Suspiria: eine Liebeserklärung...
Die junge Amerikanerin Suzy kommt nach Deutschland um dort an der renommierten Tanz-Akademie in Freiburg zu studieren. Doch schon der Empfang ist recht unfreundlich und als Suzy den Flughafen verlässt, tobt gerade ein wildes Unwetter über der Stadt. Mit einem Taxi fährt die junge Studentin durch finstere Wälder zu der abgelegenen Schule und trifft dort angekommen am Eingang auf eine sichtlich aufgebrachte junge Frau, die gerade dabei ist, die Schule fluchtartig zu verlassen und auch die junge Amerikanerin wird an der Türe schroff abgewiesen. Am nächsten Morgen lacht jedoch schon wieder die Sonne und Suzy wird von Mrs. Tanner, einer der Ballettlehrerinnen auch freundlich empfangen, in der renommierten Schule herumgeführt .
Doch auch die Polizei ist an diesem Tage in der Schule zugegen, da das aufgebrachte Mädchen vom Vortag gemeinsam mit einer anderen Frau in einem Hotel auf grauenvolle Weise ums Leben kam. Suzy erzählt von ihrem Erlebnis in der Nacht zuvor und wird danach ihren neuen Mitschülerinnen vorgestellt, unter denen sich auch die junge Sandra befindet, die gut mit dem ermordeten Mädchen befreundet war. Die Diplomaten-Tochter ist überzeugt, dass es an der streng geführten Schule nicht mit rechten Dingen zu geht und die versängstige Schülerin scheint auch recht zu haben. Während Suzy zunehmend mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hat, häufen sich die mysteriösen Begebenheiten im Umfeld der Balletschule und als es weitere Morde gibt, gerät auch Suzy in das Blickfeld einer Macht, die nichts Gutes im Schilde führt…
Der 1977 entstandene „Suspiria“ ist nicht nur das wohl bekannteste Werk des italienischen Regisseurs Dario Argento, sondern auch in vielerlei Hinsicht einer der außergewöhnlichsten Horrorfilme, der jemals im Lauf der Kinogeschichte entstanden ist. Irgendwo in der relativ großen Grauzone zwischen Kunstfilm, Experimentalstreifen und Horrorschocker zelebriert Argento in knapp 98 Minuten ausgiebig die Ästhetik des Mordes und schafft nebenher dank fulminanten Sound-Design der Prog-Rocker Goblin und farbverfremdeten Bildern eine Art fiebriges Meisterwerk, das den Zuschauer mit seiner reizüberflutenden Darreichungsform förmlich in den Sessel bannt und mittlerweile zu Recht als innovativer und bahnbrechender Klassiker des Genres gilt.
Nach seinen Erfolgen im Giallo-Genre mit der empfehlenswerten und durchaus politischen Tier-Trilogie, bestehend aus „Vier Fliegen auf grauen Samt“, „Die neunschwänzige Katze“ und „The Bird with the crystal plummage“ wagte sich Argento im Jahre 1977 auf neues Terrain und schuf erstmalig in seiner Karriere einen Film mit übersinnlicher Komponente, der so gar nicht (mehr) den üblichen Sehgewohnheiten der Horrorfilm-Fans zu der Zeit entsprach und inhaltlich auch nachfolgende Generationen von Filmemachern und sonstigen kreativen Leuten beeinflusste. „Suspiria“ stellt auch heute noch für viele die Quintessenz seines Schaffens und persönliches „Opus Magnum“ des extravaganten Regisseurs dar und auch wenn Argento mit nachfolgenden Filmen wie „Inferno“ und „Tenebre“ versuchte, diesen optischen Triumpf zu überbieten, so ist es ihm doch nie wieder gelungen.
Die gemeinsam mit der damaligen Lebensgefährtin Daria Nicolodi verfasste und als mittlerweile auch etwas unwürdig abgeschlossene Trilogie konzipierte Geschichte über mysteriöse und sexuell-stilisierte Morde in einer fiktiven Ballettschule in Deutschland ist ja eigentlich auch gar nicht einmal sonderlich originell und zitiert Motive von „Alice im Wunderland“, Romane des Schriftstellers Thomas De Quniey, sowie Autobiografisches aus dem Leben von Darias Großmutter, die wohl selbst eine Ballettschule besuchte und seltsame Dinge erlebte. Doch im Falle von „Suspiria“ steht auch nicht die Geschichte, sondern die ungewöhnliche Darreichungsform im Mittelpunkt, die selbst für heutige Verhältnisse noch immer ungewöhnlich daherkommt und auch so gar nicht mit den üblichen Sehgewohnheiten des Publikums konform geht.
Was der Geschichte ja bei weniger wohlwollender Betrachtung vielleicht Substanz oder Tiefe fehlt, macht Argento mit seiner bahnbrechenden Optik wett, die mit expressionistischen Bildern den Zuschauer förmlich erschlägt und der ganzen Sache gleichzeitig eine traumartig-surrealistische Note verleiht, bei der man als aufgeschlossener Zuschauer auch nur in absolute Verzückung geraten kann. Die opulenten Settings, Tapeten und Kunstwerke des zum überwiegenden Teil im italienischen Studio gedrehten Films lässt Interieur-Fans vor Freude vergehen und sogar die Hausfassade des bekannten Freiburger „Haus des Walfisch“ wurde für den Film originalgetreu (!) nachgebaut. Die Aussendrehs hingegen wurden in München „on Locations“ gedreht und so bekommt man nicht nur den Königsplatz und das Hofbräuhaus, sondern auch noch das schicke BMW-Hochhaus und den Flughafen zu Gesicht.
Beinahe jede Einstellung wirkt in irgendeiner Art und Weise fremd, vertraut und übertrieben zugleich und selbst die Räume, Wände und Dielenböden scheinen in „Suspiria“ über ein bedrohliches Eigenleben zu verfügen. Die Nacht ist bei Argento auch nicht einfach dunkel, sondern in bedrohliches und sehr intensives Rot gehüllt und auch andere Farben werden immer wieder auf beeindruckende Weise betont. Möglich wurde dies, indem Argento auf „veraltetes“ Filmmaterial im „Technicolor-Verfahren“ zurückgriff, das in Amerika besorgt wurde und dem Filmemacher zuließ, das Geschehen in seine Primärfarben aufzuteilen und bei Bedarf besonders zu betonen. Doch dieses veraltete Filmmaterial aufzutreiben, war für den Regisseur auch gar nicht so einfach und der Argento musste sparsam mit seinem Ausgangsmaterial umgehen und konnte sich maximal zwei Takes pro Szene leisten.
Eine weitere Besonderheit des Streifens ist zweifelsfrei auch sein eindrucksvoller Soundtrack, der ebenfalls als wichtige Komponente in den Film einfließt. Schon die enervierenden Drums und das verfremdete Gekreische in den Title-Credits vor der prägnanten Melodie verwirren und enervieren den Zuschauer bei entsprechender Lautstärke zusätzlich und die Musik unterstützt auch im weiteren Verlauf sehr eindrucksvoll die teils brutalen Bilder. Der fulminante und wunderbar funktionierende Soundtrack zu „Suspiria“ ist dann auch eine weitere Zusammenarbeit mit den Prog-Rockern von Goblin, die damals nur eher in Insiderkreisen bekannt waren und mit dem Erfolg des Filmes ebenfalls international durchstarteten. Für ihren „Wall of Sound“ griffen die Musiker auf exotische Instrumente zurück und schufen eine prägnante, aber dennoch ungewohnt-klingenden Soundtrack, der ebenfalls als wegweisend gilt.
Auch bei den Darstellern hat man ein gutes Händchen bewiesen. Obwohl viele italienische Schauspieler wie z.B. Stefania Casini und Flavio Bucci in dem Streifen mitwirken, ist der Film auch aufgrund der amerikanischen Hauptdarstellerin Jessica Harper, der entrückten Story und der Locations in Deutschland nicht der übliche Italo-Streifen aus der Zeit, sondern wirkt überraschend international. Die etwas resche Alida Valli glänzt als burschikose Ballett-Lehrerin und auch Joan Bennett überzeugt als Leiterin der Tanzakademie. Der Streifen ist auch gänzlich auf seinen weiblichen Cast zugeschnitten und männliche Darsteller wie Udo Kier, Rudolf Schündler und Miguel Bosé treten nur am Rande und in eher unbedeutenden Rollen in Erscheinung.
Wie es sich für einen Klassiker gehört, hat „Suspiria“ schon einige Veröffentlichungen spendiert erhalten und der Streifen sollte ungekürzt auch mühelos bei einschlägigen Verdächtigen erhältlich sein. Die derzeit wohl schönste, wenn auch nicht unumstrittene VÖ ist die englische Blu-Ray aus dem Hause „Nouveaux Pictures/Cine-Express“, die den Streifen und gestochen scharfer Bildqualität präsentiert, bei dem das Format auch sämtliche Trümpfe ausspielen kann. Ob das Rot in dem Film jetzt aber RAL 3002 (karminrot) oder doch zu sehr RAL 3024 (leuchtrot) oder RAL 3026 (leuchthellrot) ist natürlich müßig zu diskutieren und interessiert wohl eher auch nur Technik-Nerds. Manche Szenen erinnern zwar etwas an Suzy in der Infrarotkabine erinnern, aber die positiven Aspekte überwiegen allemal und außerdem gibt es auch noch schickes Bonusmaterial mit zwei eigens angefertigten Featurettes, die man sich gerne zur bisher schönen VÖ aus dem Hause Anchor Bay ins Regal stellen mag.
„Suspiria“ ist wohl die große Ausnahme des italienischen Horrorfilms, der auch heutzutage noch wunderbar funktioniert und aufgrund seines wunderbar- entrückten Charakters wohl am besten das Prädikat „zeitlos“ verdient. Ein Film, der so schön und grausam zugleich ist, dass es selbst Argento nie mehr gelungen ist, diesen künstlerisch in irgendeiner Form zu überbieten. Ein Film, bei dem meines Erachtens trotz kleinerer Schönheitsfehler auch alles stimmt und der Arthouse-, Experimental- und Horrorfilmfans friedlich vereint und gemeinsam staunen lässt. Und das in letzter Zeit gleich eine Reihe von Filmen kommen, die eindeutig von „Suspiria“ abgekupfert und/oder inspiriert sind, spricht ebenfalls für den ungeheuren und nachhaltigen Eindruck, den dieser Film bei seinen Zuschauern hinterlassen hat und auch noch in Zukunft hinterlassen wird.