Re: Nackt über Leichen - Lucio Fulci
Verfasst: Do 31. Mai 2012, 11:30
„Denk nicht so viel. Zieh dich aus!“
Der im Deutschen reißerisch betitelte Spielfilm „Nackt über Leichen“ aus dem Jahre 1969 ist das Giallo-Debüt des später für seine splatterlastigen Horrorfilme berüchtigten italienischen Regisseurs Lucio Fulci („The Beyond“, „Woodoo – Schreckensinsel der Zombies“, „Ein Zombie hing am Glockenseil“), der auch das Drehbuch verfasste.
Klinikleiter Dr. George Dumurrier (Jean Sorel, „Malastrana“) steckt in finanziellen Schwierigkeiten, zudem ist seine Frau Susan (Marisa Mell, „Gefahr: Diabolik“) schwer an Asthma erkrankt. Ihr verschweigt er eine Affäre mit Jane (Elsa Martinelli, „..und vor Lust zu Sterben“), die sich von ihm trennen möchte. Als Susan gestorben ist, erfährt er überraschend, dass sie eine hohe Lebensversicherung abgeschlossen und ihn als Begünstigten eingetragen hatte. George gerät unter Mordverdacht. In einem Stripclub trifft er auf die Tänzerin Monica (Marisa Mell), die seiner verstorbenen Frau zum Verwechseln ähnlich sieht...
Mit Fulcis späteren in hohem Maße gewalthaltigen Filmen hat „Nackt über Leichen“ noch nicht viel gemein, er lässt sich am ehesten als dramatischer Erotikkrimi einordnen. Fulci setzt seine stets professionell und überzeugend agierenden Schauspielerinnen, allen voran die bedauerlich früh verstorbene Marisa Mell, hocherotisch in Szene, ohne sie blutig abzumurksen. Komplett in San Francisco, USA, angesiedelt, sind eine komplexe, aber – verglichen mit manch Spätwerk Fulcis – sauber konstruierte, nachvollziehbare Handlung und eine originelle, kreative, künstlerische Inszenierung gleichberechtigte Bestandteile dieses damit anspruchsvollen Genrebeitrags. Jean Sorel wird als ambivalenter Charakter eingeführt, der seine Rolle mit Fein- und Fingerspitzengefühl spielt, während der Zuschauer eine beobachtende Funktion einnimmt, ohne sich 100%ig mit George zu identifizieren. Erinnert Georges Begegnung mit Monica noch stark an Hitchcocks „Vertigo“, ist die Handlung bis zur ungewöhnlich frühen Auflösung unvorhersehbar, geheimnisvoll und durchzogen von einer knisternden Atmosphäre zwischen Erotik, Gefahr und Realitätsverlust. Weisen die Indizien vermögende Oberschicht, freizügiger Sündenpfuhl, Dopplungen und Mordverdacht eines Unschuldigen eindeutig auf das Giallo-Genre hin, ist der ermittelnde Part dominant wie in einem Kriminalfilm und nahm sich Fulci ausreichend einfallsreiche schöpferische Freiheit, um nicht der Gefahr der Klischeefalle anheimzufallen, sondern im Gegenteil vermutlich inspirierend auf nachfolgende Produktionen zu wirken. Die Kameraarbeit verdient dabei besondere Beachtung, die sich gern ähnlich, aber auf eigene Weise verspielt gibt wie in damals noch nicht gedrehten Martino- und Argento-Klassikern. So wird künstlerisch und effektiv mit Spiegelungen gearbeitet, experimentell das Liebesspiel fotografiert und perspektivisch manch Überraschung bereitgehalten. Eine bisweilen unruhige Kameraführung ist dabei individuelles Merkmal, das es in dieser Form als kontrastierendes Stilelement zum noblen Erscheinungsbild nicht häufig zu sehen gibt; die Kombination aus allem ist gewagte Filmkunst im Rahmen eines Unterhaltungsfilms, die mir Respekt abringt. Trotz seines mittlerweile erreichten Alters wirkt „Nackt über Leichen“ damit erfrischend, beseelt vom Pioniergeist eines außergewöhnlichen Filmmachers.
Bestimmt hält die Auflösung des Mysteriums logischen Überlegungen nicht gänzlich stand, doch die das Publikum für sich einnehmende Bilderflut, der zeitweise richtiggehend sinnliche Rausch, den Fulci zelebriert, lenkt geschickt davon ab. Zum Finale hin scheint es jedoch, als wollte Fulci sich besinnen, dem Zuschauer nicht zuviel zumuten oder dessen Geduld nicht überstrapazieren und ein wenig auf Kosten der Eleganz sein Werk zu einem für einen Giallo fast schon ungewöhnlich konventionellen Ende bringen. Dabei galoppiert die Dramaturgie urplötzlich davon und erweckt den Anschein, als lande man in den USA ohne Prozess in der Gaskammer. Das ist ein klein wenig schade, von meiner Warte hätte Fulci gern noch mutiger zu Werke gehen dürfen. Riz Ortolanis („Cannibal Holocaust“) gewöhnungsbedürftiger Score indes lässt keine Melancholie oder Verträumtheit, die „Nackt über Leichen“ hier und da sicherlich nicht schlecht zu Gesicht gestanden hätte, zu und setzt verstärkt auf „Swingin’ Sixties Jazzfunkgroove-Gedröhne“, oder wie auch immer man diese Musik kategorisieren möchte.
Es existieren unterschiedliche Schnittfassungen des Films: Während die eine mehr auf Erotik setzt, bietet die andere mehr Hintergrundinformationen die eigentliche Handlung betreffend und Einblicke in die Polizeiarbeit. Die Alternativszenen der züchtigeren Version wurden zum Teil so wunderschön und schwelgerisch gefilmt, dass ich mir fast eine integrale Schnittfassung wüschen würde, wider alle Vernunft. Unterm Strich ein absolut empfehlenswerter End-’60er-Giallo von Altmeister Fulci, dem ich sehr gerne vor dem Hintergrund der übermächtigen „Konkurrenz“, die das Genre in den 1970ern hervorbrachte, 7,5 von 10 Punkten gebe, die Italo-Verrückte bedenkenlos aufrunden dürfen.
Der im Deutschen reißerisch betitelte Spielfilm „Nackt über Leichen“ aus dem Jahre 1969 ist das Giallo-Debüt des später für seine splatterlastigen Horrorfilme berüchtigten italienischen Regisseurs Lucio Fulci („The Beyond“, „Woodoo – Schreckensinsel der Zombies“, „Ein Zombie hing am Glockenseil“), der auch das Drehbuch verfasste.
Klinikleiter Dr. George Dumurrier (Jean Sorel, „Malastrana“) steckt in finanziellen Schwierigkeiten, zudem ist seine Frau Susan (Marisa Mell, „Gefahr: Diabolik“) schwer an Asthma erkrankt. Ihr verschweigt er eine Affäre mit Jane (Elsa Martinelli, „..und vor Lust zu Sterben“), die sich von ihm trennen möchte. Als Susan gestorben ist, erfährt er überraschend, dass sie eine hohe Lebensversicherung abgeschlossen und ihn als Begünstigten eingetragen hatte. George gerät unter Mordverdacht. In einem Stripclub trifft er auf die Tänzerin Monica (Marisa Mell), die seiner verstorbenen Frau zum Verwechseln ähnlich sieht...
Mit Fulcis späteren in hohem Maße gewalthaltigen Filmen hat „Nackt über Leichen“ noch nicht viel gemein, er lässt sich am ehesten als dramatischer Erotikkrimi einordnen. Fulci setzt seine stets professionell und überzeugend agierenden Schauspielerinnen, allen voran die bedauerlich früh verstorbene Marisa Mell, hocherotisch in Szene, ohne sie blutig abzumurksen. Komplett in San Francisco, USA, angesiedelt, sind eine komplexe, aber – verglichen mit manch Spätwerk Fulcis – sauber konstruierte, nachvollziehbare Handlung und eine originelle, kreative, künstlerische Inszenierung gleichberechtigte Bestandteile dieses damit anspruchsvollen Genrebeitrags. Jean Sorel wird als ambivalenter Charakter eingeführt, der seine Rolle mit Fein- und Fingerspitzengefühl spielt, während der Zuschauer eine beobachtende Funktion einnimmt, ohne sich 100%ig mit George zu identifizieren. Erinnert Georges Begegnung mit Monica noch stark an Hitchcocks „Vertigo“, ist die Handlung bis zur ungewöhnlich frühen Auflösung unvorhersehbar, geheimnisvoll und durchzogen von einer knisternden Atmosphäre zwischen Erotik, Gefahr und Realitätsverlust. Weisen die Indizien vermögende Oberschicht, freizügiger Sündenpfuhl, Dopplungen und Mordverdacht eines Unschuldigen eindeutig auf das Giallo-Genre hin, ist der ermittelnde Part dominant wie in einem Kriminalfilm und nahm sich Fulci ausreichend einfallsreiche schöpferische Freiheit, um nicht der Gefahr der Klischeefalle anheimzufallen, sondern im Gegenteil vermutlich inspirierend auf nachfolgende Produktionen zu wirken. Die Kameraarbeit verdient dabei besondere Beachtung, die sich gern ähnlich, aber auf eigene Weise verspielt gibt wie in damals noch nicht gedrehten Martino- und Argento-Klassikern. So wird künstlerisch und effektiv mit Spiegelungen gearbeitet, experimentell das Liebesspiel fotografiert und perspektivisch manch Überraschung bereitgehalten. Eine bisweilen unruhige Kameraführung ist dabei individuelles Merkmal, das es in dieser Form als kontrastierendes Stilelement zum noblen Erscheinungsbild nicht häufig zu sehen gibt; die Kombination aus allem ist gewagte Filmkunst im Rahmen eines Unterhaltungsfilms, die mir Respekt abringt. Trotz seines mittlerweile erreichten Alters wirkt „Nackt über Leichen“ damit erfrischend, beseelt vom Pioniergeist eines außergewöhnlichen Filmmachers.
Bestimmt hält die Auflösung des Mysteriums logischen Überlegungen nicht gänzlich stand, doch die das Publikum für sich einnehmende Bilderflut, der zeitweise richtiggehend sinnliche Rausch, den Fulci zelebriert, lenkt geschickt davon ab. Zum Finale hin scheint es jedoch, als wollte Fulci sich besinnen, dem Zuschauer nicht zuviel zumuten oder dessen Geduld nicht überstrapazieren und ein wenig auf Kosten der Eleganz sein Werk zu einem für einen Giallo fast schon ungewöhnlich konventionellen Ende bringen. Dabei galoppiert die Dramaturgie urplötzlich davon und erweckt den Anschein, als lande man in den USA ohne Prozess in der Gaskammer. Das ist ein klein wenig schade, von meiner Warte hätte Fulci gern noch mutiger zu Werke gehen dürfen. Riz Ortolanis („Cannibal Holocaust“) gewöhnungsbedürftiger Score indes lässt keine Melancholie oder Verträumtheit, die „Nackt über Leichen“ hier und da sicherlich nicht schlecht zu Gesicht gestanden hätte, zu und setzt verstärkt auf „Swingin’ Sixties Jazzfunkgroove-Gedröhne“, oder wie auch immer man diese Musik kategorisieren möchte.
Es existieren unterschiedliche Schnittfassungen des Films: Während die eine mehr auf Erotik setzt, bietet die andere mehr Hintergrundinformationen die eigentliche Handlung betreffend und Einblicke in die Polizeiarbeit. Die Alternativszenen der züchtigeren Version wurden zum Teil so wunderschön und schwelgerisch gefilmt, dass ich mir fast eine integrale Schnittfassung wüschen würde, wider alle Vernunft. Unterm Strich ein absolut empfehlenswerter End-’60er-Giallo von Altmeister Fulci, dem ich sehr gerne vor dem Hintergrund der übermächtigen „Konkurrenz“, die das Genre in den 1970ern hervorbrachte, 7,5 von 10 Punkten gebe, die Italo-Verrückte bedenkenlos aufrunden dürfen.