Gleich wird Sergio Martinos Name auf der Leinwand erscheinen. Die Geschichte hat sich Ernesto Gastaldi ausgedacht, der schon bei den Drehbüchern von LO STRANO VIZIO DELLA SIGNORA WARDH und LA CODA DELLO SCORPIONE, beide 1971, federführend beteiligt gewesen ist. Mit denen hat Sergio Martino, wie man sich erinnern wird, Giallo-Historie geschrieben. Beide Filme, der Wiener Killer wie der Skorpionsschwanz, sind, wie ich meine, prototypische Klassiker ihres Genres. Dieser Film nun heißt PERCHÉ QUELLE STRANE GOCCE DI SANGUE SUL CORPO DI JENNIFER? Was für ein umständlicher, schöner Titel, nicht? Veröffentlicht wurde er ebenfalls 1971. Seinen schmissen Score steuerte natürlich Bruno Nicolai bei. Wann erscheint endlich Sergio Martinos Name auf der Leinwand? Produziert wurde er übrigens von seinem Bruder, Luciano. Der wiederum ist liiert mit Edwige Fenech, die die weibliche Hauptrolle verkörpert. Doch nicht nur sie, sondern auch die meisten übrigen Hauptdarsteller wie George Hilton oder George Rigaud sind uns bekannt. Bis auf die hinterletzte Nebenrolle scheint mir dieser Film mit Schauspielern besetzt, die man in sämtlichen Sergio-Martino-Gialli von LO STRANO VIZIO DELLA SIGNORA WARDH bis hin zu I CORPI PRESENTANO TRACCE DI VIOLENZA CARNALE mindestens einmal antreffen kann. Dann noch: Stelvio Massi an der Kamera und Michele Massimo Tarantini als Regieassistent. Lauter bekannte Gesichter, hinter und vor der Kamera. Nur das von Sergio selbst taucht nicht auf. Stattdessen wird als Regisseur ein gewisser Anthony Ascott genannt. Sollte das etwa ein Pseudonym sein?
Ja, das ist es, doch nicht etwa von Sergio Martino. Vielmehr steckt Giuliano Carnimeo dahinter, ein Regisseur, den man heute wahrscheinlich vor allem dann noch kennt, wenn man sich in der Gesellschaft von Sartana, Ringo und Django gutaufgehoben fühlt. Mitten in einem Abonnent für Italo-Western, das er in den Jahren zwischen 1968 und 1974 abgeschlossen zu haben scheint, übernimmt er zum ersten und einzigen Mal die künstlerische Leitung eines Giallos. Hatte Sergio Martino keine Zeit? Doch braucht es ihn überhaupt, um einen sehenswerten Thriller zustande zu bekommen? Wie wichtig ist ein Regisseur überhaupt, wenn das zugehörige Team eine in sich stimmige Einheit ergibt? PERCHÉ QUELLE STRANE GOCCE DI SANGUE SUL CORPO DI JENNIFER? ist wie prädestiniert dafür, mir diese Fragen zu beantworten.
Alles spielt sich ab in einem Hochhaus. Morde geschehen, vorzugsweise, wie man das kennt, an jungen Frauen. Die erste erwischt es im Fahrstuhl. Die, die ihre Leiche findet, wird später auf ziemlich grausige Weise in der eigenen Badewanne ertränkt. Obwohl die Szene graphisch überhaupt nichts hergibt, schnürt sie einem die Kehle zu. Das nackte, gefesselte Opfer fleht um sein Leben, während der gesichtslose Killer den Wasserhahn aufdreht und, ein, zwei Meter von der Wanne entfernt, ihrem Todeskampf beiwohnt. Er repräsentiert nicht nur seine eigenen sadistischen Gelüste, sondern auch die unseren. Übrigens trägt er keine schwarzen, sondern gelbe Handschuhe. Ansonsten werden die Genrekonventionen sowas von eingehalten, dass es manchmal wirkt, man wolle sich ja nicht allzu weit von der Grundformel entfernen. Genau das wird Sergio später ja mit Erfolg tun, mit TUTTI I COLORI DEL BUIO (1972) zum Beispiel, diesem völlig zugedrogten Höllentrip, an den ich mich die erste Viertelstunde vorliegenden Films ein bisschen erinnert. Edwige Fenech, hier ein aufstrebendes Model namens, was für ein Zufall!, Jennifer, und verknallt in einen Architekten, der aussieht wie George Hilton, hat sich einst fürs Hippietum entschlossen, sich jedoch versehentlich Blumenkindern angeschlossen, die die Blüten des Bösen verteilten, sprich: einer elitären Sexsekte, deren Mitglieder ihr nun, nach ihrer Apostasie, nach dem Leben trachten. Vor allem ihr angeblicher Ehegatte hat es auf sie abgesehen. Wenn Edwige bzw. Jennifer von ihrer Vergangenheit eingeholt wird, experimentiert Carnimeo hier und dort mit der Kamera, lässt sie kippen, herumwirbeln. Das macht nicht seekrank, ist jedoch eine angenehme Abwechslung in diesem doch eher statischen, konventionell inszenierten Film.
Na gut, nun ist es schon vor seiner Zeit heraus: mich hat PERCHÉ QUELLE STRANE GOCCE DI SANGUE SUL CORPO DI JENNIFER? nicht ansatzweise so sehr entzückt wie das, was Sergio Martino in dem Genre zuvor realisiert hat, und schon gar nicht so sehr wie die drei Meisterwerke, die von ihm in dem Genre noch kommen sollten. Bin ich ungerecht? Gebe ich Carnimeo keine Chance? Der Anfang hat mich, wie gesagt, regelrecht in den Film eingeladen. Der eine oder bizarre Einfall führte dazu, dass ich mich angenehm verstört fühlte. Ich meine, was soll das denn mit dem Nachtclub, in dem eins der Mädchen als Stripperin arbeitet? – das heißt: man sollte den Begriff Stripperin mit Vorsicht gebrauchen, denn im Grunde wrestelt sie eher mit den sie begaffenden Männern, die sie zu sich in den Ring bittet, um ihnen nach aller Regel der Kunst die Knochen zu verdrehen. Einige der Mordszenen – vor allem die mit der Badewanne – gehen mir effektiv an die Nieren und zupfen daran. Die Rückblenden, die Edwige in den Fängen der Hippie-Sekte zeigen, liefern Bildkompositionen zum Rahmen. Trotzdem: etwas fehlt mir, und irgendwie habe ich mich mit zunehmender Laufzeit weniger und weniger interessiert für die Schicksale der Charaktere und den Ausklang der Handlung. Lag es an den beiden Polizisten, einen lauten, grimmigen, zuweilen ordentlich zulangenden, wenn sein Gegenüber die Aussage verweigert, und einen jüngeren, tölpelhaften, der, je nach Synchronfassung, mal mehr oder weniger nerviger ist, deren Ermittlungsarbeiten relativ viel Raum bekommen? Oder an der irgendwann derart undurchsichtigen Story, dass mich die bei schätzungsweise tausend Skalps herbeigezogene Auflösung der Killeridentität nicht mal sonderlich verblüfft, sondern eher den Eindruck verstärkt hat, das Skript sei irgendwann auf wenig surreale, eher inkompetente Art auseinandergefasert, um sich in viel zu vielen Nebenschauplätzen zu verlieren wie eben Edwiges vergangenes Kommunenleben oder den verunstalteten Sohn einer ihrer Nachbarinnen, der, unbemerkt von der Außenwelt, versteckt in einem Schrank haust?
Aber nein, das kann es nicht sein, denn Sergio Martino ist ebenfalls nie ein begnadeter Geschichtenerzähler gewesen. Was seine Gialli so groß macht, das ist ihre Atmosphäre. Was seine Gialli so gelb macht, das sind Szenen, die vignettenhaft in ihnen stehen, wie abgeschlossenen Einheiten, die komplett für sich funktionieren, selbst wenn sie nicht in ein größeres Ganzes eingebettet wären. Ich denke an den Mord in diesem Wiener Park. Ich denke an die nervenaufreibende letzte halbe Stunde in dem entlegenen Landhaus. Ich denke an die Schwarze Messe mit ihren Hundeschlachtungen. Wenn man so will, ist PERCHÉ QUELLE STRANE GOCCE DI SANGUE SUL CORPO DI JENNIFER? da viel bodenständiger. Ich bin nicht so sehr bodenständig. Mich würde es nicht so sehr wundern, würde ein Siebenschläfer mich plötzlich in einer mir verständlichen Sprache anreden. Deshalb kann ich wahrscheinlich Carnimeos Ansatz weniger abgewinnen als dem Martinos. Das heißt nicht, dass es hier keine Szenen gibt, die mich begeistern konnten. Noch einmal muss ich auf das schlimme Badewannenersäufnis verweisen. Oder auf den Autofriedhof, wo Edwige sich von Gestalten gehetzt fühlt. Oder auf die, wenn auch völlig zusammenhanglosen, Szenen, in denen man auf ein Kindheitstrauma der George-Hilton-Figur zurückblickt. Nichtsdestotrotz lautet mein Urteil: PERCHÉ QUELLE STRANE GOCCE DI SANGUE SUL CORPO DI JENNIFER? ist ein Film für Leute, die Gialli zwar mögen, denen aber Sergio Martinos Genreausflüge viel zu weit weg vom Schuss geführt haben, dessen Knall zu hören wichtig ist, um einen Rhythmus zu haben, an den man sich halten kann. Ein Film fast ohne Geheimnisse. Ich bin da eher so der Geheimniskrämer.