Re: Nackt und zerfleischt - Ruggero Deodato (1980)
Verfasst: Sa 29. Dez 2018, 10:16
European Genre Cinema
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Wobei mir die Anmerkungen erlaubt sei, dass es derartige Journalisten auch auf extrem linker Seite oder, wo sie möglicherweise am gefährlichsten agieren, auf vermeintlich politisch neutralem Boden gibt. Auch Yates und sein Team scheinen ja keine politische Agenda bei ihren Bild- und Publikums-Manipulationen zu verfolgen, sondern sind primär interessiert an sensationellen Schauwerten. Ich kann mir gut vorstellen, dass Yates in der Lage ist, sich geschmeidig wie eine Eidechse an die jeweiligen politischen Kontexte anpassen: Er könnte Schockumentaries sowohl unter Pol Pot, unter Idi Amin oder unter der Ägide des Islamischen Staates drehen.
Auch hier sei mir ein leiser Widerspruch erlaubt, (wobei nicht gesagt sein soll, dass ich es für illegtim halte, Deodato die fraglichen Szenen vorzuwerfen ): Für mich ist der Tiersnuff tatsächlich integraler Bestandteil von Deodatos Konzept. Auf einer referentiellen Ebene unterstreicht er natürlich die Bezugnahme CANNIBAL HOLOCAUSTs auf das Mondo-Kino, das der Film teilweise offen zitiert, dessen Methoden gerade im Umgang mit Szenen des Tötens und Sterbens jedoch immer wieder kritisch hinterfragt. Andererseits stellt die Tatsache, dass wir lebenden Tieren bei ihrem Ableben zuschauen, uns als Betrachter vor ein ethisch-moralisches Dilemma: Die rein fiktionalen Tode der menschlichen Akteure werden gekoppelt an Tode, die sich nicht allein auf die innerfilmische Wirklichkeit beschränken, wobei in einem eigenartigen zirkulären Kreislauf das eine das andere sowohl in seiner Intensität verstärkt genauso aber auch dazu dienen kann, uns die Lust am nur inszenierten Tod zu nehmen, weil wir ständig im Hinterkopf haben, dass der Film es dabei nicht belassen hat. Deodatos "genialster" Schachzug ist aber für mich folgender: Es wäre ja ein Leichtes gewesen, den Tiersnuff allein auf Yates' "Green-Inferno"-Footage zu beschränken. Dann wäre auf einer Meta-Ebene zwar immer noch klar gewesen, dass Deodato als Regisseur von CANNIBAL HOLOCAUST hinter den Szenen steckt; trotzdem wären sie aus dem moralisierenden Monroe-Narrativ ausgelagert gewesen, und eingekapselt in Segmente, die innerhalb des Films stets als etwas Kritikwürdiges, etwas Verwerfliches, etwas rein schon von ihrer Ästhetik her "Anderes" markiert sind. Die allererste Tiersnuff-Szene allerdings findet im Spielfilm-Strang um Professor Monroe statt, und stellt für mich auch die am schwierigsten anzuschauende dar: Dieser kleine Nasenbär leidet wirklich schreckliche Todesqualen, während man ihm mit einem Messer im Hals herumstochert. Damit nimmt sich CANNIBAL HOLOCAUST selbst nicht aus der Medienkritik aus, die er sich auf die Fahne geschrieben hat, - was wiederum ein Zirkelschluss ist, aus dem es gar keinen Ausbruch geben kann: Deodato stellt kluge und richtige Frage an unseren Umgang mit Medien, mit medialer Gewalt, mit Fiktion und Realität, - und beantwortet sie selbst auf die denkbar verurteilenswürdigste Weise. Das ist heuchlerisch, doppelmoralisch, - oder aber ein sehr brachialer Weg, das Publikum, das sich freiwillig entscheidet, sich einen Film mit dem sprechenden Titel CANNIBAL HOLOCAUST überhaupt zu Gemüte zu führen, mit sich selbst zu konfrontieren.
Wie wahr, wie wahr. Darum auch zu Beginn der Bezug auf Claas Relotius - Ich hatte über 20 Jahre die Zeitschrift GEO im Abo, und GEO ist natürlich jenseits von Gut oder Böse einfach ein Magazin, dem man als Leser rückhaltlos vertrauen kann. Das Wissen, dass ein Reoltius hier Unsinn verbreitet und man das, weil man der Zeitschrift ja vertraut, vorbehaltlos schluckt, ist erschreckend. Es gilt also, dass man vor einem angesehenen Medium, das (unbewusst) Lügen verbreitet, tatsächlich mehr Angst haben muss als vor Medien, denen von vornherein der Ruf des SChunds anhaftet. Denn Hand aufs Herz: Wer von uns könnte jederzeit einen Alan Yates erkennen?Salvatore Baccaro hat geschrieben: ↑Do 12. Nov 2020, 10:14Wobei mir die Anmerkungen erlaubt sei, dass es derartige Journalisten auch auf extrem linker Seite oder, wo sie möglicherweise am gefährlichsten agieren, auf vermeintlich politisch neutralem Boden gibt.
Ein hochinteressanter Ansatz, dem ich sehr gut folgen kann: Wenn Du Zuschauer bereit bist, Dich am (illusorischen) Tod von Menschen zu ergötzen, dann kannst Du auch den (realen) Tod von Tieren ertragen. Vielen Dank für diesen wunderbaren leisen Widerspruch, der dem Film noch einmal mehr Tiefe gibt.Salvatore Baccaro hat geschrieben: ↑Do 12. Nov 2020, 10:14Auch hier sei mir ein leiser Widerspruch erlaubt, (wobei nicht gesagt sein soll, dass ich es für illegtim halte, Deodato die fraglichen Szenen vorzuwerfen ): Für mich ist der Tiersnuff tatsächlich integraler Bestandteil von Deodatos Konzept. Auf einer referentiellen Ebene unterstreicht er natürlich die Bezugnahme CANNIBAL HOLOCAUSTs auf das Mondo-Kino, das der Film teilweise offen zitiert, dessen Methoden gerade im Umgang mit Szenen des Tötens und Sterbens jedoch immer wieder kritisch hinterfragt. Andererseits stellt die Tatsache, dass wir lebenden Tieren bei ihrem Ableben zuschauen, uns als Betrachter vor ein ethisch-moralisches Dilemma: Die rein fiktionalen Tode der menschlichen Akteure werden gekoppelt an Tode, die sich nicht allein auf die innerfilmische Wirklichkeit beschränken, wobei in einem eigenartigen zirkulären Kreislauf das eine das andere sowohl in seiner Intensität verstärkt genauso aber auch dazu dienen kann, uns die Lust am nur inszenierten Tod zu nehmen, weil wir ständig im Hinterkopf haben, dass der Film es dabei nicht belassen hat. Deodatos "genialster" Schachzug ist aber für mich folgender: Es wäre ja ein Leichtes gewesen, den Tiersnuff allein auf Yates' "Green-Inferno"-Footage zu beschränken. Dann wäre auf einer Meta-Ebene zwar immer noch klar gewesen, dass Deodato als Regisseur von CANNIBAL HOLOCAUST hinter den Szenen steckt; trotzdem wären sie aus dem moralisierenden Monroe-Narrativ ausgelagert gewesen, und eingekapselt in Segmente, die innerhalb des Films stets als etwas Kritikwürdiges, etwas Verwerfliches, etwas rein schon von ihrer Ästhetik her "Anderes" markiert sind. Die allererste Tiersnuff-Szene allerdings findet im Spielfilm-Strang um Professor Monroe statt, und stellt für mich auch die am schwierigsten anzuschauende dar: Dieser kleine Nasenbär leidet wirklich schreckliche Todesqualen, während man ihm mit einem Messer im Hals herumstochert. Damit nimmt sich CANNIBAL HOLOCAUST selbst nicht aus der Medienkritik aus, die er sich auf die Fahne geschrieben hat, - was wiederum ein Zirkelschluss ist, aus dem es gar keinen Ausbruch geben kann: Deodato stellt kluge und richtige Frage an unseren Umgang mit Medien, mit medialer Gewalt, mit Fiktion und Realität, - und beantwortet sie selbst auf die denkbar verurteilenswürdigste Weise. Das ist heuchlerisch, doppelmoralisch, - oder aber ein sehr brachialer Weg, das Publikum, das sich freiwillig entscheidet, sich einen Film mit dem sprechenden Titel CANNIBAL HOLOCAUST überhaupt zu Gemüte zu führen, mit sich selbst zu konfrontieren.
jogiwan hat geschrieben: ↑Mo 4. Jan 2021, 18:27 Fundstück des Tages:
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