Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
Verfasst: Di 15. Jun 2021, 16:37
Die nackte Gräfin
Sexploitation meets Arthouse
„Warum ist sie nicht in ihrem Schweinestall geblieben?!“
Der Wiener Filmemacher Kurt Nachmann partizipierte nach der sexuellen Revolution wie so viele an der Sexploitation-Welle. Zwischen seinen beiden Josefine-Mutzenbacher-Verfilmungen, am 12.03.1971, wurde jedoch sein interessantester und bester Film veröffentlicht: „Die nackte Gräfin“.
„Venus-Scham-Po!“
Kfz-Mechaniker Toni (Gunther Möhner, „Erotik im Beruf – Was jeder Personalchef gern verschweigt“) wird in einem Sportcabriolet an einer bayrischen Straße aufgefunden: nackt und tot. Kommissar Gabriel (Regisseur Kurt Nachmann persönlich) sucht daraufhin den Halter des Fahrzeugs auf, den ungarischen Grafen Anatol Manesser-Mankonyí (Wolfgang Lukschy, „Für eine Handvoll Dollar“), der auf seinem herrschaftlichen Anwesen gerade eine große Feier zum Geburtstag seiner Frau ausrichtet. Der arrogante Aristokrat bittet die Herren von der Polizei, sich mit ihren Anliegen an seinen Sekretär Clemens (Fernando Gómez, „Hausfrauen-Report 3. Teil“) und sein Dienstmädchen Helene (Renate Kasché, „Lady Frankenstein“) zu wenden. Diese plaudern bereitwillig aus dem Nähkästchen der dunklen Umtriebe des Grafen…
„Sex – das ist wie eine Apotheke voller Drogen!“
So habe dieser das junge, attraktive Bauernmädchen Verena (Ursula Blauth, „Engel, die ihre Flügel verbrennen“) auf einer Modenschau kennengelernt und alsbald geehelicht, um sodann seine Perversionen an ihr auszuleben: Sadomasochistische Sexspielchen, für die Verena nach seinem Gutdünken zwischen verschiedenen Männern herumgereicht wurde, die er eigens zu diesem Zwecke eingeladen hatte: Sie verkörperten jeweils eine der sieben Todsünden, während er, unfähig zu lieben und impotent, dem Treiben als Voyeur zusah und es auf Film festhielt. Doch nachdem er den Mechaniker Toni zum Liebhaber Verenas auserwählt hatte, entwickelten beide wahre Gefühle füreinander – und das Unheil nahm seinen Lauf…
„Ich bin... wie heißt dieser perverse Zustand von Idioten?“ – „Glücklich?“
Der Großteil dieses Films ist also eine ausführliche Rückblende, die von Clemens und Helene erzählt wird, welche währenddessen auch manch Off-Kommentar ergänzend beisteuern, die einen immer wieder an die etwas alibihafte Rahmenhandlung erinnern. Die Charakterisierung der Hauptrollen geht recht schnell vonstatten, der Graf lässt Verena unmittelbar nach der Hochzeit noch in der Kirche von jemand anderem vögeln und schaut zu. Manche Spielchen verdienen aufgrund ihrer harmlosen Verspieltheit diesen Ausdruck und lassen einen durchaus schmunzeln, bei anderen hingegen lässt sich Verenas wachsende Abneigung vorbehaltsfrei nachvollziehen.
Noch bemerkenswerter als der schräge, Sadomasochismus inklusive einem tatsächlichen Machtgefälle in einer recht bizarren Form als Mischung aus wahnhafter Perversion und Impotenzkompensation ausstellende Inhalt ist jedoch die Form des Films, insbesondere die visuelle: Ursula Blauth mimt die titelgebende nackte Gräfin kokett, offenherzig und sexy, vor allem aber innerhalb einer völlig entfesselten, psychedelischen Bilderwelt. Hieronymus Boschs Kunst ist alles andere als zufällig Teil des Interieurs, Kameramann Franz X. Lederle darf sich in zahlreichen ungewöhnlichen Einstellungen austoben und im Schnitt werden zahlreiche Szenen mittels Zwischenschnitten zu Collagen montiert. Das Ergebnis ist ein abgefahrener, eigenwilliger Stil irgendwo zwischen allegorisch und surreal, der „Die nackte Gräfin“ zu einem irren Geheimtipp macht. Gerhard Heinz untermalte das kunterbunte Treiben mit einem stimmigen Soundtrack inklusive von Marianne Mendt inbrünstig geschmettertem Titelstück „Die sieben Sünden“.
Für eine deutsche Erotikproduktion aus dem Jahre 1971, zwischen all den stupiden Reportfilmchen und verklemmten Sexkomödien, ist das überaus bemerkenswert, zumal man Regisseur Nachmann, der vor dem konventionellen „Josefine Mutzenbacher“ mit einer Heimatkomödie und einer Schlagerrevue in Erscheinung getreten war und im Nachgang weitere Fummelfilmchen sowie „Kinderarzt Dr. Fröhlich“ mit einem singenden Roy Black drehen sollte, einen solchen Stilwillen und Mut zum Experimentellen wohl kaum zugetraut hätte.