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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Do 26. Nov 2020, 18:13
von buxtebrawler
Tatort: Blechschaden

„Weißt du überhaupt, was das bedeutet?“ – „Wieso?“ – „Kripo!“

Der deutsche Ausnahmeregisseur Wolfgang Petersen („Das Boot“) hatte 1971 mit „Ich werde dich töten, Wolf“ gerade seinen Abschlussfilm an der Münchner Filmhochschule fertiggestellt, als er sich dazu verpflichten ließ, die achte Episode der TV-Krimireihe „Tatort“ zu inszenieren, für die er zusammen mit „Hörzu“-Redakteur Herbert Lichtenfeld auch das Drehbuch verfasste: Der am 13.06.1971 erstausgestrahlte „Tatort: Blechschaden“ wurde der Auftakt des siebenteiligen ersten Kieler Zweigs der Reihe um Kriminalhauptkommissar Finke (Klaus Schwarzkopf, „Der Mann, der den Eiffelturm verkaufte“).

„Elf Gehöfte, drei Hunde und ‘n lahmer Gaul, was?“

Als Bauunternehmer Alwin Breuke (Friedrich Schütter, „Das Millionenspiel“) mit seiner heimlichen Affäre Monika (Eva Astor, „Libido - Das große Lexikon der Lust“) nachts aus Travemünde in sein Heimatdorf Sieverstedt (bei Pinneberg) zurückfährt, übersieht er auf der Landstraße den Jugendlichen Harald Lossmann (Jens Weisser, „ Nachrichten aus der Provinz“) auf dessen Fahrrad und verursacht einen tödlichen Unfall. Breuke begeht Fahrerflucht und versucht, den Unfall zu vertuschen – beobachtet von seiner Frau Elsa (Ruth-Maria Kubitschek, „Ich schlafe mit meinem Mörder“), die ihrerseits eine heimliche Affäre zu Joachim Seidel (Götz George, „Spion unter der Haube“), angestellter Ingenieur im Unternehmen ihres Mannes, unterhält. Kurz darauf wird Alwin Breuke erpresst: Eine weibliche Tonbandstimme fordert telefonisch wiederholt 10.000 DM von ihm. Breuke glaubt, dass lediglich Monika als Erpresserin infrage käme, doch auch nach der Geldübergabe hören die Anrufe nicht auf. Hauptkommissar Finke verdächtigt derweil Lossmanns Rivalen Peter Reichert (Volker Eckstein, „Ich töte“) des Mordes, da dieser mit dem Unfallopfer kurz vor dessen Tod in Streit um eine Frau geraten war. Und es wird nicht der einzige Todesfall bleiben…

„…die findet dich wirklich beschissen!“

Eine Engtanzparty in einer Bar mit Livemusik. Und wer betritt da das Parkett? Götz George, der spätere Duisburger Kultkommissar Schimanski in seiner allerersten „Tatort“-Rolle! Hier spielt er Schwerenöter Joachim Seidel, der nur eine von vielen nur scheinbar voneinander unabhängigen Figuren ist, die Petersen und Lichtenfeld in die Handlung einführen. Ein alter Knacker (Horst Beck, „Die Gentlemen bitten zur Kasse“) spannt überall durch die Fenster und macht sich fleißig Notizen, er wird erst zu einem viel späteren Zeitpunkt wieder eine Rolle spielen. Notizen anzufertigen ist indes keine schlechte Idee, um bei allen Liebe-/Eifersüchteleien und Dreiecksbeziehungen den Überblick zu bewahren, denn jeder scheint hier mehr als nur eine Liebschaft zu pflegen.

„Würden Sie nicht auch so kombinieren?“

Nicht so jedoch Hauptkommissar Finke, der mit Jessner (Wolf Roth, „Perrak“) einen Assistenten frisch von der Polizeischule zur Seite gestellt bekommt. Da kommt es naturgemäß zur einen oder anderen Kabbelei. Kubitschek gibt eine sehr plietsche Ehefrau und Geliebte, die sofort das falsche Spiel ihres Mannes durchschaut und hier optisch ein wenig an Dagmar Lassander erinnert. Den Unfall, mit dem alles anfing, hat Petersen ambitioniert in Point-of-View-Perspektive gefilmt, was einen eindrucksvollen Effekt zur Folge hat, und auch sonst ist die Kameraarbeit recht dynamisch, bisweilen zum regen Treiben passend geradezu quicklebendig ausgefallen. Erzählerisch begnügt man sich nicht mit der falschen Verdächtigung und den Ermittlungen in der Unfallsache, deren Verursacher dem Publikum ja von vornherein bekannt ist. Mit der Erpressung kommt ein Whodunit? hinzu, auf das im letzten Drittel des mit 105 Minuten überlangen „Tatorts“ mit einem waschechten Mord noch einer draufgesetzt wird.

Fix was los also in Petersens außerschulischem Regiedebüt. Der Fall regt zum Mitdenken an und erfordert eine gewisse Aufmerksamkeit, die er mit hohem Unterhaltungswert inklusive subtilem Humor, einem Paar entblößter weiblicher Brüste und einem kleinen Crossover mit Hamburg-Kommissar Trimmel (Walter Richter) belohnt. Debütant Petersen konnte einige ihm bereits vertraute Schauspieler gewinnen, was ihm die Arbeit erleichtert haben dürfte und möglicherweise mitverantwortlich dafür war, dass die Chemie innerhalb der Konstellation zu stimmen schien. Aus heutiger Sicht birgt „Blechschaden“ zudem einen hohen Nostalgiefaktor oder schlicht interessante Einblicke in eine längst vergangene Zeit: In der Bürgerratssitzung sind alle am Qualmen und Biertrinken, in Hamburg fährt noch die Straßenbahn (während die südholsteinische Provinz in manch idyllischer Landschaftsaufnahme eingefangen wird) und die äußerst indiskrete Bank arbeitet bereitwillig mit der Polizei zusammen. Das verschachtelte und sehr, aber nicht überkonstruierte Drehbuch erinnert bisweilen gar angenehm ans damalige Genre-Kino, ohne das Lokalkolorit zu vernachlässigen. Wenn der Abspann läuft überm Bewegtbild einsetzt, ist der Gerechtigkeit genüge getan und haben sich nicht nur sowohl Kommissar Finke als auch Regisseur Petersen für weitere Großtaten qualifiziert, sondern auch Nils Sustrate, der zu Petersens Stammkomponisten avancieren sollte und „Blechschaden“ mit einem herrlich pulpig funkenden und groovenden Soundtrack unterlegte.

7,5 von 10 von Tonbandschnipseln klebe ich da gern aneinander.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Fr 27. Nov 2020, 17:33
von buxtebrawler
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Zorn: Vom Lieben und Sterben

„Hast dich irgendwie verändert…“

Ein Jahr nach der Verfilmung des ersten „Zorn“-Romans Stephan Ludwigs nahm sich die ARD dessen Nachfolger „Vom Lieben und Sterben“ vor, der im Herbst 2014 gedreht und am 16.04.2015 erstausgestrahlt wurde. Hinter den Kulissen blieb das Kernteam dasselbe: Mark Schlichter verfasste das Drehbuch zusammen mit Vorlagenautor Ludwig und übernahm auch die Regie. Die titelgebende Hauptrolle des Claudius Zorn jedoch wird nicht mehr von Mišel Matičević verkörpert, sondern von Stephan Luca („Heiter bis wolkig“).

„Möchte jemand eine Weinbrandbohne?“

Die Saalestadt Halle wird von furchtbaren Morden an Jugendlichen erschüttert: Einem Radfahrer wird ein gespanntes Stahlseil zum Verhängnis; später wird einer seiner Freunde (Ben Münchow, „Nur eine Nacht“) mit Benzin übergossen und bei lebendigem Leibe verbrannt. Beide gehörten einer Clique an, deren drei verbliebene Mitglieder sich gegenüber der Kripo verschlossen geben, jedoch ahnen, sich ebenfalls in Lebensgefahr zu befinden. Martha (Saskia Rosendahl, „Wir sind jung. Wir sind stark.“), das einzige Mädchen der Clique, spielt in ihrem Verhör dem ermittelnden Kommissar Claudius Zorn übel mit, indem sie ihn eines Vergewaltigungsversuchs bezichtigt. Wenngleich seinem einfühlsameren, gerade erst genesenen Partner Schröder (Axel Ranisch) Derartiges erspart bleibt, kommt man so nicht weiter. Hilfesuchend wendet man sich an den örtlichen Pastor (Tom Quaas, „Tatort: Todesstrafe“), der viel mit der Gruppe zu tun hat. Doch ausgerechnet dieser scheint es auf ein drittes Cliquenmitglied abgesehen zu haben: Zorn kann dem jungen Max (Merlin Rose, „Als wir träumten“) gerade noch das Leben retten, auf dem Computer des Pastors findet sich belastendes Material. Ein Mann Gottes auf Abwegen?

„Sie sind ein egozentrischer Angeber, der vermutlich gewohnt ist, alles flachzulegen, was ihm über den Weg läuft!“

Dass bereits nach dem ersten Beitrag einer Reihe das halbe Ensemble ausgetauscht wird, ist alles andere als üblich. Stephan Luca profitiert jedoch davon, dass seine Rolle bisher erst grob umrissen, aber noch längst nicht ausdefiniert worden war. So findet er sich adäquat in die Figur des wenig ambitionierten, mürrischen und anscheinend vom Leben enttäuschten Eigenbrötlers Claudius Zorn ein und trägt zudem gern eine Sonnenbrille auf der Nase, vielleicht um die äußerlichen Unterschiede etwas zu kaschieren. Staatsanwältin Borck, in der ersten „Zorn“-Verfilmung noch von Emily Cox gespielt, wird nun von Alice Dwyer („Baby“) dargestellt, eine gerngesehene Schauspielerin wurde also gegen eine anderen ebensolche ausgetauscht. Dwyer spielt die beherrschte und zugleich biestige Anklägerin, die keinerlei Hehl aus ihrer Abneigung gegen Zorn macht, pointiert und mit ungewohnter Härte und unterstreicht ihren Status als absolut ernstzunehmende, wandlungsfähige deutsche Schauspielerin, die so manche Produktion aufwertet.

Schröders Charakter erfährt die größte Weiterentwicklung innerhalb dieser Episode und gewinnt an Tiefe, wenn das Publikum intime Einblicke in schmerzhafte Kindheitserfahrungen erhält, die sich hinter der Fassade des pflichtbewussten, scheinbar stets fröhlichen und somit das exakte Gegenteil zu Zorn verkörpernden Kripobeamten verbergen. Zorn wird zu Beginn erst einmal von einem Halbstarken zusammengeschlagen, der sich kurz darauf als mordverdächtiges Mitglied der Jugendclique entpuppt. Diese Konstellation wird genüsslich ausgekostet, bis der Schläger im Freibad lebendig verbrannt wird – zynischerweise zum Bloodhound-Gang-Song „Fire Water Burn“. An Zorns Verlierer-Image wird weitergearbeitet, indem man ihn auf dem Zehnmeterbrett im Freibad unter Höhenangst leiden und damit zum Gespött der Jugendlichen werden lässt, vor allem aber, indem man ihn die Beziehung zu seiner Nachbarin Malina (Katharina Nesytowa), mit der er seit drei Monaten lose liiert ist, vollkommen verbaseln lässt. Dass sein angeblicher Lebenswandel als arbeitsscheuer, rauchender und trinkender Sportmuffel nicht zu seinem Mannequinkörper passen will, den er in seiner ersten Freibadszene offen zur Schau stellt, ist eine Schwäche der Reihe, in der sich diese zweite Episode kaum von der ersten unterscheidet.

Schön gelöst sind die Verhöre der Jugendlichen, die parallel zueinander montiert werden und in deren Zuge Martha den sexuellen Übergriff Zorns fingiert. Das anfängliche Whodunit? scheint mit der Enttarnung des Pastors aufgedeckt, doch der Fall ist wesentlich komplexer und das Morden geht weiter. So hält man nicht nur die Täter- sondern auch die Motivsuche fast bis zum Finale aufrecht, wodurch der gestalterisch düstere Film dramaturgisch gewinnt. Der Humor, der sich meist aus dem Umgang Zorns und Schröders miteinander ergibt und sich an Buddy Movies orientiert, ist schmückendes, nicht immer passendes Beiwerk, das indes hin und wieder die eigentlich bitterernste Handlung und dunkle Atmosphäre konterkariert. Möglicherweise hätte ein vollständiger Verzicht auf dieses Element gutgetan. Nach der entscheidenden, den psychotischen Täter entlarvenden Wendung verbildlicht eine Rückblende, dass nicht alles war, wie es schien, und lässt man dem Wahnsinn freien Lauf, um schließlich sogar noch eine pädagogische Komponente einfließen zu lassen. Das ist alles erneut sehr dick aufgetragen, ebenso gespielt und insbesondere hier vielleicht nicht immer ganz geschmackssicher, insgesamt aber um einiges stimmiger als noch „Zorn: Tod und Regen“ und mit mindestens einem Bein viel eher im Genrekino als im TV-Krimi verankert. Man darf also gespannt sein, wie es weitergeht.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 1. Dez 2020, 17:07
von buxtebrawler
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Gremlins – Kleine Monster

„Da sind so kleine grüne Kerle mit großen Zähnen unterwegs, die die ganze Stadt kaputtschlagen!“

„Gremlins – Kleine Monster“ ist eine echte Gemeinschaftsproduktion: Produziert von Steven Spielberg und ursprünglich von Chris Columbus geschrieben, wurde das Drehbuch gemeinsam mit Spielberg und dem ehemaligen Corman-Schüler Joe Dante („The Howling“) umgeschrieben, bevor dieser es zwischen seinem Beitrag zum „Twilight Zone“-Episodenfilm und „Explorers - Ein phantastisches Abenteuer“ inszenierte – und damit einen seiner größten Erfolge feierte. Seit die Horrorkomödie im Jahre 1984 in die Kinos kam, ist die Populärkultur um einen Weihnachtsklassiker reicher.

„Ich weiß, dass das verrückt klingt...“

Der erfolglose Erfinder Rand Peltzer (Hoyt Axton, „Der schleichende Tod“) bringt seinem Sohn Billy (Zach Galligan, „Der Weg durch die Hölle“) zu Weihnachten einen „Mogwai“ aus einem Laden in Chinatown mit, einen niedlichen, pelzigen kleinen Gesellen. Es gilt jedoch, unbedingt drei Regeln zu beachten: Der Mogwai darf keinem hellen Licht ausgesetzt werden, nicht mit Wasser in Berührung kommen und keinesfalls nach Mitternacht gefüttert werden. Billy freut sich über seinen neuen Spielkameraden und tauft ihn auf den Namen Gizmo, doch diese drei Regeln einzuhalten erweist sich als Herausforderung. Als dies einmal nicht gelingt, vermehrt sich Gizmo auf wundersame Weise – und seine fünf Nachkommen sind leider keinesfalls so niedlich und lieb wie er, sondern werden zu hässlichen kleinen Monstern, die die Kleinstadt Kingston Falls zu terrorisieren beginnen…

„Du musst hart werden!“

Der in Chinatown angesiedelte Auftakt wirkt stilistisch wie eine Mischung aus Film noir und Märchen; ein Effekt, der durch Peltzers Voice-over-Erzählstimme verstärkt wird. Dass er den Mogwai gegen den Willen des alten Ladeninhabers (Keye Luke, „Nur du und ich“) kauft, ist das erste Indiz für die darauf resultierenden ungewollten Ereignisse; die nur scheinbar leicht zu befolgenden Regeln, die er mit auf den Weg bekommt, riechen schon zehn Meter gegen den Wind nach Ärger. Peltzers Heimat Kingston Falls wird als hübsches, verschneites Kleinstadtambiente präsentiert, das von der fiesen alten Fuchtel Mrs. Deagle (Polly Hollyday, „Die Unbestechlichen“) bedroht wird – bevor die Gremlins Angst und Schrecken verbreiten, terrorisiert sie bereits die von finanziellen Problemen geplagte Familie Peltzer. Der kleine, extrem süße Gizmo heitert Filius Billy auf und lenkt ihn von den Sorgen und Nöten der Familie ab, während als Running Gag nichtfunktionierende Haushaltsgeräte der Peltzers, die dem Erfindergeist des Familienoberhaupts entspringen, eingeführt werden. Bis hierhin ist „Gremlins – Kleine Monster“ ein märchenhafter Familienfilm (wenn auch mit antikapitalistischer Note), der kaum ein Wässerchen zu trüben vermag.

„Wir müssen die Menschen unbedingt warnen!“

Die Märchenstimmung endet abrupt, als Billys Kumpel Pete (Corey Feldman, „Freitag der 13. – Das letzte Kapitel“) versehentlich Wasser über Gizmo schüttet, woraufhin sich dieser die bösartigen Brüder nach und nach aus dem Rücken drückt. Dante-Stammmime Dick Miller („In Hollywood ist der Teufel los“) nimmt in seiner Rolle als arbeitsloser, ausländerfeindlicher Trinker erstmals das Wort „Gremlins“ in den Mund, das im englischen Sprachraum bereits gebräuchlich war und so viel wie „kleine Monster“ bedeutet. Noch meint Miller damit lediglich eine seiner xenophoben paranoiden Fantasien, mit den tatsächlichen Gremlins wird er erst später Bekanntschaft machen. Billy indes macht Bekanntschaft mit Kate (Phoebe Cates, „Private School – Die Superanmacher“), der Tresenkraft des örtlichen Irish Pubs, und verguckt sich in sie, womit „Gremlins – Kleine Monster“ auch seine kleine Liebesgeschichte hat. Besucher von Irish Pubs drehen ganz gern mal auf, doch solche Gäste wie die Gremlins, die aus dem frechen und aufgekratzten Mogwai-Nachwuchs nach ihrer Verpuppung mutiert sind, hat auch sie noch nicht erlebt.

Ungefähr ab der Hälfte wird Dantes Film zur Horrorkomödie, die alles Märchenhafte ablegt und den Handlungsstrang um Kapitalistin Mrs. Deagle längere Zeit vernachlässigt. Zu klassisch inszenierten Spannungsszenen gesellt sich nun manch harscher und blutiger Moment, beispielsweise wenn Billys Mutter sich gegen die Unholde zur Wehr setzt und dabei ihre Haushaltsgeräte zu Hilfe nimmt. Und als wären fünf Störenfriede nicht genug, potenziert man die Bedrohung, als es nach einer Vermehrung im Schwimmbad des YMCA zu einer wahren Gremlins-Invasion kommt. Das Creature Design ist hervorragend gelungen, die Kreaturen sind plastisch, böse dreinblickend und einige lassen sich sogar aufgrund bestimmter Merkmale unterscheiden. Die Handlung setzt noch einen drauf, indem sie die Monster schnell dazulernen lässt und mit einer menschlichen Intelligenz ausstattet: Sie können nicht nur lesen und ein paar Worte sprechen, sondern sogar Flurfahrzeuge steuern. Damit nicht genug: Sie singen Mrs. Deagle sogar ein Weihnachtsständchen… Dass diese eine solche Weihnachtshasserin ist, hat einen traurigen Hintergrund, der den menschlichen Aspekt kurzzeitig wieder in den Vordergrund rückt.

Für eine Horrorkomödie, vor allem für eine, die zunächst suggeriert, ein Film für die ganze Familie zu sein, ist „Gremlins – Kleine Monster“ mitunter ziemlich herb ausgefallen, jedoch wurde bei allem schwarzen Humor darauf geachtet, blutige Szenen mit Menschen auszusparen. Stattdessen etabliert Dante eine weitere Ebene: die der Referenzialität aufs eigene Medium, der Parodie und der Hommage. Ständig läuft irgendwo ein Fernseher, in einem erscheint gar selbst ein Gremlin, vor allem aber laufen ganz beiläufig Klassiker wie Frank Capras Weihnachtsfilm „Ist das Leben nicht schön?“ oder Don Siegels Science-Fiction-Horror „Die Dämonischen“. Vater Peltzers Besuch der Erfindermesse geht mit subtilen Ehrerbietungen an „Die Zeitmaschine“ und „Alarm im Weltall“ einher, Produzent Steven und Spielberg und Komponist Jerry Goldsmith absolvieren Gastauftritte. Weit weniger subtil, vielmehr äußerst offensiv ist die Besetzung eines Kinos durch die Gremlins, in dem Disneys „Schneewittchen und die sieben Zwerge“-Zeichentrickadaption gezeigt wird. Und wie der Oberbösewicht nach einem überdrehten Finale zerfällt, erinnert sicher nicht von ungefähr an klassische Vampire.

„Gremlins – Kleine Monster“ funktioniert in seiner Gesamtheit auch als allgemeine Parodie auf Weihnachtskitsch, insbesondere filmischen, und nimmt zudem den Dualismus des Menschen, seine sich nicht selten pünktlich zu Weihnachten zeigende Heuchelei und Doppelmoral, aufs Korn. Dies geschieht ohne erhobenen Zeigefinger, sondern in Form eines gelungenen, auf hohen Unterhaltungswert und Kurzweil ausgerichteten Spagats zwischen Horror auf der damaligen Höhe der Zeit und Familientauglichkeit zumindest bis hinab zum nicht mehr ganz so jungen Nachwuchs. Sympathische, gut geschauspielerte Figuren inklusive dem beeindruckend trainierten Familienhund Barney (Mushroom, „Das Halloween-Monster“) wirken sehr einladend und tragen neben der tollen Spezialeffektarbeit und der zum Abschuss freigegebenen Kleinstadtweihnachtsatmosphäre dazu bei, dass Dantes Film hervorragend gealtert ist und selbst zu einem Weihnachtsklassiker und -Evergreen gereift ist – wenngleich mir persönlich der eine oder andere konsequent grimmige Weihnachtshorrorfilm dann doch noch ein wenig mehr am Herzen liegt.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mi 2. Dez 2020, 17:26
von buxtebrawler
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Driver

„Jeder Job bringt Probleme!“

US-Actionprofi Walter Hills nach seinem Debüt „Ein Stahlharter Mann“ (1975) zweiter Spielfilm als Regisseur ist der Action-Thriller „Driver“ aus dem Jahre 1978, zu dem er auch das Drehbuch verfasste.

Los Angeles, USA: Niemand kennt seinen Namen, er ist schlicht der „Driver“ (Ryan O’Neal, „Barry Lyndon“), der sich sein Salär als mietbarer Fluchtfahrzeugchauffeur für die Unterwelt verdient. Aufgrund seiner Fahrfähigkeiten, seiner Professionalität und seiner Verschwiegenheit ist er ein gefragter Mann, dem die Polizei einfach nicht habhaft wird – sehr zum Groll eines besonders hartnäckigen Bullen (Bruce Dern, „Lautlos im Weltraum“), der alles daran setzt, den Driver endlich dingfest zu machen. Auch die nur „Spielerin“ genannte junge Frau (Isabelle Adjani, „Der Mieter“), die Zeugin eines Überfalls war, wurde längst geschmiert und schweigt wie ein Grab. Der Bulle sieht nur noch eine Chance: Das Gesetz auszuhebeln und dem Driver eine böse Falle zu stellen…

Walter Hill arbeitete bereits 1968 als Regieassistent an „Bullitt“ mit und inszenierte dort eine der aufsehenerregenden Kfz-Verfolgungsjagden. Daran fand er offenbar so viel Gefallen, dass er derartige Actioneinlagen zum Aufhänger eines ganzen Films machte: „Driver“ erzählt im unterkühlten Neo-noir-Stil eine bewusst reduzierte Dreiecksgeschichte, in der die erste spektakuläre Verfolgungsjagd nicht lange auf sich warten lässt. Alle drei Hauptfiguren sind wortkarg, insbesondere der namensgebende Driver. Die Folge ist ein dialogarmer Film, der die Abgeklärtheit des Drivers dem Ehrgeiz des getriebenen, aber auch sehr von sich eingenommenen Bullen gegenüberstellt und ein Psychoduell zwischen beiden entbrennt. Einer weiteren Charakterisierung seiner Figuren verweigert sich Hills Film, dessen Hauptrolle ursprünglich Steve McQueen bekleiden sollte.

„Driver“ liefert ein schmutziges, düsteres Bild L.A.s voller unheimlicher Schatten, die sich auch über die Gesichter der Figuren legen und sie, passend zu ihrer Rätselhaftigkeit, gewissermaßen verschleiern. Grenzen werden überschritten, Verrat mit dem Leben bezahlt, ein Gejagter wird zum Jäger. Trotz irrer Verfolgungsjagden ist „Driver“ ruhig erzählt, während er Isabelle Adjani auch in ihrer ersten US-amerikanischen Rolle eine gute Figur machen lässt und auf ein spannendes Finale mit gewitzter Pointe zusteuert. Schauspielerisch sticht besonders Bruce Dern heraus – allein schon, weil er die meisten Emotionen zeigen darf. „Driver“ ist durchgestylt, erzählerisch minimalistisch und in seinen Actionszenen beeindruckend, jedoch etwas zu artifiziell, um einen wirklich zu packen und vielleicht dann doch auch zu wenig doppelbödig, um es mit großen Genreklassikern aufzunehmen. Für das, was er sein will und ist, ist „Driver“ jedoch ein schnörkelloses Genrevergnügen ohne ein Gramm Fett auf den Hüften.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Do 3. Dez 2020, 16:44
von buxtebrawler
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Die Katze

…unterm heißen Hoteldach

Zwischen seinen TV-Krimis „Tatort: Schwarzes Wochenende“ (jenem fulminanten Schimanski/Thanner-Beitrag) und „Die Beute“ kam im Januar 1988 Dominik Grafs „Die Katze“ in die Kinos – und damit ein Film, der das TV-Krimi-Sujet sprengte, indem er sich am ausländischen Gangster- und Action-Kino orientierte. Grafs von Christoph Fromm in Drehbuchform adaptierte Inszenierung des gleichnamigen Romans Uwe Erichsens ist eine Mischung aus Heist Movie und Action-Thriller, die in den Sommermonaten des Jahres 1987 gedreht wurde.

Düsseldorf, 16.06.1987: Verbrecher Probek (Götz George, Duisburger „Tatort“) führt einen spektakulären Coup durch: Seine Handlanger Junghein (Heinz Hoenig, „Der Drücker“) und Britz (Ralf Richter, „Das Boot“) lässt er eine Filiale der „Credit Bank“ überfallen und die Belegschaft als Geiseln nehmen, um ein Lösegeld in Millionenhöhe zu erpressen. Mit beiden Geiselnehmern steht er in direktem Funkkontakt und während Junghein in die Geiselnahmepläne eingeweiht ist, glaubte Britz, er solle lediglich einen raschen Überfall durchführen. Die Polizei um Hauptkommissar Voss (Joachim Kemmer, „Meier“) weiß nichts von Drahtzieher Probeks Treiben im Hintergrund und dass dieser vom gegenüberliegenden Hotel Bank und Polizeiaktivitäten stets im Blick hat. Seine detaillierten Informationen über die Bank hat er von Jutta Ehser (Gudrun Landgrebe, „Die flambierte Frau“) erhalten, der Frau des Bankdirektors (Ulrich Gebauer, „Die vierte Zeit“), zu der er eine Affäre unterhält. Der Polizei gegenüber scheinen Probek & Co. also klar im Vorteil zu sein. Doch hat Probek wirklich alle Eventualitäten bedacht…?

Zwischen den Vorspann wird eine Sexszene zwischen Jutta und Probek geschoben, Eric Burdon singt dazu das Titellied „Good Times“, in das Junghein und Britz auf ihrer Fahrt zur Bank einsteigen. Orts-, Datums- und Uhrzeiteinblendungen dienen nicht nur der Orientierung, sondern stellen Probeks minutiöse Planung heraus und vermitteln, dass „Die Katze“ beinahe in Echtzeit stattfindet. Zunächst läuft auch alles nach Plan, sogar einen Angriff mit Betäubungsgas kann Probek erfolgreich abwehren, und spektakuläre Explosionen erfreuen das Herz des Actionfreunds. Doch Bulle Voss ist ebenfalls nicht auf den Kopf gefallen. Über weite Strecken sorgt diese Konstellation für Hochspannung in Einheit mit authentisch anmutender nervöser Angespanntheit auf allen Seiten, die aus der ohnehin schon unwirtlichen Situation ein wahres Pulverfass macht. Dass nicht alle mit ungezinkten Karten spielen führt zu einigen überraschenden Wendungen, die in einen einmal mehr spektakulären Showdown münden, der in einen offenen Epilog übergeht.

In seinem Figurenensemble finden sich bekannte Rollenbilder der Genres: Der insbesondere im Heist-Bereich verbreitete Strippenzieher im Hintergrund, der kein typischer Haudrauf-Gangster, sondern ein intelligenter, mit Bedacht vorgehender Puzzler und Kontrollfreak ist, der auf alle vorbereitet sein möchte. Die ausführenden Kräfte sind die Jungs fürs Grobe, ihr Gegenspieler ist der mit Verbissenheit, fast schon wie besessen vorgehende, hartnäckige Bulle. Von entscheidender Bedeutung wird letztlich jedoch die Femme fatale sein, hochgradig sexy und verrucht, aber auch undurchsichtig und verschlagen. Die Kunst des Genrefilms ist es, mittels bekannter Figuren neue Geschichten zu erzählen bzw. Bekanntes so sehr zu variieren, dass Spannung, Schauwerte und Unterhaltsfaktor nicht auf der Strecke bleiben, aber auch nicht zu viel zu modifizieren, sodass das Genrepublikum sich nicht mehr zurechtfinden würde. „Die Katze“ gelingt diese Gratwanderung – stets ohne große Vorbilder plump zu kopieren –, indem er sein Genre und seine Charaktere ernstnimmt und sein Publikum zumindest so weit emotional an sie zu binden versteht, dass es kräftig mitfiebern kann.

Grafs u.a. im Düsseldorfer Hotel Nikko und Deutsch-japanischen Center gedrehter Film verfügt im Prinzip über lediglich zwei Schauplätze: die Bank und das Hotel. Diese Reduktion verleiht ihm zuweilen eine geradezu klaustrophobische Stimmung, die sich aufs Publikum überträgt. Dieses wird auch permanent Ohrenzeuge des Funkverkehrs sowohl der Gangster als auch der Polizei, was der Handlung beinahe dokumentarischen Charakter und damit zusätzlichen Realismus angedeihen lässt. Die imposante, teilweise richtiggehend originelle Kameraführung sorgt für Dynamik und versteht es, die zur Top-Riege deutscher Schauspieler(innen) gehörenden Darsteller(innen) optimal (inklusive erotischer Vorzüge) einzufangen. Dramaturgisch wird „Die Katze“ gegen Ende zwar etwas langatmig und dialogreich, alles in allem ist Graf aber ein beeindruckendes Stück intelligenten und aufwändig gemachten Genrekinos gelungen, das seine Zuschauerinnen und Zuschauer mühelos knapp zwei Stunden lang als Geiseln nimmt.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 8. Dez 2020, 16:03
von buxtebrawler
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Tatsächlich... Liebe

„Das ist doch Scheiße, oder?“ – „Yepp, und die wird jetzt vergoldet!“

Der Brite Richard Curtis begann seine Karriere als Drehbuchautor solcher Schmonzetten wie „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ und „Notting Hill“, hatte aber auch stets ein Näschen für Humor („Mr. Bean“). Die Kombination aus beidem machte ihn zu so etwas wie den britischen Romantic-Comedy-Experten, ein Genremix, den er schließlich auch als Autorenfilmer bediente. In dieser Eigenschaft debütierte er im Jahre 2003 mit der britisch-US-amerikanischen Koproduktion „Tatsächlich... Liebe“, mit der er einen modernen Weihnachtsfilm schuf, der an den Kinokassen durch die Decke ging und anschließend zum Neuzeitklassiker avancierte.

„Das ist nicht zum Lachen – das ist Kunst!“

Fünf Wochen vor Weihnachten machen die unterschiedlichsten Menschen unterschiedliche Erfahrungen mit der Liebe: Der neu amtierende britische Premierminister David (Hugh Grant, „Notting Hill“) entwickelt zarte Gefühle für seine Vorzimmerdame Natalie (Martine McCutcheon, „EastEnders“), die jedoch vom arroganten US-Präsidenten (Billy Bob Thornton, „Bad Santa“) angegraben wird, welchem er daraufhin öffentlich kräftig die Meinung geigt. Schriftsteller Jamie (Colin Firth, „Bridget Jones – Schokolade zum Frühstück“) wurde von seiner Freundin (Sienna Guillory, „Late Night Shopping“) mit seinem eigenen Bruder betrogen und reist nach Südfrankreich, wo er in Ruhe an seinem nächsten Buch arbeiten möchte. Dort lernt er die portugiesische Haushälterin Aurelia (Lúcia Moniz, „A Grande Aposta“) kennen und trotz unüberwindbar erscheinender Sprachbarriere verliebt man sich ineinander. Der desillusionierte, alternde Sänger Billy Mack (Bill Nighy, „Mord à la Carte“) nimmt den The-Troggs-Hit „Love is All Around“ in einer Weihnachtsversion auf, obwohl er mit dem Song ebenso wenig anfangen kann wie mit Festtagskitsch generell – woraus er auch keinerlei Hehl macht. Das Liebespaar Peter (Chiwetel Ejiofor, „Kleine schmutzige Tricks“) und Juliet (Keira Knightley, „Kick It Like Beckham“) vermählt sich. Bei der kirchlichen Trauung überrascht sie Peters Trauzeuge Mark (Andrew Lincoln, „Gangster No. 1“) mit einer Beatles-Cover-Band und filmt die Hochzeit – schweren Herzens, denn er ist ebenfalls bis über beide Ohren in die Braut verliebt. Nach dem tragischen Tod seiner Mutter Joanna lebt der kleine Sam (Thomas Brodie-Sangster, „Hitler: Der Aufstieg des Bösen“) allein mit seinem Stiefvater Daniel (Liam Neeson, „Darkman“) und verliebt sich in eine US-Austauschschülerin, die denselben Namen wie seine Mutter trägt: Joanna (Olivia Olson). Sein Vater wiederum wird scharf auf Carol (Claudia Schiffer, „666 – Traue keinem, mit dem du schläfst!“), die Mutter eines Mitschülers Sams, weil sie dem ehemaligen Mannequin Claudia Schiffer ähnlichsieht. Der verheiratete Werbeagentur-Chef Harry (Alan Rickman, „Stirb langsam“) schenkt seiner um ihn buhlenden Sekretärin Mia (Heike Makatsch, „Nackt“) einen wertvollen Halsschmuck. Harrys Frau Karen (Emma Thompson, „Das lange Elend“), zugleich Premierminister Davids Schwester, hätte diese Kette selbst gern gehabt und beginnt, ihre Ehe infrage zu stellen. Harrys Angestellte Sarah (Laura Linney, „Die Truman Show“) wiederum schwärmt für ihren Kollegen Karl (Rodrigo Santoro, „3 Engel für Charlie - Volle Power“), kann sich aber nicht überwinden, ihn anzusprechen. Botenjunge Colin (Kris Marshall, „Iris“) schafft es einfach nicht, bei den einheimischen Frauen zu landen und fliegt nach Wisconsin, wo ihm die Damenwelt zu Füßen liegt. Die Nacktdarsteller/-doubles Judy (Joanna Page, „From Hell“) und John (Martin Freeman, „Ali G Indahouse“) lernen sich bei den Dreharbeiten zu einem Softporno kennen und beschließen, auch einmal privat etwas miteinander zu unternehmen.

„Ich renne mit offener Hose ins Paradies!“

Curtis‘ Film ist als Episodenfilm angelegt, der von Flughafenszenen zu Beginn und am Ende gerahmt wird. Zunächst scheinen alle Episoden voneinander unabhängig, im Laufe der Zeit kreuzen sich jedoch die Wege einiger Figuren und die unzusammenhängend erzählten, also mehrmals wiederaufgegriffenen Episoden werden miteinander verwoben. Ein Off-Sprecher führt mit gewagten Thesen über Liebe in die Handlung ein, die in ihrer Sprunghaftigkeit gewöhnungsbedürftig ist, aber zumindest für reichlich Abwechslung sorgt. Der Erzählstrang um Billy Mack und die „Love is All Around“-Neuaufnahme sticht mit ihrem frechen, antiweihnachtlichen Humor, der bisweilen an „Bad Santa“ erinnert, hervor, denn spätestens im Radiointerview entpuppt sich Billy als herrlich abgefuckt und sarkastisch. In dieselbe Kerbe schlägt sein TV-Auftritt und der sexistische Videoclip, der zu seinem Song gedreht wird, ist genial verstörend. Hierbei handelt es sich eindeutig um die gelungenste Episode dieses Films.

„Ich hasse Onkel Jamie!“

Auch nicht zu verachten, weil schön bizarr ist die kleine Geschichte um die beiden Nacktdarsteller, die auch tatsächlich im Adam-und-Eva-Kostüm gezeigt werden und damit für eine erotische Komponente sorgen, während sie wie selbstverständlich privaten Smalltalk miteinander betreiben und sich zu einem angezogenen Treffen verabreden. (Der Erotikanteil wird später um eine sich oben ohne präsentierende Angestellte einer Designerin ergänzt.) Manch Zuschauerin oder Zuschauer, die oder der eine übliche Schmonzette erwartet hat, mag diese beiden Episoden als unsensibel erachten und sich vor den Kopf gestoßen fühlen – doch eigentlich sind es die anderen Beiträge, die sauer aufstoßen. So erhält der Witwer, dessen Frau gerade gestorben ist, von einer Freundin den unsensiblen Rat „Wenn du rumheulst ohne Ende, geht keine Frau mit dir ins Bett!“, der von Curtis jedoch gar nicht als unangemessen eingeordnet wird und damit offenbart, dass es hier gar nicht so sehr um Liebe, sondern vielmehr um Sex geht. Claudia Schiffer hat einen Kurzauftritt als eine Frau, die Claudia Schiffer ähnlichsieht, aber wirklich kein Kind der Welt möchte von seinem Vater hören, dass er „Claudia Schiffer knallen“ will!

Der UK-Premier düpiert den US-Präsidenten nicht etwa für dessen unmögliche Politik in aller Öffentlichkeit, sondern lediglich, weil dieser seine Vorzimmerdame angebaggert hat. Einher geht der ganze Schlamassel mit unpassend despektierlichen Dialogen über die vermeintlich mollige Natalie, womit ein fragwürdiges Schönheitsideal vermittelt wird. Das unsägliche Machogehabe beider Männer ist bezeichnend und den Premierminister nimmt man Grant wohl auch nur schwerlich ab. Für mich bleibt er Hugh, der alte Schmierlappen.

Der indirekte, aus der Sprachbarriere resultierende Sprachwitz zwischen Schriftsteller Jamie und seiner Haushälterin Aurelia ist ein kurzer Lichtblick. Die schwächste Erzählung um den auf der Suche nach Sex in die USA gehenden Colin reißt hingegen vieles wieder ein: In den USA erfüllen sich seine Träume unmittelbar und vollkommen übertrieben. Wo ist da der Witz? Wohl niemandem außer Curtis würde man mit einer derart idiotischen Pointe durchkommen lassen. Und was soll daran lustig sein, dass ein Chef seine Frau mit der Makatsch betrügen will und sie an Weihnachten zum Weinen bringt? Glücklicherweise nichts, denn es sind gar nicht alle Geschichtchen humoristisch gemeint: Wie in einem schwer genießbaren Cocktail mengt Curtis munter Dramen unter seine Possen.

Dass letztlich alle Figuren irgendwie miteinander verbandelt sind, überrascht wenig, die britische Insel eben. Zu sehen bekommt man fast ausschließlich hübsche, schlanke Menschen. Wer keine Modelmaße mitbringt, wird abgestraft. Ok, und Rowan Atkinson („Mr. Bean“) gibt sich als Juwelier ein Stelldichein. Zu viel zeitgenössischer Popmusik gesellen sich einige Klassiker und der obligatorische Orchesterkleister, ein Originalausschnitt aus Camerons „Titanic“ wird eingebettet und Schiffers Kurzauftritt ist genauso kitschig wie der Großteil der finalen Episodenpointen, wobei manches nicht auserzählt wirkt. Curtis arbeitet viel zu viel mit Aneinanderreihungen von Unwahrscheinlichkeiten und Unplausiblem und setzt Witz und Trauer nahezu gleichberechtigt als Unterhaltungsprogramm ein. Das ist zynisch, entspricht aber vermutlich den Rezeptionsgewohnheiten der Zielgruppen. Im heillos überfrachteten, wie aus etlichen unausgegorenen Ideen zusammengesetzten „Tatsächlich... Liebe“ scheint sich die geballte Geschmacksverirrung des Mainstream-Publikums zu konzentrieren. Die Episoden um Sänger Billy Mack und die beiden Nackedeis hätten als Weihnachtssatire wunderbar gepasst, alles andere aber ist eigentlich leider ziemlich überflüssiger Bockmist.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mi 9. Dez 2020, 19:08
von buxtebrawler
Tatort: In der Familie

„Wir haben einen Haftbefehl – wegen Mord!“ – „Wegen Mord?“

Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der öffentlich-rechtlichen Fernsehkrimireihe wurde ein Drehbuch Bernd Langes zu einem Zweiteiler ausgearbeitet, dessen erster Teil vom deutschen Genrefilm-Experten Dominik Graf („Die Katze“) und dessen zweiter Teil von Regisseurin Pia Strietmann inszeniert wurde, die damit nach dem „Tatort: Unklare Lage“ zum zweiten Mal mit dem Münchner Team zusammenarbeitete. Es handelt sich um einen Crossover des Münchner Ermittlerduos aus Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Ivo Batic (Miroslav Nemec) mit dem Dortmunder Team um die Kommissare Peter Faber (Jörg Hartmann) und Martina Bönisch (Anna Schudt). Teil 1 wurde im November und Dezember 2019 gedreht, die Dreharbeiten des zweiten Teils fielen in die Zeit der Covid-19-Pandemie und nahmen daher einen Zeitraum von März bis Juli 2020 in Anspruch.

„Mord ist keine Auslegungssache!“

Der Italiener Luca Modica (Beniamino Brogi, „Der Fall Barschel“) betreibt mit seiner Frau Juliane (Antje Traue, „Kleinruppin Forever“) ein Restaurant in Dortmund, das der ’Ndrangheta-Mafia zugleich als Drogenumschlagplatz dient. Mafioso Pippo Mauro (Emiliano de Martino, „Inspector De Luca“) hat in München einen Dealer ermordet und findet bei den Modicas Zuflucht vor der Polizei. Modicas Gaststäte wird schon länger von der Dortmunder Kripo observiert; Mauros Ankunft wird dem BKA gemeldet und ruft die Münchner Kommissare Batic und Leitmayer auf den Plan, die ihn in Dortmund verhaften wollen. Die Dortmunder um die Kommissare Bönisch und Faber sehen dadurch jedoch den Erfolg ihrer Ermittlungen im Drogenmilieu gefährdet und geraten daher in Meinungsverschiedenheiten mit den Gästen aus Bayern. Mauro reitet seinen Gastgeber derweil immer tiefer in kriminelle Mafiaaktivitäten hinein, woran Juliane zu verzweifeln droht. Die Beamtin Nora Dalay (Aylin Tezel) wird auf Juliane angesetzt, um an weitere Informationen zu gelangen. Tatsächlich gelingt es, sie zur Zusammenarbeit mit der Polizei zu bewegen. Doch damit begibt sie sich in höchste Gefahr… Nach den Ereignissen in Dortmund tauchen Mauro, Luca Modica und dessen 17-jährige Tochter Sofia (Emma Preisendanz, „Was machen Frauen morgens um halb vier?“) in München unter. Sofia vermisst ihre Mutter, doch ihr Vater schweigt über die wahren Geschehnisse und der örtliche Pate Domenico Palladio (Paolo Sassanelli, „Tatort: Kopper“) verstrickt Luca und Mauro weiter in kriminelle Aktivitäten. Batic und Leitmayer haben ihn im Blick und erhalten ungeahnt Hilfe vom Dortmunder Faber, der nun den Münchnern einen dienstlichen Besuch abstattet. Wirklich eng wird es für die ’Ndrangheta jedoch erst, als Sofia zu rebellieren beginnt…

„Die Italiener…“

Bereits der eröffnende Mord am Drogendealer ist erstklassig in Szene gesetzt, doch das Whodunit? ist lediglich angetäuscht. Der Mörder ist bald enttarnt und der „Tatort“ nimmt einen ganz anderen Verlauf. Innerhalb einer authentisch anmutenden Milieubeschreibung (inklusive vieler italienischer Dialoge, die deutsch untertitelt wurden) werden die engen Daumenschrauben verdeutlicht, die ein Pakt mit der Mafia bedeuten. Der Fall zeigt die Abläufe der illegalen Machenschaften, die Abhängigkeiten, in die sich Menschen mitsamt ihrer Familien dadurch begeben, und die moralische Abwärtsspirale, die als Konsequenz resultiert und an deren Ende man sich statt in der erhofften Win-Win- in einer Lose-Lose-Situation befindet und Verzweiflung, Erpressung und Todesangst zu unfassbaren Taten führen.

„Diese scheiß Dortmund-Geschichte…“

Parallel dazu liefert insbesondere der erste Teil einen differenzierten Einblick in die Ermittlungsarbeit, bei der es schwierige Entscheidungen sorgfältig abzuwägen gilt und offenbar doch nicht immer die richtigen getroffen werden, bei der es zu Kompetenzgerangel und offener gegenseitiger Antipathie kommt und auch schon mal gegen- statt miteinander gearbeitet wird. Menschen werden ausgenutzt und gefährdet, auch hier scheint die Moral eine untergeordnete Rolle zu spielen und der Zweck die Mittel zu heiligen. Klassische Gut/Böse-Schemata durchbrechen Autor und Regie bewusst und die ganze Situation ist derart vertrackt, dass auch die Zuschauerinnen und Zuschauer keine Paradelösung parat haben dürften. All dies sorgt für eine beklemmende Stimmung und eine fast schon unangenehme, weil stark realitätsbezogene Spannung; diverse Gefühlsausbrüche lassen „In der Familie“ auch auf emotionaler Ebene die Register ziehen. Am Ende von Teil 1 wird die Institution Familie als heiliger Schutzort komplett dekonstruiert – und das Dortmunder Team um Nora Dalay ärmer sein.

Mehr noch als im ersten Teil spielt die Polizei im zweiten eine untergeordnete Rolle, in den Vordergrund rückt Sofia mit ihren berechtigten, doch unangenehmen Fragen. Je mehr bruchstückhafte Informationen sie erhält und ihr Umfeld zu durchschauen beginnt, desto wütender wird sie, bis sie die große Eskalation herbeiführt. Zuvor musste sie über sich hinauswachsen, wobei die Handlung leider für sich behält, wie genau sie das tat – ist hier möglicherweise die eine oder andere Szene dem Schneidetisch zum Opfer gefallen? Nachdem die grausame Wahrheit ausgesprochen wurde, ist das „Tatort“-Publikum ebenso schlau wie Sofia, nicht wissend, wie es weitergehen soll, wie es überhaupt weitergehen könnte. Der Fall scheint gelöst, doch entscheidende Fragen bleiben offen. Es gibt kein Happy End, denn das wäre verlogen gewesen. Was bleibt sind Trauer, Ungewissheit und diese spezielle Coming-of-Age-Melancholie als Folge tragischer Ereignisse.

Ohne selbstzweckhafte Actioneinlagen oder dergleichen ist mit „In der Familie“ ein herausragender, höchst dramatischer „Tatort“ gelungen, dessen düstere Bilderwelten zur vermittelten Stimmung passen und der wunderbar sein Erzähltempo zu variieren versteht. Ein Abgesang auf die Mafia mit ihren widerwärtigen Bastarden und deren feigen Methoden, in dem kein Platz mehr für jegliche Glorifizierung ist und man ganz jämmerlich in seinem eigenen Blut liegend verreckt. Das ist durch die Bank weg erstklassig gespielt, insbesondere Preisendanz (in ihrer ersten Nichtkinderrolle?) empfiehlt sich für weitere Rollen. Graf und Strietmann harmonieren insofern gut miteinander, als sich beide Teile gut aneinanderfügen und keine Einschnitte im Tonfall zu vernehmen sind. Der Mut, zwei unterschiedliche Regisseure jeweils einen Teil unabhängig vom jeweiligen Kollegen inszenieren zu lassen, wurde belohnt. Ein grandioses, fesselndes und emotional aufwühlendes „Tatort“-Doppel, dem Jubiläum mehr als angemessen und über dem Niveau manch üblicher deutscher TV-Krimikost. So darf es gern weitergehen. Nur weshalb Batic seinem Kollegen Leitmayr Unterhosen schenkt, habe ich nicht verstanden.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Do 10. Dez 2020, 16:22
von buxtebrawler
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House

„Das war das Haus, das es getan hat!“

„House“ aus dem Jahre 1985 zählt zu den klassischen ‘80er-US-Horrorkomödien, mit denen wohl jede(r) Genre-Freund(in) im Laufe der Jahre mindestens einmal konfrontiert worden ist. Produziert von Sean S. Cunningham (Regisseur von „Freitag der 13.“) und inszeniert von Steve Miner (Regisseur der ersten beiden „Freitag der 13.“-Fortsetzungen) – was sollte da schon schiefgehen?

„Ätzendes Buch!“

Den erfolgreichen Bestsellerautor Roger Cobb (William Katt, „Carrie“) zieht es nach dem Suizid seiner Tante (Susan French, „Der weiße Hai 2“) in deren Haus, in dem er als Kind aufgewachsen ist, an das er jedoch keine guten Erinnerungen hat: Vor einem Jahr verschwand sein Sohn Jimmy (Mark Silver) dort unter ungeklärten Umständen, woran schließlich auch seine Ehe mit Schauspielerin Sandy Sinclair (Kay Lenz, „Der Pass des Todes“) zerbrach. Doch Roger hält das alte Haus in einer Vorstadtsiedlung für den geeigneten Ort, um an einem neuen Buch schreibend und ganz andere Geister aus seiner Vergangenheit zu vertreiben: die bösen Erinnerungen an seine Zeit als Soldat im US-Angriffskrieg gegen Vietnam, als er seinen Kameraden Big Ben (Richard Moll, „Herrscher der Hölle“) schwerverwundet dem Vietcong in die Hände fallen ließ. Doch im Haus spukt es und sogar der zombifizierte Big Ben sucht Roger heim, um sich an ihm zu rächen...

„Abgefahren!“

Denke ich an „House“, denke ich stets auch wohlig (und reichlich verklärt) ans gute alte Privatfernsehen zurück: Ende der ‘80er sendete RTL plus „House“ und „House II“ im Doppelpack, wobei der zweite Teil aufgrund seiner FSK-12-Freigabe zur Hauptsendezeit vorm ersten lief und der durchs ganze Drumherum mit Horror-Quiz etc. führende Ansager (!) den Zuschauerinnen und Zuschauern Miners Film als waschechten Horrorfilm zu verkaufen versuchte. Ich war eigentlich für beide Filme noch zu jung, schnitt sie trotzdem auf VHS mit und gruselte mich tatsächlich wie Hulle davor, was dem bemitleidenswerten Roger so alles zustieß.

Dies relativierte sich natürlich im Laufe der Zeit und recht bald erkannte ich das komödiantische Potential dieses Films, der gar nicht allzu sehr auf Schenkelklopfer ausgerichtet ist, sondern seine Figuren ernstnimmt und trotz manch überzeichneter, bizarrer oder absurder Situation nie den Gruselfaktor außer Acht lässt. Zu diesem tragen neben Harry Manfredinis gespenstischer Filmmusik zahlreiche visualisierte Alp- und Tagträume, Visionen und Erinnerungen Cobbs, z.B. Kriegsszenen aus Vietnam, bei. In Kombination mit Masken- und Spezialeffektarbeit auf der Höhe der Zeit und einigen wunderbaren Spannungsszenen der alten Schule entwickelt sich eine relativ ernste Haunted-House-Komödie über Traumabewältigung, in der sich das Trauma in physikalischer Form manifestiert und dem Traumatisierten nach dem Leben trachtet. Zugleich ist „House“ in seiner ganzen Ausgestaltung sehr bunt und comichaft, sein Publikum soll mit Monstern hinter Türen und Schränken sowie grünen Geistern unterhalten und erschrocken, nicht aber verstört werden.

In einer Nebenrolle überzeugt George Wendt („Cheers“) als aufdringlicher, aber auch besonders aufmerksamer Nachbar, eigentlicher Star des Films ist aber Big Ben, der als mumifizierter G.I. großartig aussieht und mich angenehm an Sergeant D., das Maskottchen der Metal/Hardcore-Crossover-Band S.O.D., erinnert. Der sieht in jedem Falle stilsicherer aus als Cobb in seinem furchtbaren Pullover mit überdimensionalem V-Ausschnitt. Geschmack bewies man hingegen bei den eingespielten Songs, u.a. dem von Betty Everett gesungenen „You're No Good“. „House“ ist alles in allem eine sehr sehenswerte Horrorkomödie für Liebhaber(innen) des ‘80er-Genrekults, wenngleich – wie damals üblich – das klassische Happy End ihm viel Grimmigkeit nimmt und der Handlung ein etwas breiteres Fundament gutgetan hätte.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Fr 11. Dez 2020, 17:32
von buxtebrawler
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Das Wunder von Manhattan

„Diese kleinen, anscheinend unwichtigen, sentimentalen Anachronismen können überraschende Durchschlagskraft entwickeln. Ich will nicht, dass meine Pläne von einem alten Märchenonkel im roten Anzug durchkreuzt werden!“

Bei US-Regisseur Les Mayfields („Steinzeit Junior“) „Das Wunder von Manhattan“ aus dem Jahre 1994 handelt es sich um ein Remake des gleichnamigen, mir jedoch unbekannten und diesseits des Atlantiks generell weniger populären US-amerikanischen Weihnachtsfilms aus dem Jahre 1947.

„Das wünsche ich mir zu Weihnachten: ein Haus, einen Vater und einen Bruder!“ (Bescheiden: Susan Walker)

Schauplatz Manhattan: Die Kaufhausangestellte und alleinerziehende Mutter Dorey Walker (Elizabeth Perkins, „Nochmal so wie letzte Nacht“) organisiert alljährlich eine große Weihnachtsparade, zu der der Weihnachtsmanndarsteller jedoch betrunken aufkreuzt und kurzerhand entlassen wird. Seinen Job bekommt spontan Kris Kringel (Richard Attenborough, „Jurassic Park“) überantwortet, ein etwas kauziger älterer Herr, der dem Weihnachtsmann wie aus dem Gesicht geschnitten scheint. Da er seiner Tätigkeit mit viel Herzblut nachgeht und Kinder wie Erwachsene zu begeistern versteht, wird er auch gleich als Kaufhaus-Weihnachtsmann angeheuert und kurbelt die Umsätze im Weihnachtsgeschäft kräftig an. Mit dem Brustton der Überzeugung behauptet Kringle von sich, der echte Weihnachtsmann zu sein, was für einige Irritationen sorgt, aber auch die Einzelhandelskonkurrenz auf den Plan ruft: Diese intrigiert gegen Kringle und zerrt ihn vor Gericht, wo er beweisen muss, der wahre Santa Claus zu sein. Auch Doreys sechsjährige Tochter Susan (Mara Wilson, „Mrs. Doubtfire“) zweifelt an Kringles Identität und verlangt von ihm, ihr ihre drei Wünsche zu erfüllen: ein Haus, einen Vater und einen Bruder…

„Sie halten mich für einen Schwindler, nicht wahr?“

Dieses als sehr kinderfreundlicher Familienfilm konzipierte Remake führt mit der sechsjährigen, neunmalklugen Susan eine höchst nervige und unsympathische Rolle ein, die in den Augen der Filmemacher jedoch offenbar als Identifikationsfigur für die jüngsten Zuschauerinnen und Zuschauer fungieren soll. Augenzwinkernde Bilder wie die einer Kneipe voller betrunkener Weihnachtsmänner lassen zwischenzeitlich auf komödiantisches Potential hoffen, doch stattdessen steht zunächst die demonstrativ unglücklich verlaufende Romanze zwischen Dorey Walker und dem Anwalt Bryan Bedford (Dylan McDermott, „M.A.R.K. 13 – Hardware“) im Vordergrund, einem orthodoxen Christen, der gleich mit der Tür ins Haus fällt und der völlig überrumpelten Dorey einen Verlobungsring aufzunötigen versucht. Ein fanatischer Freak also, der einem jedoch ebenfalls als positive Bezugsfigur verkauft werden soll.

„Ich bin nicht nur eine wunderliche Gestalt, die einen hübschen Anzug trägt und sich eines fröhlichen Gebarens befleißigt. Verstehen Sie, ich… ich bin ein Symbol. Ein Symbol, der menschlichen Fähigkeit, durch die es möglich wird, sich freizumachen von Selbstsucht und hasserfüllten Neigungen, die den größten Teil unseres Lebens bestimmen.“ (Kringle hält sich offenbar für Jesus)

Dass eine Imagekampagne Santas Ruf wiederherstellen soll und „Das Wunder von Manhattan“ zu einem aufgrund der „In God We Trust“-Inschrift auf der Dollarnote positiv ausgehenden Gerichtsfilm wird, klingt beinahe satirisch, ist aber offenbar – trotz als Farce inszenierter Verhandlung – im Grunde ernstgemeint. Man gibt vor, den Glauben an den Weihnachtsmann in Person Kris Kringles und damit an die „wahren Werte“ des Weihnachtsfests reaktivieren zu wollen, macht daraus jedoch in Wirklichkeit ein Loblied auf Religionen und verurteilt agnostische Zweifler(innen) und Atheist(inn)en in Kringle in den Mund gelegten Dialogzeilen wie dieser:

„Wenn Sie nicht imstande sind zu glauben und wenn Sie überhaupt nichts, allein durch Glauben, anerkennen, dann sind Sie verurteilt zu einem Leben, das von Zweifeln beherrscht wird.“

Mit dieser Art antiwissenschaftlicher und proreligiöser Propaganda soll also bereits das jüngste Publikum infiltriert werden, auf die der Film tatsächlich lustig, nett und unterhaltsam wirken dürfte. Und auch ein erwachsenes Publikum wird nur schwer umhinkommen, Attenboroughs charmantes Schauspiel nicht zu goutieren und sich an der gelungenen Einarbeitung verschiedener Weihnachtslieder in die ansonsten orchestralbombastische Musikspur nicht zu erfreuen. Das vollumfängliche Happy End, an dem zu allem Überfluss sogar geheiratet wird, macht es einem schließlich aber umso leichter, diesem erzkonservativen Heile-Welt-Kitsch den Einlass in die Reihe verdienter Weihnachtsfilmklassiker zu verwehren. Dann doch lieber zum x-ten Male „Silent Night, Deadly Night“ oder „Black Christmas“. Denn wenn zu einem derart religiösen Film sogar das von der Katholischen Filmkommission herausgegebene „Lexikon des internationalen Films“ schreibt, „[d]ie satirischen Seitenhiebe des Vorbildes verkommen zu plumpen, verlogenen Botschaften“, muss wirklich eine ganze Menge faul sein…

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 15. Dez 2020, 15:36
von buxtebrawler
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Serpico

„Das ist nicht meine Art von Vergnügen...“

In Sidney Lumets New-Hollywood-Spielfilmen meldet sich immer wieder das soziale Gewissen der USA, so auch in seinem 1973, also im selben Jahr wie sein Film „Sein Leben in meiner Gewalt“, erschienenem „Serpico“ – einem Cop-Drama/-Thriller, für dessen Drehbuch die Autoren Waldo Salt und Norman Wexler die Biografie des wahren Frank Serpico aus der Feder Peter Maas‘ adaptierten. Dem Spielfilm folgte 1976 eine 15-teilige Fernsehserie ohne Beteiligung des Hauptdarstellers Al Pacino.

„Du bringst einem nichts als Unglück, Serpico!“

Der junge New Yorker Polizist Frank Serpico (Al Pacino, „Der Pate“), gewissenhaft und idealistisch, beweist seinen Vorgesetzten und Kollegen, dass es bei Verhören nicht der Folter darf, sondern dass es auch auf die sanfte Tour funktioniert. Er sympathisiert offen mit der Hippiebewegung und ermittelt nach seiner Versetzung zur Kripo verdeckt im Drogenmilieu. Jeglicher Korruption verweigert er sich entschieden – womit für seine durch die Bank weg bestechlichen Kollegen das Maß voll ist. Während Serpico das korrupte System durchschaut und die Erfahrung machen muss, dass die staatliche Exekutive den Verbrechern, die sie überführen soll, in nichts nachsteht, versucht man, das schwarze Schaf, den Nestbeschmutzer, loszuwerden…

„Wer traut schon einem Bullen, der nicht bestechlich ist?“

Lumet lässt den Film unmittelbar damit beginnen, dass Frank Serpico niedergeschossen wurde, und montiert anschließend Rückblenden, beginnend mit Serpicos Vereidigung. Daraufhin lässt man seine Karriere Revue passieren: Anfänglich ist Serpico jung, naiv und pflichtbewusst, sein erster Einsatz konfrontiert ihn mit einer Vergewaltigung. Er wird Zeuge, wie seine Kollegen Verdächtige bei Verhören foltern, während er auch ohne unverhältnismäßige Gewaltanwendung Erfolge verbuchen kann – und dafür eine Rüge fürchten muss und für schwul gehalten wird.

„Das ganze Scheißsystem ist korrupt!“

Nachdem Serpico sich zur Kripo hat versetzen lassen, kommt er mit einer netten Freundin zusammen, soll sich fürs neue Revier jedoch Bart und Haare abschneiden. Er setzt durch, dass er für „mehr Kontakt zur Straße“ so bleiben darf, wie er ist, wird jedoch auch im Rahmen seiner neuen Tätigkeit mit Geklüngel und Korruption konfrontiert, soll gar selbst bestochen werden. Nachdem er von Schutzgelderpressungen durch Polizisten Wind bekommen hat, ermittelt Serpico quasi inkognito unter den Kollegen für den Commissioner, von dem er jedoch nichts hört – und selbst der Bürgermeister will von alldem nichts wissen. Er trifft auf eine Wand des Schweigens, an der er zu verzweifeln droht. Äußerlich sieht er mittlerweile wie der schlimmste Hippie aus, seine erste Freundin hat er an einen Heiratswilligen verloren und seine aktuelle Beziehung leidet unter seinem Frust.

Als Serpico einen Mafioso verhaftet, glaubt dieser, er mache nur Spaß und nimmt die Situation nicht ernst. Bedarf es eines größeren Beweises dafür, wie stark die Polizei längst mit der Mafia verstrickt ist? Der Commissioner will schließlich, dass die Abteilung sich selbst untersucht… Serpico gerät derweil in Lebensgefahr, als er vor Gericht aussagt, dessen Verhandlung ebenfalls zur Farce gerät. Nachdem Serpico in Manhattan die gleichen Erfahrungen wie zuvor in der Bronx gemacht hat, sieht er seine letzte Chance darin, die Presse einzuschalten. Nach Erscheinen des Leitartikels in der New York Times wird er quasi strafversetzt, und was dann passiert gerät zur Ausgangssituation für den Prolog vor Beginn der ausgedehnten Analepse. Die Einrichtung einer ständigen Untersuchungskommission wird am Schluss als Lösungsvorschlag und Hoffnungsspender präsentiert.

Die Zuschauerinnen und Zuschauer haben an dieser Stelle einen mit rund 130 Minuten Lumet-typisch überlangen Film hinter sich, der vielleicht hier und da Straffungspotential geboten hätte. Dies fällt jedoch kaum ins Gewicht, da es Pacino unter Lumets Regie perfekt gelingt, Frank Serpico menschlich und authentisch darzustellen, nicht als glänzenden Helden, sondern als einen normalen, makelbehafteten Menschen, der die seltsame und verstörende Erfahrung machen muss, mit seiner eigentlich ganz normalen Dienstauffassung wie ein Aussätziger und Fremdkörper behandelt zu werden. Das New York der 1970er ist ein echter Hingucker, die urbane Atmosphäre wunderbar eingefangen. Etwas Humor lockert die Handlung hin und wieder auf, beispielsweise beim Testen von Marijuana-Zigaretten. Und die Zeit, die sich Lumet nimmt, hilft, den Menschen Frank Serpico besser kennenzulernen und verstehen zu können.

Serpico war der erste Polizist in der Geschichte des NYPD, der es wagte, gegen die Polizei auszusagen – ein Akt, der bis heute fälschlicherweise als Denunziation und Nestbeschmutzung auch innerhalb der deutschen Polizei gilt. Doch nicht nur dieser Umstand, auch das System, innerhalb dem dieser Schritt Serpicos notwendig wurde, ist beunruhigend: Die Polizeibehörde erscheint hier nicht als Gegner mafiöser Kriminalität, sondern als Mitspieler und Profiteur. Und auch, wenn sich seit diesen Ereignissen einiges geändert haben mag, ziehen sich demokratisch vermeintlich legitimierte und exekutiv durchgesetzte Macht und Einflussnahme von Familienclans bis heute wie ein roter Faden durch die USA. Bestes jüngeres Beispiel: Wie Rudy Giuliani als New Yorker Bundesstaatsanwalt und späterer Bürgermeist die Interessen des Trump-Clans gegen andere Mafiaorganisationen vertrat, Donald Trump den Weg bis zur US-Präsidentschaft (!) freizuboxen half und sich aktuell nach dessen Abwahl an Rechtsbeugung und Delegitimation demokratischer Prozesse versucht.

Frank Serpico, der in diesem Film mit Wollmütze und Bart Pate für die italienische „Superbulle“-Krimikomödienreihe um Tomas Milian stand, gebührt für seinen Einsatz ebenso Dank wie Sidney Lumet für dieses filmische Denkmal, das er ihm gesetzt hat.