Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
Verfasst: Di 20. Dez 2022, 15:42
Secret Santa
Driving home for Christmas
„Verfickte Weihnachten!“
„Secret Santa“ meint im englischen Sprachraum das, was man hierzulande Julklapp oder Wichteln nennt, und zwar explizit jene Variante, bei der die schenkende Person die beschenkte kennt, dies umgekehrt jedoch nicht zutrifft. „Secret Santa“ ist zugleich der Titel eines US-amerikanischen Low-Budget-Anti-Weihnachtsfilms aus dem Jahre 2018, bei dem Adam Marcus („Jason Goes to Hell – Die Endabrechnung“) die Regie führte.
„Wieso spielen wir nicht Secret Santa?“
Es ist Weihnachten und Familie Pope, die ganze Mischpoke samt Kind, Kegeln und Partner(inne)n, trifft sich beim weiblichen Familienoberhaupt Shari (Debra Sullivan, „Momentum“). Deren Ex-Mann und Vater ihrer vier erwachsenen Kinder taucht ebenfalls auf – ungeladen. Streit liegt in der Luft und entlädt sich beim gemeinsamen Truthahnmampf. Dass ein Secret Santa eine aggressionssteigernde Droge in den Punsch mischt, lässt die Lage endgültig eskalieren und es gibt Tote…
„Ist er tot?“
Bereits der Prolog zeigt eine in Zeitlupe wiedergegebene Prügelei, die jedoch erst vier Stunden später stattfinden wird – man greift also vor. In der Gegenwart wird man mit Familie Pope und deren Anhängseln vertraut gemacht, die sich auf dem Weg zu Shari befinden. Da fährt ein Stotterer mit einem Dummschwätzer (Curtis Fortier, „Trekkies 2“) im Auto, in einem anderen Kfz bekommt der Fahrer (Nathan Hedrick, „Sun Tzu – Die Kunst des Krieges“) von seiner Beifahrerin besinnlich einen geblasen. Im zu Bildern einer opulent weihnachtsbeleuchteten Stadt einsetzenden Vorspann werden einzelne Begriffe wie „Death“ und „Terror“ eingearbeitet. Ein anderes Pärchen (A Leslie Kies, „Die kleine Meerjungfrau – Freunde fürs Leben“ und Michael Rady, „Filmstar zu Weihnachten“) hat Sorge, zu spät zu kommen. An Rammstein gemahnende Musik löst urplötzlich die orchestralen Weihnachtslieder ab, eine einzelne Fahrerin flucht wie ein Rohrspatz. Das Zuspätsorge-Pärchen trifft bei Shari ein, die ihre Tochter mit zahlreichen Spitzen nervt. Tante Carol (Pat Destro, „Exit in Red“) ist bereits da, der Stotterer stößt hinzu, das Blowjob-Paar schiebt erst mal ‘ne Nummer. Die Schwester der Zu-spät-April gibt sich ebenfalls ein Stelldichein, der Bumsende ist Halbbruder Jackson. Dann steht auch schon der geschiedene Dad uneingeladen vor der Tür und der schwarze Lebensgefährte des Stotterers schleicht sich heimlich ein – die Familie weiß nicht einmal, dass ihr Stotterer schwul ist. Der Dummschwätzer heißt Carter und der Freund des Stotterers hat gleich ein ganzes Cateringteam mitgebracht.
„Jesus...“
Ich habe selten einen Film gesehen, der in seiner Exposition eine derartige Anzahl an Figuren einführt, angesichts derer es wahrlich schwerfällt, den Überblick zu bewahren, zumal stets munter drauflosgequatscht wird – in ausschließlich giftigen Dialogen. Ty macht seiner April einen Heiratsantrag, doch das war es auch schon mit der Romantik. Die Streitereien eskalieren, es wird gewalttätig und blutig. Alle hassen sich gegenseitig und die Parole lautet „Alle gegen alle“. Schnell gibt es den ersten Toten und immer wieder merkt jemand an, wie heiß es dort doch sei. Der Vater scheint über eine multiple Persönlichkeit zu verfügen und wird von nun an zusammen mit Jackson wie ein Slasher-Antagonist inszeniert, während die Übrigen sich in einer Art Belagerungszustand befinden. Auch draußen ist es angeblich zu heiß, denn die Handlung hat sich zumindest zum Teil in die verschneite Außenwelt verlagert, was am Kammerspielcharakter aber wenig ändert.
Wer das Gezeigte bisher für das durch ein wenig Übertreibung veranschaulichte Porträt einer dysfunktionalen Familie gehalten hat, bekommt neben den zahlreichen charakterlichen Schwächen nun jedoch den Punsch als mögliche Mitursache präsentiert – was den weiteren Verlauf indes mitnichten abschwächt, ganz im Gegenteil: Ty entpuppt sich als eine Art Heiratsschwindler, die Gewaltspirale dreht sich weiter, eine blutige Köpfung läutet immer übertriebenere Splatter- sowie fiese Make-up- und Ekeleffekte ein und die zwischenzeitliche Lagerbildung zerfällt. Gore-Effekte und ausgemachte Obszönitäten kommen hinzu, man zieht nun sämtliche Register des schlechten Geschmacks. Was genau es mit dem Punsch auf sich hat, wird nicht aufzuklären vergessen, ist aber eigentlich fast egal.
Der anfänglich sogar mit einer Anspielung auf „Die Reifeprüfung“ versehene Film stellt auf schwarzhumorige und äußerst geschmacklose Weise das Familienkonstrukt infrage bzw. spielt auf sarkastische und zynische Weise mit demselben, dass es für hartgesottene Genrefans und Familienweihnachtshasser(innen) wenn nicht die reinste, so doch eine große Freunde ist. Nicht jede Choreographie sieht realistisch aus, hier und da scheint auch mal etwas aus dem Computer zu stammen und das geringe Budget ist „Secret Santa“ durchaus anzusehen. Dafür gibt sich das Ensemble aber keine Blöße, beweist Mut zur Hässlichkeit, zum extrovertierten Spiel und zum Überschreiten von Geschmacksgrenzen – alles ganz wie an Weihnachten also. Umso passender, dass der Epilog bereits die nächste kaputte Familie einführt…