album ist ‘ne starke Nummer (mit „Contamination“ gab’s einen weiteren Einblick ins neue Werk), Midtempo-lastiges Material brauche ich persönlich von dieser Band aber eher weniger und mit „The Widows Breed“ und „Malevolent Rapture“ vermisste ich zwei meiner Favoriten.
Also mal gucken, was ENFORCER heute so bringen. Auf die Schweden habe ich mich gefreut, da ich bisher keine schwache Show von ihnen gesehen haben. In ihrem Einheitsoutfit (scheint bei schwedischen Bands gerade im Trend zu liegen, vgl. SCREAMER) mit schwarzen Lederwesten auf nackter Haut sahen die Blondinen wie Vierlinge aus, wobei der Gitarrist einen der fiesesten Schnurries der Szene unter der Nase trägt. Von der reinen Speed-Metal-Lehre ist die Band, die in den 2000ern zu den jungen wilden Traditionalisten zählte, ja schon länger ab, wie auch ihr just veröffentlichtes Album „Nostalgia“ beweist. Hier und heute stand ihnen aber anscheinend der Sinn nach einem Best-of-Set, denn von der neuen LP gab’s lediglich „Coming Alive“ auf die Ohren, auch der umstrittene Vorgänger „Zenith“ kam, so glaube ich, mit nur einem Song zum Zuge. Als Intro hatte man sich JUDAS PRIESTs „Diamonds and Rust“-Coverversion ausgesucht und stieg mit „Destroyer“ rasant ein. Sänger/Gitarrist Olaf poste wieder, was das Zeug hielt, was manchmal (insbesondere bei der „Dieter-Bohlen-Faust“) etwas zu viel des Guten ist, aber die Band hatte Bock und eigentlich sprach alles für einen gewohnt energiegeladenen Auftritt des Quartetts – wenn denn Olafs Gesang adäquat abgemischt statt über weite Strecken zu leise gewesen wäre und es nicht ständig Probleme mit dem Drumsound gegeben hätte, bei denen auch der immer wieder auf die Bühne eilende Techniker nicht viel ausrichten konnte. Dafür fuhr man ein paar Pyros in Form von Sprühfunken auf und integrierte ein kleines Mitsingspielchen in „Take Me Out of This Nightmare“. Als ENFORCER nach zehn Songs von der Bühne gingen, war ich etwas enttäuscht, weil ich gern noch „Katana“ gehört hätte, doch der wurde erfreulicherweise noch als Zugabe nachgeschossen, gefolgt vom Fan-Favoriten „Midnight Vice“. Die Energie und Spielfreude waren wieder mitreißend, das Gesamterlebnis wurde aber vom suboptimalen Sound etwas getrübt.
Energie und Spielfreude sind auch gute Stichworte für TANKARD,
Alcoholic Thrash Metal aus Frankfurt am Main, Veteranen seit den ‘80ern und Wiederholungstäter auf dem RHF! Wie üblich machten Gerre & Co. bei „Rectifier“ ihre ersten Bühnenmeter und bereits beim darauffolgenden „The Morning After“ war ich im siebten Thrash-Himmel. Im weiteren Verlauf versuchte man sich an einem Spagat zwischen Oldschool-Klassikern und Hits jüngerer Alben, bei einer derart umfangreichen Diskografie kein einfaches Unterfangen. Das jüngste Album war mit „Ex-Fluencer“ und „Beerbarians“ vertreten, „Rules for Fools“ lud zum Tanzen ein, „A Girl Called Cerveza“ hat ihren Stammplatz im Set, „Chemical Invasion“ und „Zombie Attack“ standen stellvertretend für die ersten Alben – und natürlich der Rausschmeißer „(Empty) Tankard“, für den Gerre HOLY-MOSES-Sabina auf die Bühne holte, mit ihr tanzte und sang und sie als seine neue Verlobte vorstellte (nachdem er 30 Jahre lang an ihr herumgebaggert habe). Gratuliere! Zuvor hatte er bereits Dario aus Argentinien aus dem Publikum auf die Bühne gebeten,
„das einzige Groupie, das wir je hatten!“ Zu fast jedem Song hat Gerre das Veröffentlichungsjahr mitangesagt, dennoch war nach zwölf Stücken Sense, blieb also manch Jahrgang unberücksichtigt. Ich hätte locker noch ‘ne weitere Stunde zuhören können und der Stimmung vor der Bühne nach zu urteilen, war ich damit nicht allein. Dann halt demnächst im Kulturpalast, gelle?
Während der 20- bis 30-minütigen Umbaupausen schlenderte ich für gewöhnlich übers Gelände, suchte Schatten, aß etwas oder begab mich in den Biergarten, so auch jetzt – und dort fand schon den ganzen Nachmittag ‘ne großartige Party statt. Der DJ haute einen Klassiker von AOR bis Metal raus, auf seiner Bühne wurde Playback gepost, Crowdsurfing (!) zelebriert, von JOURNEY über BON JOVI bis zum AC/DC, OZZY OSBOURNE, JUDAS PRIEST und IRON MAIDEN wurde alles lauthals mitgesungen und von Kindern mit Hörschutz bis zum halbtauben Rentner feierten alle ausgelassen miteinander. Da bekam ich tatsächlich mehrmals Gänsehaut und hatte weitere magische Momente. Großartig! Draußen am Cocktail-Stand spielte übrigens ein Typ am „Heavy Metal Barpiano“ ebensolche Klassiker auf dem Klavier nach – auch nicht schlecht…
Dafür schliefen mir dann bei KATATONIA aus – mal wieder – Schweden nicht nur die Füße ein. Ihr Prog-Goth-Post-Metal-oder-was-weiß-ich-Gedöns war so dermaßen öde, dass ich mich fragte, wer auf die Idee gekommen war, ausgerechnet sowat als Co-Headliner am letzten Tag zu installieren. Nicht Wenigen schien’s aber zu gefallen, es sei ihnen gegönnt. Irgendwann hatte auch dieser Spuk sein Ende.
Je älter ich werde, desto mehr Gefallen finde ich an den gefühlvollen Melodien, die MICHAEL SCHENKER seiner Gitarre entlockt und mit seinen jeweiligen Bands in Hardrock- bis Metal-Gewänder kleidet. Wie unterhaltsam so ein MSG-Gig sein kann, weiß ich seit dem Rock-Hard-Festival 2015 (wo er unter MICHAEL SCHENKER’S TEMPLE OF ROCK firmierte), und sicherlich nicht ganz zu Unrecht gilt der spleenige Hannoveraner als einer der weltweit besten Gitarristen dieser Musiksparte. Insbesondere die Sängerposition wechselt bei ihm immer mal wieder oder er arbeitet für aktuelle Alben generell mit mehreren verschiedenen zusammen. An diesem Abend war es der Chilene Ronnie Romero, ein Ausnahmetalent, das Ritchie Blackmore entdeckt und daraufhin RAINBOW für einige Konzerte reaktiviert hatte. Schenker ließ seine Flying-V mit dem Instrumental-Klassiker „Into the Arena“ in der Abenddämmerung aufheulen und spielte im Anschluss „Cry for the Nations“, direkt gefolgt vom Jahrhunderthit „Doctor Doctor“, über dessen frühes Auftauchen im Set ich überrascht war, der aber die Party so richtig in Schwung brachte. Magischer Moment? Na klar! Insgesamt spielte die Band acht Songs aus Schenkers Zeit bei UFO, die verschiedenen MSG-Inkarnationen wurden also eher vernachlässigt. Dafür dürfte auf seine Kosten gekommen sein, wer auf UFO schwört und endlich mal wieder vom Maestro persönlich gespielte Klassiker wie „Lights Out“, „Shoot Shoot“ oder „Let It Roll“ hören wollte. Und Schenker war in Höchstform, hatte sichtlich Freude daran, auf dieser Bühne für dieses Publikum spielen zu können, nahm immer wieder Augenkontakt zu den Fans auf und lächelte. Nicht minder gut drauf war Romero, der den Songs mit seiner Stimme neues Leben einhauchte. Das war wirklich großes Hardrock-Entertainment und glücklicherweise stimmte auch der Sound. Wenn der Fellmütze tragende Schenker zwischen den Songs mal zum Mikro griff, um eine Ansage zu machen, machte er diese als Deutscher und Deutschland in englischer Sprache, worüber ich schon ein wenig schmunzeln musste. Tatsächlich aber lauschte auch manch ausländischer Musiker seiner Darbietung, neben mir fand sich z.B. plötzlich ENFORCER-Olaf mit seiner Freundin im Publikum. Vom aktuellen MSG-Album kam leider nur „Emergency“ zum Zuge, Songs wie „A King Has Gone“, „Yesterday is Dead“, „London Calling“ oder „Fighter“ hätte ich durchaus gern gehört, sowie natürlich den einen oder andere MSG-Klassiker aus den ‘80ern mehr. Zeit dafür wäre vielleicht gewesen, wenn Romero auf seine angeberischen, Freddie Mercury entlehnten Mitsingspielchen verzichtet hätte oder man anstelle der rekordverdächtig ausgedehnten „Rock Bottom“-Version eine gestraffte Fassung gespielt hätte. Sei’s drum – so oder so war der mit den UFO-Songs „Too Hot to Handle“ und „Only You Can Rock Me” endende Auftritt eine Sternstunde des Hardrocks, wie sie auch mir hin und wieder wirklich gut reinläuft. Ein würdiger Festivalabschluss, nach dem ich schnellstmöglich das Gelände verließ und meinen Absacker, ‘ne schöne, ehrliche Pulle Hansa für ‘nen Euro vom Kiosk, auf der Straße vor meiner Unterkunft trank. Und nach dem Ronnie Romero überraschend die Band verließ, anscheinend, um sich zukünftig verstärkt eigenen Projekten zu widmen. Das ist einerseits schade, andererseits aber kein wirkliches Problem für Schenker, der auf eine Vielzahl toller Rocksänger zurückgreifen kann und zurzeit die Tour mit Robin McAuley fortsetzt. Ich habe wenig Zweifel, dass das genauso gut wird.
Vieles Auftritte auf dem RHF 2023 waren toll, manche gar überragend. Der Sommerausbruch war nach einem bis dahin sehr durchwachsenen Frühling gerade recht gekommen, Sonne und Staub eine willkommene Abwechslung zu Regen, Sturm und Matsch. Dennoch habe ich das Festival mit gemischten Gefühlen verlassen. Insbesondere der vergurkte TESTAMENT-Gig wurmt mich, aber so ärgerlich er auch war, ist er nicht mein Hauptkritikpunkt. Dieser betrifft vielmehr die Preisgestaltung und das damit verbundene Finanzierungskonzept, wobei ich explizit
nicht den Ticketpreis von 125,- EUR meine, der für mich in Ordnung geht. Ich rede vielmehr von den Preisen für Verpflegung, die vor Ort aufgerufen werden. Der überwiegende Teil der Imbissbuden bewegte sich jenseits von Gut und Böse, ausgenommen vielleicht der Veggie-Stand. Ja, die Kosten sind allgemein gestiegen, die Inflation, der übliche Festivalaufschlag… Aber weshalb muss es letzteren überhaupt noch geben, gerade angesichts der grassierenden Inflation? Warum soll das normal und akzeptabel sein? Ja, ich könnte mich auch „einfach“ außerhalb des Geländes verpflegen; die Anführungszeichen deshalb, weil ich Zeiten abpassen müsste, in denen eine Umbaupause entsprechender Länge vorgesehen ist oder eine Band spielt, die mich nicht die Bohne interessiert. Ist eben die Frage, ob man das wirklich will. Aber auch das Essen ist letztlich gar nicht der ausschlaggebende Faktor. Es sind die Getränke. Ob billige Brausen der Cola-Cola-Company oder das lokale Industriebier Veltins – alles kostete für 0,4 Liter im Plastikbecher 5,- EUR (+ Pfand). Da gibt es nichts mehr zu diskutieren, das ist kackendreiste Inflationstreiberei. Und dann lässt einen der Sicherheitsdienst nicht einmal mit ‘nem im Innenraum gekauften Becher wieder rein, wenn er noch mit einem Getränk gefüllt ist - man hätte ihn ja mit einem anderswo günstiger erworbenen Gesöff auffüllen können. Natürlich muss ich mich nicht drei Tage am Stück betrinken – da will ich auch gar nicht. Natürlich könnte ich auch hier in den Pausen immer zum Fußball-Biergarten (s.o.) eilen oder mir wer weiß was für Strategien überlegen, um dieser Abzocke zu entgehen. Aber auch hier die Frage: Will ich das? Als Schüler, später Zivi, Azubi und dann erst mal Geringverdiener musste ich auf Konzerten in kommerziell ausgerichteten Läden und erst recht auf größeren Festivals immer sehr genau kalkulieren, rumknapsen oder Dosenbier schmuggeln. Als Erwachsener Mensch mit Vollzeitanstellung möchte ich das nicht mehr müssen, ohne dafür unterm Strich eine Summe einkalkulieren zu müssen, für die ich locker ‘ne Woche in den Erholungsurlaub am Meer fahren könnte. Da stimmen die Relationen nicht mehr. Für den gezielten Besuch eines IRON-MAIDEN-Konzerts oder etwas Vergleichbarem in dieser Größenordnung in einer Riesenhalle oder Arena kann ich das mal einen Abend lang machen, nicht aber drei volle Tage hintereinander. Und wurden da tatsächlich weit über 20 Öcken für ein Festival-Shirt aufgerufen?! Wie rechtfertigt man diesen Preis – und wer kauft so was?
Überhaupt, die Wahl der Verkaufsstände: Da bekam jemand mit einem völlig überflüssigen, ausladend großen Tattoo- und Piercing-Stand (Spitzenidee bei praller Sonne, Staub, Dreck und Alkoholgenuss!) den Zuschlag, woanders stierte eine Langnese-Verkäuferin Löcher in die Luft, weil niemand Eis am Stiel zum sechsfachen Ladenpreis bei ihr kaufen wollte. Die Ausstellung eines Artwork-Künstlers war ja grundsätzlich ganz nett, aber da gehste halt auch einmal durch und das war’s. Aber mal ein Plattenstand, wie damals der „Metal-Markt“? Ein Klamotten- und Nippes-Stand hatte zumindest CDs dabei, ansonsten komplette Fehlanzeige! WTF?! Dafür jede Menge Merchandise-Stände, vornehmlich mit Aufnähern, Shirts, Kapus etc. Klar, die gehören dazu – die meisten hatten dann auch wirklich alles da, bis zu FREI.WILD und BURZUM. Fickt euch, von mir bekommt ihr keinen Cent! Dafür weiß man aber, wo man ruhig mal etwas mitgehen lassen könnte, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen…
Dieser ganze entfesselte Kapitalismus innerhalb eines eigentlich subkulturellen Rahmens macht mich ganz krank. Sollte es tatsächlich keine anderen Möglichkeiten geben, derartige Veranstaltungen zu finanzieren, dürften von mir aus gern andere in die Bresche springen: die öffentliche Hand, um auch mal was anderes als die sog. Hochkultur zu subventionieren, oder auch Sponsoren. Nennt das Ding von mir aus „Engl-und-Teufel-Festival“ und deckelt die Getränkepreise. Ich verstehe da auch jene Fans nicht, die all das bereitwillig mitmachen oder schon wieder ohne jeden Anflug von Kritik ihren Besuch im nächsten Jahr ankündigen. Haben die Angst vorm Festivalsterben? Möglich. Vielleicht haben sie auch schlicht eine andere Schmerzgrenze. Meine jedenfalls ist überschritten. Generell rechnet sich das Konzept Kommerzfestival für mich nicht mehr und hat sich damit für mich erledigt. So gerne ich auch mehrmals am RHF teilgenommen habe und so sehr ich auch von „magischen Momenten“ zehre, zukünftig werde ich meine Energien – und Penunsen – wieder verstärkt in den Underground zu investieren versuchen, wo man nicht den Eindruck bekommt, dass das komplette Umfeld in erster Linie daran interessiert ist, einem mit unverschämtem Wucher den letzten Cent aus den Rippen zu leiern.
Bitte nicht missverstehen: Meine Kritik richtet sich lediglich in jenen Punkten an die Festivalleitung, auf die diese auch Einfluss hat. Derartige Preisexplosionen indes sind natürlich ein allgemeines Phänomen (nicht nur) im Festivalbereich- bzw. generell im Live-Bereich. Aber wie soll das weitergehen, wie will man so auch ein jüngeres Publikum anlocken, wie gegensteuern, um am Ende nicht doch irgendwann nur noch Luxus-Events für wenige Privilegierte zu veranstalten, bei denen der Großteil der Fans in die Röhre guckt…? Und zwar gar nicht mal wegen des Ticketpreises, sondern des unbezahlbar gewordenen Drumherums... Ich hoffe, ich konnte mit meinem Festivalbericht meinen gemischten Gefühlen halbwegs nachvollziehbar Ausdruck verleihen.
P.S.: Meine Fotos sind einfache Schnappschüsse, die meisten mit wenig Motivation, mich dafür bis ganz nach vorn durchzudrängeln, entstanden. In den Fotogräben und generell auf dem Gelände waren mehrere professionelle Fotografinnen und Fotografen unterwegs, deren Bilder sich vielfach im Netz finden. Bei Interesse einfach die bevorzugte Suchmaschine anwerfen oder in den sozialen Medien kieken.
Reich bebildert auch hier:
https://www.pissedandproud.org/26-28-05 ... ival-2023/