Seite 219 von 245

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 20. Dez 2022, 15:42
von buxtebrawler
Bild
Secret Santa

Driving home for Christmas

„Verfickte Weihnachten!“

„Secret Santa“ meint im englischen Sprachraum das, was man hierzulande Julklapp oder Wichteln nennt, und zwar explizit jene Variante, bei der die schenkende Person die beschenkte kennt, dies umgekehrt jedoch nicht zutrifft. „Secret Santa“ ist zugleich der Titel eines US-amerikanischen Low-Budget-Anti-Weihnachtsfilms aus dem Jahre 2018, bei dem Adam Marcus („Jason Goes to Hell – Die Endabrechnung“) die Regie führte.

„Wieso spielen wir nicht Secret Santa?“

Es ist Weihnachten und Familie Pope, die ganze Mischpoke samt Kind, Kegeln und Partner(inne)n, trifft sich beim weiblichen Familienoberhaupt Shari (Debra Sullivan, „Momentum“). Deren Ex-Mann und Vater ihrer vier erwachsenen Kinder taucht ebenfalls auf – ungeladen. Streit liegt in der Luft und entlädt sich beim gemeinsamen Truthahnmampf. Dass ein Secret Santa eine aggressionssteigernde Droge in den Punsch mischt, lässt die Lage endgültig eskalieren und es gibt Tote…

„Ist er tot?“

Bereits der Prolog zeigt eine in Zeitlupe wiedergegebene Prügelei, die jedoch erst vier Stunden später stattfinden wird – man greift also vor. In der Gegenwart wird man mit Familie Pope und deren Anhängseln vertraut gemacht, die sich auf dem Weg zu Shari befinden. Da fährt ein Stotterer mit einem Dummschwätzer (Curtis Fortier, „Trekkies 2“) im Auto, in einem anderen Kfz bekommt der Fahrer (Nathan Hedrick, „Sun Tzu – Die Kunst des Krieges“) von seiner Beifahrerin besinnlich einen geblasen. Im zu Bildern einer opulent weihnachtsbeleuchteten Stadt einsetzenden Vorspann werden einzelne Begriffe wie „Death“ und „Terror“ eingearbeitet. Ein anderes Pärchen (A Leslie Kies, „Die kleine Meerjungfrau – Freunde fürs Leben“ und Michael Rady, „Filmstar zu Weihnachten“) hat Sorge, zu spät zu kommen. An Rammstein gemahnende Musik löst urplötzlich die orchestralen Weihnachtslieder ab, eine einzelne Fahrerin flucht wie ein Rohrspatz. Das Zuspätsorge-Pärchen trifft bei Shari ein, die ihre Tochter mit zahlreichen Spitzen nervt. Tante Carol (Pat Destro, „Exit in Red“) ist bereits da, der Stotterer stößt hinzu, das Blowjob-Paar schiebt erst mal ‘ne Nummer. Die Schwester der Zu-spät-April gibt sich ebenfalls ein Stelldichein, der Bumsende ist Halbbruder Jackson. Dann steht auch schon der geschiedene Dad uneingeladen vor der Tür und der schwarze Lebensgefährte des Stotterers schleicht sich heimlich ein – die Familie weiß nicht einmal, dass ihr Stotterer schwul ist. Der Dummschwätzer heißt Carter und der Freund des Stotterers hat gleich ein ganzes Cateringteam mitgebracht.

„Jesus...“

Ich habe selten einen Film gesehen, der in seiner Exposition eine derartige Anzahl an Figuren einführt, angesichts derer es wahrlich schwerfällt, den Überblick zu bewahren, zumal stets munter drauflosgequatscht wird – in ausschließlich giftigen Dialogen. Ty macht seiner April einen Heiratsantrag, doch das war es auch schon mit der Romantik. Die Streitereien eskalieren, es wird gewalttätig und blutig. Alle hassen sich gegenseitig und die Parole lautet „Alle gegen alle“. Schnell gibt es den ersten Toten und immer wieder merkt jemand an, wie heiß es dort doch sei. Der Vater scheint über eine multiple Persönlichkeit zu verfügen und wird von nun an zusammen mit Jackson wie ein Slasher-Antagonist inszeniert, während die Übrigen sich in einer Art Belagerungszustand befinden. Auch draußen ist es angeblich zu heiß, denn die Handlung hat sich zumindest zum Teil in die verschneite Außenwelt verlagert, was am Kammerspielcharakter aber wenig ändert.

Wer das Gezeigte bisher für das durch ein wenig Übertreibung veranschaulichte Porträt einer dysfunktionalen Familie gehalten hat, bekommt neben den zahlreichen charakterlichen Schwächen nun jedoch den Punsch als mögliche Mitursache präsentiert – was den weiteren Verlauf indes mitnichten abschwächt, ganz im Gegenteil: Ty entpuppt sich als eine Art Heiratsschwindler, die Gewaltspirale dreht sich weiter, eine blutige Köpfung läutet immer übertriebenere Splatter- sowie fiese Make-up- und Ekeleffekte ein und die zwischenzeitliche Lagerbildung zerfällt. Gore-Effekte und ausgemachte Obszönitäten kommen hinzu, man zieht nun sämtliche Register des schlechten Geschmacks. Was genau es mit dem Punsch auf sich hat, wird nicht aufzuklären vergessen, ist aber eigentlich fast egal.

Der anfänglich sogar mit einer Anspielung auf „Die Reifeprüfung“ versehene Film stellt auf schwarzhumorige und äußerst geschmacklose Weise das Familienkonstrukt infrage bzw. spielt auf sarkastische und zynische Weise mit demselben, dass es für hartgesottene Genrefans und Familienweihnachtshasser(innen) wenn nicht die reinste, so doch eine große Freunde ist. Nicht jede Choreographie sieht realistisch aus, hier und da scheint auch mal etwas aus dem Computer zu stammen und das geringe Budget ist „Secret Santa“ durchaus anzusehen. Dafür gibt sich das Ensemble aber keine Blöße, beweist Mut zur Hässlichkeit, zum extrovertierten Spiel und zum Überschreiten von Geschmacksgrenzen – alles ganz wie an Weihnachten also. Umso passender, dass der Epilog bereits die nächste kaputte Familie einführt…

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mi 21. Dez 2022, 16:19
von buxtebrawler
Bild
Santa Clause 3 – Eine frostige Bescherung

„Schnappt euch eure Hämmerchen, die Schwiegereltern kommen!“

Mit „Santa Clause 2 – Eine noch schönere Bescherung!“ war es seinerzeit gelungen, der ersten „Santa Clause“-Familienweihnachtsfantasykomödie um US-Komiker und -Schauspieler Tim Allen („Hör mal, wer da hämmert“) eine tatsächlich noch etwas spaßigere Fortsetzung angedeihen zu lassen. Für die zweite Fortsetzung, „Santa Clause 3 – Eine frostige Bescherung“ aus dem Jahre 2006, kam man mit zwei statt fünf Drehbuchautoren (Ed Decter und John J. Strauss) aus, verpflichtete aber erneut US-Serienregisseur Michael Lembeck („Verrückt nach Dir“) als Regisseur. Die Kritiken fielen jedoch überwiegend negativ aus und der Film erhielt mehrere Nominierungen für die Goldene Himbeere, was verstehe wer will.

„Du nimmst Weihnachten ja sehr ernst...“

Scott Calvin (Tim Allen), mittlerweile seit geraumer Zeit der aktuelle Weihnachtsmann Santa Claus, hat in der Vorweihnachtszeit naturgemäß alle Hände voll zu tun, weshalb er sich nicht gebührend um seine hochschwangere Frau Carol (Elizabeth Mitchell, „Molly“) kümmern kann. Aus dieser Notsituation heraus lädt er die Schwiegereltern Sylvia (Ann-Margret, „Die Kunst zu lieben“) und Bud (Alan Arkin, „Little Miss Sunshine“) zum Wohle seiner Frau nach Hause ein, die jedoch nichts vom Weihnachtsgeheimnis und seiner Identität wissen dürfen. Gleichzeitig schießt eine andere Sagengestalt, Väterchen „Jack“ Frost (unter dickem Make-up: Martin Short, „Die Reise ins ich“), quer und will der Weihnachtsmann anstelle Santa Claus‘ werden. Als Scott sich von Lucy (Liliana Mumy, „What's Up, Dad?“), der Tochter seiner Ex-Frau Laura (Wendy Crewson, „Schatten der Wahrheit“) und deren neuen Manns Neil (Judge Reinhold, „Die unglaubliche Entführung der verrückten Mrs. Stone“), erweichen lässt, mit der ganzen Sippe den Nordpol zu besuchen, sieht sich Scott zwei großen Herausforderungen gegenüber: den Schwiegereltern zu suggerieren, sie befänden sich in einer kanadischen Spielzeugfabrik, und sich der Sabotageakte und Intrigen Jack Frosts zu erwehren. Letzteres misslingt…

„Eins ausgeliefert, noch 2,6 Milliarden offen.“

…und Scott findet sich in seinem alten, gänzlich unweihnachtlichen Leben wieder. Natürlich lässt er sich das nicht bieten und kämpft zusammen mit Lucy wacker gegen Jack Frost an. Die Handlung ist als ausgedehnte Rückblende gestaltet und zeigt Carols Erinnerungen, während sie an einer Schule unterrichtet. Witzig ist die Tagung der verschiedenen Sagengestalten wegen des aufbegehrenden Väterchen Frosts – eine Frechheit jedoch Frosts an den Kalten Krieg gemahnende Diskreditierung, immerhin bringt er in Russland den Kindern am Neujahrstag Geschenke, was dieser Film völlig ignoriert. Zu seiner Ehrenrettung empfehle ich den Genuss des Weihnachtsfilms „Die Hüter des Lichts“.

Hier aber ist er nun einmal jung und dandyhaft, will Jack genannt werden und erschleicht geheime Informationen, um gegen Scott intrigieren zu können. Zudem ist er eitel und darüber verärgert, dass ihn keine Sau kenne. Er sabotiert die Weihnachtsvorbereitungen, kann auch mal ein bisschen gruselig und macht aus dem Nordpol einen kommerziellen Vergnügungspark. Die mit diesen Szenen einhergehende Kapitalismuskritik bekommt angesichts des Umstands, dass es sich bei „Santa Clause 3“ um eine Disney-Produktion handelt, ein leichtes Geschmäckle…

Die Kulissen sind quietschbunt, die Rentiere haben Blähungen, einige Spezialeffekte finden sich ebenso wie Screwball-Dialoge für die ganze Familie. Aufgrund seines Stresses keimen in Carol und ihren Eltern Zweifel an seiner Eignung als Familienvater auf und man zerstreitet sich – die irdischsten Momente dieses Films, bis sich Scott nach Frosts zwischenzeitlichem Triumph auch noch komplett entweihnachtlicht in einer wenig erklecklichen Situation mit seiner Familie wiederfindet. Michael Lembeck und sein Team schaffen damit ein Kontrastprogramm, das veranschaulicht, weshalb die eine oder andere Weihnachtlichkeit allem Kitsch und Tand zum Trotze eigentlich doch ganz erstrebenswert ist.

Der weitere Verlauf ist von Scotts und Lucys Kampf ums Weihnachtsmann-Amt bestimmt, wofür auch Rückblenden zum ersten Teil 1 verwendet werden. Der Schluss fällt dann leider sehr kitschig aus, an dieser Stelle hätte man dem Film mehr Chuzpe und Irrwitz gewünscht. Der Epilog knüpft an den Prolog an und lässt einen schließlich mit widersprüchlichen Gefühlen zurück: Man hörte ziemlich coole Variationen von Weihnachtsliedern sowie Frost „Nordpol, Nordpol“ statt „New York, New York“ singen, man hatte süße Kinder und Elfen auf dem Schirm, sah ein spielfreudiges, quickfideles Ensemble, konnte über Dialogwitz lachen und sich an liebevoll gestalteten Details sattsehen sowie Zeuge werden, wie einer absurden Prämisse dann doch mit einem solchen Ernst begegnet wird, dass es gelingt, eine unterhaltsame, abendfüllend bei der Zuckerstange haltende Geschichte zu erzählen.

Und trotzdem fehlt dieser dritten Santa-Klausel etwas gegenüber den vorausgegangenen. Vielleicht ist sie mit ihrer Kritik nicht ganz ehrlich, weshalb sie ins Leere zielt. Vielleicht ist die Lösung am Ende zu einfach und der Antagonist als solcher eigentlich von vornherein ungeeignet, der entfachte Wettbewerb somit an den Haaren herbeigezogen. Vielleicht ist die Nordpol-Welt hier eine Spur zu bunt und niedlich, damit zu sehr jeglicher Glaubwürdigkeit entrückt, vielleicht spekuliert er zu sehr auf diese oberflächlichen Reize fürs jüngste Publikum und wirkt damit kühl durchkalkuliert. Davon abgesehen ist er jedoch beileibe kein totaler Reinfall, und von einer Werbeschau für Tim Allens konservative US-republikanische „Werte“ ist er ebenfalls weit entfernt.

Einen vierten Teil gibt es noch nicht, dafür ging „Santa Clause“ dieses Jahr bei Disney+ in Serie.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Do 22. Dez 2022, 14:59
von buxtebrawler
Bild
Arthur Weihnachtsmann

„Weihnachten ist nicht die Zeit für Gefühle!“

Die britischen Aardman Animation Studios standen lange für grandiose Stop-Motion-Filme wie die „Wallace & Gromit“-Reihe, versuchten sich mit „Flutsch und weg“ im Jahre 2006 aber erstmals auch am computeranimierten Zeichentrick. Im Jahre 2011 folgte der Animationsweihnachtsfilm „Arthur Weihnachtsmann“ in US-amerikanischer Koproduktion, mit dessen Regie Sarah Smith („Miss Behave“) betraut worden war.

„Ich bin doch nicht nur ein Dickwanst im Kostüm, oder?“

Wir schreiben den 25. November in England: Ein kleines Mädchen schickt dem Weihnachtsmann einen Brief, in dem es berechtigte Fragen stellt. Das Weihnachtspostamt in Person Arthurs, des jüngeren Sohns des Weihnachtsmanns Malcolm Claus, beantwortet diese gewissenhaft. Arthur ist ein Weihnachtsromantiker, dem trotz aller mittlerweile hochtechnisierten Geschenkemassenabfertigung das Individuum am Herzen liegt. Nachdem am 24. Dezember unter der Regie Steves, des älteren Weihnachtsmannsprosses, alles erledigt scheint, entdeckt ein Elf erschrocken, dass ein einziges Geschenk auszuliefern vergessen wurde: das Fahrrad für jenes kleine Mädchen! Während der gefühlskalte Technokrat Steve die „Operation Weihnachten“ aufgrund dieser minimalen Fehlerquote als vollen Erfolg erachtet, erträgt Arthur den Gedanken nicht, dass das Mädchen leer ausgeht. Kurzerhand versucht er zusammen mit seinem 136-jährien griesgrämigen, fortschrittsfeindlichen Großvater Santa und der „Verpackungselfe dritten Grades“ Briony, das Fahrrad noch auszuliefern. Seiner Flugangst zum Trotz wird Großvaters altes Equipment reaktiviert…

„Hol mir die IT-Leute her.“

Auf den Prolog mit dem briefschreibenden Mädchen folgt ein beeindruckender Weihnachtsmanneinsatz an Heiligabend im Staate Dänemark, der mit einem Feldelfen-Bataillon straff durchstrukturiert wie eine Militäroperation ausfällt und auch als solche inszeniert wird. Man ist nicht mehr mit einem Rentierschlitten, sondern mit einem hypermodernen Tarnkappen-Raumschiff und Millionen wieselflinker Elfen unterwegs, um allen Kindern eine Freude zu bereiten. Erwacht ein Kind während der nächtlichen Operation, sorgt das zwar für Aufregung und Gefahr, doch auch dafür hat man entsprechende Tricks parat. Was sich vielleicht technisch unterkühlt liest, bereitet in animierter, komödiantischer Form viel Freude, insbesondere denjenigen, die gern Antworten darauf erhalten, wie der Weihnachtsmann diese alljährliche logistische Herausforderung allen Naturgesetzen zum Trotz meistern soll. Mit dieser die Handlung mit Science-Fiction-Elementen versehenden Modernisierung wird nicht weniger als der Weihnachtsmannmythos am Leben erhalten.

„Viel zu viel zu tun...“

Passend zum durchorganisierten Einsatz werden Orts- und Zeitangaben eingeblendet, das Tempo ist extrem hoch. Einen Kontrast dazu bildet Arthur als sentimentaler Schlurfi, der in seiner Tollpatschigkeit auch schon mal Chaos in Steves Einsatzzentrale anrichtet. Sein Vater, der amtierende Weihnachtsmann, steht dem ganzen Betrieb zwar vor, übernimmt jedoch in erster Linie nur noch repräsentative Pflichten und käme ohne Technik und Elfen gar nicht mehr aus. In einem parallelen Handlungsstrang drängt Steve darauf, dass sein Vater langsam, aber sicher in den Ruhestand tritt, damit er dessen Nachfolger wird. Kompetenzgerangel und Postenneid in der Familie Claus! Arthurs Geschenkmission für die kleine Gwen, so der Name des Mädchens, verläuft erwartungsgemäß turbulent und gerät zur reinsten Odyssee, als man sich mehrmals verfliegt. Man landet an kuriosen Orten und wird zwischenzeitlich sogar für Außerirdische gehalten.

„Arthur Weihnachtsmann” geht mit vielen lustigen Details einher, während zugleich überaus irdische Industriegesellschaftsthemen verhandelt werden. Die Gegenüberstellung alter und neuer Technik zieht sich durch den Film, ohne dass er sich dabei auf eine Seite schlagen würde. Vielmehr scheint er für ein Miteinander aus Tradition und Moderne zu werben. Sogar Anspielungen auf geschichtliche Ereignisse werden untergebracht, wobei sich die Handlung nie dramaturgisch verzettelt und bei allem Tempo der Schnitt punktgenau sitzt.

Aber: Hier scheint Weihnachten über weite Strecken ein reines Konsumfest zu sein, die Geschenke stehen eindeutig im Mittelpunkt. Andererseits wird die Relevanz jedes einzelnen Individuums betont und finden sich auch ein paar Sentimentalitäten wieder. Der Film folgt aber auch ein gutes Stück weit US-amerikanischer Actionfilm-Logik, nach der Kollateralschäden keinerlei Rolle spielen: Der Ufo-Sichter ist vermutlich traumatisiert, ein anderer Mitmensch ist sein Boot los, aber Hauptsache, dieses verflixte eine Kind bekommt sein Geschenk. Zugestehen muss man „Arthur Weihnachtsmann“ indes, dass es weniger darum geht, wie toll es ist, Geschenke zu erhalten, sondern darum, wie viel Freude Schenken bereitet.

Das Finale wartet mit einer hübschen Überraschung auf und ein Epilog erklärt in Texttafelform, was aus allen Beteiligten geworden ist. Der Film findet einen sehr versöhnlichen Abschluss, was die angesprochenen Kritikpunkte relativiert. Doch, „Arthur Weihnachtsmann“ ist ein großer Familienspaß, der technisch in Form wie in Inhalt auf der Höhe der Zeit ist und kitschige Momente weitestgehend zu vermeiden versteht. Die 3D-Version, als die er in den Kinos lief, habe ich übrigens nie gesehen – gut möglich, dass diese sogar noch etwas mehr Spaß macht.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Fr 23. Dez 2022, 15:48
von buxtebrawler
Bild
Die Hüter des Lichts

„Jack Frost ist 'ne ganze Menge, aber er ist bestimmt kein Hüter!“

„Die Hüter des Lichts“ ist ein Film aus der US-amerikanischen DreamWorks-Animationsfilmschmiede, bei dem Peter Ramsey nach „Monsters vs Aliens: Mutanten-Kürbisse aus dem Weltall“ sein Langfilm-Regiedebüt gab. „Die Hüter des Lichts“ basiert auf der Buchreihe „The Guardians of Childhood“ aus der Feder William Joyces, wurde im Jahre 2012 in einer 3D-Fassung in den Kinos aufgeführt – und dürfte der einzige Film sein, in dem sowohl der Weihnachtsmann als auch der Osterhase, Jack Frost, der Sandmann, die Zahnfee und der schwarze Mann zusammen auftauchen.

„Die Angst wird niemals vergehen...“

Pitch alias „der schwarze Mann“ hat ein Problem: Kaum ein Kind glaubt noch an ihn. Damit sich das zu seinen Gunsten ändert, plant er, die Kleinen mit finsteren Alpträumen zu plagen. Das ruft die aus vier Sagengestalten mit besserem Leumund bei den Kids bestehenden Hüter des Lichts auf den Plan: den „North“ genannten Weihnachtsmann, den Osterhasen Bunny, die Zahnfee Tooth und den Sandmann Sandy. Dessen an die Kinder gesandten Träume sabotiert Pitch und verwandelt sie in Albdruck verursachenden Horror – wodurch die Gefahr besteht, dass sich die Kinder auch vom Glauben an den Sandmann abwenden. Zu ihrer Überraschung erhalten die vier Hüter Unterstützung von Eis- und Schneemacher Jack Frost, den eigentlich schon lange kein Kind mehr auf dem Schirm hat. Obwohl der Mann im Mond höchstpersönlich Jack zum neuen Hüter nominiert, was eine Riesenchance für ihn bedeutet, hadert Jack mit seiner großen, verantwortungsvollen Aufgabe. Doch es gilt, die Kräfte zu bündeln und gegen Pitch und dessen sinistre Pläne entschlossen vorzugehen…

Protagonist Jack, der im Mittelpunkt dieses Films steht, gehört der Prolog, in dem er aus dem Off im Präteritum seine Erinnerungen Revue passieren lässt, indem er von einer seltsamen Mondbegegnung berichtet, die ihn vor 300 Jahren zu Jack Frost machte, während er sich an die Zeit davor so gut wie gar nicht mehr erinnern kann. Die knabenhafte Gestalt sieht dabei überhaupt nicht aus wie „Väterchen Frost“, bereits hier bricht man mit Erwartungshaltungen. 300 Jahre später, genauer: im Anschluss an den Prolog geht’s an Nordpol, wo ein tätowierter Weihnachtsmann mit russischem Akzent zusammen mit seinen Yetis (statt Elfen oder Wichteln) residiert und einen kräftig gepimpten Schlitten für seine Ausflüge nutzt. Osterhase Bunny ist kein niedlicher Hoppel, sondern ein mannsgroßer Kampfsportler, der um keinen frechen Spruch verlegen ist und über die Kraft verfügt, Teleportationslöcher zu erzeugen, durch die er überall hinkommt. Seine zu Zahnschwund passend zuckersüße Kollegin Tooth arbeitet mit einer Vielzahl ebenso plombenziehender Feen zusammen, die für sie die ausgefallenen Milchzähne einsammeln, die anschließend in einem Riesenarchiv gehortet werden, weil sie als Erinnerungsspeicher dienen. Sandy ist leider stumm, jedoch weltbester Sandskulpturenbauer und Sandflugzeugpilot. Und Jack steht auf Eis und Schnee und hat mehr Flausen im Kopf als alles andere. Modernisierung klassischer Kinderfantasiefiguren: Check!

Jedenfalls versammelt North all diese Gestalten, weil der schwarze Pitch dagewesen sei, während die Kinder in der Stadt sich arglos dem Wintervergnügen hingeben, woraufhin Jack Frost etwas verstimmt reagiert – schließlich haben die Kinder ihren Spaß, ohne ihn mit ihm in Verbindung zu bringen. Zu allem Überfluss ist er für Menschen auch noch unsichtbar! Nach der Intervention des Mondmanns ist er der fünfte Hüter. All das erinnert stark an eine Versammlung alter, vorchristlicher Götter, die sich vom Glauben der Menschen speisen. Auf einen rasant inszenierten Weihnachtsschlittenflug zu Pitch folgt eine kurze Rückblende ins Mittelalter, als der Aberglaube an den schwarzen Mann abgesetzt wurde. „Die Hüter des Lichts“ meint es ernst mit seiner Mythologie und feilt sorgfältig an ihr, um weniger religiösen, eher spirituellen Kinderglauben mit Hoffnung gleichzusetzen.

Actionlastige Kämpfe erinnern an zeitgenössisches Superhelden-Bombastkino und fallen nicht immer übersichtlich aus, dürften junge Actionfans aber begeistern. Mit einem Menschenkind im Osterland wird’s hingegen noch einmal sehr niedlich und macht „Die Hüter des Lichts“ eher zum Oster- denn zum Weihnachtsfilm. Auch Jacks verborgene Erinnerungen spielen eine Rolle und werden von Bedeutung, was wiederum für melancholische Momente sorgt. Das Finale hingegen fällt mitunter – insbesondere für einen FSK-6-Film – reichlich gruselig aus, worauf ein etwas gefälliges, sentimentales Ende folgt.

Mit seinem realistischeren, weniger karikierenden Animationsstil weist „Die Hüter des Lichts“ generell einen ernsteren Grundton als vergleichbare Animationsfilme auf. Dass der Weihnachtsmann russischer Herkunft ist (in Form einer Matroschka hält sogar etwas russische Folklore Einzug), während dort doch eigentlich Väterchen „Jack“ Frost die Geschenke bringt, könnte ein Zugeständnis an die hier anders interpretierte Frost-Figur, möglicherweise gar ein Versuch kultureller Annäherung in Vorkriegszeiten gewesen sein. Darum wiederum dürften sich die zuschauenden Kinder kaum scheren, sondern sich vorzugsweise zusammen mit Erwachsenen an einem sehr gelungenen Animationsfilm erfreuen, der sich und sein Publikum ernstnimmt, trotz kindgerechter Ausführung in Sachen Action und Grusel ordentlich auffährt und anstelle von Kitsch eine spirituelle Botschaft über die Bedeutung kindlichen Glaubens an das Fantastische und Wunderbare sowie die Schädlichkeit düsterer Gedanken und Angst transportiert. Den Nachwuchs vor Letztgenannten zu bewahren, obliegt in Ermangelung tatsächlich existenter, sagenhafter Hüter des Lichts uns Erwachsenen, an die sich der Film also ebenso richtet…

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Fr 23. Dez 2022, 16:55
von buxtebrawler
Bild
Ein Wunsch geht in Erfüllung

„Sieht aus, als wären wir wieder mal allein...“

Bei „Ein Wunsch geht in Erfüllung“ handelt es sich um einen fürs US-amerikanische Fernsehen von Disney produzierten Weihnachts-Fantasy-Märchenfilm aus dem Jahre 1990, der auf Barbara Dillons Roman „A Mom By Magic“ basiert und von George Miller inszeniert wurde – nein, nicht etwa dem „Mad Max“-Regisseur, sondern seinem britischen Namensvetter, der mir bislang nur durch „Les Patterson rettet die Welt“ bekannt gewesen ist.

Jessica (Juliet Sorci, „Die Besucher“) ist eine kleine Halbwaise, deren Mutter starb, als sie gerade einmal drei Jahre jung war. Sie hat’s nicht leicht in der Schule und auch ihr alleinerziehender Vater (Doug Sheehan, „Die Traumfrau“) leidet noch unter dem Tod seiner Frau. Als Jessie in einem Kaufhaus auf eine Zauberin trifft, die alles über sie zu wissen scheint, erfüllt ihr diese ihren sehnlichsten Wunsch: Sie schickt Jessie eine neue Mama, indem sie eine Schaufensterpuppe dauerhaft zum Leben erweckt. Amy (Olivia Newton-John, „Grease“), wie die lebendige Puppe heißt, ist fortan für Jessie da, was jedoch nicht ganz ohne Reibereien verläuft…

Den ‘80er-Pop-typischen Titelsong singt Olivia Newtown-John gleich selbst, die Handlung beginnt im Kaufhaus. Dort wird Jessica von Mitschülerinnen gehänselt, weiß sich aber schlagkräftig zu wehren. Ebenda findet die schicksalhafte Begegnung mit der Zauberin statt. Zugleich seltsam und bedrückend mutet es an, wenn Vater und Tochter sich nach Feierabend gegenseitig fragen, wie der Tag gewesen sei, beide mit schlecht bis mittelmäßig antworten, man sich jedoch nicht gegenseitig nach den Gründen fragt. Dies suggeriert, dass diese als bekannt vorausgesetzt werden können, da sie schlicht Alltag für die beiden sind.

In der Nacht vor Amys Ankunft tobt ein Unwetter wie in einem Horrorfilm, das als eine Art Symbol für das Wirken übersinnlicher Mächte herhalten muss. Der Film begibt sich nun bauchnabeltief ins Fahrwasser der ‘80er-Erfolgskomödie „Mannequin“ um eine zum Leben erwachte Schaufensterpuppe als Love Interest und weiß mit netten subtilen Gags zu gefallen, die darauf anspielen, dass es sich bei Amy eigentlich um eine Puppe handelt. Zudem lernen wir, dass nachts alle Schaufensterpuppen für zwei Stunden zum Leben erwachen, was Zugeständnissen an kindliche Fantastereien gleichkommt. Amy stellt den anderen Puppen die kleine Jessie vor; gemeinsam mit einer weiteren Puppe, die stets im Auto sitzt, unternimmt man eine Spritztour.

Zuhause indes kriselt es weiterhin, denn der Weihnachtsbaum fängt Feuer, wodurch das Wohnzimmer abbrennt. Amy kritisiert Jessies Vater für seinen generellen Umgang mit seiner Tochter, woraufhin er jedoch beginnt, sich wieder mehr für ihr Leben zu interessieren. Ob Schaufensterpuppe oder nicht: Eine vernünftige Frau im Haushalt haut auch mal auf den Tisch und bewirkt Veränderungen zum Positiven. Ihre Versuche, Jessie mit deren heimlichem Schwarm Chip (Elliot Moss Greenbaum) zu verkuppeln, sind jedoch grenzüberschreitend, was folgerichtig zum Disput führt. Es ist also beileibe nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen nach Amys Menschwerdung, und zu allem Überfluss ahnt der zynische Kaufhauschef etwas und legt sich auf die Lauer – doch die Puppen sind schlauer (und das reimt sich).

Ein Drama um eine Weihnachtsmann-Schaufensterpuppe etabliert einen Nebenhandlungsstrang, währenddessen die Handlung etwas auf der Stelle tritt. Im Zuge dieses nächtlichen Ausflugs lernt man andere Puppen aus den Hausdekos kennen, was nicht sonderlich spannend ist. Die wieder heile Weihnachtsmannpuppe wird in die Schule gelotst, wo sie Jessie während der Aufführung einer Weihnachtsgeschichte bei einem Texthänger beisteht – ein weiterer Freund für Jessie also, der ihr aus einer Notsituation hilft. Welches kleine Mädchen träumt nicht davon? Nach Weihnachten soll Amy wieder verschwinden, worüber Jessie so traurig ist, dass sie die Zauberin noch einmal aufsucht. Und natürlich kommen schließlich Amy und Jessies Vater ebenfalls einander näher. Doch, oh je: Leblose, moderne Schaufensterpuppen, die nach moderner Kunst aussehen, sollen nach und nach die anderen Puppen ersetzen. Handelt es sich hierbei um eine chiffrierte konservative Aussagen? Ein dramatischer Showdown im Kaufhaus jedenfalls mündet in einem kitschigen Happy End.

Kurios: „Ein Wunsch geht in Erfüllung“ vermittelt nicht, dass man seine Probleme auch ohne Mutter respektive Frau im Haus irgendwie lösen kann und sollte, sendet auch kaum entsprechende Appelle, sondern – und das ist irgendwie typisch USA, Land der unbegrenzten Möglichkeiten – zaubert einfach Ersatz herbei. Dass man sich nicht auf Fantasiewesen verlassen kann, sondern selbst anpacken muss, möchte man seine Probleme lösen, ist jedoch die Aussage des Texts, den Jessie während der Schulaufführung aufsagt. Welch große Rolle hier ein Kaufhaus, also ein Konsumtempel, spielt, ist gewissermaßen ebenfalls entlarvend. Auch die üppig bis übertrieben geschmückten Häuser in den Außenaufnahmen passen zum USA-Klischeebild.

Von diesen Widersprüchlichkeiten und Kritikpunkten einmal abgesehen, offenbart Millers Film durchaus Qualitäten: Juliet Sorci als Jessica ist niedlich und spielt toll, und von Newton-John bekommt man, was man erwartet und darüber hinaus sogar einen zweiten Song. Die Ausleuchtungen sind schön bunt wie ein geschmückter Weihnachtsbaum geraten, in bestimmten Szenen beherrschen George Miller und sein Team zudem eine symbolträchtige Bildsprache. Als auch bei solchen Familienfilmen um kritische Reflexion bemühter sowohl Weihnachts- als auch Antiweihnachtsfilm-Glotzer bin ich hin- und hergerissen und mir unsicher, ob „Ein Wunsch geht in Erfüllung“ in ausreichendem Maße eine konstruktive Botschaft an von derart harten Schicksalen geplagte Kinder vermittelt. Aber, und da beißt die Maus keinen Faden ab: Unterm Strich ist das schon ein nicht schlecht gemachter Familienfilm, vielleicht eine Art Guilty Pleasure für die Kleinen wie die Großen.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mi 28. Dez 2022, 15:39
von buxtebrawler
Bild
Pettersson und Findus – Das schönste Weihnachten überhaupt

„Ich liebe Schnee!“

Pettersson und Findus laufen im TV, „Das schönste Weihnachten überhaupt“ – den Namen dieser Mensch/Tier-Kombi hatte ich schon öfter mal vernommen. Ob das wohl eventuell so etwas Knuffiges wie zum Beispiel „Wallace & Gromit“ sein könnte? Egal, Videorekorder programmiert und in die Festtagsprogrammplanung aufgenommen. Und erst nach der etwas ernüchternden Sichtung schlaugemacht:

Bei „Pettersson und Findus“ handelt es sich eigentlich um eine Kinderbuchreihe des Schweden Sven Nordqvist. Vor dieser Verfilmung gab es bereits eine 52-teilige Zeichentrickserie und vier Zeichentrickfilme hatten es gar ins Kino geschafft. Im Jahre 2014 folgte die erste Real- und Animationsfilm-Mischung „Pettersson und Findus – Kleiner Quälgeist, große Freundschaft“, inszeniert vom iranischstämmigen deutschen Regisseur Ali Samadi Ahadi, damals mit Ulrich Noethen („Der Untergang“) in der Rolle des eigenbrötlerischen Erfinders Pettersson, der mit dem sprechenden Kater Findus zusammenlebt. Ahadi führte auch bei dieser Fortsetzung Regie, die die literarischen Vorlagen „Pettersson kriegt Weihnachtsbesuch“ und „Morgen, Findus, wird‘s was geben“ zusammenfasst und im November 2016 in den Kinos anlief. Pettersson wird nun von Stefan Kurt („Lovely Louise“) gemimt. Kater Findus ist computeranimiert. Seither hat Ahadi der Reihe bereits zwei weitere Filme hinzugefügt. Worum also geht es hier?

Das Weihnachtsfest steht vor der Tür, doch Pettersson und Kater Findus (gesprochen von Roxana Ahadi) werden in ihrer bescheidenen Hütte eingeschneit. Damit nicht genug, verletzt sich Pettersson auch noch den Fuß. Eigentlich wollten sie das schönste Weihnachten überhaupt feiern, sehen sich stattdessen aber mit Lebensmittelknappheit konfrontiert – und an die üblichen Weihnachtsvorbereitungen ist kaum noch zu denken, zumal Pettersson zu Findus‘ Leidwesen sämtliche Hilfsangebote der Nachbarn Beda (Marianne Sägebrecht, „So ein Schlamassel“) und Gustavsson (Max Herbrechter, „Ärzte“) abschlägt…

Die Trickeffekte sind eher einfach gehalten; die Green-Screen-Kulissen lassen das Ambiente künstlich erscheinen, wurden aber liebevoll und detailreich gestaltet. Offenbar können alle Tiere sprechen – außer Hunde…?! Die Handlung vereint Winterspaß wie eine Schneeballschlacht in der Küche inkl. „Matrix“-Spezialeffekt-Parodie und eine Schlittenfahrt mit Slapstick-Einlagen und Späßen um den schusseligen Pettersson, einem ihm ständig in den Ohren liegenden Findus (der mit einem Schneebesen schneeschippen will…), karikierend überzeichneten Nachbarn und Gesangseinlagen. Dazwischen wuseln die Mucklas herum, kleine Wesen, die unter dem Dielenboden ihr Domizil gefunden haben, gern Haushaltsgegenstände stehlen und die nur Findus sehen kann.

Vorm obligatorischen Happy End muss Pettersson über seinen eigenen Schatten springen und Hilfe anzunehmen lernen. Dadurch kann man am Schluss doch noch fröhlichen miteinander feiern und das „schönste Weihnachten überhaupt“ ist gerettet. Das ist ganz nett, wenn auch sehr naiv gemacht und erzählt – was schlicht daran liegt, dass die Zielgruppe mit den jüngsten Zuschauerinnen und Zuschauern klar abgesteckt ist, unsereins also eindeutig nicht dazu zählt. Hier zeigt sich dann doch sehr deutlich der Unterschied zwischen Kinder- und Familienfilm und welch große Kunst es ist, tatsächlich die berühmte „ganze Familie“ gleichermaßen zu unterhalten. Letzteres funktioniert hier nämlich weniger und mit Kollegen vom Schlage „Wallace & Gromit“ haben der alte Zausel und sein kulleräugiger Stubentiger wenig bis gar nichts gemein…

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 3. Jan 2023, 15:17
von buxtebrawler
Bild
Columbo: Zwei Leben an einem Faden

„Gucken Sie nicht so ängstlich!“

Die sechste Episode der zweiten Staffel der US-TV-Krimireihe „Columbo“ um Peter Falk als auch den gewieftesten Gegenspieler(inne)n letztlich überlegener Inspektor wurde von Shirl Hendryx geschrieben. Regisseur Hy Averback inszenierte daraufhin nach „Mord in Pastell“ seinen zweiten (und letzten) Beitrag zur Reihe, deren Besonderheit ist, dass der/die Täter(in) fürs Publikum jeweils von vornherein feststeht. Die Erstausstrahlung erfolgte am 11. Februar 1973.

„Halten Sie sich so weit wie möglich von Krankenhäusern fern!“

Herzspezialist Dr. Edmund Hidemann (Will Geer, „Die Waltons“) wird von seinem Kollegen Dr. Barry Mayfield (Leonard Nimoy, „Raumschiff Enterprise“) operiert, da ihm eine seiner Herzklappen ersetzt werden muss. Hidemann vertraut Mayfield, mit dem zusammen er eine neues Medikament gegen die Abstoßung transplantierter Organe entwickelt hat, das jedoch auf Hidemanns Insistieren hin noch nicht veröffentlicht wurde. Mayfield indes wittert seine Chance, durch die OP Hidemann loszuwerden, das Medikament zur Zulassung zu bringen und die erwarteten Lorbeeren nicht teilen zu müssen: Er befestigt die Herzklappe mit einem Faden, der sich nach einiger Zeit auflöst, was Hidemann töten würde. Doch OP-Schwester Sharon Martin (Anne Francis, „Alarm im Weltall“) findet die falschen Fäden und konfrontiert Mayfield mit ihrem Verdacht, was sie mit ihrem Leben bezahlt: Mayfield bringt sie um und präpariert ihre Wohnung, um den Anschein zu erwecken, sie haben mit aus dem Krankenhaus entwendeten Morphium gehandelt und sei von einem Junkie erschlagen worden. Inspektor Columbo ermittelt in alle Richtungen, heftet sich jedoch vornehmlich an Mayfield, der sich daraufhin gezwungen sieht, weitere falsche Spuren zu legen und auch dafür über Leichen geht… Wird Columbo Mayfield rechtzeitig überführen, um wenigstens Hidemanns Leben zu retten?

„Interessant…“ – „Faszinierend!“

Diese Frage schwebt über den Ermittlungen und sorgt somit für eine Extraportion Spannung in diesem um Gaststar Leonard „Mr. Spock“ Nimoy intelligent konstruierten Fall, der ihm auf den Leib geschneidert scheint: Mit vulkanischer Gefühlskälte hat er es zunächst auf seinen Kollegen abgesehen, dann auf die bedauernswerte Sharon und schließlich auf den Kriegsveteran Harry Alexander (Jared Martin, „Westworld“), einen ehemaligen Drogenabhängigen, der sich nun als Tierpfleger im Zoo verdingt. Gegenüber Columbo verzieht er keine Miene, eiskalt und aalglatt scheint alles an ihm abzuprallen. Columbo hingegen ist zunächst übermüdet und tut Mayfield gegenüber im weiteren Verlauf kränklich und empfindlich, um Unterlegenheit zu suggerieren. Nach seiner ersten Befragung des Doktors sucht der Inspektor Marcia Dalton (Nita Talbot, „Ein Käfig voller Helden“), eine Freundin Sharons, auf. Mayfield besitzt sogar die Nerven, eine private Feier zu geben, in die Columbo natürlich hineinstolpert. Mayfield versucht, die Schuld auf Harry Alexander zu schieben, indem er Marcia geschickt manipuliert. – ein Schachzug, der ihn nicht nur als kalten Mörder, sondern auch als psychologisch versierten Täter charakterisiert.

„Sie haben alles – aber nicht den geringsten Beweis!“

Auch mit Hidemann und Harry Alexander spricht Columbo – und wird somit zu einem der Letzten, die Harry noch lebend gesehen haben… Dessen Rauschzustand, in dem er sich kurz vor seinem Ableben befindet, nachdem Mayfield ihm einen Schuss gesetzt hat, wird mittels Bildverfremdungseffekten visualisiert. Sein Tod ist umso tragischer, als Columbo den Täter eigentlich schon lange kennt. Die entscheidende Eingebung hinsichtlich der Motivsuche ereilt ihn allerdings erst relativ spät. Auch dauert es recht lang, bis er etwas über die verschiedenen OP-Fäden erfährt. Columbo ist hier also kein Supermann, dem von vornherein alles glasklar wäre. Ein weiterer besonderer Kniff dieser Episode: Nachdem Columbo eine Autopsie für den Fall eines plötzlichen Herztods Hidemanns in Aussicht gestellt hat, gerät Mayfield in Zugzwang und muss sein eigentlich auserkorenes Opfer unter einem Vorwand noch einmal operieren, um ihm nun das Leben zu retten. Nach dieser zweiten OP stürmt Columbo mit einem Durchsuchungsbefehl den Operationssaal, doch irgendwie scheint Mayfield ihn trotzdem ausgetrickst zu haben…

Diese herausragende Episode wartet nicht nur mit einem großartigen Antagonisten auf, sondern auch mit für Columbo-Verhältnisse relativ vielen (Beinahe-)Toten, spannenden Wendungen bis zum Schluss und einem sogar einmal die Fassung verlierenden Inspektor. Mit dem Dialogwitz übertreibt man es nicht, die meiste Zeit über ist „Zwei Leben an einem Faden“ bitterernst. Die (mitunter recht schwere) Musik unterstreicht die jeweilige Stimmung passend. Während Columbos zweitem Gespräch mit Marcia meine ich, Anschlussfehler in Form eines unterschiedlich vollen Trinkglases entdeckt zu haben, ansonsten dürfte hier aber alles stimmen. Ärzten ist eben nichts Menschliches fremd – manchen nicht einmal Unmenschliches…

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mi 4. Jan 2023, 18:25
von buxtebrawler
Bild
Life, Animated

„Du wirst noch viel erleben!“ – „Noch sehr viel!“

„Life, Animated“ ist ein Oscar-nominierter, US-amerikanisch-französisch koproduzierter Dokumentarfilm aus dem Jahre 2016 um einen autistischen US-Jungen, der mithilfe von Disney-Zeichentrickfilmen zurück zu Sprache und sozialer Interaktion fand. Er basiert auf dem autobiographischen, Pulitzer-Preis-ausgezeichneten Buch „Life, Animated: A Story of Sidekicks, Heroes, and Autism“, das Ron Suskind, Vater jenes Jungen, im Jahre 2014 veröffentlichte. Regisseur Roger Ross Williams („God Loves Uganda“) erzählt zusammen mit den Suskinds Teile des Buchs nach und begleitet ihren Sohn auf seinen nächsten Schritten mit der Kamera.

„Ich kenne jeden Disney-Trickfilm auswendig!“

Im Alter von drei Jahren machen sich bei Owen Suskind schwerwiegende Entwicklungsstörungen bemerkbar, die seine Motorik und seine Sprache sowie die Fähigkeit, seine Umwelt wie andere wahrzunehmen, betreffen. Die Diagnose lautet auf Autismus, der ihn immer mehr von seiner Familie und anderen Mitmenschen isoliert. Nach ein paar Jahren jedoch erweist sich Owens häufiges Ansehen von Walt-Disney-Zeichentrickfilmen als Brücke, um wieder zu ihm durchzudringen: Er beginnt, in auswendig gelernten Filmdialogzeilen zu kommunizieren und lernt aus dem karikierend überzeichneten Stil der Filme, zwischenmenschliches Verhalten zu verstehen und schließlich auch anzuwenden…

„Aber das Leben ist nun mal kein Disney-Film.“

Williams beginnt seinen Film mit Parallelmontagen aus Amateurvideoaufnahmen, die Vater Ron beim Spielen mit seinen beiden Söhnen zeigen, als diese noch klein waren, und Bleistiftzeichnungen bzw. -animationen, die im weiteren Verlauf – ebenso wie Ausschnitte aus Disney-Filmen – immer mal wieder auftauchen werden. In der Gegenwart befindet sich Owen gerade in einer auf junge Autistinnen und Autisten zugeschnittenen Lehreinrichtung und erhält Unterricht im Bereich Verkehrserziehung. Daraufhin erzählt er selbstbewusst, dass er kurz vorm Abschluss stehe und eine eigene Wohnung beziehen werde. 23 Jahre alt ist er zu diesem Zeitpunkt. Doch als er von der Schule nach Hause kommt, wirft er Disneys Peter-Pan-VHS ein und strahlt übers ganze Gesicht. Er spricht und gestikuliert begeistert mit, als sei er Teil des Films. Alte Familienaufnahmen belegen, dass er schon als kleines Kind beim Spielen gern in die Rolle Peter Pans schlüpfte, jenes Jungen also, der nie erwachsen werden wollte – wie passend.

„Jetzt bin ich für immer traurig...“

Zurück in der Gegenwart erzählen Owens Eltern seine Geschichte: Mit drei Jahren habe sich sein Autismus ausgeprägt, sie sprechen davon, dass er „verschwunden“ sei. Es geht um Untersuchungen und Diagnostik, Owens Arzt kommt zu Wort, doch auch Owen persönlich trägt wohlgemut seinen Teil zur Geschichte bei. Er ist nun ein junger Mann an der Schwelle zur Selbständigkeit, worüber man in einem Planungsgespräch offen mit ihm redet. Als Kind habe er immer zu bestimmten Stellen seiner Lieblingsfilme zurückgespult und wiederholt, was er hörte. In der Gegenwart hat er einen Disneyclub gegründet, in dem er mit anderen Autistinnen und Autisten dieselben Filme schaut und in der Gruppe Inhalte und Aussagen diskutiert – ein autistisches Filmexpertentum, das ein wenig an Deliria-Italiano-Forentreffen erinnert.

Mutter und Vater Suskind sowie sein Bruder Walter haben weitere Anekdoten parat, mit denen der Film gespickt wird, und klappern verschiedene Stationen in Owens Entwicklung ab. So habe Ron seinerzeit Rollen aus den Filmen gespielt, um an Owen heranzukommen, während Owen die Filme genutzt habe, um die Welt zu verstehen – etwas, das auch vielen psychisch nicht gehandicapten Menschen, wenn auch zumeist im Umgang mit anderen Filmen oder auch ganz anderen Medien, nicht fremd sein dürfte: Kulturerzeugnisse als Orientierungshilfen.

Als wäre das nicht bereits spannend genug, hat Owen auch noch eine Freundin namens Emily. Sie schreibt ihm einen Liebesbrief, der aussieht wie von einer Sechsjährigen, bei dem einem aber das Herz aufgeht. Sie schenkt ihm eine Halskette mit einem Micky-Maus-Anhänger, die Owen fortan voller Stolz und Zuneigung trägt.

Solch ein professionelles Smalltalk-Training, wie es Owen in einer Szene erhält, könnte sicherlich auch manch Nicht-Autist(in) – der Verfasser dieser Zeilen nicht ausgeschlossen – gebrauchen. Für die Kommunikation mit Schauspieler und Synchronsprecher Jonathan Freeman, der in Owens Disneyclub eingeladen wurde, erweist es sich indes als unnötig, denn mit ihm spielt man kurzerhand Szenen aus „Aladin“ nach. Als mit Gilbert Gottfried ein weiterer Sprecher dazustößt, ist die Party perfekt!

Weniger amüsant ist die Rekapitulation der Schulzeit Owens, einer für ihn schweren Zeit. Doch die nächste Überraschung hält der Film schon bereit: Owen begann zu zeichnen, vornehmlich die Gehilfen der Disney-Helden, und eigene Geschichten zu schreiben. Diese Zeichnungen wurden eigens für diesen Film zum Zeichentrickfilm „Protector of Sidekicks“ animiert und als Film im Film gezeigt. Owen spielt sogar Fußball, beherrscht mittlerweile also auch Teamplay. Wir sehen ihn auf seiner Abschlussfeier und begleiten ihn bei seinem Umzug in eine eigene (richtig tolle) Wohnung. Er bewirbt sich beim örtlichen Kino und bekommt dort zumindest schon mal einen einfachen Job. Sein Bruder versucht, mit ihm über Sex zu reden, wobei Owen an die Grenzen seiner Lebenslehre aus Disney-Filmen stößt. Möglicherweise hat das auch noch Zeit, denn er gerät in eine persönliche Krise, als Emily mit ihm schlussmacht. Wie er damit umgeht? Selbst gucken!

Am Ende wird er sogar auf eine Pariser Konferenz eingeladen, wo er über sein Handicap referiert. Denn Menschen wie Owen sind eine Bereicherung für die Gesellschaft und wie rührend man ihn in seine Eigenständigkeit begleitet hat, ist nicht zuletzt ein wunderbares Beispiel für Inklusion. Owen ist ein richtig geiler Typ und es nicht schlimm, auf den Disney-Filmen „hängengeblieben“ zu sein, sondern für ihn das größte Glück. Sie gaben ihm Halt und inspirierten ihn. Und abermals geht mir das Herz darüber auf, dass er auch Mitte der 2010er-Dekade noch immer mit seinen VHS-Kassetten hantiert.

„Life, Animated“ ist ein Film, ähnlich wunder- und liebevoll wie ein gutes Disney-Märchen, dabei aber anscheinend tatsächlich authentisch. Ob er eine Art Werbefilm für Disney-Produktionen ist? Möglicherweise ein Stück weit. Allerdings ist es beileibe kein Geheimnis, welcher Qualität die abendfüllenden Zeichentrickfilme jenes Konzerns sind und welche Faszination sie (bei Weitem nicht nur) auf Kinder ausüben. Williams‘ Film scheint mir generell den Zauber gut gemachter Kinder- und Familienunterhaltung in Erinnerung zu rufen, eine Lanze für intensives kindliches Eintauchen in mediale Fantasiewelten zu brechen und ein Plädoyer für die inspirierende Kraft der Imagination zu sein. Es ist manchmal eben doch nicht so verkehrt, wenn das Kind vor der Glotze hängt…

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Do 5. Jan 2023, 17:18
von buxtebrawler
Bild
Kurzschluss

Anlässlich des Jahreswechsels drehte Regisseur Erik Haffner („Pastewkas Weihnachtsgeschichte“) für die ARD einen 28-minütigen Silvester-Kurzfilm mit Anke Engelke („Mutter“) und Matthias Brandt („Ein Mann, ein Fjord!“), der am 31. Dezember 2022 erstausgestrahlt wurde. Das Drehbuch verfassten Claudius Pläging und Max Bierhals.

Silvester 2022 in einem Kaff irgendwo in Deutschland: Eine halbe Stunde vor Neujahr bleibt die EC-Karte der örtlichen Bürgermeisterin Bettina Maurer (Ange Engelke) im Automaten der Bankfiliale hängen – dabei hat sie es eilig, denn sie soll das offizielle Feuerwerk auf dem Marktplatz eröffnen. Der Berliner Unternehmer Martin (Matthias Brandt), der Bettina auf dem Weg zur Bank bereits mit seinem SUV geschnitten hat, ist ebenfalls in Eile und will noch einmal rasch Geld abheben. Er versucht, die Karte der schnippischen und abweisenden Bettina zu befreien, indem er mit einer ihrer Haarnadeln im Einzugsschacht herumfriemelt. Damit löst er jedoch einen Kurzschluss aus, der beide in der Filiale einsperrt. Das Mobilfunknetz ist nur außerhalb der Filiale funktionstüchtig, sodass sich auch keine Hilfe anfordern lässt. Nun ist guter Rat teuer…

Engelke und Brandt stellen in diesem kurzweiligen Kammerspiel ihr großes schauspielerisches Talent unter Beweis, die Chemie zwischen den beiden stimmt in dieser ganz auf sie zugeschnittenen Produktion. Zunächst begegnen sich Bettina und Martin mit bissigen Dialogen, die jedoch nach und nach in gegenseitiges Verständnis übergehen und in denen man mehr und mehr über die Figuren erfährt – auch was sie trennt, vor allem aber – über diese gemeinsame Unglückssituation hinaus – verbindet. Das steckt voller kleinerer und größerer Wendungen und Überraschungen, die zudem perfekt getimt sind. Gespickt wird die Handlung zudem mit etwas Situationskomik, die nicht nur aus den witzigen, hilflosen Befreiungsversuchen resultiert.

Letztlich werden Bettina und Martin durch die Situation, in der sie sich befinden, regelrecht dazu gezwungen, einmal einander zuzuhören und scheinbare Gegensätze zu überwinden. Die Botschaft ist eine schöne und zugleich unaufdringliche zum Jahreswechsel, der dann auch – wenn auch ganz anders als ursprünglich von seinen Figuren erhofft – in „Kurzschluss“ gefeiert wird. Ein unscheinbares, aber hochkarätiges Kleinod.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mo 9. Jan 2023, 17:10
von buxtebrawler
Bild
Sperrmüll

„Sperrmüll“ ist ein DEFA-Dokumentarfilm der Filmemacherin Helke Misselwitz („Winter adé“), für den sie mit Gerd Kroske zusammenarbeitete. Die Dreharbeiten reichten von Mitte 1989 bis zu den letzten Volkskammerwahlen der DDR, fanden demnach in der Wendezeit statt. Veröffentlicht wurde der Film im Jahre 1991, also bereits im geeinten Deutschland.

Eigentlich sollte „Sperrmüll“ eine Dokumentation über die gleichnamige Ost-Berliner Jugendband werden, die Musik auf weggeworfenem Schrott macht. Irgendwann in der ersten Hälfe des Jahres 1989 sieht sich das Filmteam gemeinsam mit den Bandmitgliedern ca. sechs Monate alte Aufnahmen an und lässt sich die Jungs kurz vorstellen. Die Fragen der Interviewerin – vermutlich Helke Misselwitz – sind zu hören, sie selbst ist aber nie vor der Kamera zu sehen. Im weiteren Verlauf möchte man sich auf Bandmitglied Enrico fokussieren und ihn eine Weile mit der Kamera begleiten. Dessen Mutter Angelika Idzikowski, eine aufgeschlossene, liberale Frau, heiratet einen West-Berliner. Die Hochzeit darf nicht gefilmt werden, ein entsprechender Amtsschrieb wird gezeigt und zitiert. Zur Hochzeit spielen Sperrmüll auf der Straße respektable Musik mit durchaus hintergründigen Texten, die die Blicke neugieriger Passantinnen und Passanten anziehen.

Enricos Mutter reist zu ihrem Mann nach West-Berlin aus, Enrico aber bleibt in der DDR. Mitten in die Dreharbeiten platzen die Entwicklungen, die schließlich zur Wende führen: Enrico beteiligt sich an den Protesten vor der vor der Gethsemanekirche in Berlin-Prenzlauer Berg am 8. Oktober 1989, die niedergeknüppelt werden, was der Film mittels authentischem Bildmaterial belegt. Zusammen mit anderen Demonstrierenden reflektiert er wenige Tage später er am selben Ort das Geschehene. Dann ein Zeitsprung: Mauer und Grenze sind offen. Enrico kommentiert die Wende kritisch, klug, aber auch streibar:

„Wenn alles schiefgeht, dann kann ich mir durchaus vorstellen, dass es hier irgendwann mal ‘ne Wiedervereinigung geben wird. Und das wünsch‘ ich keinem von beiden deutschen Staaten.“

Mit der S-Bahn fährt er seine Mutter und deren neuen Ehemann an Weihnachten besuchen. Auf der Fahrt erzählt er, dass er bei Sperrmüll aussteigen und in einer anderen Band Gitarre spielen werde, woraufhin eine Probe der „Bolschewistischen Kurkapelle schwarz-rot“ gezeigt wird. Draußen vor der Tür tanzen Kinder Pogo zur Musik. Mutter Angelika wird bei ihrer neuen Arbeit als Kindergärtnerin gefilmt. Sie berichtet anschließend, es als Frau in der BRD schwerer zu haben als in der DDR. Es folgt ein Gig der Band.

Ehemalige Sperrmüll-Mitglieder prophezeien angesichts der bevorstehenden Volkskammerwahl, die die letzte werden sollte, dass 16 Millionen Menschen ihre Chance verpassen werden, einen eigenen Staat aufzubauen, und äußern sich nachdenklich, kritisch und wenig optimistisch. In jedem Falle wolle man links wählen, so auch Enrico, der die DDR erhalten will. Aktuelle Musik Enricos wird eingespielt und eine Bootstour Angelikas mit ihrem Mann an der durchlässig gewordenen Grenze entlang begleitet. Sie berichten von den Problemen, sich zu sehen, bevor sie zusammenzogen. In jener Zeit habe sie gar ein ungeborenes Kind verloren. Auf einer Karussellfahrt auf dem Rummelplatz wirken beide sehr glücklich miteinander. Die letzte Szene zeigt Enricos Gang zum Wahllokal, wozu sein opernsingender Namensvetter Enrico Caruso, nach dem ihn seine Mutter benannte, dramatische Töne schmettert.

„Spermüll“ ist kein Dokumentarfilm, der irgendjemanden vorführen oder bestimmte Umstände ausschlachten würde. Vielmehr handelt es sich um ein sehr authentisch anmutendes Zeitdokument, das der Wende-Euphorie eine gesunde Skepsis entgegensetzt, zugleich ohne die Wende in dieser Form aber sicherlich nie unzensiert in der DDR hätte aufgeführt werden können. Da die Filmemacherin und ihr Team ebenso von den Ereignissen überrollt wurden wie Enrico & Co., wirkt „Sperrmüll“ häufig spontan und ohne eine bestimmte, von vornherein feststehende Aussage transportieren oder ein bestimmtes Bild zeichnen zu wollen, was ihn von zahlreichen anderen Dokumentarfilmen unterscheidet.

Die Geschichte hat gezeigt, dass die jungen Männer mit ihrer Skepsis rechtbehalten sollten.