bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Polizeiruf 110: Thanners neuer Job

Ick bin kein Berliner

„Willkommen in der Hauptstadt!“

Der erste „Polizeiruf 110“ des Ostberliner Regisseurs Bodo Fürneisen („Die Weihnachtsgans Auguste“), die im Sommer 1991 gedrehte und kurz vor Weihnachten 1991 erstausgestrahlte Episode „Thanners neuer Job“, war nicht nur eine der letzten Produktionen des DDR-Fernsehens DFF, sondern auch der letzte Einsatz des langjährigen Hauptkommissars der DDR-Krimireihe Peter Fuchs: Schauspieler Peter Borgelt nahm nach diesem Fall seinen Hut. Zudem handelt es sich nach „Unter Brüdern“ um das zweite „Tatort“/„Polizeiruf 110“-Crossover: Kripo-Kommissar Christian Thanner (Eberhard Feik), langjähriger Ermittler in Duisburg an der Seite Horst Schimanskis, trifft hier erneut auf seine Ostberliner Kollegen.

„Er ist’n Kamerad, der treu zu uns steht!“

Ostberlin, Juli 1991: Zwei Schläger schlagen den jugendlichen Helmut (Jens Knospe, „Die Jungen von St. Petri“) zusammen und fesseln ihn an einen Stuhl. Gefunden wird er von zwei Nazi-„Skins“, die sich seiner an- und ihn in ihre Neonazigruppe aufnehmen, der der gutbürgerliche Druckereibetreiber Wilfried Ortner (Wolf Roth, „Plutonium“) vorsteht. Während die Ostberliner Kripo Amateurvideos von einem Neonazi-Überfall auf einen Jugendclub untersucht und die Kampfsportgruppe der Rechtsextremisten observiert, bekommen sie den Duisburger Hauptkommissar Christian Thanner als neuen Arbeitsgruppenleiter vorgesetzt: Er soll den Ostberliner Kollegen mit seiner Expertise vorübergehend unter die Arme greifen, wird jedoch nicht gerade mit offenen ebensolchen empfangen: Ein Besserwisser aus dem Westen hat ihnen gerade noch gefehlt… Zuvor überrumpelte Thanner bereits eine Berliner Bekannte und Kriminaloberkommissar Thomas Grawe (Andreas Schmidt-Schaller) mit seiner unangekündigten Ankunft. Und Thanner bekommt gleich mehr zu tun, als ihm lieb ist: Die Jungnazis Kalle (Thomas Lawinky, „Hass im Kopf“) und Helmut überfallen ohne Absprache mit Ortner eine Sparkassenfiliale, um „Geld für die Bewegung“ zu erbeuten. Daraus entwickelt sich eine Geiselnahme, im Zuge derer sich Kriminalhauptkommissar Peter Fuchs gegen die Geiseln austauschen lässt und fortan in Lebensgefahr schwebt, denn insbesondere Kalle scheint zu allem entschlossen…

„Ich kann die Ossis zurzeit schwer ertragen!“

Thomas Lawinky, der bereits im „Polizeiruf 110: Zerstörte Hoffnung“ in einer optisch ebenfalls an einen Skinhead angelehnten Nebenrolle zu sehen und eine Zeit lang auf diesen Typus abonniert war, mimt hier in Kalle den Klischee-Bonehead, wie er damals vielerorts tatsächlich der Realität entsprach: Dumm wie Bohnenstroh und mit peinlich baumelnden Schleifen in den Stiefeln herumlaufend, aber skrupellos und brutal und irgendwelchen Politkaspern hörig. Helmut ist eher der Typ, der froh ist, eine Gemeinschaft gefunden zu haben und sich an Kalle und Konsorten dranhängt, jedoch nicht ganz so doof und vor allem sensibler ist, sodass er irgendwann erkennt, in welchen Mist er sich hineingeritten hat – und dass er einen gefährlichen Soziopathen um sich hat. Zu Beginn zeigen sich Lawinky und die sexy hergerichtete Cathlen Gawlich („Tatort: Buntes Wasser“) als vögelndes Pärchen sogar kurz hüllenlos. Schnell allerdings dominiert die Gewalt in diesem „Polizeiruf“, der in erster Linie Kalle und den bei einem Schusswechsel mit der Polizei angeschossenen Helmut auf der Flucht und in Verstecken zeigt. Immer dabei: Kommissar Fuchs, der einiges einstecken muss und menschenunwürdig behandelt wird.

„Abwickeln, was sonst!“

Das alles ist wirklich gut geschauspielert – insbesondere Borgelt gibt noch einmal alles – und spannend inszeniert, eine Eskalation liegt stets in der Luft und da es sich um Fuchs‘ letzten Fall handelt, ist sein Ableben nie auszuschließen. Ein moderner, mal dramatischerer, mal rockigerer, aber fast immer ziemlich gut passender Soundtrack trägt seinen Teil dazu bei, die Publikumsaufmerksamkeit an den Film zu binden. Mindestens ebenso bemerkenswert ist es jedoch, wie gut es gelang, den auf die Wende-Euphorie gefolgten „Wiedervereinigungs“-Frust abzubilden, der bereits kurz nach dem Anschluss der DDR an die BRD in den neuen Bundesländern um sich griff. Vieles veränderte sich zum Negativen, Betriebe schlossen, Massenarbeitslosigkeit war die Folge, neonazistische Propaganda aus dem Westen fiel auf fruchtbaren Boden und infiltrierte orientierungslos gewordene Dummbatzen. Hier ist es Ortner, der in seiner Druckerei Nazipropaganda druckt, sich gegenüber der Kripo aber auf Meinungsfreiheit beruft. Von der Tat seiner beiden Schützlinge ist er wenig begeistert, zumal sie dafür seinen Passat entwendet haben. Die Beute reißt er trotzdem gern an sich. Ein Sportlehrer war früher Sozialist, ist jetzt ebenfalls Faschist, die braune Seuche krallt sich einen nach dem anderen.

„Deutschland, einig Vaterland…“

Der Fluchtwagen der Bankräuber ist noch ein Wartburg, die DDR gerade erst ein Jahr Geschichte – und doch erkennt die Polizei ihr Ostberlin kaum wieder. Nachdem die Kriminalitätsrate in der DDR sehr gering war, muss man sich nun nicht nur mit Kapitalverbreche(r)n herumschlagen, sondern auch noch mitansehen, wie der Nazi-Nachwuchs den eigenen Chef entführt, misshandelt und demütigt und einem auf der Nase herumtanzt. Und dann ist da ja noch der Klugscheißer aus dem Westen, mit dessen Hilfe man den Spuk nach einem dramatischen Finale zwar fürs Erste beenden konnte, dem Fuchs am Ende aber gern das Feld überlässt. Dieser ganze Mist hat nichts mehr mit dem zu tun, wofür man zu DDR-Zeiten ausgebildet worden war. Ob Fuchs‘ Abgang am Ende dieses „Polizeirufs“ nach 85 Einsätzen ein Zeichen von Stolz und Selbstachtung oder eine Geste der Kapitulation vor den neuen Verhältnissen ist, obliegt der Interpretation der Zuschauerinnen und Zuschauer. Ein starkes Zeitporträt ist „Thanners neuer Job“ so oder so.

Thanner kehrte nach Duisburg zurück und fand sich noch einmal an Schimanskis Seite im „Tatort: der Fall Schimanski“ ein, bevor auch dort erst einmal Schluss war. Der Deutsche Fernsehfunk stellte seinen Betrieb neun Tage nach Ausstrahlung dieses „Polizeirufs“ ein. Ob Jens Knospes Rollenname „Helmut“ ein Zufall war…?
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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American Teens

„Ich kann Hitze nicht ertragen!“

Der Erfolg der College-Komödie „Animal House“ alias „Ich glaub', mich tritt ein Pferd“ aus dem Jahre 1978 zog diverse Trittbrettfahrer nach sich, die Landis‘ Film plagiierten oder entstellten; so war nicht nur ein Komödien-Subgenre geboren, sondern auch die Collegeploitation. Mit „H.O.T.S.“ alias „American Teens“ war US-Regisseur Gerald Seth Sindell („Teenager”) ein Jahr später am Start und machte aus dem College-Sujet einen typischen „Tits & Ass“-Film mit ein paar Oben-ohne-Playmates.

Die aus einfacheren Verhältnissen stammenden jungen Frauen eines US-Colleges haben es satt, sich von den Mitgliedern der elitären Pi-Verbindung verhöhnen und verschmähen zu lassen, weshalb sie kurzerhand eine eigene Schwesternschaft gründen: Die „Help Out The Seals“, kurz: „H.O.T.S.“ sind geboren und lassen es ordentlich krachen! Jedoch mischen sich zwei entflohene, im H.O.T.S.-Haus ihre Beute versteckt habenden Bankräuber unter die Studierenden, außerdem eine Robbe, ein Bär und ein Mensch im Roboterkostüm…

Es beginnt direkt mit ein paar nackten Mädels in der Umkleide, geht irgendwann über in eine große H.O.T.S.-Party, die parallel zur spießigen Pi-Feier stattfindet, auf der die H.O.T.S. einige Streiche spielen, einem büstenhalterfreien Fallschirmsprung, eine in Zeitlupe wiedergegebene erotische Poolszene, einen Wet-T-Shirt-Contest, Catfights, Sahne„kuchen“verkauf und Discotanz sowie eine Gesangseinlage, bis hin zum großen Höhepunkt, auf den alles hinausläuft: eine Football-Partie nach Strippoker-Prinzip, bei der sich das zurückliegende Damenteam nach und nach seiner Kleidung entledigen muss. Ach ja, und mittendrin laufen ein paar Tiere und ein Roboter herum, und die Gangster versuchen, an ihre Beute zu kommen.

Eine zusammenhängende Handlung ist kaum auszumachen, dürfte auch kaum intendiert gewesen sein. Im Mittelpunkt stehen junge attraktive Frauen (inkl. einer Quotendicken) in knappen Klamotten oder gleich gar keiner Bekleidung. Zumeist beschränkt man sich dabei auf entblößte Oberkörper, Softsex-Szenen spielen eine untergeordnete Rolle. So geben sich mehrere Playmates ein Stelldichein, aber auch damals bekanntere Schauspieler wie Danny Bonaduce („Die Partridge-Familie“) beteiligten sich an diesem Unfug aus albernem, pubertärem Humor und Klamauk, der nie lustig, dafür unfreiwillig komisch ist. Aber die Rechnung ging anscheinend auf, insbesondere das US-amerikanische Publikum schien darauf abzufahren. Dass sich „American Teens“ auch über Frauen lustig macht, die nicht ins präsentierte Schönheitsideal passen, konterkariert das vordergründige Konzept, eine Gruppe Unterprivilegierter – hier die Playmates – gegen eine versnobbte, elitäre Gruppe aus der Oberschicht antreten zu lassen. Letztlich vermittelt der Film damit: Wenn du schon keine Kohle hast, sei wenigstens hübsch.

Aus heutiger Sicht ein kurioses Relikt aus einer längst vergangenen Zeit, dessen Gehalt nicht der Rede Wert ist, zumindest sein Versprechen einlöst, die Möpse hüpfen zu lassen, aber leider die – insbesondere verglichen mit heutigen Prüderie-, Schönheitschirurgie- und Bildbearbeitungsgewohnheiten – bisweilen erfrischende, freizügige Natürlichkeit seiner Darstellerinnen unter dümmlichem Idiotenhumor erstickt.
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Wacko... da wackelt die Bude

„Halloween war immer die tollste Zeit des Jahres für mich!“

Schon lange vor „Scary Movie“ existierten komödiantische Horrorfilm-Parodien. Ein früher Vertreter der Slasher-Persiflage ist US-Regisseur Greydon Clarks („Alien Shock“) im Jahre 1982 ein paar Monate nach dem ähnlich gelagerten „Was macht der Tote auf der Wäscheleine?“ veröffentlichter „Wacko... da wackelt die Bude“.

„Ich mäh' nur den Rasen, mein Kind...“

Dreizehn Jahre ist es her, dass die damals vierjährige Mary Graves (Julia Duffy, „Night Warning“) Zeugin eines abscheulichen Verbrechens wurde: Im Vorfeld der Halloween Prom Night wurden ihre große Schwester und deren Freund von einem Psychopathen, der seinen Kopf unter einem großen Kürbis verbarg, mit einem Rasenmäher grausam ermordet! Nun möchte Mary mit ihrem Freund Norman Bates (Scott McGinnis, „Einsatz Petticoat“) selbst am Halloween-Schulball teilnehmen, doch der Kürbiskopfkiller scheint zurückgekehrt zu sein und Jagd auf Mary zu machen. Polizist Dick Harbinger (Joe Don Baker, „Die Meute“), ebenfalls traumatisiert von den damaligen Ereignissen, lag mit seinen düsteren Vorahnungen richtig, nur will ihm niemand Glauben schenken. Als der Schulball seinen Warnungen zum Trotz stattfindet, hinterlässt der Mörder eine blutige Spur…

„Doctor ist mein Vorname! Ich habe nie einen Doktortitel erworben.“

Bereits der Vorspann entpuppt sich als Persiflage auf John Carpenters „Halloween“, im Anschluss berichtet Mary zunächst aus dem Off von den dreizehn Jahre zurückliegenden Bluttaten. Nacheinander werden die einzelnen Figuren vorgestellt: Marys notgeiler Vater Doctor Graves (George Kennedy, „Die Zwangsjacke“, später: „Die nackte Kanone“), der ständig seine Tochter bespannt, seine Frau (Stella Stevens, „Der verrückte Professor“), die Scream Queens parodiert, indem sie zu jedem Anlass kreischt, der fette schmuddelige Detective, der ein beachtliches Waffenarsenal hortet, Marys Freund Norman, der bei Erregung immer grunzen muss, und Tony Schlongini (Andrew Dice Clay, „Police Patrol – Die Chaotenstreife vom Nachtrevier“), gegen den selbst ein Vinnie Barbarino aus „Saturday Night Fever“ alt aussieht.

Detective Harbinger durchbricht die vierte Wand und spricht direkt zum Publikum, um eine Rückblende zu den dreizehn Jahre alten Verbrechen einzuläuten. Zurück in der Gegenwart referenziert „Wacko…“ neben den (Proto-)Slashern „Psycho“, „Halloween“ und „Prom Night“ auf diverse Genrefilme, von „Der Exorzist“ (Schlongini macht einen Regan-Move) und „Das Omen“ (Marys gruseliger kleiner Bruder heißt Damien) über „Die Insel des Dr. Moreau“ (ein Schuldoktor namens Moreau verwandelt Menschen in Tiere) und „Der Elefantenmensch“ (der schaut auch mal kurz vorbei) bis hin zu Ridley Scotts „Alien“, wofür Norman Bates gegen Ende noch einmal herhalten muss, nachdem seine mumifizierte Mutter zuvor bereits als Bauchrednerpuppe zum Einsatz kam. Und in einem Football-Match treten die Hitchcocks gegen die De Palmas an…

Nach ungefähr einer Dreiviertelstunde wird ein Verdächtiger nach dem anderen etabliert, auf den ersten Gegenwartsmord durch die Kürbisrübe muss man jedoch eine Stunde warten. Dann geht’s Schlag auf Schlag, jedoch nie mit einem Rasenmäher. Gegen Ende folgt die obligatorische Enttarnung des Unholds, doch das ist im Prinzip alles Makulatur: „Wacko…“ setzt weniger auf eine stringente Handlung denn vielmehr auf Wortwitz und Klamauk sowie reihenweise alberne Gags, als einziger roter Faden fungiert, dass man den Rasenmähermörder immer mal wieder kurz in den Dialogen aufgreift – das hat mehr Alibifunktion als alles andere. Neben ein paar Autostunts und -crashs finden sich durchaus einige gelungene Späße im bunten, zuweilen an ZAZ-Produktionen erinnernden Reigen – beispielsweise eine darauf hinweisende Texttafel, dass die folgende Traumsequenz nichts mit dem Film zu tun habe –, und als Filmfreak macht es naturgemäß Laune, alle Zitate und Referenzen zu erkennen und zuweisen zu können. So sympathisch all das auf den ersten Blick auch anmuten mag, so oberflächlich fiel die Auseinandersetzung mit dem Slasher-Subgenre doch aber letztlich aus. Viele Gags sind ihrer hohen Frequenz und ihren Pointen derart flach, dass sie in ihrem Buhlen um die Zuschauergunst aufdringlich wirken und ihnen zugleich die selbstironische Distanz fehlt, andere erweisen sich gänzlich als Rohrkrepierer.

Andererseits verfügt „Wacko…“ über ein namhaftes Darstellerensemble, das sich für nichts zu schade und mit Verve bei der Sache ist. Wäre es gelungen, den Humor pointierter zu gestalten und einzusetzen sowie die eigentliche Geschichte stärker zu gewichten, hätte Clarks Film eventuell sowohl als Slasher-/Horror-Hommage als auch als augenzwinkernde Parodie funktioniert. So bleibt es zumindest bei einem den parodierten Topoi eher despektierlich gegenüberstehenden Versuch, der in die erweiterte Slasher-Sammlung gehört, sich dort als Kuriosität einreiht und nicht zuletzt einen historisch interessanten Mosaikstein in der Entwicklung der Horror-Spoofs darstellt.
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Was macht der Tote auf der Wäscheleine?

„Im letzten Jahr wurden 26 Horrorfilme herausgebracht. Keiner von ihnen machte Verlust.“

Schon lange vor Meta-Horror à la „Scream“ oder Spoof-Reihen wie „Scary Movie“, um genau zu sein: bereits Anfang der 1980er, grassierte eine kleine Welle an Horrorfilmparodien, die sich auf komödiantische Weise insbesondere auf den damaligen Slasher-Trend eingeschossen hatten. Neben „Samstag, der 14.“, „Freitag, der 713.“ und „Wacko… da wackelt die Bude“ zählt auch die US-Produktion „Student Bodies“, in Deutschland blumig „Was macht der Tote auf der Wäscheleine?“ betitelt, aus dem Jahre 1981 dazu. Für Buch und Regie zeichnet Mickey Rose verantwortlich, der zuvor mehrfach mit Woody Allen zusammenarbeitete („Bananas“, „What’s Up Tiger Lilly?“ und „Woody der Unglücksrabe“). Als Co-Regisseur wird Michael Ritchie aufgeführt, der offenbar zunächst den Regie-Job innehat, sich dann aber mit Rose überworfen haben muss, sodass dieser den Film fertigstellte.

„Wenn ich noch einen einzigen Horrorfilm sehe, wird mir übel!“

Der schwer atmende „The Breather“ (Jerry Belson, „Modern Romance – Muss denn Liebe Alptraum Sein?“) geht an einer US-amerikanischen Highschool um und tötet bevorzugt junge, sexuell aktive Pärchen. Dabei greift er meist zu sehr unscheinbaren Mordwerkzeugen, was Rückschlüsse auf seinen Geisteszustand gestattet. Die Suche nach dem Täter gestaltet sich dennoch schwierig, da eigentlich alle an der Schule kräftig einen an der Waffel haben. So gerät früher oder später jeder in Verdacht, was sich die keusche Toby (Kristen Ritter) jedoch nicht bieten lassen will und sich entschließt, auf dem bevorstehenden Abschlussball als Lockvogel für den „Breather“ zu fungieren…

Slasher-typisch begegnet man dem keuchenden Unhold in dessen Point-of-View-Perspektive, eine Babysitterin, ein obszöner Anrufer sowie diverse False Scares sind weitere vielbemühte Subgenremotive, um nicht zu sagen: Klischees, die „Student Bodies“ persifliert, später kommen Teenie-Standards wie ein Footballspiel und der Schulball mit obligatorischer Tanzszene hinzu. Das schräge Figurenensemble reicht vom Werklehrer mit seiner Obsession für Pferdekopfbuchstützen über den Schulpsychologen Dr. Sigmund (Carl Jacobs), der eigentlich selbst auf die Couch gehört, und den wenig vertrauenserweckenden Rektor Peters (Joe Talarowski) bis zum kretinoiden Hausmeister. Die Mutter, die besagte Babysitterin beauftragt hatte, ist die Scream Queen des Films, kreischt sie doch wann immer sie sich aufregt. Ein „Body Counter“ zählt aus dem Off die Opfer des Killers, diverse Texteinblendungen versorgen die Rezipierenden mit überflüssigen Informationen, ebenso ein die Jugendfreigabe erläuternder Sprecher. Und zwischendurch fragt der Mörder sein Publikum per Voice-over, wer er wohl sein könnte – und stellt noch mal alle Verdächtigen vor.

Die Exposition ist dann auch tatsächlich grandios, Pferdekopfbuchstützen als Mordwaffen hatte die Welt bis dahin wohl auch noch nicht gesehen, einen Blindenhund (Casine) am Steuer sicherlich ebenfalls eher selten. Schön auch, dass es sich bei den Hauptverdächtigen innerhalb der Handlung (Toby) und fürs Publikum (der Werklehrer) um zwei ganz unterschiedliche Figuren handelt. Tobys Gespräch mit Dr. Sigmund (na klar!) ist derart mit Gags gespickt, dass man sich fragt, wie die Schauspielerin und ihr männliches Gegenüber – übrigens innerhalb eines kompletten No-Name-Casts – dabei ernstbleiben konnten? Damit erinnert der Humor an ZAZ-Produktionen, wenn auch nicht durchgehend: Vollkommen absurde, herrlich schwachsinnige Situationskomik paart sich mit Klamauk und etwas Furzhumor, kann jedoch die anfänglich hohe Gagdichte nicht halten. „Student Bodies“ verflacht zusehends und wirkt dadurch bald beliebig, was in Langatmigkeit resultiert. Dabei spielt es dann auch keine Rolle mehr, was man von der dann noch einmal alles ad absurdum führenden Schlusspointe hält. Es beschleicht einen das Gefühl, dass „Student Bodies“ als 30- bis 45-minütiger Kurzfilm eine bessere Figur gemacht hätte.

Aber: So despektierlich sich Roses Film dem Stalk’n’Slash-Subgenre auch gegenüber verhält (und damit sicherlich etwas humorlosere Fans vergrätzt), so wird doch trotzdem stärker als in anderen Genre-Spoof-Produktionen deutlich, worauf die humoristisch verpackte Kritik abzielt. „Student Bodies“ nimmt recht eindeutig nicht den Slasher-Film an sich aufs Korn, sondern dessen Exploitation durch Filmproduzenten und deren Mechanismen, nach erfolgreichen Subgenre-Vorreitern den Markt mit billigen Epigonen zu überfluten und innerhalb kürzester Zeit in kreativer Hinsicht totzureiten. Das erklärt die Angriffslust, die Roses Film zeitweise an den Tag legt, und macht „Was macht der Tote auf der Wäscheleine?“ zweifelsohne zu einem filmhistorisch interessanten Branchenkommentar – der nicht zuletzt für ein besonders schönes Filmplakat gut war.
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Frankensteins Todesrennen

„Heute gehört uns Kalifornien und morgen die ganze Welt!“

Mitte der 1970er ließ Low-Budget- und B-Movie-Experte Roger Corman 300.000 $ springen, um eine auf Ib Melchiors Kurzgeschichte „The Racer“ basierende satirische Dystopie schreiben und von US-Regisseur Paul Bartel („Endstation Horror“, „Cannonball“) inszenieren zu lassen: „Death Race 2000“ alias „Frankensteins Todesrennen“ kam 1975 in die Kinos – und machte keine Gefangenen.

„…für ein neues Zeitalter des Überflusses auf dem fruchtbaren Felde einer privilegierten Minderheit.“

Finanzkrise und Militärputsch haben die USA dahingerafft, an ihre Stelle trat die autokratische Diktatur der „Vereinten Provinzen“. Ihr Präsident (Sandy McCallum) unterhält sein Volk mit dem jährlich stattfindenden „transkontinentalen Straßenrennen“ von der Ost- an die Westküste, bei dem die Fahrerinnen und Fahrer in ihren Kampfboliden nicht nur schneller als die Konkurrenz sein, sondern auch fleißig Passanten überfahren müssen, um Punkte zu erlangen. Doch diesmal, im Jahre 2000, hat es sich eine Widerstandsgruppe zum Ziel gesetzt, das Rennen zu sabotieren und den Präsidenten umzubringen. Annie Smith (Simone Griffeth, „Swamp Girl“), Enkelin der Rebellenführerin (Harriet Medin, „Blutige Seide“), schleicht sich als Kopilotin in den Wagen des Death-Race-Champions Frankenstein (David Carradine, „Kung Fu“). Dieser hegt jedoch nicht nur eigene Pläne, sondern durchschaut auch seine Mitfahrerin…

„Mein Kopf besteht zum größten Teil aus Plastikteilen und Stahlplatten.“

Das „transkontinentale Straßenrennen“ wird als moderiertes und kommentiertes Sport- und Medienspektakel inszeniert, so ähnlich, als würden Politik und Fernsehen Cannonball Runs aufgreifen und wie „Das Millionenspiel“ aufbereiten. Bartel weiß, wo er den Most holt, und macht aus der Prämisse eine kunterbunte, comichaft überzeichnete, plakative und politisch unkorrekte dystopische Satire voller schräger Figuren. Gegen Frankenstein und Annie treten u.a. Nazi-Walküre Matilda (Roberta Collins, „Rollerfieber“) mit Herman dem Wüstenfuchs (im Original „Herman the German“; Fred Grandy, „Drei Engel für Charlie“), stilecht inklusive Hakenkreuzen und entsprechenden Fans, Nero (Martin Kove, „The Last House on the Left“) und Cleopatra (Leslie McRay, „Treffpunkt Los Angeles“) sowie Machine Gun Joe (Sylvester Stallone, „Brooklyn Blues - Das Gesetz der Gosse“) und Myra (Louisa Moritz, „Einer flog über das Kuckucksnest“) an, allesamt in passende Kostüme und aufgemotzte Seifenkisten gesteckt. Der Präsident hält zutiefst zynische Ansprachen, will den Vergeltungskrieg gegen die Franzosen und eröffnet das moderne Gladiatorenspiel, bei dem das Überfahren von Kindern und Alten Extrapunkte einbringt, die von der tumben Masse frenetisch gefeiert werden.

„Je schneller du läufst, desto länger lebst du!“

Im Mittelpunkt des Films steht Frankenstein, aus dessen subjektiver Perspektive die ersten Einstellungen gezeigt werden, der in den 1990ern fast seinen gesamten Kopf verloren und der seinen hageren Körper erst in einen schwarzen Ganzkörperlatexdress (inklusive Cape!) und anschließend in sein Krokomobil gezwängt hat. Bewohnerinnen und Bewohner eines Altersheims werden ihm eigens auf die Strecke drapiert, damit er sie überfahren kann, doch Frankie nimmt lieber einen Umweg und fährt das Pflegepersonal platt. Bei seinen Fans ist er derart beliebt, dass sie sich ihm freiwillig opfern. Einer seiner Erzfeinde ist Machine Gun Joe, der Frauen schlägt, bei einer Prügelei gegen Frankie jedoch den Kürzeren zieht. Überhaupt, Machine Gun Joe: Einfaltspinsel Stallone hatte kurz darauf seinen Durchbruch mit „Rocky“ – umso witziger ist es, ihn in dieser Rolle zu beobachten, für die er wie ein Gangster aus der Prohibitionszeit hergerichtet wurde, aber oftmals wie eine Karikatur auf seine späteren Rollen wirkt, von der Mimik über seine Gewalttätigkeit bis hin zum idiotischen Herumgeballere.

„Der Kandidat hat 440 Punkte!“

Ausgewalzte Splatterszenen gibt es natürlich nicht zu sehen, doch beim Überfahren der Punktebringer spritzt das Blut recht ordentlich. Das Tempo ist die meiste Zeit über – passenderweise – hoch, lediglich für die Fahrpausensequenz, in der sich die Fahrerinnen und Fahrer massieren lassen und sich entsprechend freizügig präsentieren, wird es gedrosselt. Die meiste Zeit aber wird gerast, überfahren, schnappen tödliche Fallen der Rebellen zu oder bekommt irgendjemand einen Tobsuchtsanfall. Der Humor ist aller Offensive zum Trotz gespickt mit Anspielungen, insbesondere auf die US-amerikanische Geschichte. Einblendungen des Streckenverlaufs in Form von Computergrafiken rufen immer wieder ins Gedächtnis, dass der irre Zirkus im nationalen TV übertragen wird, was nur eine von zahlreichen Spitzen gegen den American Way ist. Von wirklich bösartigen Dystopien unterscheidet sich „Death Race 2000“ jedoch nicht zuletzt durch sein allumfassendes Happy End. Corman, Bartel & Co. sicherten sich hiermit eine gute Platzierung im Rennen der irrsinnigsten Low-Budget-Film-Angriffe auf das Establishment der 1970er und inspirierten Brüder im Geiste wie Troma und Konsorten. Und nach 80 Minuten Kurzweil wird auch schon die karierte Flagge geschwenkt.
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Tatort: Taxi nach Leipzig

Trimmel und das Wechselbalg

„Freundschaft!“ – „Was is‘?“ – „Tach mein‘ ich…“

Am 29. November 1970 nahm eine der weltweit langlebigsten Fernsehkrimireihen ihren Anfang: Der „Tatort“ war geboren und mit ihm sein erster Ermittler: Der von Walter Richter („Pippi außer Rand und Band“) gespielte Hamburger Kommissar Paul Trimmel. Wobei das eigentlich nicht ganz stimmt: Debütiert hatte diese Figur bereits 1969 im Fernsehfilm „Exklusiv!“, der später mit einem „Tatort“-Vorspann versehen und der Reihe hinzugefügt wurde. Und in Papierform existierte sie noch etwas früher: Trimmel hat seinen Ursprung in Friedhelm Werremeiers Romanreihe, dessen erster Band „Ich verkaufe mich exklusiv“ von Werremeier höchstpersönlich für „Exklusiv!“ in Drehbuchform gebracht wurde. Ähnlich verlief es bei „Taxi nach Leipzig“: Der Roman stammte von Werremeier, das Drehbuch von Werremeier und Peter Schulze-Rohr, welcher auch die Regie führte.

„Kannst‘ das nicht selber wegschmeißen?“

Eine Autobahnraststätte in der Nähe Leipzigs wird zum Fundort eines toten Jungen. Da dieser Schuhe aus der BRD trug, wendet sich die Generalstaatsanwaltschaft der DDR mit einem Amtshilfeersuchen bei den BRD-Strafverfolgungsbehörden. Zwar wird das Ersuchen recht schnell zurückgezogen, da man davon ausgeht, dass der Junge an einer besonders aggressiven Leukämie gestorben sei, doch dem Hamburger Kripokommissar Trimmel lässt der Fall keine Ruhe. Telefonisch kontaktiert er seinen ostberliner Kollegen Karl Lincke (Erwin Klietsch, „Alarm“, in seiner letzten TV-Rolle), mit dem er bereits vor der Gründung beider deutscher Staaten zusammengearbeitet hatte und sich freundschaftlich verbunden fühlt. Nachdem ihm dieser den Namen des Toten und dessen Eltern verraten hat, ermittelt er zunächst in der vornehmen Hamburger Elbchaussee auf der Suche nach dem vermögenden Chemiker Erich Landsberger (Paul Albert Krumm, „Jeder stirbt für sich allein“), dem unehelichen Vater des Jungen. Die Kindsmutter Eva Billsing (Renate Schroeter, „Die Ratten“) hatte den Leichnam in der DDR als gemeinsamen Sohn Christian identifiziert. Doch Landsberger ist mit seinem zweiten Sohn nach Frankfurt am Main umgezogen. Als Trimmel dort aufschlägt, gibt Landsberger sich abweisend, doch Trimmel fällt der sächsische Dialekt des Sohnemanns auf. Daraufhin reist Trimmel auf der Transitstrecke in Richtung West-Berlin, fingiert eine Autopanne und eilt per Taxi nach Leipzig, um Eva Billsing im Leipziger Vorort Markkleeberg aufzusuchen. Doch statt ihrer lernt er ihren Freund Peter Klaus (Hans Peter Hallwachs, „Tamara“) kennen, einen Oberleutnant der Volkspolizei, der Trimmel unmissverständlich klarmacht, in der DDR unerwünscht zu sein…

„Keine Sauereien, nüscht Sexuelles!“

Alles beginnt mit einer Kontrolle an der „innerdeutschen Grenze“, die vielmehr die Grenze zwischen den beiden Weltmächten NATO und Warschauer Pakt ist. Später wird Trimmel ermitteln, dass es sich beim Kontrollierten, der mit seinem schlafenden Sohn unterwegs ist, um Landsberger handelte. Trimmel ist ein etwas knautschiger, zigarrerauchender, um kein Schnäpschen verlegener Kommissar in den 60ern seiner Lebensjahre, doch in den sozialliberalen 1970ern des Zeitgeists. Er ist ebenso wenig kalter Krieger wie die Macher dieses „Tatorts“, denn „Taxi nach Leipzig“ tritt keinesfalls an, die DDR zu diskreditieren. So wirklich viel scheint sich hier ohnehin nicht zwischen BRD und DDR zu unterscheiden, wobei natürlich nicht an Originalschauplätzen gedreht wurde. Im Autoradio läuft zwar der Oktoberklub, doch ansonsten schien man bemüht, DDR-Klischees zu umschiffen – hatte aber möglicherweise auch schlicht keinen Schimmer, wie so ein Leipziger Vorort eigentlich aussieht. Um ehrlich zu sein: Ich weiß es auch nicht.

Die unterschiedlichen Systeme werden hier also schon mal nicht verhandelt, ihre Existenz ist jedoch allgegenwärtig, nicht nur in scherzhaften Dialoganspielungen. Trimmel, der keinen Partner, aber den uniformierten Kollegen Kriminalmeister Höffgen (Edgar Hoppe, „Großstadtrevier“) zumindest im Büro an seiner Seite hat, kommt ganz schön rum: erst Hamburg, dann Frankfurt, im Anschluss die Transitstrecke, Tankstellen, irgendwann schließlich das eigentlich recht idyllisch anmutende Markkleeberg. Dort endlich wird auch Trimmel jenem Pärchen begegnen, das bisher, parallel zu Trimmels Szenen geschnitten, dem „Tatort“-Publikum einen Wissensvorsprung verschafft hatte. Wer wie Trimmel den Dialekt des noch lebenden Landsberger-Sohns vernommen und richtig eingeordnet hat, kommt vermutlich recht schnell hinter das Rätsel des Kindertauschs, alle anderen, so auch der Verfasser dieser Zeilen, brauchen noch etwas, um durchzusteigen. Überhaupt, die Dialekte: Trimmel berlinert für einen Hamburger auffällig stark, die (Vorort-)Leipziger hingegen sächseln so gut wie gar nicht – woher hat der Junge das also bloß?

Die Action in diesem „Tatort“ beschränkt sich auf eine Prügelei zwischen Trimmel und Evas Freund Peter, die wohlgemerkt entbrennt, nachdem Trimmel (!) frech geworden war. Spannend ist die ganze Angelegenheit durchaus, wenngleich es lange den Anschein hat, als gäbe es gar keinen Mord. Der Fall scheint schon gelöst, da zeigt ein Blick auf die Uhr, dass „Taxi nach Leipzig“ noch ein paar gute Minuten vor sich hat, und tatsächlich geht’s weiter, und zwar mehr nach Art eines Beziehungsdramas, weniger eines Krimis. Liebe in Zeiten zwei voneinander abgegrenzter Staaten. Und zwei ebensolcher Männer. Schwierig, schwierig. Entscheidungen sind zu treffen. Gut, dass man eine solch verständnisvolle Vaterfigur wie Trimmel an seiner Seite hat. Also bleibt das alles ohne juristische Folgen? Trimmel ist ein Fuchs, die Handlung nimmt eine weitere Wendung und überraschend wird doch noch ein Mordfall daraus. Und wie Trimmel damit umgehen wird, bleibt offen.

„Taxi nach Leipzig“ vereint bereits vieles, was lange Zeit typisch und sinnstiftend für die „Tatort“-Reihe sein sollte: Zeitkolorit, das Aufgreifen aktueller gesellschaftlicher Themen und ihre kritische Abwägung in Form unterhaltsamer, spannender, auch mal provokant erzählter Stoffe, soziales Interesse – was ihn zu einer Art Gegenwartsgeschichte und -kultur konservierendes TV-Krimi-Gedächtnis machte. Nur die Regionalität bleibt hier noch auf der (Transit-)Strecke. Trimmel ist ein einerseits mit beiden Beinen auf dem Boden gebliebener Kumpel- und Trinkertyp, der andererseits zumeist erhaben über den Dingen zu stehen scheint und keinerlei feindsinnige Agenda verfolgt. Hier und da holpert dieser grundsätzlich ansprechend inszenierte und tadellos geschauspielerte Fall dramaturgisch ein wenig, und ob sein komplexes Tatmotivgebilde allen kritischen Betrachtung standhalten würde, ist schwer zu sagen, denn dafür erfährt man die Vorgeschichte zu beiläufig und subjektiv von den Figuren in Dialogform geschildert. Dass am Ende aber zu befürchten steht, der sympathische Trimmel könne den Mörder eines Kindes decken, weil dieses schließlich ohnehin bereits halbtot gewesen sei, stößt auf und halte ich für moralisch mindestens bedenklich…

Freundschaft? Vielleicht.
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Betty Blue – 37,2 Grad am Morgen

„Es war jetzt eine Woche her, dass ich Betty getroffen hatte. Wir bumsten jede Nacht.“

Der nach „Diva“ und „Der Mond in der Gosse“ dritte abendfüllende Spielfilm des französischen Regisseurs Jean-Jacques Beineix ist das Beziehungsdrama „Betty Blue - 37,2 Grad am Morgen“ – eine Verfilmung des (mir unbekannten) gleichnamigen Romans Philippe Dijans, das Beineix persönlich in Drehbuchform adaptierte. „Betty Blue“ kam 1986 in die Kinos und avancierte zu einem Kultfilm des 1980er-Jahrzehnts.

„Irgendwo muss es das Paradies für uns geben!“

Zorg (Jean-Hugues Anglade, „Nikita“), ein junger, genügsamer Mann, ist eigentlich recht zufrieden mit seinem Lebensmittelpunkt in einer Strandhaussiedlung an der französischen Mittelmeerküste, wo er sich mit dem Anstreichen und der Instandhaltung der Häuser finanziell über Wasser hält, nachdem er gerade seinen Job auf dem Schrottplatz verloren hat. Denn kürzlich hat er Betty (Béatrice Dalle, „Die Rache einer Frau“) kennengelernt, eine lebenslustige, temperamentvolle, impulsive, etwas verrückte und verdammt hübsche junge Frau. Nachdem man regelmäßig leidenschaftlich übereinander hergefallen ist, zieht Betty zu Zorg in die Strandbarracke, denn nun hat sie ihren Job als Kellnerin verloren. Nach einem Streit entdeckt sie ein Manuskript und damit die ihr bisher unbekannte Seite Zorgs als verhinderter Schriftsteller, woraufhin sie seine Karriere als Autor zu fördern, ja, regelrecht zu erzwingen versucht. Sie ist sich sicher, Zorg sei zu Höherem berufen, und beendet sein bisheriges Schicksal als eine Art Tagelöhner mit einer radikalen Maßnahme: Nach einem weiteren Streit mit seinem verhassten Chef setzt sie die Baracke in Brand. Gemeinsam zieht man zu Bettys Freundin Lisa (Consuelo De Haviland, „Panther II – Eiskalt wie Feuer“) nach Paris, wo sie in der Pizzeria von Lisas Freund Eddy (Gérard Darmon, „Mörderischer Engel“) kellnern. Betty tippt Zorgs Manuskript ab und sendet es an diverse Verlage, deren Absagen Zorg vor ihr versteckt. Betty wird immer ungeduldiger und unterliegt heftigen Stimmungsschwankungen, die auch in aggressiven Attacken resultieren, so auf einen nervigen Pizzeria-Gast oder den Mitarbeiter eines Buchverlags. Nach dem Tod Eddys Mutter beziehen sie deren Haus und kümmern sich um den Klavierladen. Zorg arrangiert sich auch mit dieser Situation und findet in Bob (Jacques Mathou, „Angst über der Stadt“) und dessen freizügiger Frau Annie (Clémentine Célarié, „Kollege kommt gleich!“) neue Freunde, doch Betty verhält sich immer seltsamer und hysterischer. Bis ein positiver Schwangerschaftstest mit anschließend jedoch negativem Laborergebnis der jungen Frau endgültig den Verstand raubt und es zur Katastrophe kommt…

„Wir haben uns geliebt. Wir waren wie im Taumel. Während wir bumsten kam mir ihre Spirale vor wie eine klapprige Tür, die im Wind hin und her schwenkt.“

Die Handlung wird in erster Linie aus Zorgs Perspektive geschildert, der auch als Voice-over-Erzähler in Erscheinung tritt – und ist daher ähnlich unfokussiert und – insbesondere im rund dreistündigen Director’s Cut – vor sich hin dümpelnd, wie es Zorgs Charakter entspricht. Was ihm vielleicht an etwas Dampf auf dem Kessel fehlt, hat Betty im Überfluss. Zwei Welten prallen aufeinander, scheinen sich jedoch zunächst prima zu ergänzen. Eine rein glückliche Fügung, auf der basierend fortan die Dinge einen positiven Verlauf nehmen und sich Zorg zum erfolgreichen Schriftsteller mausert, weil die feurige Betty ihrem etwas antriebslosen Freund regelmäßig in den Hintern tritt, wäre dies in einem Hollywood-Märchen. „Betty Blue – 37,2 Grad am Morgen“ ist jedoch stark dem Realismus verpflichtet, was sich zunächst in einem seiner offensichtlichsten und damit auffälligsten Merkmale äußert: Beide, Betty und Zorg, haben etliche Szenen natürlicher, selbstverständlicher Nacktheit, Liebesszenen, klar – der Film beginnt unmittelbar mit einer gleichsam authentisch wirkenden wie erotischen Sexszene –, aber auch ganz normale Alltagsszenen, in denen Erotik wenn überhaupt lediglich beiläufiger Bestandteil ist.

„Sobald ich mir irgendwas wünsche, merke ich, dass mir nichts zusteht...“

Diesem Realismus ist auch die „Normalität“ fast aller Figuren geschuldet. Charakterliche Klischees werden mitunter angedeutet, geraten aber nie zur Karikatur; Übertreibung eventuell, Überzeichnung eher nein. Dies untergräbt etwaig aufgebaute Erwartungshaltungen an die Figuren und mag dadurch bisweilen irritierend wirken, ist jedoch integraler Bestandteil des Filmstils, der auf Gut und Böse sowie sämtliche Schwarzweißmalerei verzichtet. Im Director’s Cut folgt er nicht einmal unbedingt einem bestimmten dramaturgischen Erzählfluss, der Film lässt sich mühelos pausieren und zu einem späteren Zeitpunkt, vielleicht auch erst eine Woche später fortsetzen, um einmal zu schauen, wie es Betty und Zorg denn gerade wohl so gehen mag. Und was man dann sieht, ist oft amourös und leidenschaftlich, mitunter auch komisch, aber eben auch erschreckend, verzweifelt, destruktiv – Beineix deckt viele emotionale Facetten der Beziehung ab. Etwas aus der Reihe fällt lediglich Zorgs Raubüberfall, der punktgenau und spannend, dabei mit viel Humor inszeniert wurde und – gemessen an seiner Bedeutung für den weiteren Verlauf – ungewöhnlich detailliert gezeigt wird, beinahe wie ein Film im Film.

So sympathisch, weil ehrlich und anarchisch, fast schon beneidenswert radikal und kompromisslos anmutend Bettys Wutausbrüche anfänglich auch sein mögen, sie entwickeln sich zu einem echten Problem und richten sich ab einem gewissen Punkt auch gegen sie selbst. In ihrem Verhalten werden Symptome eines Borderline-Syndroms und einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung erkennbar, später scheint eine ausgemachte Psychose hinzuzukommen. Mit den Borderline-Symptomen ist hier nicht das selbst beigefügte Aufritzen von Gliedmaßen gemeint, wie es bei Teenie-Mädchen verbreitet ist. Vielmehr beschreibt es andere, auch nichtphysische Formen selbstverletzenden Verhaltens wie das mit dem Arsch Einreißen mühsam aufgebauter harmonischer Beziehungen oder Vertrauensverhältnisse, Überreaktionen und kaum nachvollziehbarer Habitus, der negative Konsequenzen nach sich ziehen muss und zu einer Geduldsprobe für jede zwischenmenschliche Beziehung wird. Ihren Narzissmus wiederum projiziert sie auf Zorg: Nicht sie glaubt, etwas ganz Besonderes zu sein, sondern ihr Lebensgefährte ist es, muss es sein, wird es in jedem Falle werden. Und wer daran zweifelt, wird zu ihrem persönlichen Feind. Zugleich spricht aus diesem Verhaltensmuster eine ausgeprägte Hilfsbedürftigkeit, sodass die regelrechte Besessenheit vom jeweils anderen – der ja auch immer etwas Fatalistisch-Romantisches innewohnt – auch bei Zorg zu finden ist. Ein bisschen wie Bonnie & Clyde, inklusive der selbstzerstörerischen Komponente.

Béatrice Dalle, die in „Betty Blue“ als Kinoschauspielerin debütierte, entpuppte sich als eine echte Entdeckung. Mit ihren auseinanderstehenden Vorderzähnen und ihrer herausfordernd hervorstehenden Unterlippe sowie ihrer selbstverständlich wirkenden Freizügigkeit verfügte sie über reichlich Straßensexappeal, die Rolle schien ihr wie auf den Leib geschneidert. Sie füllte sie mit einer solchen Inbrunst aus, dass sie kaum jemand vergessen wird, der sie hier sah – und sie zum Mittelpunkt des aus Zorgs Sicht erzählten Films wird, weil Betty auch sein Mittelpunkt geworden war. Jean-Hugues Anglade ist, wenngleich den wesentlich unemotionaler anmutenden Part mimend, lange Zeit der Ruhepol des Films, dem man im weiteren Verlauf immer stärker ansieht, wie sehr ihn Bettys Entwicklung mitnimmt – ohne große Worte darüber verlieren zu müssen. Und mit Nacktheit hat er ebenfalls kein Problem. Beide Schauspieler ergänzen sich beeindruckend, ganz so, wie es ihre Rollen anfänglich tun. Die Kameraarbeit setzt nicht nur beide perfekt in Szene, sondern beweist auch ein gutes Auge für das jeweilige Ambiente – mühelos gelingt ihr der Übergang von sonnendurchfluteten Sommerstrandbildern zu wuseligeren urbanen Schauplätzen. Auf eine hyperbunte ‘80er-Farbpalette wird dabei verzichtet, insbesondere in Innenräumen dominieren eher warme, gedeckte Farben.

Die Klimax schließlich ist dann doch überzeichnet, ein solch extremer Verlauf ist eher ungewöhnlich und mir zumindest nicht bekannt. Das Publikum bleibt genauso ohnmächtig und überfordert wie Zorg. Und da sowohl das Drehbuch als auch Betty kaum echte Erklärungen bereithalten, wirft „Betty Blue“ mehr Fragen auf, als er beantwortet. Wie wohl Betroffene das Ende aufgefasst haben? Eventuell gar als Befriedigung einer eigenen perversen Todessehnsucht? Letztlich scheint Zorg stärker von der Beziehung zu profitieren als Betty, denn er zog Inspiration aus ihr – möglicherweise hat sie ihn tatsächlich dazu gebracht, ein richtiger Schriftsteller zu werden. Dass sich der Film mit Einordnungen und Erklärungen derart zurückhält, macht ihn zu einer Art unverarbeitetem Lebens-, Lust- und Leidensweg mit finalem Schock, der über den Filmgenuss nachwirkt.
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Meine italienische Reise

„Als Filmemacher habe ich mich nie als Hollywood-Regisseur gefühlt und ich bin offensichtlich auch kein italienischer Filmemacher. Ich muss meine Heimat dazwischen finden, um mich wohlzufühlen.“

Nach seiner im Jahre 1995 veröffentlichten „Reise durch den amerikanischen Film“ – einem fast vierstündigen, fürs britische Fernsehen produzierten Dokumentarfilm – begab sich der italienischstämmige Ausnahmeregisseur Martin Scorsese auf eine weitere Reise: Eine, die zu seinen italienischen Wurzeln führte. „Meine italienische Reise“ umfasst ebenfalls beinahe vier Stunden und bildete – nachdem Scorseses Amerika-Reise ihr Auftakt war – im Jahre 1999 den Abschluss der Dokumentarfilmreihe des British Film Institute zum hundertjährigen Jubiläum des Films. Ein zusammen mit Suso Cecchi d'Amico, Kent Jones und Raffaele Donato verfasstes Drehbuch half im Vorfeld, Scorseses Auswahl zu sortieren und seine Gedanken zu ordnen, während seiner langjährigen Mitarbeiterin Thelma Schoonmaker die Mammutaufgabe zuteilwurde, die Unmengen Material auf wenigstens unter 240 Minuten zurechtzustutzen.

„Heute hat man den Eindruck, es gäbe nur amerikanisches Kino, der Rest sei zweitrangig, auch das italienische Kino. Das stört mich.“

Diesmal fokussiert sich Scorsese auf weniger Filme, die dafür umso ausführlicher vorgestellt, in ihren Schlüsselszenen und den die jeweilige Stimmung prägenden Momenten (im untertitelten meist englischen Ton) gezeigt, zusammengefasst und per Voice-over besprochen werden, so dass sein Publikum tatsächlich in die Lage versetzt wird, eine Beziehung zu ihnen aufbauen zu können, ohne sie selbst gesehen zu haben. Damit einher geht, dass Scorsese viel spoilert, jedoch handelt es sich ohnehin kaum um klassische Spannungsfilme: Scorsese widmet sich voll und ganz dem italienischen Neorealismus der Nachkriegszeit. Zu Beginn stellt sich Scorsese an einem alten Röhrenfernseher stehend in Schwarzweißbildern vor, zeigt alte Familienfotos und -videos, schwelgt und wühlt in Kindheitserinnerungen und benennt im US-Fernsehen ausgestrahlte italienische Filme als bedeutende gesellschaftliche Ereignisse für die italienische bzw. italienischstämmige Gemeinschaft der damaligen Zeit – und als Ursprung seiner Filmleidenschaft.

„Wenn ich die Filme, über die ich hier sprechen möchte, nicht gesehen hätte, wäre ich ein anderer Mensch und ein anderer Filmemacher.“

Folgerichtig eröffnet Scorsese mit Rossellinis „Rom, offene Stadt“ (1945) und „Paisà“, (1946) definiert den Neorealismus und was ihn ausmachte, um dann jedoch kurz eine Abzweigung zu den Heldenepen „Fabiola“ (1949) und „La c orona di ferro“ (1941) zu nehmen und seine Storyboards zu zeigen, die er, als von diesen Filmen inspiriertes Kind, seinerzeit angefertigt hatte und die früher Ausdruck seiner Filmleidenschaft sind. Nach einem weiteren Abstecher zum Uralt-Stummfilm „Cabiria“ (1914) geht Scorsese wieder verstärkt auf den Neorealismus ein und behandelt Filme wie „Die Erde bebt“ (1948), „Fahrraddiebe“ (1948) und „Glückliche Heimkehr“ (1942), mit dem Scorsese wieder bei Roberto Rossellini landet, dem er sich von nun an verstärkt zuwendet und, nachdem er auf dessen „Liebe ist stärker“ (1954) eingegangen ist, noch einmal „Rom, offene Stadt“ und „Paisà“ vertieft. Die internationale Koproduktion „Deutschland im Jahre Null“ (1948) stammt ebenfalls von Rossellini, „Wunder von Mailand“ (1951) von Vittorio De Sica, doch mit „Stromboli“ (1950), „Franziskus, der Gaukler Gottes“ (1950) und „Europa '51“ (1952) sind wir wieder bei Rossellini.

Der nächste Filmemacher, den Scorsese detaillierter abhandelt, ist De Sica, ausgehend von dessen „Schuhputzer“ (1946) über eine Wiederaufnahme des „Fahrraddiebe“-Fadens bis zu „Umberto D.” (1952). Nach Federico Fellinis „La dolce vita” (1960) landen wir mit „Liebe ist stärker“ (1954), jenem Film, der seinerzeit zerrissen wurde, die französische Nouvelle Vague und den italienischen Filmemacher Michelangelo Antonioni aber, wie man hier erfährt, entscheidend beeinflussten, jedoch erneut bei Rossellini. Folgerichtig geht Scorsese im direkten Anschluss zu Antonionis „Die mit der Liebe spielen“ (1960) über, gefolgt von dessen „Sonnenfinsternis“ (1962). Fellinis „Achteinhalb“ (1963) bezeichnet Scorsese schließlich als seinen persönlichen Wendepunkt.

Ich könnte mir diesen Dokumentarfilm wunderbar als Einstieg in ein Neorealismus-Filmseminar an der Universität vorstellen, derart fundiert und gehaltvoll erscheint sie mir. Statt trockenem Geschichtsunterricht serviert sie echte Leidenschaft, Scorsese wirkt vielmehr wie ein echter Filmgelehrter denn wie ein eitler Selbstdarsteller. Was er zu den einzelnen Filmen in Kombination mit seiner persönlichen Sozialisation erzählt, ist sprachlich wie inhaltlich herausragend und zeugt von Empathie. Und anhand der „jüngeren“ Filmausschnitte lässt sich gut nachvollziehen, wie die Filme visuell immer anspruchsvoller und „stylischer“ wurden.

Ein Nebeneffekt zumindest bei der Rezeption durch den Verfasser dieser Zeilen war jedoch ungewollt: Hat man es sich bei gedämpften Licht gemütlich gemacht und lauscht Onkel Martin, wie er in unaufgeregtem, zurückhaltendem, manchmal beinahe flüsterndem Tonfall den Filmen seinen Respekt erweist oder auch mal für längere Zeit komplett verstummt, während er ganze Sequenzen eher langsam erzählter Filme für sich sprechen lässt, kann einen schon mal der wohlige Schlummer übermannen – wohlgemerkt nicht als Folge etwaiger Langeweile, sondern als körperliche Reaktion auf einen Zustand der totalen Entspannung und Glückseligkeit. Aber dafür, um knapp vier Stunden lang an einem Stück geguckt zu werden, ist dieses Kleinod der gerade für Einsteigerinnen und Einsteiger prima geeigneten Neorealismusreflektion ohnehin nicht gemacht…
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Tatort: Stau

„Mit Vollgas im Stau.“

Regisseur und Autor Dietrich Brüggemann („Heil“) debütierte mit dem 20. Fall der Stuttgarter Kripo-Ermittler Thorsten Lannert und Sebastian Bootz (Richy Müller und Felix Klare) innerhalb der öffentlich-rechtlichen „Tatort“-Fernsehkrimireihe: „Stau“ wurde Ende 2016 gedreht und am 2. Juni 2017 auf dem SWR-Sommerfestival uraufgeführt. Die TV-Erstausstrahlung erfolgte am 10. September 2017. Das Drehbuch, das wie eine Hommage an die deutsche Kultkomödie „Superstau“ (1991) anmutet, verfasste Brüggemann zusammen mit Daniel Bickermann.

„Deutlich sichtbarer Kratzer!“

In der Stuttgarter Wohnsiedlung Haigst wird die 14-jährige Gudrun von einem Auto überfahren und verstirbt kurz darauf elendig auf der Straße, der/die Verursacher(in) begeht Fahrerflucht. Der einzige mögliche Zeuge ist Luis (Lias Funck, „Tatort: Die Pfalz von oben“), der dreijährige Sohn der alleinerziehenden Sophie Kauert (Amelie Kiefer, „Nirgendwo“). Während Kommissar Sebastian Bootz (Felix Klare) – eigentlich auf der Suche nach einem verschwundene Belastungszeugen in einem ganz anderen Fall – geduldig versucht, Informationen aus dem Jungen herauszubekommen, ermittelt Thorsten Lannert (Richy Müller) im Stau: Eine Baustelle muss den Flüchtigen direkt auf die Stuttgarter Weinsteige geleitet haben, wo aufgrund eines Wasserrohrbruchs gar nichts mehr geht…

„Wo bleiben die eigentlich alle?“ – „Die stehen im Stau.“

Eine schlimm schwäbelnde Erzieherin quatscht den Vater (Roland Bonjour, „Der letzte Mentsch“) des kleinen Noah voll, ein Mieter (Rüdiger Vogler, „Anatomie“) sucht Hilfe aufgrund einer Eigenbedarfskündigung, ein Pflegediensttransporter ist spät dran, Herr Treml (Daniel Nocke, „3 Zimmer/Küche/Bad“) wird im Personalgespräch kritisiert und lässt sich einen Paketbotendienst aufschwatzen, ein Paar (Julia Heinemann, „Die glückliche Familie“ und Eckhard Greiner, „Die letzte Sau“) streitet sich beim Einkaufen und eine gestresste junge Mutter (Susanne Wuest, „Ich seh, ich seh“) hat ihre neunmalkluge Tochter Miris (Anastasia Clara Zander, „Wir, Geiseln der SS“) abgeholt – Feierabend in Stuttgart, Feierabendverkehr auf Stuttgarts Straßen, alle sitzen sie in ihren Karossen und hören unterschiedliche Musik. Der Zusammenschnitt dieses Parallelmontage-Panoptikums bildet einen großartigen Einstieg in diesen ungewöhnlichen Whodunit?-„Tatort“.

„Wer nennt heute noch sein Kind Gudrun?!“

Eine etwaige anfängliche Sorge, dass es bei einer derart hohen Anzahl an Figuren und damit individuellen Geschichten schnell unübersichtlich werden würde, erweist sich als unbegründet. In urbaner Herbstabendatmosphäre lernt man das Ensemble nicht nur aufgrund Lannerts Befragungen nach und nach besser kennen – als Menschen, aber auch als Verdächtige und nicht zuletzt als Ausdruck deutscher Befindlichkeiten in der Stauhauptstadt Stuttgart. Durch einen beiläufigen Kommentar Lannerts avanciert der Angestellte Treml zum angestachelten Rebellen, der sich nichts mehr gefallen lassen will, der bemitleidenswerten Mutter mit ihrer supernervigen Tochter möchte man „Kondome schützen!“ zurufen, wenn man nicht gerade die Hände vor ihren einen Auffahrunfall im Stau verursachenden Fahrstil überm Kopf zusammenschlägt. Der Chauffeur (Jacob Matschenz, „3 Türken & ein Baby“) mit dauertelefonierender arroganter Geschäftsfrau (Sanam Afrashteh, „Tatort: Böser Boden“) auf dem Rücksitz, die ständig Spitzen gegen ihn abfeuert, macht das einzig Richtige und geht erst mal eine dampfen. Gut, dass ein Joint daraus wird, ist im Straßenverkehr wiederum weniger zu empfehlen, doch dazu hat ihn der Pflegedienstfahrer (Deniz Ekinci, „Heil“) verführt. Die Junggesellenabschiedstruppe ein paar Autos weiter ist hingegen gut am Zechen. Fehlt eigentlich nur Otti Fischer im Wohnmobil.

„Wenn ich am Fenster sitz‘, dann sitz‘ ich am Fenster!“

Der erste Verdacht wird auf den Raser Gerold Breidenbach gelenkt, der mit seiner Frau Marie-Luise eine ganz gruselige Beziehung führt, bei der wohl auch keine Paartherapie mehr hilft. Doch am Wagen der Geschäftsfrau klebt Blut, gegen zwei Staufahrer wurde in der Vergangenheit bereits wegen Kindesmissbrauchs ermittelt und zwischenzeitlich heißt es, das Opfer sei möglicherweise vergewaltigt und aus einem fahrenden Auto geworfen worden. Insgesamt kommen rund 200 Fahrzeuge in Betracht, Dashcams werden ausgewertet und mit roten Heringen um sich geworfen, um das Fernsehpublikum an der Nase herumzuführen. Das ist mitunter etwas zu viel des Guten, insbesondere, wenn sich plötzlich die Prämisse ändert und dann doch wieder nicht, wenn der Zeuge keiner mehr sein soll und wenn man das Gefühl bekommt, die Seniorin Frau Ott (Sabine Hahn, „Nägel mit Köppen“) trage außer einer Karikatur auf garstige Stuttgarter Spießbürgerinnen kaum etwas zur Handlung bei (starker Auftritt dennoch!). Der karikierende und auch mal sarkastische Humor steht diesem „Tatort“ jedoch meist recht gut zu Gesicht, und manchmal ist er sogar ganz harmlos, beispielsweise bei der niedlichen Ermittlungsarbeit mit dem Knirps.

„Fünf Wochen unfallfrei? Kompliment!“

Dann wieder zurück zu einem ernsteren Tonfall angesichts des tragischen Ereignisses zu finden ist eine Herausforderung, die Brüggemann unter anderem mittels Illustration einer immer angespannter werdenden Lage meistert: Uniformkasper versus Kripo und beide versus aufgebrachte „Wutbürger“, die die Situation zu eskalieren drohen. Die Kripo-Beamten bleiben indes betont ruhig und besonnen und bilden den Ruhepol dieses spannenden Falls, der letztlich, wenn überhaupt – das Ende gibt sich nicht 100%ig eindeutig – eben nur mit Einfühlungsvermögen gelöst werden kann. Dieses Plädoyer für Vernunft und Empathie ist begrüßenswert und wird von Richy Müller souverän vermittelt. Dass „Stau“ nicht am Originalschauplatz, sondern in einer nachgebauten Weinsteige gedreht wurde und man die realen Panoramen nachträglich per Computertechnik einfügte, ist mir nicht aufgefallen, wohl aber, dass nicht jede Nebenrolle mit ausgebildeten Schauspielern besetzt wurde. Das tut dem Sehvergnügen jedoch keinen Abbruch. Aber: Seit wann werden einem bereits seine Rechte wie bei einer Verhaftung verlesen, sobald auch nur ein Anfangsverdacht vorliegt? Da ging wohl die Fantasie in Bezug auf Polizeiarbeit mit den Autoren durch, denen es die meiste Zeit gelang, mehr oder weniger subtil unterschwellige Kritik am seltsamen Verhalten einzuweben, sich in mit vernünftigem ÖPNV ausgestatteten Städten in rollenden Blechhaufen durch die Innenstadt zu schieben und seine Zeit in Staus zu verschwenden.
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Nachtschwester müsste man sein

„Das Mädchen ist steiler als die Dolomiten!“

Der italienische Regisseur Mariano Laurenti („Flotte Teens jetzt ohne Jeans“) inszenierte in erster Linie Komödien und bediente auch die Commedia sexy all'italiana in den 1970ern mit mehreren Beiträgen. Inmitten einer „Flotte Teens“-Filmwelle, zwischen „Flotte Teens und die Hauslehrerin“ und „Zeig mir wie man’s macht“, kam Laurentis „Nachtschwester müsste man sein“ in die Kinos, eine Sexklamotte um die blonde Erotikdarstellerin und ehemalige italienische Miss Teenage Gloria Guida („Oben ohne, unten Jeans“).

Das ist Krankenpflege! Wunderbar, das weckt die Lebensgeister!“

Zahnarzt Dr. Vincento (Lino Banfi, „Der Idiotenzwinger“) hängt sich in seiner Praxis an jeden Rock und unterhält, obwohl mit seiner Lucia (Francesca Romana Coluzzi, „Themroc“) verheiratet, eine Affäre mit einer seiner Patientinnen, in die sich jedoch auch sein trotteliger Assistent Peppino (Alvaro Vitali, „Flotte Teens und heiße Jeans“) verguckt hat. Eines Tages quartiert sich der reiche, jedoch sterbenskranke Onkel Lucias (Mario Carotenuto, „Die Bumsköpfe“) bei der Familie ein, woraufhin Vincento eine große Erbschaft wittert. Um testamentarisch begünstigt zu werden, liest man dem Onkel jeden Wunsch von den Lippen ab, kann sein Ableben jedoch kaum erwarten. Kurzerhand verpflichtet man Maria Angela (Gloria Guida), die bildhübsche junge Turiner Nichte einer Patientin, als Nachtschwester, um auf den bettlägerigen Greis Acht zu geben – und damit Vincento etwas zu begaffen hat. Und während der studierende Sohnemann Carlo (Leo Colonna, „Flotte Teens und die neue Schulmieze“), auf den es die liebestolle Nachbarin (Annamaria Clementi, „Nackt unter Kannibalen“) abgesehen hat, ebenfalls mehr als nur ein Auge auf Maria Angela wirft und sich Vincento mit seiner eifersüchtigen Ehefrau und der resoluten Haushälterin Regina (Ermelinda De Felice, „Jetzt treibt sie's auch noch mit dem Pauker“) herumärgert, entpuppt sich der vermeintlich vermögende Onkel als ganz gewöhnlicher Dieb, der es auf einen Brillanten aus dem Kronleuchter der Familie abgesehen hat, von dem diese gar nichts weiß…

„Ich bin zwar alt, aber kein Ferkel!“

Maria Angela, bereits namentlich die personifizierte Unschuld, gerät in dieser vielmehr Fummel- denn Sexklamotte (Sex hat hier eigentlich kaum einmal jemand) in einen ebenso erotischen wie chaotischen Schlamassel, der nackte weibliche Tatsachen mit den typischen Ingredienzien damaligen Italo-Klamauks vereint: Gleich zu Beginn zeigt sich Vincentos Praxisaffäre oben ohne, doch im unmittelbaren Anschluss bricht sich das ständige Verteilen von Ohrfeigen Bahn und ist Dampfplauderer Vincento um keinen Spruch verlegen, wenn er nicht gerade angesichts seines Sohns verzweifelt, der im Gegensatz zu ihm nicht nur Frauen im Kopf hat, sondern gewissenhaft seinem Studium nachgeht. Oder der sexy Nachbarin, die ihm nackt J&B einschenkt und ihn schon fast am Wickel hat, bis Carlo von ihrem Ehemann – einem Boxer – erfährt und fluchtartig das Weite sucht. Später wird sie nur scheinbar mehr Erfolg haben, die Situation avanciert zum (gar nicht so üblen) Running Gag. Witziger, wenn auch gänzlich unerotisch ist der sketchartige Scherz um den tumben Postboten, die übrige, häufig slapstickhafte Situationskomik ist eher zu vernachlässigen und spielt gegenüber dem Dialogwitz die zweite Geige. Dieser ist jedoch mehr als nur abgeschmeckt mit Zoten, insbesondere aus dem losen Mundwerk des machohaften, witzigerweise jedoch recht deutlich nicht nur unter der Knute seiner etwas matronenhaften, nicht nur im Vergleich zu ihm sehr hochgeschossenen Frau, sondern auch seiner Haushälterin stehenden Dr. Vincento – ein seinen oberflächlichen Machismo relativierender und infrage stellender Drehbuchwink. Sein zumindest szenenweise stakkatohaftes Geplapper bereitet nichtsdestotrotz mitunter Kopfschmerzen.

„Palare, palare…“

Höchstgradig albern wird es, wenn sich Peppino dem falschen Onkel gegenüber als Maria Angela ausgibt und daher sowohl von ihm als auch von seinem Chef befummelt wird. Generell ist hier eigentlich alles völlig auf- und überdreht und überzeichnet sowie hektisch bis hysterisch ausgefallen – Vincento spuckt Peppino sogar mehrfach ins Auge! –, mit einer auffälligen Ausnahme: den Szenen zwischen Maria Angela und Carlos, wodurch diese als die einzig normalen, noch nicht moralisch korrumpierten Figuren definiert werden. Beide haben mehrere kleine Discothekenszenen miteinander, die in einer ganz großen kulminieren: dem Tanzwettbewerb, den Maria Angela im feschen roten Einteiler für sich entscheidet und anschließend noch eine Gesangseinlage hinlegt, indem sie ihre (tatsächlich auch als Single ausgekoppelte) Ohrwurm-Disconummer „La Musica è“ mit einer herrlich rotzig-rauen Stimme in voller Länge schmettert, dass es die reinste Freude ist. Ihren Tanzstil kommentierte der Kollege von „Mann beißt Film“ treffend wie folgt: „[…] eine wilde Mischung aus Rhythmische Sportgymnastik, Duschgelwerbung und der jährlichen Obsternte.“ So oder so mein persönlicher Höhepunkt dieses Films.

An Maria Angela hat, wie bereits angedeutet, auch der falsche Onkel Gefallen gefunden, man verbündet sich miteinander – und Vincento setzt ausgerechnet Carlo auf Maria Angela an. Auch dies spricht für seine Ignoranz der sich ganz natürlich entwickelnden Beziehung seines Sohns zur Nachtschwester gegenüber, die er beim permanenten Ausleben seiner niederen Instinkte gar nicht wahrnimmt und Carlo lieber Vorträge darüber hält, wie sich ein „richtiger Mann“ zu verhalten habe. Darunter scheint Vincento auch zu verstehen, mittels eines versteckt aufgestellten Heizgeräts Maria Angela dazu zu bringen, sich freizumachen – eine indes arg konstruierte Sequenz, um innerhalb der Handlung endlich Gelegenheit zu bekommen, auch Gloria Guida in voller Pracht zu präsentieren. Diese agiert fortan dann auch wesentlich freizügiger und Carlo bekommt gegen Ende noch eine schöne Erotikszene mit ihr geschenkt, kurz bevor sich die Ereignisse in dieser turbulenten Komödie endgültig überschlagen. Davor wurde man noch Zeuge einer Zahnarztszene, die „The Dentist“ zur Ehre gereichen würde, was beim rustikalen Brachialhumor mit seinem ganzen Gestreite, Gehaue und Gespucke aber kaum noch ins Gewicht fällt.

Natürlich ist „Nachtschwester müsste man sein“ hochgradig albern und in seinem Humor sehr durchwachsen. Nichtsdestotrotz handelt es sich um einen der besseren Filme Laurentis: Die Aussage stimmt, Gloria Guida ist goldig, das Gesamtpaket unterhaltsam – mal lacht man eben mit dem Film, mal über ihn, mal graust es einen auch, aber dank des relativ hohen Tempos ist man schnell wieder beim nächsten Gag, der nächsten Grimasse oder der nächsten Attacke auf den guten Geschmack. Das ist alles wesentlich erträglicher als beispielsweise „Der Idiotenzwinger“ und, ist man entsprechend geeicht und hat seine Freude an italienischen Grazien, die mit einigen Backpfeifengesichtern zusammengeworfen werden, fast schon ein Guilty Pleasure, wie sie heute nicht mehr gemacht werden – und das auch relativ offenlegt, weshalb nicht.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
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