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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mo 16. Mai 2011, 16:16
von buxtebrawler
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Wolfzeit
Aufgrund einer Katastrophe ist das gesamte öffentliche Leben zum Erliegen gekommen und es gibt erhebliche Versorgungsengpässe. Anna (Isabelle Huppert), ihr Mann und ihre zwei Kinder Ben (Lucas Biscombe) und Eva (Anais Demoustier) fahren deshalb aufs Land, um sich mit ihren Vorräten in ihr Ferienhaus zurückzuziehen. Als sie dort ankommen, erwartet sie allerdings eine böse Überraschung, denn Fremde haben sich in dem Landhaus eingenistet und bedrohen sie mit einer Waffe. Die Eindringlinge erschießen den Familienvater und jagen Anna und die Kinder kurzerhand davon. Fortan ziehen die drei durch das menschenleere Land und stoßen immer wieder auf Tierkadaver und tote Menschen. Als sie auf einen einsamen Jungen (Hakim Taleb) treffen, erzählt er ihnen von einem Bahnhof in der Nähe, an dem sich weitere Überlebende in der Hoffnung auf einen haltenden Zug zusammengefunden haben...
Mit der französisch-deutsch-österreichischen Koproduktion „Wolfzeit“ aus dem Jahre 2003 versucht Autorenfilmer Michael Haneke einmal mehr, ein unkonventionelles Stück Kino zu erschaffen, das zwar guten Gewissens als Endzeit-Drama definiert werden kann, sich aber sämtlicher Genre-Charakteristika zu entziehen versucht. Das führt in diesem Falle aber leider dazu, dass Herr Haneke in seinem Hochmut offensichtlich der Meinung ist, der Zuschauer könne sich bereits damit glücklich schätzen, ein auf über 100 Minuten ausgedehntes Handlungsfragment vorgesetzt zu bekommen.

Denn mehr ist „Wolfzeit“ im Prinzip nicht. Der Zuschauer erfährt lediglich, dass irgendeine Katastrophe stattgefunden haben muss; was genau passiert ist, bleibt im Dunkeln. Ebenso im Dunkeln bleibt, wie es nach dem höhepunkt- und pointenlosen Ende weitergeht. Doch es ist nicht nur das Fehlen einer klassischen Erzählstruktur, das „Wolfzeit“ auf so erzwungen-außergewöhnlich bürstet, es sind auch der vermutlich Haneke-typische völlige Verzicht auf Filmmusik, die er vermutlich als Manipulation des Zuschauers erachten würde, sowie die nahezu statische Kameraführung, deren Mangel an Dynamik Haneke wahrscheinlich als zusätzliche Realismus-Komponente betrachtet. Der Zuschauer wird also gezwungen, sich auf das Schauspiel und die Dialoge der Protagonisten zu konzentrieren, die man innerhalb ihrer zusammengewürfelten Gruppe Überlebender neben ihren Streitereien um Nahrung und Obdach ausgiebig bei Nichtigkeiten beobachten darf. Auf eine klassische bzw. überhaupt so etwas wie Dramaturgie wurde nämlich ebenfalls verzichtet, was letztendlich nicht nur zu mehreren ins Nichts verlaufenden, vermeintlich von Bedeutung sein könnenden Szenen führt, sondern vor allem zu ausgeprägter Langeweile. Interessanter ist da schon der recht präsente Teil des Films, der sich den Kindern bzw. Jugendlichen widmet – doch wer jetzt noch glaubt, dass sich die Beziehung zwischen Eva und dem „zugelaufenen“, namentlich glaube ich nicht genannten Burschen zu einer aufregenden, emotionalen oder wenigstens zu irgendetwas führenden Endzeit-Romanze o.ä. entwickelt, glaubt auch noch an den Weihnachtsmann.

Die Schauspieler spielen ihre Rollen zwar gekonnt, doch – wer hätte es gedacht? – Identifikationsfiguren für den Zuschauer gibt es keine. Das bedeutet letztendlich, dass, falls es Hanekes Intention war, die Distanz zum Zuschauer durch einen weitestmöglichen Grad an Realismus aufzubrechen, dieses Vorhaben gescheitert ist, denn um die Möglichkeit zur Anteilnahme beraubt, verfolgt man das Geschehen erst recht distanziert. Apropos Realismus: Ausgerechnet in einem naturalistischen Anti-Genre-Film sich urplötzlich fragwürdiger Mittel europäischer Exploitation-Filmer aus den 70er- und 80er-Jahren zu bedienen und zu zeigen, wie einem echten Pferd die Kehle aufgeschlitzt wird, ist nicht nur übelkeitserregend, sondern auch entlarvend.

Letztlich bekommt man von „Wolfzeit“ ein paar atmosphärische Szenen präsentiert und kann vielleicht noch die eine andere intellektuelle Metapher ausmachen, das war es dann aber auch schon – neben der Aussage selbstredend, dass der zivilisierte Mensch sich in Extremsituationen gerne mal gegenseitig an die Gurgel geht, statt sich solidarisch untereinander zu verhalten. Danke, Herr Haneke, da wäre ich ohne Ihren Film nie drauf gekommen! Der Realismus-Ansatz in allen Ehren, doch wenn ich Realität will, geh ich vor die Tür, Kino funktioniert jedenfalls anders.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 17. Mai 2011, 01:08
von buxtebrawler
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Caché
Georges ist der Gastgeber einer TV-Show. Eines Tages erhält er äußerst ominöse Pakete mit Videokassetten, doch das Erschreckende ist: Auf den Bändern ist er mit seiner Familie zu sehen, welche dezent von einem Unbekannten gemacht wurden. Als eines der Tapes darauf hinweist, dass der Sender Georges einmal gekannt hat, erwartet Georges Hilfe von der Polizei. Als aber auch diese nicht helfen kann, da keine direkte Drohung von den Bändern ausgeht, ist Georges auf sich allein gestellt...
Der österreichische Autorenfilmer Michael Haneke liefere nach dem meines Erachtens misslungenen „Wolfzeit“ im Jahre 2005 mit „Caché“ eine französisch-österreichisch-deutsch-italienische (puh...) Koproduktion ab, die irgendwo zwischen den Gattungen Drama und Thriller einzuordnen ist und über weite Strecken wieder weitaus zuschauerfreundlicher daherkommt.

So gibt es eine klar definierte Ausgangssituation, nämlich die einer sich intellektuell gebenden, gutbetuchten Mittelstandsfamilie, die ins Visier eines Stalkers geraten ist, ohne, dass dieser sich zu erkennen geben oder sein Motiv offenlegen würde. Doch mit den in auf Ereignisse in der Kindheit des TV-Moderators Georges anspielenden Kinderzeichnungen eingehüllten, stundenlangen Videoaufnahmen von dessen Haus wird eine verdrängte bzw. zuvor gar nicht als solche wahrgenommene „Leiche im Keller“ wiedererweckt, die Georges dazu zwingt, sich mit Fragen von Schuld, die er Jahrzehnte zuvor auf sich geladen hat, auseinanderzusetzen, worunter nicht zuletzt sein Privatleben leidet.

Dieser vermutet, dass hinter dem Psychoterror sein ehemaliger Pflegebruder algerischer Herkunft steckt, den er als Kind aus der Familie „herausintrigiert“ hat und der, wie Georges feststellen muss, mit seinem Sohn ein ärmliches Dasein am unteren sozialen Rand fristet. Dieser leugnet jedoch, damit etwas zu tun zu haben und weist jegliche Schuld von sich – wie es ebenfalls Georges tut, der auf dem Standpunkt beharrt, keine Verantwortung für die Ereignisse seiner Kindheit übernehmen zu müssen. Die vordergründig intakte Familie – Georges ist mit einer attraktiven Frau verheiratet und hat einen zwölfjährigen Sohn – droht, unter der Anspannung zu zerbrechen und ein handfestes Kommunikationsproblem und angeschlagenes Vertrauensverhältnis nicht nur zu seiner Frau kristallisiert sich heraus.

Trotz Hanekes unverfälschtem Inszenierungsstil, der auch hier wieder einen Verzicht auf Filmmusik und andere auflockernde oder künstlerische Stilmittel bedeutet, gibt es eine greifbare Dramaturgie, die Spannung erzeugt und den Hanekes sprödem, Konzentration einfordernden Stil nicht abgeneigten Zuschauer zu fesseln vermag. Dabei ist nicht nur die Auflösung der Geschehnisse (die es so nicht gibt) interessant, sondern auch die bröckelnde Fassade der heilen Welt Georges und seiner Familie, die vermutlich je nach persönlicher Sichtweise mit Entsetzen oder mit Schadenfreude, vielleicht am ehesten mit einer Mischung aus beidem, verfolgt werden kann. Da vermutlich jeder irgendwelche Unrühmlichkeiten aus der Kindheit im Unterbewusstsein mit sich herumträgt, funktioniert die psychologische Ebene ziemlich gut. Doch Hanekes Anliegen scheint es zu sein, anhand dieses Beispiels eine Parabel auf das Tabuthema des von der französischen Polizei verübten Massakers an ca. zweihundert Algeriern im Jahre 1961 zu erzeugen, das innerhalb des Filmes erwähnt wird und sich um eine „Leiche im Keller“ der französischen Gesellschaft zu handeln scheint und eine Rolle bei den jüngeren Aufständen in den Vorstädten gespielt haben dürfte. Gegenstand des Films ist demnach die Auseinandersetzung mit lange zurückliegender, unverarbeiteter Schuld, im kleinen wie im großen Rahmen, denn letztlich ist jeder nur ein kleiner Teil eines großen Ganzen.

Und eben dieses Thema wurde recht ansprechend von Haneke auf die Leinwand gebracht. Daniel Auteuil und Juliette Binoche spielen das Ehepaar überzeugend, Details wie die mit Büchern übersäte Wohnungseinrichtung verhelfen dem Film zu einer memorablen, individuellen Optik, im Hintergrund laufende Nachrichtensendungen stellen einen weiteren Bezug zur Realität her, Abendessen mit Freunden charakterisieren das Umfeld der Familie und persiflieren es subtil, während die Konfrontationen mit Georges ehemaligen Pflegebrüder Majid und dessen Welt das Kontrastprogramm darstellen. Ein überraschende Selbstmordszene ist überaus schockierend und visuell explizit umgesetzt worden. Vom „Tier-Snuff“ allerdings konnte Haneke auch diesmal die Finger nicht lassen und lässt einen Hahn köpfen, was aber wenigstens in engem Zusammenhang mit der Handlung steht. Bleibt zu hoffen, dass die Crew sich ihn hat schmecken lassen.

Ohne allzu sehr von oben herab mit erhobenem Zeigefinger zu moralisieren, wirft Haneke interessante, unbequeme Fragen auf und schafft es, kritische Töne und ein brisantes Thema in einen spannenden Film zu verpacken. Doch am Ende, da ist er wieder: Der Haneke, der seinem Publikum kein bisschen Spaß gönnt und die Auflösung im Dunkeln oder zumindest, in Anlehnung an den Filmtitel, im Versteckten belässt. Damit verhindert er leider, dass „Caché“ auch auf der „Whodunit?“-Ebene befriedigend funktioniert. Zumindest offenbart sich Zuschauern, die auf Details achten, in der Schlusseinstellung noch eine evtl. bedeutsame Komponente… (Was, ohne vorher darauf hingewiesen worden zu sein, aber wohl kaum jemand entdeckten dürfte.)

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 17. Mai 2011, 23:03
von buxtebrawler
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Das Böse
Die friedliche Ruhe auf dem Morningside Friedhof ist schnell vorüber, als seltsame Kreaturen und eine Lady mit mörderischen Absichten für schaurige Vorfälle sorgen. Mike (A. Michael Baldwin) kommt zufällig hinter dem finsteren Geheimnis, bei dem ein unheimlicher Bestatter (Angus Scrimm) der Schlüssel des ganzen Spuks zu sein scheint. Bei seinem Versuch Jody und Richie davon zu überzeugen nimmt der Horror seinen Lauf und die Freunde werden vom finsteren Totengräber erbarmungslos gejagt. Doch wie kann man etwas bekämpfen, dass nicht von dieser Welt ist?
„Ich versteh’ überhaupt nicht, was das soll!“

Nach zwei genrefremden Produktionen machte sich Ende der 1970er der erst 23-jährige, in Libyen geborene US-Bürger Don Coscarelli daran, einen wahrhaft phantastischen, alptraumhaften Low-Budget-Horrorfilm zu drehen, der längst Kultstatus besitzt. Coscarelli soll dabei von der Regie über das Verfassen des Drehbuchs bin hin zu Produktion, Kamera und Schnitt fast alles selbst gemacht haben, und angesichts dessen ist das Ergebnis von erstaunlich hoher Qualität.

Dabei mutet die Handlung zunächst einmal gar absonderlich an: Ein hünenhafter Totengräber, im Film schlicht „Tall Man“ genannt und anscheinend nicht von dieser Welt, stiehlt die ihm überantworteten Leichen, um sie in Gefäßen zu Zwergen zu schrumpfen und sie über eine Dimensionsschleuse (oder so) als Sklaven in eine karge, fremde Welt zu schicken bzw. ihnen Kutten überzuziehen und sie als seine Schergen auf der Erde zu instrumentalisieren. Als weitere Waffe stehen ihm chromglänzende, fliegende Kugeln zur Verfügung, die sich mittels einer ausgetüftelten Mechanik durch die Schädeldecke ihrer Opfer rammen und ihnen das Schädelinnere absaugen. Einem irgendwie abgesaugten Schädel würde man wohl auch diese Story zuschreiben, doch Coscarelli und seinen Schauspielerin gelingt das Kunststück, all das in so düster-atmosphärische, bisweilen gar richtiggehend künstlerische Bilder zu verpacken und fast gänzlich auf Humor und Ironisierungen zu verzichten, dass der Zuschauer die schräge Ausgangssituation in vollem Umfang akzeptiert und sich vom überaus gekonnt inszenierten Grusel packen lässt.

Einen großen Anteil daran haben die Schauspieler Michael Baldwin, der als präpubertierender Vollwaise Mike zunächst nur seinem großen Bruder Jody (Bill Thornbury) hinterherspioniert, nach einer unheimlichen Beobachtung aber versucht, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, und Angus Scrimm, der als „Tall Man“ Angst und Schrecken verbreitet. Während es Baldwin gelingt, seine Rolle ohne jegliches Overacting absolut souverän und glaubwürdig zu verkörpern, schafft es Scrimm allein schon durch seine Gestalt und seine Mimik, keinen Zweifel an der abgrundtiefen Boshaftigkeit seiner Figur aufkommen zu lassen und etablierte damit eine wahre Horror-Ikone, die sich ihren Platz im Langzeitgedächtnis des Genrefreunds gesichert hat. Erwähnenswert ist auch Reggie Bannister, der den gleichnamigen Kumpel Mikes und Jodys konzentriert und einwandfrei darstellt und sich als eine Art sympathischer Verlierer in die Herzen des Publikum spielt. Generell ist trotz des Einsatzes von Laiendarstellern kein schauspielerischer Ausfall zu beobachten, zumindest ist in mir in dieser Hinsicht nichts aufgefallen. Hinzu kommen sorgsam eingesetzte Spezialeffekte, Masken etc., die allesamt mit Liebe zum Detail auf hohem Niveau umgesetzt wurden und für einige optische Schauwerte sorgen. Auf akustischer Ebene erhält der Film Unterstützung von einer simplen, aber eingängigen Melodie, die mich in ihrer Effektivität an John Carpenters musikalische Arbeiten erinnert, zugegebenermaßen aber recht penetrant eingesetzt wurde. Etwas weniger wäre hier evtl. mehr gewesen, zumal eine allgegenwärtige, bedrohliche Geräuschkulisse ebenfalls ihren Teil zur Gänsehautstimmung beiträgt.

Aber es sind auch gewisse Einzelmomente, die „Das Böse“ zu etwas Besonderem machen, den Zuschauer überraschen und sich im Gedächtnis festsetzen. So z.B. die Szene, als Mike und seine Freunde den Raum mit den Zwergengefäßen und der Dimensionsschleuse betreten und den Zuschauer mit einem in gleißendes Licht getauchten, fremdartig, künstlich und kühl wirkenden Ambiente konfrontieren, der zudem auch noch einen Blick auf die andere Seite des Dimensionstors – und das „Dazwischen“ – erhaschen darf. Surreale Bilderwelten par excellence.

Zunächst vermutlich unbemerkt, gewinnt der Film nach seinem Beginn stetig an Dynamik und zieht den Zuschauer immer weiter in seinen Bann, bis hin zu einem wirkungsvollen Schockmoment in einem offenen Ende – just, als dieser wahrscheinlich damit beschäftigt war, das Gesehene zu verarbeiten, zu interpretieren und eine Erklärung für die seltsamen Geschehnisse zu finden. Hat Mike alles nur geträumt? Sollte das eine metaphernreiche Allegorie auf die Gefühlswelt eines von Schicksalsschlägen und Verlustängsten geprägten Jungen, dessen Pubertät unmittelbar bevorsteht, sein? Direkte Antworten liefert „Das Böse“ nicht, sondern verweist quasi auf die erst neun Jahre später fertiggestellte Fortsetzung. Aber das ist ein anderes Kapitel...

Fazit: Ein in nahezu jeder Hinsicht überraschend gelungener Low-Budget-Genrebeitrag eines talentierten, ambitionierten Jungfilmers, das aus der Welt des phantastischen Films nicht mehr wegzudenken ist.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mi 18. Mai 2011, 00:12
von buxtebrawler
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Das Böse II
Mike wird aus der Psychiatrie entlassen, da er zugibt, dass die schlimmen Ereignisse der Vergangenheit nur Einbildung waren. Als er zurück zu seinem Freund Reggie kehrt, machen sich die beiden jedoch wieder auf den Weg, um den immer noch aktiven Tall Man endgültig aufzuhalten. Dieser plündert inzwischen mit Unterstützung seiner kleinen Gnome die Friedhöfe und entführt die Leichen. Eine hübsche, junge Frau erscheint in Mikes Träumen und bittet ihn um Hilfe und Schutz vor dem Tall Man...
„Kleine Städte sind wie Menschen: Manche werden alt und sterben eines natürlichen Todes. Manche werden ermordet...“

Die Fortsetzung von US-Regisseur Don Coscarellis Überraschungserfolg „Das Böse“ aus dem Jahre 1979 musste satte neun Jahre auf sich warten lassen, doch das lange Warten hat sich gelohnt.

„Das Böse II“ knüpft trotz des relativ großen zeitlichen Abstands direkt an den Vorgänger an und greift bis auf Mike, der nun im Erwachsenenalter nicht länger von Michael Baldwin, sondern von einem ebenbürtigen James LeGros gespielt wird, auf seine bewährten Stammschauspieler zurück: Angus Scrimm gibt wieder eindrucksvoll den grimmigen, bösartigen „Tall Man“, Reggie Bannister steht Mike als Eisverkäufer und „Tall Man“-Jäger Reggie zur Seite. Nicht mehr dabei ist allerdings Bill Thornbury als Mikes großer Bruder, da dieser Charakter bereits vom „Tall Man“ geholt wurde.

Der Fortsetzung lag ein wesentlich höheres Budget zugrunde, das man quasi für alles einsetzte, was die glorreichen 1980er so an Effekten etc. hergaben. Denn „Das Böse II“ ist eine rasante, action- und effektreiche, postapokalyptische Reise auf der Fährte des „Tall Man“, bei der mich in hohem Maße die zahlreichen handgemachten Blut- und Ekelszenen erfreuen, so einiges in die Luft fliegt und der Brutalitätsgrad hochgeschraubt wurde. Leider hat man dabei die Weiterentwicklung der zwar abstrusen, aber gleichsam faszinierenden Story etwas aus den Augen verloren, wodurch sich auch die Selbstzweckhaftigkeit der einen oder anderen kruden Idee nicht verleugnen lässt.

Nach wie vor gelingt es Coscarelli aber, die richtige Stimmung für so einen phantasievollen Horrorschocker zu erzeugen, die, während man als Zuschauer die bis unter die Zähne bewaffneten Mike und Reggie auf ihrer Reise durch verwüstete, ausgestorbene Geisterstädte, in denen der „Tall Man“ gewütet hat, begleitet, stark in Richtung Endzeit-Road-Actioner geht. Trotz eines starken, mit einigen sehr gruseligen Szenen ausgestatteten Beginns und eines ebenso starken Endes hängt der Mittelteil aber etwas durch und schafft es „Das Böse II“ nicht mehr, die atmosphärische Dichte, diesen besonderen Kitzel von Teil I, aufrecht zu erhalten. Dafür kommen Freunde greller optischer Schauwarte weitaus mehr auf ihre Kosten, wenngleich die Subtilität vieler Einstellungen dafür auf der Strecke bleibt.

Das wäre aber alles kein Problem – schließlich darf eine Fortsetzung gerne neue Akzente setzen und einfach „anders“ sein -, hätte man nicht nur den „Tall Man“ amüsanterweise nun anscheinend grundsätzlich durch Fensterglas grabschen lassen, mit der telepathisch mit Mike verbundenen Liz einen irgendwie halbgaren Nebencharakter eingeführt, den mörderischen Chromkugeln mehr Platz und mehr Fähigkeiten eingeräumt und ein grandioses Effektspektakel abgefeuert, sondern auch die Handlung wendungsreicher, überraschender, tiefsinniger gestaltet. Stattdessen bekommt man zwischen Reggie und Alchemy die wohl schlechteste Sexszene, die ich jemals in einem Horrorfilm gesehen habe, serviert. Autsch.

Doch genug davon, denn auch, wenn „Das Böse II“ flacher als sein Vorgänger ausfiel und letztlich das Geheimnis um den „Tall Man“ betreffend mehr Fragen aufwirft, als es beantwortet, wurde ich prima unterhalten und ging mir angesichts manch herrlich übertriebener, wunderbar manuell gefertigter Geschmacklosigkeiten aus dem SFX-Zauberkabinett mehr als nur einmal das Herz auf.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mi 18. Mai 2011, 17:02
von buxtebrawler
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Geschichten, die zum Wahnsinn führen
In der psychiatrischen Klinik von Doktor Tremayne verwischen die Grenzen zwischen Wahnsinn und Wirklichkeit auf erschreckende Weise. Tremayne "weiß" um die meist blutigen Geheimnisse seiner vier besonders zu beobachtenden Patienten und schildert deren Geschichten dem eben angekommenen Klinik-Inspektor. Da ist das zähnefletschende Trauma eines kleinen Jungen: Ein Tiger, der dessen ewig streitende Eltern schließlich zerfetzt und sehr reale Spuren seines blutigen Tuns hinterlässt. Und da ist der seltsame Tod von Onkel Albert, dessen Blicke aus dem vergilbten Rahmen Feuer, Tod und Zeit zu bestimmen scheinen. Oder die Geschichte von Brian: Er liebt einen alten, morschen Baum voller Geheimnisse mehr als seine attraktive Frau. Und schließlich Kimo: Der Hawaiianer zelebriert ein menschliches Blutopfer in aller Öffentlichkeit... Wahnsinnsgeschichten? Nein; Geschichten, die zum Wahnsinn führen!
Der britische Regisseur Freddie Francis („Frankensteins Ungeheuer“, „Draculas Rückkehr“) drehte auch einige der in den 1960er und -70ern so populären Episodenhorrorfilme für die Amicus-Filmproduktion, „Geschichten, die zum Wahnsinn führen“ aus dem Jahre 1973 ist einer davon. Erzählt werden vier Geschichten, verbunden von einer Rahmenhandlung, durch die Donald Pleasence als Dr. R.C. Tremayne, Leiter einer psychiatrischen Klinik, führt. Durch seine Location erinnert der Film unweigerlich an den ähnlichen „Asylum“, ebenfalls aus dem Hause Amicus, dessen Qualitäten er aber nicht erreicht.

Episode Nr. 1 handelt von einem Jungen mit einem nur scheinbar imaginären, animalischen Freund in Form eines ausgewachsenen Tigers, dessen Eltern sich zunächst durch ewige Streitereien gegenseitig zu zerfleischen scheinen, bis dies jemand anderes wesentlich konsequenter übernimmt. Eine sehr vorhersehbare, aber überaus charmante und makabre Episode, die ein Ventil kindlicher emotionaler Verwahrlosung zu Fleisch und Blut werden und sich auf selbiges in Form der Verursacher jenes Zustands stürzen lässt.

In Episode Nr. 2 bekommt man es mit einer arg konstruierten Geschichte um ein bei einer Hausentrümplung eines verstorbenen Familienmitglieds gefundenes, ein Eigenleben führendes Porträt und ein zu Zeitreisen befähigendes Einrad zu tun, die trotz ihres Endes in einem flammenden Inferno nicht so recht zünden will. Hat das Porträt mit seiner sich bewegenden Augenpartie durchaus noch Gruselambitionen, wirken das Einrad und die Szenen in der Vergangenheit eher albern.

Episode Nr. 3 ist ein mit einer schwarzhumorig-bösen Pointe gespicktes Stück über weiblich-eheliche Eifersucht auf die Hobbys des Mannes, hier anhand eines mit nach Hause gebrachten vermeintlich toten Baumstamms versinnbildlicht, der in seinen Formen an weibliche Rundungen erinnert. Was die Effekte betrifft ziemlich einfach und durchschaubar gehalten, trotzdem eine starke Episode mit einem angenehm überraschenden Ende.

Was die psychische Härte betrifft, hat Episode Nr. 4 die Nase vorn, in der das ehrfürchtige, speichelleckende Verhalten einer Agentin ihrem Klienten gegenüber nicht nur zum Verlust ihrer jugendlichen Tochter, sondern auch zu zelebriertem Kannibalismus führt. Der schwarze Humor wird hier auf die zynische Spitze getrieben, ohne Splatter- oder Goreeffekte wird ein beträchtlicher Ekelfaktor erzeugt und die arschkriechende, für den Erfolg bis zur Selbstaufgabe gehende Geschäftswelt bekommt ihr Fett weg. Großartig!

Weniger großartig ist die Rahmenhandlung, deren Pointe weitaus schwächer als die der letzten Episoden ausfiel. Inszenatorisch und schauspielerisch ist grundsätzlich aber alles im Rahmen und der Charmeanteil macht „Geschichten, die zum Wahnsinn führen“ zu einem kurzweiligen, vergnüglichen Episodenfilm.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Do 19. Mai 2011, 22:38
von buxtebrawler
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Das Böse III
Nachdem Reggie den schwerverletzten Mike vor dem Tall Man retten konnte, sehen sich beide bereits im Krankenhaus erneut seinen Angriffen ausgesetzt. Die Flucht von dort endet für Mike in den Fängen des Tall Man. Nun ist Reggie auf sich allein gestellt, doch er gibt nicht auf. Um Mike aus den Fängen des Tall Man zu befreien macht er sich auf den Weg zu dem Mausoleum von Holtsville, wo sich ein riesiges Krematorium befindet. Das Grauen nimmt seinen Lauf und es kommt zum alles entscheidenen Kampf...
„Sehen ist leicht, doch Verstehen, das... das dauert etwas länger.“

„Das Böse“ alias „Phantasm“, die Dritte: US-Regisseur Don Coscarelli ließ sich diesmal „nur“ sechs Jahre für eine zweite Fortsetzung seiner mystischen Horrorreihe um den namenlosen, leichenschrumpfenden Chromkugeljongleur, der als von Angus Scrimm grimmigst gespielter „Tall Man“ in die Geschichte des Genrefilms einging, Zeit und schickte Reggie (Reggie Bannister) 1994 erneut auf die Jagd nach ihm durch entvölkerte, postapokalyptische Landstriche.

Trotz Michael Baldwins Rückkehr, der nun wieder wie in Teil I die Rolle des Mike übernimmt, wird diesmal eben jenem, diesmal wieder sympathischer ausgelegten Reggie die Hauptrolle zuteil. Mike wird nämlich vom „Tall Man“ entführt und Reggie macht sich zunächst allein, später mit Unterstützung auf die Suche, die in einem riesigen Mausoleum, einer durchaus beeindruckenden Kulisse, vorerst endet.

Neben Michael Baldwin ist auch Bill Thornby als dessen toter, nun aber in Visionen, Zwischendimensionen oder der Astralebene auftauchender Filmbruder Jody wieder mit von der Partie, der eigentlich das Dasein einer dieser fiesen, fliegenden Chromkugeln fristet, die unseren Helden aber wohlgesinnt ist. Das ist ebenso neu wie weitere technische Funktionen der Kugeln sowie die Information, dass sich in ihnen die Gehirne Gestorbener und vom „Tall Man“ unter den Nagel Gerissener befinden, oder auch die Zombies, die plötzlich ebenfalls als Handlanger des „Tall Man“ auftauchen. Bisher ebenfalls unbekannt waren die dunkelhäutige Straßenkämpferin Rocky und der kleine, aber waffengewandte und abgebrühte Vollwaise Tim, die sich Reggie auf seiner Reise anschließen. Während Rocky wenigstens noch für ordentliche optische Schauwerte taugt und ihre Brüste zeigt, ist die Rolle des Tim schlicht albern und genauso überflüssig wie der immer mal wieder aufblitzende, nervige Versuch, einen komödiantischen Anteil einzubringen, was einer gepflegten Gruselatmosphäre alles andere als zuträglich ist.

Im Zusammenhang mit seinen flapsigen Sprüchen, professionellen Computeranimationen und sonstigem Effektspektakel, das mich beinahe schon an einen Paul-Verhoeven-Film erinnert, bei einer endgültig konfus wirkenden Handlung, die wieder einmal mehr Fragen aufwirft, als sie beantwortet, erscheint mir „Das Böse III“ mehr auf den Mainstream ausgerichtet, kommerzieller und weit weniger charmant als die gelungenen Vorgänger. Zu einem grundsätzlich nicht schlechten, unterhaltsamen Film hat es zwar in jedem Falle gereicht, dazu tragen die einwandfreien schauspielerischen Leistungen der Hauptdarsteller ebenso bei wie die immer noch faszinierende Optik mitsamt vielen interessanten Einfällen, als Fortsetzung der Reihe aber eine kleine Enttäuschung. Irgendwie lässt sich der Eindruck nicht verwehren, es hier mit einer inhaltlich schwachen Pseudohandlung, die lediglich als Aufhänger für einen hochbudgetierten Spezialeffektreigen dient, zu tun haben. Vielleicht sollte ich mir aber auch einfach das eingangs wiedergegebene Zitat zu Herzen nehmen...

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Fr 20. Mai 2011, 00:42
von buxtebrawler
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Das Böse IV
Seit Jahren führt der "Tall Man" einen grauenhaften Krieg gegen die Menschheit und bevölkert die Welt langsam mit seiner Legion von Untoten. Aber zwei vom Schicksal auserwählte Helden, Mike und Reggie, haben sich geschworen, den Ansturm des Schreckens zu stoppen. Indem sie sich selbst durch ein Tor in das Zeit-Raum-Kontinuum schleudern, sind sie in der Lage, einen lebenswichtigen Anhaltspunkt aus der Vergangenheit ihres Feindes ans Licht zu befördern, der vielleicht dem Horror ein Ende setzen wird. Doch der "Tall Man" ist nicht so einfach zu besiegen. Er versammelt seine dunkle Armee für einen letzten Angriff, der einem das Blut in den Adern erstarren läßt. Michael und Reggie müssen jetzt nicht nur um ihr eigenes Leben kämpfen, sondern für die Zukunft der gesamten Menschheit...
Die Abstände zwischen den Fortsetzungen von Don Coscarellis Horrorreihe um Angus Scrimm als „Tall Man“ genannter Herr über die Untoten, Michael Baldwin als von Selbigem seit seiner frühen Jugend verfolgtem Mike und Reggie Bannister als glatzköpfiger Zopfträger, Ex-Eisverkäufer, Möchtegern-Schwerenöter und „Tall Man“-Jäger wurden immer kürzer, die Qualität nahm trotz der fast immer gleichen Besetzung aber leider ebenfalls stetig ab.

Der 1998 erschienene vierte Teil bildet bislang sowohl den Abschluss als auch Tiefpunkt der Reihe. Einmal mehr wird die mysteriöse Geschichte um einige Aspekte erweitert, Fragen aber nicht wirklich beantwortet, stattdessen gar immer neue aufgeworfen. Und das in einem Ausmaße, dass man als Zuschauer längst bezweifelt, dass Coscarelli durch seine eigenen Drehbücher selbst noch durchsteigt. Auf mich wirkt dieser Teil besonders lieblos zurechtkonstruiert und dem Publikum vorgeworfen. Der „Tall Man“ lässt Reggie am Leben, niemand weiß warum. Der „Tall Man“ baumelt an einem Baum, warum auch immer. In einer Rückblende erfährt man, dass er mal ein normaler Mensch war und an Dimensionsschleusen gebastelt hat – warum er zum grimmigen Seelenfänger wurde, bleibt weiterhin im Verborgenen. Zwischendurch bekommt man in anderen Rückblenden noch belanglose Szenen zu sehen, die bei der Erstellung des ersten Teils anscheinend übrig blieben. Wer sich wirklich noch auf die Handlung konzentriert und Antworten erhofft, wird zwangsläufig enttäuscht werden, wer sich auf ein abgefahrenes Spezialeffekt-Spektakel freut, aber vermutlich ebenfalls, denn diese fielen diesmal trotz einiger immer noch sehr gelungener Arbeiten wesentlich zahmer und zurückhaltender als zuvor aus.

„Das Böse IV“ wirkt stattdessen stellenweise gar fast schon schwülstig-mystisch mit seinem Geplänkel zwischen den Brüder Mike und Jody und ihrem bedeutungsschwangeren, aber letztlich zu nichts führendem Gequatsche und in seiner Gesamtheit wie eine TV- oder halbgare „Direct-to-Video“-Produktion. Schade, denn an den bewährten Schauspielern hat’s nicht gelegen, viel mehr an einem konfusen Konzept, das Coscarelli entweder zu Kopf gestiegen oder über selbigen gewachsen ist.

Fazit: Ziemlich fade Fortsetzung, die dank bekannter Gesichter und einigen bereits aus den Vorgängern bekannten Ideen zumindest partiell noch einigermaßen unterhält, aber ein unwürdiger, oft richtiggehend dröger, langweiliger Schlusspunkt der eigentlich so phantastischen „Phantasm“-Reihe ist.

Nett allerdings: Ein von Reggie Bannister eingespielter und –gesungener Hardrock-Song im Abspann, der die berühmte „Phantasm“-Melodie aufgreift.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Fr 20. Mai 2011, 22:53
von buxtebrawler
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Voll das Leben – Reality Bites
Frisch vom College muß Lelaina (Winona Ryder) feststellen, daß es in der Medienwelt doch ziemlich ruppig zugeht. Bald ihren Job als Praktikantin wieder los, muß sie über ihr Privatleben bald entscheiden, in welche Richtung ihr Leben sich entwickelt. Denn da stehen ihr der Yuppie Michael (Ben Stiller) und der Slacker Troy (Ethan Hawke) zur Auswahl. Doch die Realität sieht noch böser aus und Lelaina versinkt in einem tiefen Loch...
Immer auf der Suche nach der nächsten filmischen „Breakfast Club“-Erfahrung und mit einer leichten Schwäche für Winona Ryder gesegnet, war es nur eine Frage der Zeit, bis ich auf Ben Stillers Spielfilm-Regiedebüt „Reality Bites“ aus dem Jahre 1994 stoßen würde. Das Drehbuch stammt von Helen Childress.

„Reality Bites“ versucht, in einer Mischung aus „Romantic Comedy“ und „Coming-of-age“-Streifen das Lebensgefühl junger Erwachsener in den 1990ern nachzuzeichnen, und zwar anhand einer Gruppe Collegeabsolventen, die versuchen, sich im Leben zurechtzufinden. Das erinnert nicht nur stark an das 80er-Pendant, den inoffiziellen „Breakfast Club“-Nachfolger „St. Elmo’s Fire“, tatsächlich dürfte Joel Schumachers Generationsporträt eine große Inspirationsquelle gewesen sein. Hauptunterschied ist die Ausrichtung auf die der Generation der 90er oft angedichtete Orientierungslosigkeit gepaart mit rebellischer Verweigerungshaltung bis hin zur mit der „Grunge“-Jugendkultur in Verbindung gebrachten Apathie.

Man wird mit fünf Hauptcharakteren konfrontiert: Auf der einen Seite die Clique bestehend aus der idealistischen, in die Medienbranche drängenden Lelaina (bezaubernd: Winona Ryder), dem arbeitslosen Hobbymusiker, Freizeitphilosphen und Kurt-Cobain-Lookalike Troy (Ethan Hawke), dessen Vater im Sterben liegt und der eine von Zynismus geprägte „Scheiß auf alles“-Phase durchläuft, die beruflich erfolgreich ihre ersten Karriereschritte machende, damit und mit ihrem sprunghaften Sexualleben aber ihr schwaches Selbstbewusstsein kompensierende und unter starken Bindungsängsten leidende Vickie sowie der schüchterne, sein „Coming out“ vorbereitende Homosexuelle Sammy, auf der anderen Seite der yuppiehafte Michael (Ben Stiller), der sich in Lelaina verliebt und dadurch die Cliquen-Strukturen durcheinander bringt. Dort ist es nämlich anscheinend ungeschriebenes Gesetz, dass Lelaine und Troy etwas für einander empfinden, aber keine Versuche unternehmen, zusammenzufinden.

Ok, das gibt natürlich Anlass für reichlich Romantikkitsch und nach der anfänglich recht klischeebehafteten Vorstellung der Charaktere mag manch einer schon vorschnell das Handtuch werfen und abschalten. Doch ähnlich wie seinerzeit „St. Elmo’s Fire“ entwickelt sich der Film bzw. entwickeln sich die Charakterzeichnungen, werden facettenreicher, interessanter. Die Beziehungskiste, das unheilvolle Dreieck zwischen Lelaine, Michael und Troy zieht sich zwar durch den gesamten Film, doch die zahlreichen Nebenschauplätze, die die Schwierigkeiten der Protagonisten im Alltag zeigen, sind häufig mit einem gelungenen Sarkasmus versehen worden und nehmen z.B. die verlogene Medienwelt, aber auch andere Branchen kritisch auf die Schippe. Das ist nicht nur dramaturgisch und inszenatorisch ziemlich gelungen, sondern bewahrt den Film vor einer eindimensionalen Sichtweise, die die Clique als realitätsfremde, faule und/oder doofe Wohlstandskinder hinstellen würde. So verkehrt sich die Aussage recht bald ins Gegenteil, denn die Arbeitswelt, der „Ernst des Lebens“ erscheint wenig attraktiv und erstrebenswert, und zwar aus gutem Grunde. Ein wenig US-typische „Vom Tellerwäscher zum Millionär“-Ideologie darf natürlich trotzdem nicht fehlen, aber es wird wohl auch niemand erwarten, dass der Film die Systemfrage stellt.

Die Romanze bzw. das, was einmal eine werden will, zwischen Lelaina und Troy entwickelt sich dann aber erwartungsgemäß dramatisch, wobei hier das Drehbuch leider arg dick aufträgt und es irgendwann nur mehr lächerlich wirkt, welch abnormales Kommunikationsproblem die beiden haben – „Gute Zeiten – schlechte Zeiten“ ist ein Scheiß dagegen. Trotzdem: Ich als „selbst Betroffener“ behaupte, dass es Stiller und Childress tatsächlich gelungen ist, das Lebensgefühl der 90er, sofern es wirklich etwas gegeben hat, das diese Bezeichnung verdient, zumindest partiell einzufangen und unterhaltsam aufzubereiten, ohne dabei allzu sehr zu verflachen. Die letztlich dann doch – mit Ausnahme Troys, das möchte ich ausdrücklich betonen – recht klischeearmen Charaktere, der rockende Soundtrack und natürlich der grenzenlose Charme Winona Ryders, die schlicht perfekt in ihre Rolle passt, machen „Reality Bites“ zu einem guten Film, der zwar gekonnt den Spagat zwischen Kommerzkitsch und halbsubversivem Anspruch meistert, dadurch zwangsläufig aber kein schwer begeisterndes, emotional nachhaltig aufwühlendes Filmerlebnis mit dem Potential, das Leben seines Publikums zu verändern, schafft.

Das ist zumindest mein Stand nach der Erstsichtung, die ordentliche 7 von 10 Punkten zulässt. Evtl. ist da aber noch Luft nach oben, das wird ein Wiedersehen ergeben.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Fr 20. Mai 2011, 23:16
von dr. freudstein
Hhhhhhmmmm...ich hätte mir die Zeit wohl erspart und mich wichtigeren Filmen zugewandt.
Klingt (für mich) überhaupt nicht zusagend :|

Okay, auch nicht so meine bevorzugte Generation :kicher:

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Sa 21. Mai 2011, 00:44
von buxtebrawler
dr. freudstein hat geschrieben:Hhhhhhmmmm...ich hätte mir die Zeit wohl erspart und mich wichtigeren Filmen zugewandt.
Was "wichtige" und "unwichtige" Filme sind, liegt zumeist im Auge des Betrachters ;)

Ich hab meine Zeit mit Winona & Co. jedenfalls nicht bereut. 8-)