Seite 207 von 245

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Fr 5. Nov 2021, 17:51
von buxtebrawler
Bild
Frau Jordan stellt gleich [Staffel 2]

Im November des Jahres 2020 wurde die zweite Staffel der deutschen SitCom „Frau Jordan stellt gleich“ des Streamingdienstes „Joyn“ der ProSieben/Sat.1-Gruppe nach einem Konzept Ralf Husmanns („Stromberg) veröffentlicht, ihre TV-Ausstrahlung folgte im Juli 2021. Die zehn neuen aufeinander aufbauenden, jeweils rund 25-minütigen Episoden wurden von Erik Haffner (Episoden 11-15) und Michael Binz (Episoden 16-20) inszeniert, von den Regisseuren der ersten Staffel war also niemand mehr mit der Serie betraut. Und nachdem er die Drehbücher der ersten Staffel zusammen mit Anneke Janssen, Elena Senft und Sarah Palma verfasst hatte, stammen nun alle ausschließlich von Husmann.

Nachdem Eva Jordan (Katrin Bauerfeind, „König von Deutschland“), Gleichstellungsbeauftragte im Stadthaus einer fiktionalen deutschen Kleinstadt, die Bürgermeisterinnenwahl gegen die karrieristische Sommerfeld (Adina Vetter, „Blutgletscher“) am Ende der ersten Staffel verloren hat, leitet sie weiter das Gleichstellungsteam aus der etwas verhuschten und naiven Renate (Mira Partecke, „Golden Twenties“), der jungen, lesbischen und aggressiven Yvonne (Natalia Belitski, „Stillstehen“) und Evas Freund, dem Softie Philipp (Alexander Khuon, „3 Zimmer/Küche/Bad“). Eva, die sich mit festen Bindungen schwertut und daher eher zu unverbindlichen Affären oder One-Night-Stands neigt, muss sich beruflich mit ihrer bissigen ehemaligen Konkurrentin Sommerfeld herumschlagen, versucht, fürs im Zuge der Digitalisierung gebildete „Innovationsteam“ eine Frau zu rekrutieren und kämpft mit dem alltäglichen Diskriminierungs- und Gleichstellungswahnsinn – was u.a. dadurch erschwert wird, dass sich Yvonne nun in einer festen Beziehung befindet und bis über beide Ohren verliebt ist (worunter ihre Arbeit leidet), und schließlich gar eine Stelle im Gleichstellungsbüro gestrichen werden soll. Auch privat geht’s wieder turbulent zu, denn ihre Beziehung mit Philipp soll verbindlicher werden…

Auch die zweite Staffel bietet ein buntes Panoptikum an Befindlichkeiten zwischen echter und lediglich gefühlter Diskriminierung, Konflikten, die aus der Unfähigkeit, vernünftig miteinander zu kommunizieren, gedeihen, Klischees, die sich ins Gegenteil verkehren und aufgegriffener aktueller Diskurse um Gleichberechtigung, Barrierearmut und ähnlichen nachvollziehbaren Interessen. Wer wird eigentlich von wem und wodurch diskriminiert? „Frau Jordan stellt gleich“ bricht weiterhin Schwarzweißdenken auf und zeigt, dass nicht alles immer so sein muss, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag, und wie kompliziert es manchmal ist, es allen recht zu machen – insbesondere, wenn die ehemals Diskriminierten längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen und ihrerseits nicht davor gefeit sind, bewusst oder unbewusst andere zu diskriminieren. All dies geschieht auf komödiantische, durch Überzeichnungen karikierende Weise, angereichert mit zwischenmenschlichen Zerwürfnissen, Situationskomik und Sprachwitz.

Jedoch hat es der zweiten Staffel möglicherweise nicht gutgetan, dass Husmann die Drehbücher allein verfasste und damit eine weibliche Perspektive abhandenkam. Die Themen werden weniger subtil verhandelt, der Humor erscheint dafür etwas offensiver bis krawalliger und zuweilen leider auch flacher. Und mitunter greift man auch vollkommen daneben: Die klischierte Negativdarstellung von „Fridays for Future“-Protestant(inn)en direkt zu Beginn der ersten Episode ist schlicht respektlos und lässt jegliche weitere Ebene vermissen. Und aus der eigentlich interessanten Idee, einen ehemaligen Berufssoldaten der Bundeswehr als Erzieher in einer Kindertagesstätte einzusetzen, gegen den sich besorgte Mütter richten, weil sie, statt sich darüber zu freuen, dass ein solch (vermeintlich) „harter Kerl“ eine weibliche Domäne aufbricht und sich nicht um Geschlechterklischees schert, seine Vergangenheit als Soldat und damit ihn als Vorbild für ihre Kinder ablehnen, wird kaum etwas gemacht. Was viel Potential geboten hätte, verkommt hier leider fast zu so etwas wie einer Werbebotschaft für den völkerrechtlich fragwürdigen Bundeswehreinsatz in Afghanistan, der zahlreiche Zivilistinnen und Zivilisten sowie Soldatinnen und Soldaten das Leben gekostet hat. Kurz nach Ausstrahlung der Episode musste das Scheitern des Kampfes gegen die Taliban eingestanden werden. Das ist nicht nur schlechtes Timing, sondern generell ein Thema, an dem sich Husmann kräftig verhoben hat.

Den Vogel schießt das Staffelfinale ab, in dem sich ausgerechnet durchs Eingreifen eines Manns für das Gleichstellungsbüro alles zum Guten wendet und Jordan gar nicht mehr gebraucht wird – als habe Husmann unter Beweis stellen wollen, wie unnötig eine solche Institution eigentlich sei. Das konterkariert die Ausrichtung der vorausgegangenen Staffel derart, dass ich, um die zweite Staffel abschließend beurteilen zu können, wissen müsste, ob und wenn ja, wie die bereits produzierte dritte Staffel dieses Ende möglicherweise auflöst. Freude machen nach wie vor die schauspielerischen Leistungen nahezu aller Beteiligter und Husmanns „Stromberg“-Geschick blitzt ein wenig durch, wenn Jordan in einer Event-Agentur anheuert und die dortigen Abläufe persifliert werden. Ein Fazit fällt schwer; es gilt abzuwarten, in welche Richtung sich die Serie weiterentwickelt – insbesondere in ihrer Eigenschaft als humorvoller Kommentar zum sozialen Zustand der Gesellschaft.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mi 10. Nov 2021, 10:58
von buxtebrawler
Tatort: …und dann ist Zahltag

„Zahltag…“ – „Ja, für Sie!“

Kriminalhauptkommissar Brammers (Knut Hinz) vorletzter von nur vier Einsätzen entstand unter der Regie des erfahrenen Krimiregisseurs Jürgen Roland („Stahlnetz“, „Dem Täter auf der Spur“), der damit innerhalb der öffentlich-rechtlichen Krimireihe debütierte. Es handelt sich um die Verfilmung des Romans „Der Zahltag“ aus der Feder Joachim Jessens und Detlef Lerchs, die, von Werner Jörg Lüddecke in Drehbuchform adaptiert, im Juni 1976 gedreht und bereits am 15. August desselben Jahres erstausgestrahlt wurde.

„Ganz schön kess für Ihren Dienstgrad!“

Ewald Merten (Jörg Pleva, „Das Millionenspiel“) und Otto Wollgast (Dirk Galuba, „Und der Regen verwischt jede Spur“) überfallen in Hannover dilettantisch den Schürmann-Supermarkt. Eigentlich war ausgemacht, keine Waffengewalt einzusetzen, doch als Wollgast dennoch mit seinem Revolver zielt, geht Merten dazwischen. Dies wird ihm strafmildernd ausgelegt; er verbüßt nur eine kurze Haftstrafe, während Wollgast für sechs Jahre hinter Gitter muss. Schürmann (Rudolf Schündler, „Das Stundenhotel von St. Pauli“) ist Merten sogar bei dessen Resozialisierung behilflich, indem er ihn als eine Art „Mädchen für alles“ anstellt. Merten baut sich eine bescheidene Existenz im ostholsteinischen Heiligenhafen auf, wo er mit Frau Margot (Monica Bleibtreu, „Der Joker“) und Tochter Angelika (Evelyn Bartsch, „Kinderheim Sasener Chaussee“) lebt. Als Wollgast aus der Haft entlassen wird, nimmt er Kontakt mit einem mysteriösen Hintermann auf, bricht in Schürmanns Villa ein und knackt dessen Tresor, der sich jedoch als leer erweist. Kommissar Brammer setzt Schürmann, der gerade seinen Urlaub in Heiligenhafen verbringt, über den Einbruch in Kenntnis. Auch Wollgast reist dorthin, sucht Merten auf und bittet ihn um Geld. Als ihm dieser unmissverständlich klarmacht, nichts mehr mit ihm zu tun haben zu wollen, sinnt er auf Rache…

„Sie können sich!“

Der Prolog zeigt den Überfall auf den Supermarkt, im Anschluss setzt die Handlung sechs Jahre später wieder ein. Man ist versucht, den Herrn, der es sich an Schürmanns Privatpool gemütlich macht, sich einen Cognac gönnt und eine Musikrevue im Fernsehen schaut, für Schürmann zu halten, doch stattdessen handelt es sich um dessen Hauswart Willi Köhler, der die Vorzüge seines Jobs genießt, während der Chef im Urlaub weilt. Nicht damit gerechnet hat er jedoch, von Wollgast niedergeschlagen zu werden. Walter Jokisch („Der Fall Jägerstätter“) spielt diese Nebenrolle bravourös! Bei Schürmanns erfahren wir von einem Vater-Sohn-Konflikt – und das pikante Detail, dass Schürmann sen. pleite ist und den Überfall zum Anlass nimmt, über Versicherungsbetrug nachzudenken, was der Junior (Werner Pochath, „Die neunschwänzige Katze“) nicht gutheißt.

„Aufhängen, das Schwein!“

Kurioserweise verschwindet Brammer, der sich einen Spruch über mieses Betriebsklima auf der Wache anhören muss, nach bereits rund 20 Minuten ebenfalls in den Urlaub und bittet darum, Polizeiobermeister Hesse (Uwe Dallmeier, „Viola und Sebastian“) in dieser Angelegenheit zu kontaktieren, der, wie es der Zufall so will, selbst gerade seinen Urlaub genießt – und zwar bei seiner Tochter in Heiligenhafen. Bühne frei für Uwe Dallmeier, der sich zunächst den Zuschauerinnen und Zuschauern gegenüber gar nicht als Bulle zu erkennen gibt und mit einem Fisch unterm Arm wie ein Tippelbruder durchs Ferienidyll an der Ostsee zieht. Er verkörpert einen ganz anderen, schwer sympathischen, etwas kauzigen und vor allem ruhigen, besonnenen und menschenfreundlichen Ermittlertyp, der nun von den Kollegen belästigt wird. Von Hannover ist von nun an nicht mehr viel zu sehen, stattdessen verbreitet Heiligenhafen sommerliche Urlaubsstimmung und wird mit massivem Lokalkolorit bunt und anheimelnd aufs Band gebannt, während Hesse im Mittelpunkt steht.

Aus heutiger Perspektive ungewöhnlich mutet an, wie häufig die kleine Angelika alleingelassen wird. Als Hesse sie am Strand anspricht, weckt das direkt unschöne Assoziationen. Ja, die Zeiten erschienen unschuldiger… Als Angelika dennoch entführt und Merten erpresst, genauer: zum Überfall auf die örtliche Sparkasse gezwungen wird, ist klar, dass Wollgast der Übeltäter ist. Die Spannung generiert sich aus der Frage, wie Merten mit der Situation umgehen und welche Folgen all das für ihn und seine kleine Familie haben wird. Es wird dramatisch und beim Überfall versucht er gar nicht erst, unerkannt zu bleiben. Aus Angst um Angelika informiert man nicht die Polizei und durchaus nachvollziehbar treibt ihn die pure Verzweiflung zu dieser Tat.

Was genau Wollgasts perfider Plan ist, erschließt sich, wenn er die Polizei extra zur Sparkasse lockt und dieses Ablenkungsmanöver nutzt, um seinerseits eine andere Bank zu überfallen. Vor der Sparkasse versammelt sich mittlerweile ein Pulk Schaulustiger, der sich am Spektakel erfreut, aber auch in Lynchmob-Manier das Geschehen gehässig kommentiert – ein deutlicher Anflug von Sozialkritik. Die Polizei hinterlässt auch nicht den besten Eindruck, wenn sie ohne Rücksicht auf Verluste respektive die Kund(inn)en und Mitarbeiter(innen) Reizgaspatronen in die Filiale schleudert – was indes unproblematisiert bleibt. Während Margot zur Bank eilt, malt sie sich schon panisch aus, wie die Leute sich das Maul zerreißen werden, was ein Off-Kommentator hörbar macht. Mit wem Wollgast zusammenarbeitet, wird in dieser Besprechung ebenso wenig verraten wie eine interessante Wendung gegen Ende, die der Handlung noch einen besonderen Kniff verleiht. Es bleibt dabei, dass es diesmal keinen Mord gibt, der Showdown an und in der Ostsee fordert aber doch noch einen Toten. Aus dem Off erklingen zu einem Standbild die Richtersprüche.

Dies ist ebenso die Ausnahme in einem „Tatort“ wie der vollzogene fliegende Ermittlerwechsel. Ungewöhnlich auch die zeitweise abgefahrene Musik, die auf ihre spezielle Weise zum bunten Treiben passt, das Kameramann Frank A. Banuscher fulminant einfing – seine Bilder sind ein Genuss. Jürgen Roland und seinem Team ist eine wahrlich unterhaltsame Räuberpistole gelungen, ein Urlaubskrimi, der etwas überkonstruiert all seine Figuren in einem Ferienidyll vereint, dafür aber mit mehreren Überfällen, Einbruch, Betrug, Kindsentführung, Geiselnahme, nackter Gewalt, einem Familienzwist sowie einem bis in die Vergangenheit zurückreichenden Geheimnis eine ganze Menge zu bieten hat, ohne etwas davon über Gebühr auszuschlachten. Und nicht zuletzt empfahl sich Dauer-„Tatort“-Gast Dallmeier mit seiner Ermittlungsarbeit für die Hauptrolle als Kriminalhauptkommissar Nikolaus Schnoor im „Tatort: Wat Recht is, mutt Recht bliewen“ aus dem Jahre 1982 (der jedoch leider nicht in Serie ging).

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mi 10. Nov 2021, 16:51
von buxtebrawler
Bild
Süße Sechzehn – Sweet Sixteen

„Ich war immer stubenrein, Herr Direktor!“

Der Italiener Mariano Laurenti war einer federführenden Regisseure der Commedia sexy all'italiana, jener Welle italienischer Erotik-/Sex-Klamotten der 1970er um „flotte Teens“ und Backpfeifengesichter. Laurenti zeichnet für einige der Tiefpunkte des Genres („Wehe, wenn die Lust uns packt“, „Flotte Teens jetzt ohne Jeans“, „Der Idiotenzwinger“) verantwortlich, lieferte mit „Nachtschwester müsste man sein“ aber auch durchaus Angenehmes. Der zwischen „Zum Teufel mit der Jungfernschaft“ und „Flotte Teens jetzt ohne Jeans“ im Jahre 1977 veröffentlichte „Süße Sechzehn – Sweet Sixteen“ wiederum zählt zum humoristisch Brachialsten, was dieser Bereich zu bieten hatte.

„Hast du was gesagt oder hat da eben eine Sau gerülpst?“

Die attraktive sechzehnjährige Schülerin Simona (Lili Carati, „Oben ohne – unten Jeans“) ist neu an der Schule in Trani im schönen Apulien. Schnell werfen die Jungs ein Auge auf sie, was ihre Mitschülerinnen mit etwas Argwohn betrachten. Der schöne Mario (Antonio Melidoni), größter Frauenheld der Schule, ergreift die initiative und versucht, Simona ins Bett zu bekommen, doch diese hat kein Interesse an einer oberflächlichen Sexaffäre. Da er nicht müde wird, sie zu bedrängen, schmiedet Simona zusammen mit ihren neue Freundinnen Vera (Susanna Schemmari, „Entschuldigen Sie, sind Sie normal?“) und Mirella (Brigitte Petronio, „Emanuela – Alle Lüste dieser Welt“) einen Plan, Mario auflaufen zu lassen, um ihm eine Lehre zu erteilen. Mario und seine Freunde Martocchia (Stefano Amato, „Malizia“) und Gennarino (Nando Paone, „Jetzt treibt sie's auch noch mit dem Pauker“) spielen unterdessen dem Schulpersonal, insbesondere Professor Ilario Cacioppo (Gianfranco D'Angelo, „Mondo Candido“) und dessen Assistenten Salvatore (Alvaro Vitali, „Fellinis Satyricon“) unablässig Streiche, während Marios Vater, Modeboutiquebetreiber Teo d'Olivo (Lino Banfi, „Der Filou“) bei attraktiven Kundinnen seine Finger nicht bei sich behalten kann. Und dann ist ja auch noch die Feier anlässlich des 15. Dienstjubiläums Cacioppos geplant…

„Mamma mia, ist das ‘n Arsch…“

Lehrer Cacioppo lebt mit seinem Assistenten (oder was auch immer das für ein Berufsbild sein soll) Salvatore zusammen und teilt sogar das Schlafzimmer mit ihm (immerhin nicht das Bett) – ist das ein Anflug von Sozialkritik hinsichtlich der kargen Besoldung von Lehrkörpern? Mario hat’s da ungleich besser, sanft wird er von seiner attraktiven Haushälterin geweckt und bekommt Kaffee ans Bett serviert. Die Ferien sind zu Ende, die Schule ruft wieder. Nach dem Prolog lernt man den adipösen Martocchia kennen, der ein bisschen wie ein Zachi-Noy-Verschnitt wirkt, obwohl die „Eis am Stiel“-Filme erst später produziert wurden. Er neigt dazu, seine Pfunde in Wallung zu versetzen, wenn er sich hüpfend über einen gelungenen Streich freut. Banfi in der Rolle als fummeliger Boutiquenbetreiber und Marios Vater Teo präsentiert eine neue Macke: Ist er aufgebracht, greift er sich in die Mundwinkel und zieht seinen Mund auseinander. Zusammen mit Martocchia und dem von Charaktergesicht Paone chargierend gespielten Gennarino mit Zottelmähne und Brille bildet Mario das streichespielende Jungstrio, wodurch Mario zwei Funktionen erhält: die als Lausbub und die als verhinderter Liebhaber. Bezeichnenderweise funktioniert beides vollkommen unabhängig voneinander, sodass „Süße Sechzehn – Sweet Sixteen“ wahlweise wie eine alberne Slapstick-Klamotte mit angedockter Romanze oder wie eine um eine völlig aus dem Ruder gelaufene romantische Komödie, die mit pubertären Gags und Streichen auf Länge gebracht wurde, wirkt.

„Igitt, ist das eine Elefantin!“

Sunnyboy Mario betatscht Simona im Klassenzimmer, geht mit ihr aus und besorgt dem Publikum Caratis erste Oben-ohne-Szene des Films, als er sie am Strand zu verführen versucht. Die hüninnenhafte Professorin Marimonti (Francesca Romana Coluzzi, „Themroc“) wiederum ist scharf auf Cacioppos Lehrkörper, doch er verabscheut sie aufgrund ihrer Physis. Sie wird als übermäßig stark und ihre Kraft nicht kontrollieren könnend dargestellt, was Anlass für einigen billigen Klamauk ist. Telefonstreiche mit verstellter Stimme, die an die deutsche „Lümmel“-Reihe erinnern, bescheren Cacioppo eine peinliche Leibesvisitation und Salvatore später eine Schaufensterpuppenmontur. Da Mario sein Zimmer direkt über der Boutique-Umkleide hat, bespannen er und seine Freunde attraktive Kundinnen gern durch ein Loch im Fußboden, was auch den Zuschauerinnen und Zuschauern einen entsprechende Einblick in eine Damenoberweite ermöglicht. Mafiabraut Elena Mancuso (Nikki Gentile, „Die Bumsköpfe“) bringt Teo jedoch in Bedrängnis: Als er sie gerade befummelt, stoßen ihr Mann (Rosario Borelli, „Flash Solo“) und zwei seiner Leute hinzu, woraufhin er eine schwule Tunte zu spielen beginnt – was sich abgeschmackt liest, zählt hier sogar zu den tendenziell besseren Witzchen.

„Hören Sie auf zu schwuchteln und machen Sie nicht so blöde Komplimente!“

Das Jungstrio bringt Salvatore daraufhin dazu, Elena anzugraben, wohlwissend, dass er aufgrund seiner geringen Körpergröße und seines mopsigen Gesichts keinerlei Chance bei ihr hat – und er tatsächlich entsprechend in die Bredouille kommt. Im Sportunterricht findet ein unglaubliches Basketballspiel mit Jungs (in Eierkneifer-Sporthosen) statt, die die Mädchen sexuell belästigen und Simona das Oberteil aufreißen (Carati-oben-ohne-Count: 2). Im Zuge der anschließenden Duschszenen zeigen sich Vera, Mirella und Simona kollektiv oberkörperfrei, letztere sich von hinten gar komplett nackt. Hier entsteht der Plan, Schwerenöter Mario hereinzulegen. Er erobere stets eine nach der anderen und lasse sie wieder fallen, womit man ihn diesmal nicht durchkommen lassen will. Zumindest einen Hauch femininer Wehrhaftigkeit und Kritik am männlichen egoistischen Chauvinismus kann man dem Film aufgrund dessen attestieren…

„Vergewaltigen Sie mich, Geliebter – greifen Sie zu!“

Cacioppo lässt sich im Rahmen des Biologieunterrichts reichlich Nachtschattengemüse von seinen Pennälerinnen und Pennälern mitbringen, um sich – wir erinnern uns: er scheint nicht gerade vermögend – zusammen mit Salvatore zu Hause schmackhafte Mahlzeiten daraus zuzubereiten. Jedoch ist jedes einzelne Stück präpariert und muss für fahle Witzchen herhalten – und weshalb auch Eier darunter sind, weiß nun wirklich niemand. Professorin Marimonti greift in eine Mausefalle in der Lehrerpultschublade und hat panische Angst vor Mäusen, was zu einem Aufruhr im Klassenzimmer führt. Nicht viel später werden sie und Cacioppo Opfer eines Juckpulveranschlags. Gags wie diese stammten bereits 1977 aus Uropas Mottenkiste und es ist mehr als fraglich, was sie in einem Jugendfilm zu suchen haben. Simona erhöht den Carati-oben-ohne-Count auf 4, als sie sich für ein Treffen mit Mario umzieht und auf 5 beim anschließenden kurzen Fummeln. Im Auto wird geknutscht, weiter lässt sie ihn aber nicht ran. Das ist natürlich Teil der Handlung bzw. des Plans, gewissermaßen aber auch symptomatisch für den Film, der es bei einigen Nacktszenen und etwas Gefummel belässt und keine einzige Sexszene enthält.

„Sei lieb und reiß dich zusammen!“ – „Das wäre absolut unnatürlich!“

Dass Veras Bruder ebenfalls scharf auf Simona ist, wird kurz angerissen, spielt im weiteren Verlauf aber keine Rolle mehr. Stattdessen gibt es Konfusionen um Simonas Familienverhältnisse und sozialen Status inklusive eines denkwürdigen Dialogs, zieht Elena, beobachtet von den Schaufensterpuppen mimenden Cacioppo und Salvatore, blank und präsentiert sich unser Mädelstrio in der Schulumkleide wieder oben ohne. Simona bekommt schließlich Skrupel, als sie realisiert, dass sich Mario aufrichtig in sie verliebt hat. Tatsächlich bläst der Knabe Trübsal und will sich nicht einmal mehr von seiner Haushälterin verführen lassen. Viel Verwirrung stiftet dann noch ein vermeintlicher Rockdiebstahl, der zu Trubel auf dem Polizeirevier führt, bevor im großen Finale Cacioppos Jubiläumsfeier seltsamerweise inklusive beiden Schüler(innen)trios stattfindet und natürlich in einem Meer von Streichen mündet, die mittlerweile alle Opfer ebenso stoisch über sich ergehen lassen wie die Zuschauerinnen und Zuschauer, die bis zum Ende durchgehalten haben, den Film.

„Sag mal, was ist er? Kommunist?“

Laurenti Film vereint billigen Slapstick, ein bisschen Sprach- und Dialogwitz und niveaulosen Klamauk, besonders gern auf Kosten aus der Norm fallender menschlicher Konstitutionen (wobei Martocchias Leibesfülle eigenartigerweise nie Zielscheibe von Gespött wird), mit ein paar Nacktszenen, die jedoch beinahe zwischen Stakattogelaber, Gebrüll und geschmacklosen Sprüchen („Die find‘ ich auch als Leiche noch optimal, Jungs!“, unangemessen flapsiger Umgang mit dem Begriff Vergewaltigung u.ä.) unterzugehen drohen. Ständig beleidigt man sich gegenseitig in ungewohnter Schärfe, wirklich gelungene und gut gealterte Scherze lassen sich an einer Hand abzählen. Wenn der Direx irgendwo zwischen all den Pejo-Wasser/-Bitter/-Ginger-Produktplatzierungen und der prominenten Punt-e-Mes-Außenwerbung sowie dem obligatorischen J&B-Whisky-Verschnitt entnervt stöhnt „Ich werde mich als Direktor an einem Irrenhaus bewerben – da geht’s normaler zu und die Leute sind ruhiger…“, liegt der Verdacht nahe, dass „Süße Sechzehn – Sweet Sixteen“ so etwas wie ein Prequel zu „Der Idiotenzwinger“ ist – der schaffte es, diesen Film noch einmal zu unterbieten.

Lichtblicke sind, neben dem tief unter den Trümmern, die der unablässig feuernde Humorbrutalismus hinterlassen hat, lagernden weiblichen Kampf um die subtile Zivilisierung des Mannes und den Kampf um die wahre Liebe, die drei jungen Damen, von denen Carati ebenso sexy wie kess in Szene gesetzt wurde, es mir aber insbesondere die kurzhaarige Susanna Schemmari mit ihrem herzerwärmend frech-fröhlichen Dauergrinsen angetan hat – da hatte offenbar jemand Spaß am Dreh. Damit endet vorläufig meine Berichterstattung aus einer Parallelwelt, in der offenbar keinerlei Büstenhalter an Schülerinnen ausgegeben werden, eine Modeboutique anscheinend so viel Geld abwirft, dass man sich ganz selbstverständlich eine Haushälterin leistet, und ausgerechnet Alvaro Vitali zu einem der Gesichter einer losen Erotikreihe wurde, der mit seinem bekannten Mut zum Grotesken Kapital aus seiner ungewöhnlichen Erscheinung schlägt – als was genau auch immer…

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Do 11. Nov 2021, 15:18
von buxtebrawler
Bild
Das Auge der Spinne

Der italienische Genre-Regisseur Roberto Bianchi Montero („So schön · So nackt · So tot“) inszenierte den im November des Jahres 1971 in italienischen Kinos angelaufenen Gangsterfilm „Das Auge der Spinne“, dessen Drehbuch vom Trio Luigi Angelo, Fabio De Agostini und Aldo Crudo geschrieben wurde. Rund vier Monate später wurde er synchronisiert auch in deutschen Kinos gespielt.

Bei einem Juwelenraub wird ein Polizist erschossen und die Gangster lassen ihren angeschossenen Komplizen Paul Valery (Antonio Sabato, „Das Rätsel des silbernen Halbmonds“) am Tatort zurück, der als einziger nicht fliehen kann und daher zu einer Haftstrafe verdonnert wird. Da der Drahtzieher und Hintermann des Überfalls, Professor Krüger (Van Johnson, „Blutiges Blei“), von Pauls Komplizen hintergangen wurde und keinen müden Kreuzer aus der Beute sah, befreit Krüger kurzerhand Paul aus dem Gefangenentransport, um ihn als gesetzlich ungebundenen Inkasso-Mitarbeiter anzustellen. Zu diesem Zwecke erhält er eine neue Identität als „Franz Vogel“ inklusive einer Gesichtsoperation, die sein Aussehen verändert. Als Aufpasserin stellt ihm Krüger seine Lebensgefährtin Gloria (Lucretia Love, „Die Frauen, die man Töterinnen nannte“) zur Seite, die Paul von nun beim Ausfindigmachen und bei der Konfrontation seiner ehemaligen Komplizen begleitet. Doch Paul verfolgt auch ganz eigene Ziele: Rache, eiskalt serviert…

Der reizvoll und rasant inszenierte Überfall findet in Wien statt, was Monteros Film unmittelbar sein internationales Flair verleiht, das sich durch den weiteren Verlauf ziehen wird. Doch bereits im direkten Anschluss wird es unfreiwillig komisch, wenn sich der unmaskierte Paul als Sabato mit Knollennase und mieser Perücke entpuppt, die man ihm schließlich „wegoperiert“. Im weiteren Verlauf leidet die Handlung unter Temposchwankungen, die Dramaturgie wirkt mitunter arg betulich, steif und ob des ihr zugrundeliegenden Hasses unangemessen entspannt. Hat man sich damit abgefunden, macht es aber durchaus Laune, sich zur Musik Carlo Savinas zusammen mit Paul auf die Suche nach seinen ehemaligen Kumpanen zu begeben und diese dadurch kennenzulernen. Als Zuschauer(in) erhält man erhellende Einblicke dahingehend, wie erfolgreiche Gangster leben, sich geben und tarnen – und wie sie reagieren, wenn sie mit ihrer dunklen Vergangenheit konfrontiert werden. Mehr noch: Wie sie sterben, wenn Paul seine Rache vollzieht.

Als härtester Gegner stellt sich „der Polacke“ heraus, gewohnt sinister von Klaus Kinski („Leichen pflastern seinen Weg“) gespielt, der gewarnt war, in der Sauna bedrohlich unter seinem Handtuch hervorlugt und in einem furiosen Showdown am Algierer Hafen eine Art exaltiertes Sterbeballett aufs Parkett hinlegt, das zu den erinnerungswürdigsten Szenen des Films gehört. Dass dort zufällig ein Haken herumlag, zählt jedoch ebenso zu den etwas erzwungen wirkenden Handlungselementen wie eine heillos übertriebene, zweifelsohne hübsch anzusehende Autoexplosion oder auch der eine oder andere Zufall. Aufgelockert wird die Chose durch einige optisch verfremdete Rückblenden und angereichert um eine etwas absehbare Romanze um die attraktive Gloria, die Lucretia Love mit Anmut und einer gewissen geheimnisvollen Tiefe verkörpert. Van Johnson muss in erster Linie jegliche Emotionen unterdrücken, um kühl berechnend und gefühlskalt zu wirken, was ihm gelingt, letztlich aber ein bisschen im Widerspruch zu seinem ach so ausgeklügelten Plan steht, der so sehr durchdacht nun doch wieder nicht ist. Sabato ist hier nicht gerade eine Ausgeburt an Ausstrahlung, spielt, erst einmal von der albernen Maskerade befreit, seinen Stiefel aber seriös herunter.

Als Gangster-Milieuthriller überzeugt „Das Auge der Spinne“ Genrefreunde ferner mit seinem an manch Italo-Western gemahnenden Nihilismus, denn hier wirtschaftet letztlich jeder in die eigene Tasche. Nur konsequent ist da das starke, fatalistische Finale – und dass der obligatorische J&B mitunter heruntergestürzt wird, als gäb’s kein Morgen. Der überwiegend sehr ansehnlich ausgestattete Film aus der zweiten Reihe des Genres entwickelt, hat man sich erst einmal auf ihn eingegroovt, durchaus seinen Charme – umso bedauerlicher erscheinen da die vermeidbar gewesenen Schwächen.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Fr 12. Nov 2021, 17:58
von buxtebrawler
Bild
Tochter des Teufels

„Heil Diane, Prinzessin der Finsternis!“

Der aus dem Fernsehserienfach kommende französischstämmige Regisseur Jeannot Szwarc („Night Gallery“) drehte im Jahre 1972 TV-Okkult-Horrorfilm „Tochter des Teufels“ nach einem Drehbuch Colin Higgins‘ und Phill Normans, der im Januar 1973 im US-Fernsehen ausgestrahlt und hierzulande später auf VHS ausgewertet wurde.

Die 21-jährige Diane (Belinda Montgomery, „The Todd Killings“) lernt am Grab ihrer erschossenen Mutter Alice (Diane Ladd, „Die wilden Engel“) deren vermögende Bekannte Lilith Malone (Shelley Winters, „Lolita“) kennen, die sie bei sich wohnen lässt. Damit wird sie in einen mysteriösen Zirkel eingeführt, der dem Okkulten huldigt und ganz spezielle Pläne mit ihr hat…

„Tochter des Teufels“ ist eine Art „Rosemaries Baby“-Variante mit einer bereits geborenen, erwachsenen jungen Frau als designierte Teufels-Thronfolgerin, deren Mutter zu Beginn der Handlung erschossen wird, damit eine finstere Satanist(inn)ensekte Zugriff auf sie erhält. Die Sekte wurde in gutbetuchten Kreisen angesiedelt, Lilith bewohnt eine opulente Villa und beschäftigt in Mr. Howard (Jonathan Frid, „Schloss der Vampire“) einen Butler. Die Kamera fokussiert unheilschwangere Details; Nahaufnahmen von Gesichtern symbolisieren die unangenehme Distanzlosigkeit, mit der man die von Alpträumen geplagte Diane beobachtet. Das sorgt für eine genretypische Gruselstimmung. Wie erbost Lilith reagiert, als Diane bei ihr wieder ausziehen will, erinnert an einen Konflikt Mutter versus flügge werdendes Kind, hier indes unter etwas anderen Vorzeichen. In Trance führt Diane einen ekstatischen Tanz auf; später muss sie den Verlust ihrer Freundin und Mitbewohnerin Susan (Barbara Sammeth, „Das Haus der blutigen Hände“) beklagen, die getötet wird.

Dies geschieht jedoch offscreen und der einzige Spezialeffekt beschränkt sich auf leuchtende Augen. Mit Schauwerten geizte Szwarc und gestaltete seinen Film stattdessen dialoglastig, vorhersehbar und etwas langatmig – dafür aber ähnlich konsequent wie sein o.g. mutmaßliches Vorbild: Auch dass Diane in Steve (Robert Foxworth, „Damien – Omen II“) einen scheinbar netten jungen Mann kennenlernt, sich in ihn verliebt und ihn heiratet, führt zu keinem Happy End. Mehr noch als in „Rosemaries Baby“ stellt sich am Ende jedoch die Frage, was das denn nun alles sollte, welchen Effekt es auf die Welt, wie wir sie zu kennen glauben, hat? Übergibt der Deibel den Stab nun an seine Tochter und geht in Rente?

Einen entsprechenden Aha-Effekt, eine spezielle Pointe oder etwas Ähnliches bleibt einem leider verwehrt, sodass „Tochter des Teufels“ über den glatten Durchschnitt nicht hinauskommt und bei Weitem kein vergessener Genreklassiker ist – eher ein Film, der nach dem Anschauen recht schnell wieder in Vergessenheit gerät…

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 16. Nov 2021, 17:40
von buxtebrawler
Bild
Columbo: Wenn der Schein trügt

„Könnten Sie ihn nicht einfach verschwinden lassen?“

Staffel 5, Episode 5 der langlebigen US-TV-Krimireihe: Wie gewohnt wird auf Whodunit? und Motivsuche verzichtet, wenn der Schein unter der Regie Harvey Harts trügt, der mit seiner letzten von vier „Columbo“-Episoden ein Drehbuch Michael Sloans verfilmte. Die US-Erstausstrahlung erfolgte am 29. Februar 1976.

„Santini ist schwer zufriedenzustellen…“

Der Zauberkünstler „Der große Santini“ (Jack Cassidy, „Im Auftrag des Drachen“) ist eine gefeierte Attraktion im Club „Cabaret der Magie“, regelmäßig führt er dort zusammen mit seiner Tochter Della (Cynthia Sikes, „Frauen waren sein Hobby“) sein Programm auf. Vom Clubbesitzer Jesse Jerome (Nehemiah Persoff, „Playhouse 90“) wird er jedoch erpresst: Er muss ihm die Hälfte seiner Einnahmen abtreten, damit dieser Stillschweigen darüber bewahrt, dass Santini eigentlich Stefan Müller heißt und ein gesuchter NS-Kriegsverbrecher ist. Als Santini das Spiel nicht länger mitmachen will, will Jerome sein Wissen mit der Einwanderungsbehörde und dem Staate Israel teilen, was Santini zu verhindern weiß: Inmitten seiner Aufführung, während seines Entfesselungstricks in einem Wassertank, bricht er Jeromes Bürotür auf und erschießt ihn, ohne persönliche Spuren zu hinterlassen. Da es nicht nur für versierte Ermittlerinnen und Ermittler leicht zu erraten wäre, dass es sich bei der Wassertanknummer um einen Trick handelt und zudem Teile der Belegschaft wissen, dass sich Santini nicht wirklich im Wassertank aufhält, illusioniert er zudem seine Anwesenheit in seiner Garderobe. Inspektor Columbo (Peter Falk) indes kommt bald dahinter, dass wohl nur Santini in der Lage war, das Türschloss aufzubrechen, sucht aber fieberhaft nach Beweisen für dessen Schuld…

„Ich kann in diesem Mantel nicht denken!“

Santini ist der Typ Mensch, der jedes einzelne Wort wohlüberlegt und elaboriert formuliert, der Wert auf Stil, Höflichkeit und Umgangsformen legt, der hochgradig intelligent und kontrolliert agiert, nichts dem zufällig überlässt – und damit genau Columbos Kragenweite, ein typischer Antagonist der Krimireihe. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Laufzeit wird für seine Auftritte vor Publikum aufgewandt, während derer er ganz klassisch Kaninchen aus dem Hut zaubert und auf Houdinis Spuren wandelnd Entfesselungstricks aufführt. Die Ausführung des Mordplans findet in Echtzeit statt und ist inszenatorisch ein noch einmal etwas faszinierenderer Kunstgriff als manch andere „Columbo“-Exposition. Das Spielchen, das Santini mit einem der Kellner aus der wuseligen Großküche spielt, ist Teil des minutiösen Plans, wenn auch etwas sehr leicht zu durchschauen.

„Ich weiß nicht, wie Sie das machen!“ – „Das will ich auch hoffen!“

Columbo erscheint schließlich in einem irritierenden neuen Mantel am Tatort – ein Geschenk seiner Frau –, was der Startschuss eines Running Gags ist: Ständig lässt er den ungeliebten Mantel irgendwo liege, um ihn loszuwerden, doch Sergeant Wilson (Bob Dishy) treibt ihn immer wieder auf und schleppt ihn dem Inspektor hinterher. Jener bereits aus „Blumen des Bösen“ (S2E2) bekannte Wilson tendiert generell ein wenig gen Comic Relief, wenn er Columbo einen Verdächtigen nach dem anderen präsentiert, obwohl dieser den Täter längst im Visier hat. Wie üblich pendelt der Inspektor bei seinen Versuchen, den Täter erst um den Finger zu wickeln und schließlich zu überlisten, zwischen charmant und nassforsch. So schaut er sich Santinis nächste Show an – die kurioserweise mir nichts, dir nichts ungeachtet der Ermordung des Clubbetreibers stattfindet –, bekommt sogar den Ehrenplatz und applaudiert frenetisch, als sei er leicht zu beeindrucken und dementsprechend im Geiste eher schlicht, nur um den Maestro währenddessen mit einer Handschellenwette zu überfallen. Eine große Rolle spielt auch besagte Küche, die nicht sonderlich vertrauenserweckend anmutet, kann sich mit der richtigen Jacke übergeworfen doch anscheinend jeder dort tummeln…

„Ich würde eher einen Mord gestehen als meine Tricks zu verraten!“

Das macht alles großen Spaß und ist schwer unterhaltsam – sowohl wegen der (wenn auch zuweilen etwas altbacken wirkenden) Zaubershows (mit Cynthia Sikes als Hingucker) als auch aufgrund des klassischen Columbo-versus-Täter-Intelligenzduells und nicht zuletzt der Kamera, die die Szenen häufig von starken Zooms auf Details ausgehend eröffnet. Am Ende schlägt Columbo Santini mit dessen eigenen Waffen und entzaubert so im wahrsten Sinne des Wortes einen alten Schlächter. Allein: Man mag sich den Einzelgänger Santini gar nicht so recht als uniformierten Teil einer Masse vorstellen und hätte dementsprechend gern mehr von seiner Vergangenheit erfahren. Diese gänzlich zu verbergen versuchte bezeichnenderweise die deutsche Synchronisation, die aus Santini einen englischen Bankräuber machte. Erst die Neusynchronisation aus den 1990ern hielt sich ans Original. Daraus, dass Santini etwas gegen den Freund seiner Tochter hat, hätte man gern noch etwas mehr machen können, aber das ist kritteln auf hohem Niveau. Cassidy mimte übrigens insgesamt dreimal den Täter innerhalb der „Columbo“-Reihe, bevor er leider bei einem Wohnungsbrand verstarb.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Fr 19. Nov 2021, 11:54
von buxtebrawler
Bild
The Dark Knight Rises

„Du willst mich mit ‘ner Juwelendiebin verkuppeln?“ – „Ich würde Sie mit einem Schimpansen verkuppeln, wenn ich Sie dadurch zurück ins Leben bekäme.“

Mit „The Dark Knight Rises” schloss der britische Regisseur Christopher Nolan nach „Batman Begins“ (2005) und „The Dark Knight“ (2008) im Jahre 2012 seine Batman-Trilogie ab. Wie bereits für „The Dark Knight“ verfasste Nolan das Drehbuch zusammen mit seinem Bruder Jonathan Nolan. Dieses basiert lose auf der „Knightfall“-Comicvorlage.

„Sie leben nicht. Sie warten darauf, dass sich alles wieder zum Schlechten wendet.‘“

Vor acht Jahren hat Batman (souverän und sportlich: Christian Bale, „American Psycho“) die Schuld am Tode Harvey „Twoface“ Dents auf sich genommen und sich daraufhin zurückgezogen – sowohl in seiner Rolle als nun von der Polizei gesuchter dunkler Verbrechensjäger Batman als auch in seiner wahren Identität als vermögender Geschäftsmann Bruce Wayne. Dass in der Öffentlichkeit seither ein verzerrtes Bild Dents und dessen Verbrechen vorherrscht, nimmt er billigend dafür in Kauf, dass in Gotham City relative Ruhe herrscht. Dank einer rigoroseren Justiz können Verbrecher leichter hinter Schloss und Riegel gebracht werden, dafür wurden jedoch die Rechte aller Bürgerinnen und Bürger eingeschränkt. Dass es sich dabei lediglich um die Ruhe vor dem Sturm handelt, muss Gotham schmerzlich erfahren, als Bane (endzeitig: Tom Hardy, „Inception“), ein brutaler Terrorist und ehemaliger Angehörender der „Gesellschaft der Schatten“ um Ra‘s al Ghul (mystisch: Liam Neeson, „Darkman“), nach der Macht über die Stadt greift und sie mittels einer atomaren Explosion zu vernichten droht. In der Stadt herrscht daraufhin der Ausnahmezustand. Inmitten dieser Anomie tut sich Batman mit Juwelendiebin Selina „Catwoman“ Kyle (akrobatisch und sexy: Anne Hathaway, „Alice im Wunderland“) zusammen, um den Kampf gegen Bane und dessen Bande aufzunehmen, während Commissioner Gordon (knurrig: Gary Oldman, „Sid & Nancy“) und Detective Blake (jugendlich: Joseph Gordon-Levitt, „Halloween H20“) auf den Straßen Gothams die Ordnung halbwegs aufrecht zu erhalten versuchen. Doch das Unterfangen scheint schier aussichtslos, Batmans und Gothams Schicksal scheint besiegelt…

„Das hier ist eine Börse! Hier gibt's kein Geld, das sie stehlen können!“ – „Möglich… Weshalb seid ihr dann alle hier?“

Ein bisschen verrückt ist es schon: Während mir Nolans Filme häufig zu formal, kalt und mathematisch sind und mich (Super-)Helden-Comicverfilmungen i.d.R. eher kaltlassen, trifft beides nicht auf Nolans Batman-Trilogie zu, an der ich tatsächlich Gefallen gefunden habe. Im großen Finale mit seiner Nettolaufzeit von zweieinhalb Stunden wird eine ganze Zwölf-Millionen-Einwohner-Metropole als Geisel genommen und fordert diese Form megalomanischen Terrorismus natürlich seine Action-Spektakel und seinen Bombast, doch finden auch die leiseren Töne Berücksichtigung und Gehör: Alfred (erhaben: Michael Caine, „Die Muppets-Weihnachtsgeschichte“) zweifelt an Batman, Batman zweifelt an sich selbst, kämpft mit Schuldgefühlen und steckt in einem Dilemma. Mit Blake wird eine interessante Mischung aus engagiertem, integrem Detective und Batman-Sidekick Robin eingeführt, der gleichzeitig als eine Art Wachablösung Jim Gordons fungiert. Mit Talia al Ghul (Marion Cotillard, „Big Fish“) gibt sich eine der faszinierendsten weiblichen Figuren des Batman-Comic-Universums ein Stelldichein, und nicht zuletzt dürfte manch Kind im Manne angesichts Batmans modernistischen Flugautos frohlocken. CSU-Politikerin Dorothee Bär war davon gar so begeistert, dass sie seither den Bau deutscher Flugtaxis vorantreibt.

„Wir werden Gotham vernichten!“

Stilistisch vermengt Nolan erwartungsgemäß Big-Budget-Neo-noir mit Action und der Realität etwas entrückter Comic-Fantasy, während er inhaltlich neben bereits genannten persönlichen Konflikten Kritik an staatlicher Repression im Allgemeinen und an Jim Gordon, der hier an den New Yorker Law-&-Order-Bürgermeister und Trump-Mafioso Rudy Giuliani erinnert, im Speziellen übt und die Polizei angenehm ambivalent darstellt. Weitere Kritik wird laut an obszönem Reichtum im Privatbesitz selbstgefälliger Snobs und einem Finanzsystem, das diese Entwicklungen und daraus resultierende tiefgreifende Krisen zulässt sowie an falschen Propheten in Form reaktionärer Demagogen und skrupelloser Tyrannen, die sich an soziale Protestbewegungen wie Occupy und ähnliche hängen oder an die Spitze revolutionärer Umwälzungen setzen, um sie für ihre persönlichen Zwecke zu instrumentalisieren. Dass Bane dies gelingt, ist kein Abgesang auf organisierten Protest und Rebellion, sondern Teil der Neo-noir- und Batman-typischen, düsteren, tendenziell desillusorischen Weltsicht. Ferner geht es um friedliche Nutzung technischen Fortschritts und die Gefahr, die von ihm ausgeht, wenn er in die falschen Hände gerät – ein Dauerbrennerthema inmitten der Reflektion im Erscheinungsjahr und bis heute sehr real anmutender Ereignisse. Den Nolans gelang es, sich an der Realität der 2000er-Jahre zu orientieren, diese aber auf eine Weise zu verarbeiten, dass die erzählte Geschichte dennoch weitestgehend zeitlos bleibt.

„Bane hat ihre Eier im Schraubstock!“

Mit Bane beherrscht ein Antagonist diesen Film, der einen ganz anderen Typen als Scarecrow oder den Joker verkörpert. Aufgrund seiner Maskierung ist ihm kein exaltiertes Minenspiel wie dem Joker möglich, zudem hat seine Boshaftigkeit keinen psychopathologischen Hintergrund. Insofern erscheint er wesentlich bodenständiger, jedoch auch unbehauener, von beeindruckender physischer Präsenz, durchtrainiert, kreuzgefährlich und unbeirrbar seine Pläne verfolgend – wie eine gut geölte Kampfmaschine. Er will nicht weniger als die Endzeit heraufbeschwören und nimmt den entsprechenden Look bereits vorweg. Teile seiner Hintergrundgeschichte werden nach und nach in Rückblenden erzählt. Dass meine Assoziation aus meiner Kindheit, die „Unterwelt“ halte sich unter der Erdoberfläche auf, hier tatsächlich zutrifft, wärmt mein Herz. Etwas Werbung für Freeclimbing hat sich eingeschlichen, doch die spektakulären Action-Sequenzen sind wohldosiert, erkennbare CGI die Ausnahme und auch „coole“ Einzeiler haben es glücklicherweise nur wenige in den Film geschafft. Das Finale hält eine überraschende Wendung parat und gegen Ende treibt ein unerbittlicher zwölfminütiger Countdown die Spannung in die Höhe, was in einen pathetisches Schluss mündet, in dem Gordon aus Charles Dickens‘ „Eine Geschichte aus zwei Städten“ zitiert.

Das ist alles großes Kino, das sich größtenteils auf Geschmacksfragen herunterbrechen lässt, aber in jedem Falle beeindruckt. Jedoch: Entweder Regisseur Nolan oder der Schnitt schienen mit diesem Epos überfordert. Einige entscheidende Momente sind unterrepräsentiert, gehen im Spektakel unter oder werden schlicht übergangen, was den Erzählfluss und die Nachvollziehbarkeit stört. Und wer genau ist denn nun Bane, was ist seine Geschichte? Doch sicherlich mehr als schlicht Talias Liebhaber, geschasst und misshandelt von deren Vater Ra's al Ghul? Die Rückblenden sind in dieser Hinsicht nicht sonderlich aufschlussreich. Hier wurde möglicherweise vergessen, dass die irren Hintergrundgeschichten der Schurken einen entscheidenden Faktor der vom Batman-Universum ausgehenden Faszination ausmachen. Und vielleicht fühlt sich manche Frau, wenn sie sich über die Oberflächlichkeit und Eindimensionalität manch weiblicher Figur in der Populärkultur beschwert, so wie ich gerade in Bezug auf Bane…

Unabhängig vom damaligen Hype um diesen Film, der eine überzogene Erwartungshaltung provozierte, die – nicht zuletzt aufgrund des sehr starken Trilogie-Mittelteils „The Dark Knight“ – geradezu enttäuscht werden musste, ist „The Dark Knight Rises“ ein über weite Strecken gut bis sehr gut gelungener Batman-Film, mit dem man aber wohl etwas zu viel wollte und darüber den einen oder anderen wichtigen Parameter leider etwas stiefmütterlich behandelte. Für 7,5 von 10 Atombomben langt’s nach meiner Erstsichtung allemal.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Fr 19. Nov 2021, 17:32
von buxtebrawler
Bild
Die Stunde des Wolfs

„Ungefähr in einer Stunde wird es hell, dann kann ich endlich schlafen!“

Das Horrordrama „Die Stunde des Wolfs“ aus dem Jahre 1968 bildet den Auftakt der Fårö-Trilogie des schwedischen Autorenfilmers Ingmar Bergman („Die Jungfrauenquelle“). All diesen Filmen ist gemein, dass sie auf jenem schwedischen Eiland gedreht wurden, wenngleich die Handlung in diesem Falle auf deutschem Hoheitsgebiet angesiedelt wurde.

„Die Alten nennen sie die Stunde des Wolfes. In dieser Stunde sterben die meisten... und die meisten Kinder werden geboren.“

Der bildende Künstler Johan Borg (Max von Sydow, „Wilde Erdbeeren“) befindet sich inmitten einer kreativen Flaute, die er zu überwinden sucht, indem er sich mit seiner Frau Alma (Liv Ullmann, „Persona“) auf der abgeschiedenen ostfriesischen Insel Baltrum den rauen Nordseewind um die Nase wehen lässt. Doch Nordsee ist Mordsee und Johan verschwindet eines Tages spurlos. Alma fand bereits zuvor sein Tagebuch und las darin das Psychogramm eines Mannes, der von Erinnerungen an seine ehemalige Geliebte Veronica Vogler (Ingrid Thulin, „Das Schweigen“), Wahnvorstellungen und Halluzination geplagt wurde und mehr und mehr den Verstand verlor. Schon früh wurde seine sich anbahnende psychische Erkrankung einem Jungen (Mikael Rundquist) zum Verhängnis, den er aus Furcht erschlug und ins Meer warf – sofern sich das nicht auch bereits lediglich in seiner Fantasie abspielte. Oder sind die Monster, die ihn verfolgten, echt und eine dunkle Macht war hinter ihm her?

Unter Bergmans Regie sieht die Verfilmung dieser eigentlich vielversprechend klingenden Prämisse dann in etwa wie folgt aus (Achtung, kompletter Spoiler): Der Schwarzweißfilm eröffnet mit Texttafeln, die von Johans Verschwinden berichten, um anschließend formal als eine Mockumentary zu beginnen: Ein (für die Zuschauerinnen und Zuschauer nicht sichtbares) Kamerateam beginnt ein „Interview“ mit Alma, Regieanweisungen sind auf der Tonspur zu hören. Ihre Antworten werden jedoch nach einem radikalen Stilbruch in Form visualisierter Rückblenden im klassischen Spielfilmgewand aus ihrer Perspektive erzählt. In ihnen weist eine alte Frau Alma auf Johans Tagebuch hin, das Alma daraufhin findet und darin zu lesen beginnt. Daraufhin etabliert Bergman eine weitere Zeitebene, sprich: Rückblenden in der Rückblende, nun aus Johans Perspektive. Dieser trifft Barons von Merkens (Erland Josephson, „Das Gesicht“), den Besitzer der Insel, sowie eine junge Frau, die ihm einen blauen Fleck auf ihrer nackten Brust zeigt und ihn zu kennen scheint. Mit ihr scheint er eine Affäre zu haben. Ferner begegnet er Heerbrand (Ulf Johansson, „Das siebente Siegel“), der ihn vollquatscht und offenbar mit seinem Werk vertraut ist. Ihn schlägt Johan nieder.

Am Esstisch geht Alma gemeinsam mit Johan den Finanzhaushalt durch. Sie Besuchen eine Feier, auf der sie sich sichtlich unwohl fühlen, sowie eine Opernaufführung. Veronica Vogler, mit der er fünf Jahre lang eine Affäre hatte, plaudert auf die beiden ein. Alma fürchtet, dass man sie und Johan auseinanderbringen möchte und gesteht ihm verzweifelt, dass sie sein Tagebuch gelesen hat. Nach 45 Minuten platziert Bergman unvermittelt eine erneute Einblendung des Filmtitels. Besten Dank – nicht auszudenken, der Film hätte eine gewisse Kohärenz entwickelt und so etwas wie Stimmung oder Atmosphäre entfalten können… In der zweiten Filmhälfte erzählt Johan Alma von Kindheitsängsten, -trauma und Misshandlung und gesteht, was am Tage eines vermeintlichen Schlangenbisses wirklich geschehen ist. Zeit für eine dritte Zeitebene, die Rückblende in der Rückblende in der Rückblende! Es war Sommer, Johan unternahm einen Angelausflug und erschlug einen Jungen, weil er sich vor ihm fürchtete. Diese Ebene geht mit einem weiteren Stilwechsel einher: Sie hat keinen szenenimmanenten Ton, dafür erklingt irre dramatische Orchestermusik vom Soundtrack.

Johan wird nun auch seiner Frau gegenüber unwirsch, scheucht sie davon und schießt sogar nach ihr. Eine seltsame Frau bittet ihn, ihre Füße zu liebkosen. Nun wird’s grafisch gruselig: Voglers Mann ist eifersüchtig und geht im wahrsten Sinne des Wortes die Wände hoch. Jemandes Gesicht entpuppt sich als Maske, die er sich gruselig vom Gesicht zieht. Das sind starke Einzelszenen, die auch in „herkömmlichen“ Horrorfilmen eine gute Figur machen würden. Jemand kleidet Johan für ein neues Liebesabenteuer mit Veronica ein, woraufhin er sie wie eine Leiche nackt aufgebahrt vorfindet. Er streichelt sie, sie lebt und lacht sich kaputt, schmust zugleich mit ihm. Andere schauen zu und lachen ebenfalls. Dabei ist die Szene alles andere als lustig – Bergman zeigt durchaus eindrucksvoll, wie furchterregend Gelächter sein kann. Der Film ist kurz davor, in die Bahn zu finden, da zieht Bergman die Notbremse: Während Johan philosophiert, stellt Bergman den Ton auf stumm und zeigt einen Auszug aus der dritten Rückblendenebene, den Totschlag des Jungen, erneut.

Schließlich endet die ausgedehnte Rückblende, Alma befindet sich wieder in der Interview-Situation. Eine weitere Rückblende zeigt, wie sie Johan irgendwo im Freien herumliegend fand und, als eine Art Finale oder Pointe, den grausigen Gestalten, die ihren Mann verfolgten, ebenfalls begegnet. Dies wirft die Frage auf, ob es sich tatsächlich lediglich um Wahnvorstellungen Johans handelte oder diese Figuren und damit der Horror real sind – bzw. ob mittlerweile auch Alma derart durch den Nordseewind ist, dass nun auch sie zu halluzinieren beginnt. Diese Frage stellt Alma sogar ganz konkret in die Kamera: „Ist es nicht so, dass eine Frau, die lange mit einem Mann zusammenlebt, im Laufe der Jahre diesem Mann ähnlich wird? Wenn sie ihn liebt, beginnt sie, zu denken wie ihr Mann, zu sehen wie er. Es heißt, dass sich dadurch ein Mensch verändert.“

„Die Stunde des Wolfs“ hätte eine Art schwedisches Autoren-„Shining“ werden bzw. jenem King-Werk und dessen Verfilmungen vorweggreifen können und steckt mit seinen E.T.A.-Hoffmann-Zitaten zumindest mit einem Bein knietief in der deutschen Romantik. Doch zu ohnehin spröden Schwarzweißbildern gesellen sich regelrecht abweisende Brüche und eine zähe, sperrige, kaum Dramaturgie zu nennende Narration, die man sich „erarbeiten“ muss. Dadurch wirkt der Film, als habe Bergman ihn absichtlich zerstört und damit entweder sich selbst oder sein Publikum strafen wollen – für was auch immer. Somit ist „Die Stunde des Wolfs“ ein alptraumhaft-surreales Horror-Psychodrama, das gewissermaßen die Form seiner Inhalte übernimmt – und mir trotz der beschrieben, im positiven Sinne verstörenden Einzelszenen zu experimentell, unausgegoren und unentschlossen.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mi 24. Nov 2021, 13:47
von buxtebrawler
Tatort: Abendstern

„Mann, seid ihr wieder präzise…“

Der neunte Einsatz des von 1974 bis 1980 innerhalb der öffentlich-rechtlichen „Tatort“-Krimireihe in Essen und um Essen herum ermittelnden Kommissarduos Heinz Haferkamp (Hans-Jörg Felmy) und Willy Kreutzer (Willy Semmelrogge) entstand nach einem Drehbuch Herbert Lichtenfelds unter der Regie Wolfgang Beckers, der insgesamt zehn Episoden beisteuerte, und wurde am 7. November 1976 erstausgestrahlt.

„Es gibt eben schlaue Polizisten und nicht ganz so schlaue Polizisten!“

Die verheiratete Kellnerin Isabel Raisch (Andrea Rau, „Spielball der Lust“) unterhält eine Affäre mit dem älteren Gerhard Helm (Günter Gräwert, „Das Wunder des Malachias“), der fürs Essener Bauamt tätig ist. Als Helm seine Geliebte von der Arbeit abholt und mit ihr ausfährt, werden sie von Isabels Mann Peter (Christian Kohlund, „Die Brücke von Zupanja“) verfolgt, der sie aber aus den Augen verliert. An einer Waldkreuzung geht Helm das Benzin aus, woraufhin er mit dem Kanister zur nächsten Tankstelle eilt. Als er zurückkommt, liegt Isabel, die im Auto gewartet hatte, schwerverletzt neben seinem Audi. Noch auf dem Weg ins Krankenhaus erliegt sie ihren Verletzungen. Damit seine Affäre nicht auffliegt, verscharrt Helm die Tote kurzerhand im Wald. Am nächsten Morgen entdecken Kinder eine Männerleiche an derselben Kreuzung, was die Kommissare Haferkamp und Kreutzer auf den Plan ruft. Kurze Zeit später wird auch Isabels Leiche gefunden. Hängen beide Todesfälle miteinander zusammen und wenn ja, wie? Und was ist das Motiv? Haferkamp und Kreutzer ermitteln in Isabels Umfeld und nehmen Peter Raisch unter Mordverdacht fest…

„Männer sind manchmal sehr dumm!“

Zunächst einmal irritiert, dass Isabel Raisch einen toten Fuchs oder so um ihren Hals spazieren trägt, was offenbar als vollkommen normal betrachtet wird. Zu noch ungläubigeren Reaktionen führt, dass der alte, dicke Typ, mit dem sie abschwirrt, nicht etwa – wie zunächst angenommen – ihren Vater darstellen soll, sondern ihren Liebhaber! Was die attraktive junge Frau ausgerechnet an ihm findet, bleibt bis zum Schluss unthematisiert. Dass Haferkamp sich bereits um kurz 6:00 Uhr morgens sein erstes Bierchen einverleibt, fällt da schon kaum noch ins Gewicht. Hauptverdächtiger ist sowohl fürs Publikum als auch für die Polizei zunächst Isabels Ehemann. Die bayrische Amtshilfe um den Münchner Kriminaloberinspektor Melchior Veigl (Gustl Bayrhammer) besorgt den damals obligatorischen Gastauftritt eines anderen „Tatort“-Ermittlers, wirkt aber eher erzwungen. Haferkamp und Kreutzer necken sich gern mal gegenseitig, die Dialoge zwischen Helm und seiner Ehefrau (Elfriede Irrall, „Hilfe, meine Braut klaut“) erinnern hingegen an „Szenen einer Ehe“ – da kriselt’s gewaltig. Jene Frau Helm „ermittelt“ dann auch fast besser als die Polizei, bis schließlich ihr Mann in den Kreis der dringend Tatverdächtigen rückt. Neben den anfänglichen Irritationen steht nun als große Frage im Raum, weshalb es zwei Tote gibt.

„Eine einzige Bitte um Verzeihung…“

Die reichlich unvorhersehbare Auflösung der überkonstruierten, aber unterhaltsamen und nie zu langatmig werdenden Handlung geht einher mit viel klassischer Ermittlungsarbeit, an deren Ende eine psychologisch interessante Auflösung steht. Der Ermittlungserfolg steht in Zusammenhang mit Tonbandauswertungen, einem „kleinen Lauschangriff“ gewissermaßen. Neben einem schweren Streicherthema führt ein wiederkehrendes Gitarrensolo aus Deep Purples „Fools“ musikalisch durch die Episode, in der die Opfer enttäuschend anonym bleiben, insbesondere Elfriede Irrall aber schauspielerisch glänzt. Eine interessante Personalie stellt Helm-Darsteller Günter Gräwert dar, der sich in erster Linie als Regisseur verdingte und mit Beiträgen zu Serien wie „Derrick“, „Der Alte“ und auch den „Tatort“ Krimierfahrung hinter der Kamera sammelte.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mi 24. Nov 2021, 15:50
von buxtebrawler
Tatort: Murot und das Prinzip Hoffnung

„Was kann einem schon passieren, wenn man sowieso nichts mehr hat?“

Nach zwei Münchner „Tatort“-Episoden verschlug es Regisseur Rainer Kaufmann im Herbst/Winter 2020 in seine Heimatstadt Frankfurt, wo er den zehnten Fall des LKA-Ermittlers Murot (Ulrich Tukur) nach einem Drehbuch Martin Rauhaus‘ drehte. Dieser wurde am 21. November 2021 erstausgestrahlt und bleibt der Tradition der Murot-„Tatorte“ treu, zu zitieren, koste es, was es wolle. Diesmal nahm man sich die Frankfurter Schule und, von ihr ausgehend, weitere bildungsbürgerliche Exkurse vor.

„Auf die Familie!“

In Frankfurt werden kurz nacheinander drei Menschen durch Genickschüsse gezielt ermordet. Zwei von ihnen wiesen einen Migrationshintergrund auf und der Dritte war ein Obdachloser, weshalb erste Überlegungen der Polizei in Richtung Rechtsextremismus tendieren. Da es sich beim Obdachlosen jedoch um den Philosophieprofessor Jochen Muthesius handelte, den Kommissar Felix Murot (Ulrich Tukur) noch aus seiner Studentenzeit kannte, klappert er zusammen mit Magda Wächter (Barbara Philipp) dessen Kinder Inga (Karoline Eichhorn, „Der Felsen“), Paul (Lars Eidinger, „25 km/h“) und Laura Muthesius (Friederike Ott, „Bella Germania“) ab, die allesamt kein gutes Verhältnis zu ihrem Vater hatten – der ihnen kaum einer war und ein Leben auf der Straße seiner Familie vorgezogen hatte. Auch Nachbarssohn Jürgen von Mierendorff (Christian Friedel, „Zuckersand“), einen bekennenden Neofaschisten, nimmt man genauer unter die Lupe. Praktischerweise kann Inga aufgrund ihres Berufs als Familientherapeutin mit einer Familienaufstellung der Polizei hilfreich zur Seite stehen. Was hat es mit dieser Familie und ihrem Umfeld auf sich, warum mussten drei Menschen sterben – und wer wird das nächste Opfer sein?

Wie vom Wahnsinn gepackt schreitet Murot auf die Kamera eines Reporterteams zu und bittet inmitten der Aufzeichnung die unbekannte Mörderin respektive den unbekannten Mörder darum, ihn als nächstes umzubringen – ein nicht ganz alltäglicher „Tatort“-Auftakt, auch nicht für einen Murot. Wie es dazu kam, vermittelt eine eine Woche zuvor einsetzende Rückblende, die mit der Vertreibung Obdachloser beginnt; wie der/die Täter(in) die Waffe präpariert, wird in kurzen Zwischenschnitten gezeigt, bevor der Mord an Muthesius in Point-of-View-Perspektive stattfindet. Kurz wird auf die erst als „Döner-“, dann als „NSU-Morde“ bekanntgewordene Mordserie des neonazistischen Thüringer Verfassungsschutzes referenziert, bevor der zweite Mord in Rückblendenzwischenschnitten erzählt zu werden scheint, was sich jedoch als Finte erweist.

Professorensohn Paul suchen Murot und Wächter während dessen Philosophie-Performance in einem Abendclub auf, wobei sie offenbar die einzigen Gäste sind. Laura arbeitet in einer Art sozialem Zentrum und Inga eben als Familientherapeutin. Man darf mutmaßen, dass ihr Beruf auch bei der Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte geholfen hat, denn sie und ihre Geschwister haben nicht nur ihren Vater an die Straße verloren, sondern auch ihre Mutter, die Selbstmord begangen hatte. Dies stellt sich ebenso heraus wie der Umstand, dass Murot kurz vor jedem Mord einen Hinweis durch den/die Täter(in) erhalten hat. Oder gibt es gar mehrere Täter(innen)? Diese äußerst rätselhafte Konstellation wird mit ihren Rückblenden bzw. Vorwegnahmen, POV-Perspektiven und Stilisierungen (wie visualisierten Familienaufstellungen) wenn nicht spannend, so zumindest neugierig machend erzählt, bis die Bezugnahmen auf die Frankfurter Schule Überhand nehmen und man mit immer eigenartigeren, entrückteren, zitatgespickten Dialogen und elitären Hochkulturverweisen zu nerven beginnt. Dass ich zusammenzucke, wenn zur Hauptsendezeit rassistisches und sexistisches pseudowissenschaftliches Gequatsche kolportiert wird und unwidersprochen bleibt, sagt wahrscheinlich in erster Linie etwas über meinen Zustand als Mitglied dieser Gesellschaft aus und kann den „Tatort“-Macherinnen und -Machern schwerlich angelastet werden.

Der hochgradig artifizielle Stil dieses „Tatorts“, der kaum einer seiner Figuren etwas Authentisches oder Menschliches angedeihen lässt, verhindert jedoch beinahe jede Anteilnahme seitens des Publikums. Nach 73 Minuten endet die ausgedehnte Analepse, es wird wieder an den Beginn angeknüpft. Kurz darauf sind der/die Täter(in(nen)) bekannt und brauchen nur noch überführt zu werden, was in einem grotesken Showdown endet. Bis dahin war alles sehr verkopft, doch der große Aha-Effekt bleibt aus: Das Motiv ist vollkommen nebensächlich, schnell vergessen und die philosophischen Exkurse führen zu nichts. Lars Eidinger darf einmal mehr eine durchgeknallte Type spielen, schafft es aufgrund des Drehbuchs aber nicht, seiner Rolle Profil zu verleihen. Der ganzen Geschichte fehlt so etwas wie ein Überbau, der ihn zu mehr machen würde als zu einer Arty-farty-Fingerübung im TV-Krimi-Sujet für selbstgefällige Philosophie-Nerds. Enttäuschend.