Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
Verfasst: Di 27. Jun 2023, 12:38
Metallica: Some Kind of Monster
Cringe
„Wir schreiben das Album unseres Lebens!“
Metallica waren einst eine enorm bedeutende Band für die Entwicklung des Metal-Genres. Ihr Debüt-Album „Kill ‘em All“ aus dem Jahre 1984 zählt zusammen mit dem Slayer-Debüt zu den subgenrekonstituierenden und -definierenden Grundpfeilern des Thrash Metals; mit dem Nachfolger „Ride The Lightning“ legten sie noch eine Schippe drauf und mit dem Drittwerk „Master Of Puppets“ waren sie auf ihrem Zenit, gelang ihnen doch ein Klassiker und Meilenstein, der weit über den Thrash-Metal-Rahmen hinaus als eines der besten Metal-Alben aller Zeiten gilt. Mit ihrer punkigen Attitüde, sympathischen Fan-Nähe, ungekünstelten Authentizität und Integrität machten sie entscheidende Unterschiede innerhalb des Musikgeschäfts, an das sie sich fortan nicht anzupassen brauchten, sondern das sie sich an sie (und ihre Szene) anzupassen zwang. Nach dem tragischen Unfalltod ihres ikonischen Bassisten und Gründungsmitglieds Cliff Burton verfiel die Band trotz tiefsitzender Trauer nicht in Agonie, sondern spielte mit Burtons Nachfolger Jason Newsted das Album „…and Justice for All“ ein, das aufgrund seines Sounds nicht unumstritten blieb, in Sachen Songwriting aber an die vorausgegangenen Großtaten anknüpfen konnte. Das waren die ‘80er, und der Verfasser dieser Zeilen war Fan.
Zu Beginn der 1990er, als sich die Musikbranche wandelte und manch Metal-Act einen schwereren Stand hatte, glückte Metallica mit dem selbstbetitelten Album einen Millionenseller, der durch starke Songs die Thrash-Attitüde der 1980er mit einer neuen musikalischen Offenheit und dem Zulassen anderer Einflüsse verband. Es folgte eine jahrelange Mammuttournee rund um den Globus, in deren Anschluss sich die Band eine Pause gönnte. Dies wäre ein guter Zeitpunkt gewesen, die Segel zu streichen. Stattdessen veröffentlichte man mit „Load“ und „Reload“ in der zweiten Hälfte der 1990er zwei weitestgehend belanglose Langweiler-Alben, die wie das Werk einer sattgewordenen 08/15-Rockband klangen, und änderte sogar das Bandlogo in einen weniger an die Metal-Ikonographie angelehnten Schriftzug. Es sollte gar noch schlimmer kommen: Nach einem symphonischen Live-Album (ächz…) sollte das nächste Studioalbum angegangen werden, doch hatte man Bassist Jason Newsted innerhalb einer toxischen Bandatmosphäre endgültig vergrault. Die Egos der beiden Band-Alphatierchen James Hetfield und Lars Ulrich prallten aufeinander und Hetfield kämpfte mit seinem Alkoholismus.
Als man die Dokumentarfilmer Joe Berlinger und Bruce Sinofsky für einen Making-of-Film der Albumproduktion mit Stammproduzent Bob Rock heranzog, ahnte man noch nicht, dass sich die Dreharbeiten über zweieinhalb Jahre hinziehen würden und es um weitaus mehr gehen sollte als das Einholzen eines Dutzends neuer Metallica-Songs. Der Im Jahre 2004 – ein Jahr nach dem Album „St. Anger“ – veröffentlichte, 140-minütige Film dokumentiert eine Band am Abgrund, die sich nur mit professioneller psychologischer Hilfe zurückkämpfen kann.
Auf eine äußerst knapp gehaltene Bestandsaufnahme zu Beginn folgt eine befremdliche Mischung aus Musikproduktionsprozessen und Therapiesitzungen mit dem für monatlich 40.000 $ angeheuerten Psychologen Phil Towle, der sich permanent an der Seite der auf drei Mitglieder geschrumpften Band befindet – zunächst immer mal wieder unterbrochen von privaten Situationen der Bandmitglieder, die dadurch anscheinend versuchen, nahbar zu wirken. Dies will aber nicht so recht gelingen. Anscheinend ohne vorausgegangene Absprache verschwindet James plötzlich für zwei Wochen nach Sibirien, um Wodka zu trinken und unschuldige Bären abzuknallen, denen der Winterschlaf noch in den Knochen steckte und deren Fleisch nicht einmal verzehrt werden kann. Der Tier- und Musikwelt wäre viel Leid erspart geblieben, hätte er die Waffe einfach gegen sich selbst gerichtet. Nach seiner Rückkehr prahlt er vor der Kamera damit und zeigt stolz Bilder der Bärenleichen. Was für ein Psychopath!
Nach einem Streit mit Lars lassen die Filmemacher per „MTV News“-Auszug wissen: James hat sich in eine Rehaklinik begeben. Niemand weiß, wie lange er dortbleiben wird, den Kontakt zu Lars und Kirk bricht er komplett ab. Zumindest zeitweise blieben Towle und das Filmteam an der Seite der beiden. Sie zeigen, wie sich Lars mit seinem Vater trifft, der wie ein Schäfer aussieht und das geplante Intro scheiße findet. Dann wird auch noch Dave Mustaine, Kirks Vorgänger zu Demo-Zeiten und nach seinem Rauswurf Oberhaupt der Band Megadeth, mit der er ebenfalls Millionen an Tonträgern verkaufte (und mit beschissenen Alben bis heute verkauft), mit seinem selbstmitleidigen Gejammere Teil der Therapie. Jason Newsted kommt kurz zu Wort, ohne auf die anderen zu treffen. Dass er mit seiner neuen Band Echobrain recht bald einen Gig hinlegt – direkt eine größere Nummer –, während Metallica mit ungewisser Zukunft auf Eis liegen, erschreckt Lars, den Jason nach dem Gig anscheinend nicht treffen möchte.
Als James nach einem Jahr (!) zur Band zurückkehrt, wird er immer divenhafter. Er möchte nur vier Stunden täglich mit den anderen im Studio verbringen und verbietet ihnen, nach seinem „Feierabend“ ohne ihn weiter am neuen Album zu arbeiten – wozu er auch das bloße Anhören bereits eingespielten Materials zählt. Trotzdem kommen die Aufnahmen in Gang, den Bass spielt Bob Rock in Ermangelung eines Metallica-Bassisten ein. Lars wiederum hängt in seinem Privatanwesen seine einst teuer eingekauften Gemälde ab – potthässliche Dinger! –, um seinen „neuen Lebensabschnitt“ zu symbolisieren, und lässt sie zu einer Versteigerung bringen, in deren Vorfeld sie ausgestellt werden. Der Film zeigt Lars mit seiner Frau auf jener Ausstellung und bei der Versteigerung, die in Auszügen dokumentiert, wie irgendwelche Snobs Unsummen für das Gekleckse abdrücken und Lars‘ Bankkonto einmal mehr aus allen Nähten platzen lassen. Zuvor war er gegen die Dateitauschbörse Napster ins Feld gezogen, was der Film auch kurz anreißt.
Wirklich interessant wird die Bassistensuche, denn diverse Szeneprominenz kommt zum Vorspielen vorbei. Bekannterweise entschied man sich für den damaligen Ozzy-Osbourne-Bassisten Robert Trujillo, einen herausragenden Musiker und offenbar humorvollen, sympathischen Menschen, der seither sein Talent an Metallica verschwendet. Im vom Film dokumentierten Du-bist-in-der-Band-Gespräch schiebt man ihm direkt eine Million US-Dollar zu. Psycho-Doc Phil mit seinen scheußlichen Pullovern würde anschließend gern noch länger mit Metallica zusammenarbeiten und erwägt sogar, in deren Nähe zu ziehen, wird aber entlassen, weil die Band das Gefühl hat, er würde sie von ihm abhängig machen wollen. Es folgen der erste Auftritt seit Jahren für die Sendung „MTV Icon“, der „St. Anger“-Videodreh im San-Quentin-Knast, ein idiotisches Statement Lars‘ zu aggressiver Musik und ein paar Impressionen der natürlich umjubelten St.-Anger-Tour. Uff.
Den Reaktionen nach zu urteilen ist „Metallica: Some Kind of Monster“ auf unterschiedliche Weise lesbar. Viele sahen darin offenbar schonungslos ehrliche Einblicke in Privatleben und Psyche der Bandmitglieder, eine Entmystifizierung von „Metal-Göttern“ oder nahbare, menschliche Musiker, die sich dank psychologischer Hilfe und Selbstreflektion wieder zusammenraufen und zu einem intakten Bandgefüge zurückfinden. Ich hingegen sehe in erster Linie zwei narzisstische Arschlöcher, von denen der aus einem religiös verbrämten, fundamentalistischen Elternhaus stammende (was im Film unerwähnt bleibt) James die größeren Minderwertigkeitskomplexe mit sich herumschleppt, die er früher mit gutem Songwriting, düsteren Songtexten und Bier bekämpfte, als nun um Reife bemühter Familienvater aber lieber arglose Bären ermordet, Wasser trinkt und Kacksongs schreibt. Sein Kompagnon Lars geriert sich als arroganter Egomane mit Napoleon-Komplex, der manch fiese Spitze absondert und negative Einflüsse von der Band fernzuhalten versucht, ohne zu ahnen, dass sie selbst ihr größter negativer Einfluss geworden ist. Beide scheinen zu höchst unangenehmen Zeitgenossen geworden zu sein. Ein Lichtblick ist Lead-Gitarrist Kirk Hammett, der sein eigenes Ego zurückzustellen versteht und, immer wieder zwischen den Fronten stehend, kraft seines friedfertigen Wesens um Ausgleich bemüht ist und einigen Humor beweist. Produzent Bob Rock ist ein erstaunlich entspannter Typ, den anscheinend nichts aus der Ruhe bringen kann – der Sound auf „St. Anger“ wurde trotzdem Mist.
Es hätte ein spontan wirkendes Garage-Metal-Album werden sollen, klingt aber bemüht und verkrampft, was der im Film zum Teil dokumentierte Entstehungsprozess unterstreicht. „Metallica: Some Kind of Monster”, der immer mal wieder um ein wenig altes Archivmaterial ergänzt wird und auch die kleinen Kinder der Protagonisten ablichtet, ist durchaus spannend geschnitten und aufschlussreich anzuschauen, sofern man Fremdscham erträgt und sich für Blicke hinter die Kulissen eines Millionengeschäfts wie Metallica interessiert. Dadurch, dass er sich nie ganz von seiner ursprünglichen Intention eines Making-ofs verabschiedet, bleibt er in seiner psychologischen Komponente jedoch sehr oberflächlich. Konkrete Streitereien zwischen Lars und James bekommt man nur wenige zu sehen, diese zudem nur sehr kompakt. Dies lässt das alles – die übertriebenen Reaktionen James‘, das Hinzuziehen eines Psychologen, der ab und zu einen schlauen Satz einwirft, das Brimborium um diesen Film – noch mehr wie Pillepalle und Kindergarten, wenn nicht gar Luxusprobleme obszön reicher Rockstars erscheinen. Die Ursachen der Probleme werden nicht vertieft – bzw. wenn dem so war, war entweder das Kamerateam nicht anwesend oder die Szenen fanden nicht in den Endschnitt.
Insofern ist „Metallica: Some Kind of Monster” auch eine vertane Chance, um wirklich relevante Themen zu beleuchten: Was macht ein derartiger Erfolg mit jemandem aus der Unter- oder unteren Mittelschicht? Und mit Menschen, die ihr Leben lang um Anerkennung gebuhlt hatten? Was bedeutet eine solche Mammut-Tour wie jene nach dem kommerziellen Durchbruch mit dem selbstbetitelten Album für jemanden auf psychologischer Ebene? Wie lassen sich Welttourneen mit der Familie vereinbaren? Die Filmemacher Joe Berlinger und Bruce Sinofsky dokumentierten unfreiwillig eine Band, die am Ende war und sich besser aufgelöst hätte, aber künstlich am Leben erhalten worden zu sein scheint. Metallica degenerierten endgültig von einer radikalen Underground-Band zu einem Unterhaltungsunternehmen für ein Mainstream-Eventpublikum, fallen zusätzlich negativ mit unhörbaren Kollaborationen wie „Lulu“ (2011, mit Lou Reed) auf oder versuchen, ihren ‘80er-Sound zu kopieren. Für mich existiert diese Band seit dem Tourabschluss zum selbstbetitelten Album nicht mehr – und dieser Film hat mich in meiner Haltung bestätigt.