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Leichen pflastern seinen Weg“ – was für Meisterwerk des Films! Dieser Streifen ist eigentlich zu gewaltig, als dass man ihm allein mit Worten gerecht werden könnte. Sergio Corbucci inszenierte diese italienisch-französische Co-Produktion wider den ungeschriebenen Gesetzen des Italo-Western. Sein Film spielt in der tief verschneiten Kleinstadt Snowhill. Bildgewaltige Landschaften unter einer immensen Schneedecke bilden einen fantastischen Rahmen für das außergewöhnlichste Beispiel dieses Genre. Ennio Morricone schuf dazu einen Soundtrack, der die perfekte musikalische Untermalung liefert.
Die beiden Hauptdarsteller Klaus Kinski und Jean-Louis Trintignant lieferten wahre Glanzleistungen ab und haben sich selbst damit Denkmäler im Bereich des Spaghetti-Western gesetzt. Trintignant spielt den selbsternannten Rächer aller Schwachen und Unschuldigen namens Silence, der Stumme. Der Stumme deswegen, weil ihm als Kind von Banditen die Stimmbänder durchgeschnitten wurden, nachdem diese zuvor seine Eltern ermordet hatten. Aus Angst, dass der Junge sie verraten könnte, wurde er so grausam entstellt. Silence schwor Rache und ist seitdem immer da zur Stelle, wo Banditen und rücksichtslose Kopfgeldjäger ihr Unwesen treiben. Er tötet die Banditen oder schießt ihnen zur Abschreckung die Daumen ab, damit sie nie wieder den Revolver gegen Unschuldige richten können.
Den Kopf einer dieser Banden von Kopfgeldjägern spielt Klaus Kinski. Er ist Tigrero (in der deutschen Fassung heißt er jedoch Loco), ein erbarmungsloser Jäger, der nur auf Geld aus ist und dafür notfalls (und mit Vorliebe) auch alle Gesetze bricht. Loco liefert alle Gesuchten, auf die ein Kopfgeld ausgesetzt ist, grundsätzlich tot ab. Er stellt keine Fragen, gibt den Gesuchten keine Möglichkeit für Erklärungen. Unschuldsbeteuerungen sind ihm gleichgültig. Er schießt die Hilflosen im Beisein ihrer Mütter oder Frauen über den Haufen und entschuldigt sich danach höflich bei den Hinterbliebenen.
Genau darin besteht einer der großen Unterschiede dieses Film im Gegensatz zu anderen Italo-Western. Kinski spielt diesen Loco exakt so wie man es nicht erwartet. Hier ist das Böse nicht einfach nur böse. Ebenso wenig ist der Gute frei von Fehlern. Sicher, Loco ist ein brutaler Killer. Aber er mordet sich stets mit einem freundlichen Lächeln durch den Film. Es ist halt sein Job, fügt er entschuldigend hinzu, auf die Frage nach dem Warum. Der Zuschauer wünscht diesem Loco einerseits die Pest an den Hals, auf der anderen Seite jedoch kann man ihm nicht böse sein, so unschuldig wirkt er.
Jean-Louis Trintignant ist in seiner Rolle als Silence Kinski jedoch ebenbürtig. Ist es sonst Kinski allein vorbehalten, mit der Mimik und Körpersprache alles auszudrücken, so übernimmt diesmal ein Anderer diesen Part. Und Trintignant überzeugt jederzeit.
Silence bekommt von Pauline, der Witwe eines Ermordeten den Auftrag, Loco und seine Kumpane zu jagen und zu töten. Da diese sich ebenso wie er in Snowhill aufhalten, braucht er auch nicht lange zu suchen ...
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Leichen pflastern seinen Weg" ist von Anfang bis zu seinem Ende der krasse Gegensatz zu allen herkömmlichen Exemplaren seines Genres. Die verschneite Landschaft erzeugt einen fast surrealen Hintergrund, Kinski und auch Trintignant spielen ihre Rollen gegen den Strich. Silence ist nicht die Art von Rächer wie man sie bisher gewohnt war. Kein großes Machogehabe und keine markanten Sprüche, auch von der Eastwood-mäßigen Lässigkeit ist nichts zu sehen.
Kinski spielt den Loco mit einer unvergleichlichen Bösartigkeit und zugleich dem Lächeln eines Chorknaben. Beide Hauptdarsteller verleihen ihren Rollen eine nicht zu erwartende Tiefe und heben allein damit schon diesen Film über das gewohnte Maß hinaus. Auch die Nebenrollen wurden zum Teil sehr gut besetzt. Vonetta McGee als Witwe Pauline und Luigi Pistilli als Bankier liefern absolut gute Leistungen ab.
Einzig und allein der Sheriff von Snowhill nervt zunächst ein wenig, sowohl von der Rolle als auch von der Darstellung her. Schauspieler Frank Wolff sollte man später noch in Kinskis zweitem Sartana-Streifen erleben. Vielleicht ist seine Darstellung auch in „
Leichen pflastern seinen Weg“ gar nicht mal so schlecht. Aber durch die absolute Naivität, mit der seine Rolle angelegt ist, gibt man diesem durchaus ernst gemeinten und harten Italo-Western eine etwas alberne Note.
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Da ist man fast erfreut, als Kinski/Loco ihn auf einen gefrorenen See hinaus treibt und dann Löcher ins Eis schießt, woraufhin der Sheriff ertrinkt (was allerdings nicht gezeigt wird – aus Gründen, die noch erklärt werden).
Wenn man sich „
Leichen pflastern seinen Weg“ jedoch öfters anschaut, erkennt man mehr und mehr, wie herrlich schräg Frank Wolff seine Darstellung in Wirklichkeit angelegt hat.
Desweiteren ist das Ende dieses Film unerwartet.
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Im Gegensatz zum herkömmlichen Italo-Western gewinnt in Corbucci`s Film das Böse in Person des Loco. Der bedauernswerte „Held“ des Films, Silence, wird von Loco gedemütigt und gepeinigt und am Ende getötet. Dieses eine Mal gibt es keine Gerechtigkeit, das Böse kann weiter sein Unwesen treiben und reitet mir einem zufriedenen Lächeln davon.
In einer nur für Japan gedrehten Version von „Leichen pflastern seinen Weg“ hat der Film ein alternatives Ende.
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Wieder stellt Silence sich seinem Widersacher Loco. Plötzlich erscheint der totgeglaubte Sheriff Gedeon auf der Bildfläche und erschießt Loco. Silence, der seine verbrannte Hand mit einer Art Ritterrüstung präpariert hat, kann Locos Helfer erschießen. Die Geiseln werden befreit und Silence kann lächelnd seine Pauline in die Arme schließen.
Dieser alternative Schluss ist jedoch nur in der neubearbeiteten Fassung auf DVD erhältlich und zudem noch ohne Ton. Außerdem wirkt diese Version doch arg konstruiert.
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Wo Loco auf einmal seine Eisenhand herholen will ist mir schleierhaft. Und auch die plötzliche Wiederkehr des Sheriffs ist unglaubwürdig, obwohl man ihn zugebenermaßen nicht ertrinken sah. Ich ziehe den bekannten Schluss vor, da dieser gerade den Reiz dieses Films ausmacht. Hier gewinnt nicht der Gute, hier werden die ungeschriebenen Gesetze des Spaghetti-Western ignoriert. Kein Happy-End, der vermeintliche Held ist wirklich besiegt und der Teufel in Menschengestalt kommt ungestraft davon. Und so hinterlässt „Leichen pflastern seinen Weg“ beim Zuschauer – sofern er nicht Kinski-Fan ist – ein Gefühl der Leere und der negativen Überraschung.
Für Kinski selbst war dieser Film der erfolgreichste seiner zahlreichen Spaghetti-Western und wurde zum absoluten Kultfilm eines ganzen Genre. Kinski wurde hier nicht in das enge Korsett einer Drehbuch-Vorgabe geschnürt, sondern konnte seiner Form der Darstellung freien Lauf lassen. Sämtliche Attribute des Genies Kinski sind in der Rolle des Loco/Tigrero zu finden. Leider viel zu selten ließ ein Regisseur einem Kinski soviel Handlungsspielraum. Aber gerade deswegen und auf Grund der hervorragenden Darstellung von Trintignant ist „
Leichen pflastern seinen Weg“ ein Juwel in der Geschichte des Italo-Western.
Kleine Anekdote am Rande : In seiner Biografie „Ich brauche Liebe“ erzählt uns Kinski, dass er während der Dreharbeiten eine kurze, wohl aber recht intensive Beziehung mit Vonetta McGee, der Darstellerin der Witwe Pauline, hatte. Und das, obwohl seine Ehefrau Biggi und Töchterchen Nastassja ihn zu dem Dreh begleiteten. Kinskis Erzählungen nach hat sich die McGee kurze Zeit später Marlon Brando verweigert und ist lieber mit ihm ins Bett gegangen. Brando hat vergeblich grölend an ihre Tür gehämmert.
Bewertung :
10 / 10