Franz Kafka – Die Verwandlung
Die Erzählung „Die Verwandlung“ des deutschsprachigen Schriftstellers Franz Kafka ist mit ihrem Umfang von rund 70 Seiten (im vorliegenden Band: 77 Seiten) die längste seiner in sich abgeschlossenen und noch zu seinen Lebzeiten veröffentlichten. Erstveröffentlicht 1915, gilt sie heute als einer der großen literarischen Klassiker jener Epoche. Sie handelt vom Handelsreisenden Gregor Samsa, der eines Morgens aufwacht und feststellen muss, sich in ein schabenartiges Insekt verwandelt zu haben, woraufhin er seinen Dienst nicht mehr antreten kann und von seiner Familie in seinem Zimmer vor der Öffentlichkeit versteckt gehalten wird. In der Erzählung wird Samsas Existenz vornehmlich aus seiner subjektiven Sicht geschildert, ohne ihn jedoch als Erzähler einzusetzen.
Nachdem ich Mitte 2016 ein wenig mit Kafka angefixt wurde, ist „Die Verwandlung“ nach ein, zwei Prosastücken die erste Erzählung, die ich tatsächlich gelesen habe, wenngleich mir der Inhalt oder vielmehr die Ausgangssituation natürlich bekannt war. Und ich bin überrascht, wie viel sich doch auf der kurzen Distanz von 77 Seiten findet: Angefangen bei einer Beschreibung des Leistungsdrucks, der aus der wirtschaftlichen Abhängigkeit von einem wenig erfüllenden Arbeitsverhältnis resultiert, das jedoch die eigene Existenz und die der Familie sichert, über ambivalente innerfamiliäre Verhältnisse bis hin zu psychologischen Phänomenen wie Entbehrung, selbstgewählter Isolation und schließlich Selbstaufgabe. Diese Kombination bietet seither reichlich Futter für verschiedene Interpretationen; als Beispiele seien die Annahme, bei Gregor und seiner Schwester Grete handele es sich um dieselbe Person sowie die These, Gregors Metamorphose sei lediglich eingebildet, genannt.
Ohne mich an derartigen Spekulationen beteiligen zu wollen, erlaubt „Die Verwandlung“, die sich zügig in einem Rutsch durchlesen lässt und keinerlei sprachliche Fallstricke bereithält, meines Erachtens zunächst einmal zwei oberflächliche Lesarten: Gerade für Zartbesaitetere die einer horrorähnlichen Schauermär, die an verbreiteten Ekel vor Insekten und „Ungeziefer“ appelliert und immer dann erneut mit anatomischen Details aufwartet, wenn der Leser möglicherweise gerade wieder ein menschlicheres Bild Samsas zurückgewonnen hat, was insbesondere für eine Generation, die mit grafisch extremen Filmen wie der „Die Fliege“-Neuverfilmung u.ä. aufgewachsen sind, starke, unschöne Bilder im Kopf entstehen lassen kann. Intendiert und von mir eher empfunden dürfte jedoch eine tragikomische, absurde Groteske sein, die durch zahlreiche satirisch angehauchte Darstellungen damaliger gesellschaftlicher Verhältnisse und ihrer Konsequenzen für den einzelnen, einfachen Arbeiter ihre inhaltliche Substanz erhält. So oder so: „Die Verwandlung“ ist ein überaus unterhaltsamer Klassiker, der Lust mehr Kafka macht und somit vermutlich eine ideale Einstiegsdroge.