bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Euer Filmtagebuch, Kommentare zu Filmen, Reviews

Moderator: jogiwan

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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Skinner …lebend gehäutet
Filmstudentin Maggie (Jill Schoelen) wird jede Nacht von seltsamen Alpträumen heimgesucht, in denen ein offensichtlich verrückter Mann versucht ein junges Mädchen zu opfern. Doch sie hat keine Zeit sich große Gedanken um diese Visionen zu machen, da sie und ihre Kommilitonen ein wichtiges Projekt vorbereiten: Sie wollen in einem lokalen Kino eine Horrorfilmnacht veranstalten, bei der lauter B-Movies aus den 50er Jahren gezeigt werden sollen. Im lokalen Kino finden sie auch noch eine Filmrolle, auf der sich "Der Possessor" befindet, ein typischer Experimentalfilm. Dieser Film hat jedoch eine grausame Vergangenheit: Sein Regisseur, der verrückte Lanyard Gates, ermordete bei der Premiere seine Familie, steckte das Kino in Brand und tötete auf diese Weise viele Menschen. Als die Filmnacht schließlich stattfindet, schleicht sich auch ein Killer ins Kino und beginnt die Studenten zu ermorden. Maggie, die bei den Morden eine Rolle zu spielen scheint, die sie sich selbst nicht erklären kann, kommt ein unheimlicher Verdacht: Ist Lanyard Gates aus dem Grab zurückgekehrt?
Der US-amerikanische Film „Popcorn“ aus dem Jahre 1991 von Regisseur Mark Herrier, der bisher in erster Linie als Schauspieler in Erscheinung getreten ist und neben „Popcorn“ lediglich einen Kurzfilm gedreht hat, ist eine Paradebeispiel für eine hirnrissige deutsche Titelvergabe, die vollkommen falsche Erwartungen weckt und das falsche Publikum anzieht.

Denn ein „Skinner“ kommt im gesamten Film nicht vor, demnach wird auch niemand „lebend gehäutet“. Vielmehr ist „Popcorn“ eine liebevolle Ehrerbietung an den Phantastischen Film, insbesondere an alte Sci-Fi-Horror-B-Movie-Schinken aus den 50ern und 60ern des vergangenen Jahrhunderts sowie an das leider ausgestorbene Event-Kino. Die von Alpträumen geplagte Maggie plant zusammen mit anderen Filmstudenten ein eben solches Kinoereignis mit drei Filmen, doch bei den Vorbereitungen stößt man auf den Film „Possessor“, eine Art avantgardistischen Snuff-Film eines wahnsinnigen Mörders. Die Bilder kommen Maggie bekannt vor, sie kennt sie aus ihren Träumen…

Selbstironisch und detailverliebt nimmt „Popcorn“ alte B-Reißer (und mit „Possessor“ sogar Kunstfilme) aufs Korn, die eigentlichen Höhepunkte sind die parodistischen „Filme im Film“, die (in Ausschnitten) eigens für diese Produktion gedreht wurden und während des Kinoevents über die Leinwand flimmern. Es ist fast verwunderlich, dass diese Filme seinerzeit nicht tatsächlich von findigen Drive-In-Produzenten realisiert wurden, so naheliegend sind die Ideen von menschenaussaugenden Riesenmoskitos, durch eine missglückte Hinrichtung auf dem elektrischen Stuhl aufgeladene Mörder, die als wandelnde Stromgeneratoren jede Menge Unheil anrichten und beißendem Gestank aus den Sümpfen, der nicht nur feinen Nasen nicht bekommt. Von letzterem, „The Stench“, einer angeblich japanischen Produktion, bekommt man leider nicht allzu viel zu sehen, der Moskitofilm hingegen wurde zwischenzeitlich von der Realität eingeholt (vgl. „Mosquito“). Dabei werden nicht nur stumpf Klischees heruntergerasselt, nein, man merkt den Machern an, dass sie etwas von der Materie verstehen und selbst Fans derartiger Unterhaltung mit all ihren Stärken und Schwächen sind. Wenn im Film um den Electro-Man ein Wissenschaftler im weißen Kittel und mit dünnem Oberlippenbart auftaucht und die Filmstudenten Stromstöße in die Kinositze jagen, denkt der findige Genrefreund unweigerlich an „The Tingler“ von William Castle mit Vincent Price in der Hauptrolle. Großartig!

Doch da war ja noch etwas: Die Rahmen- bzw. eigentliche Handlung. Die bietet einige nach fortgeschrittener Slasher-Manier hübsch-kreative Morde und Spezialeffekte, ohne sich dabei in Blut zu baden, erreicht aber nicht ganz den Charme der kinonostalgischen Elemente. Wendungs- und überraschungsreich ist sie durchaus, die Maske des Possessors sieht „ansehnlich unansehnlich“ aus und da er sich deshalb selbst welche von den Gesichtsabdrücken seiner Opfer (wir erinnern uns: hier wird nicht gehäutet) anfertigt, bekommt das Ganze auch noch ein bisschen was von „Fantomas“. Jedoch ist die eigentliche Geschichte wenig parodistisch ausgelegt, vermag als ernsthafter Horror nicht so recht zu fesseln, ist als komödiantischer Beitrag nicht lustig genug und verfängt sich anscheinend in seiner eigenen Logik.

Dafür fällt aber keiner der Schauspieler unangenehm auf, man war mit reichlich Spielfreude bei der Sache. Wie generell der ganze Film wie ein ambitioniertes Liebhaberprojekt für Die-Hard-Genrefans wirkt, inwieweit auch Otto Normalzuschauer damit etwas anfangen kann, weiß ich nicht – ist mir aber auch herzlich egal.

Fazit: Der stumpfe Gorebauer wundert sich und beweist dank seiner negativen Reaktionen, dass selbst eine als Teenie-Horrorkomödie verpackte Hommage an selige vergangene Genrezeiten ihm zu hoch ist, der Kenner hingegen freut sich über ein beachtliches Regiedebüt, das viel Leidenschaft für die Thematik erkennen lässt und addiert heimlich vielleicht ein halbes Sympathiepünktchen. Die 7,5/10 hat sich der Popcorn-Possessor somit redlich verdient. Am besten im Doppelpack mit „Die Nacht der Creeps“ genießen!
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Das Stundenhotel von St. Pauli
Eigentlich ist das Hotel "Ostend" auf St. Pauli ein Ort der Liebe, denn Prostituierte treffen sich dort allabendlich mit ihren Freiern. Als jedoch eines Abends ein Homosexueller erstochen wird, steht die gesamte Belegschaft unter Verdacht. Während seiner Ermittlungen wird Kommissar Canisius von anderen Gedanken abgelenkt: Sein Sohn ist nach einer eskalierten Demonstration schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert worden...
„Scheiße im Trompetenrohr…“

Rolf Olsens („Blutiger Freitag“) dritter St.-Pauli-Film mit Curd Jürgens in der Hauptrolle entstand im Jahre 1970 und ist ein Hybrid aus schlüpfriger Komödie und Kriminalfilm mit gesellschaftskritischem Anspruch. Olsen blickt hinter die Kulissen eines Stundenhotels auf der sündigen Meile Hamburgs und erzählt die Geschichten verschiedener Paare und Einzelpersonen, die sich aus unterschiedlichen Gründen in einer ereignisreichen, schicksalhaften Nachts dort einfinden. Nachdem ein Homosexueller im Bad seines Zimmers ermordet wird, wird Kommissar Canisius mit den Ermittlungen betraut. Fast jeder scheint verdächtig und zu allem Überfluss ist Canisius’ rebellierender Sohn während einer politischen Demonstration ausgerechnet von einem Polizisten schwer verletzt worden und liegt auf der Intensivstation, wo eine komplizierte Herz-Operation an ihm durchgeführt wird.

Olsen thematisiert den Generationskonflikt zwischen Kommissar Canisius und seinem Sohn, kritisiert das brutale Vorgehen von Polizisten gegen Demonstranten und bricht eine Lanze für die aufbegehrende Jugend – ungewöhnlich für einen derartigen Film. Canisius’ Vorgesetzter wird als gefühlskalter Oberarsch dargestellt, dem das Schicksal des Sohnes am Allerwertesten vorbeigeht und dies Canisius auch offen spüren lässt. Jürgens spielt den knorrigen, aber menschlichen Kripobullen einwandfrei und versteht es, seinem Charakter Tiefgang und Ambivalenz einzuhauchen, wenn er einerseits seinem Sohn die Teilnahme an der Demonstration verbietet, andererseits aber zu wissen scheint, dass dessen Engagement durchaus berechtigt ist und fortan die Schattenseiten des Daseins als Gesetzeshüter erfahren muss. Walter Buschhoff mimt den pedantischen Portier, der stets alle Zimmerschlüssel mit dem Bart nach links ans Brett hängt – sehr sympathisch! In weiteren Rollen bekommt man z.B. Thomas Fischer und Brigitte Mira zu sehen sowie einige hübsche Mädels, die rollengerecht blankziehen.

Die eigentliche Handlung ist mit seinen skurrilen Charakteren und schnoddrigen Dialogen sehr humorvoll, doch nach dem Mord überwiegt der ernstere Krimianteil, der zum fröhlichen Mitraten einlädt. Ein actionreiches Finale darf bei Olsen, übrigens gebürtiger Österreicher und keinesfalls ein Fischkopp, natürlich auch nicht fehlen.

Fazit: „Das Stundenhotel von St. Pauli“ ist ein intelligenter Unterhaltungsfilm, keine peinliche Sex-Klamotte. Olsen versteht es einmal mehr, einen hohen Unterhaltungsfaktor mit einem gewissen Anspruch zu verbinden. Leider sieht man recht wenig von St. Pauli (was daran liegen könnte, dass der Film vermutlich ganz woanders gedreht wurde…), aber das ist auch schon der einzige Wermutstropfen. Macht großen Spaß!
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Bordello of Blood
Rock'n'Roll-TV-Evangelist Current betreibt nebenher ein florierendes Bordell, dessen Madame die blutsaugende Vampirin Lilith ist. Genau dorthin verschlägt es Privatdetektiv Guttman, der den verschollenen Bruder seiner Klientin Katherine sucht. Schnell findet Guttman heraus, daß sich die Mädels des Etablissements vom Blut ihrer Freier ernähren und er beschließt, dem Treiben der Untoten ein Ende zu setzen...
„Diese altmodische Religion und Sex – das passt nicht zusammen. Es sei denn, man ist katholischer Priester...“

„Bordello of Blood“ ist der nach „Ritter der Dämonen“ zweite Spielfilm-Spin-Off aus der genialen US-TV-Horrorserie „Geschichten aus der Gruft“. Regie führte Gilbert Adler, der Film entstand 1996.

Und er hat alles, was eine kurzweilige Horror-/Splatter-Komödie braucht: Gelungene Masken, aberwitzige, blutige Spezialeffekte zuhauf, hoffnungslos überzeichnete Klischeecharaktere, nackte Haut (ok, braucht so ein Film nicht zwingend, nimmt man aber gerne mit), viel – nicht nur schwarzen – Humor und lässige Sprüche. Die Besetzung hat mit mit Corey Feldman, Chris Sarandon, Erika Eleniak etc. eine ganze Reihe bekannterer Namen zu bieten, Dennis Miller macht als einem der neben der naiven Katherine (Eleniak) wenigen nicht permanent overactenden Schauspieler in seiner Rolle als abgewrackter Privatdetektiv eine gute Figur und erlebt in zugegeben sehr kurzer Zeit eine Wandlung vom Unsympathen zu Sympathieträger. Während um ihn herum das Chaos regiert, bleibt er cool und gibt eine Art ruhenden Pol ab, der den Film nicht komplett zur albernen Farce werden lässt. Immer einen zynischen Spruch auf den Lippen sorgt er zudem für einen beträchtlichen Teil der Gags.

Die Handlung ist da eher nebensächlich und die Geschichte um ein von Vampirdamen betriebenes Bordell nicht wirklich innovativ. Immerhin bekommen religiöse Fanatiker ihr Fett weg, indem sie in Gestalt des mit den Vampirinnen paktierenden Reverends ordentlich durch den Kakao gezogen werden.

Fazit: Seinen einzigen Anspruch, nämlich geschmacklos und kurzweilig bestens zu unterhalten und einiges fürs Auge zu bieten, erfüllt „Bordello of Blood“ von der ersten bis zur letzten Minute. Mit den typischen Comic-Adaptionen seiner Mutterserie und deren oftmals sarkastischer Moral hat der Film aber nicht allzu viel gemein. Doch diese eignen sich ohnehin mehr für Serien und Episodenfilme.
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Second Name – Dein Name sei Tod
Daniela ist eine junge fröhliche Frau. Doch eines Tages bricht für sie alles zusammen, als ihr Vater sich das Leben nimmt. Noch ganz schockiert von der Tat, fängt sie an mit Ermittlungen um herauszubekommen, was ihren Vater in den Freitot getrieben hat. Dabei erfährt sie das ihr Vater Mitglied einer Sekte namens "Die Abrahamiter" war, deren Mitglieder immer ihr erstgeborenes Kind töten. Immer tiefer rutscht sie in die Fänge der Sekte hinein! Immer mehr dunkle Geheimnisse kommen ans Licht! Und alles ist viel schlimmer, als sie es sich je hätte vorstellen können!
„Second Name“ ist das Regiedebüt des Spaniers und Co-Regisseurs von „[•REC]“ und „[•REC] 2“, Paco Plaza, aus dem Jahre 2003. Wie auch „The Nameless“ des Spaniers Balagueró basiert „Second Name“ auf einem Roman des Schriftstellers Ramsey Campbell, gewisse Parallelen in der Handlung sind durchaus zu erkennen.

Plaza gelang ein düsterer, sehr ruhiger Thriller, der etwa die Hälfte seiner Kraft aus einer spannenden, interessanten Geschichte um familiäre Abgründe, die Tochter Daniela nach dem Selbstmord ihres Vaters Stück für Stück aufdeckt, um Jahrhunderte alte religiöse Riten, die von geheimnisvollen Sekten von der Gesellschaft unbemerkt oder unbehelligt noch immer zelebriert werden und um eine der stärksten menschlichen Emotionen, der Elternliebe, zieht. Die andere Hälfte entsteht aus emotional aufgeladenen Bildern, die eine traurig-melancholische Stimmung transportieren und mit einem Score unterlegt wurden, der punktgenau eingesetzt wird, sich mal sehr in den Vordergrund schiebt, aber auch genau weiß, wann es besser ist, zu schweigen, um nicht vom Mienenspiel Erica Priors abzulenken, die ebenfalls als Debütantin in ihrer Rolle als Daniela eine intelligente, lebenslustige, unabhängige, starke Frau überzeugend darstellt, deren behütete Welt einstürzt wie ein Kartenhaus, bis sie gar an ihrer Identität zweifeln muss. Daraus entwickelt der Film eine Atmosphäre, wie sie besonders gut zu einem wolkenverhangenen, verregneten Nachmittag oder einem verkaterten, ernüchternden Sonntagabend passt. Seine ruhige Erzählweise empfinde ich als großen Pluspunkt, trägt sie doch sowohl zur Entfaltung der besonderen Stimmung bei, als auch zu einem gewissen Grad an Realismus und Nachvollziehbarkeit, da auf jegliche vielleicht unterhaltsame, aber in dieser Geschichte unpassende Actioneinlagen verzichtet wurde.

Mehr oder weniger wichtige Nebencharaktere wie der heruntergekommene Bulle, der resozialisierte Ex-Knacki mit Brandnarben im Gesicht oder die katatonische Mutter Danielas unterstreichen die Ausrichtung des Films auf die Schattenseiten des Lebens, unter einer scheinbar heilen Oberfläche warten Elend und Wahnsinn darauf, auch dich zu vereinnahmen, so dass „Second Name“ konsequent mit einer bitterbösen Pointe endet, die Ohnmacht und Wut beim Zuschauer heraufbeschwört.

Ein rundum gelungener Thriller, der einmal mehr beweist, dass die Spanier mehr als manch Anderer etwas von Suspense und Atmosphäre verstehen.
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Lasst uns töten, Companeros
Der Waffenhändler Yod (Franco Nero) befreit den in einem amerikanischen Gefängnis einsitzenden Revolutionsführer Xantos (Fernando Rey), denn der kennt als einziger die Kombination eines Safes. Auf dem Weg nach Mexiko erwartet die beiden eine Überraschung...
„Ich bin ein schlechter Mensch, ich weiß, aber die muss es auch geben. Und genau aus dem Grunde könnte ich für Sie sehr nützlich sein...“

Nero, Milián, Pallance, Morricone, Corbucci – das klingt nach einem weiteren hochkarätigen Italo-Western. Zwei Jahre nach dem großartigen „Mercenario“ drehte Regisseur Sergio Corbucci („Django“, „Leichen pflastern seinen Weg“) 1970 einen im Prinzip sehr ähnlichen Film. Handlung und Charaktere erinnern stark an „Mercenario“, auch die Besetzung ist fast identisch - mit Ausnahme des fehlenden Musante, dessen „Part“, wenn man denn so will, nun Tomás Milián („Der Gehetzte der Sierra Madre“) übernimmt.

Franco Nero („Django“) spielt mit dem schwedischen Waffenhändler Yodelaf Peterson eine sehr ähnliche Rolle wie in „Mercenario“, einen abgebrühten, intelligenten Mann mit lässigem Auftreten, der immer einen Schritt weiterzudenken scheint als andere. Vom die mexikanische Revolution zu seinen Gunsten ausnutzenden General Mongo (José Bódalo) bekommt er den Auftrag, Revolutionsführer und Professor Xantos (Fernando Rey) aus amerikanischer Haft kurz hinter der Grenze zu befreien, weil nur dieser die Kombination eines Tresors kennt, in dem Mongo einen Haufen Geld vermutet. Begleitet wird er vom „Basken“ (Milián), einem temperamentvollen Habenichts, der gerade von Mongo zu seinem Stellvertreter ernannt wurde und bereits eine Auseinandersetzung mit dem Schweden hinter sich hat. Letzterer wird aber vom rachsüchtigen Auftragskiller John (Jack Palance) verfolgt, der mit ihm noch ein Hühnchen zu rupfen hat…

War „Mercenario“ bereits ein eher leichtfüßiger und humorvoller Film, wurde „Lasst uns töten, Companeros“ direkt als Western-Komödie angelegt. Geblieben ist aber der kritische Anspruch, der sich mit der mexikanischen Revolution auseinandersetzt und Themen aufgreift, die sich problemlos in die Gegenwart portieren lassen und nicht an Aktualität eingebüßt haben.

Der skrupellose und mörderische General Mongo gibt vor, ein Revolutionär zu sein, ist aber nichts weiter als ein unter jenem Deckmantel ausschließlich in die eigene Tasche wirtschaftender Bandit, der zudem einen unerbitterlichen Krieg gegen die, wie sich herausstellen soll, wahren Revolutionäre, die Anhänger Professor Xantos’, führt. Xantos erscheint mit seinen pazifistischen Idealen wie eine Kreuzung aus Karl Marx, Che Guevara und Ghandi und hat Schwierigkeit, seine Anhänger, unter ihnen eine hier wahnsinnig süße Iris Berben, in die sich der Baske verliebt, dauerhaft von der Richtigkeit seiner Gewaltlosigkeit zu überzeugen. Der Baske ist der ungebildete, aber bauernschlaue Angehörige des Proletariats, der im Laufe der Handlung eine Entwicklung hin zum Anhänger von Xantos’ Revolution nimmt. John, von einem gewohnt garstigen Jack Palance gespielt, ist nicht nur hinter dem Schweden her, sondern wurde zudem von US-amerikanischen Industriellen engagiert, Xantos zu ermorden, damit sie ihre wirtschaftlichen Interessen durchsetzen können, die sie von der mexikanischen Revolution bedroht sehen. Ich denke, die Parallelen zu tatsächlichen historischen und gegenwärtigen Ereignissen müssen nicht extra herausgearbeitet werden, um den Anspruch des Films zu verdeutlichen. Manch Verschrobenheit, beispielsweise die Freundschaft Johns zu einem Falken, dem er seine Freiheit, zugleich aber den Verlust einer Hand zu verdanken hat und den er seitdem stets mit sich führt, verleihen dem Treiben zusätzlich Skurrilität.

Die intelligente, inhaltsschwere Handlung wird nun aber eben in mal mehr, mal weniger komödiantischer Form dargereicht, womit ich so ein wenig meine Probleme habe. Die Verquickung der ernsten, zahlreiche Tote fordernden Thematik mit der Leichtigkeit einer Komödie erscheint nicht immer passend, zumal der grafische Härtegrad recht hoch ist – insbesondere, wenn jemand (den ich auch Spoilerschutzgründen nicht näher benenne) von dutzenden Kugeln durchsiebt wird. Andererseits habe ich einige Male tatsächlich herzhaft lachen müssen, insofern habe ich ein ambivalentes Verhältnis zum Stil dieses ansonsten technisch und inszenatorisch einwandfreien, begeisternden Westerns. Glücklicherweise nimmt der komödiantische Anteil zum von Corbucci gewohnten desillusionierenden Ende hin aber stark ab, aber ohne, zu einem depressiven Downer zu werden. Mit der Schwere eines „Leichen pflastern seinen Weg“ sind die „Companeros“ keinesfalls zu vergleichen. Eine augenzwinkernde Schlusspointe hinterlässt einen gutgelaunten Zuschauer, der einen weiteren sehr gelungenen italienischen Beitrag zum Westerngenre gesehen hat, in dem der Ami nicht sonderlich gut wegkommt. ¡Viva México!

(Ich bezog auf die ungekürzte Fassung mit deutscher Zweitsynchro. „Lasst uns töten, Companeros“ wurde ursprünglich gekürzt und mit Klamauksynchronisation aufgeführt, jene Fassung habe ich aber noch nicht gesehen.)
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Buried Alive – Lebendig begraben
Eine Frau betrügt ihren Ehemann. Um frei zu sein beschließen beide den Gatten umzubringen. Die Frau vergiftet ihren Mann, er wird beerdigt, erwacht aber wieder im Grab, da sich die Mörderin mit der Dosis geirrt hat. Unter schweren Schmerzen buddelt sich der Totgeglaubte aus und kommt dahinter, wem er dies alles zu verdanken hat. Von der Öffentlichkeit noch immer für tot gehalten, schnappt er sich das Pärchen und schließt es im Keller seines Hauses ein. Dann beginnt er zu sägen und zu bohren, bis er das Haus in ein Labyrinth verwandelt hat, in dem sich nicht einmal mehr seine Ehefrau auskennt. Nun kann die Rache beginnen...
Nach seinem durchaus gelungenen Kurzfilm „Vergiftet“, einer Stephen-King-Verfilmung, machte der französischstämmige Regisseur Frank Darabont 1983 erstmals auf sich aufmerksam, meldete sich aber erst 1990, also vier Jahre, bevor er mit der weiteren King-Verfilmung „Die Verurteilten“ einen der besten Filme überhaupt schuf, für die US-TV-Produktion „Buried Alive“ auf dem Regiestuhl zurück. Dass „Buried Alive“ eben von jenem Darabont stammt, der sich mit seinen überragenden Adaptionen von King’schem Non-Horror-Stoff in mein Herz gedreht hat, war der ausschlaggebende Grund für mich, die deutsche VHS-Kassette antiquarisch aufzutreiben, denn auf DVD oder gar BluRay ist dieser Film nicht mit deutscher Tonspur erschienen.

„Buried Alive“ ist im Prinzip ein Rachethriller, der sich einiger Elemente aus dem Horrorbereich bedient. Eine Frau (Jennifer Jason Leigh, „Dolores“) will mithilfe ihres Liebhabers Cort (William Atherton, „Stirb langsam 2“) ihren Ehemann Clint (TV-Serien-Darsteller Tim Matheson), seines Zeichens Tischler, um die Ecke bringen und verabreicht ihm zu diesem Zwecke ein tödliches Gift. Doch der tödliche Trunk wirkt nicht 100%ig, so dass der Totgeglaubte sich in einer verregneten Gewitternacht (wann auch sonst?) aus seinem Grab befreit und auf Rache sinnt…

Leider wird die ohnehin schon wenig originelle Geschichte sehr emotionslos, flach und unglaubwürdig dargeboten. Die Darstellung der „Charaktere“ genannten wandelnden Klischees erschwert dem Zuschauer jegliche Identifikation und damit Anteilnahme. Dass Clint, nachdem er seine Frau und ihren Stecher in den Keller eingesperrt hat, im wahrsten Sinne des Wortes bei Nacht und Nebel das komplette Haus zu einer Art Labyrinth umtischlert, ist hanebüchener Unsinn und der Höhepunkt der Missachtung jeglicher Logik innerhalb der Handlung. Positiv zu verbuchen sind die eingangs erwähnten, aus dem Horrorbereich entliehenen Stilmittel, die zumindest zeitweise den Anschein passabler Genrekost erwecken, eine nicht ganz von der Hand zu weisende Spannung, die sich den Zuschauer trotz eigentlich relativer Vorhersehbarkeit fragen lassen, wie weit Clint in seiner Vergeltungssucht gehen wird, sowie ein gewisser, durchschimmernder Zynismus. Ob ich den Epilog als gelungenen, mehrdeutigen Abschluss oder als erneuten unlogischen Mumpitz bewerten soll, ist mir noch nicht ganz klar, ich tendiere aber dann doch zu Ersterem.

Fazit: TV-Produktion auf etwas drögem „Direct to Video“-Niveau. Von einem Darabont hatte ich mir mehr versprochen.
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Außerdem hab ich kürzlich "Shortbus" (USA 2006, Regie: John Cameron Mitchell) gesehen, eine provokative, ziemlich tuntige Mischung aus Komödie, Drama und Porno, die besonders durch die explizite Darstellung realer, schwuler Sexualität Aufsehen erregen dürfte. Lief ungeschnitten im Arte-Nachtprogramm. Es wird viel gefickt, geblasen, geleckt und gewichst, man tut sich aber schwer, eine inhaltlich interessante, kohärente Handlung aufzubauen. Stattdessen bekommt man etliche, durchaus amüsante Klischees um die Ohren gehauen, der ernstere Teil der Geschichte hat es schwer, sich durchzusetzen. Insgesamt wirkt der Film wie eine dauergeile, überkandidelte Schwulendiva, die laut und polternd einen Raum betritt, ihn komplett für sich einnimmt und nach ihrem Verschwinden sowohl angewiderte und schockierte, als auch amüsierte, inspirierte, bestimmt aber auch genervte oder gleichgültige Mitmenschen zurücklässt. Will sagen: Viele Schauwerte ohne viel dahinter, zumindest für mich. Reaktionäre, Spießer und Homphobiker dürften diese Tabubrüche aber stark herausfordern, Homosexuelle hingegen freuen sich evtl. über diese offensive Art der Selbstdarstellung. Oder so, was weiß ich denn schon :D
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Note 7 – Die Jungen der Gewalt
Commissario Lamberti (Pier Paolo Capponi) ist schockiert: Ein Haufen Jugendlicher hat sich im Klassenraum mit Schnaps zugeschüttet und die Lehrerin vergewaltigt und ermordet. Zusammen mit der Psychologin Livia (Nieves Navarro) versucht Lamberti - mal sanft, mal bedrohlich - der Tat auf den Grund zu gehen. Die Jungen sind verstockt, einer begeht Selbstmord. Lamberti nimmt den sensiblen Carolino (Marzio Margine) bei sich auf - allmählich kommt er dem Geheimnis auf den Grund, dass hinter der Tat ein Unbekannter steckt...
Italo-Regisseur Fernando Di Leos („Milano Kaliber 9“) dritter Film ist der 1969 entstandene „Note 7 – Die Jungen der Gewalt“. Hinter dem Titel verbirgt sich eine Mischung aus Sozial-/Milieu-Studie, Drama und Krimi um den im Absinthrausch gemeinschaftlich begangenen Mord jugendlicher Problemschüler an ihrer Lehrerin, den Kommissar Lamberti (Pier Paolo Capponi, „Die neunschwänzige Katze“) aufzuklären versucht und darauf stößt, dass eine weitere Person mit der Tat zu tun haben muss.

Lamberti wird zunächst als reaktionärer Knochen gezeichnet, dem der Einsatz von Gewalt und Folter bei seinen Verhören nicht fremd ist und nichts als Verachtung für die verrohte, verkommene Jugend übrig hat, jedoch unter anderem unter dem Einfluss der attraktiven Sozialarbeiterin Livia (Nieves Navarro alias Susan Scott, „Nackt unter Kannibalen“) eine Entwicklung erfährt, unter die Oberfläche blickt und sich den Jugendlichen annähert – nicht zuletzt, weil er mit seinen herkömmlichen Ermittlungsmethoden auf der Stelle tritt.

Nach seinem recht harten Anfang, der noch während der Eröffnungscredits zeigt, wie sich die Schüler auf ihre Lehrerin stürzen und letztlich eine blutige Leiche zurücklassen, widmet sich der Film Lamberti, wie er einen der Täter nach dem anderen verhört – einige herrliche, junge Charakterfressen. Meines Erachtens gehören bereits diese Szenen zu den stärksten des Films, Lambertis Mischung aus Macht, Ohnmacht und Verzweiflung gegenüber der Desillusioniertheit, Aufmüpfigkeit und Abgebrühtheit, aber auch offensichtlichen Schwäche und Verletzlichkeit der jugendlichen Delinquenten wurde fesselnd und mitreißend eingefangen und man ist gespannt, auf den weiteren Verlauf der Handlung. Diese gestaltet sich sodann leider etwas ermüdend. Lamberti mimt plötzlich den Verständnisvollen und nimmt einen der Jungen bei sich auf, zeigt ihm das gute, anständige Leben, um mehr aus ihm über die wahren Beweggründe herauszukitzeln. Unfreiweillig komisch wird es gar, als Lamberti den Knaben in einen blauen Anzug mit Krawatte steckt und dieser nicht einmal etwas dagegen zu haben scheint. Navarro hingegen musste sich vermutlich sehr zusammenreißen, sich ausnahmsweise einmal nicht ihrer Kleidung zu entledigen – zum Leidwesen des sleazegeilen Zuschauers. Ihre Lamberti untergeordnete Rolle als dessen Objekt der Begierde ist jedenfalls eher überflüssig. Dennoch steht natürlich weiterhin die spannende Frage im Raum, wer nun wirklich hinter dem Mord steckt und warum – und die Frage nach der Intention dieses Films.

So ganz sicher war sich Di Leo nämlich anscheinend nicht, in welche Richtung das alles gehen sollte. Progressive Ansätze den Umgang mit auffälligen Jugendlichen im Allgemeinen und jugendlichen Straftätern im Speziellen betreffend legen die Vermutung nahe, dass man Schluss machen wolle mit dem Märchen von der „harten Hand“ als wirksame Erziehungs- und Sozialisierungsmethode, werden aber immer wieder relativiert durchreaktionäre Ansichten und markige Sprüche des machoartigen, aber zur Identifikationsfigur gereiften Lamberti, denen nichts entgegengesetzt wird. Einerseits kritisiert man Polizeigewalt als kontraproduktiv, andererseits fordert man mehr Rechte für die Exekutive zum Eingriff in die Privatsphäre. Zum Ende hin wird die Spannungsschraube noch einmal angezogen: Lambertis Schutzbefohlener trifft sich mit der ominösen, im Hintergrund agierenden Person, offensichtlich eine Frau, die man aber nur von hinten sieht bzw. deren Gesicht von ihren Haaren verdeckt wird. Hier gesellt sich ein Schuss pathologischer Wahnsinn hinzu, wie man ihn aus manchem Giallo kennt, der Film gewinnt wieder eindeutig an Fahrt. Jedoch ist die große Auflösung letztlich unsagbar dämlich, führt jegliche zuvor geschilderten Ansätze ad absurdum und macht „Note 7“ zu einer eher halbgaren Angelegenheit. Sehr schade, denn viele gute Ansätze, gerade auch im Hinblick auf Di Leos später mit fulminanten Poliziotti verknüpfer Sozialkritik, sind erkennbar. So aber hat man gegen Ende eher das Gefühl, einem fragwürdigen Sleaze-Trash-Vergnügen beizuwohnen, zumal noch einmal in einer ellenlangen Vision des Schülers die Tat Revue passiert gelassen wird.

Fernando, auf „Note 7“ einen Absinth, den edlen Roten hole ich aber erst zu deiner Mafia-Trilogie aus dem Keller. Prost!
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Crazy Love
Harry hat sehr romantische Vorstellungen von der Liebe: Er glaubt noch an die weißgekleidete Jungfrau, die bei Vollmond sehnsüchtig auf ihren Prinzen wartet. Erst sein bester Freund Stan klärt ihn über die wahren Hintergründe der zwischenmenschlichen Beziehungen auf – man heiratet nur, um „es“ endlich tun zu können. Da Harry sich allerdings unter der körperlichen Liebe nichts vorstellen kann, gibt ihm Stan die nötigen Nachhilfestunden. Gemeinsam suchen sie nach der Frau, mit deren Hilfe Harry seine theoretischen Kenntnisse endlich in die Praxis umsetzen kann... (Quelle: Ascot-Video-Covertext)
Bei „Crazy Love“ von Regisseur Dominique Deruddere handelt es sich um eine weitestgehend unbekannte, 1987 gedrehte, belgische Verfilmung dreier Charles-Bukowski-Kurzgeschichten. Aufgebaut wurde der Film in drei Episoden, die jeweils eine mit den Themen „weibliches Geschlecht“ und „Sexualität“ zusammenhängende, wichtige Lebensstation des Protagonisten Harry Voss zeigen. Dargereicht wird die Handlung in Form einer Tragikomödie. Letzteres war – auch ohne Kenntnis der Literaturvorlage meinerseits – vermutlich die richtige Wahl für diese Erzählungen Bukowskis. Achtung: Die folgenden drei Absätze enthalten Spoiler.

Harry Voss ist ein Landei und beginnt, vor sich hin zu pubertieren. Noch träumt er gänzlich unverdorben von kitschiger Romantik, wie er sie im Kino sieht. Von Sexualität hat er keine Ahnung. Seine Aufklärung besorgt ein älterer Kumpel. Nach einer missglückten gemeinsamen Suche nach sexueller Erfahrung zeigt dieser dem jungen Harry, wie man onaniert. Was noch spielerisch anmutete, war der Beginn einer langen Reihe von Enttäuschungen und Zurückweisungen für Harry Voss.

In der zweiten Episode ist Harry ein junger Erwachsener auf dem Abschlussball seines Schuljahrgangs. Er ist geplagt von einer ultrafiesen Akne und alle Mädchen scheinen sich vor ihm zu ekeln. Er ist gezwungen, einen selbstironischen bis zynischen Humor zu entwickeln, um mit sich und den anderen klarzukommen. Er verbindet sich das Gesicht mit Toilettenpapier und bewirkt dadurch zumindest einen Tanz mit einem Mädchen.

In der dritten Episode ist aus Harry ein in Kneipen herumlungernder Versager geworden, der bei einem Wiedersehen mit einem frisch aus dem Knast entlassenen Kumpel die Leiche einer gerade verstorbenen, sehr attraktiven jungen Frau stiehlt („noch warm“). Was die beiden Männer mit der Leiche tun und wie der Film ausgeht, verrate ich hier nicht.

„Crazy Love“ ist ein weitestgehend makelloses, grundsolides Spielfilm-Regiedebüt, das eine provokative, kurzweilige Komödie mit der tiefgründigen Schwere seiner Thematik – der ewigen, doch anscheinend aussichtslosen Suche nach Liebe und Zuneigung in einer kalten und abweisenden Welt – sensibel miteinander verbindet, dabei in Erzählstruktur und -stil sehr geradlinig bleibt, aber den Zuschauer zu eigenen Reflektionen herausfordert. Definitiv gelungen und vielleicht ein kleiner Geheimtipp. Bei Bukowski selbst jedenfalls soll „Crazy Love“ sehr gut angekommen sein.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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buxtebrawler
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

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Es war einmal in Amerika
New York zur Zeit der Prohibition: Die Straßenkinder Max, Noodles und ihre Kumpel kämpfen sich mit organisiertem Raub und illegalem Alkoholhandel nach oben. Dann wandert Noodles wegen Mordes ins Gefängnis. Zehn Jahre später kehrt er als Erwachsener zurück. Max und die anderen nehmen ihn wieder in ihrer inzwischen mächtigen Bande auf. Aber bald gibt es zwischen den Freunden Streit, der mit brutaler Härte ausgefochten wird.
„Ich mag den Gestank der Straße, ich rieche ihn gern. Wenn ich ihn einamte, fühle ich mich wohler.“

Mit „Es war einmal in Amerika“, basierend auf dem zumindest vorgeblich autobiographischen Roman „The Hoods“ von Harry Grey, schloss Sergio Leone 1984 seine „Amerika“-Trilogie, die neben jenem aus den weiteren beiden Filmen „Spiel mir das Lied vom Tod“ und „Todesmelodie“ besteht, ab. Es sollte leider sein letzter Film sein. Aber was für einer!

Leone hat tatsächlich das Kunststück vollbracht, einen über dreieinhalbstündigen (und ursprünglich anscheinend sogar noch länger geplanten) Film zu kreieren, ohne zu langweilen oder sich abzunutzen. „Es war einmal in Amerika“ unterhält von der ersten bis zur letzten Sekunde prächtig und auf verdammt hohem Niveau. Statt eines zähen Geschichtsepos präsentiert Leone vordergründig die Geschichte einer New Yorker Verbrecherorganisation zu Zeiten der Prohibition bzw. nach Aufhebung selbiger und zeichnet dabei den damaligen Überlebenskampf armer Straßenkinder, ihre Entwicklung nach dem „Vom Tellerwäscher zum Millionär“-Prinzip abseits des Gesetzes sowie die kapitalistischen Mechanismen zur Einflussnahme auf Politik und Gesellschaft, Korruption, Erpressung und Auftragsmorde nach. Doch damit nicht genug, eigentlich geht es um viel mehr: Männerfreundschaft und –feindschaft, Loyalität und Verrat, Bodenständigkeit und Ehrgeiz, Moral und Sünde, Wahrheit und Lüge, Lebensfreude und unglückliche Liebe, Jugend und Alter… – und das vielleicht mitunter ziemlich dick aufgetragen, aber nie in die Kitschfalle tappend. Stattdessen ist man sehr erfolgreich um Realismus bemüht: Es gibt keine Heldengestalten, keine makellosen Sympathieträger. Wird jemand erschossen, spritzt Blut, wenn auch zugegebenermaßen ungewöhnlich helles, doch Gewaltanwendungen haben sichtbare Konsequenzen. Eine Vergewaltigung ist eine Vergewaltigung und weder für ihr Opfer nur für den Zuschauer angenehm. Dass diese nüchtern, aber nie zynisch eingesetzten Elemente wohldosiert und nicht selbstzweckhaft Verwendung fanden, braucht wohl nicht wirklich erwähnt werden.

Leones Film erstreckt sich über drei Zeitebenen, die in loser, nichtchronologischer Abfolge und episodenartig aneinandergereiht werden. Die einzelnen Ereignisse zeitlich korrekt im Kontext zum brutalen, undurchsichtigen Prolog einzuordnen, erfordert einige Konzentration und erhält bis zum Schluss die Spannung aufrecht, doch auch wenn man den roten Faden mal verliert oder gar vergisst, dass es einen gibt, funktioniert „Es war einmal in Amerika“ insbesondere aufgrund seines pointierten episodenartigen Charakters. Am Ende fügen sich alle Puzzleteile zu einem überraschenden Finale zusammen, das so wohl kaum jemand hervorgesehen haben dürfte.

Für die 1922 spielenden Szenen verpflichtete man eine Reihe Jungdarsteller, die nicht nur großartig das Schauspiel beherrschen, sondern auch ihren erwachsenen Äquivalenten verblüffend ähnlich sehen (unter ihnen debütiert übrigens die bezaubernde Jennifer Connelly). Man lernt die jugendlichen bis kindlichen Noodles, Max & Co. kennen und schließt sie schnell ins Herz. Zu beobachten, wie sie sich in den Straßen New Yorks durchschlagen, hat etwas von juveniler Ausreißerromantik und trotz aller Widrigkeiten, denen sie ausgesetzt sind, macht es Spaß, ihnen beim Erwachsenwerden zuzuschauen. Dass sie zwangsläufig bereits eine beachtliche kriminelle Energie entwickeln und eine verschwörerische Gang bilden, ist einerseits erschreckend, andererseits aber ein Hoffnungsschimmer in einer Welt, in der manch unterprivilegiertes Individuum unter die Räder kommt. Die Hoffnung zerbricht jäh, als der Streit mit einer älteren Gang eskaliert und Noodles den Anführer ersticht, woraufhin er eine Gefängnisstrafe antreten muss.

In den 1932 spielenden Szenen trumpfen dann Robert De Niro als Noodles und James Woods als Max mächtig auf. Als Noodles aus dem Gefängnis entlassen wird, ist die alte, kleinkriminelle Clique zu einer mächtigen Untergrundorganisation geworden, die illegale Kneipen und Bordells betreibt und „Auftragsarbeiten“ verrichtet. Doch nach anfänglicher Wiedersehensfreude – u.a. mit Noodles Jugendliebe Deborah – kristallisieren sich Diskrepanzen zwischen Noodles Erwartungshaltung und der gänzlich anders gearteten Realität heraus. Nicht zuletzt aufgrund des Loyalitätsschwurs bleibt Noodles aber an der Spitze der Organisation und betreibt sie zusammen mit Max weiterhin sehr erfolgreich. Man steigt gar in den politischen Kampf ein und unterstützt die Gewerkschaften in ihrem Kampf gegen den Terror des Arbeitgeberverbands und anderer reaktionärer und korrupter Kräfte. Das mutet für einen Gangsterfilm zunächst etwas seltsam an und ich bin mir nicht sicher, ob hier nicht evtl. Leones (bzw. Greys) Idealismus mit ihm durchging oder ob derartige Fälle geschichtlich verbürgt sind. An dieser Stelle beobachtete ich interessanterweise eine Art Stilbruch: Im Zuge des Polit-Zirkusses wird der Film humorvoller und ich wähnte mich bisweilen in einer parodistischen Satire. Das Stilmittel der karikierenden Überzeichnung von Charakteren wird beispielsweise für den korrupten Polizisten angewandt, der kurzzeitig eine Rolle im Geschehen einnimmt. Das lockert den schweren Stoff einerseits auf, reißt den Zuschauer aber andererseits aus der bisherigen Stimmung des Films. Letztlich handelt es sich aber um ein im Vergleich zur Gesamtlaufzeit relativ kurzes Intermezzo. Max und Noodles scheinen sich immer weiter in entgegengesetzte Richtungen zu entwickeln. Oder entwickelt Max sich weiter und Noodles tritt auf der Stelle, seine Entwicklung stagniert? Diese Momente gehören zu meinen persönlichen Favoriten innerhalb des Films – wohin wird diese Interessendivergenz führen? Wie viel hält diese Freundschaft aus? Siegt das Loyalitätsbekenntnis über das eigene ungute Gefühl? Wie geht Noodles mit der Situation um, welche Entscheidungen werden getroffen? Leone zieht die Spannungsschraube an.

Die dritte Zeitebene wurde 1968 angesiedelt. Die Schauspieler wurden durch hervorragende Maskenkünste auf alt getrimmt, man bekommt es also glücklicherweise weiterhin mit De Niro und Konsorten zu tun und beobachtet einen sonoren, in sich ruhenden, in einer Mischung aus Desillusion und Abgeklärtheit schwer aus dem Konzept zu bringenden Noodles auf der Suche nach seinem vergangenen Leben, mit dem anscheinend abgeschlossen hat. Ein einsamer, alternder Mann auf der Suche nach der Wahrheit. Strenggenommen findet er sie anscheinend ohne wirklich nach ihr gesucht zu haben. Erst ein ominöser Brief mit der Aufforderung, zurück nach New York zu kommen, bringt diesen Prozess in Gang. Ein Prozess, der sowohl für Noodles als auch den Zuschauer mit einigen Überraschungen gespickt ist. Wir erleben, wie wichtige Parameter in Noodles Leben auf den Kopf gestellt werden, eine Art beschwerlichen Selbstreinigungsprozess, eine Bilanzierung. Mehr verrate ich nicht.

Die Ausstattung aller drei Zeitebenen erscheint detailliert und realistisch, man fühlt sich in die jeweilige Epoche zurückversetzt. Nettes Detail: Das Wort „Mafia“ kommt – ähnlich wie in Coppolas „Der Pate“ und sofern ich mich nicht verhört habe – kein einziges Mal vor, wobei man es hier aber auch mit keiner typischen Mafia zu tun hat. Leone und sein Team schienen nichts dem Zufall zu überlassen, jede Einstellung, Kameraperspektive, Geste und Mimik scheint durchdacht. Die Gänsehaut wird in einer Reihe von Szenen strapaziert, ohne dass Leone auf seinen typischen Western-Pathos hätte zurückgreifen müssen. Seine Sensibilität im Umgang mit der Melancholie des Films und dessen Protagonisten sorgt für manch leisen Moment in einem ruhig erzählten Film, der sich – eher ungewöhnlich für die 1980er – alle Zeit der Welt nahm und von der Musik des Maestros persönlich, Ennio Morricone, veredelt wurde. In der Retrospektive – entweder noch während des Ansehens bereits bezogen auf vorausgegangene Szenen oder unmittelbar danach vor allem hinsichtlich des wahnwitzigen Finales – wird zumindest mir die Wirkung bedeutungsvoller Einzelszenen bzw. des gesamten Films erst richtig bewusst. Ich spüre richtiggehend, wie sich „Es war einmal in Amerika“ im Langzeitgedächtnis festsetzt und ich Noodles Erfahrungen als Teil meiner eigenen von nun an mit mir tragen werde; schließlich habe ich fast vier ereignisreiche Stunden seines Lebens mit ihm geteilt. Und das Tollste: Das Ende lädt direkt zur Zweitsichtung ein.

Ganz, ganz großes Kino. Mit Sicherheit einer der sehenswertesten Filme überhaupt. Sergio Leone war einfach der Beste.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
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