Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
Verfasst: Mi 14. Feb 2024, 17:29
Auge in Auge – Eine deutsche Filmgeschichte
Unter der Regie des Journalisten und Dokumentarfilmers Michael Althen („München – Geheimnisse einer Stadt“) und des Filmhistorikers Hans Helmut Prinzler entstand der abendfüllende Essayfilm „Auge in Auge – Eine deutsche Filmgeschichte“, der im Jahre 2008 in die deutschen Kinos kam – und sich mit eben diesem auseinandersetzt.
Zehn deutsche Filmschaffende begleiten Althen und Prinzler auf einer Zeitreise durch die deutsche Kinofilmgeschichte und stellen jeweils einen für sie persönlich bedeutsamen Film vor. Zunächst aber führt Althen sehr wortgewandt als Voice-over-Erzähler ein, indem er collagiert bebildert bereits vorwegnimmt, was der deutsche Film eigentlich alles ist. Regisseur Tom Tykwer („Das Parfum“) eröffnet dann den Reigen, indem er die gruseligen Qualitäten Nosferatus, also Murnaus Stummfilmoriginal, herauskehrt. Bevor Tykwer den Staffelstab weitergibt, stellt Althen zu einer neuen Bildcollage die Frage nach Eigenarten des deutschen Films in den Raum, dazu ertönt (etwas irritierend) feierliche Orchestermusik. Das Plenum versucht, die Frage zu beantworten, im Anschluss feiert Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase „Menschen am Sonntag“ ab. Mit etlichen Filmausschnitten bebildert geht es daraufhin um Berlin-Filme, auch während des Kriegs und danach, um DEFA-Produktionen und die Nachwendezeit.
Wim Wenders („Der Himmel über Berlin“) übernimmt und schwärmt von Fritz Langs „M“, gefolgt von einem (ganz großartigen!) Zusammenschnitt rauchender Menschen in deutschen Filmen. Es folgt die Zeit der NS-Terrorherrschaft, die folgerichtig als Einschnitt in der deutschen Kinolandschaft betrachtet wird. In aller Kürze beschäftigt man sich in diesem Kontext mit Filmen Veit Harlans. Regisseur Christian Petzold stellt Helmut Käutner als Beispiel für einen Regisseur heraus, der sich nicht von den Nazis vereinnahmen ließ, und spricht über dessen Film „Unter den Brücken“. Auf einen Zusammenschnitt von Filmküssen folgt Alexander Kluges „Abschied von gestern“, der als Beginn des Neuen deutschen Films genannt wird, kommentiert von Schauspieler Hanns Zischler („Im Lauf der Zeit“). Ein Abriss zum Film in der DDR nennt zunächst „Spur der Steine“ und andere dort damals zensierte Filme, bevor Regisseur Andreas Dresen („Sommer vorm Balkon“) beschreibt, wie sehr und weshalb ihn der Film „Solo Sunny“ beeindruckt habe.
Der nächste Zusammenschnitt beinhaltet Frauenblicke, anschließend erweist der international gefragte Kameramann Michael Ballhaus Fassbinders „Die Ehre der Maria Braun“ und „Martha“ die Ehre. Ein Zusammenschnitt von Filmschreien geht über zu Filmemacher Dominik Graf, der anhand Klaus Lemkes „Rocker“ zum Fürsprecher des kultigen deutschen Independent-Films und von Genre-Produktionen wird. Ein in liebevoller Kleinarbeit kompilierter Zusammenschnitt von Telefongeklingel und -gesprächen ergibt sogar einen scheinbar sinnvollen Dialog, und dann kommt auch eine der wenigen Frauen des Ensembles zu Wort: Regisseurin Doris Dörrie („Männer“) gefällt Wim Wenders‘ „Alice in der Stadt“. Ein leider nur ultraknapper Exkurs führt zu außerhalb Deutschlands spielenden deutschen Filmen; doch rasch kehrt man zu deutschen Drehorten zurück, was den Übergang zu Edgar Reitz‘ „Heimat“-Trilogie bildet, die Regisseurin Caroline Link („Nirgendwo in Afrika“) kuratiert. Abschließende Worte Althens führen zurück den Anfängen des Bewegtbilds, als wolle man damit gewissermaßen den Kreis schließen.
Neben den collagenartigen Zusammenschnitten, Kurzexkursen und Off-Narrationen wird zwischendurch immer wieder Namedropping betrieben, indem von den Beteiligten genannte Filmtitel und Personennamen kurzgeschnitten aneinandergereiht werden, sodass sie wie Brainstorming-Assoziationsketten wirken. In den Schnitt dieses Films muss eine Heidenarbeit geflossen sein. Ein schönes Detail auch, dass die Filme, um die es dann jeweils etwas ausführlicher geht, als Buchstabenanschläge verschiedener Lichtspielhäuser visualisiert werden. Ein wenig schade ist es, dass nicht eingeblendet wird, wie die Talking Heads jeweils heißen, dies erschließt sich jedoch nach und nach aus dem Off-Kommentar. Und diese Filmschaffenden einmal über Filme anderer sprechen zu hören, ist wahrlich interessant, da sie in der Regel eine etwas andere Perspektive einnehmen können, als es Filmkritikern für gewöhnlich möglich ist. Was genau sie jeweils zu sagen haben, habe ich hier bewusst größtenteils ausgespart und gilt es, bei Interesse selbst zu rezipieren.
Die behandelten Filme sind chronologisch geordnet, werden mit vielen Filmausschnitten zitiert, stellen aber natürlich nur einen winzig kleinen und zudem sehr subjektiven Einblick in die deutsche Filmgeschichte dar. „Auge in Auge“ setzt nur einzelne Schlaglichter und spart viel aus. Alles andere wäre für einen einzelnen Dokumentarfilm auch überambitioniert und zum Scheitern verurteilt. Mit ihrem sich aus dem Titel bereits erahnen lassenden Konzept, nicht die, sondern lediglich eine deutsche Filmgeschichte zu erzählen, begegnen Althen und Prinzler dem ebenso wie mit ihren Collagen und ähnlich Stilmitteln. Ein Stilmittel ist eben auch das einer Oral History, ohne dass vollumfänglich eine daraus würde. Auch aus den behandelten Filmen heben die Protagonist(inn)en dieser Doku in erster Linie einzelne Szenen, die es ihnen besonders angetan haben, hervor, statt den gesamten Film analytisch zusammenzufassen.
Für die knappe Laufzeit ist das ziemlich ansprechend gemacht. Je nach persönlicher Zu- und Abneigung macht es mehr oder weniger Spaß, Dörrie, Wenders, Tykwer & Co. zuzuhören oder Lust, sich für die von ihnen abgehandelten Filme zu interessieren zu beginnen. Ein aufgeschlossenes Publikum könnte „Auge in Auge“ aber dazu bringen, sein bisheriges Bild vom deutschen Film zu überdenken oder zu erweitern und es im Idealfalls dazu animieren, selbst auf Entdeckungsreise zu gehen und zu erörtern, welche Klassiker nach eigenem subjektiven Empfinden hier sträflicherweise gefehlt haben.