Mädchen... nur mit Gewalt - Roger Fritz (1970)

Moderator: jogiwan

Benutzeravatar
Canisius
Beiträge: 1373
Registriert: Mo 27. Dez 2010, 18:44

Re: Mädchen... nur mit Gewalt - Roger Fritz (1970)

Beitrag von Canisius »

Diesen sehr guten Film habe ich nun angeschaut, und er hat meine Erwartungen enttäuscht. :o
Erwartet hatte ich ein eher locker-flockigen Deutschploiter mit einigen Härten. Bekommen habe ich einen gelungenen Psychothriller, dessen Ende enormen Spielraum für Interpretationen lässt. Na gut, ein wenig locker-flockig geht es zu Beginn zu, als sich Rolf Zacher + Clique nach einem Besuch der Kartbahn noch trinkend und schwofend in einem Tanzlokal amüsieren. Ich sage nur "Bommi mit Pflaume!". :D

Verdikt: stark! :thup:
„Ist es denn schade um diesen Strohhalm, Du Hampelmann?“
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 40644
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: Mädchen... nur mit Gewalt - Roger Fritz (1970)

Beitrag von buxtebrawler »

„Dir stehen wohl die Zähne zu eng!“

Roger Fritz’ im Jahre 1969 gedrehtes und 1970 veröffentlichtes Drama „Mädchen: Mit Gewalt“ ist der dritte Teil der Trilogie des deutschen Regisseurs, die sich in voneinander unabhängigen Filmen auf unterschiedliche Weise mit jungen Frauen auseinandersetzt. Alle Filme eint, dass Fritz‘ damalige Ehefrau Helga Anders („Das Rasthaus der grausamen Puppen“) die weibliche Hauptrolle spielt.

„Typische Junggesellenwirtschaft!“

Die Büroangestellten Mike (Arthur Brauss, „Der Zug“) und Werner (Klaus Löwitsch, „Heißes Pflaster Köln“) sind beide in ihren 30ern und machen mit Vorliebe Jagd auf „Frischfleisch“: In der Münchner Umgebung halten sie regelmäßig Ausschau nach jungen Frauen, um sie ins Bett (oder ins Auto oder sonstwohin) zu bekommen und sie nach dem Geschlechtsverkehr wieder fallenzulassen. Als sie die attraktive, naiv und verführbar wirkende Alice (Helga Anders) auf einer Go-Kart-Bahn nach einem Streit mit Studenten (u.a. Rolf Zacher, „O.K.“) kennenlernen, trennen sie sie unter Vorspiegelung falscher Tatsachen von ihrer Clique und locken sie an einen See, wo Werner sie, nachdem sie sich ihm gegenüber verweigerte, in einer Kiesgrube vergewaltigt…

„Ihr seid ja verrückt! Richtig kindisch seid ihr!“

Fritz charakterisiert zunächst die beiden Machos und Schürzenjäger, von denen der aufbrausende Werner der grobschlächtigere, triebgesteuertere ist, während Mike eher ein Mann der Worte ist, Typ gebildeter Theoretiker, aber auch Zyniker. (Löwitsch hat hier im Übrigen ein bisschen was von Jack Nicholson.) So unterschiedlich sie auch sein mögen, ergänzen sie sich bei ihren gemeinsamen Vorhaben in der Regel sehr gut gegenseitig. Sie bespannen und belästigen eine unbekleidete Frau und auch Passantinnen, die aber trotzdem bereitwillig in ihr Auto zusteigen. Als es beinahe zu einer Schlägerei kommt, greift Alice schlichtend ein, woraufhin ihr das alleinige Interesse der beiden gilt. Die vermüllte Kiesgrube, an und in der sich das Gewaltverbrechen ereignen wird, wird zur Allegorie auf Moral und Gewissen der beiden Männer, von denen sich überraschenderweise ausgerechnet Werner zunächst als der skrupelbehaftetere erweist.

Nachdem aus allem vermeintlichem Spaß brutaler Ernst wurde, überlegt Alice, Werner anzuzeigen, was ihr Mike halb psychologisch manipulativ, halb schlicht der Realität entsprechend ausredet, indem er mit ihr Gegenüberstellung und Gerichtsverhandlung durchspielt. Unüberhörbar formuliert der Subtext dabei harsche Kritik am Justizapparat, die an Aktualität kaum eingebüßt hat. Als anschließend auch er Alice vergewaltigen will, geht Werner dazwischen, was eine wüste, harte Schlägerei zur Folge hat, in deren Konsequenz Werner seinen Kumpel k.o. schlägt. Er rechtfertigt sich Alice gegenüber, wolle es wiedergutmachen, scheint sich von Mike emanzipieren zu wollen. Doch wer glaubt, dass es sich dabei um eine entscheidende Wendung handle und die Männer eine Entwicklung durchmachen würden, sieht sich getäuscht. Am Ende löst sich alles in scheinbarem Wohlgefallen auf.

„Mädchen: Mit Gewalt“ ist durchaus spannend erzählt, zudem exzellent gefilmt, aber weit weniger ein Spannungs- oder Unterhaltungsfilm als vielmehr aufrüttelndes Sittenporträt. Bei den über 30-jährigen Tätern vermischen sich Machismo und Sexismus mit einer Art Generationenkonflikt, als würden beide auf Teufel komm raus an den neuen Freiheiten seit der erst kürzlich erfolgten sexuellen Revolution teilhaben wollen und der jüngeren Generation, hier durch die Studenten verkörpert, neiden, diese während ihrer Jugend genießen zu können. Damit stehen sie stellvertretend für jene bereits etwas älteren Herrschaften, die junge Frauen im Zuge der gesellschaftlichen Umwälzungen auszunutzen begannen, ohne das Patriarchat jemals ernsthaft infrage zu stellen. Alice wiederum verkörpert jenen Frauentyp, der mit einem Zuviel an gutem Glauben die neuen Freiheiten auch äußerlich repräsentiert, ohne so recht zu ahnen, dass ein großer, nach wie vor reaktionärer Teil der Gesellschaft ihr dafür eine nicht unerhebliche Mitschuld an dem, was ihr widerfährt, unterstellen wird.

Nach dem Auftakt hat Fritz seinen Film enorm entschlackt. Es gibt keine Ortswechsel mehr und es greift lange Zeit auch keine dritte Partei bzw. vierte Figur mehr in die Handlung ein. Im Verbund mit dem hervorragenden, beängstigendem Schauspiel Löwitschs und Brauss‘ wird Alice‘ Situation dadurch ziemlich unmittelbar und umso unangenehmer spürbar. Der psychologische Thrill gerät jedoch nicht zum Selbstzweck, sondern zwingt das Publikum zur Reflektion.

Tolles, realistisches deutsches Kino mit kritischem Blick und deutlicher Aussage, aber ohne erhobenem Zeigefinger oder verkopfte theoretische Debatten. Dass „Mädchen: Mit Gewalt“ (zumindest in Teilen) von der zeitgenössischen Kritik missverstanden wurde (oder missverstanden werden wollte), beweist seine Relevanz und dass er seiner Zeit sogar ein bisschen voraus war.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Antworten