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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 26. Jan 2021, 18:33
von buxtebrawler
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Werk ohne Autor

„Vielleicht will ich doch kein Maler werden...“

Nach seinem Erfolg mit dem fragwürdigen Stasi-Drama „Das Leben der Anderen“ floppte der zweite Kinofilm des deutschen Autorenfilmers Florian Henckel von Donnersmarck, die US-amerikanisch-französische Koproduktion „The Tourist“ aus dem Jahre 2010. Bis zur Veröffentlichung seines nächsten Spielfilms vergingen acht Jahre, in denen er sich auf das Erfolgskonzept seines Kinodebüts besann und sich thematisch der deutschen Geschichte widmete. Dabei orientierte er sich für sein über dreistündiges Monumentalwerk lose an der Biografie des bildenden Künstlers Gerhard Richter. „Werk ohne Autor“ startete am Tag der deutschen Einheit 2018 in den Bundeskinos und erhielt zwei Oscar-Nominierungen, u.a. für den „besten fremdsprachigen Film“. Zurecht?

„Niemals wegsehen!“

Nazideutschland im Jahre 1937: Der fünfjährige Kurt Barnert (Cai Cohrs, „Teufelsmoor“) wird von seiner junge Tante Elisabeth (Saskia Rosendahl, „Wir sind jung. Wir sind stark.“) zu einer Ausstellung über „entartete Kunst“ in Dresden mitgenommen. Ausstellungsleiter Heiner Kerstens (Lars Eidinger, „Babylon Berlin“) schwadroniert über die Abgründe des Kunstbetriebs und transportiert die NS-Ideologie, doch der kleine kunstinteressierte Kurt ist von den Ausstellungsstücken eher fasziniert denn abgeschreckt. Seine bildschöne Tante hingegen ist ein besonderes „Schmuckstück“ des BDM und damit gerade gut genug, dem „Führer“ bei dessen Besuch Dresdens einen Strauß Blumen zu überreichen. Doch Elisabeth ist psychisch labil und kommt mit diesem Druck nicht zurecht. Nach einem Nervenzusammenbruch kommt sie in psychiatrische Behandlung in der Anstalt Professor Carl Seebands (Sebastian Koch, „Das Leben der Anderen“), einem überzeugten Nazi, SS-Mitglied und Euthanasieverfechter. Auch Elisabeth wird zu seinem Opfer, er besiegelt ihre Ermordung.

Die junge DDR in den 1950ern: Kurt (jetzt Tom Schilling, „Robert Zimmermann wundert sich über die Liebe“), inzwischen zum stattlichen jungen Mann gereift, verdingt sich als Maler von SED-Propagandamaterial – eine Verschwendung seines Talents, wie Kurts Vorarbeiter (Ben Becker, „Spiel um dein Leben“) nicht müde zu betonen wird. Irgendwann lässt sich der bescheidene Kurt dann doch davon beeindrucken und beginnt, Kunst an der Dresdner Universität zu studieren. Dort lernt er die Kommilitonin Ellie (Paula Beer, „Bad Banks“) kennen und lieben. Jedoch: Ihr Vater ist Professor Seeband, der Mörder seiner Tante. Gewissenloser Opportunist der dieser ist, hat er sich schnell mit den neuen Machtverhältnissen nach dem aus Nazi-Sicht verlorenen Zweiten Weltkrieg arrangiert, sich bei den Sowjets eingeschleimt und damit sogar seine Position als Anstaltsleiter zurückerlangt. Kurt weiß indes nicht, dass der Vater seiner Lebensgefährtin für den Tod seiner Tante verantwortlich ist. Er konzentriert sich auf sein Studium, das er überaus erfolgreich abschließt. Er beherrscht den Stil des sozialistischen Realismus perfekt und avanciert zum gefeierten Wandbildmaler. Ellie wird schwanger, doch ihr Vater will nicht, dass sie ein Kind von Kurt bekommt, und nimmt persönlich eine Abtreibung an seiner Tochter vor, mit der er zugleich ihre Fruchtbarkeit zerstört. Kurt und Ellie heiraten, doch weiß sie nichts davon, kein Kind mehr bekommen zu können.

Von einem Tag auf den anderen wirft Kurt seine Arbeit als Wandmaler hin und verlässt gemeinsam mit seiner Frau die DDR, um in der BRD an der Düsseldorfer Kunsthochschule unter Anleitung Professor Antonius van Vertens (Oliver Masucci, „Er ist wieder da“) mit absoluter Kunstfreiheit im Zuge der sexuellen Revolution und der ‘68er-Bewegung konfrontiert zu werden. Ein Kulturschock für Kurt auf der Suche nach seiner wahren künstlerischen Identität. In den Westen folgt ihnen Ellies Vater, der auch dort wieder eine Heilanstalt leiten darf. Wird sich Kurts Verhältnis zu seinem Schwiegervater normalisieren oder steht die große Eskalation noch bevor? Und wird es Kurt auch in der kapitalistischen BRD zum angesehenen Künstler schaffen?

Eine Zeitreise durch die deutsche Geschichte von der NS-Terrordiktatur über die DDR bis in die BRD der ‘68er-Zeit, exemplarisch durchexerziert anhand einer sich an Gerhard Richters Leben anlehnenden, gewissermaßen habfiktionalen Handlung, die zudem sehr persönliche Fragen nach der Suche nach einer eigenen Identität, Umgang mit der Vergangenheit, Schuld, Sühne und dem Versuch, eine Familie zu gründen und glücklich zu werden, behandelt – das sollte „Werk ohne Autor“ werden. Doch wie bereits bei „Das Leben der Anderen“ überwarf sich von Donnersmarcks Hauptquelle mit dem Regisseur und Drehbuchautor – in diesem Falle Gerhard Richter, der ihm bereitwillig Rede und Antwort gestanden hatte, im finalen Film jedoch lediglich ein bizarres Zerrbild seiner selbst erkannte, was ihn dazu bewog, sich vollumfänglich vom Endprodukt zu distanzieren.

Natürlich hat jeder Filmschaffende grundsätzlich das Recht, aus seinen Inspirationen das zu machen, was er will, künstlerische Freiheit auszukosten, dramaturgisch auszuschmücken oder zu verdichten, nach eigenem Gutdünken zu modifizieren. Dass ein Vorlagengeber beleidigt ist, wenn er in der Adaption sein eigenes Werk nicht mehr wiedererkennt, kommt immer mal wieder vor. Eines der prominentesten Beispiele dürfte „Shining“ sein, mit dessen Verfilmung durch Regiegenie Stanley Kubrick Autor Stephen King unzufrieden war, obwohl es sich bei beidem – Roman und Kinofilm – um Meisterstücke des jeweiligen Mediums handelt. Jedoch handelte es sich dabei um einen fiktionalen Stoff. Beruft sich jemand auf das ganz reale Leben eines Menschen und verzerrt es bis zur Unkenntlichkeit, ist die Kritik nachvollziehbar.

Vor allem dann, wenn ein Filmemacher derartig hohe Ansprüche an seine Arbeit stellt wie von Donnersmarck, der nicht einfach einen Unterhaltungsfilm machen, sondern Geschichtsaufarbeitung betreiben und sich vor der Kunst verneigen wollte – und dabei, kurioserweise weitestgehend unerkannt, krachend scheiterte. Seine Hauptrolle Kurt führt er als niedlichen Jungen mit großen blauen Kulleraugen ein, die bald, wie von Elisabeth angeraten, niemals mehr wegsehen, sondern jegliche bildende Kunst wissbegierig in sich aufsaugen. Diese Augen nehmen auch die Luftangriffe auf Dresden wahr, während seine Tante zusammen mit anderen Euthanasieopfern vergast wird. In die Diskussion, ob die gleichberechtigte Parallelmontage beider Ereignisse, die der Schnitt vornimmt, gerechtfertigt ist oder nicht, möchte ich mich gar nicht einklinken, sonderlich sensibel ist sie indes sicherlich nicht und auch leicht misszuverstehen.

„Sensibel“ wäre auch das vollkommen falsche Wort für die Inszenierung der schwierigen Geburt, bei der Seeband in Kriegsgefangenschaft hilft und anschließend einen Stein im Brett der Sowjets hat. Von Donnersmarck setzt auf plakative Bilder. Und auf Nacktszenen: Mehrere gekonnte Erotikszenen um Ellie vermischt er mit schwülstigem Gesäusel und lässt auch im weiteren Verlauf kaum eine Gelegenheit aus, sie unbekleidet zu zeigen und voyeuristisch von der Kamera abtasten zu lassen. Nun bin ich sicherlich der Letzte, der ein Problem mit erzählerisch begründeten Freizügigkeiten in Spielfilmen hätte. Jedoch findet die Figur Ellie außerhalb ihrer Nacktszenen kaum noch statt, wird also weitestgehend auf sie reduziert – als Ehefrau des Protagonisten wohlgemerkt! Das ist problematisch und womöglich ein Indiz für ein fragwürdiges Frauenbild von Donnersmarcks, das er bereits in „Das Leben der Anderen“ unter Beweis stellte. Dabei hätte die Rolle viel mehr hergegeben – doch die Folgen der Abtreibung beispielsweise werden weitestgehend übergangen und bleiben unaufgearbeitet. Von Donnersmarck scheint sich schlicht nicht für diese Sorte weiblicher Befindlichkeiten zu interessieren.

Das generelle Schweigen zu Vergangenem in „Werk ohne Autor“ könnte als Allegorie auf die bis zur ‘68er-Revolte ausgebliebene Aufarbeitung von Kriegstraumata und kritische Kommunikation mit der Elterngeneration gedacht sein, was aber reine Spekulation ist, da der Film sich dazu auch im weiteren Verlauf nicht äußert und keine Haltung erkennbar werden lässt. Dass die DDR ein höchst verlassenswerter Ort gewesen sei, setzt von Donnersmarck offenbar voraus, denn weshalb genau dies der Fall gewesen sein soll, wird gar nicht erst verhandelt. Die Darstellung der Düsseldorfer Kunstakademie wirkt wie eine überzeichnete Persiflage auf eine geistig freie, entfesselte und sich ausprobierende Nachwuchsszene. Das wirft die Frage auf, ob von Donnersmarck sie deshalb auf diese Weise inszenierte, um dem, wie er selbst über sie denkt, Ausdruck zu verleihen. Jedenfalls dürfte sich manch einfacher gestrickte Zuschauerin oder Zuschauer angesichts dieser Bilder fragen, ob der Nazi mit seinen inbrünstigen Tiraden gegen „entartete Kunst“ nicht doch vielleicht ein bisschen recht hatte. Mit den brennenden Wahlplakaten hat der Akademieleiter immerhin einen beeindruckenden Auftritt, wenngleich der ihm innewohnende Aufruf zur apolitischen künstlerischen Existenz mindestens diskussionswürdig ist…

Unfreiwillig komisch sind die absurden Rückblenden zu den Kriegserfahrungen des Akademieleiters. Die Entstehung der Kunst Kurts zu beobachten ist durchaus erfreulich und interessant, die daraus resultierende Pointe jedoch hanebüchen. Nachdem Seeband in die BRD „rübergemacht“ hat, wird er endgültig zur gesamtdeutschen Metapher für die willfährige Kollaboration mit Naziverbrechern nach Kriegsende, wobei diesbezüglich kaum eine Differenzierung zwischen DDR und BRD stattfindet. In ihrer Omnipräsenz ist diese Figur aufwühlend und ihre Möglichkeiten zur Einflussnahme wirken beunruhigend, wie eine permanent im Hintergrund lauernde Gefahr. Diese Charakterisierung ist recht gut gelungen. Ein paar mehr oder wenige subtile Verweise auf Kunst und Literatur sowie Reminiszenzen an Roland Barthes („Der Tod des Autors“) erfreuen den bildungsbürgerlichen Teil des Publikums. Weitere Pluspunkte des Films sind seine bemerkenswerte Optik und sein hochkarätiges, engagiertes Ensemble.

Mehr Positives kann ich „Werk ohne Autor“ aber leider nicht attestieren. Sein Humor ist arg gefällig, Max Richters emotionalisierende Filmmusik penetrant und das Finale geradezu eine Frechheit: Ellie kann plötzlich doch schwanger werden, warum auch immer, ein Happy End inklusive Paula Beers obligatorischer Splitterfasernacktszene. Und von Donnersmarck setzt noch einen drauf, ein noch happigeres Happy End – der Film findet kein Ende. Etliche Wiederaufnahmen und Wiederholungen durchziehen die Handlung bis zum Schluss; das Publikum muss nicht mitdenken, sondern wird auf alles mit der Nase gestoßen. Doch worauf eigentlich? „Werk ohne Autor“ ist in erster Linie eine heillos überkonstruierte, plakative und klischeelastige Aneinanderreihung von Was-zur-Hölle-Momenten, die mit Geschichtsaufarbeitung nicht viel zu tun hat – und mit Gerhard Richter anscheinend ebenso wenig, siehe oben. Von Donnersmarck wildert in der deutschen Geschichte für melodramatischen, überzeichneten Kitsch und betreibt Manipulation bis hin zur Geschichtsverfälschung, muss stets zentimeterdick auftragen und liefert einen erschreckend, ja, geradezu absurd unpolitischen Film ab, dessen Inkompetenz breiten Teilen der Kritik und des Publikums offenbar gar nicht wahrnehmen. Ein überambitionierter Filmemacher mit dem dicken Kunststempel im Anschlag und eine indifferente, bürgerliche deutsche Öffentlichkeit – da haben sich anscheinend die Richtigen gefunden. Ein Ärgernis der jüngeren deutschen Kinogeschichte.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Do 28. Jan 2021, 15:30
von buxtebrawler
Tatort: Kressin stoppt den Nordexpress

„Alles in allem: Keine rosa Zeiten für die Bundesbahn!“

Bereits in der siebten Episode der öffentlich-rechtlichen Krimireihe „Tatort“ hatte Zollfahnder Kressin (Sieghardt Rupp), der ursprünglich gar nicht als „Tatort“-Ermittler geplant war, sondern seine eigene TV-Serie bekommen sollte, seinen dritten Einsatz. Die Erstausstrahlung erfolgte am 02.05.1971, womit sich Kressin auf einen Zweimonatsakt eingependelt hatte. Auch diesmal stammte das Drehbuch von Wolfgang Menge, während die Regie Rolf von Sydow („Zehn kleine Negerlein“) übernahm, der damit den ersten von insgesamt acht „Tatorten“ seiner Regielaufbahn inszenierte.

„Ich bin besoffen mit dem Wagen in eine Nonnengruppe gerast – aber wenn ein Neger auf einen Zug steigt, dann ist Schluss mit lustig!“

Zollschnüffler Kressin soll in Kopenhagen wegen Schmuggels pornografischer Hefte ermitteln, macht sich aber stattdessen ‘nen Lenz mit seiner neuesten Liebschaft, der dänischen Fernsehköchin („Smørrebrød, Smørrebrød, röm töm töm töm…“) Birgit (Schlagersängerin Gitte Hænning). Parallel dazu soll ein Gefangenentransport der in Schweden inhaftierten Schwerverbrecher Brockhoff (Hannes Andersen, „Wer weint denn schon im Freudenhaus?“) und Katolli (Siegfried Fetscher, „Liebe gegen Paragraphen“) von Kopenhagen nach Köln per Fahrt im Nordexpress stattfinden. Die Ganoven um den mysteriösen Strippenzieher Sievers (Ivan Desny) bereiten sich auf eine Befreiungsaktion auf offener Strecke vor. Doch wie es der Zufall so will, befindet sich auch Kressin in diesem Zug und hat Sievers‘ Bande somit die Rechnung ohne den Wirt gemacht…

„Mit 67 kann man nicht mehr Rocker spielen!“

Die ersten Szenen spielen in Skandinavien, zeigen die polizeilichen Maßnahmen gegen die Verhafteten, die Vorbereitungen der Sievers-Bande auf das Kapern des Zugs inklusive Kurzauftritt des Gentleman-Gangsters Sievers sowie natürlich Playboy-Zöllner Kressin und sein Techtelmechtel mit einer süßen Gitte Hænning. Mit ihr sucht er einen der damals berüchtigten Kopenhagener Pornoläden auf, die sich dank der verglichen mit anderen europäischen Staaten liberaleren Gesetzgebung gerade auch bei Touristen großer Beliebtheit erfreuten. Kressin geriert sich einmal mehr als Megachauvi, der sich noch während seiner Verabschiedung von Birgit bereits an die nächsten Röcke hängt und um keinen Spruch verlegen ist. Einer dieser Röcke gehört zu einer hübschen Dänin (Yvonne Ingdal, „Kisses Right and Left“), die in ihrem großen Koffer offenbar kiloweise Pornoheftchen über die Grenze zu schmuggeln gedenkt.

Die Zuschauerinnen und Zuschauer wissen zu diesem Zeitpunkt nicht, ob Kressin mit der Dame flirtet, um sie zu überführen, oder ob er sie ins Bett bekommen will. Dass er sie letztlich vor dem Zugriff durch die Polizei schützt, dürfte indes wenig überraschen. Kressin interessiert sich dienstlich nur für die großen Fische wie eben den an für große Kinofilmreihen konzipierte Schurken gemahnenden Sievers. An eine Persiflage auf James Bond und Konsorten erinnern auch die Vorgänge im Zug (in dem übrigens überall gequalmt wird). Chiffriert telefoniert Kressin mit seinem Vorgesetzten und die Hamburger Kripo wird nach dem ersten Kressin-Fall zum zweiten Mal eingeschaltet, Hauptkommissar Trimmel befindet sich jedoch auf Dienstreise – Kriminalmeister Höffgen (Edgar Hoppe) übernimmt. Actioneinlagen und Stunts werden von frechen Dialogen und humorigen begleitet, dafür kommt dieser Fall diesmal komplett ohne Mord und Totschlag aus.

Der mit nur 75 Minuten Laufzeit ungewöhnlich kurze „Tatort“ dürfte ein Genuss für am Bahnbetrieb der 1970er Interessierte sein, zudem verfügt „Kressin stoppt den Nordexpress“ über diese spezielle, immer etwas beklemmende Mikrokosmos-Atmosphäre hauptsächlich in Bahnen spielender Filme. Noch mehr als über die historischen Loks und Waggons dürfte sich der eine oder andere an den hübschen Mädels mit niedlichen skandinavischen Akzenten erfreuen. Musikalisch besticht diese Episode wieder u.a. mit Klaus Doldingers Abwandlungen der Titelmusik. Interessant sind auch die Einblicke in den damaligen Zeitgeist die Liberalisierung des Pornomarkts betreffend, die im Gegensatz zu Deutschland in Dänemark bereit stattgefunden hatte. Nicht ganz erschlossen hat sich mir die mehrmalige Erwähnung des Umstands, genau diese Erzeugnisse doch auch in Deutschland erwerben zu können – gerade wegen des Schmuggels, oder wie war das zu verstehen?

Wie auch immer, unterm Strich handelt es sich um einen sehr kurzweiligen, nicht sonderlich ernstzunehmenden, sondern vornehmlich auf Unterhaltung getrimmten „Tatort“, in dem Sieghardt Rupp wieder zahlreiche Register seiner Machorolle ziehen durfte und meines Erachtens kaum Anlass dafür bot, dass ihr Erfinder Wolfgang Menge mit der Besetzung haderte. Doch wer weiß, wen dieser beim Schreiben vor Augen hatten. Apropos: Zum Schreiben wütender Zuschauerpost dürfte auch der deutsche Spießbürger wieder reichlich Anlass gehabt haben.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Do 28. Jan 2021, 18:49
von buxtebrawler
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Fargo

„Jesses!“

Der sechste Spielfilm der Coen-Bruder Ethan und Joel ist zwischen „Hudsucker - Der große Sprung“ und „The Big Lebowski“ entstanden und wurde im Jahre 1996 veröffentlicht: Es handelt sich um die Thriller-Groteske „Fargo“, die 1987 im nördlichen Mittleren Westen der USA spielt (im titelgebenden Fargo, hauptsächlich aber in Minnesota – der Heimat der Coens) und für die die Filmemacher auf den etwas abgeschmackten Gag zurückgriffen, sie basiere auf wahren Begebenheiten. Zwei Oscars konnte man trotzdem einheimsen: die Coens fürs beste Drehbuch und Frances McDormand als beste Hauptdarstellerin.

Autoverkäufer Jerry (William H. Macy, „Tödlicher Betrug“) ist mit seiner Gesamtsituation unzufrieden: Für seinen vermögenden, aber offenbar nicht sonderlich viel von ihm haltenden Schwiegervater Wade Gustafson (Harve Presnell, „Westwärts zieht der Wind“) muss er buckeln, zu Hause zerren Frau (Kristin Rudrüd, „Pleasantville“) und Kind (Tony Denman, „Little Big Boss“) an seinen Nerven. Doch Jerry hat einen ausgeklügelten Plan entwickelt: Er lässt sich zwei Ganoven vermitteln, die seine Frau entführen und Lösegeld erpressen sollen. Gegenüber seinem Schwiegervater will er eine wesentlich höhere Summe als die geforderte angeben, um von dessen Kohle die Entführer zu bezahlen und den anderen Teil für sich selbst zu behalten. Bei den Angeheuerten handelt es sich um den „irgendwie schräg“ aussehenden Carl (Steve Buscemi, „Reservoir Dogs“) und den einfältigen, aber skrupellosen Gaear (Peter Stormare, „Verhängnis“), die nach der Entführung außerplanmäßig einen Polizisten und zwei Zeugen erschießen. Für den schwangeren Sheriff Marge Gunderson (Frances McDormand, „Darkman“) gibt es also einiges zu tun, dabei muss sie sich doch bereits um ihren von Selbstzweifeln geplagten Ehemann (John Carroll Lynch, „Im Fadenkreuz - Konvoi des Schreckens“) kümmern…

Eine Texttafel beteuert den Wahrheitsgehalt der Geschichte, bevor die komödiantisch inszenierte Entführung mit einem unvermittelten Kopfschuss und Gaear als eiskaltem Killer erschreckt. „Fargo“ entpuppt sich als Thriller-Groteske, die von skurrilen, karikaturistisch überzeichneten Figuren lebt, die sich immer etwas neben der Spur befinden, entweder dröge und tumb oder verhaltensauffällig sind und dadurch die Handlung, eine Art Chronik des Scheiterns, vorantreiben. Die Kamera liefert ihre skurrilen Fratzen in Großaufnahme, die Drehorte tauchen das Geschehen in ein verschneites, hinterwäldlerisches Ambiente. Die recht grafischen Gewaltspitzen lassen immer mal wieder aufschrecken, im Mittelpunkt stehen aber der nervöse, überforderte und ständig übervorteilte Jerry sowie die herzensgute, schwangere, dauerfutternde Marge – zwei Figuren, die viel Freude bereiten, während einem Gangster Carl fast leidtun kann.

Diese Ambivalenz, die die Figuren nie nur vorführt und bloßstellt, sondern ihnen eine solche Lebendigkeit verleiht, dass man als Zuschauer(in) eine gewisse Empathie für sie zu entwickeln in die Lage versetzt wird, dürfte Teil der Erfolgsrezeptur dieses Films sein. „Fargo“ scheint zudem die Mentalität der Region, in der er spielt, zu karikieren, mit ihren verschrobenen Bewohnern, mit deren naiven Träumereien und ungesunden Neurosen. Dabei pendeln die Coens beständig zwischen den Polen Spott und Herzlichkeit – und erzählen dabei vor winterlich trister und klimatisch schroffer Kulisse ihre fast schon tragikomische Geschichte, von der man zu glauben beginnt, dass sie nirgendwo anders als in diesem, die Menschen zu Improvisation und Entschleunigung zwingenden Landstrich stattgefunden haben könnte.

Das ist zweifelsohne gute, kurzweilige Unterhaltung, die ihrem Publikum jedoch darüber hinaus nicht wirklich viel mit auf den Weg gibt. Der Gangster-Farce-Anteil ist gewissermaßen typisches ‘90er-Kino, das Gespür für regionale Eigenheiten wiederum ist eines der Markenzeichen der Coen-Brüder, das hier auf die Spitze getrieben wird. Der Humor ist eigen und mitunter etwas gewöhnungsbedürftig, die Figurenzeichnung hingegen lässt bereits erahnen, wozu die Coens mit ihrem nächsten Film „The Big Lebowski“ letztlich fähig geworden waren. Alles in allem macht man mit „Fargo“ also sicherlich nichts falsch, den großen, hochdekorierten Geniestreich vermag ich in ihm allerdings nicht zu erkennen.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Fr 29. Jan 2021, 13:44
von buxtebrawler
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Ex Drummer

Kurz bevor ich mir "Fargo" angesehen hatte, gab's "Ex Drummer" im Uni-Kino. Zu diesem notierte ich in grauer Vorzeit nach der Erstsichtung:
buxtebrawler hat geschrieben: Fr 5. Mär 2010, 14:08 Ich kenne die Romanvorlage nicht, habe aber gelesen, dass sie bis zum Erscheinen dieses Films als „unverfilmbar“ gegolten haben soll. Das glaube ich gern, denn was Koen Mortier hier abgeliefert hat, ist bei weitem keine leichte Kost und setzt in filmischer Hinsicht sicherlich neue Maßstäbe: „Ex Drummer“ ist eine Komödie, ein Gewaltexzess, ein gesellschaftskritisches Drama und ein Kunstfilm zugleich. Ein Experiment sozusagen, an dem viele gescheitert wären. Nicht so Mortier und seine Crew, die es verstanden, diese abenteuerliche Mixtur ebenso unterhaltsam wie kunstvoll wie verstörend zu inszenieren. Schwarzhumorig, schräge, überzeichnete Charaktere, dargestellt von hervorragenden Schauspielern, Satire, verstörende, gewalttätige Szenen, surrealistische Momente, etwas Erotik, eine unvergleichbare Optik und ein großartiger, von zahlreichen Underground-Künstlern eingespielter Soundtrack – hier greift ein Rad in das andere und was zunächst widersprüchlich und konfus wirkt, fügt sich zu einem schwer verdaulichen Ganzen zusammen, das sich im Gedächtnis des Zuschauers festkrallt. Und mit eben jenem geht „Ex Drummer“ nicht gerade glimpflich um und bewirkt durch die kontrastreiche Erzählform, dass ihm das Lachen ein ums andere Mal im Halse stecken bleibt. So wechseln sich komödiantische Sequenzen, in denen die soziopathischen Protagonisten aus der Unterschicht wie lächerliche Schießbudenfiguren wirken, mit fiesen Magenschwingern ab, bis man fast schon erleichtert aufatmet, wenn die Kamera endlich wieder das sterile Luxusappartement der Hauptrolle in Form von Schriftsteller Dries einfängt und somit den Gegenentwurf zum permanenten Schmutz und Dreck, zu menschlichen Tragödien und Abgründen, präsentiert – allerdings ohne sich dabei auf eine Seite zu schlagen. Nach und nach lernt man die Charaktere zumindest oberflächlich kennen, während der Film auf sein vermeintliches Finale, den Auftritt der Band auf einem Festival, zusteuert. Dieses wird dann auch eines Finales würdig als chaotische, energiegeladene Gewaltexplosion gezeichnet, während der eigentliche, überraschende Showdown aber erst noch folgt. Konnte ich bis zu diesem Zeitpunkt noch einige Parallelen zu Filmen wie „Trainspotting“ ziehen, fühlte ich mich nun unweigerlich an „Taxi Driver“ erinnert. Spätestens hier ist dann auch wirklich Schluss mit lustig und das vermeintlich reinigende Inferno besudelt den Richter, Rächer oder wofür auch immer er sich hält, selbst kübelweise mit Schmutz. In den finalen Einstellungen sprechen die Toten zum Zuschauer und verlassen erstmals ihre oberflächliche Darstellung, indem sie von Ihrer schwierigen Sozialisation erzählen. Mal abgesehen von ein, zwei trashigen Momenten (die überdimensionale Vagina-Kulisse, in der sich Dries und „großer Schwanz“ wiederfinden und einen Dialog führen z.B.) empfand ich „Ex Drummer“ bis zu diesem Punkt als nahezu perfekt. Das Ende hingegen erscheint mir wie eine aufgesetzte Moralkeule (oder die Parodie einer solchen?) und die Aussage des Films gibt mir Rätsel auf. Vielleicht gibt es aber auch gar keine, außer der vielleicht, dass die ganze Gesellschaft einfach total und hoffnungslos verkommen ist, haha.

„Ex Drummer“ ist ein hochgradig faszinierendes, polarisierendes, in seiner Inszenierung einzigartiges Filmerlebnis.
In der Uni gab's anschließend 'ne Diskussionsrunde zum Film. Eine Erkenntnis dabei war, dass der Literat Dries im Prinzip die "Asis" für seine eigenen Zwecke instrumentalisiert und ausnutzt. Dabei stellte sich mir die Frage, ob Dries im Roman ebenfalls ein Schriftsteller ist oder ob diese Komponente erst in der Verfilmung hinzukam, um dadurch den Autor des Romans für seine Instrumentalisierung zu kritiseren.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 2. Feb 2021, 19:18
von buxtebrawler
„Niemand darf der Folter unterworfen werden!“

„Niemand darf der Folter unterworfen werden!“ ist der gekürzt wiedergegebene Artikel 5 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte – und zugleich der Titel des knapp einstündigen Dokumentarfilms des Franzosen Auberi Edler aus dem Jahre 2019, der für den öffentlich-rechtlichen deutsch-französischen Kulturaustauschsender Arte produziert wurde.

„Echte Männer foltern – und die Demokratie macht uns zu Waschlappen!“

Wie die USA seit den terroristischen Anschlägen vom 11. September 2001 systematisch gegen diesen Artikel verstoßen, dokumentiert Edlers Film eindrucksvoll. Er lässt zahlreiche Wissenschaftler(innen), Historiker(innen), Expert(inn)en und Involvierte zu Wort kommen, anhand deren Aussagen in Kombination mit historischen und authentischen Bild- und Tondokumenten, u.a. eingespielten Zitaten verschiedener US-Präsidenten bis hin zu Trump, sich ein Gesamtbild des Schreckens zusammensetzt. Dafür geht Edler weit in die Geschichte der USA zurück und erläutert, wie der CIA und die Politik erst den Kommunismus und später den Terrorismus zu omnipräsenten Schreckgespenstern hochstilisiert haben, um Folter zu rechtfertigen.

Während der Ära der US-Kommunistenparanoia in den 1950ern habe man Angst vor stalinistischer Gehirnwäsche gehabt, die jedoch nichts anderes als von den US-Polizeimethoden des beginnenden 20. Jahrhunderts inspirierte Folter gewesen sei. Ab dem Jahre 1950 habe der CIA sein eigenes Gehirnwäscheprogramm ins Leben gerufen und an Foltermethoden ohne fremde physische Gewalteinwirkung geforscht – sog. „weiße“ oder „saubere Folter“, die keine sichtbaren Spuren hinterlässt. US-Psychiater Cameron beispielsweise habe diese an seinen Patienten ohne deren Wissen ausprobiert und damit zu Versuchskaninchen degradiert. Entsprechende Opferberichte sind ebenso Bestandteil dieses Dokumentarfilms wie Beschreibungen des Milgram- und des Zimbardo-Experiments, das im Stanford-Gefängnis durchgeführt wurde und dessen Beteiligte Edler ebenso Rede und Antwort stehen wie Dr. Zimbardo persönlich.

Auf Grundlage dieser Experimente zieht Edler Parallelen zu den Foltermethoden der USA in Guantanamo. Er skizziert ferner, dass US-Folter bis zur Sklaverei zurückreiche und damit in der US-Geschichte und ihrem Rassismus tief verwurzelt sei. Die menschenverachtenden Folterexzesse der US-amerikanischen Soldaten in Abu Ghraib werden mittels Fotostrecken und Videos dokumentiert und sind wahrlich nichts für allzu sensible Gemüter. Militärs und sogar ein Folterer kommen zu Wort. Kein ranghoher Offizier sei je verurteilt worden, US-Präsident Obama habe alle verantwortlichen Politiker freigesprochen – und bereits dessen Nachfolger Trump äußerte sich öffentlichkeitswirksam wieder eindeutig pro Folter. Schwer verdaulich und sicherlich fragwürdig ist es jedoch, wie Edlers Film auch die Täter(inne)n zu opfern zu verklären versucht, die angeblich unter ihrem moralischen Versagen leiden würden.

Als im Film leider nicht sonderlich vertiefte Ursachen versucht Edler gesellschaftliche Rachegelüste für 9/11 und die populäre Actionserie „24“ heranzuziehen, die die Akzeptanz für Folter bei der Bevölkerung deutlich erhöht habe. Ernüchtert wird gegen Ende sogar die Anwendung von Kriegsfoltermethoden an Immigrant(inn)en befürchtet. „Land of the free – home of the brave“? Fazit: Ob nun Stalins Folterknechte, Islamist(inn)en oder US-Streitkräfte – sie alle nehmen sich letztlich nicht viel. Hinter der Maske des ach so zivilisierten Westen verbergen sich eine ganz ähnliche menschenverachtende Geisteshaltung und ein mitnichten von Humanismus geprägtes Menschenbild. Trotz der von mir angesprochenen Kritikpunkte gebührt Auberi Edler Dank dafür, diese nur allzu gern verdrängte und stets schnell in Vergessenheit zu geraten drohende Erkenntnis auf diese sachliche und fundierte Weise in Erinnerung zu rufen – auch wenn es schmerzt.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mi 3. Feb 2021, 18:25
von buxtebrawler
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Columbo: Tödliche Trennung

„Take it easy!“

Mit dem dritten „Columbo“-Fernsehfilm hatte man endgültig beschlossen, mit dem US-Krimikonzept in Serie zu gehen. So gesehen ist die am 15. September 1971 erstausgestrahlte Episode „Tödliche Trennung“ der Auftakt der ersten Serienstaffel. Auf dem Regiestuhl nahm interessanterweise niemand Geringerer als Steven Spielberg („Duell“) Platz, der noch am Anfang seiner Karriere stand.

„Hätten Sie noch einen Augenblick Zeit…?“

James „Jim“ Ferris (Martin Milner, „Keine Zeit für Heldentum“) und Ken Franklin (Jack Cassidy, „Er und sie“) traten seit Jahren als Autoren der erfolgreichen und beliebten Kriminalromanreihe „Mrs. Melville“ in Erscheinung, obwohl lediglich Ferris schrieb, während Franklin sich ums Geschäftliche kümmerte. Als Ferris seinem Partner eröffnete, die Zusammenarbeit aufgeben und sich zukünftig anderen Stoffen widmen zu wollen, kam es zum Streit. Nun jedoch meldet sich Franklin bei Ferris und gibt vor, den Konflikt aus der Welt räumen zu wollen. Franklin lädt Ferris zu einer gemeinsamen Auszeit in seinem Wochenendhaus bei San Diego ein. Ferris‘ Frau Joanna (Rosemary Forsyth, „Wie ich dich liebe?“) soll davon nichts erfahren, weshalb Franklin ihn bittet, bei ihr anzurufen und vorzugeben, sich noch im Büro zu befinden. Zuvor hat Franklin bereits unbemerkt Ferris‘ Büro verwüstet. Dabei handelt es sich um einen ausgeklügelten Mordplan, den Franklin in die Tat umsetzt, indem er Ferris während dieses Telefonats erschießt. Sein Motiv: Er möchte die Versicherungssumme kassieren, die bei Ableben seines Partners zu seinen Gunsten fällig wird. Die Polizei geht nun also davon aus, dass Ferris in seinem Büro ermordet worden sei; den Ausflug in sein Wochenendhaus nutzt Franklin als Alibi, das die für ihn schwärmende Ladenbetreiberin Lily La Sanca (Barbara Colby, „Oh Mary“) bestätigt: Ihr stattete Franklin auf seinem Weg einen kurzen Besuch ab. Doch bald hat Franklin zwei Probleme: Eben jene La Sanca, die beobachtet hat, dass sich Ferris in Franklins Wagen befand und ihn um Geld und Zuneigung erpresst – und Inspektor Columbo (Peter Falk), der sich scheinbar naiv an seine Fersen heftet…

„Eine provozierende Aussage!“

Die Eröffnungssequenz ist einfach wunderschön: Von einer Straße kommend fährt die Kamera rückwärts in eine urbanes Hochhaus, an dessen riesiger Fensterfront Ferris sitzt und auf seiner Schreibmaschine tippt. Die Kamera beginnt sich für Details zu interessieren und produziert einige Großaufnahmen, fährt zusammen mit der Schreibwalze übers Papier und beobachtet Franklins Ankunft. Auf der Tonspur sind derweil ausschließlich die Tippgeräusche zu hören, alles andere wird ausgeblendet. Doch als man am liebsten schon ausmachen und zu einem guten, auf diese Weise entstandenen Buch greifen oder gar selbst etwas zu Papier bringen möchte, klopft Franklin an Ferris‘ Tür und bedroht ihn mit einer Pistole.

„Mrs. Melville wäre zutiefst enttäuscht!“

Dieser zeigt sich gänzlich unbeeindruckt, und tatsächlich habe Franklin lediglich einen Scherz machen wollen. Eigentlich komme er in friedlicher Mission. Beiläufig wird über die Dialoge das Publikum über die beiden Männer und ihre Beziehung zueinander in Kenntnis gesetzt. Franklins Vorhaben lässt sich bald erahnen und ist dennoch spannend inszeniert, seine Skrupellosigkeit erschreckend. Im Anschluss kommt der titelgebende Inspektor ins Spiel und scheint für den verschlagenen und intelligenten, zudem sehr kultiviert auftretenden Franklin keine Gefahr darzustellen. Für Joanna, die Frau des Toten, macht Columbo Omelette („Bloß Eier, keine Milch!“), doch aus Franklin kitzelt er beiläufig Informationen heraus, während er sich doof stellt. Franklin versucht, den Verdacht auf Westküstengangster zu lenken und eigentlich scheint für ihn alles nach Plan zu laufen, denn wenngleich Columbos Spürsinn den richtigen Riecher beweist, hat der Inspektor nichts, worauf er Franklin festnageln könnte.

Das ändert sich, als Lily La Sanca ins Spiel kommt, eine Art Karikatur einer Femme fatale, die naiv tut, aber sich als ebenfalls sehr gerissen entpuppt. Diese Wendung ist relativ überraschend und führt dazu, dass dem aalglatten, immer leicht überheblichen Franklin die Kontrolle entgleitet – es sind zu diesem Zeitpunkt also nicht etwa Columbos Ermittlungen, die ihn in die Bredouille bringen. Diese kommen nach Franklins zweitem Mord erst richtig in Fahrt und Franklin reagiert zunehmend genervt auf Columbo, den er so lange locker an der Nase herumführen zu können glaubte. Columbo in seiner charmanten, sympathischen Art dabei zuzusehen, wie er in stoischer Gelassenheit unsanktioniert sämtliche Gebäude mit seiner Zigarre vollquarzt und letztlich den Täter überführt, ist auch 50 Jahre nach der Erstausstrahlung ein Vergnügen. Psychologisch ist „Tödliche Trennung“ gut gemacht, das Drehbuch weist jedoch im Finale Schwächen auf: Zum einen ist es etwas sehr blauäugig von Franklin, anzunehmen, mit gleich zwei Morden in seinem direkten Umfeld durchzukommen, zum anderen ist das, was ihn überführt, letztlich auch nur ein Indiz, von dem bezweifelt werden muss, ob es tatsächlich für eine Verurteilung ausreichen würde.

Viel Zeit, um auf sein Talent aufmerksam zu machen, blieb Regisseur Spielberg in der nur 73 Minuten kurzen Episode nicht, auffallend sind neben dem beschrieben Einstieg die Großaufnahmen von Gesichtern in unangenehmen Situationen, die eine oder andere ungewöhnliche Kameraperspektive in Innenräumen sowie die fabelhafte, nur sporadisch eingesetzte Musik Billy Goldenbergs. Spielberg gelang es aber zweifelsohne, aus dem Konzept des von vornherein feststehenden Mörders und Motivs eine niemals dröge, dafür sehr gemütliche „Columbo“-Episode zu formen. Spätere Drehbücher der Reihe sollten sich aber als wesentlich ausgeklügelter erweisen – zu einem Mrs.-Melville-Roman hätte diese Handlung wohl noch nicht gereicht…

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Do 4. Feb 2021, 17:25
von buxtebrawler
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Departed – Unter Feinden

„Keine Wäsche ohne Abholschein!“ („Mein wunderbarer Waschsalon“? Nein, Scorseses „Departed“!)

Zwischen Martins Scorseses Musikdokumentationen „Bob Dylan – No Direction Home“ (2005) und „Shine a Light“ (2008) kam im Jahre 2006 ein Spielfilm in die Kinos, mit dem sich Scorsese als Regisseur wieder einem seiner favorisierten Themen widmen konnte: „Departed – Unter Feinden“ ist ein knallharter Mafia-/Polizei-Thriller, zudem ein US-amerikanisiertes Remake der Hongkonger „Internal Affairs“-Filmreihe.

Dem Bostoner Paten Frank Costello (Jack Nicholson, „Shining“) ist es gelungen, mit Colin Sullivan (Matt Damon, „Good Will Hunting“) einen der Seinen inkognito bei der Polizei unterzubringen, um dadurch der Exekutive stets einen Schritt voraus sein zu können. Doch die Polizei verfolgt einen ganz ähnlichen Ansatz: Chief Queenan (Martin Sheen, „Apocalypse Now“) und Sergeant Digman (Mark Wahlberg, „Jim Carroll – In den Straßen von New York“) haben Billy Costigan (Leonardo DiCaprio, „The Beach“) als Undercover-Cop in die Mafia eingeschleust. Costigan ist es gelungen, Costellos Vertrauen zu gewinnen, doch eines Tages erfahren beide Parteien, dass sich ein V-Mann in ihren Reihen befindet. Sullivan und Costigan liefern sich ein Wettrennen um die Enttarnung des jeweils anderen...

Angesiedelt in Bostons schmutzigen Ecken, Straßen und Hinterhöfen, erzählt „Departed – Unter Feinden“ zunächst einmal von der Stadt selbst: „Boston – Einige Jahre zuvor“ verrät eine Texttafel, an die sich alte Originalaufnahmen vergangener Jahrzehnte reihen. Zeitgleich berichtet Costello als Sprecher aus dem Off über die Entwicklung der Stadt, bevor er sich auf Tour begibt, um Schutzgeld einzutreiben. Schnell ist er als eiskalter Killer charakterisiert, der sich einen kleinen Jungen heranzüchtet: Colin Sullivan, der eine Ausbildung bei der Polizei beginnt. An diese Stelle setzt der Schnitt einen Zeitsprung, Sullivan schließt seine Ausbildung erfolgreich ab.

Vulgäre Sprache und Beleidigungen durchziehen fortan den gesamten Film und findet auf beiden Seiten statt, insbesondere Bulle Digman übertreibt es mit überzogener Coolness und Vulgarismen. Sullivan geriert sich derweil als selbstgefälliges Arschloch. Scorsese zeichnet seine Figuren mit dem dicken Pinsel, verleiht aber jedem Ensemble-Mitglied etwas Spezifisches und schafft es, durch ständiges Changieren zwischen beiden V-Männern zwei gleichberechtigte Parallelhandlungen zu etablieren, die fesselnd erzählt werden. An Realismus gewinnt „Departed – Unter Feinden“, wenn Costigan mit der Situation hadert, Valium benötigt und zu verzweifeln droht. Die Bedrohlichkeit der Situation wird regelrecht spürbar und man fiebert mit, ohne sich dabei auf eine Seite schlagen zu müssen, der eigene Informationsvorsprung erweist sich keinesfalls als Spannungskiller. Das ist Scorsese hervorragend gelungen.

Mit einer genialen Wendung setzt das von William Monahans adaptierte, im Original von Alan Mak und Felix Chong stammende Drehbuch noch einen drauf: Auch das FBI hat jemanden eingeschleust. Um wen es sich dabei handelt, darf hier nicht verraten werden. Faustdick hinter den Ohren hat es auch Psychiaterin Madolyn (Vera Farmiga, „Sein letzter Coup“), die sowohl mit Sullivan als auch mit Costigan anbändelt. Einerseits reichert dies die Handlung um eine reizvolle, konfliktträchtige Dreiecksgeschichte an, beraubt sie aufgrund ihrer Konstruktion aber auch ein Stück weit ihrer Glaubwürdigkeit, erinnert gewissermaßen daran, dass wir einer ausgedachten Handlung beiwohnen. In einer Sequenz, in der zu Fuß beschattet wird, untermauert Scorsese den artifiziellen Anteil des Films gar, indem er ein grafisches Stilmittel nach dem anderen bemüht – eigentlich überflüssig und angeberisch, dennoch beeindruckend. Ziemlich grafisch sind auch die blutigen Schusswechsel ausgefallen, die dem Film einige Härte verleihen und denen durchaus auch Sympathieträger zum Opfer fallen.

„Departed – Unter Feinden“ zeigt letztlich das ganze V-Leute-Dilemma, das häufig keinerlei Sinn ergibt, und wie anfällig die Polizei für Kriminalität und Korruption ist. Der Umgangston zwischen den Polizeiabteilungen ist dabei weit entfernt vom sauberen Bild, das anderen Produktionen vermitteln: Hier wird sich gegenseitig heruntergeputzt und sogar untereinander geprügelt. Die finale Wendung hätte es nicht unbedingt gebraucht, die innere Logik bleibt dennoch erhalten, es hat schon noch alles Hand und Fuß. Ich persönliche hätte mich über ein offeneres Ende gefreut, doch unabhängig davon ist Scorsese und seinem Team eine beinahe ideale Mischung aus Hochspannung und Suspense gelungen, die vielleicht ein wenig zu lang ausgefallen ist. Dafür bekommt das hochkarätige Hollywood-Ensemble reichlich Zeit, sich hervorzutun, genüsslich ausgekostet von der Kamera. Ein wenig verwunderlich ist es lediglich, dass Scorsese seinem jungen Lieblingsschauspieler DiCaprio nicht seinen alten Lieblingsschauspieler und Mafioso-Rollen-erprobten Robert De Niro an die Seite gestellt, sondern sich für Jack Nicholson entschieden hat (der seine Sache aber ausgezeichnet macht).

Alles in allem ist „Departed – Unter Feinden“ schwer unterhaltsame Big-Budget-Kost für große Jungs und Mädels, die bei allen Dollars und allem schauspielerischen Glanz den Dreck der Straße und ihres Milieus nicht vergisst. So hat es sogar die Folkpunk-Nummer „I'm Shipping Up to Boston“ der Dropkick Murphys in den Soundtrack geschafft.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 9. Feb 2021, 18:36
von buxtebrawler
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Columbo: Mord nach Rezept

„…ist das vielleicht eine neue Art polizeilicher Ermittlungen?“

Die Figur des Ermittlers Columbo wurde einst von William Link und Richard Levinson erdacht, die ihre Inspiration Überlieferungen zufolge aus Untersuchungsrichter Porfirij Petrowitsch aus Dostojewskis „Schuld und Sühne“ bezogen. Columbo debütierte im Jahre 1960 in der Episode „Enough Rope“ der Serie „The Chevy Mystery Show“. Link und Levinson schrieben zwei Jahre später das erfolgreiche Theaterstück „Mord nach Rezept“, das wiederum einige Jahre später für einen gleichnamigen Fernsehkrimi unter der Regie Richard Irvings („Istanbul-Express“) adaptiert wurde. Dieser wurde am 20. Februar 1968 im US-Fernsehen erstausgestrahlt und wartete mit Peter Falk („Penelope“) in der Rolle des Columbo auf. Der Film avancierte zum ersten von zwei Pilotfilmen, denn ab dem dritten „Columbo“ aus dem Jahre 1971 ging man in Serie und entwickelte damit eine der beliebtesten und langlebigsten TV-Krimireihen.

„Sie sind bei Weitem der beharrlichste Mensch, der mir begegnet ist!“

In seinem Debüt „Mord nach Rezept“ ermittelt Columbo, hier noch Lieutenant, gegen den Psychiater Dr. Ray Flemming (Gene Barry, „Kampf der Welten“), ein angesehenes Mitglied der Oberschicht, das jedoch seine Frau Carol (Nina Foch, „Mein Name ist Julia Ross“) ermordet hat. Der Grund: Sie ahnte, dass ihr Mann eine Affäre hat und setzte ihm die Pistole auf die Brust: Entweder er beende sein Techtelmechtel oder sie würde sich nicht nur von ihm scheiden lassen, sondern einen Skandal heraufbeschwören und ihn finanziell ruinieren. Dr. Flemming machte daraufhin seine Geliebte, die attraktive junge Schauspielerin Joan Hudson (Katherine Justice, „Todfeinde“), zu seiner Komplizin. Er gab seiner Frau gegenüber vor, mit ihr in „zweite Flitterwochen“ nach Acapulco fliegen zu wollen. Stattdessen erwürgte er sie in der gemeinsamen Wohnung, ließ es wie einen Raubmord aussehen und trat die Reise mit Joan, verkleidet als seine Frau, an, die nach einem fingierten Streit im letzten Moment das Flugzeug verließ und ihn allein nach Mexico reisen ließ. Damit war sein Alibi perfekt – glaubte er…

„Eine natürliche Reaktion in Anbetracht der Umstände.“

Der spacige Vorspann erinnert an Rorschachtests, die ersten Szenen zeigen eine Feier der Wohlsituierten, zu der die Flemmings in ihr Anwesen geladen haben. Man spielt „Wer bin ich?“, Essen wird serviert – und Dr. Flemming ans Telefon gerufen. Angeblich ein dringender Fall, er müsse sofort los. In Wirklichkeit zieht es ihn jedoch zu Joan. Man erfährt nun, dass sie etwas zusammen planen, kann zu diesem Zeitpunkt jedoch allenfalls ahnen, worum es sich handelt. Die Durchführung des Mords wird anschließend minutiös gezeigt und dürfte manch sensibler Zuschauerin und manch ebensolchem Zuschauer ob Dr. Flemmings Kaltblütigkeit bei gleichzeitigem Perfektionismus tatsächlich etwas an die Nieren gehen. Schon früh verdeutlicht die Handlung, dass Joan bei Weitem nicht so abgebrüht ist und etabliert sie damit als mögliche Bruchstelle des Plans.

„Es ist eine gefährliche, zersetzende Intelligenz…“

Überraschend billig wirkt nach aller zur Schau gestellten Eleganz die Bluescreen-Projektion des Meers, auf dem sich Dr. Flemming angeblich in einem Boot befindet, um das vermeintliche Diebesgut verschwinden zu lassen – einer der wenigen Schwachpunkte dieser Inszenierung. Als Dr. Flemming schließlich nach Hause zurückkehrt, erwartet ihn bereits Columbo (damals noch mit anderem Synchronsprecher und sich selbst so aussprechend, wie er geschrieben wird, also mit „u“-Laut). Mrs. Flemming sei nach einem Mordversucht schwerverletzt noch am Leben. Sie läge im Krankenhaus und habe mehrmals Dr. Flemming Namen geröchelt. Für Columbo ist eigentlich bereits alles klar, doch als Mrs. Flemming dann doch ihren Verletzungen erliegt, beginnen seine Versuche, Dr. Flemming zu überführen.

„Ich mag Leute mit Ehrgeiz!“

Die Figur Columbo tritt hier zu großen Teilen bereits auf ihre unvergleichliche Weise auf, die zu ihrem Markenzeichen werden sollte: Columbo, ein etwas schlurfig und unbeholfen wirkender Ermittler italienischer Abstammung, behält sein exzellentes Kombinationsvermögen, seinen Spürsinn und seine Menschenkenntnis für sich, damit die Täter(innen) sich in falscher Sicherheit wähnen. Er inszeniert sich auf mehr oder weniger subtile Weise unterwürfig, schmiert den Verdächtigen Honig um ihre Mäuler, macht sich deren Eitelkeit zunutze und verwickelt sie in scheinbar belanglose, gespielt naive Plaudereien, um an Informationen zu kommen. Um Gelegenheiten zum Nachhaken zu erhalten, spielt er den Zerstreuten. Dass er ein einfacher Mann im (hier noch nicht so sehr) knittrigen Trenchcoat und mit betagtem Wagen ist, der gern von seiner Frau und seinem Hund erzählt, verstärkt das Identifikationspotential mit der Figur, zumal er es häufig mit sozial deutlich höhergestellten, erfolg- und einflussreichen Persönlichkeiten zu tun bekommt.

„Sie wirken auf mich wie ein durchtriebener Kobold, der seine Giftpfeile losschwirren lässt!“

Mehr als in späteren Episoden wird hier jedoch auch noch mit anderen polizeilichen Methoden wie einem falschen Geständnis oder dem Unterdrucksetzen der Komplizin gearbeitet (so forsch kennt man Columbo gar nicht bzw. wird er in Zukunft nur selten werden). Beides sorgt für zusätzliche Spannung, führt jedoch nicht zum Erfolg, sodass Columbo letztlich zum Fallensteller avancieren muss. „Mord nach Rezept“ zurrt das konzeptionelle Korsett, das für die gesamte Reihe Anwendung finden sollte, bereits fest und definiert den Verzicht aufs Whodunit? und den Wissensvorsprung des Publikums gegenüber dem Ermittler ebenso als Grundpfeiler einer jeden Episode wie den stets aufs neue angetretenen Beweis, dass dies keineswegs mit dramaturgischen Einbußen einhergehen muss, sowie die ebenso faszinierende wie charmante bis amüsante Art Columbos, seine Ermittlungen zu führen.

Ohne dass es ihm am Ende etwas genützt hätte, durchschaut Psychiater Dr. Flemming seinen Gegner und erklärt ihn innerhalb eines kongenialen Gesprächs zwischen Pro- und Antagonist gewissermaßen den Zuschauerinnen und Zuschauern. Diese mussten sich aber satte drei Jahre gedulden, bis sie nach diesem starken, mit einigen Überraschungen aufwartenden und clever erzählten Einstand Peter Falk erneut seine Paraderolle verkörpern zu sehen Gelegenheit bekommen sollten.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mi 10. Feb 2021, 17:59
von buxtebrawler
Tatort: Rettung so nah

„Wir werden ständig beschimpft, bespuckt, bedroht!“

Dem elften „Tatort“ des Dresdner Ermittlungsteams um Kommissariatsleiter Peter Michael Schnabel (Martin Brambach), seit fünf Episoden hauptamtlich aus den Kommissarinnen Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) bestehend, liegt ein Drehbuch Christoph Busches zugrunde, mit dessen Inszenierung die Regisseurin Isabel Braak („Plötzlich Türke“) innerhalb der öffentlich-rechtlichen Krimireihe debütierte. Der im Frühjahr 2020 gedrehte Fall spielt im Milieu von Rettungssanitäterinnen und -sanitätern und wurde am 7. Februar 2021 erstausgestrahlt.

„Wir sind da inzwischen Blitzableiter für jedweden Frust!“

Rettungssanitäter Tarik Wasir (Zejhun Demirov, „Little Thirteen“), der als syrischer Flüchtling nach Deutschland gekommen war, wird während eines Einsatzes am Elbufer mittels Elektroschocker, Kabelbinder und einer Plastiktüte im Wagen sitzend erstickt. Seine Kollegin Greta Blaschke (Luise Aschenbrenner, „Hanne“) hatte währenddessen mit einer verwirrten, obdachlosen Frau gesprochen, die den Einsatz ausgelöst hatte. Die Kommissarinnen Karin Gorniak und Leonie Winkler übernehmen die Ermittlungen, in deren Verlauf sowohl ein ausländerfeindliches Motiv in Betracht gezogen als auch unter Sanitäterinnen und Sanitätern sowie in deren direktem Umfeld ermittelt wird. Ersteres scheint auszuscheiden, als ein weiterer Sanitäter einen Einsatz mit seinem Leben bezahlen muss. Man sei ständig Anfeindungen bis hin zu Übergriffen ausgeliefert, wissen die Sanitäterinnen und Sanitäter zu berichten, doch diese Dimension der Gewalt ist neu. Die Situation belastet die Einsatzkräfte nicht nur psychisch, die Gefahr scheint handfest. Kommissariatsleiter Schnabel verordnet Polizeischutz, während man ein besonderes Augenmerk sowohl auf den zu Aggressionen neigenden Berufssoldaten Arnold Liebig (Jochen Strodthoff, „Fack ju Göhte“) als auch den sich verdächtig verhaltenden Sanitäter Rigmers (Matthias Kelle, „Lang lebe die Königin“) richtet…

„Für die Junkies sind wir doch ’ne rollende Apotheke!“

Wenn dieser „Tatort“ seine Geschichte zu erzählen beginnt, ist der Mord bereits geschehen und die Leiche aufgefunden worden. Die Ereignisse zuvor werden im Gespräch mit Greta Blaschke, der Kollegin des Toten, erörtert und in Form einer kommentierten Rückblende visualisiert – ein Stilmittel, das Regisseurin Braak wiederholt aufgreifen wird. „Rettung so nah“ wirft ein Schlaglicht auf die unwirtliche Situation von Rettungskräften im Allgemeinen und schärft das Bewusstsein für diesen Berufsstand sowie die speziellen Herausforderungen, die dieser mit sich bringt. Sich beschimpfen, bedrohen und körperlich angreifen zu lassen, sollte eigentlich nicht dazuzählen, gehört aber, darf man entsprechenden Pressemeldungen Glauben schenken, längst zum Alltag von Sanitäterinnen und Sanitätern – und zwar anscheinend nicht nur durch betrunkene oder drogenvernebelte Klientel. Eine besorgniserregende Entwicklung, für die dieser „Tatort“ sensibilisiert – ohne jedoch das Rettungspersonal zu glorifizieren.

„Mit Waffe würde ich mich hier auf jeden Fall sicherer fühlen!“

Dieses wird durchaus ambivalent dargestellt; so wird sich illegal an Medikamenten bedient oder zur Selbstverteidigung zur Schusswaffe gegriffen. Im Speziellen folgt die Handlung Greta Blaschke, die befürchten muss, das nächste Opfer des Mörders zu werden. Man zeigt die alleinerziehende Mutter privat mit ihrer kleinen Tochter, beim Entspannungs-Joint und beim Versuch, mit jemandem aus der Nachbarschaft (Golo Euler, „Tatort: Im Schmerz geboren“) eine leidenschaftliche Nacht zu verbringen. Weiß sie mehr, als sie sagt? Luise Aschenbrenner ist die schauspielerische Entdeckung dieser Produktion: Pausbackig und mit müdem bis traurigem Blick spielt sie eine junge Frau, die aufgrund ihres Berufs psychisch schneller zu altern scheint als körperlich. Ohne zu wissen, was es ist, merkt man ihr an, dass sie eine zentnerschwere Last mit sich herumschleppt. Seit 2014 ist Aschenbrenner immer mal wieder im TV zu sehen, vor dieser sogar bereits in zwei anderen „Tatort“-Episoden – und hoffentlich nicht zum letzten Mal.

Obwohl während des ersten Covid-19-Pandemie-bedingten Shutdowns gedreht, grassiert gemäß Drehbuch eine Grippewelle in der Stadt, die insbesondere Gorniak zu schaffen macht. Dennoch sprechen sie und Winkler sich in aller Kürze aus, und auch ihr Vorgesetzter Schnabel ist mittlerweile weit von der konservativen Witzfigur, die die Rolle in den ersten Episoden zumindest zeitweise darstellte, entfernt. Das Dresdner Trio ist zu einem sehr funktionalen Team zusammengewachsen. Die mehrere Verdächtige einführende Handlung übertreibt es in Einzelszenen, beispielsweise mit dem unvermittelten Ableben einer dieser Figuren. Auch die Szene, in der Vermummte, die offenbar Dresdner Ultras darstellen sollen, auf vollkommen sinnlose und idiotische Weise einen Sanitäter angreifen, bereitet mir ein wenig Kopfschmerzen: Einerseits wird dadurch endlich einmal ganz konkret gezeigt, worüber die Rettungskräfte zuvor nur redeten, andererseits drohen derartige Momente in TV-Produktionen mit der Reichweite eines „Tatorts“ auch stets, ein gesellschaftliches Zerrbild gewalttätiger, krimineller und völlig durchgeknallter Fußballfans zu zementieren. Nichtsdestotrotz ist die eskalative Zuspitzung, die sich aus dieser Szene ergibt, überaus effektiv. Mitunter mäandert man aber auch etwas ereignisarm vor sich hin, bis im letzten Drittel mit einer nahegehenden Hintergrundgeschichte um einen Kindstod Dramaturgie und Tragik gleichermaßen hochgeschraubt werden.

Dazu passt dann auch die ungemütliche, insbesondere in Gretas Szenen melancholische bis bedrückende Atmosphäre, die zu erzeugen die basslastigen Elektroklänge des Duos Dürbeck & Dohmen sich als hilfreich erweisen. Der „Tatort: Rettung so nah“ entpuppt sich als gelungene Mischung aus klassischem Whodunit?-Krimi und Milieu- bzw. Berufsgruppenporträt mit starker dramatischer Note und sowohl einer sozialen Botschaft als auch nicht ganz leicht zu beantwortenden Fragen nach Schuld, Sühne und Akzeptanz sowie Verarbeitung tragischer Unglücksfälle. Damit dürfte Busche, Braak und ihrem Team das Kunststück geglückt sein, sowohl ein konservatives „Tatort“-Publikum zu befriedigen als auch diejenigen zufrieden zu stellen, die soziale Missstände aufgegriffen wissen und neben polizeilicher Entwicklungsarbeit interessante Figuren zu sehen bekommen wollen.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Do 11. Feb 2021, 17:56
von buxtebrawler
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Der seltsame Fall des Benjamin Button

„Wie alt bist du?“ – „Sieben! Aber ich sehe viel älter aus.“

Zwischen „Zodiac – Die Spur des Killers“ und „The Social Network“ kam im Jahre 2008 US-Regie-Genie David Finchers hochbudgetierte Adaption einer Kurzgeschichte F. Scott Fitzgeralds in die Kinos: „Der seltsame Fall des Benjamin Button“, ein Fantasy-Märchen und Liebesdrama.

„Ulkig!“

Benjamin Button (u.a. Brad Pitt, „Fight Club“) ist ein Wunder – oder ein Fehler? – der Natur: Als er während des Ersten Weltkriegs geboren wird, hat er das Gesicht eines altes Mannes. Während er im Laufe der Jahre geistig eine normale Entwicklung vornimmt, wird sein wachsender Körper von Tag zu Tag ein wenig jünger. Benjamins Mutter ist bei seiner Geburt verstorben und seinem Vater (Jason Flemyng, „Mirrors“) war er unheimlich, weshalb er ihn aussetzte. Benjamin wurde von Queenie (Taraji P. Henson, „Vier Brüder“) gefunden, die ihn in ihrem Altersheim unterbrachte. Dort wächst er unter Greisen auf und beobachtet den Lauf des Lebens bzw. dessen Vergänglichkeit, lernt jedoch auch das kleine Mädchen Daisy (ganz jung: Elle Fanning, „Phoebe im Wunderland, zehnjährig: Madisen Beaty, „Family Man“, erwachsen: Cate Blanchett, „Aviator“) kennen, in das er sich später verlieben wird – und sie sich nach einigen Umwegen in ihn. Doch gibt es unter diesen Voraussetzungen neben gegenseitigem Gefallen ein stabiles Fundament für eine Partnerschaft? Benjamin jedenfalls lässt sich von seinen biologischen Besonderheiten weder von der Liebe zu Daisy noch von seiner Neugier und seinem Entdeckerdrang abhalten und erkundet die große, weite Welt...

„Du bist anders als andere Kinder...“

Es gibt verschiedene Gründe, sich „Der seltsame Fall des Benjamin Button“ anzusehen: Das Mainstream-Publikum möchte sich eventuell an Brad Pitt erfreuen oder einer ungewöhnlichen Romanze mit viel Herzschmerz beiwohnen, andere sind aufgrund der außergewöhnlich Prämisse neugierig oder erwarten interessante philosophische Perspektiven auf das Leben und Sterben. Nachdem ich den Film jahrelang ignoriert hatte, überwogen bei mir zwei Aspekte: 1. Es ist ein Fincher, von dem ich fast alles andere bereits mit einiger Begeisterung gesehen hatte. Und 2.: Wie zur Hölle würde man das Ende gestaltet haben? Würde man in mikroskopischer Vergrößerung zu sehen bekommen, wie sich ein Spermium von einer Eizelle trennt? Oder was?

„Es ist nichts Schlimmes am Alter!“

Finchers Film etabliert zunächst eine Rahmenhandlung, die zwei Jahre nach Benjamins Tod einsetzt und im August 2005 spielt, während der Hurrikan Katrina wütet. Daisy, inzwischen eine alte Frau, liegt im Sterben. Ihre Tochter Caroline (Julia Ormond, „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“) sitzt an ihrem Bett und lässt sich von ihrer Mutter die Geschichte vom blinden Uhrmacher Mr. Gateau (Elias Koteas, „Gattaca“) erzählen, der eine gegen den Uhrzeigersinn laufende Uhr entwickelt habe. Anschließend liest sie aus Benjamin Buttons Tagebuch vor, woraus sich die eigentliche Handlung in Form einer Rückblende entwickelt, zunächst noch von Daisy per Voice-over kommentiert. Daisy verstummt schließlich, dafür stößt Benjamin als gelegentlicher Off-Sprecher hinzu. Dass es sich bei den Geschehnissen um eine Erzählung Daisys handelt, wird durch eingestreute Unterbrechungen, die das Mutter-Tochter-Gespann in der Gegenwart zeigen, im weiteren Verlauf wiederholt ins Gedächtnis gerufen.

„Unser Leben wird von Gelegenheiten bestimmt – sogar von denen, die wir verpassen.“

In der Rückblende stechen die bizarren Masken und Make-up-Effekte ebenso ins Auge wie die schöne Rekonstruktion der 1920er-Jahre in New Orleans, Louisiana, wo sie zunächst angesiedelt wurde. Stilistisch wirkt das alles nicht nur aufgrund des Vorlesekonzepts sehr märchenhaft, Benjamin heuert auf einem Schlepper an und entdeckt seine Leidenschaft fürs Reisen. Allerdings scheint der Film Prostitution sehr unkritisch zu betrachten, was ihm tatsächlich kurzzeitig einen leicht sleazigen Touch verleiht. Benjamin lernt im weiteren Verlauf unwissentlich seinen Vater kennen, noch skurriler mutet es allerdings an, dass seine Adoptivmutter viel jünger aussieht als Benjamin. Von diesem Durcheinanderbringen von Familienstandards geht ein bizarrer Reiz aus, den der Film auszukosten versteht. 1936 zieht er 17-jährig aus dem Altersheim aus; der Film hat sich zu einem opulenten, viele verschiedene Zeitebenen umfassenden Ausstattungsepos entwickelt und man ahnt, weshalb Fincher fast 160 Minuten Laufzeit für diese Geschichte benötigte. Benjamin wird in seinen unterschiedlichen Altersstufen von Charles Henry Wyson („Journeyman - Der Zeitspringer“), Chandler Canterbury („Powder Blue“), Spencer Daniels („The Least of These“), Peter Donald Badalamenti II („Full Grown Men“), Robert Towers („Masters of the Universe“), Tom Everett („Leatherface: Texas Chainsaw Massacre III“) und eben Brad Pitt gespielt – welch ein Aufwand!

„Wir alle enden mal in Windeln!“

Verantwortlich für diese Adaption zeichnen die Drehbuchautoren Eric Roth und Robin Swicord, wobei von Roth auch das Drehbuch zu Forrest Gump stammt – was die Parallelen zu jenem Kino-Welterfolg erklärt. Wie einst Gump klappert auch Button mehrere Jahrzehnte ab, wenngleich hier weit weniger historische Ereignisse abgehandelt werden. Dennoch begibt man sich mit Benjamin in Kriegsszenen auf dem Wasser, bevor sein Vater ihm reinen Wein einschenkt und ihm seine Knopffabrik vererben will. In den 1950ern besucht man zusammen mit dem Protagonisten New York und Paris, leidet mit ihm, wenn Daisy zunächst nicht mit ihm zusammen sein will, bestaunt wunderbare Landschaftsaufnahmen, als er 1962 dann doch mit ihr zusammenkommt, und kann sich schließlich vergewissern, dass es sich bei Caroline, die all dies vorgelesen bekommt, um die gemeinsame Tochter handelt. Nach ihrer Geburt wird sie im Tagebuch gar direkt angesprochen. Mitunter fühlt man sich selbst direkt aufgefordert, beispielsweise beim Appell, die Freiheiten des Lebens zu nutzen und auszukosten. So weit, so gut, so Allgemeinplatz. Bis hierhin war Benjamin stets Sympathieträger, wenn auch einer ohne nennenswerte Ecken oder Kanten, ohne wirkliche Fehler, handfeste moralische Verfehlungen oder sonst irgendetwas in diese Richtung. Nun jedoch nimmt sein „Charakter“, sofern man der, von ihren biologischen Besonderheiten einmal abgesehen, etwas eindimensionalen Figur einen attestieren kann, eine eigenartige Wendung, von der ich mir nicht sicher bin, ob sie seitens der Filmemacher überhaupt als frag- und kritikwürdig angesehen wurde: Benjamin entzieht sich der Verantwortung für seine Tochter, was er mit seiner zunehmenden Verjüngung begründet – die geistig aber doch gar nicht stattfindet. Stattdessen geht er ausgiebig seine Freiheit auskosten…

Da dies offenbar Teil der Aussage, Teil des Ergebnisses der zuvor immer wieder aufgeblitzten philosophischen Überlegungen des Films ist, bleibt ein etwas fader Nachgeschmack, der jeglichen Bemühungen um Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern in die Beine grätscht. Fincher und sein Team arbeiten indes viel mit gedeckten Farben, mit Braun- und Sepiatönen, bescheren ihrem Publikum ein auf technischer und ästhetischer Ebene mitunter ein bisschen wie Fincher goes Tim Burton wirkendes, nahezu perfektes sowie hochkarätig besetztes audiovisuelles Vergnügen und haben glücklicherweise dann auch doch etwas mehr zu sagen. Denn „Der seltsame Fall des Benjamin Button“ ist allen Kritikpunkten zum Trotz ein berührender und verständnisvoller Film über Abschied und Verlust geworden, dessen Finale Parallelen zwischen Altersdemenz und frühem menschlichem Entwicklungsstadium zieht und mit einem Plädoyer für Diversität schließt.

Seine Oscars für Szenenbild, Make-up und Effekte seien ihm gegönnt. Um nicht alles zu spoilern, lasse ich meine eingangs erwähnte Frage nach Spermium und Eizelle unbeantwortet, erlaube mir aber noch anzumerken, dass, so sehr ich mittlerweile den Reiz dieser Mischung Märchen, Fantasy, Biografie, Romanze, Drama, Ausstattungskino und ein wenig Geschichtsunterricht auch nachvollziehen kann, ich weniger Mainstream-taugliche oder kontroversere Filme Finchers dann doch bevorzuge.