Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
Verfasst: Do 6. Jan 2011, 00:26
Andy Warhol’s Frankenstein
„Um den Tod zu kennen, muss man Leben einspritzen – in die Gallenblase!“Baron Frankenstein arbeitet mit großer Besessenheit an seinem Lebenswerk. Sein Ziel ist es, aus diversen Leichenteilen zwei perfekte Menschen zu erschaffen, die gemeinsam Kinder zeugen können. Dies soll aber nur der Beginn eines neuen Menschengeschlechts sein, dessen Führer Frankenstein selbst werden will. Währenddessen erzieht Frankensteins Schwester nicht nur deren Kinder, sondern widmet sich auch ausgiebig dem männlichen Personal des Schlosses. Als Frankensteins Pläne an der Potenz seines männlichen Wesens zu scheitern drohen, nimmt sich seine Schwester der Sache an...
„Carne per Frankenstein“, so der Originaltitel, ist eine in Serbien gedrehte französisch-italienisch-amerikanische Koproduktion des Pop-Art-Künstlers Andy Warhol aus dem Jahre 1973. Das Drehbuch stammt von Paul Morrissey, der auch Regie führte. Es handelt sich hierbei keinesfalls um eine „herkömmliche“ Verfilmung des Frankenstein-Stoffs, sondern um eine recht eigene, freie Interpretation, die den klassischen Roman lediglich zum Aufhänger nahm. Udo Kier verkörpert die Rolle des Barons Frankenstein und darf lustvoll in Gedärmen wühlen, ein inzestuöses Verhältnis zu seiner Schwester, die gleichzeitig seine Frau ist, pflegen (oder eben auch nicht, sehr zu ihrem Leidwesen), von der Erschaffung einer höheren Rasse durch seine Experimente schwadronieren etc...
Im Prinzip ist diese Variation ein aberwitziges Splatter-Trash-Vergnügen, das zudem in den Szenen, in denen sich Frankensteins Schwester mit jemandem aus dem Volk vergnügt, haufenweise unerotischen Sleaze bietet und auch sonst nicht mit sexuell perversen Ideen geizt. Die „Sozialkritik“ hinsichtlich überheblicher, aber eigentlich degenerierter Aristokraten kommt mit dem Holzhammer, wobei ich mir aber nicht ganz sicher bin, ob dieser Frankenstein mit seinen Vorhaben nicht evtl. eine Parabel auf KZ-„Ärzte“ aus der Zeit des Dritten Reichs darstellen soll. Wie auch immer, jedenfalls splattert es immer mal wieder ziemlich derbe und vor allem übertrieben und dadurch albern und karikierend. Ich vermute aber mal, dass der Film sich selbst nie so richtig ernst genommen hat und musste nicht nur ob der zahlreichen Tabubrüche des Öfteren schmunzeln, beispielsweise wenn der Baron mit abgeschlagener Hand einen ellenlangen Monolog hält, während das Blut aus seinem Arm nur so herausschießt. Nicht ausschließen möchte ich aber, dass man ein Trash- und Splatter-unkundiges Publikum, das einen atmosphärischen Gothic-Schinken erwartet, mit Morrisseys Sammelsurium der Geschmacklosigkeiten übel vor den Kopf zu stoßen vermag. Getragen wird die ganze Chose selbstverständlich von Kiers inbrünstigem Schauspiel und seiner Mimik, ich hätte mir jedenfalls niemand anderen für diese Rolle gewünscht. Zwei gruselige Kinder, eine davon die aus europäischen Genrefilmen nicht unbekannte Nicoletta Elmi, rennen auch noch durchs Schloss.
Fazit: Mehr eine schwarzhumorige „Frankenstein“-Parodie, die gerade auch wegen ihrer Unzulänglichkeiten den geschmacksverirrten und/oder aufgeschlossenen Zuschauer nicht übel unterhält. In der geschnittenen Fassung hingegen stelle ich mir „Andy Warhol’s Frankenstein“ recht monoton vor...