Re: Willkommen in der Hölle - Cesare Canevari
Verfasst: Mi 4. Jan 2012, 13:37
Handlung:
Der Bandit Burt (Corrado Pani) und seine kleine Gang (Antonio Salines, Claudia Gravy und Luis Dávila) überfallen eine Postkutsche. Nachdem Burt bei der Aktion vermeintlich stirbt, verstecken sich seine Leute in einer Geisterstadt bis Gras über die Sache gewachsen ist. Als das Gold eines morgens nicht aufzufinden ist, geben sie einem Fremden (Lou Castel), der am selben Tag in die Stadt geritten kam, die Schuld und beginnen ihn zu foltern. Kann er sich aus seiner misslichen Lage befreien?
Kritik:
Wenn man Fan eines ganzen (Sub)Genres ist, wie beispielsweise des Italowesterns, muss man sich fragen, warum dies so ist. Was macht den Italowestern ansprechender als jedes andere Genre. Es kann nicht an den Schießerein, der Zeit der Handlung oder den Prärielandschaften liegen, denn die haben wir auch in amerikanischen Western, welche ich großteils verabscheue. Das Besondere an den Genrefilmen aus Italien, das, was sie von ihren amerikanischen Verwandten unterscheidet, ist, dass die meisten von ihnen versuchen ein durch und durch negatives Weltbild aufzubauen. Ein apokalyptisches Szenario voller Gewalt…und „Willkommen in der Hölle“ ist eines der besten Beispiele dafür.
Die Welt, die uns Cesare Canevari in diesem Film zeigt, ist nicht die Welt die wir kennen, sondern eine andere Dimension in der andere Gesetze vorherrschen, in der die Mentalität der Menschen eine andere ist. Beachtet man den deutschen Titel, so liegt es nahe den Ort der Handlung überhaupt mit der Hölle gleichzusetzen. Dies darf man nie vergessen, wenn man über „Willkommen in der Hölle“ nachdenkt. Man darf ihn nicht wie einen üblichen Film und schon gar nicht wie einen üblichen Western betrachten, man muss sich auf das einlassen, was der Film sein will.
Das gezeigte Weltbild hat beispielsweise Auswirkungen auf unsere beiden Hauptcharaktere Burt und Ray, den Fremden. Burt ist die erste Figur, der wir ein wenig folgen, sie spricht sogar als Erzähler direkt zum Publikum und bricht einmal in einer sehr unheimlichen Weise die vierte Wand. Würde er nicht ziemlich bald für den Großteil des Filmes verschwinden, hätte ich ihn als eindeutigen Protagonisten angesehen. Das tolle an seiner Figur ist, obwohl er zu den kaltblütigsten skrupellosesten und hinterfotzigsten Figuren des gesamten Subgenres gehört, würde ich ihn nicht als „böse“ bezeichnen. Wie viele Antihelden ist er ein sehr intelligenter Mensch, der klug genug ist zu erkennen, dass man in der Welt, in der er sich befindet, nicht umhin kann, ein kaltblütiger Mörder zu sein, um Erfolg zu haben. Er begeht seine Verbrechen nicht aus purer Boshaftigkeit sondern, weil ihm die „Hölle“ keine andere Wahl lässt. Und das macht ihn zu einer grandiosen Figur.
Gegenpol zu ihm bilden Ray und eine andere Fremde, die sich in einer ähnlichen Lage wie er befindet. Beide zeigen sich uns als gutmütige und reine Menschen, die einzigen unter den Sprechrollen nebenbei bemerkt. Während die Frau in all ihrer Charakterlosigkeit als Symbol für die personifizierte Unschuld fungiert, wird Ray zu einer Erlöser-Figur gemacht. Der Film beginnt mit einem Zitat, welches auf Jesus anspielt, lädt mich also dazu ein, nach christliche Symbolik Ausschau zu halten. Ray ist eine etwas merkwürdige Figur, durch seine Gutmütigkeit in einer Welt, in der es nur noch Hass und Gewalt gibt, wirkt er auf das Publikum genauso befremdlich wie auf die Banditen. Sie scheinen fast Angst vor ihm zu haben, denn in dem Weltbild, welches sie kennen, hat Ray keinen Platz. Sie foltern ihn und lassen ihn in der Sonne schmoren (Christusreferenz!), bis er sich befreien kann und die Stadt (symbolisch für die ganze Welt) von den Banditen (symbolisch für das Böse oder die Sünden, etc.) befreit.
Das Problem bei einem Film, der so stark auf Symbolik und Andeutung setzt ist immer, dass sich einige kurzsichtige engstirnige spießige Kritikerverschnitte darüber beschweren, weil sie einen so ungewöhnlichen Einschnitt in ein so von fixen Topoi regiertem Genre nicht ertragen. So könnten sie zum Beispiel kritisieren, dass die rockigen Töne, die wir in einigen Szenen als Soundtrack bekommen nicht in das Amerika der 1850er Jahre passen. Auf solche Argumente kann ich aber nur erwidern: Wir befinden uns nicht im Amerika der 1850er, wir befinden uns in der Hölle und in die Hölle passt fetzige Rockmusik.
Die Gefahr bei solchen Film ist, dass man die geplante Symbolik nicht immer zielführend umsetzen kann, woraufhin es albern, berechenbar oder nervig wirken würde. Man braucht eine Inszenierung die vor nichts zurück schreckt, die mutig und originell ist und Gott sei dank, trifft das auf die Regie Cesare Canevaris zu. Seine ungewöhnliche Inszenierung lässt zwar vermuten, dass die gesamte Crew während des Drehs bekiffter als die von „Easy Rider“ war, verfehlt ihr Ziel jedoch keinesfalls. Er zeigt uns ganz deutlich worauf er hinauswill, wodurch wir uns darauf einlassen können.
Eine extreme Benutzung von Nahaufnahmen zeigt von Anfang an, dass dies kein traditioneller Western ist, der bemüht ist die Weite der Prärie einzufangen. Es definiert „Willkommen in der Hölle“ als einen emotionalen Film, der durch die Nahaufnahmen vielleicht dem Fluss der Handlung und dem Verständnis des Zusehers entgegenwirkt, jedoch gleichzeitig ein beklemmendes eingeschränktes Gefühl vermittelt.
Ein Weiteres Beispiel dafür ist eine große Schießerei, bei der sich zwei von unseren fünf Hauptcharakteren verabschieden. Die ganze Szene wird gezeigt, indem die Kamera über dem Ort des Geschehens immer schneller werdende Kreise zieht. Wir bekommen nicht mit was geschieht, bis wir erst in der übernächsten Einstellung das Ergebnis sehen, es geht hier weder um die Personen noch um die Action, es geht darum das schwindelerregende und verwirrende Gefühl, das die Beteiligten in so einer Situation verspüren, an den Zuseher weiterzugeben, und das ist auch verdammt gut gelungen.
Ebenso ist der Gebrauch von Zeitlupen, die sich ungewöhnlich lange hinziehen ein Stilelement, wie beispielsweise in der Szene in der Ray von einem der Banditen mit einer Kette attackiert wird. Die gesamte lange Szene ist in Zeitlupe, bietet uns also nicht viel Action, doch es zwingt uns unser Hauptaugenmerk auf die Bilder zu legen, nicht auf das Geschehen infolgedessen die Bilder gezeigt werden, sondern auf die Bilder selbst. Dies zwingt uns das Leiden Rays im Detail mit anzusehen, wir fiebern mit ihm mit und vor allem wir fühlen mit ihm mit; dies nicht zuletzt, weil die Zeitlupe gut wiedergibt wie verzweifelnd es für den schwachen Mann wirkt, dem fitten Banditen zu entkommen.
Fazit: Ein Film, der hauptsächlich auf die Gefühlsebene einwirkt. Er erfindet ein neues, furchtbares Weltbild und vermittelt uns eingehend, wie die Menschen in dieser „Hölle“ empfinden. Die originelle Inszenierung, die von der ersten bis zur letzten Sekunde dem Zuseher Emotionen entlockt, nebst den guten Darstellern und den christlichen Parallelen machen „Willkommen in der Hölle“ für mich zu einem der besten Filme, die je gemacht wurden. 10/10