bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Tatort: Das Zittern der Tenöre

Mein lieber Herr Gesangsverein!

„Mit Zigarette im Mund spricht man nicht!“

Genau zwischen der Einführung zweier gegensätzlicher neuer Figuren, nämlich der ersten „Tatort“-Kommissarin Wiegand in „Das Lederherz“ und dem rüpelhaften Ruhrpottler Schimanski in „Duisburg-Ruhrort“, durfte der Lübecker Kriminalhauptkommissar Horst Greve (Erik Schumann, „Himmel ohne Sterne“) in seinem einzigen Fall ermitteln: Dem am 31. Mai 1981 erstausgestrahlten Fall liegt ein Drehbuch des Schriftstellers Hansjörg Martin zugrunde, das auf dessen gleichnamigem Roman fußt. Mit der Regie wurde Hans Dieter Schwarze betraut, der im Jahre 1972 seine erste (von zwei) „Tatort“-Episoden inszeniert hatte: „Der Fall Geisterbahn“, ebenfalls nach einem Drehbuch Martins.

„Schrecklich, diese alten Männer…“

Das (fiktionale) schleswig-holsteinische Örtchen Endwarden: Pensionär Otto Fintzel (Georg Lehn, „Die Brücke“) findet beim Renovieren seines Dachbodens einen Koffer seines Bruders Julius, der den Zweiten Weltkrieg nicht überlebt hat. Julius war überzeugter Nazi, wie auch so viele aus Ottos Freundeskreis, mit denen er sich regelmäßig im Männergesangsverein Germania zum Singen und anschließendem Umtrunk trifft. Diese sind allesamt gut in der Bundesrepublik angekommen, denken aber gern an die alten Zeiten zurück. Der unbekannte Kofferinhalt jedoch macht sie nervös. Sie fürchten, dass er belastendes Material über sie enthalten könnte: Dokumentiert er persönliche Mitschuld? Oder wie man vom Genozid an den Jüdinnen und Juden persönlich profitierte? Einem etwas jüngeren Vereinsmitglied käme das eigentlich ganz gelegen… Als beim heimlichen Versuch, an den Koffer zu gelangen, der Wirt Klaus Möhlmann (Heinz Schimmelpfennig, „Tatort“-Kommissar Gerber) tödlich auf der Treppe stürzt, ruft dies Kommissar Greve auf den Plan.

„Könnt ihr nicht endlich mal die alten Zeiten in Ruhe lassen?“

Nach Fintzels schicksalhaftem Kofferfund lernen wir Lehrer Rainer Buchholz (Paul Edwin Roth, „Die Gentlemen bitten zur Kasse“) kennen. Dieser soll befördert werden, was mit einer saftigen Gehaltserhöhung verbunden ist. Ein Haus wolle er sich und seiner Frau (Eva-Ingeborg Scholz, „Der Verlorene“) nun endlich bauen. Seinen als Punkband probenden Schülern hört er eher mit Grausen zu. Das ist jedoch nichts gegen den Kofferfund, aufgrund dessen er um seine Beförderung fürchtet. Was, wenn dadurch seine Vergangenheit als linientreuem NS-Dichter an die Öffentlichkeit kommt? Dabei verkennt er, dass zumindest ein Mitglied jener Punkband (übrigens gespielt von den echten HH-Punks „Copslayers“) längst Bescheid weiß und seinen Drummer (Zacharias Preen, „Rivalen der Rennbahn“) einweiht, vollkommen unabhängig vom Koffer. Der ein „Jaws“-Shirt tragende Drummer macht sich daraufhin einen Spaß daraus, Buchholz mit anonymen Schreiben zu provozieren, was diesen zusätzlich verunsichert.

„Dass ihr nicht erwachsen werden könnt!“

Zusammen mit Fintzel und Buchholz (bizarr: Seine Frau und er schlafen im selben Zimmer, aber in getrennten Betten) wird eine Vielzahl an Figuren eingeführt, die sich schließlich zum gemeinsamen Singen und Feiern versammeln. Gefeiert wird traditionell in der von Klaus Möhlmann betriebenen Gaststätte. Möhlmann belästigt seine wesentlich jüngere Angestellte gern sexuell, seine Frau (Renate Grosser, „Das Schlangenei“) gibt natürlich ihr daran die Schuld. In schneelosem Winterambiente wird so nach und nach ein Milieu skizziert, in dem nach außen hin eine gut- bzw. kleinbürgerliche Fassade aufrechterhalten wird, hinter der aber eine verdrängte, unbewältigte Vergangenheit lauert, die im betrunkenen Zustand beim Schmettern der alten Lieder kultiviert wird, nun aber ganz nüchtern zur Gefahr zu werden droht. Beim Johlen der Kameradenlieder ist man stolz auf die Vergangenheit; sind jedoch persönliche Nachteile zu befürchten, schämt man sich ihrer. Der „Tatort“ zeichnet damit ein sicherlich nicht unrealistisches Generationenporträt der damaligen Zeit. Und dafür nimmt sich die Regie selbige; als Möhlmann schwerverletzt wird und im Krankenhaus stirbt, ist bereits über die Hälfte der Laufzeit vergangen. Die Polizei kommt erst nach 50 Minuten ins Spiel, Kommissar Greve gar erst nach 58.

„Der singt wie ‘ne Gießkanne.“

Greve tritt inkognito auf und versucht, in den Gesangsverein aufgenommen zu werden, um so an die Männer und die Wahrheit heranzukommen. Dies klappt zwar nicht, dennoch gerät er in den Nebenkriegsschauplatz um Hermann Kroll junior (Udo Thomer, „Buddenbrooks“), der eigens nach Hamburg reist, um einen Ganoven (Michael Grimm, „Im Auftrag des Drachen“) zu rekrutieren, wodurch einige schöne Bilder St. Paulis (und Arcade-Spielautomaten in Großaufnahme) in diesen „Tatort“ finden. Dass sich der Koffer als klassischer MacGuffin, also einen für die Handlung zentralen Gegenstand, der letztlich aber irrelevant ist, entpuppt, ist eine schöne Ironie. Was den Dreck angeht, den die graumelierten Herren am Stecken haben, bleibt indes vieles nebulös. So wird der Eindruck erweckt, Buchholz‘ einzige Leiche im Keller sei seine NS-Dichterei. In der Romanvorlage jedoch soll er ein Kriegsverbrecher gewesen sein, der Menschenleben auf dem Gewissen hat. So ist „Das Zittern der Tenöre“ mit seinem langen, geheimnisumwitterten Vorlauf, der marginalen Polizeiarbeit und der Abstinenz von Mord und Totschlag mehr eine Milieustudie als ein Spannungskrimi, wenn auch eine, die Rückschlüsse auf die bundesdeutsche Gesellschaft zulässt.

Das würde man dramaturgisch heutzutage sicherlich ganz anders lösen, funktioniert trotz seiner Betulichkeit aber gerade aufgrund seiner Andersartigkeit. Dies liegt sowohl am namhaften Schauspielensemble als auch an der musikalischen Untermalung Peter Janssens‘, einem Sacropop-Musiker, der ungewöhnliche, das Gezeigte aber harmonisch begleitende Klänge erzeugt (und in einer Nebenrolle auch vor die Kamera tritt). Für ein subkulturell Interessiertes Publikum ist auch der Auftritt der Kidpunks Copslayers interessant, deren Drummer Zacharias Preen der Schauspielerei bis heute treu blieb.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Jung in den 80ern – Dauerwelle, Punks und Friedensträume

„Protest ist damals unser zweiter Vorname.“

Gegen Ende der 2010er-Dekade wurde die Dokumentarfilm-Autorin und -Regisseurin Melanie Didier vom WDR vielfach mit der Entwicklung von zurückliegende Dekaden boulevardesk aufarbeitenden Infotainment-Filmen betraut, beginnend mit „Kassettenkinder – Unsere Kindheit in den 80ern“ im Jahre 2018. Es folgten der sich einem bestimmten nationalen Musikphänomen jener Zeit widmende „Neue Deutsche Welle – Revolte, Spaß und Da-Da-Da“, „Jung in den 90ern – Gameboy, Girlies, Glücksgefühle“, „Jung in den 70ern – Schlaghose, Freiheitsdrang & Discofieber“, „Jung in den 60ern – Rebellen, Beat und Minirock“ und „Jung in den 2000ern – Sommermärchen, SMS und Castingträume“. Zwischen den Genannten war – man ahnt es – noch Raum für „Jung in den 80ern – Dauerwelle, Punks und Friedensträume“, der fast wie eine Replik auf den nicht von Didier, sondern Marion Försching umgesetzten Quasi-Nachfolger zu Didiers „Unsere Kindheit in den 80ern“-Film, „Generation Walkman – Unsere Jugend in den 80ern“, wirkt, sich inhaltlich aber trotz einiger Überschneidungen unterscheidet.

Diesem Film liegt das gleiche Konzept zugrunde wie den o.g. artverwandten Dokus, was bedeutet: Eine sympathisch klingende Off-Sprecherin (in diesem Falle Franziska Knost) führt aus vornehmlich bundesdeutscher Perspektive durch ein buntes Potpourri historischer, den jeweiligen Teilaspekt illustrierender TV-Ausschnitte, die von diversen Promis vor der Kamera kommentiert und mitunter um eigene Erfahrungen und Anekdoten ergänzt werden. Bei diesen handelt es sich um Schauspielerin und Moderatorin Elena Uhlig, MTV-Moderatorin Anastasia, die Journalisten Anna Planken und Sven Lorig, den ehemaligen „Bravo“-Chefredakteur Alex Gernandt und den Schriftsteller Frank Goosen. Seinen Schwerpunkt legt dieser Film auf Jugendkultur von Mainstream über Populär- bis Subkultur.

Die in den Rund eineinhalb Stunden angerissenen Themen sind:
  • Freaks
  • Sandra
  • Großraumdiskotheken
  • Frisuren, im Speziellen: Dauerwellen
  • Kleidung
  • Madonna und Madonna-Doubles
  • „Miss Germany“-Wahl in einer Diskothek, die Gewinnerin damals und heute
  • Die Friedensbewegung
  • Popper (natürlich mit Bildern aus dem Dokumentarfilm „Randale und Liebe“)
  • Punks versus Popper 1980
  • Punks im und am Ratinger Hof in Düsseldorf
  • Punk und Kanzlerkandidat Karl Nagel damals und heute
  • Punk in Wuppertal
  • Die Öko-Bewegung und die Grünen
  • Hausbesetzer(innen) und die Band Bap als Sprachrohr der Kölner Besetzer
  • Die Michael-Jackson-Manie
  • Die Musiksendung „Formel Eins“
  • Bravo und die gute Aufklärung auch zu schwierigen Themen wie HIV/Aids
  • New Wave und Extrabreit, deren Sänger Kai Havaii damals und heute
  • Der Walkman
  • Skateboards und Unternehmer Titus Dittmann, damals und heute (als mittlerweile 70-Jähriger)
  • Die Öffnung der Berliner Mauer
Das ergibt eine unterhaltsame Mischung, die natürlich recht oberflächlich bleibt, aber zumindest einen ganz groben Überblick vermittelt und durch die Verwendung des historischen Fernsehmaterials und die damit verbundenen authentischen Bilder multimediale Belege liefert, auf die man sich abseits der Kommentierungen auch einen eigenen Reim machen kann. Einige Bilder kennt man indes schon aus ähnlichen Dokus (erinnert sei bspw. an Heiko Schäfers „Die Verrückten 80er – Das Lieblingsjahrzehnt der Deutschen“, eine WDR-Produktion aus dem Jahre 2016). Zu begrüßen ist die Idee, einige Protagonistinnen und Protagonisten speziell für diesen Film in der Gegenwart noch einmal vor die Kamera zu holen, was einen echten Mehrwert darstellt. Neben den bereits in der Aufzählung aufgeführten darf auch Friedens- und Frauenaktivistin Eva Quistorp ihre alten Bilder kommentieren. Fehlbesetzt wirkt hingegen Elena Uhlig, die nicht verstanden hat, worum es bei Hausbesetzungen überhaupt geht und hier generell ein wenig einfältig wirkt. Prädestiniert etwas über die Jugend in den 1980ern zu erzählen, ist hingegen natürlich Alex Gernandt, der nicht nur die von ihrer Aufklärungsarbeit abgesehen fragwürdige Teenie-Postille „Bravo“ eine ganze Weile leitete, sondern auch einen persönlichen subkulturellen Hintergrund vorweisen kann. Besonders sympathisch wirkt einmal mehr Frank Goosen, auch die anderen Kommentarinnen und Kommentatoren geben sich kaum eine Blöße.

Inhaltlich allerdings fährt Didier etwas sehr auf der Wohlfühlschiene, der Grundton ist ein fröhlich nostalgischer und soll es offenbar den überwiegenden Teil der Laufzeit auch bleiben. Jugend- und Straßengang-Gewalt spielt da kaum eine Rolle. HIV und Aids werden immerhin angesprochen, die Atomkraft durch die Öko-Bewegung indirekt auch, der Super-GAU in Tschernobyl aber bleibt ausgespart. Zu kurz kamen mir auch andere Jugendsendungen (als nur „Formel Eins“) und der private Rundfunk (ab 1984) sowie der Siegeszeug des Heavy Metal unter etlichen Jugendlichen gerade in den ‘80ern (Punk wirkt dagegen fast ein wenig überrepräsentiert). Das Rebellentum und die Anything-goes-Attitüde der ersten postmodernen Generation schafft es dieser Film aber tatsächlich zu vermitteln, was einen großen Teil seines Reizes, vor allem aber der ‘80er-Jugendkultur ausmacht.

Ob wohl die Vielzahl an ‘80er-Rückblicken auch einmal Bestandteil von Dokumentation über die 2010er-Jahre sein wird…?
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Die Simpsons [Staffel 2]

„¡Ay, caramba!“

Die zweite Staffel der legendären, sowohl für ein jugendliches als auch ein erwachsenes Publikum konzipierten US-amerikanischen Zeichentrickserie „Die Simpsons“ umfasst statt lediglich 13 wie in Staffel 1 nun satte 22 Episoden und markiert den Übergang vom ‘80er- ins ‘90er-Dezenium. Im Original von Oktober 1990 bis Juli 1991 erstausgestrahlt, ging sie hierzulande von der auf Dezember 1991 datierenden ersten Episode abgesehen erst in der zweiten Hälfte des Jahres 1992 über den Äther, damals noch im ZDF. Der Vorspann war aber jetzt der klassische, nachdem eine Szene abgeändert wurde; die feinen Variationen pro Episode wurden beibehalten. Die Haarfarben aller Nebenfiguren dürften nun ebenfalls stimmen, die deutsche Synchronisation nimmt sich in Sachen übertriebener Eindeutschungen zurück und Apu hat einen Synchronsprecher erhalten, der ihn mit seinem charakteristischen indischen Akzent spricht. Auffallend ist auch die massiv gestiegene Anzahl populärkultureller Referenzen.

„Ich glaube, er ist geistig etwas unterbelichtet…“

Bereits die erste Episode „Der Musterschüler“ geht diesbezüglich mit Arcade-Game-, King-Kong- und Tom-&-Jerry-Parodien in die Vollen. Bürgermeister Quimby und die Radiomoderatoren Bill und Marty tauchen hier erstmals auf – und Bart wird am Ende gerade noch so in die nächste Klassenstufe versetzt. In „Karriere mit Köpfchen“ schlägt bei Homer ein neues Haarwuchsmittel an, wodurch er beruflich aufsteigt. Mit seinem Lauf durch Springfield wird auf den Filmklassiker „Ist das Leben nicht schön?“ angespielt. Bei Episode 3, „Horror frei Haus“, handelt es sich um das erste Halloween-Special, das voller Anspielungen auf Horrorfilme und Schauerliteratur steckt. So persifliert die erste von Bart im Baumhaus erzählte Geschichte diverse Haunted-House-Storys. In der zweiten geht’s um Entführungen durch Außerirdische, erstmals tauchen die typischen Simpsons-Aliens auf. Und als Lisa Poes „Der Rabe vorliest“, wird eine richtiggehende Literaturgeschichtsstunde daraus.

Die vierte Episode, „Frische Fische mit drei Augen“, gerät zu einer Persiflage auf US-Gouverneurs-Wahlkämpfe (und referenziert auf „Citizen Kane“). Als Homer in Episode 5 zum Sportmaskottchen wird, zieht man nach Capital City um. In der sechsten Folge „Der Wettkampf“ gibt es ein Wiedersehen mit Ned Flanders, dem frommen Nachbarn der Simpsons. Stellvertretend für Homer versus Ned soll Bart unbedingt gegen Flanders-Sprössling Todd im Minigolf gewinnen. Auch hier gibt es mehrere schöne Filmanspielungen und Zitate zu entdecken.

Episode 7, „Bart bleibt hart“, spielt an Thanksgiving und beschwört einen Geschwisterkonflikt zwischen Lisa und Bart herauf, der erläutert, verarbeitet und schließlich gelöst wird. Erstmals sind die Radiomoderatoren Marty und Bill nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen. „Der Teufelssprung“, die achte Episode, arbeitet Gemeinsamkeiten zwischen Homer und Bart heraus, thematisiert Wrestling, Monster-Truck-Shows und die Faszination, die von derartigen Veranstaltungen ausgeht – auch aufgrund ihrer medialen Vermittlung und Promotion. Als Bart schließlich Evel Knievel auf seinem Skateboard nacheifern will, gerät diese Folge ein Stück weit zu einer Hommage an jenen legendären Stuntman. Und ich erinnere mich, dass dies die erste Episode dieser Staffel gewesen sein dürfte, die ich seinerzeit im Zuge ihrer Erstausstrahlung gesehen habe.

„Das Fernsehen ist an allem schuld“ verhandelt den Einfluss gewalttätiger Cartoons auf die Kinder, natürlich am Beispiel Itchys & Scratchys. Daraus entsteht eine auf mehreren Ebenen angelegte, geniale Satire, die sowohl die Medien als auch bürgerliche Proteste aufs Korn nimmt. Eine der bis hierhin besten „Die Simpsons“-Episoden, die nur bedingt an Aktualität eingebüßt hat. Als ich die Episode im Sommer 2023 sah, war es nicht lange her, dass in den USA tatsächlich Michelangelos David gecancelt wurde. Schön auch die „Psycho“-Mordszenenparodie dieser an Referenzen nicht armen Folge.

In „Bart kommt unter die Räder“ erleidet Bart eine Nahtoderfahrung, nachdem er von Mr. Burns angefahren wurde. Es kommt zu einem Duell zwischen Mr. Burns, stellvertretend für die Reich-und-mächtig-Fraktion, und einem Winkeladvokaten, bei dem es nicht mehr um Barts Gesundheit geht, sondern nur noch um Geld. Die Serie ist mit ihren jüngsten Episoden ziemlich bissig geworden, diese zehnte Folge endet dennoch sehr romantisch.

„Ich bin ein politischer Häftling!“

„Die 24-Stunden-Frist“ ist diejenige, die Homer nach einer Kugelfischvergiftung noch bleibt. Humoristisch bis tragikomisch setzt man sich damit auseinander, was man täte, wenn man wüsste, dass man nur noch einen Tag zu leben hat. Rückblenden in die Kennenlernphase Marges und Homers bietet Episode 12, „Wie alles begann“. Marge war eine Feministin, Homer und Barney waren bereits miteinander befreundet. Als sie gemeinsam nachsitzen mussten, stieß Marge dazu. Obwohl Homer bereits damals ein Vollpfosten war, ging alles „gut“ und, ja: einmal mehr romantisch aus.

„Es ist so komisch, weil es wahr ist!“

Moralische Fragen im Kleinen wirft „Das achte Gebot“ auf, die zunächst 1.200 v. Chr. während der Verkündung der Zehn Gebote spielt. In der Gegenwart lässt sich Homer schwarz ans Kabelfernsehnetz anschließen… Damit wird gut die reale Kabel-Aufbruchsstimmung und -Begeisterung dokumentiert und wie bereitwillig mancher Fernsehjunkie sich sogar Dauerwerbesendungen ansah – wenngleich mir die Serie damit ein wenig spät dran gewesen zu sein scheint. Nebenbei wird auch die Kirche aufs Korn genommen und Lisa gerät zur nervtötenden Moralistin.

„Nicht dass du vor deinen Freunden damit angibst!“

„Der Heiratskandidat“ stellt Rektor Skinner in den Mittelpunkt, der hier mit Marges Schwester Selma verkuppelt werden soll. Erzählt wird die Geschichte einer abseitigen Romanze, urkomisch und voller Irrungen. Der superbrutale Auftakt von „Ein Bruder für Homer“ entpuppt sich als Actionfilm im Kino, doch Opa Simpsons Herzanfall ist real. Er eröffnet Homer, einen Halbbruder zu haben, den er einst mit einer Prostituierten gezeugt habe. Homer sucht ihn und macht ihn in Detroit ausfindig. Der entpuppt sich als stinkreicher Inhaber eines Automobilkonzerns, der Homer als Fahrzeugkonstrukteur anstellt. Daraufhin muss er sein Geschäft aufgeben…

„Sein Leben war ein einziger Aufstieg – bis er dahinterkam, dass er ein Simpson ist.“

In Episode 16, „Betragen mangelhaft“, dreht sich alles um Familienhund Knecht Ruprecht. Nachdem er Homers sündhaft teure Turnschuhe zerfetzt hat, muss er in die Hundeschule. Dabei wird vieles aus der Hundeperspektive gezeigt, das ist sehr schön gemacht. Lisa bleibt mit Mumps zu Hause, während Bart verzweifelt versucht, dem Hund Benehmen beizubringen. Eine ans Herz gehende Folge über Haustierliebe, Verantwortungsbewusstsein und Loyalität – sowie dumme Hunde.

„Die Erbschaft“ erhält Opa Simpsons, nachdem er sich in Bea verliebt hatte und mit ihr zusammenkam – und sie verstarb, als Homer ihn zwang, wie an jedem dritten Sonntag im Monat etwas gemeinsam zu unternehmen, obwohl er eigentlich zu ihrem Geburtstag mit Bea verabredet war. Daraus resultiert ein Zerwürfnis mit Homer, aber auch eine schöne Stange Geld, woraufhin die Frage diskutiert wird, was man am besten mit plötzlichem Reichtum anstellt.

„Wiege ich vielleicht ein klein wenig zu viel?“

Ein spaßiger Besuch in einem Mega-Vergnügungsschwimmbad endet in „Marges Meisterwerk“ für Homer hochnotpeinlich. Er muss sich daraufhin eingestehen, zu dick zu sein, und fasst den Entschluss, abzunehmen. In einer Parallelhandlung zeigen Rückblenden, wie ein ignoranter Zeichenlehrer die talentierte Marge in jungen Jahren demotivierte. Nun greift sie dieses Hobby wieder auf – und soll ausgerechnet Mr. Burns porträtieren, der bisher jedes seiner Porträts furchtbar fand. Dieser Geschichte lässt sich entnehmen, dass Schönheit im Auge des Betrachters liegt – und Rutschen eine Gefahr für zu wohlbeleibte Menschen darstellen. Einen Gastauftritt hat Ringo Starr, der all seine Fanpost persönlich beantwortet – auch wenn es ob der schieren Masse schon mal Jahrzehnte dauert.

„Das ist eben die Tragik der Mittelklasse…“

Ganz um die Schule dreht sich Episode 19, „Der Aushilfslehrer“: Lisa bekommt in Mr. Bergstrom einen supercoolen Vertretungslehrer, in den sie sich verliebt, während Bart sich zur Klassensprecherwahl aufstellen lässt. Ersteres ist natürlich nicht frei von Tragik und verarbeitet auf durchaus respektvolle Weise die Gefühlswelt ganz junger Mädchen, die für einen Lehrkörper zu schwärmen beginnen, während letzteres eben diesen ernstzunehmenderen Aspekt der Episode konterkariert und anhand jungenhaft-infantilen Wettbewerbs- und Wahlkampfgetöses ähnliches Verhalten Erwachsener persifliert.

Einen Staffelhöhepunkt bildet „Kampf dem Ehekrieg“, als Marge und Homer eine Hausparty geben, auf der Homer sich betrinkt. Daraufhin hängt der Haussegen schief, was in eine Ehetherapie bei Reverend Lovejoy mündet. Homer spielt „Der alte Mann und das Meer“ nach, seine Ehe scheint zerrüttet, und doch, auch hier: ein Happy End. „Drei Freunde und ein Comic-Heft“ (Episode 21) – kann das gutgehen? Zunächst einmal befinden sich Bart und Lisa auf einer Comicmesse, „Casper, der freundliche Geist“ und „Richie Rich“ bekommen einen mit und Superhelden-Comics sowie Comichändler und -sammler werden mittels des fiktionalen „Radioactive Man“ und den Kult um ihn durch den Kakao gezogen. Vor allem aber geht es um ein teures Uralt-Heftchen, dessen Erwerb sich Bart, Milhouse und Martin teilen. Eine jüngere Zuschauerschaft dürfte aus dieser köstlichen Folge mitnehmen, dass es schwierig sein kann, zu teilen, es letztlich aber besser ist, es zu können und zu tun.

Der Staffelabschluss „Der Lebensretter“ eröffnet mit Pseudosicherheitshinweisen für den Fall von Störfällen im Atomkraftwerk, um die Bevölkerung Springfields in Sicherheit zu wiegen. Mr. Burns kann jedoch nicht teilnehmen, denn er ist krank und benötigt eine Bluttransfusion. Ein Spender ist aber schwer zu finden, denn er hat eine seltene Blutgruppe – die er ausgerechnet mit Bart teilt… Bei diesem bedankt sich Burns nach erfolgter Lebensrettung lediglich mit einer Postkarte. Eine Folge über Dankbarkeit und Erwartungshaltungen, die aber auch dazu dient, Mr. Burns – und Homer! – weiter zu charakterisieren.

Die zweite Staffel arbeitet neben ihren popkulturellen Referenzen auch immer mal wieder mit historischen Anspielungen und bildet eine interessante Evolutionsstufe: Sie geht noch nicht so hart mit Homer ins Gericht wie spätere Staffeln. In seiner Einfalt wirkt er oft eher sympathisch, zumindest entwickelt man einiges Verständnis für ihn. Daran, dass er ein eigentlich liebender Familienvater ist, wird kaum ein Zweifel gelassen, alle Marge und ihn angehenden Handlungsstränge enden harmonisch und romantisch. Gesellschaftliche Themen betreffend wird die Serie jedoch ab der neunten Episode angriffslustiger und satirischer, was sich im Laufe der weiteren Staffeln verstärken wird. Auch wenn die eine oder andere finale Pointe hier noch nicht der ganz große Wurf ist, ist der Humor gerade wegen seines Abwechslungsreichtums, seinem Changieren zwischen charmanter SitCom, Slapstick, Karikatur, Parodie und Satire, sehr einladend und einnehmend. Kaum verwunderlich also, dass Groening und seine Simpsons die Erfolgsleiter weiter hochkletterten und zum festen Bestandteil der Popkultur der 1990er Jahre avancierten.
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Tatort: Im Fadenkreuz

Bavaria, der Lenz ist da!

„Wozu denn das ganze Theater?!“

Nach Gustl Bayrhammers Ausstieg aus dem Münchner „Tatort“-Zweig wurde der damals aufstrebende Schauspieler Helmut Fischer zu dessen Nachfolger als Kriminalhauptkommissar befördert, sprich: der bisherige Hauptmeister Lenz beerbte seinen ehemaligen Chef Veigl. Sieben Monate nach Veigls noch im Jahre 1980 gedrehten Abschied debütierte Fischer respektive Lenz in seiner neuen Rolle: „Im Fadenkreuz“ wurde am 15. November 1981 erstausgestrahlt. Da die Dreharbeiten im Mai und Juni 1981 stattfanden, handelt es sich um den ersten echten Münchner „Tatort“ der ‘80er-Dekade. Der erfahrene Kino- und Fernsehregisseur Thomas Engel („Meine Tochter und ich“) inszenierte hiermit seine erste von zwei Episoden der öffentlich-rechtlichen Krimireihe, das Drehbuch stammte von Peter Hemmer.

„Ein Beckenbauer isser nicht, der Rummenigge!“

Der flüchtige Verbrecher Theo Scholz (Ralph Schicha, „Loft – Die neue Saat der Gewalt“) entzieht sich einer Personenkontrolle in einem Münchner Wirtshaus, flieht erst auf den Bahnhof und setzt seine Flucht per Taxi fort, indem er den Fahrer mit vorgehaltener Waffe bedroht. Kollegen des Fahrers sowie eine Polizeistreife verfolgen ihn. Nachdem er gestellt wurde und zu Fuß weiterfliehen will, wird er von einem Polizisten angeschossen. Schwerverletzt wird er ins Krankenhaus eingeliefert. Im Bahnhof hatte Scholz jedoch einen Schließfachschlüssel fallenlassen und versteckt, hinter dem nun andere her sind. Gefunden und verwendet wurde der Schlüssel von einem wiederum gänzlich unbedarften Bahnhofsbesucher, was die Sache für keine der Parteien einfacher macht – auch nicht für den frischgebackenen Kriminalhauptkommissar Ludwig Lenz, der zunächst völlig im Dunkeln tappt, bald aber auch einen handfesten Mord aufzuklären hat…

„Taxifahrer leben gefährlich!“

Lenz‘ erster Fall in voller Verantwortung beginnt rasant, nämlich mit einer (ansprechend gefilmten) Taxiverfolgungsjagd durch München mit anschließendem Schusswaffeneinsatz. Eine Unterredung Lenz‘ mit Kriminalrat Schubert (Rolf Castell) unterstützt die Einführung dieser neuen Hauptkommissarsfigur, die kurz darauf mit einem Mord konfrontiert wird: Derjenige Taxifahrer, den Delinquent Scholz zu seiner Fluchtfahrt gezwungen hatte, wird brutal ermordet in seinem Taxi aufgefunden. Der Wissensvorsprung des Fernsehpublikums, das bereits vom Schließfachschlüssel weiß, wird durch einen Perspektivwechsel zu Scholz‘ Rechtsanwalt Overdiek (Peter Fricke, „Nathan der Weise“) ausgebaut: Dieser wird nämlich erpresst, weshalb er fieberhaft versucht, von seinem schwerverletzten Klienten im Krankenhaus in den derzeitigen Ort des Schließfachschlüssels in Erfahrung zu bringen und sich schließlich Lenz anvertraut. Daraus entwickelt die Narration ein ungleiches, sich gegenseitig skeptisch gegenüberstehendes Duo, das sich jedoch zusammenzuarbeiten gezwungen sieht. Die Differenzen, die man berufsbedingt hat, werden an- und ausgesprochen.

Daraus resultiert viel mitunter etwas dröge Polizeiarbeit, die sich ungefähr ab der Hälfte der Laufzeit dahingehend verdichtet, dass Spannung durch die konkrete Suche nach der Diebes- und Erpresserbande erzeugt wird. Und um diese interessanter zu gestalten, arbeitet Lenz – der besondere Kniff dieses „Tatorts“ – inkognito als Taxifahrer. Ein riskantes Unterfangen, denn dadurch gerät er zwar direkt an die Kriminellen, damit aber auch in unmittelbare Gefahr. Diese wird im Finale auf die Spitze getrieben, was „Im Fadenkreuz“ jedoch nicht daran hindert, über weite Strecken eher unspektakulär, dazu etwas zäh, geschwätzig und leicht überkonstruiert zu sein. Dabei unterschreitet er jedoch nie ein gewisses inhaltliches wie dramaturgisches Niveau, sondern bleibt solide und gewinnt mit bayrischer Biergarten-Lebensart und Gemütlichkeit in schönen sommerlichen Bildern die Gunst zumindest desjenigen Teils der Zuschauerschaft, der sich darin wiederfindet oder zumindest dafür empfänglich zeigt. Auch der nachdenkliche, kritische Fragen aufwerfende Epilog gefällt.

Helmut Fischer macht sich hier gut in seiner Rolle, kann sich profilieren, wenn auch seinen Charme noch nicht ganz ausspielen. An seiner Seite befindet sich weiterhin Willy Harlander als Kriminalobermeister Brettschneider, neu im Bunde ist Henner Quest („Der Brandner Kaspar“) als Kriminalassistent Faltermayer. Nicht zuletzt zählt „Im Fadenkreuz“ zu den ersten 1981 ausgestrahlten „Tatort“-Episoden, die auch wirklich nach den 1980ern aussehen: Die letzten ‘70er-Frisuren waren dem Friseur oder der Friseurin zum Opfer gefallen, das Filmmaterial offenbar gegen schöne, satte, bunte Farben transportierendes Band ausgetauscht und die miefige zweite Hälfte der ‘70er zugunsten einer Zuversicht in ein neues, abenteuerreiches (und abenteuerliches…) Jahrzehnt verabschiedet worden.
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Barbie

Aus der Produktionshölle ins Barbieland

“I'm not pretty anymore!“

Spielzeugverfilmungen stehen seit geraumer Zeit hoch im Kurs, ob Lego, Transformers oder Super Mario Bros. US-Spielzeughersteller Mattel wollte da mitmischen und sein Barbie-Franchise um einen Realfilm erweitern – wohl auch, um das ramponierte Image seines Produkts, dieses magersüchtigen Püppchens in unmenschlichen Proportionen, aufzuwerten. Aus dem bereits seit 2009 geplanten Projekt wurde jedoch lange Jahre nichts, sämtliche Ansätze verliefen im Sande. Ab 2019 aber wurde es interessant: Margot Robbie („Birds of Prey: The Emancipation of Harley Quinn“) sollte die Hauptrolle spielen, die feministische Indie-Regisseurin Greta Gerwig („Lady Bird“) zusammen mit Ihrem Lebensgefährten Noah Baumbach („Frances Ha“) das Drehbuch verfassen und schließlich sogar die Regie des Films übernehmen, der letztlich von Robbies Produktionsfirma LuckyChap Entertainment produziert wurde – in Koproduktion mit Mattel und HeyDay Films. Gerwig und Barbie – wie sollte das zusammenpassen? Gerwig und Robbie – klingt das nicht nach einem Dreamteam für ein feministischem Kino offen gegenüberstehenden Publikum? Diese Entwicklung machte neugierig und mündete in eine komödiantische Satire, die im Sommer 2023 mit viel Marketing-Tamtam in die Kinos kam und zu einem Kassenknüller wurde.

Barbie: “I do not have a vagina and he does not have a penis. We have no genitals.” / Ken: ”I have all the genitals!”

Im Barbieland heißen alle Girls Barbie: Die stereotype Barbie (Margot Robbie) ebenso wie all die anderen Barbies (u.a. Issa Rae, Hari Nef, Alexandra Shipp) in ihren hochdotierten Berufen, und jeder Tag hält den identischen Ablauf für seine Bewohnerinnen bereit. Alles ist kunterbunt bei dominierenden rosafarbenen Pastelltönen, aus der Dusche braucht ebenso wenig Wasser zu kommen – schließlich gibt es hier keinen Schmutz – wie Kaffee aus der Tasse – hier braucht niemand Koffein. Es herrscht die totale Harmonie, Konflikte sind ein Fremdwort und jeder Tag endet mit einer Feier in Barbies Traumhaus. Zu diesem haben weder Beach-Ken (Ryan Gosling, „Blade Runner 2049“) noch die anderen Kens (u.a. Kingsley Ben-Adir, Simu Liu, John Cena) zutritt, sie sind lediglich schmückendes Beiwerk für die Barbies, die sich selbst genug sind. Sexualität und Liebe? Fehlanzeige. Eines seltsamen Tages ändert sich jedoch alles für die stereotype Barbie: Sie wird von Todesgedanken geplagt und, viel schlimmer noch: ihre Fersen berühren den Boden, sobald sie ihre Stöckelschuhe auszieht! Etwas derart Abnormes kennt man hier nicht. Um in Erfahrung zu bringen, was mit ihr nicht stimmt, sucht sie die „komische Barbie“ (Kate McKinnon, „Bombshell – Das Ende des Schweigens“) auf. Diese erklärt ihr, dass die psychische Verfassung einer ihrer Besitzerinnen in der Menschenwelt einen Riss im Raum-Zeit-Kontinuum verursacht habe, durch das sie zu eben jener reisen müsse, um die Dinge wieder in Ordnung zu bringen. Dumm nur, dass Ken dies zum Anlass nimmt, seinen Strand zu verlassen und sich in Barbies Cabrio zu verstecken, um bei ihr sein zu können – und dass die Realität kein harmoniefaschistisches Matriarchat wie Barbieland ist, sondern vielmehr vom Patriarchat bestimmt wird, dessen Konzept bei Ken auf fruchtbaren Boden fällt, während Barbie den Mattel-Chef (Will Ferrell, „Buddy – Der Weihnachtself“) aufsucht…

Ken: „Hi, Barbie!“ / Barbie: „Hi, Ken!“ / Barbie: „Hi, Barbie!“ / Barbie: „Hi, Barbie!“ / Barbie: „Hi, Barbie!“ / Barbie: „Hi, Barbie!“ / Barbie: „Hi, Barbie!“ / Ken: „Hi, Barbie!“ / Barbie: „Hi, Ken!“ / Ken: „Hi, Ken.“

Der Prolog bemüht Kubricks legendäre Eröffnungssequenz aus „2001: A Space Odyssee“, nur eben mit, nun ja, Puppen, und vermittelt, Barbie sei die erste Nichtbabypuppe gewesen – anscheinend war sie zumindest die erste in den USA massenproduzierte, damals, 1959, interessanterweise nach einem deutschen Vorbild. Im herrlich überkitschten, realen Playsets und Spielzeugfiguren nachempfundenen Barbieland wird die absurde Naivität der Barbie-Welt lebendig und sehr anschaulich vorgeführt, mit all ihren einfältigen Barbies und Sonnyboy-Karikaturen namens Ken sowie dem kommerziellen Stumpfsinn, etliche Figuren gleichen Namens in einer unübersichtlichen Zahl an Variationen herauszubringen. Bei einem jüngeren, noch auf die heile Barbie-Welt-Fantasie hereinzufallen oder sie zu idealisieren drohenden Publikum dürfte damit bereits der Groschen fallen, dass es sich bei dieser oberflächlichen, gekünstelten Plastikwelt um etwas keinesfalls Erstrebenswertes handelt. Eine entlarvende, urkomische Dekonstruktion.

“I'm just Ken and I'm enough, and I'm great at doing stuff!”

Doch vermittelt man auch, dass es diejenigen, die mit den Puppen spielen, in der Hand haben, was aus ihnen – den Puppen – wird. Daraus resultiert die „komische Barbie“, deren Normalzustand der Spagat ist und die eine punkige Frisur sowie Gesichtsbemalung trägt, seit ein Kind eine Barbie-Puppe in der realen Welt so hergerichtet hat. Ausgerechnet diese aus der Art schlagende Außenseiterin ist die weiseste in Barbieland. Die Botschaft: Es ist deine ganz persönliche, eigene Fantasie, die du auf die Puppen projizierst – und diese muss keinesfalls sexistischen Klischees entsprechen. Du kannst ganze Welten erschaffen und die Macht liegt bei dir, nicht beim Hersteller.

“Humans have only one ending. Ideas live forever.”

In der realen Welt bedient der Film eine Mischung aus Culture-Clash- und Fish-out-of-Water-Humor, wenn Barbie nicht nur mit der Realität konfrontiert wird, sondern sich von der Heranwachsenden Sasha (Ariana Greenblatt, „Mittendrin und kein Entkommen“) auch noch als Faschistin beschimpfen lassen muss. Dabei glaubt sie, gerade diese Schülerin aufsuchen zu müssen, um den Riss im Raum-Zeit-Kontinuum zu kitten. Als sie Sashas Mutter Gloria (America Ferrera, „Echte Frauen haben Kurven“), eine Mattel-Angestellte, kennenlernt, dämmert es ihr, dass sie es ist, die dafür die Verantwortung trägt. Daraus entwickelt sich ein für Greta Gerwig typischer, sich durch den Film ziehender Handlungsstrang um einen Mutter-Tochter-Konflikt, u.a. aufgeheitert durch Werbespots für Glorias Puppenentwürfe wie die „Depressionsbarbie“. Zu dritt rauft man sich irgendwie zusammen und tritt fortan als Team auf.

Ken: “I thought I might stay over tonight.” / Barbie: “Why?” / Ken: “Because we're girlfriend and boyfriend.” / Barbie: “To do what?” / Ken: “I'm actually not sure…”

Der phallusartig in die Wolken reichende Mattel-Unternehmenssitz ist in seiner Monotonie und faschistoiden Strenge die Antithese zu Barbieland, die Chefetage ausschließlich maskulin besetzt. Der Aufenthalt in der realen Welt wird genutzt, um den Sexismus hinter weiblichen Stereotypen wie jenem durch die Barbies verkörperten und sich gegen Geschlechterungerechtigkeit wendenden Feminismus zu diskutieren, indem man sie direkt aufeinanderprallen lässt. Zu einer Karikatur auf Männlichkeitsklischees gerät Kens Etablierung des Patriarchats in Barbieland, das Barbie zusammen mit menschlicher Unterstützung sowie derjenigen des Macho-immunen Allan (Michael Cera, „Juno“) – als einziger nur einmal in Barbieland vertreten – nun zu bekämpfen versucht. In diesem Zuge wird sie sich irgendwann fragen, ob ein alle Kens ausgrenzendes Barbiearchat tatsächlich der Weisheit letzter Schluss ist.

Der Humor wird bei alldem stets beibehalten, um hitverdächtige Musical-Einlagen angereichert und die Plakativität der Barbie- und Ken-Puppenvorbilder genutzt, um eigentlich heillos überzogene Persiflagen und satirische Spitzen innerhalb dieses Sujets funktionieren zu lassen. Möglicherweise Lizenz- und Geldgeber Mattel ist es geschuldet, dass Barbie-Erfinderin Ruth Handler (Rhea Perlman, „Cheers“) sich erklären darf. Anscheinend wollte diese nämlich nicht die Emanzipation der Frau torpedieren, sondern eine Projektionsfläche für ihre Fantasien schaffen – verdeutlich allein schon durch den eklatanten Unterschied zwischen ihrer und Barbies körperlicher Statur. Weshalb eine utopische Fantasie ein unmöglich zu erreichendes und dadurch falsches körperliches Ideal umfasst, wird jedoch nicht mehr diskutiert. Indem Barbie zu einem Fantasieprodukt erklärt wird, glaubt man vermutlich, dies nicht mehr tun zu müssen.

Möglicherweise braucht man dies auch tatsächlich nicht, wenn es gelingt, eine gleichberechtigte, aufgeklärte Gesellschaft zu gestalten, in der Mädchen wie Jungen und alle außerhalb und dazwischen frei und frohgemut aufwachsen können und sich nicht vom äußeren Erscheinungsbild lebloser Plastikpuppen verunsichern lassen. Auch dies scheint der Film vermitteln zu wollen, der die Selbstironie um eine besondere Art von Fan-Service ergänzt, nämlich wenn man exemplarisch drei kurz nach ihrer Produktion wieder eingestellte, besonders absurde Puppen-Varianten auflaufen lässt (nach denen vermutlich durch diesen Film verstärkt in den Auktionshäusern des World Wide Web gesucht werden wird). Der Abspann implementiert sodann auch zahlreiche Bilder der echten Spielzeugpuppen. Damit dürfte tatsächlich das Kunststück gelungen sein, einen Film für Barbie-Fans und -Hasser zu erschaffen – Respekt vor diesem Spagat.

Sicher, die Mattel-Chefetage wird in ihrem Slapstick etwas zu albern dargestellt, die Mutter-Kind-Szenen zwischen Sasha und Gloria sind mitunter etwas arg gefällig ausgefallen und vor allem das Ende ist reichlich dick aufgetragen, das hätte es in seiner (hier nicht verratenen) Form nicht unbedingt gebraucht. Wie bewusst sich Gerwig und Co. eigener Widersprüche und Klischees waren, bringt eine Szene zum Ausdruck, in der eine Off-Sprecherin einen Kommentar zu Robbies zu großer Attraktivität für eine bestimmte Szene fallenlässt. Als Hauptaussage des Films dürfte aber Glorias Monolog zur Erwartungshaltung der Gesellschaft an die Frauen hängenbleiben. Und als Haupteindruck vermutlich die innerhalb kariesverursachender Kulissen feildrehenden Margot Robbie und Ryan Gosling.

Diese „Barbie“-Verfilmung konterkariert das weltfremde und kindliche Image der Puppen mit einem ganz der Realität verpflichteten inhaltlichen Füllhorn aus Gesellschaftsanalyse, Feminismus-, Sexismus und Patriarchatsdiskussion, zwischenmenschlichen Beziehungen und dem Umgang miteinander, Erwachsenwerden und -sein, Individualität, schönem Schein und Fantasiewelten versus ernüchternder Wirklichkeit innerhalb einer einen quietschvergnügten Wohlfühlfilm antäuschenden, verdammt witzigen Produktion, die trotz allem der Barbiepuppe auch ein Stück weit ihre Unschuld zurückgibt, sie gewissermaßen als Aufhänger nimmt, um den Fokus der anhand ihrer entbrannten Diskussionen auf eigentlich wesentlich relevantere Phänomene zu lenken. Möglich, dass das Mattels Ansinnen und Bedingung war. Aber, ganz ehrlich: Wenn Pink-, Regenbogen- oder Diversity-Washing (oder wie auch immer man dieses Phänomen bezeichnen will), dann gern so!
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Blutige Hochzeit

„Es wird alles furchtbar kompliziert werden…“ – „Ja, ganz furchtbar…“

Der französische Drehbuchautor und Regisseur Claude Chabrol („Der Halunke“) griff Anfang der 1970er den realen französischen Kriminalfall der „teuflischen Liebhaber von Bourganeuf“ auf, um daraus sein im Herbst 1972 gedrehtes Drama „Blutige Hochzeit“ zu stricken. Damit erregte der italienisch koproduzierte Film einiges Aufsehen; aufgrund der Thematisierung von Korruption in der Politik musste die Aufführung auf die Zeit nach dem Parlamentswahlen im Jahre 1973 verschoben werden.

„Je näher der Winter kommt, umso länger werden auch die Nächte sein.“

Lucienne Delamare (Stéphane Audran, „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“) sieht sich in einer höchst unbefriedigenden Ehe mit Paul (Claude Piéplu, „Eine Wolke zwischen den Zähnen“), dem Bürgermeister einer französischen Kleinstadt, gefangen. Für ihn scheint es nur noch die Politik zu geben, die Bedürfnisse seiner Frau scheinen ihn nicht zu interessieren. Sie geht eine Affäre mit dem ebenfalls unglücklichen verheirateten Pierre Maury (Michel Piccoli, „Themroc“) ein, dessen Frau Clotilde (Clotilde Joano, „Z“) an Depressionen leidet und jede Lebenslust verloren hat. Lucienne und Pierre treffen sich heimlich, um ihre Leidenschaft auszuleben. Besonders pikant wird es, als Paul nichtsahnend Pierre zum stellvertretenden Bürgermeister ernennt. Eines Tages entledigt sich Pierre seiner Frau, indem er sie vergiftet und es wie einen Suizid aussehen lässt. Als Paul hinter die Affäre kommt, ist auch er seines Lebens nicht mehr sicher…

Eine Texttafel mit Zitaten aus der griechischen Tragödie „Eumeniden“ stimmt auf den Film ein, der mit hübschen Dorf- und Landschaftsaufnahmen eine Idylle erzeugt, die eigentlich keine ist. Früh installiert Chabrol eine ausgedehnte Rückblende zum Kennenlernen Luciennes und Pierres und dem Verlauf ihrer Beziehung. Die eher gedrückte Stimmung wird aufgelockert, als während einer Ratssitzung zur Sprache kommt, dass irgendjemand ins Museumschloss einsteige. Natürlich handelte es sich dabei um Lucienne und Pierre, um sich dort miteinander zu vergnügen. Pierre partizipiert an dieser Ratssitzung und muss ganz überrascht tun. Jeglicher schelmische Witz weicht jedoch aus diesem Stoff, als Pierre seine lebensmüde Frau umbringt. Ihren Tod zeigt Chabrol nicht, man erfährt davon nur über den Dialog.

Luciennes gescheite Tochter (Eliana De Santis, „Der Mönch und die Frauen“) ahnt etwas, zur größeren Gefahr für die beiden wird jedoch Paul, der nun als typisch „konservativer“ korrupter Politiker charakterisiert wird, der ausgerechnet Pierre ein krummes Geschäft anbietet. Als Paul hinter die Affäre kommt, gibt Lucienne provokativ offen alles zu und steht zu Pierre. Nach einer seltsamen, selbstgerechten „Aussprache“, die Paul anberaumt hatte, geht es nach über zwei Dritteln Laufzeit auch ihm an den Kragen. Das kann man ruhig schreiben, ohne dabei zu spoilern, denn „Blutige Hochzeit“ ist kein Krimi oder gar Thriller. Im Vordergrund steht die von vornherein unter keinem guten Stern stehende Affäre, die mörderische Ausmaße annimmt – und dies in eher verhaltenem Erzähltempo sehr geradlinig und vorhersehbar, ohne Wendung oder doppelten Boden.

Dadurch fehlt es Chabrols Film am Thrill, den der Stoff eigentlich hergegeben hätte. Immerhin wird der zweite Mord in allen Einzelheiten gezeigt und stellt damit die Klimax des Films dar. Auf Erotikszenen oder ähnliches verzichtete Chabrol hingegen ganz. Der Unsympath des Films ist eigentlich Paul, vermutlich wollte Chabrol damit der verkommenen rechtskonservativen Politkaste Frankreichs einen mitgeben. Aber war es wirklich beabsichtigt, auch Lucienne und Pierre derart unsympathisch, kaltschnäuzig und egoistisch zu zeichnen? Dadurch mangelt es der Zuschauerschaft an emotionalen Anknüpfmöglichkeiten. Das Ende stellt dann die richtigen Fragen, die aber unbeantwortet bleiben.

„Blutige Hochzeit“ ist beileibe kein schlechter Film. Er ist in sich durchaus stimmig, zweifelsohne stark besetzt und hat seine starken Momente. Er wirkt aber, als habe Chabrol weniger Interesse an seinen Figuren gehabt als vielmehr daran, parabelhaft etwas über das damalige Frankreich zu erzählen – und darüber die eigentliche Geschichte etwas vernachlässigt.
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Tatort: Tod auf dem Rastplatz

„Des is a Wahnsinn!“

Knapp fünf Monate nach seinem ersten Einsatz als Kriminalhauptkommissar hatte Ludwig Lenz (Helmut Fischer) seinen zweiten Fall in München zu lösen: Der mit nur 62 Minuten ungewöhnlich kurze „Tatort: Tod auf dem Rastplatz“ wurde von Frank Lämmel geschrieben und von Wilm ten Haaf inszeniert, der damit seinen sechsten von insgesamt sieben Beiträgen zur öffentlich-rechtlichen Krimireihe einreichte. Die Dreharbeiten fanden im November und Dezember 1981 statt, die Erstausstrahlung folgte am 12. April 1982.

„Dann droht wohl eine einstweilige Erschießung, was?“

Student Bruno Harkort (Werner Schulze-Erdel, „Tatort: Kein Kinderspiel“) jobbt als Lastwagenfahrer und wird eines Tages auf einem Autobahnrastplatz erschossen. Kommissar Lenz und seine Männer ermitteln unter anderem in Brunos Schwabinger Wohngemeinschaft, die sich zu Teilen aus Aktivisten der Anti-AKW-Bewegung zusammensetzt, der auch Bruno angehörte. Hängt sein Tod damit zusammen? Jedoch war Bruno an seinem Todestag lediglich für seinen Kollegen Werner Latsche (Manfred Lehmann, „Drei Damen vom Grill“) eingesprungen. Galten eigentlich ihm die tödlichen Kugeln? Und wenn ja, warum?

„Der hat a Pistoln!“

Werner Schulze-Erdel tippt auf seiner Schreibmaschine, als, äh, Werner anruft und um den Schichttausch bittet, womit die Zuschauerschaft einen Informationsvorsprung gegenüber der Polizei erhält. Auf dem Rastplatz hört man nur die Schüsse und sieht das Resultat; die Einschüsse werden nicht gezeigt, der Täter schon gar nicht. Die Ermittlungen führen in die WG, bei der es sich um keine Kommune handle, wie die Nachbarin betont. Die Bewohnerinnen und Bewohner seien gerade demonstrieren, auf ihre jungen Leute lasse sie aber nichts kommen, berichtet sie Lenz. Dessen Kollege Brettschneider (Willy Harlander) spricht derweil mit dem Spediteur und erfährt so vom Schichttausch, womit der erwähnte Informationsvorsprung dahin ist. Dabei bleibt es auch bis zum Schluss.

Im weiteren Verlauf erfährt man, dass Bruno und sein Mitbewohner Rolf (Pierre Franckh, „Lausbubengeschichten“) mehr oder weniger militante AKW-Gegner (gewesen) seien, weshalb Lenz & Co. nach einem Gespräch mit WG-Bewohnerin Nina (Gisela Freudenberg, „Berlin Chamissoplatz“) Rolf vorverurteilen. Schließlich habe dieser zuletzt häufig Streit mit Bruno gehabt, es sei um den akzeptablen Grad der Militanz gegangen und Bruno habe aussteigen wollen. Dies reicht der Polizei bereits, wobei das Fernsehpublikum wissen dürfte, dass sich diese auf dem Holzweg befindet – denn da sind ja auch noch Latsche und der Schichttausch. Als Lenz seinen Irrtum endlich bemerkt, kommt er in Wallung und Fischer kann sein schauspielerisches Talent unter Beweis stellen. Diese Entwicklung kulminiert in einen spannenden, aber sehr kurzen Showdown mit tragischer Komponente.

Autor Lämmel griff damit sowohl das Phänomen radikaler werdender politischer Strömungen in der Bundesrepublik als auch den schlechten Leumund junger, progressiv engagierter Menschen auf, der zu Drangsalierung und Vorverurteilung durch die Exekutive führt, die hier – wenn auch relativ sanft – kritisiert wird, und liefert gleich auch einen Grund mit, weshalb man in einem solchen Falle besser nicht mit den Kriminalbeamten reden sollte. Die am Schluss aus einem Fernseher im Hintergrund, aber doch deutlich vernehmbar erklingende Berichterstattung über eine eskalierende Demonstration und in diesem Zuge verletzte Polizisten scheint um Verständnis für die Polizei zu werben, rundet diesen „Tatort“ aber als gelungenes, interessantes Zeitdokument mit sozialem Gewissen ab, dessen knackige Kürze ihm guttut und dessen Besetzung Spaß macht.
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Die Zeit nach Mitternacht

Gibt so Nächte…

„Heute Abend habe ich das Gefühl, dass ich mich wirklich gehen lassen werde!“

Nach seinem an den Kinokassen leider gefloppten „King of Comedy“ übernahm US-Ausnahmeregisseur Martin Scorsese die Regie eines Films, der ursprünglich seinem Kollegen Tim Burton angeboten worden war und auf den ersten Blick so viel leichtfüßiger als Scorseses bisheriges Werk erschien, es aber dennoch durchaus in sich hatte: „Die Zeit nach Mitternacht“ alias „After Hours“ (Originaltitel) aus dem Jahre 1985 entpuppte sich als schwarzhumorige Neo-noir-Großstadtkomödie, angesiedelt in – natürlich – New York.

„Wie wär‘s denn jetzt mit 'nem Joint?“

Paul Hackett (Griffin Dunne, „American Werewolf“) ist Programmierer von Beruf und alleinstehend. Als er eines Abends in einem Diner über seine Henry-Miller-Lektüre die attraktive Marcy Franklin (Patricia Arquette, „Susan… verzweifelt gesucht“) kennenlernt, die aber schon bald nach Soho in ihre Wohngemeinschaft mit der Bildhauerin Kiki Bridges (Linda Fiorentino, „Gotcha! – Ein irrer Trip“) weiterzieht, verguckt er sich in sie und fasst den Entschluss, an ihr dranzubleiben. Er bringt die Telefonnummer der WG in Erfahrung und verabredet sich mit ihr. Dass sein 20-Dollar-Schein aus dem geöffneten Taxifenster weht, soll sich als Vorbote einer Nacht voller unglücklicher Verwicklungen und Probleme erweisen…

„Wo sind die Briefbeschwerer?!“

Neben der blankziehenden Kiki fällt zunächst der visuelle Stil ins Auge, der urbanes ‘80er-Ambiente mit Neo-noir-Optik kreuzt. Was im Stil einer romantischen Komödie beginnt, wird bald immer bizarrer bis richtiggehend unheimlich. Beide Damen scheinen ein bisschen neben der Spur zu sein, Marcy spricht von einer erlittenen Vergewaltigung. Gleich bei der ersten Verabredung erfährt Paul immer seltsamere Details über sie – eine für ihn zu komplizierte Frau, also ergreift er die Flucht. Diese gerät zu einer wahren Odyssee durchs nächtliche New York mit allen möglichen Unwägbarkeiten von zu wenig Bargeld für die U-Bahn über mieses Wetter bis zu vertauschten Schlüsseln, Verwechslungen, Avancen, ungeahnten personellen Verquickungen und einem Suizid. Am Ende dieser Kette muss Paul gar selbst um sein Leben fürchten, als es ihm unverschuldet an den Kragen gehen soll.

„Ich will doch nur nach Hause!“

Diese Abende und Nächte, in denen man nach einem anstrengenden, enervierenden oder schlicht totlangweiligen Arbeitstag nach etwas Zerstreuung sucht, als plötzlich das Abenteuer lockt – und alles schiefgeht. Wer kennt sie nicht? Dieses Phänomen wird durch eine besonders skurrile Verkettung von Umständen karikiert, die u.a. in einen wilden Punk-Club führen, in dem „Pay to Cum“ der Bad Brains läuft. Alle weiblichen Figuren werden als exzentrisch, bekloppt oder gleich beides gezeichnet, wobei sich Paul auch nicht immer ganz nachvollziehbar verhält (angesichts eines mit einer Tablettenüberdosis daliegenden Menschen wäre es beispielsweise angebracht, einen Notarzt zu rufen…). Dass er immer wieder die Hilfe anderer annimmt, macht alles nur noch schlimmer, und dass Menschen sexuelle Wesen sind, führt hier ausschließlich zu Problemen – ein Noir-Pessimismus, der mittels mal mehr, mal weniger düsterem, gern überdrehtem Humor aufgegriffen wird. Ohne es zu wollen, macht sich Paul immer mehr Feinde, die Welt scheint sich gegen ihn verschworen zu haben.

Für „Die Zeit nach Mitternacht“ arbeitete Scorsese erstmals mit Rainer Werner Fassbinders ehemaligem Kameramann Michael Ballhaus zusammen, was sich, so heißt es, in der Bildästhetik niedergeschlagen habe. Die Handlung wirkt trotz ihres Noir-Gehalt erfrischend possenhaft. Scorsese bewies zudem, auch einmal ohne seine Stammschauspieler Harvey Keitel oder Robert De Niro auszukommen; Griffin Dunne scheint die richtige Wahl für die Hauptrolle gewesen zu sein und steuerte auch eigenes Geld zur Produktion bei. In Nebenrollen finden sich u.a. Dick Miller, Cheech Marin und Tommy Chong. Scorsese selbst gönnte sich einen Cameo als Lichttechniker im Punk-Club.

„Die Zeit nach Mitternacht“ erweckt den Eindruck, derjenige Film zu sein, der entsteht, wenn Scorsese einmal der Sinn nach leichterer Kost steht. Scorsese-Fans könnten daher den Tiefgang vermissen, den viele seiner vorausgegangenen Filme ausmachten, und tatsächlich lief er wohl zwar besser als „King of Comedy“ an, blieb, was den Publikumszuspruch betrifft, aber dennoch weit hinter den Erwartungen zurück und wurde erst im Laufe der Jahre zunehmend von einem breiteren Publikum wertgeschätzt.
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Police Squad! [TV-Serie]

Bereits sechs Jahre bevor das US-amerikanische Komödien-Trio aus Jim Abrahams, David Zucker und Jerry Zucker mit „Die nackte Kanone“ einen seiner größten, zu einer Trilogie ausgebauten Erfolge feierte, schlüpfte Leslie Nielsen („Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug“) für die Serie „Police Squad!“ (später in Deutschland als „Die nackte Pistole“ ausgestrahlt) erstmals in die Rolle des Polizisten Frank Drebin. Die US-Krimiserien der 1970er- und ‘80er-Jahre persiflierende Comedy-Serie umfasste lediglich sechs Folgen und floppte im US-Fernsehen, da das Konzept für ein TV-Publikum offenbar nicht funktionierte. Als direktes Vorbild für die Musik des Vorspanns und die Figur Frank Drebin diente die (mir unbekannte) Serie „Dezernat M“.

Sechsmal ca. 25 Minuten lang beschäftigen sich Captain Ed Hocken (Alan North, „… und Gerechtigkeit für alle“) und, mit wechselnden Dienstgraden, Frank Drebin mit der Lösung kapitaler Verbrechensfälle und der Überführung der jeweiligen Täter. Dabei werden klassische Krimi-Topoi und -Klischees durch den Kakao gezogen und allen mit dem typischen ZAZ-Humor einhergehenden Absurditäten zum Trotz richtige, sogar halbwegs spannende Geschichten erzählt. Dennoch überwiegen selbstredend den betont seriösen Duktus Drebins & Co. konterkarierende humoristische Einlagen, die sich aus die Erwartungshaltung an Krimihandlungen unterlaufendem Nonsens, Slapstick, Sprachwitz und Situationskomik zusammensetzen.

Eine große Rolle spielen dabei Running Gags wie der um den allwissenden Schuhputzer Johnny (William Duell, „Einer flog über das Kuckucksnest“), bei dem sich längst nicht nur Frank gegen ein kleines Entgelt Informationen einholt, Franks ständige Karambolagen seines Fahrzeugs mit Mülltonnen, die Entgegnungen „Ja, ich weiß“ oder „Ja, das ist eine“, wenn Frank jemandem eine Zigarette anbietet, oder Polizeimitarbeiter Al (Ronald „Tiny Ron“ Taylor, „Rocketeer“), der mit seinen über zwei Metern Körpergröße stets derart aus dem Bild herausragt, dass sein Gesicht nie zu sehen ist. Fahren Frank und Ed mit dem Fahrstuhl, geht die Tür an Stockwerken auf, in denen sich für einen Hochhauskomplex Ungewöhnliches abspielt. Und sucht Frank Ted Olson (Ed Williams, „Vater der Braut“) aus der wissenschaftlichen Abteilung auf, unterrichtet dieser stets gerade ein Kind in abenteuerlichen Experimenten, die besser nicht durchgeführt werden sollten (auch wenn es manchmal schon zu spät ist). Jeder Epilog endet mit einem Freeze Frame, wie es damals in den parodierten Vorbildern üblich war – mit dem Unterschied, dass dieser nicht für alle Figuren gilt… All diese wiederkehrenden Elemente parodieren köstlich das Gesetz der Serie.

Frank, der auch als Off-Erzähler fungiert, führt seine szenenverbindenden Autofahrten stets vor recht deutlich als solche erkennbaren Rückprojektionen durch. Die Rollen Detective Nordbergs (hier „Norberg“) und Captain Ed Hockens wurden in „Die nackte Kanone“ mit George Kennedy und O.J. Simpson neu besetzt, Ed Williams jedoch fungierte auch im Kinofilm als Ted Olson. Ein paar bereits hier verwendete Gags wurden in „Die nackte Kanone“ übernommen. Diese von verschiedenen Regisseuren (neben ZAZ u.a. Joe Dante) inszenierte Serie fiel noch nicht ganz so memorabel wie der Kinofilm aus, verfolgt aber bereits ein sehr ähnliches Konzept.

Leider endet sie bereits, wenn man sich gerade so richtig auf sie eingegroovt hat. Dafür lädt sie zum wiederholten Anschauen ein, um alle Gags zu erfassen. Diese sind, ZAZ-üblich, kaum tiefgründig und auch noch nicht so derb oder provokant wie in manch Kinofilm-Produktion, aber daran dürfte der Misserfolg kaum gelegen haben. Ein dem wahren Grund vermutlich nahekommender Erklärungsversuch ist der einerseits trockene, im Gegensatz zu anderen US-Comedy-Serien ohne Lacher aus der Konserve oder überzeichnet komödiantisch agierende Darsteller(innen) auskommende und andererseits detailverliebte Humor. Man muss aktiv zuschauen und die sich häufig im Hintergrund abspielenden Gags selbst entdecken; als nebenherlaufende Berieselung ist „Police Squad!“ ungeeignet. Als Persiflage auf die US-Krimiserien und insbesondere deren Ernsthaftigkeit aber funktioniert die Serie gut, wenngleich nicht jeder Gag sitzt und manch Alberei etwas infantil erscheint – und macht sogar Lust, sich die auf die Schippe genommenen Originale mal wieder anzuschauen.
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Tatort: Mord ist kein Geschäft

„Wollen Sie sich etwa beschweren?!“

Der 13. Fall des Stuttgarter Kriminalhauptkommissars Eugen Lutz (Werner Schumacher) verschlug ihn und seinen Assistenten Wagner (Frank Strecker) in die Halb- und Unterwelt der Schutzgelderpressungen. Der im Sommer 1982 gedrehte Fall wurde von Felix Huby und von Routinier Theo Mezger inszeniert, der damit seinen zwölften von insgesamt 16 Beiträgen zur öffentlich-rechtlichen Krimireihe lieferte.

„Sie haben das Zeug zum Sozialarbeiter, Lutz!“

Ein Bauer ist gerade mit seinem Traktor im Schwäbischen Wald unterwegs, als er einen Campingbus mit den sterblichen Überresten des ermordeten Günther Happel findet und die Polizei verständigt. Kommissar Lutz und sein Assistent Wagner statten dem Campingplatz, auf dem Happel gemeldet war, einen Besuch ab und treffen dort auf den einschlägig polizeibekannten Alfons Kehl (Peter Lakenmacher, „Mutschmanns Reise“), der Happel sucht. Kehl steht im dringenden Verdacht, Teil einer Schutzgelderpresserbande zu sein, die sich seit Kurzem allerdings einer zahlungsunwilligen Klientel gegenübersieht, die vom griechischen Restaurantbetreiber Costas (Janis Kyriakidis, „Shirins Hochzeit“) und dessen türkischen Kollegen Önökyl (Meray Ülgen, „Tu was, Kanake“) angeführt wird. Unklar ist, welche Rolle Happel innerhalb dieser Gemengelage spielte – und da weder die Gangster noch die Gastwirte mit der Polizei reden wollen, suchen Lutz und Wagner den Musiker Peter Horn (Hartmut Reck, „Der längste Tag“) auf, der mit Happel befreundet war. In Kehls Vorgesetztem Sakowsky (Peter Ehrlich, „Die Moral der Ruth Halbfass“) findet man sowohl einen Verdächtigen als auch einen eventuell wichtigen Zeugen, während Wagner sich in Önökyls Tochter Aischa (Despina Pajanou, „Zwei verrückte Kinovögel“) verguckt…

„Was machen Sie denn hier?“ – „Eure Drecksarbeit!“

Direkt nach dem Leichenfund werden unkommentiert erste Maßnahmen der Spurensicherung gezeigt, um dem „Tatort“-Auftrag, realistische Einblicke in die Polizeiarbeit zu gewähren, nachzukommen. Auf dem Campingplatz wird man mit einem garstigen Platzwart konfrontiert, der dazu ein echter schwäbischer Geizkragen ist, sowie mit ersten Einblicken in die Sommermode der frühen ‘80er. Nein, Freunde seien sie nicht gewesen, gibt der wie ein Yuppie aussehende Kehl der Polizei Auskunft. Wie ein „Loddel“ sehe hingegen der in anderen Fällen inkognito ermittelnde Kriminalmeister aus, so attestiert es ihm zumindest Wagner. Jener Kriminalmeister taucht kurz in Lutz‘ Büro auf, wird aber seltsamerweise im weiteren Verlauf keine Rolle mehr spielen. So fungiert er lediglich als Hinweisgeber, der von Kehls Schutzgelderpressungen in der Gastronomie weiß, während der tote sich als bisher unbeschriebenes Blatt erweist.

„Komisch: Der heißt Horn und spielt Saxophon…“

In der Gastwirtschaft, die Lutz und Wagner daraufhin aufsuchn, traut man den deutschen Bullen nicht, dafür spielt dort aber eine Dixieland-Band. „Bei den Nazis wurde diese Musik verboten“, weiß Lutz. Saxophonist Horn kannte Happel und gibt Auskunft, wodurch dieser posthum charakterisiert wird. Kehl sei einer von Happels neuen Freunden gewesen, kein guter Umgang. Auf der Straße werden die Polizist anschließend von Punks (u.a. Dominique Horwitz, „David“) belästigt – typische Fernseh-Klischeepunks –, Lutz gibt ihnen trotzdem etwas Geld. Bei einer Attacke mutmaßlicher Schutzgelderpresser auf Önökyls Restaurant kommt ein wenig Action in die Episode, die offenbar mit Klischees aufräumen will: Die Schutzgeldmafia besteht aus deutsche Hintermännern, nicht aus Ausländern, Önökyl betreibt keinen Döner-Imbiss, sondern das Weinstüberl, seine Tochter Aischa spricht perfekt deutsch und studiert Germanistik – und scheint sich für Wagner zu interessieren. Darauf springt Wagner – Typ halb Mensch, halb Brille – auch rasch an, was zum einen oder anderen amüsanten Moment führt. Sie trägt schöne bunte ‘80er-Kleider, während Wagner sich eigens mit offenem Hemd aufdonnert, wenn sie für einen Besuch auf der Wache vorbeischaut. Doch so ganz koscher scheint auch sie nicht zu sein…

„Es gibt Sachen, mit denen ich allein fertig werden muss. Ganz allein!“

Happels Rolle bleibt lange nebulös, und dann kommt auch noch Sakowsky ins Spiel, ein krummer Hund mit Gangstervisage, aber junger Freundin, vermutlich auch türkischer oder griechischer Abstammung. Als Lutz am Wochenende in alb-traumhafter Kluft auf die Alb fährt, folgt Sakowsky ihm, um als potenziell wichtiger, aber auch unter Mordverdacht stehender Zeuge sich zu ent- und andere zu belasten sowie ihm einen Deal anzubieten. Wagner zeigt Aischa derweil eine Arbeitererholungsstätte, über deren Ursprung er ihr – und damit auch dem Publikum – berichtet. „Mord ist kein Geschäft“ ist lange sehr unterhaltsam und, wenn auch nicht einer klassischen Spannungsdramaturgie folgend, interessant erzählt. Je weiter er sich aber über verschlungene Umwege der Auflösung nähert, desto anstrengender wird es, der Figurenkonstellation zu folgen und Nebensächlichkeiten von Relevantem zu unterscheiden. Wer dranbleibt, lernt ein Elektronenmikroskop als modernes Ermittlungsinstrument kennen und wird – vermutlich interessanter – Zeuge einer dann doch noch gefährlichen Zuspitzung inklusive einer Entführung. Die Auflösung ist dann aber vielleicht doch ein bisschen zu sozial ausgefallen, denn man weigert sich, überhaupt einen wirklich Schuldigen zu finden.

Mit seiner über zehnminütigen Überlänge ist „Mord ist kein Geschäft“ insbesondere in der zweiten Hälfte etwas zäh ausgefallen. Lutz gibt hier den älteren, stets besonnenen und verständigen Ermittler, im Gegensatz zum permanent schwäbelnden Wagner spricht er reinstes Hochdeutsch. Die Vorzimmerdame (Annetraud Lutz) bei der Polizei wird wiederholt Opfer dummer Sprüche der Herren, möglicherweise ein Running Gag dieses „Tatort“-Zweigs. Lakenmacher hat als Kehl seinen verruchten Gangsterblick gut drauf. Despina Pajanou, die ich als herb maskuline Polizistin in „Doppelter Einsatz“ kennengelernt hatte, ist hier ein echter Hingucker als moderne Deutschtürkin. Jonas C. Haefelis funkige Musik erinnert in einem viel Zeitkolorit der 1980er transportierenden „Tatort“ zuweilen noch ans vorherige Jahrzehnt, wird dramaturgisch aber gut eingesetzt. Etwas gestrafft hätte dieser mit viel sozialem Gewissen versehene Fall ein richtig guter „Tatort“ werden können.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
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