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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: So 12. Jun 2011, 14:27
von buxtebrawler
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Xmas Tale
Eine Gruppe von fünf Kindern findet kurz vor Weihnachten in einem Loch im Wald eine Frau in einem Weihnachtsmannkostüm. Wie es sich herausstellt, handelt es sich um eine skrupellose Einbrecherin, die im Besitz von zwei Millionen Peseten befindet. Die Kinder beschließen, die Frau nur gegen die Herausgabe des Geldes freizulassen und lassen sie in dem Loch hungern. Als sie es schließlich haben, stirbt die Frau aber kurzfristig. Dummerweise haben zwei der Jungen jedoch an der Frau ein Voodooritual vollzogen, das sie aus Horrorfilmen kennen und die Einbrecherin kehrt als axtbewehrte Untote zurück, um Rache zu nehmen. Es kommt zu einem Showdown in einem stillgelegten Freizeitpark...
„Ich komm mit zur dir und leih mir ‚Zombie Invasion’ aus!“ – „Der Film ist leider weg...“ . „Du hast mir doch gesagt, du hättest ihn!“ – „Meine Mutter hat ihn leider gelöscht, weil sie ‚Reich & schön’ aufgenommen hat.“ – „So eine blöde Kuh...“

Nach seinen Genrebeiträgen „Second Name“ und „Romasanta“ beteiligte sich auch Regisseur Paco Plaza an der sechsteiligen, spanischen TV-Horrorfilm-Reihe aus dem Jahre 2006 und erschuf mit „Xmas Tale“ das genaue Gegenteil von Weihnachtskitsch und eine Hommage an die glorreichen 1980er.

Denn „Xmas Tale“ spielt Mitte der 80er und die fünf Kiddies, um die sich der Film dreht, sind fasziniert von den Ekeleffekten splatteriger Zombiestreifen wie dem „Film im Film“ „Zombie Invasion“, spielen das „A-Team“ nach und begeistern sich für „Martschl Arts“ à la „Karate Kid“. Der Film richtet sich somit an eine Zielgruppe, die seinerzeit etwa im gleichen Alter war und ähnliche Erinnerungen an jene Dekade hat. Zur Weihnachtszeit findet unser Möchtegern-A-Team eine Bankräuberin im Weihnachtsmannkostüm, die auf ihrer Flucht in ein Loch im Wald gefallen ist und ohne fremde Hilfe dort nicht mehr herauskommt. Als sie realisieren, mit wem sie es da zu tun haben, bewahrheitet sich die alte Erkenntnis, wie grausam Kinder sein können: Nicht nur, dass sie die Bankräuberin erpressen und foltern, um an ihre Beute heranzukommen, ein Teil der Gruppe spielt mit ihr auch noch das Zombieritual aus dem Film „Zombie Invasion“ nach. Ist die Gaunerin nach Tagen des schwerverletzt im Loch Dahinvegetierens tatsächlich gestorben und macht nun zombifiziert und axtschwingend Jagd auf ihre minderjährigen Peiniger?

Die Grenzen zwischen kindlich-sympathischem Spiel und bitterem Ernst verwischen, die Kinder agieren erschreckend kaltblütig und abgebrüht, von Weihnachtsversöhnlichkeit o.ä. nicht die geringste Spur. Inwieweit sie sich dessen, was sie tun, bewusst sind, ist nicht ganz klar – kindliche Abenteuerlust und Neugierde treffen auf emotionale Verrohung, Erwachsene kommen, von der Bankräuberin abgesehen, nur am Rande vor. Lediglich die kleine Moni scheint ernsthafte Gewissensbisse zu entwickeln und wird dafür von den schlimmsten Satansbraten ihrer Clique verachtet.

Die Kurzen werden allesamt klasse von ambitionierten Jungdarstellern gespielt und tragen mitsamt ihren Charakterzeichnungen einen Großteil zum Gelingen dieser rabenschwarzen Komödie bei. Unter der Oberfläche vergnügt spielender Kinder kommen tiefe (un)menschliche Abgründe wie Skrupellosigkeit, Respektlosigkeit vor dem Leben und Geldgier zum Vorschein. Doch „Xmas Tale“ moralisiert nie offen, sondern bleibt stets seinem komödiantischen Stil treu. Das wirkt mitunter ziemlich bizarr, aber eben auch unterhaltsam und interessant. Ob Plaza damit das Gegenteil von Urbizus vorausgegangenem Beitrag „A Real Friend“ erreichen, nämlich Horror- und Actionunterhaltung verantwortlich für die moralische Verwahrlosung und Abstumpfung der Kinder machen will, wage ich zu bezweifeln, evtl. wollte er die ja in unschöner Regelmäßigkeit immer wieder aufflammende Jugendschutz-Hysterie auf die Spitze treiben und karikieren, indem er sie nur scheinbar aufgreift und zum Anlass für einen eigenen Film nimmt, der im Finale selbst mit einigen blutigen Effekten auftrumpft. Die Ignoranz der Erwachsenenwelt den Kindern gegenüber, dargestellt beispielsweise durch ihr fast völliges Fehlen in diesem Film, halte ich für den wahrscheinlicheren Adressaten von Plazas Kritik. Interessanter Kamerakniff: Beim Auftauchen eines Polizisten wird die kindliche Perspektive beibehalten, so dass nie sein Gesicht, sondern er lediglich von der Hüfte an abwärts zu sehen ist (was mich an die Nanny aus den „Muppet Babies“ erinnerte).

Soviel Spaß „Xmas Tale“ dem 80er-philen Zuschauer auch bereitet, bis zum rasanten, actionreichen und die schwarze Komödie mit einer bitterbösen Pointe versehenden Finale, das die Frage nach der Zombiewerdung der Bankräuberin aus meiner Sicht beantwortet, schleichen sich trotz geringer Spielzeit einige Längen ein. Das ist schade und hätte so nicht sein müssen, grundsätzliches genügend kreatives Potential, inszenatorisches Talent und Gespür für Humor hat Plaza schließlich bewiesen. Zudem hat man es sich mit der zwischenzeitlich Fürtoterklärung der Bankräuberin meines Erachtens etwas zu einfach gemacht und ich bin mir nicht sicher, ob die Schlusspointe dadurch bei allen Zuschauer funktioniert. Hier wäre ausnahmsweise etwas mehr Eindeutigkeit durchaus angebracht gewesen.

Ich gebe mal vorsichtige sechseinhalb Punkte, gestehe „Xmas Tale“ aber noch Luft nach oben zu. Mal sehen, was eine Zweitsichtung beizeiten ergeben wird.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: So 12. Jun 2011, 17:54
von buxtebrawler
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Hell’s Resident
Mario, der für sich und seine Frau Maria eine neue Bleibe sucht, findet eine Anzeige für eine günstige Wohnung und fährt mit ihr spontan zu der angegebenen Adresse. Die liegt allerdings in einer heruntergekommenen Gegend und das große Gebäude sieht nicht sehr vertrauenserweckend aus. Auch von innen nicht, wenn auch die Maklerin sehr darauf bedacht ist, die Wohnung als perfekt zu verkaufen - die Räume sind baufällig und alt. Als Maria plötzlich ein Foto von sich und Mario findet und Mario die Sportschuhe, die er daheim weggeworfen hatte, ist es bereits zu spät. Sie sitzen in der Falle einer komplett Wahnsinnigen, die es sich zum Ziel gemacht hat, das geräumte Haus wieder zu bevölkern und wenn sie ihre neuen Mieter in ihren Wohnungen fixieren muß...notfalls mit mörderischen Mitteln...
Immobilienmakler sind schon eine fragwürdige Berufsgruppe. Sie spekulieren mit einem der Grundbedürfnisse des zivilisierten Menschen und bereichern sich an der Wohnungsnot anderer. Einen Horrorfilm zu drehen und sie dabei in den Mittelpunkt zu stellen, ist ebenso naheliegend wie originell.

Zwischen seinen Erfolgsfilmen „Fragile“ und „[•REC]“ entstand Regisseur Jaume Balaguerós Beitrag zur sechsteiligen, spanischen TV-Horrorfilm-Reihe aus dem Jahre 2006, der evtl. ähnliche Überlegungen angestellt hatte, als er zusammen mit Alberto Marini das Drehbuch verfasste und mit „Hell’s Resident“ einen sehr unterhaltsamen, kurzweiligen Terrorfilm zunächst aufs spanische Fernsehpublikum und später dank internationaler Veröffentlichungen auch auf den Rest der Welt losließ..

Die Geschichte um eine wahnsinnige Maklerin, die Wohnungssuchende ausspioniert, zu einer Wohnungsbesichtigung lockt und sie mit allen Mitteln dazu zwingen will, die heruntergekommene Wohnung eines geräumten Hauses irgendwo am unwirtlichen Stadtrand zu beziehen, wurde mit einer der Situation angemessenen Portion Hysterie verfilmt. Das heißt, es wird viel geschrieen und gekreischt, es werden Grimassen gezogen und es bis die Grenze zur Karikatur übertrieben. Für die richtige Stimmung sorgen neben dem unvermeidlichen miesen Wetter (Regen + Gewitter) der Drehort in Form der wirklich alles andere als einladenden Bruchbude sowie der Anfang des Films, der das junge Pärchen, das in die Fänge der rüstigen Dame gerät, hinreichend und sympathisch charakterisiert. In der Folge wird bei den Fluchtversuchen insbesondere Claras der Adrenalinspiegel des mitfiebernden Zuschauers in die Höhe getrieben, der nicht nur einmal ob der in Panik und Affekt getroffenen falschen Entscheidungen verzweifeln dürfte. Ein paar nette Ideen sowie blutige Einlagen sorgen dabei für Abwechslung. Darstellerisch haben ganz klar die beiden weiblichen Hauptdarstellerinnen die Nase vorn: Macarena Gómez als Clara und Nuria González als fiese Maklerin kämpfen wie Tigerinnen, gehen in ihren Rollen voll auf und schüren die Emotionen.

Leider krankt auch „Hell’s Resident“ ein wenig am fast schon typischen Balagueró-Phänomen: Ihm fiel, nach übrigens nur 66 Minuten, auch hier kein wirklich gutes, aufhorchen lassendes Ende ein, was erneut den positiven Gesamteindruck schmälert und etwas unbefriedigte Zuschauer zurücklässt. Ansonsten ist die Höllenresidenz aber ein geradliniger, schnell auf den Punkt kommender Trip in den Wahnsinn des Immobilienmarkts und sei iberophilen Genrefreunden ohnehin ans Herz gelegt.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mo 13. Jun 2011, 01:41
von buxtebrawler
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Das Versteck
Die etwas schüchterne Waise Theresa (Cristina Galbo) wird Anfang des 20. Jahrhunderts von ihrem Vormund auf ein streng geführtes, von der Außenwelt abgeschottetes Mädcheninternat in Südfrankreich geschickt. Dort spielen sich unter der Oberfläche perfekter Disziplin die von der eisernen Leiterin Madame Fourneau (Lilli Palmer) überwacht wird, nicht nur brutale Machtspiele unter den Mädchen, sondern auch mysteriöse, unheimliche Vorgänge ab. Schülerinnen verschwinden unerwartet, um am nächsten Tag mit fadenscheinigen Erklärungen entschuldigt zu werden und des Nachts erwachen die endlosen Hallen und Flure des finsteren Herrenhauses zum Leben...
„Wenn es kein Gefängnis ist, machen wir eines draus!“

Mit „Das Versteck“ hat Regisseur Narciso Ibáñez Serrador („Ein Kind zu töten...“) im Jahre 1969 einen der interessantesten und besten Horrorbeiträge des spanischen Kinos abgeliefert. Gothic-Kulissen und -Atmosphäre in einem südfranzösischen Mädcheninternat um die Jahrhundertwende, das von Madame Fourneau (Lilli Palmer) mit eiserner Hand wie ein Gefängnis geführt wird und die auch nicht davor zurückschreckt, ihre Schutzbefohlenen zu misshandeln. Ihrem pubertierenden Sohn untersagt sie indes jeglichen Umgang mit den Mädchen, von denen aber eines nach dem anderen verschwindet...

Der Film beginnt stocksteif, selbstverständlich als bewusst eingesetztes Stilmittel, doch sobald die herrische Madame Fourneau außer Reichweite ist, kommt Leben in die Bude und die Mädchen benehmen sich endlich natürlich und altersgerecht. Hübsch anzusehen sind sie allemal, doch wer hier aufgrund der Thematik Schmuddel oder Softsex erwartet, liegt verkehrt. Die Geschlechtsorgane der Schülerinnen bleiben stets bedeckt bzw. werden z.B. während der Duschszene von der Kamera ausgespart. Das hat der Film nicht nötig und in diese Richtung will er auch gar nicht. Stattdessen kann man sich an einem prächtigen Ambiente erfreuen, das stilsicher und detailgetreu in eine längst vergangene Zeit entführt. Madame Fourneau treibt ihr herrschsüchtiges Unwesen und scheint eine perverse Lust dabei zu empfinden, eine Schülerin als Bestrafung auszupeitschen bzw. auspeitschen zu lassen. Bei alldem bekennt man sich natürlich scheinheilig zur christlichen Moral, bigotte Gebete aufzusagen gehört für die „Insassinnen“ zur Tagesordnung. Für ihren Sohn sind die Schülerinnen natürlich allesamt nicht gut genug, nur Muttern weiß, was ihr Sohn wirklich braucht. Lilli Palmer überzeugt in ihrer harten Rolle auf ganzer Linie und liefert eine beeindruckende Vorstellung ab. Eine herrliche alte Schreckschraube.

Die Morde geschehen überraschend explizit im Stil italienischer Gialli und man darf sich so seine Gedanken um das „Whodunit?“ machen, während man weiter den wenig erbaulichen Alltag der Mädels verfolgt. Trotzdem wird einen die finale Auflösung, eine ebenso geniale wie bitterböse Pointe, die alle Puzzleteile zusammenfügt, aller Wahrscheinlichkeit nach schwer überraschen und wie ein Schlag treffen – das Tüpfelchen auf dem „i“ eines herausragenden, fantastisch gealterten Films.

Serrador scheint mir mit seinen bisher drei mir bekannten Filmen als eine Art Anwalt der Kinder bzw. der Jugend aufzutreten; in „Das Versteck“ lässt er kein gutes Haar an glücklicherweise überholten Erziehungs- und Lehrmethoden und stellt die Mädchen als dem legitimierten Wahnsinn einer Internatsleiterin ausgelieferte Opfer dar, die in ihrer Persönlichkeitsentfaltung beschnitten und in Tod und Verderben geschickt werden. Zu Zeiten des faschistischen spanischen Diktators Franco einen so eindeutig autoritätskritischen Film zu machen, zeugt sicherlich von einigem Mut. Ob man deshalb die Handlung in die Vergangenheit verlagerte? Wie dem auch sei, man verstand sein Handwerk in sämtlichen Belangen und hat gewiss viele nachkommende Regisseure nachhaltig beeinflusst.

Hierzulande ist der Film viel zu unbekannt, zudem existieren nur zwei VHS-Auflagen im falschen Bildformat, das einen vollen Genuss der erhabenen Breitbild-Gothic-Optik verhindert. Die Nichtexistenz einer vernünftigen deutschen DVD ist angesichts des vielen Schrotts, der veröffentlicht wird, ein weiteres Armutszeugnis für den hiesigen Umgang mit dem unbedingt erhaltenswerten Erbe des europäischen Kinos.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mo 13. Jun 2011, 18:37
von buxtebrawler
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Dead Zone – Der Attentäter
Nach einem schweren Autounfall liegt der gerade frisch verliebte Lehrer Johnny Smith für fünf Jahre im Koma, bis er überraschend wieder erwacht. Viel Zeit ist vergangen, seine alte Liebe längst verheiratet und sein Körper muß viele Operationen über sich ergehen lassen, bis er wieder als geheilt gilt. Doch es gibt noch ein weiteres Extra für Johnny: wenn er Dinge oder Menschen berührt, kann er mitunter in die Vergangenheit oder Zukunft dieser Personen und Gegenstände blicken. Das kommt einer Kleinstadt bei einer Serienkillerjagd sehr zugute, doch als Johnny eines Tages dem aufstrebenden Politiker Greg Stillson die Hand schüttelt, sieht er etwas, was er unbedingt verhindern muß.
1983 betraute man den bisher vor allem durch seine extraordinären und grafisch expliziten Filme bekannt gewordenen kanadischen Regisseur David Cronenberg mit der Verfilmung einer Literaturvorlage von Stephen King, die von einem Mann handelt, der, nachdem er unfallbedingt fünf Jahre im Koma lag, in die Zukunft von Menschen blicken kann, indem er ihnen die Hand schüttelt: „Dead Zone – Der Attentäter“. Da mir der Roman nur vom Hörensagen bekannt ist, kann ich den Film komplett losgelöst von seiner Vorlage betrachten.

Als absoluter Glücksgriff für diesen Mystery-Thriller erwies sich die Verpflichtung Christopher Walkens für die Hauptrolle Johnny, jenen Ex-Lehrer mit dem „zweiten Gesicht“. Durch seine Körperhaltung, Gestik und Mimik versteht er es im Zusammenhang mit dezenten Make-up-Effekten, die Zerbrechlichkeit und den fortschreitenden körperlichen Verfall seiner Rolle darzustellen, ohne dass veranschaulichende Übertreibungen nötig würden, die seinem zurückgezogenen, introvertierten Charakter wenig dienlich wären. Die passende, herbstlich-winterliche Stimmung wird durch eine gewisse Tristesse verbreitende Grautöne erzeugt, die dem Film eine Blässe ähnlich der des gesundheitlich angeschlagenen Johnnys verleihen. Melancholie, Einsamkeit und Verzweiflung liegen in den Johnnys Gefühlswelt widerspiegelnden Bildern, die von entsprechend stimmiger, atmosphärisch-trauriger Musik begleitet werden.

Die mehrschichtige, fast episodenhaft aufgebaute Handlung dreht sich in erster Linie um die Frage, ob seine Fähigkeit Fluch oder Segen ist und den verantwortungsvollen Umgang mit selbiger, aber auch um sein durch den Unfall aus den Fugen geratenes Privatleben, die Umkremplung seiner gesamten bisherigen Existenz. Wer selbst durch einen Unfall aus seinem Alltag gerissen wurde, wird sich evtl. in Johnny wiedererkennen. Doch mindestens gleichberechtigt ist die politkritische Ebene des Films, die sich auf den aufstrebenden, gelackten Demagogen Greg Stillson (Martin Sheen mit leichtem Overacting, quasi Johnnys Antithese) konzentriert, der im Wahlkampf wie ein Rattenfänger um Wählerstimmen buhlt und dessen Händedruck Johnnys eine apokalyptische Zukunft prophezeit – denn erst einmal ganz oben angelangt, wird Stillson aus dem Kalten Krieg einen Atomkrieg machen und damit die Welt unweigerlich in Schutt und Asche legen. „Dead Zone“ macht die von einer hochgerüsteten USA ausgehenden aggressiven Außenpolitik deutlich, befürwortet den Tyrannenmord – und den Märtyrertod?

Kings bzw. Cronenbergs Themen erscheinen nicht neu und wurden bzw. werden immer wieder gern diskutiert. Schaut man sich manch jüngeres Wahlergebnis, hat „Dead Zone“ trotz Ende des Kalten Krieges aber wenig an Aktualität eingebüßt, denn die Menschen haben wenig gelernt und verführerische Demagogen treffen noch immer auf offene Ohren. Erschien mir „Dead Zone“ für eine King/Cronenberg-Produktion zunächst noch etwas unspektakulär – ich glaube, es gibt gerade einen einzigen harten, blutigen Effekt -, konnte ich mich mit korrigierter Erwartungshaltung während der Zweitsichtung mehr auf die leisen Zwischentöne, auf Walkens Schauspiel und die durchaus den einen oder anderen herbstlichen Schauer über den Rücken jagende Atmosphäre des Films konzentrieren und dadurch Cronenbergs Regieleistung zu schätzen lernen. „Dead Zone“ ist gewachsen und hat seinen Platz im cineastischen Langzeitgedächtnis (und nicht in dessen „toter Zone“) sicher.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 14. Jun 2011, 00:47
von buxtebrawler
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Tattoo – Jede große Liebe hinterlässt ihre Spuren
Der New Yorker Tätowierer Karl Kinsky erhält von einem Modemagazin den Auftrag, Fotomodels für ein Bademoden-Special zu tätowieren. Dabei lernt er das Model Maddy kennen und verliebt sich in sie. Mit seinen merkwürdigen Ansichten stößt er bei ihr allerdings auf Ablehnung, weswegen sie ihn zurückweist. Um sie ganz für sich allein zu besitzen, fasst er einen folgenschweren Entschluss...
„Für mich müssen die Dinge Bestand haben!“

Der zweite von insgesamt nur zwei Spielfilmen des US-Regisseurs Bob Brooks ist der Psychothriller „Tattoo – Jede große Liebe hinterlässt ihre Spuren“ aus dem Jahre 1981.

In „Tattoo“ prallen zwei Welten aufeinander: Der Träger von in Japan geklöppelten Fernost-Tätowierungen Karl Kinsky (Bruce Dern, „Meine teuflischen Nachbarn“), der in New York selbst ein Tätowierstudio betreibt – ein introvertierter, ruhiger Typ, der so gar nicht das Klischee eines Schwertätowierten erfüllt -, und das Fotomodell Maddy (Maud Adams, „Octopussy“), eine selbstbewusste, extrovertierte junge Frau, die für ihren Beruf bereitwillig in die verschiedensten Rollen schlüpft. Bei einem nur widerwillig angenommenen Auftrag, für eine Fotosession eine Reihe Models mit falschen Tattoos zu bemalen, lernen die beiden sich kennen und nähern sich einander an.

Kinsky wirkt wie ein Fremdkörper in einer von Oberflächlichkeit und Schnelllebigkeit geprägten Welt. Er trägt seine Tätowierungen nicht als modische Accessoires, sondern als Ausdruck seiner Seele, eine Art Schutzfunktion vor der ihm nicht sonderlich vertrauenserweckend erscheinenden Umwelt und verweigert sich kurzlebigen Trends. Von Maddy fühlt er sich angezogen, kommt jedoch nicht mir ihrer frechen, offenen Art und ihrem lockeren Umgang mit Sexualität zurecht, so dass es zum Eklat zwischen beiden kommt. Nachdem sein Vater, zu dem er ein angespanntes Verhältnis hatte, gestorben ist und er mit dem Verkauf von dessen Strandhauses betraut wird, entwickelt er einen finsteren Plan: Er narkotisiert Maddy, entführt sie – und tätowiert sie am ganzen Körper, um sie zu einem Teil seiner eigenen Welt zu machen.

Eine durchaus originelle, interessante Geschichte, die neben mehr oder weniger subtiler Zivilisations- und Konsumkritik viel Raum für Erotik und Ästhetik bedient – den Brooks auch nutzt, wenn er sein attraktives Ex-Bond-Girl zunächst splitternackt und später mit sehr ansprechenden Tattoo-Motiven versehen ins Bild rückt. Doch so tiefgründig sich „Tattoo“ zunächst auch gibt, indem er Kinsky als Außenseiter und ruhenden Pol in einer lauten Welt zeichnet, so schwierig fällt es ihm, die Glaubwürdigkeit seines Charakters aufrecht zu erhalten. Zunächst ist Kinsky durchaus der unverstandene Sympathieträger, doch schon sein Besuch einer Peepshow gibt erste Hinweise darauf, dass auch er seine Schattenseiten hat. Die seine Gefühlswelt durcheinanderwirbelnden bzw. aus dem Dornröschenschlaf weckenden Begegnungen mit Maddy zeigen ihn dann von einer stockkonservativen, manischen Seite und ab hier beginnen die Probleme: Man nimmt Bruce Dern mit seinem hier sehr eindimensionalen Schauspiel die charakterlichen Änderungen bzw. zum Vorschein kommenden Abgründe nicht so recht ab, ihm mangelt es an entsprechendem Wahnsinn in seinem Ausdruck und alles wirkt ab dem Zeitpunkt, an dem sich Kinsky und Maddy im Strandhaus befinden, seltsam flach, leb- und lieblos inszeniert. Zudem entwickelt der Film unschöne Längen, nicht zuletzt, da aufgrund der Sparflammeninszenierung die Nachvollziehbarkeit für den Zuschauer leidet.

Achtung, Spoiler:
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Fazit: Eine gute Idee unzureichend umgesetzt. Da wäre mehr drin gewesen, doch es mangelte entweder an Talent oder an der Bereitschaft, seinem Publikum einen wirklich packenden Psychothriller zuzumuten. Dennoch kein uninteressanter, in gewisser Weise durchaus inspirierender Film.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 14. Jun 2011, 17:08
von buxtebrawler
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Cujo
Donna Trenton, einer frustrierten amerikanischen Ehefrau, wird das Leben zur Hölle, als ihr Mann herausfindet, daß sie eine Affäre hat. Zur gleichen Zeit wird der Bernhardiner der Familie Camber, Cujo, von einer tollwütigen Fledermaus gebissen. Als Donna und ihr fünfjähriger Sohn Tad während der nächsten Tage zu dem Autogeschäft der Cambers fahren und dort ihr Wagen den Geist aufgibt, wird aus der Panne in Kürze ein gefährlicher Belagerungszustand, denn Cujo verwandelt sich langsam aber sicher in ein mordlüstiges Ungetüm...
US-Regisseur Lewis Teague („Der Horror-Alligator“) setzte 1983 Stephen Kings Tierhorror-Roman um einen tollwütigen Bernhardiner für die Leinwand um; zwei Jahre später verfilmte er mit „Katzenauge“ erneut King, bevor er sich 1990 für militaristische Propagandazwecke („Navy Seals“) einspannen ließ. Auch hier ist mir die Literaturvorlage unbekannt.

Zunächst einmal dauert es sehr lange, bis wirklich etwas passiert. Man muss schon eine Vorliebe für US-Kleinstadt-Soaps haben, um von der ersten Dreiviertelstunde vollauf begeistert zu werden. Während die eigentlich gar nicht so spannenden Charaktere ausführlich vorgestellt werden, versüßt eine dynamische Kameraarbeit Jan de Bonts mit Gespür für stimmige Bilder aber die Wartezeit ziemlich gut und Dee Wallace spielt auffallend glaubwürdig eine unglückliche Ehefrau und Mutter.

Als die rasende Töle dann endlich auf Mutter und Kind trifft, bekommt der Film seinen ausgiebigen Terrorpart. Obwohl es, wie bei derartigen Filmen häufig der Fall, recht vorhersehbar ist, wie es ausgehen wird, kommt dank der sehr gelungenen Inszenierung dennoch Spannung auf. Cujo wurde sehr furchterregend zurechtgemacht, seine Dressur erlaubt im Zusammenhang mit meisterlicher Schnitttechnik und Kameraführung die perfekte Illusion des wütenden Untiers.

Damit ist „Cujo“ ein unterhaltsamer, kurzweiliges Stück Tierhorror, das auch Kings typisches Kleinstadtflair atmet. Sehr souverän in eigentlich allen Belangen, aber auch ein bisschen unspektakulär.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Do 16. Jun 2011, 00:27
von buxtebrawler
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Hellraiser VI – Hellseeker
Kirsty Cotton, bereits bekannt aus Teil 1 und 2, ist verheiratet mit Trevor. Eines Tages stürzt ihr Auto in einen Fluss. Trevor kann sich retten und erwacht ohne Erinnerungen an das Geschehene in einem Krankenhaus. Kirsty bleibt verschwunden und man hängt Trevor einen Mord an ihr an. Trevor forscht nach und findet heraus, dass er ihr ein Geschenk gemacht hatte, über das sie gar nicht glücklich war: Einen Würfel. Doch was hat er mit Kirstys Verschwinden zu tun? Und wer ist der Fremde, der Trevor verfolgt?
„Alle Probleme sind gelöst.“

Für „Hellseeker“, die fünfte Fortsetzung von Clive Barkers „Hellraiser“-Horrorreihe aus dem Jahre 2002, nahm erstmals US-Regisseur Rick Bota auf dem Regiestuhl platz, der auch für die nachfolgenden „Hellraiser“-Franchises verantwortlich zeichnet. Nach „They – Sie kommen“ sein zweiter Spielfilm.

Was die Handlung betrifft, ließ man sich offenbar stark vom vorausgegangenen Teil 5 beeinflussen, der – wie ja streng genommen zuvor jede Fortsetzung der Reihe – anders, aber nicht schlecht war. Trevor (Dean Winters) erwacht nach einem Autounfall aus dem Koma, doch die sich ihm darstellende Realität und die Reaktionen auf seine Person passen nicht zu seinen Erinnerungen…

Das bereits in Teil 5 verwendete Verwirrspiel trieb man diesmal aber auf die Spitze, ein Mindfuck jagt den nächsten, die Grenzen zwischen filmischer Wirklichkeit und wilden Psychotrips werden durch Trevors zahlreiche Visionen, Zeitsprünge etc. komplett aufgelöst, auch der Zuschauer hat nicht mehr Informationen zur Verfügung als er. Dadurch stellt sich eine gewisse Beliebigkeit ein. Ohne Rücksicht auf eine innere Logik nehmen zu müssen, kann das Drehbuch eine Kapriole nach der anderen schlagen, wodurch die Spannung auf der Strecke bleibt – als Zuschauer ist man gezwungen, das, was man aufgetischt bekommt, als gegeben hinzunehmen und auf eine später folgende Erklärung zu hoffen. Man bemühte sich um eine düstere Atmosphäre und ein paar teilweise computergenerierte Schauwerte, bis auf eine fiese Gehirn-OP-Szene geriet das alles aber nicht sonderlich spektakulär. Die schauspielerischen Leistungen sind, sagen wir mal, „unauffällig solide“. Dean Winters bleibt für das, was ihm widerfährt, erstaunlich gelassen. Inwieweit für seine Rolle aber überhaupt wahnsinnige Emotionsausbrüche vorgesehen waren, entzieht sich meiner Kenntnis. Ashley Laurence aus Teil 1 und 2 spielt wieder Kirsty Cotton, diesmal aber in einer Nebenrolle. Das ist natürlich ein nettes Wiedersehen, viel mehr aber auch nicht. Doug Bradley hat als Pinhead erhält erneut nur einen relativ kurzen Auftritt, lässt aber wenigstens wieder die Ketten raus. Die anderen Zenobiten sind reine Statisten und sehen leider auch nicht mehr so extravagant aus wie in anderen Teilen der Reihe. Was genau es mit ihnen auf sich hat wird nicht erklärt, dafür ist die Kenntnis der vorausgegangenen Teile erforderlich. Die finale Auflösung, die die Geschehnisse um Trevor aufdeckt, ist leider auch nicht das große Knallbonbon und wird wohl niemanden vom Hocker reißen.

„Hellseeker“ ist somit weder richtig Fisch, noch Fleisch. Ich würde ihn leicht überm Durchschnitt ansiedeln, denn wer von der Reihe nicht genug bekommen kann und nach immer neuen Fortsetzungen lechzt, wird vermutlich halbwegs zufriedengestellt werden. Als Horrorhappen „für Zwischendurch“ ganz ok, aber kein Film, den man als Genrefreund unbedingt gesehen haben muss. Als unverbrauchter Regisseur die Reihe einer Frischzellenkur zu unterziehen, ist Bota leider nicht geglückt.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Do 16. Jun 2011, 20:04
von buxtebrawler
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Ekel
Die junge und sexuell leicht gestörte Carol Ledoux (Catherine Deneuve) lebt mit ihrer älteren Schwester zusammen in einem Apartment. Sie missbilligt die Beziehung ihrer Schwester zu deren neuen Freund. Als die Frischverliebten zu einem Kurzurlaub aufbrechen und trotz mehrerer Bitten Carol allein zurücklassen, versinkt die junge Frau in einem Meer aus Depression, düsteren Phantasien und Wahnvorstellungen, die schließlich im Mord enden...
„Ekel“, nach einer ganzen Reihe von Kurzfilmen und zwei Spielfilmen Regisseur Roman Polanskis („Rosemaries Baby“) erste britische Produktion aus dem Jahre 1965, ist das Psychogramm einer psychotischen jungen Frau, die sich unbemerkt von der Außenwelt immer weiter in ihren letztlich tödlichen Wahn hineinsteigert und damit der Auftakt zu Polanskis loser „Mieter-Trilogie“, die als verbindendes Element das sich schon eine Tür weiter ereignen könnende Grauen in der Anonymität der Großstadt aufweist.

Die französische Schönheit Catherine Deneuve spielt die junge Carol, die wie ein verschüchtertes, naives Schulmädchen mit französischem Akzent wirkt, aber einen immer schlimmer werdenden Verlauf nehmenden Ekel und Verfolgungswahn vor Männern entwickelt, der sie im Alltag, insbesondere nachdem ihre Schwester, in deren Appartement sie lebt, zu einer Urlaubsreise aufgebrochen ist, fast vollständig lähmt und sie zwingt, sich immer mehr in ihre schizophrene, bedrohliche Welt zurückzuziehen.

„Ekel“ ist kein Unterhaltungsfilm im engeren Sinne, kein Film zum Genießen. In Schwarzweiß gedreht, ist er ein eher nüchterner Film, der außer einem beständigen Unwohlsein kaum Emotionen schürt. Man identifiziert sich kaum mit Carol, aus deren Sicht sich der Großteil der Handlung abspielt, man schließt sie weder ins Herz, noch hasst oder verachtet man sie. Man ist vielmehr dazu verdammt, als ungläubiger, ohnmächtiger Beobachter ihren psychischen Teufelskreis zu beobachten. Dabei wählte Polanski ein extrem langsames Erzähltempo, das gerade in Anbetracht heutiger Sehgewohnheiten eine große Bereitschaft von seinem Publikum einfordert, sich auf das Geschehen einzulassen und sich von einer herkömmlichen, gewohnten Dramaturgie zu verabschieden. Wem dies gelingt, wird aber Zeuge eines sorgfältig inszenierten psychischen Derangements, das die Hilflosigkeit seines Opfers nachvollziehbar macht und daraus seinen eigentlichen Schrecken bezieht. Der oberflächliche Umgang ihres Umfeld mit ihr kommt einem auch als psychisch mehr oder weniger intakte Person bekannt vor, die penetranten Annäherungsversuche eines Möchtegern-Don-Juans lassen Carols Ekel fast schon als eine logische Konsequenz erscheinen (aber eben nur fast) und symbolisieren den schmalen Grat zwischen Realitätsbezug und -verlust. Einzelne Szenen, die Carols Wahnvorstellungen grafisch umsetzen, sind zwar effektiv, spielen aber eine untergeordnete Rolle. Deneuves aufs Wesentliche beschränkte Schauspiel fügt sich in dieses Konzept ein.

Ein nicht leicht zu konsumierender Psychotrip; für das, was er sein will und ist, aber sehr gut gelungen. „Ekel“ dürfte zudem einen nicht unbeachtlichen Einfluss auf die Entwicklung des Thrillers und Horrorfilms gehabt haben und ist allein schon deshalb in jedem Falle von historischem Interesse.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: So 19. Jun 2011, 02:10
von buxtebrawler
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Spuren auf dem Mond
Die Dolmetscherin Alice (Florinda Bolkan) verschwindet drei Tage spurlos, ohne daß sie sich nachher erinnern kann, wo sie war. Einem Traum folgend, reist sie zu einer fernöstlichen Insel, wo sie anscheinend jeder kennt. Beim Versuch, ihrem Doppelleben nachzuspüren, nimmt sie mehr und mehr die Persönlichkeit ihres geheimnisvollen "Alter ego" an.
Mit dem trotz seines Festhaltens an Genrekonventionen als Ausnahme-Giallo zu bezeichnenden „Ein schwarzer Tag für den Widder“ aus dem Jahre 1971 schuf Regisseur Luigi Bazzonis einen künstlerisch überaus beachtlichen Beitrag zum europäischen Kino. Schon vier Jahre später entstand leider sein bis dato letzter Film, der Mystery-/Psycho-Thriller „Spuren auf dem Mond“, bei dem sich an Regie und Drehbuch Mario Fanelli beteiligte, der (laut imdb.com) die mir unbekannte Literaturvorlage schrieb. „Spuren auf dem Mond“ wird oft zu den Gialli gezählt, weist aber kaum typische Genrecharakteristika auf.

Stattdessen handelt es sich um einen sehr eigenständigen Film, der in seiner Intensität und seinem unnachahmlichem, durchästhetisierten Stil „Ein schwarzer Tag für den Widder“ aber in nichts nachsteht. Dolmetscherin Alice ist ihrer offensichtlich zweitägigen Amnesie auf der Spur, die sie zum türkischen Urlaubsort Garma führt. Wer ist diese Nicole, mit der sie anscheinend verwechselt wird? Ist Alice Opfer eines konspirativen Komplotts oder verliert sie langsam den Verstand? Und welche Rolle spielen dabei die immer wiederkehrenden Alpträume von einem Film, den sie als Kind sah und der davon handelt, dass im Zuge eines wahnsinnigen Experiments ein Astronaut allein auf dem Mond zurückgelassen wird?

Mit eben jenem „Film im Film“, der Klaus Kinskis gewichtige Nebenrolle begründet – er spielt „Blackman“, der das Schicksal jenes bedauernswerten Astronauten besiegelt -, beginnt „Spuren auf dem Mond“. Fortan darf man sich wie schon in „Ein schwarzer Tag für den Widder“ in den prachtvollen Bildern von Kameramann Vittorio Storaro („Apocalpyse Now“) verlieren, die fast ausnahmslos wirken, als wären sie Fotografie-Bildbänden entsprungen. Eine schier unglaubliche, meisterliche Ästhetik, ohne die „Spuren auf dem Mond“ so nicht funktioniert hätte. Denn Bazzoni stellt vergleichsweise hohe Ansprüche an sein Publikum, indem er mit über die pure Cinematographie hinausgehenden Schau- und Unterhaltungswerten extrem geizt und weder mit Mordszenen, noch Action oder nackter Haut um die Gunst des Zuschauers buhlt. Er streut einige sparsame Indizien aus, erzählt seine Geschichte aber komplett aus der Sicht Alices, so dass Miträtseln zwar grundsätzlich möglich ist, man aber nie mehr Informationen als die Hauptrolle hat. Wer aufgrund einer falschen Erwartungshaltung, differierender Sehgewohnheiten oder allgemeiner cineastischer Abgestumpftheit keinen Sinn für die Ästhetik des Films entwickelt, wird spätestens über das sehr behutsame Erzähltempo stolpern und auf der Strecke bleiben. Ihm wird sich nicht eröffnen, wie perfekt Hauptdarstellerin Florinda Bolkan die leiseren Emotionen beherrscht und den Zuschauer subtil am Seelenleben und der fragilen Psyche Alices teilhaben lässt, wie geschickt der Film eine surreale, extrem verunsichernde Stimmung aufbaut, wie beispielsweise eine Nicoletta Elmi, jenes rothaarige Italo-Genre-Kindersternchen, allein schon durch ihr Auftreten zur mystischen, geheimnisumwitterten Atmosphäre beiträgt und wie die großartige musikalische Untermalung Nicola Piovanis die Ausrichtung des Films nicht nur perfekt trifft, sondern entscheidend zu ihr beiträgt.

Wer hingegen in der Lage ist, sich auf „Spuren auf dem Mond“ einzulassen, wird mit einem surrealen, wahrhaft schockierenden und zumindest für mich unvorhersehbaren Ende belohnt, das Kinski zwar nur kurz, aber erschreckend wie selten in Szene setzt. Letztendlich wird hier auch deutlich, wie schleichend, aber nachhaltig sich der Film ins Bewusstsein des Zuschauers eingebrannt hat, denn anderenfalls würde das Ende seine Wirkung verfehlen. So aber kann es durchaus eine alptraumreiche Nachtruhe provozieren, wodurch sich der Kreis zur Protagonistin schließen würde. Lediglich die Texteinblendung zum Schluss erscheint mir überflüssig und kontraproduktiv; ohne sie wäre das Ende offen(er) und sureal(er) ausgefallen. Ob diese aber möglicherweise nur eine Eigenheit der deutschen Fassung ist und sie im Original bzw. in anderen internationalen Fassungen fehlt, entzieht sich meiner Kenntnis.

Fairerweise muss ich zugeben, dass auch mir „Spuren auf dem Mond“ zwischenzeitlich dann doch etwas zu langsam war, wenn auch nicht im klassischen Sinne von langweilig, eher von zuviel des Guten, was den Gesamteindruck ein klein wenig trübt. Das ändert aber nichts daran, dass man es hier mit einem unterschätzten, außergewöhnlichen, zu jeder Sekunde stilsicheren Paradebeispiel für die visuellen und akustischen Möglichkeiten des Kinos zu tun hat, das lange nachwirkt. Dass Bazzoni danach keinen Film mehr gedreht hat, ist ebenso eine Schande wie das Fehlen einer deutschen VHS- oder DVD-Auswertung (glücklicherweise lief „Spuren auf dem Mond“ aber mal im ZDF und im Bezahlfernsehen). Für diese Ignoranz sollte man den einen oder anderen Verantwortlichen auf den Mond schießen...

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: So 19. Jun 2011, 19:39
von buxtebrawler
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Blutbad des Schreckens
Ein Junge vom Lande verschuldet den Tod seines Vaters. Er selbst verliert eine Hand. Jahre später wird er aus einem Sanatorium entlassen und kehrt nach Hause zurück. Dort stellt er entsetzt fest ,daß seine Mutter einen neuen Liebhaber hat. Im Affekt tötet er diesen und kurz darauf auch seine Mutter. Doch das Blutvergießen hat erst begonnen...
Die Sache hat einen Haken...

“Scream Bloody Murder”, in Deutschland unter den unpassenden und irreführenden Titeln “Blutbad des Schreckens” und “Das Höllenmassaker” vermarktet, ist ein schmuddeliger, billiger und trashiger US-Horror-/Psycho-Thriller aus dem Jahre 1973 und der letzte von anscheinend nur zwei Filmen des Regisseurs Marc B. Ray.

Irreführend sind die deutschen Titel deshalb, weil Ray keinesfalls einen frühen Splatterstreifen drehte, in dem pausenlos gemetzelt würde. Die Morde sind zwar tatsächlich nicht gerade rar gesät, doch der visuellen Umsetzung mangelt es an rotem Lebenssaft und blutigen Details. Zudem dreht sich der Film hauptsächlich um die angeschlagene Psyche seines Protagonisten, der als Kind mit einem Mähdrescher seinen Vater totfuhr, sich dabei selbst die Hand absäbelte und als junger Erwachsener mit einer Hakenkralle als Handersatz aus der Klinik entlassen wird. Jene Klinik scheint nicht sonderlich empfehlenswert zu sein, denn unser Matthew hat immer noch schwer einen an der Waffel, bringt seine Mutter und seinen Stiefvater um und zieht durch die Lande, bis er auf eine Malerin (sekundär) und Prostituierte (primär) trifft, in die er sich folgenschwer verliebt.

Der Film beschreibt Matthews extrem gestörtes Verhältnis zu menschlichen Bindungen und Sexualität in Verbindung mit einer Art narzisstischen Persönlichkeitsstörung, die ihn keinerlei Mitgefühl empfinden und Zurückweisungen akzeptieren lässt. So nimmt er die Prostituierte als Geisel und versucht, ihre Liebe zu erzwingen, wird aber immer wieder von paranoiden Visionen seiner toten Mutter verfolgt.

Das klingt nach einem guten Stoff für einen passablen Psycho-Slasher und es hätte sicherlich auch einer werden können, wären hier nicht solche Dilettanten am Werk gewesen, die es verhindern, den Film auch nur eine Sekunde lang ernstnehmen zu können. Weder Regisseur noch Schauspieler verstehen es, ihren Charakteren emotionale Tiefe zu verleihen, es bleibt nach dem stimmigen Prolog, der den Mähdrescher-Unfall zeigt, bei einer oberflächlichen Farce, die weder eine bedrohliche Atmosphäre zu entfalten noch interesseweckende Spannung zu erzeugen in der Lage ist. Und als spekulativer Exploiter funktioniert „Blutbad des Schreckens“ wegen eingangs erwähnter Blutarmut schon gar nicht. Über weite Strecken ist das einfach ein Laienschmierentheater, das sich erst im Finale auf seine Vorbilder besinnt und endlich mit Suspense sowie einem metaphorischen, für seine Verhältnisse fast schon künstlerischen Finale punktet, bei dem Matthew von seinen Wahnvorstellungen endgültig übermannt wird. Das erinnert durchaus an spätere Genreperlen wie „Maniac“, wenn auch nur halb oder ein Viertel so intensiv. Und wie man sich den Oberkörper aufschlitzen und sich meterweit über den schleppen kann, ohne dabei zumindest eine blutige Kriechspur zu hinterlassen, bleibt wahlweise das Geheimnis des Regisseurs oder des Niedrigstbudgets.

Fazit: Ganz gewiss kein verkannter Klassiker, eher ein über weite Strecken schluderig inszenierter und somit missglückter Low-Budget-B-Flick, der vielleicht gerne ein fieses Stück Psychoterror gewesen wäre. Prolog und vor allem Finale retten ihm aber die Durchschnittsnote aus Sicht eines Genrefreunds.