Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen
Moderator: jogiwan
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Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie
Tatort: Tod im All
„Ich brauch‘ ‘ne Leiche, sonst kann ich das hier nicht erstnehmen!“
Der elfte Fall der Ludwigshafener Ermittlerin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) ist zugleich der zweite mit ihrem neuen Partner Mario Kopper (Andreas Hoppe). Der von Thomas Bohn (div. „Tatort“- und „Stahlnetz“-Episoden) geschriebene und inszenierte „Tatort“ ist sein zweiter Beitrag zur Reihe und einer der seltenen Fälle, in denen das Krimisujet um Science-Fiction-Elemente erweitert wird. Erstausgestrahlt wurde diese Episode im Januar 1997.
„Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die sind nicht immer mit unserer Logik zu erklären…“
Ein anonymer Anrufer behauptet, der Ufologe und Bestseller-Autor Lunik van Deeling (Dietmar Schönherr, „Raumpatrouille – Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes Orion“) sei ermordet worden. Sein Verleger Axel von Saalfeld (Walter Gontermann, „Voll normaaal“) hingegen gibt zu Protokoll, der Autor sei mit Außerirdischen verreist. Odenthal glaubt ihm kein Wort und vermutet, die Polizei solle für einen PR-Coup eingespannt werden. Doch es dauert nicht lange und Odenthal bekommt es mit einem tatsächlichen Todesfall zu tun: Eine Journalistin wird tot aufgefunden – mutmaßlich weil sie zu viel über van Deelings Verschwinden wusste. Deren Freundin Anke Engelke (Anke Engelke, „Die Wochenshow“) bestätigt, dass van Deeling geglaubt habe, mit außerirdischen Mächten in Kontakt gestanden zu haben. Auch van Deelings Frau Renate (Johanna Liebeneiner, „Der Mörder“) scheint davon überzeugt – und selbst auf dem Polizeirevier bekommt sie es mit Kollegen zu tun, die dies zumindest in Erwägung ziehen. Entnervt nimmt Odenthal die Ermittlungen auf und verdächtigt Paul, den Ex-Freund Renates. Zudem meldet sich der anonyme Anrufer erneut und scheint bestens informiert. Doch eine weitere Spur führt zu von Saalfeld, der es seinem Starschreiber gegenüber mit der Abrechnung anscheinend nicht immer so genau genommen hat…
„Du bist völlig blockiert!“
Zunächst einmal wird Odenthal bei einem Festnahmeversuch in einer Disco böse verprügelt, kann sich dann aber (unrealistisch) erfolgreich zur Wehr setzen. Mit ihr ist nicht zu spaßen, dies will man dem Publikum mitteilen. Und einer solchen Kommissarin braucht man auch gar nicht erst mit unerklärlichen Phänomenen, Außerirdischen und ähnlichem Hokuspokus zu kommen. Ob es da eine so gute Idee ist, mit Freundin Johanna (Carol Campbell, „Die drei Mädels von der Tankstelle“) ein Nina-Hagen-Konzert zu besuchen? Das erscheint zumindest kulturell wertvoller als auf einer Pferderennbahn durch ein kurioses Riesenfernglas zu starren. Die Hagen schmettert in ihrer Live-Performance eine eingedeutschte Coverversion des Ramones-Songs „Zero Zero UFO“, ansonsten dominiert ein spaciger Elektro-Soundtrack die Musikspur dieses Falls. Odenthal träumt nach dem Konzertbesuch schlecht, visualisiert von Bohn und seinem Team: Ihr erscheinen Nina Hagen und eine trashige Alien-Metamorphose. Für Freunde abseitiger Unterhaltung dürfte sich der „Tatort“ bis hierhin schon gelohnt haben.
„Humor hat sie ja, die Frau Engelke!“
Doch der Gastauftritte ist’s noch nicht genug: Anke Engelke, damals Radiomoderatorin beim SWF3, spielt sich ebenso selbst wie du kurz um die Ecke schauende Stefanie Tücking, ehemalige „Formel Eins“-Moderatorin und damalige Kollegin Engelkes. Mit Ingolf Lück als weiterem Radioschwätzer Carlo ist das halbe Sat.1-„Wochenshow“-Ensemble komplett. Eine weitere Referenz dürfte Erich von Däniken sein, an den der als Scharlatan begonnen, später aber scheinbar selbst den Verstand verloren habende verschwundene Ufologe unweigerlich erinnert. Flimmerten dessen Dokureihen nicht damals über die Privatsender ins heimische Wohnzimmer? Odenthal spielt den Fall mit, na klar, „Star Trek“-Figuren durch, bevor die Radioredaktion und Johanna unterstützend eingreifen: Auf Odenthals Bitte hin helfen sie mittels Audioschnitttechnik am PC, den Täter zu überführen.
Das darauf folgende und mit einer überraschenden, einem konservativen Publikum sicherlich sauer aufgestoßenen Pointe ausgestattete letzte Drittel kann leider die unterhaltsame Kurzweil des Vorausgegangenen nicht halten und wurde etwas zu bedächtig inszeniert. Nichtsdestotrotz ist „Tod im All“ ein angenehm medien- und damit selbstreflexiver Fall mit zahlreichen unerwarteten Gastauftritten, der seine Lockerheit nur selten aufgibt und sich in der Ufo-Frage auf keine Seite schlägt. Stattdessen lässt man die Folkerts mittels ihres T-Shirts Werbung für ihren Kinofilm „Nur über meine Leiche“ laufen und nimmt weder die Außerirdischen-Debatte noch das Format oder die Erwartungshaltung des Publikums sonderlich ernst. Damit ist „Tod im All“ ein sehenswertes Kuriosum in der langen „Tatort“-Geschichte.
„Ich brauch‘ ‘ne Leiche, sonst kann ich das hier nicht erstnehmen!“
Der elfte Fall der Ludwigshafener Ermittlerin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) ist zugleich der zweite mit ihrem neuen Partner Mario Kopper (Andreas Hoppe). Der von Thomas Bohn (div. „Tatort“- und „Stahlnetz“-Episoden) geschriebene und inszenierte „Tatort“ ist sein zweiter Beitrag zur Reihe und einer der seltenen Fälle, in denen das Krimisujet um Science-Fiction-Elemente erweitert wird. Erstausgestrahlt wurde diese Episode im Januar 1997.
„Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die sind nicht immer mit unserer Logik zu erklären…“
Ein anonymer Anrufer behauptet, der Ufologe und Bestseller-Autor Lunik van Deeling (Dietmar Schönherr, „Raumpatrouille – Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes Orion“) sei ermordet worden. Sein Verleger Axel von Saalfeld (Walter Gontermann, „Voll normaaal“) hingegen gibt zu Protokoll, der Autor sei mit Außerirdischen verreist. Odenthal glaubt ihm kein Wort und vermutet, die Polizei solle für einen PR-Coup eingespannt werden. Doch es dauert nicht lange und Odenthal bekommt es mit einem tatsächlichen Todesfall zu tun: Eine Journalistin wird tot aufgefunden – mutmaßlich weil sie zu viel über van Deelings Verschwinden wusste. Deren Freundin Anke Engelke (Anke Engelke, „Die Wochenshow“) bestätigt, dass van Deeling geglaubt habe, mit außerirdischen Mächten in Kontakt gestanden zu haben. Auch van Deelings Frau Renate (Johanna Liebeneiner, „Der Mörder“) scheint davon überzeugt – und selbst auf dem Polizeirevier bekommt sie es mit Kollegen zu tun, die dies zumindest in Erwägung ziehen. Entnervt nimmt Odenthal die Ermittlungen auf und verdächtigt Paul, den Ex-Freund Renates. Zudem meldet sich der anonyme Anrufer erneut und scheint bestens informiert. Doch eine weitere Spur führt zu von Saalfeld, der es seinem Starschreiber gegenüber mit der Abrechnung anscheinend nicht immer so genau genommen hat…
„Du bist völlig blockiert!“
Zunächst einmal wird Odenthal bei einem Festnahmeversuch in einer Disco böse verprügelt, kann sich dann aber (unrealistisch) erfolgreich zur Wehr setzen. Mit ihr ist nicht zu spaßen, dies will man dem Publikum mitteilen. Und einer solchen Kommissarin braucht man auch gar nicht erst mit unerklärlichen Phänomenen, Außerirdischen und ähnlichem Hokuspokus zu kommen. Ob es da eine so gute Idee ist, mit Freundin Johanna (Carol Campbell, „Die drei Mädels von der Tankstelle“) ein Nina-Hagen-Konzert zu besuchen? Das erscheint zumindest kulturell wertvoller als auf einer Pferderennbahn durch ein kurioses Riesenfernglas zu starren. Die Hagen schmettert in ihrer Live-Performance eine eingedeutschte Coverversion des Ramones-Songs „Zero Zero UFO“, ansonsten dominiert ein spaciger Elektro-Soundtrack die Musikspur dieses Falls. Odenthal träumt nach dem Konzertbesuch schlecht, visualisiert von Bohn und seinem Team: Ihr erscheinen Nina Hagen und eine trashige Alien-Metamorphose. Für Freunde abseitiger Unterhaltung dürfte sich der „Tatort“ bis hierhin schon gelohnt haben.
„Humor hat sie ja, die Frau Engelke!“
Doch der Gastauftritte ist’s noch nicht genug: Anke Engelke, damals Radiomoderatorin beim SWF3, spielt sich ebenso selbst wie du kurz um die Ecke schauende Stefanie Tücking, ehemalige „Formel Eins“-Moderatorin und damalige Kollegin Engelkes. Mit Ingolf Lück als weiterem Radioschwätzer Carlo ist das halbe Sat.1-„Wochenshow“-Ensemble komplett. Eine weitere Referenz dürfte Erich von Däniken sein, an den der als Scharlatan begonnen, später aber scheinbar selbst den Verstand verloren habende verschwundene Ufologe unweigerlich erinnert. Flimmerten dessen Dokureihen nicht damals über die Privatsender ins heimische Wohnzimmer? Odenthal spielt den Fall mit, na klar, „Star Trek“-Figuren durch, bevor die Radioredaktion und Johanna unterstützend eingreifen: Auf Odenthals Bitte hin helfen sie mittels Audioschnitttechnik am PC, den Täter zu überführen.
Das darauf folgende und mit einer überraschenden, einem konservativen Publikum sicherlich sauer aufgestoßenen Pointe ausgestattete letzte Drittel kann leider die unterhaltsame Kurzweil des Vorausgegangenen nicht halten und wurde etwas zu bedächtig inszeniert. Nichtsdestotrotz ist „Tod im All“ ein angenehm medien- und damit selbstreflexiver Fall mit zahlreichen unerwarteten Gastauftritten, der seine Lockerheit nur selten aufgibt und sich in der Ufo-Frage auf keine Seite schlägt. Stattdessen lässt man die Folkerts mittels ihres T-Shirts Werbung für ihren Kinofilm „Nur über meine Leiche“ laufen und nimmt weder die Außerirdischen-Debatte noch das Format oder die Erwartungshaltung des Publikums sonderlich ernst. Damit ist „Tod im All“ ein sehenswertes Kuriosum in der langen „Tatort“-Geschichte.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Diese Filme sind züchisch krank!
- karlAbundzu
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Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie
Ha, ich erinner mich, der war echt lustg. Hätte nicht gedacht, das es erst der zweite mit Kopper war.
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
- sid.vicious
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Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie
Tatort - Kressin stoppt den Nordexpress
Erscheinungsjahr: 1971
Regie: Rolf von Sydow
Drehbuch: Wolfgang Menge
Kurz und knapp. Hauptsache die Empfehlung ist ausgesprochen.
Erscheinungsjahr: 1971
Regie: Rolf von Sydow
Drehbuch: Wolfgang Menge
Kurz und knapp. Hauptsache die Empfehlung ist ausgesprochen.
Nachdem zwei Schwerbrecher im Ausland verhaftet wurden, übernimmt die deutsche Kripo die Gefangenen, um sie per Nordexpress nach Köln bringen. Zollfahnder Kressin, der auf dem Rückweg von Dänemark nach Köln ist, befindet sich ebenfalls in dem Zug…
…und das ist auch gut so, denn die bösen Buben sollten von noch böseren Zeitgenossen ihrer Fesseln entledigt werden.
Ein toller TATORT aus dem Jahre 1971, der zwar keinen Toten, aber einen unschlagbaren Kressin (dessen Vornamen keine Sau kennt) liefert, denn was Sieghardt Rupp hier abliefert, das ist ganz große Klasse.
Nebst der geplanten Ganovenbefreiung werden der Schmuggel von Pornoheften und der exzessive Alkohohlgenuss der Skandinavier (in deren Heimat der Stoff unbezahlbar war, keine Ahnung wie das heute aussieht) innert deutscher Lande zitiert.
Cool, cooler, Kressin. Dieser TATORT ist eine Rakete!
[BBvideo][/BBvideo]…und das ist auch gut so, denn die bösen Buben sollten von noch böseren Zeitgenossen ihrer Fesseln entledigt werden.
Ein toller TATORT aus dem Jahre 1971, der zwar keinen Toten, aber einen unschlagbaren Kressin (dessen Vornamen keine Sau kennt) liefert, denn was Sieghardt Rupp hier abliefert, das ist ganz große Klasse.
Nebst der geplanten Ganovenbefreiung werden der Schmuggel von Pornoheften und der exzessive Alkohohlgenuss der Skandinavier (in deren Heimat der Stoff unbezahlbar war, keine Ahnung wie das heute aussieht) innert deutscher Lande zitiert.
Cool, cooler, Kressin. Dieser TATORT ist eine Rakete!
- buxtebrawler
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Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie
Tatort: Schwarzer Afghane
Regisseur Thomas Jahns („Knockin‘ on Heaven’s Door“) nach „Nacht der Engel“ zweiter Beitrag zur „Tatort“-TV-Krimireihe verschlug ihn für den im März 2013 erstaufgeführten Fall „Schwarzer Afghane“ nach Leipzig, wo er den 16. Fall der Hauptkommissare Eva Saalfeld (Simone Thomalla) und Andreas Keppler (Martin Wuttke) inszenierte.
Frisch aus dem Urlaub zurück, muss Kommissar Keppler zusammen mit seiner Kollegin und Ex-Frau Eva Saalfeld auch schon im nächsten Fall ermitteln: Zwei Kiffer haben beobachtet, wie auf einer Wiese im Leipziger Auenwald ein Mann bei lebendigem Leibe Feuer fing und verbrannte. Laut der verkohlten Papiere des Manns handelt es sich um den afghanischen Asylsuchenden und Hochfrequenzphysik-Studenten Arian Bakhtari (Kostja Ullmann, „Verfolgt“). Dieser hat mutmaßlich zuvor die Lagerhalle des deutsch-afghanischen Freundschaftsvereins mithilfe hochentzündlichen Phosphors niedergebrannt und ist möglicherweise selbst zu sehr in Kontakt mit der Chemikalie geraten. Bakhtari war kurz für Norbert Müller (Sylvester Groth, „Kolle - Ein Leben für Liebe und Sex“), Spediteur und Vermieter der Halle, tätig, aber entlassen worden, als er sich zu sehr für die Container zu interessieren begann, in denen Müller Hilfsgüter ins kriegsgebeutelte Afghanistan transportiert. Doch die Halle wurde offenbar auch als Haschischlager genutzt. Wer hat die Drogen dort gelagert? Und was war das Motiv für die Brandstiftung? Ein Racheakt? Im Rahmen der Ermittlungen lernt das ermittelnde Duo auch Bakhtaris Tante Jamila Nazemi (Ilknur Boyraz, „Rennschwein Rudi Rüssel“) kennen, außerdem eine Dozentin, mit der er liiert war. Auch Müllers Tochter Mette (Haley Louise Jones, „Einstein“), Frucht einer Affäre mit einer Afghanin, kannte Bakhtari: Er war ihr eine Hilfe, ihren afghanischen Freund Deniz nach Deutschland zu schleusen. Doch der ist verschwunden. Und in Bakhtaris Zimmer im Studentenwohnheim entdeckt die Kripo eine phosphorbetriebene US-amerikanische Signalrakete…
Auch vor der Ankunft zahlreichender Flüchtender aus dem syrischen Bürgerkriegsgebiet war Migration bereits ein gesellschaftliches und politisches Dauerthema in Deutschland. Dieser „Tatort“ greift das Thema der Afghanen auf, die vor dem US-geführten Angriffskrieg und/oder der Taliban nach Deutschland flohen, beispielhaft anhand Arian Bakhtaris auf, der Angehörige in Afghanistan verloren hat und nun auf Rache sinnt. Holger Janckes Drehbuch dreht dabei leider zahlreiche Pirouetten, die ein stringentes, nachvollziehbares Narrativ erschweren. Themen wie Vorurteile gegen einen gut integrierten, hochbegabten jungen Mann, Kritik am imperialistischen Krieg, möglicher islamistischer Terror, Drogenhandel und dysfunktionale Liebesbeziehungen werden vermengt mit „Tatort“-typischen Übertreibungen: Diebstähle aus einem US-amerikanischen Militärlager, die einen zunächst wie ein Verbrecher agierenden Mitarbeiter des Militärischen Abschirmdiensts (Anatole Taubman, „Operation Zucker“) auf den Plan rufen, der später auch noch umgebracht wird, ein grausamer Mord zum Einstieg, ein Toter, der gar nicht tot ist… Und mittendrin Wuttke als knorriger, aber sachlicher, unaufgeregter Bulle Keppler (gut) und Thomalla, der man die Kripo-Beamtin einfach nicht abnimmt.
„Schwarzer Afghane“ (der Titel ist um keine wortspielerische Doppeldeutigkeit verlegen, sei sie auch noch so naheliegend), versucht, zu verdeutlichen, dass es erst der Krieg ist, der aus eigentlich unbescholtenen Flüchtlingen bzw. Asylsuchenden Terroristen macht. Komplett auf der Strecke bleibt dabei jedoch die Charakterisierung Bakhtaris, der erst gegen Ende sichtbar in die Handlung eingreift. Stattdessen schlängelt sich der Fall durch seine zahlreichen Nebenschauplätze, die alle mehr schlecht als recht mit Bakhtari in Verbindung gebracht werden. Über ihn erfährt man fast ausschließlich aus zweiter Hand, aus den mündlichen Überlieferungen derjenigen, die mit ihm in Kontakt standen – wenn sie sich nicht gerade zu etwas völlig anderem zu äußern gezwungen sind, zu Hilfslieferungen, Vater-Tochter-Konflikten oder Haschisch. So umschifft dieser „Tatort“ leider die Herausforderung, fundierte Einblicke in die Psyche eines Kriegsopfers zu liefern, statt sich ihr zu stellen. Das Ende unter dem Nachthimmel überm Flughafen reißt es dann gerade noch raus und hat alles, was man zuvor vermisste: Dramatik, Action, Spannung und, ja: Atmosphäre. Mehr als ein überambitionierter, letztlich aber doch feiger „Tatort“ und damit nur durchschnittliches Krimivergnügen eines fragwürdigen Ermittlerduos bleibt unterm Strich leider nicht.
Regisseur Thomas Jahns („Knockin‘ on Heaven’s Door“) nach „Nacht der Engel“ zweiter Beitrag zur „Tatort“-TV-Krimireihe verschlug ihn für den im März 2013 erstaufgeführten Fall „Schwarzer Afghane“ nach Leipzig, wo er den 16. Fall der Hauptkommissare Eva Saalfeld (Simone Thomalla) und Andreas Keppler (Martin Wuttke) inszenierte.
Frisch aus dem Urlaub zurück, muss Kommissar Keppler zusammen mit seiner Kollegin und Ex-Frau Eva Saalfeld auch schon im nächsten Fall ermitteln: Zwei Kiffer haben beobachtet, wie auf einer Wiese im Leipziger Auenwald ein Mann bei lebendigem Leibe Feuer fing und verbrannte. Laut der verkohlten Papiere des Manns handelt es sich um den afghanischen Asylsuchenden und Hochfrequenzphysik-Studenten Arian Bakhtari (Kostja Ullmann, „Verfolgt“). Dieser hat mutmaßlich zuvor die Lagerhalle des deutsch-afghanischen Freundschaftsvereins mithilfe hochentzündlichen Phosphors niedergebrannt und ist möglicherweise selbst zu sehr in Kontakt mit der Chemikalie geraten. Bakhtari war kurz für Norbert Müller (Sylvester Groth, „Kolle - Ein Leben für Liebe und Sex“), Spediteur und Vermieter der Halle, tätig, aber entlassen worden, als er sich zu sehr für die Container zu interessieren begann, in denen Müller Hilfsgüter ins kriegsgebeutelte Afghanistan transportiert. Doch die Halle wurde offenbar auch als Haschischlager genutzt. Wer hat die Drogen dort gelagert? Und was war das Motiv für die Brandstiftung? Ein Racheakt? Im Rahmen der Ermittlungen lernt das ermittelnde Duo auch Bakhtaris Tante Jamila Nazemi (Ilknur Boyraz, „Rennschwein Rudi Rüssel“) kennen, außerdem eine Dozentin, mit der er liiert war. Auch Müllers Tochter Mette (Haley Louise Jones, „Einstein“), Frucht einer Affäre mit einer Afghanin, kannte Bakhtari: Er war ihr eine Hilfe, ihren afghanischen Freund Deniz nach Deutschland zu schleusen. Doch der ist verschwunden. Und in Bakhtaris Zimmer im Studentenwohnheim entdeckt die Kripo eine phosphorbetriebene US-amerikanische Signalrakete…
Auch vor der Ankunft zahlreichender Flüchtender aus dem syrischen Bürgerkriegsgebiet war Migration bereits ein gesellschaftliches und politisches Dauerthema in Deutschland. Dieser „Tatort“ greift das Thema der Afghanen auf, die vor dem US-geführten Angriffskrieg und/oder der Taliban nach Deutschland flohen, beispielhaft anhand Arian Bakhtaris auf, der Angehörige in Afghanistan verloren hat und nun auf Rache sinnt. Holger Janckes Drehbuch dreht dabei leider zahlreiche Pirouetten, die ein stringentes, nachvollziehbares Narrativ erschweren. Themen wie Vorurteile gegen einen gut integrierten, hochbegabten jungen Mann, Kritik am imperialistischen Krieg, möglicher islamistischer Terror, Drogenhandel und dysfunktionale Liebesbeziehungen werden vermengt mit „Tatort“-typischen Übertreibungen: Diebstähle aus einem US-amerikanischen Militärlager, die einen zunächst wie ein Verbrecher agierenden Mitarbeiter des Militärischen Abschirmdiensts (Anatole Taubman, „Operation Zucker“) auf den Plan rufen, der später auch noch umgebracht wird, ein grausamer Mord zum Einstieg, ein Toter, der gar nicht tot ist… Und mittendrin Wuttke als knorriger, aber sachlicher, unaufgeregter Bulle Keppler (gut) und Thomalla, der man die Kripo-Beamtin einfach nicht abnimmt.
„Schwarzer Afghane“ (der Titel ist um keine wortspielerische Doppeldeutigkeit verlegen, sei sie auch noch so naheliegend), versucht, zu verdeutlichen, dass es erst der Krieg ist, der aus eigentlich unbescholtenen Flüchtlingen bzw. Asylsuchenden Terroristen macht. Komplett auf der Strecke bleibt dabei jedoch die Charakterisierung Bakhtaris, der erst gegen Ende sichtbar in die Handlung eingreift. Stattdessen schlängelt sich der Fall durch seine zahlreichen Nebenschauplätze, die alle mehr schlecht als recht mit Bakhtari in Verbindung gebracht werden. Über ihn erfährt man fast ausschließlich aus zweiter Hand, aus den mündlichen Überlieferungen derjenigen, die mit ihm in Kontakt standen – wenn sie sich nicht gerade zu etwas völlig anderem zu äußern gezwungen sind, zu Hilfslieferungen, Vater-Tochter-Konflikten oder Haschisch. So umschifft dieser „Tatort“ leider die Herausforderung, fundierte Einblicke in die Psyche eines Kriegsopfers zu liefern, statt sich ihr zu stellen. Das Ende unter dem Nachthimmel überm Flughafen reißt es dann gerade noch raus und hat alles, was man zuvor vermisste: Dramatik, Action, Spannung und, ja: Atmosphäre. Mehr als ein überambitionierter, letztlich aber doch feiger „Tatort“ und damit nur durchschnittliches Krimivergnügen eines fragwürdigen Ermittlerduos bleibt unterm Strich leider nicht.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Diese Filme sind züchisch krank!
- FarfallaInsanguinata
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Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie
Ein "Tatort"-Tipp, zu dem mir das Sommerlochprogramm des NDR verholfen hat.
"Verlorene Töchter" aus der Reihe der "Casstorff"-Fälle. Damals bereits für gut befunden, jedoch leicht in Vergessenheit geraten. Nun bei der Neusichtung als eher noch stärker empfunden, allerdings mit der verblüffenden Erkenntnis, dass das bereits fünfzehn Jahre her ist.
Von den Jungdarstellerinnen sind nur Lulu Grimm und Marie Therese Katt selbst mir halbwegs ein Begriff. Das sollte aber nicht abschrecken!
Wer einen tollen Hamburger Tatort aus der Nach-Arschloch-Zeit "Brockmöller" und Vor-Arschloch-Zeit "Tschiller" und "Falke" sehen möchte ist hier richtig.
Ich vergebe 08/10.
https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/ ... t3820.html
"Verlorene Töchter" aus der Reihe der "Casstorff"-Fälle. Damals bereits für gut befunden, jedoch leicht in Vergessenheit geraten. Nun bei der Neusichtung als eher noch stärker empfunden, allerdings mit der verblüffenden Erkenntnis, dass das bereits fünfzehn Jahre her ist.
Von den Jungdarstellerinnen sind nur Lulu Grimm und Marie Therese Katt selbst mir halbwegs ein Begriff. Das sollte aber nicht abschrecken!
Wer einen tollen Hamburger Tatort aus der Nach-Arschloch-Zeit "Brockmöller" und Vor-Arschloch-Zeit "Tschiller" und "Falke" sehen möchte ist hier richtig.
Ich vergebe 08/10.
https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/ ... t3820.html
Diktatur der Toleranz
Die Zeit listete den Film in einem Jahresrückblick als einen der schlechtesten des Kinojahres 2023. Besonders bemängelt wurden dabei die Sexszenen, die von der Rezensentin als „pornografisch“ und „lächerlich“ bezeichnet wurden.
Die Zeit listete den Film in einem Jahresrückblick als einen der schlechtesten des Kinojahres 2023. Besonders bemängelt wurden dabei die Sexszenen, die von der Rezensentin als „pornografisch“ und „lächerlich“ bezeichnet wurden.
- buxtebrawler
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Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie
Den habe ich auch noch ungesehen liegenFarfallaInsanguinata hat geschrieben:Ein "Tatort"-Tipp, zu dem mir das Sommerlochprogramm des NDR verholfen hat.
"Verlorene Töchter" aus der Reihe der "Casstorff"-Fälle.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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- buxtebrawler
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Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie
Tatort: Duisburg-Ruhrort
„Pech im Spiel, Pech in der Liebe!“
1981 eroberte ein neuer Typ Kripo-Kommissar die „Tatort“-Reihe: Nach drei Engagements in den 1970ern jenseits der Polente polarisierte Götz Georges („Aus einem deutschen Leben“) Horst Schimanski als saufender und herumvögelnder Schmuddel-Hotte aus dem Ruhrpott, genauer: aus Duisburg, wo er an der Seite des pflichtbewussten Christian Thanner (Eberhard Feik, „Die Vorstadtkrokodile“) seine Fälle auf oft unorthodoxe Weise löste. Und so sehr die einen diese Verkörperung eines Polizeibeamten in aller Entschiedenheit ablehnten, so sehr spielte bzw. soff, vögelte und prügelte er sich in die Herzen der anderen, sodass er heute Kultstatus genießt. Seinen ersten Fall inszenierte Regisseur Hajo Gies nach einem Drehbuch Horst Vocks‘ und Thomas Wittenburgs. Ab dem 28.06.1981 war die öffentliche-rechtliche Krimireihe um eine Attraktion reicher.
„Schade, dass so viel Intelligenz bei der Polizei verkommt!“
Im Duisburger Hafen wird Binnenschiffer Heinz Petschek tot aufgefunden: Er wurde erstochen und anschließend ins Wasser geworfen. Der Trinker Jan Poppinga (Michael Rastl, „Das Käthchen von Heilbronn“) ist dringend tatverdächtig, denn seine Frau (Brigitte Janner, „Aus einem deutschen Leben“) hatte ihn mit Petschek betrogen. Schimanski und Thanner bringen Poppinga in Untersuchungshaft, doch Schimanksi zweifelt an dessen Schuld. Ein zweiter Toter beweist schließlich, dass nach wie vor ein Mörder frei herumläuft…
„Leader of the Pack“ der Shangri-Las läuft im Radio, während Horst Schimanski sich auf einen neuen Arbeitstag vorbereitet und erst mal rohe Eier zum Frühstück schlürft. Symbolträchtig wird dieser Auftakt zudem, als ein Nachbar laut fluchend seinen Fernseher aus dem Fenster schmeißt. Im Fernsehen läuft ja eh nur Mist, doch nun ist Schimmi da, der schnoddrige Goldkettchen-Macho und Muckiproll, der im Dienst des Gesetzes steht – und so ganz anders ist als sein Partner Thanner, für den Dienstvorschriften heilig zu sein scheinen. Aus dem Gegensatz dieses ungleichen Duos bezieht dieser „Tatort“ ebenso seinen Reiz wie aus den Duisburger Pott-Kulissen. Proletarisch geht’s hier zu, und Schimanski ist eigentlich einer von ihnen.
Schimanski betrinkt sich schon mal mit der Frau des Verdächtigen, ist Stammgast im Imbiss, wo er stilecht zwischen Punks Currywust mit Pommes zu speisen pflegt, verbringt eine Nacht mit seiner Kneipenwirtin oder pennt bei Thanner, der ganz schön unter der Fuchtel seiner Frau Sylvia (Nate Seids, „Die Geschichte der 1002. Nacht“) steht. Wegen Beamtenbeleidigung und tätlicher Übergriffe wird man nicht gleich angezeigt, mit den üblichen Bullenmimosen hat Schimmi nichts gemein – und gelangt dadurch in der Hafenkneipe an weiterführende Informationen. Ärger gibt’s auch in einer Rockerkneipe, vor allem mit dem in einer Nebenrolle brillierenden Ralf Richter („Das Boot“). Doch erst im türkischen Restaurant überschlagen sich so richtig die Ereignisse: Explosionen, brennende Menschen, Prügeleien und Schießereien. Am Ende ist der Fall gelöst.
Nein, wirklich spannend ist „Duisburg-Ruhrort“ nicht, obwohl es sich um einen vertrackten Fall mit überraschender Auflösung handelt. Pott-Folklore dominiert über kriminalistische Ermittlungen, gleich eine Reihe Milieus unterer Schichten werden abgeklappert – dieser „Tatort“ lebt von seinem Hauptdarsteller und dem rustikalen Ruhrpott-Charme. Schimanski als eine Art „Volksbulle“, den bis auf die Dienstmarke kaum etwas von seiner Klientel trennt, der das Herz auf der Zunge und die Faust geballt trägt und über kriminalistischen Spürsinn genauso verfügt wie über einen weichen Kern unter der rauen Schale. Die Schimanski/Thanner-„Tatorte“ wollten die Reihe wieder näher am Proletariat ansiedeln und dessen Identifikationsmöglichkeiten mit den Ermittlern erhöhen. Es ging nicht darum, einen deutschen „Dirty Harry“ oder Charles Bronson zu installieren, der das Gesetz in die eigene Hand nimmt, Horst Schimanski ist keine Selbstjustiz-One-Man-Army mit reaktionärer Berufsauffassung. Schimmi ist ein progressiver, frischer Wind in den verstaubten Beamtenstuben, ein illusionsloser Mann mit ehrlichem Gerechtigkeitssinn, so etwas wie ein solidarischer Vertreter der Arbeiterklasse, der keine Spießer leiden kann. Anspielungen auf die damaligen Berufsverbote gegen Kommunisten lassen sich ebenso vernehmen wie der beiläufige Running Gag der ständig falsch ausgesprochenen Nachnamen.
Ein schöner Auftakt, der das Milieu absteckt, das Ambiente skizziert und die Hauptrollen charakterisiert, um sie fortan in noch wesentlich aufregendere Einsätze zu schicken. Duisburg durfte sich freuen.
„Pech im Spiel, Pech in der Liebe!“
1981 eroberte ein neuer Typ Kripo-Kommissar die „Tatort“-Reihe: Nach drei Engagements in den 1970ern jenseits der Polente polarisierte Götz Georges („Aus einem deutschen Leben“) Horst Schimanski als saufender und herumvögelnder Schmuddel-Hotte aus dem Ruhrpott, genauer: aus Duisburg, wo er an der Seite des pflichtbewussten Christian Thanner (Eberhard Feik, „Die Vorstadtkrokodile“) seine Fälle auf oft unorthodoxe Weise löste. Und so sehr die einen diese Verkörperung eines Polizeibeamten in aller Entschiedenheit ablehnten, so sehr spielte bzw. soff, vögelte und prügelte er sich in die Herzen der anderen, sodass er heute Kultstatus genießt. Seinen ersten Fall inszenierte Regisseur Hajo Gies nach einem Drehbuch Horst Vocks‘ und Thomas Wittenburgs. Ab dem 28.06.1981 war die öffentliche-rechtliche Krimireihe um eine Attraktion reicher.
„Schade, dass so viel Intelligenz bei der Polizei verkommt!“
Im Duisburger Hafen wird Binnenschiffer Heinz Petschek tot aufgefunden: Er wurde erstochen und anschließend ins Wasser geworfen. Der Trinker Jan Poppinga (Michael Rastl, „Das Käthchen von Heilbronn“) ist dringend tatverdächtig, denn seine Frau (Brigitte Janner, „Aus einem deutschen Leben“) hatte ihn mit Petschek betrogen. Schimanski und Thanner bringen Poppinga in Untersuchungshaft, doch Schimanksi zweifelt an dessen Schuld. Ein zweiter Toter beweist schließlich, dass nach wie vor ein Mörder frei herumläuft…
„Leader of the Pack“ der Shangri-Las läuft im Radio, während Horst Schimanski sich auf einen neuen Arbeitstag vorbereitet und erst mal rohe Eier zum Frühstück schlürft. Symbolträchtig wird dieser Auftakt zudem, als ein Nachbar laut fluchend seinen Fernseher aus dem Fenster schmeißt. Im Fernsehen läuft ja eh nur Mist, doch nun ist Schimmi da, der schnoddrige Goldkettchen-Macho und Muckiproll, der im Dienst des Gesetzes steht – und so ganz anders ist als sein Partner Thanner, für den Dienstvorschriften heilig zu sein scheinen. Aus dem Gegensatz dieses ungleichen Duos bezieht dieser „Tatort“ ebenso seinen Reiz wie aus den Duisburger Pott-Kulissen. Proletarisch geht’s hier zu, und Schimanski ist eigentlich einer von ihnen.
Schimanski betrinkt sich schon mal mit der Frau des Verdächtigen, ist Stammgast im Imbiss, wo er stilecht zwischen Punks Currywust mit Pommes zu speisen pflegt, verbringt eine Nacht mit seiner Kneipenwirtin oder pennt bei Thanner, der ganz schön unter der Fuchtel seiner Frau Sylvia (Nate Seids, „Die Geschichte der 1002. Nacht“) steht. Wegen Beamtenbeleidigung und tätlicher Übergriffe wird man nicht gleich angezeigt, mit den üblichen Bullenmimosen hat Schimmi nichts gemein – und gelangt dadurch in der Hafenkneipe an weiterführende Informationen. Ärger gibt’s auch in einer Rockerkneipe, vor allem mit dem in einer Nebenrolle brillierenden Ralf Richter („Das Boot“). Doch erst im türkischen Restaurant überschlagen sich so richtig die Ereignisse: Explosionen, brennende Menschen, Prügeleien und Schießereien. Am Ende ist der Fall gelöst.
Nein, wirklich spannend ist „Duisburg-Ruhrort“ nicht, obwohl es sich um einen vertrackten Fall mit überraschender Auflösung handelt. Pott-Folklore dominiert über kriminalistische Ermittlungen, gleich eine Reihe Milieus unterer Schichten werden abgeklappert – dieser „Tatort“ lebt von seinem Hauptdarsteller und dem rustikalen Ruhrpott-Charme. Schimanski als eine Art „Volksbulle“, den bis auf die Dienstmarke kaum etwas von seiner Klientel trennt, der das Herz auf der Zunge und die Faust geballt trägt und über kriminalistischen Spürsinn genauso verfügt wie über einen weichen Kern unter der rauen Schale. Die Schimanski/Thanner-„Tatorte“ wollten die Reihe wieder näher am Proletariat ansiedeln und dessen Identifikationsmöglichkeiten mit den Ermittlern erhöhen. Es ging nicht darum, einen deutschen „Dirty Harry“ oder Charles Bronson zu installieren, der das Gesetz in die eigene Hand nimmt, Horst Schimanski ist keine Selbstjustiz-One-Man-Army mit reaktionärer Berufsauffassung. Schimmi ist ein progressiver, frischer Wind in den verstaubten Beamtenstuben, ein illusionsloser Mann mit ehrlichem Gerechtigkeitssinn, so etwas wie ein solidarischer Vertreter der Arbeiterklasse, der keine Spießer leiden kann. Anspielungen auf die damaligen Berufsverbote gegen Kommunisten lassen sich ebenso vernehmen wie der beiläufige Running Gag der ständig falsch ausgesprochenen Nachnamen.
Ein schöner Auftakt, der das Milieu absteckt, das Ambiente skizziert und die Hauptrollen charakterisiert, um sie fortan in noch wesentlich aufregendere Einsätze zu schicken. Duisburg durfte sich freuen.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Diese Filme sind züchisch krank!
- karlAbundzu
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Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie
TATORT DRESDEN: NEMESIS
Erpressung, teures Restaurant, alte Seilschaften Polizei / Kriminalität. Alles soweit bekannt: Hier aber verbunden mit der Story einer Mutter, bei der immer mehr die Frage aufkommt: Sehr Großer Mutterbeschützerinstinkt oder schon wahnsinnig/Borderline.
Das ist alles straight und intelliget inszeniert, routiniert geschrieben. Im Mittelpunkt der Komissarinnen steht die "neue" Leonie Winkler , ihre Ideen, ihr Informant, ihr Vater. Das spielt Cornelia Gröschel intensiv, hoffentlich kommt aber demnächst auch wieder Karin Hanczewski wieder mehr vor, die Chemie zwischen den beiden stimmt.
Hauptattraktion ist die Tatort-Veteranin Britta Hammelstein (die mich auch in Mackie Messer begeisterte) die die dankbare Rolle der Mutter hervorragend spielt, so dass man lange nicht sicher ist, in wieweit der Wahnsinn vorherrscht.
Gut.
POLIZEIRUF MAGDEBURG: Mörderische Dorfgemeinschaft
KLasisches ARDKrimithema, schon im Titel angedeutet, was da los ist. Ein Dorf und ein Fremder Charmeur. Der dann natürlich tot ist. Was war passiert. Altes Thema, aber hochaktuell: Was alles in die "Fremden" an positivem und negativem hineinprojiziert wird,....
Ja, aber halt Routine, nichts besonderes, erwartbar. Gute interessante Kamera und das Ermittlerduo mit Claudia MIchaelsen und dem wandelbaren Matthias Matschke sind natürlich eine Bank.
Erpressung, teures Restaurant, alte Seilschaften Polizei / Kriminalität. Alles soweit bekannt: Hier aber verbunden mit der Story einer Mutter, bei der immer mehr die Frage aufkommt: Sehr Großer Mutterbeschützerinstinkt oder schon wahnsinnig/Borderline.
Das ist alles straight und intelliget inszeniert, routiniert geschrieben. Im Mittelpunkt der Komissarinnen steht die "neue" Leonie Winkler , ihre Ideen, ihr Informant, ihr Vater. Das spielt Cornelia Gröschel intensiv, hoffentlich kommt aber demnächst auch wieder Karin Hanczewski wieder mehr vor, die Chemie zwischen den beiden stimmt.
Hauptattraktion ist die Tatort-Veteranin Britta Hammelstein (die mich auch in Mackie Messer begeisterte) die die dankbare Rolle der Mutter hervorragend spielt, so dass man lange nicht sicher ist, in wieweit der Wahnsinn vorherrscht.
Gut.
POLIZEIRUF MAGDEBURG: Mörderische Dorfgemeinschaft
KLasisches ARDKrimithema, schon im Titel angedeutet, was da los ist. Ein Dorf und ein Fremder Charmeur. Der dann natürlich tot ist. Was war passiert. Altes Thema, aber hochaktuell: Was alles in die "Fremden" an positivem und negativem hineinprojiziert wird,....
Ja, aber halt Routine, nichts besonderes, erwartbar. Gute interessante Kamera und das Ermittlerduo mit Claudia MIchaelsen und dem wandelbaren Matthias Matschke sind natürlich eine Bank.
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
- buxtebrawler
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Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie
Tatort: Nemesis
„Dass Dresden so’n Mann verliert…“
Der zweite Dresdner „Tatort“ nach Alwara Höfels‘ bedauerlichem Abgang fußt auf einem Drehbuch Mark Monheims und Stephan Wagners, der auch zum fünften Mal innerhalb der Krimireihe die Regie übernahm. Mit der Erstausstrahlung am 18. August 2019 beendete die ARD ihre „Tatort“-Sommerpause. Für Kommissarin Karin Gorniak (Karin Hanczewski) ist es der achte Fall, für ihre neue Kollegin Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) der zweite.
„Das ist Dresden – nicht Palermo!“
Gastronom Joachim „Jojo“ Benda (Gerd Kastenmeier) wird erschossen in seinem Büro aufgefunden. Motiv und Täter vermutet man im Schutzgeldmafia-Milieu, auch die Aussagen der Witwe Bendas Katharina (Britta Hammelstein, „Der Baader Meinhof Komplex“) gehen ganz in diese Richtung: Zuvor hätten Schutzgelderpresser sie zu Hause überfallen und auch ihre beiden Söhne Viktor (Juri Winkler, „Rico, Oskar und die Tieferschatten“) und Valentin (Caspar Hoffmann) bedroht. Eine Spur führt zum zwielichtigen Stammgast Levon Nazarian (Marko Dyrlich, „Verpiss Dich, Schneewittchen“), dessen Kreditkarte am Tatort gefunden wurde. Doch auch Winklers pensionierter Vater Otto (Uwe Preuss, „Kriegerin“) und Kommissariatsleiter Schnabel (Martin Brambach) verkehrten regelmäßig in Bendas Lokal. Gibt es bis in die Polizei hineinreichende Verwicklungen in die Unterwelt? Und sagt Katharina wirklich immer die Wahrheit…?
„‘Projektil‘ sagt man!“
Dass der zweite Fall des Duos Gorniak/Winkler „die Neue“ stärker in den Fokus rücken würde, war zu erwarten. In diesem Ausmaße – inkl. familiärer Einblicke – erscheint es jedoch fast schon übertrieben, zumindest etwas arg bemüht. Das ist jedoch nicht das Problem dieses „Tatorts“, denn Gröschel sieht man gern in ihrer Rolle. Weniger gern wird man Zeuge, wie sehr sie sich noch von oben herab vom Vorgesetzten Schnabel behandeln lassen muss. Dass sich die junge Kollegin gegen den alteingesessenen Patriarchen der Dresdner Polizei, der aufgrund persönlicher Bekanntschaften ihre Ermittlungen torpediert, durchsetzen muss, ist ein etwas halbherziger (weil für Schnabel folgenloser) Verweis auf Ungleichbehandlung im Beruf, jedoch lediglich ein Nebenkriegsschauplatz.
In erster Linie geht es lange Zeit darum, falsche Fährten zu legen, aber stets nebulös anzudeuten, dass mit Katharina Benda etwas nicht stimmt. Wiederholt wird dem Publikum ein kleiner Informationsvorsprung gegenüber den Ermittlerinnen gewährt, den es jedoch nicht zu dechiffrieren in der Lage ist. Auf Dauer ist das etwas ermüdend – zumal ständig jemand im Bett liegt, sodass ich bei der Erstsichtung tatsächlich weggenickt bin. Das künstlich gedrosselte Erzähltempo und die Tristesse in der opulenten Stadtvilla der Bendas trugen ihren Teil dazu bei. Nichtsdestotrotz geht von der dysfunktionalen Beziehung Katharinas zu ihren Söhnen – respektive zu ihrem älteren Sohn, den sie im Gegensatz zu ihrem jüngsten kalt und lieblos behandelt – ein gewisser Reiz aus; man kann es aber auch schlicht Neugier nennen.
Im letzten Drittel verdeutlicht sich der manipulative Habitus der Mutter und das wahre Motiv hinter der Tat schält sich mühsam frei. Bei aller Tragik und Dramatik lässt einen das jedoch seltsam ungerührt, denn tiefergehende Charakterisierungen erfahren weder Katharina noch das Mordopfer. Die Auflösung schließlich mutet hanebüchen und heillos übertrieben an, als seien mit den Drehbuchautoren einmal mehr sämtliche Gäule durchgegangen. Das zerstört den Genuss dieses Falls endgültig, was angesichts einwandfreier schauspielerischer Leistungen schade ist. In der Retrospektive wirkt manch Szene zudem enttäuschend sinnbefreit. Ein starker Auftritt eines Informanten in der Autowaschanlage, ein gelungener Seitenhieb aufs LKA und eine Verfolgungsjagd im Dresdner Straßenverkehr, die in einem Parkhaus fortgesetzt wird, stehen bizarre Momente wie eine Knabennacktszene gegenüber, in der dessen Mutter ihn mit Badezwang zu erpressen versucht. Auffallend auch die Vielzahl realer Markennamen im Finale, die die „Tatort“-Drehteams doch sonst stets unkenntlich zu machen angehalten sind.
Ob Winkler durch diese Groteske tatsächlich an Profil gewonnen hat, bleibt ebenso abzuwarten wie die generelle Entwicklung des Dresdner-„Tatort“-Zweigs, der sich nach zuletzt starken Beiträgen durch „Nemesis“ zum eher absteigenden Ast entwickelt hat.
„Dass Dresden so’n Mann verliert…“
Der zweite Dresdner „Tatort“ nach Alwara Höfels‘ bedauerlichem Abgang fußt auf einem Drehbuch Mark Monheims und Stephan Wagners, der auch zum fünften Mal innerhalb der Krimireihe die Regie übernahm. Mit der Erstausstrahlung am 18. August 2019 beendete die ARD ihre „Tatort“-Sommerpause. Für Kommissarin Karin Gorniak (Karin Hanczewski) ist es der achte Fall, für ihre neue Kollegin Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) der zweite.
„Das ist Dresden – nicht Palermo!“
Gastronom Joachim „Jojo“ Benda (Gerd Kastenmeier) wird erschossen in seinem Büro aufgefunden. Motiv und Täter vermutet man im Schutzgeldmafia-Milieu, auch die Aussagen der Witwe Bendas Katharina (Britta Hammelstein, „Der Baader Meinhof Komplex“) gehen ganz in diese Richtung: Zuvor hätten Schutzgelderpresser sie zu Hause überfallen und auch ihre beiden Söhne Viktor (Juri Winkler, „Rico, Oskar und die Tieferschatten“) und Valentin (Caspar Hoffmann) bedroht. Eine Spur führt zum zwielichtigen Stammgast Levon Nazarian (Marko Dyrlich, „Verpiss Dich, Schneewittchen“), dessen Kreditkarte am Tatort gefunden wurde. Doch auch Winklers pensionierter Vater Otto (Uwe Preuss, „Kriegerin“) und Kommissariatsleiter Schnabel (Martin Brambach) verkehrten regelmäßig in Bendas Lokal. Gibt es bis in die Polizei hineinreichende Verwicklungen in die Unterwelt? Und sagt Katharina wirklich immer die Wahrheit…?
„‘Projektil‘ sagt man!“
Dass der zweite Fall des Duos Gorniak/Winkler „die Neue“ stärker in den Fokus rücken würde, war zu erwarten. In diesem Ausmaße – inkl. familiärer Einblicke – erscheint es jedoch fast schon übertrieben, zumindest etwas arg bemüht. Das ist jedoch nicht das Problem dieses „Tatorts“, denn Gröschel sieht man gern in ihrer Rolle. Weniger gern wird man Zeuge, wie sehr sie sich noch von oben herab vom Vorgesetzten Schnabel behandeln lassen muss. Dass sich die junge Kollegin gegen den alteingesessenen Patriarchen der Dresdner Polizei, der aufgrund persönlicher Bekanntschaften ihre Ermittlungen torpediert, durchsetzen muss, ist ein etwas halbherziger (weil für Schnabel folgenloser) Verweis auf Ungleichbehandlung im Beruf, jedoch lediglich ein Nebenkriegsschauplatz.
In erster Linie geht es lange Zeit darum, falsche Fährten zu legen, aber stets nebulös anzudeuten, dass mit Katharina Benda etwas nicht stimmt. Wiederholt wird dem Publikum ein kleiner Informationsvorsprung gegenüber den Ermittlerinnen gewährt, den es jedoch nicht zu dechiffrieren in der Lage ist. Auf Dauer ist das etwas ermüdend – zumal ständig jemand im Bett liegt, sodass ich bei der Erstsichtung tatsächlich weggenickt bin. Das künstlich gedrosselte Erzähltempo und die Tristesse in der opulenten Stadtvilla der Bendas trugen ihren Teil dazu bei. Nichtsdestotrotz geht von der dysfunktionalen Beziehung Katharinas zu ihren Söhnen – respektive zu ihrem älteren Sohn, den sie im Gegensatz zu ihrem jüngsten kalt und lieblos behandelt – ein gewisser Reiz aus; man kann es aber auch schlicht Neugier nennen.
Im letzten Drittel verdeutlicht sich der manipulative Habitus der Mutter und das wahre Motiv hinter der Tat schält sich mühsam frei. Bei aller Tragik und Dramatik lässt einen das jedoch seltsam ungerührt, denn tiefergehende Charakterisierungen erfahren weder Katharina noch das Mordopfer. Die Auflösung schließlich mutet hanebüchen und heillos übertrieben an, als seien mit den Drehbuchautoren einmal mehr sämtliche Gäule durchgegangen. Das zerstört den Genuss dieses Falls endgültig, was angesichts einwandfreier schauspielerischer Leistungen schade ist. In der Retrospektive wirkt manch Szene zudem enttäuschend sinnbefreit. Ein starker Auftritt eines Informanten in der Autowaschanlage, ein gelungener Seitenhieb aufs LKA und eine Verfolgungsjagd im Dresdner Straßenverkehr, die in einem Parkhaus fortgesetzt wird, stehen bizarre Momente wie eine Knabennacktszene gegenüber, in der dessen Mutter ihn mit Badezwang zu erpressen versucht. Auffallend auch die Vielzahl realer Markennamen im Finale, die die „Tatort“-Drehteams doch sonst stets unkenntlich zu machen angehalten sind.
Ob Winkler durch diese Groteske tatsächlich an Profil gewonnen hat, bleibt ebenso abzuwarten wie die generelle Entwicklung des Dresdner-„Tatort“-Zweigs, der sich nach zuletzt starken Beiträgen durch „Nemesis“ zum eher absteigenden Ast entwickelt hat.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Diese Filme sind züchisch krank!
- FarfallaInsanguinata
- Beiträge: 2519
- Registriert: Mi 20. Nov 2013, 22:57
Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie
Tatort - Verlorene Töchter
Die Episode „Verlorene Töchter“ stammt von 2004, aus der „Zwischenphase“ des Hamburger Tatorts, also nach den arroganten Publikumslieblingen Brockmöller und Stöver, und vor dem tumben Krawallmacher Tschiller und dem stromlinienförmigen Pseudo-Rebellen Falke. Obwohl das Team Casstorff, Holicek und Graf bisher wenig gewürdigt wurde, halte ich persönlich sie für die interessantesten Ermittler der Hansestadt.
Die vierzehnjährige Ronja ist bei einem Sturz von einem Turm ums Leben gekommen, anfangs ist völlig offen, ob es sich um einen Unfall, Suizid oder Mord handelt. Schnell ergeben die Ermittlungen im Umfeld der Toten jedoch, dass Ronja sich als Anführerin einer rabiaten und gewalttätigen Mädchengang nicht unbedingt Freunde gemacht hatte. Diese Gang bestand neben Ronja aus der notorischen Schulverweigerin Lucy, der türkischstämmigen Fatma und der übergewichtigen Melanie. Immer im Dunstkreis dieser Mädchen ist auch Ronjas Kusine Marie, die jedoch nicht zu der Bande gehört und sogar von Ronja erpresst wurde, wie sich rasch herausstellt.
Die Teenager sind von bewundernswerter Frechheit und Respektlosigkeit und sich ihrer rechtlichen Vorteile voll bewusst; alle sind erst dreizehn Jahre alt, also strafunmündig. Folglich lassen sie die Kommissare anfangs voll auflaufen.
Im Laufe der Handlung gelingt es jedoch der jungen Ermittlerin Jenny Graf, die sich zuerst gar nicht über die ihr aufgetragene Rolle freut, die harte Schale von Lucy etwas aufzubrechen und zarte emotionale Bande zu dieser aufzubauen. Ebenso schafft dies Jan Casstorff seinerseits bei Fatma. Lediglich Meli bleibt seltsam blass und unbedeutend.
Als die Ermittler schließlich das besondere Verhältnis von Marie und ihrer Tante Iris, Ronjas Mutter, näher beleuchten, halten sie den Schlüssel zur Lösung des Falls in der Hand.
Jugendbanden und selbst kriminelle Mädchenbanden waren zur Entstehungszeit dieses Tatorts sicherlich nichts neues mehr, dennoch muss man anerkennen, dass der Film seine Sache ziemlich gut macht. Klar wird da tief in die Klischeekiste gegriffen; das Mädchen im Zwiespalt zwischen kompletter Verweigerung einerseits und Anpassung an die Erwartungen der traditionellen türkischen Familie andererseits etwa oder das Mädchen, das hinter ihrer bösartigen Respektlosigkeit allem und jedem gegenüber eine geradezu rührende Fürsorge für ihren dementen Opa verbirgt. Der Punkt ist nur, das wirkt tatsächlich sehr authentisch, auch dank der großartigen jungen Darstellerinnen. Die vielschichtige und ungewöhnliche Marie bleibt dabei mit Abstand die interessanteste Person.
Hier haben wir also einen Tatort, dessen Ausgangssituation etwas klischeebehaftet scheint, der es dank des tollen Ermittlerteams und der tollen Episodencharaktere und der tollen Darstellerleistungen jedoch leicht schafft, den Zuschauer für sich einzunehmen, spannend zu unterhalten und im besten Fall sogar leicht nachdenklich zurückzulassen.
Von den Mädchen habe ich leider weder vorher noch nachher etwas gehört, was echt schade ist, da die Darstellerleistungen wie erwähnt außergewöhnlich gut sind. Lediglich Lulu Grimm in der Quasi-Nebenrolle der Ronja, die nur anfangs, vor ihrem schnellen Ableben, auftritt, war mir ein Begriff, taucht sie doch auch in Episoden der kika-Serie krimi.de/leipzig auf.
08/10 vergebe ich hier mit Freude und gutem Gewissen.
Die Episode „Verlorene Töchter“ stammt von 2004, aus der „Zwischenphase“ des Hamburger Tatorts, also nach den arroganten Publikumslieblingen Brockmöller und Stöver, und vor dem tumben Krawallmacher Tschiller und dem stromlinienförmigen Pseudo-Rebellen Falke. Obwohl das Team Casstorff, Holicek und Graf bisher wenig gewürdigt wurde, halte ich persönlich sie für die interessantesten Ermittler der Hansestadt.
Die vierzehnjährige Ronja ist bei einem Sturz von einem Turm ums Leben gekommen, anfangs ist völlig offen, ob es sich um einen Unfall, Suizid oder Mord handelt. Schnell ergeben die Ermittlungen im Umfeld der Toten jedoch, dass Ronja sich als Anführerin einer rabiaten und gewalttätigen Mädchengang nicht unbedingt Freunde gemacht hatte. Diese Gang bestand neben Ronja aus der notorischen Schulverweigerin Lucy, der türkischstämmigen Fatma und der übergewichtigen Melanie. Immer im Dunstkreis dieser Mädchen ist auch Ronjas Kusine Marie, die jedoch nicht zu der Bande gehört und sogar von Ronja erpresst wurde, wie sich rasch herausstellt.
Die Teenager sind von bewundernswerter Frechheit und Respektlosigkeit und sich ihrer rechtlichen Vorteile voll bewusst; alle sind erst dreizehn Jahre alt, also strafunmündig. Folglich lassen sie die Kommissare anfangs voll auflaufen.
Im Laufe der Handlung gelingt es jedoch der jungen Ermittlerin Jenny Graf, die sich zuerst gar nicht über die ihr aufgetragene Rolle freut, die harte Schale von Lucy etwas aufzubrechen und zarte emotionale Bande zu dieser aufzubauen. Ebenso schafft dies Jan Casstorff seinerseits bei Fatma. Lediglich Meli bleibt seltsam blass und unbedeutend.
Als die Ermittler schließlich das besondere Verhältnis von Marie und ihrer Tante Iris, Ronjas Mutter, näher beleuchten, halten sie den Schlüssel zur Lösung des Falls in der Hand.
Jugendbanden und selbst kriminelle Mädchenbanden waren zur Entstehungszeit dieses Tatorts sicherlich nichts neues mehr, dennoch muss man anerkennen, dass der Film seine Sache ziemlich gut macht. Klar wird da tief in die Klischeekiste gegriffen; das Mädchen im Zwiespalt zwischen kompletter Verweigerung einerseits und Anpassung an die Erwartungen der traditionellen türkischen Familie andererseits etwa oder das Mädchen, das hinter ihrer bösartigen Respektlosigkeit allem und jedem gegenüber eine geradezu rührende Fürsorge für ihren dementen Opa verbirgt. Der Punkt ist nur, das wirkt tatsächlich sehr authentisch, auch dank der großartigen jungen Darstellerinnen. Die vielschichtige und ungewöhnliche Marie bleibt dabei mit Abstand die interessanteste Person.
Hier haben wir also einen Tatort, dessen Ausgangssituation etwas klischeebehaftet scheint, der es dank des tollen Ermittlerteams und der tollen Episodencharaktere und der tollen Darstellerleistungen jedoch leicht schafft, den Zuschauer für sich einzunehmen, spannend zu unterhalten und im besten Fall sogar leicht nachdenklich zurückzulassen.
Von den Mädchen habe ich leider weder vorher noch nachher etwas gehört, was echt schade ist, da die Darstellerleistungen wie erwähnt außergewöhnlich gut sind. Lediglich Lulu Grimm in der Quasi-Nebenrolle der Ronja, die nur anfangs, vor ihrem schnellen Ableben, auftritt, war mir ein Begriff, taucht sie doch auch in Episoden der kika-Serie krimi.de/leipzig auf.
08/10 vergebe ich hier mit Freude und gutem Gewissen.
Diktatur der Toleranz
Die Zeit listete den Film in einem Jahresrückblick als einen der schlechtesten des Kinojahres 2023. Besonders bemängelt wurden dabei die Sexszenen, die von der Rezensentin als „pornografisch“ und „lächerlich“ bezeichnet wurden.
Die Zeit listete den Film in einem Jahresrückblick als einen der schlechtesten des Kinojahres 2023. Besonders bemängelt wurden dabei die Sexszenen, die von der Rezensentin als „pornografisch“ und „lächerlich“ bezeichnet wurden.