Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen
Verfasst: Do 30. Jul 2020, 16:09
Tatort: Der Pott
„Wenn die Ruhr brennt, wird das Wasser des Rheins nicht ausreichen, sie zu löschen.“
Mit der Verfilmung des Drehbuchs der Autoren Axel Götz und Thomas Wesskamp debütierte die TV-Serienregisseurin Karin Hercher innerhalb der „Tatort“-Reihe: „Der Pott“ ist der 21. Fall der Duisburger Kripokommissare Horst Schimanksi (Götz George) und Christian Thanner (Eberhard Feik). Er wurde 1988 gedreht und am 9. April 1989 erstausgestrahlt.
„[Mord] ist wie alles andere auch, nur mit Leichen.“
Duisburger Stahlarbeiter protestieren gegen Arbeitsplatzabbau, indem sie kurzerhand das Werk ohne gewerkschaftliche Legitimation besetzen. Unterstützung erhalten sie von der Bevölkerung, die mehr als eine halbe Million DM gespendet haben. Der „Pott“ mit diesen Zuwendungen soll im Rahmen einer öffentlichen Protestkundgebung medienwirksam präsentiert werden, wird jedoch bei einem brutalen Überfall entwendet. Das bringt die Streikenden zusätzlich in Bredouille. Damit nicht genug: Günther Broegger (Horst Lettenmeyer), eines der unmittelbaren Opfer des Überfalls, wird in einer Kleingartensiedlung nahe des Arbeiterviertels Duisburg-Hochfeld ermordet aufgefunden. Da Thanner zu einer Außenstelle des Bundeskriminalamts nach Bonn gewechselt ist und Hänschen (Chiem van Houweninge) erst in sechs Wochen wiederkommt, sieht sich Schimanski zunächst gezwungen, die Ermittlungen allein anzugehen. Er kann jedoch Königsberg (Ulrich Matschoss) überzeugen, ihm Jo Wilms (Thomas Rech, „Tatort: Blutspur“) vom Raubdezernat zur Seite zu stellen, der im Falle des gestohlenen „Potts“ ermittelt. Schimanski stellt die Kleinkriminellen Struppek (Michael Brandner, „Nordkurve“) und Golonska (Guido Föhrweißer, „Der Atem“), als sie gerade Broeggers Wohnung durchsuchen. Doch damit ist der Fall längst nicht gelöst, und immer wieder kreuzen sich die Wege der Kripo mit denen eines BKA-Schnüfflers (Miroslav Nemec, „Stahlkammer Zürich“) …
„Für meinen Bruder ist jeder ein Arschloch, der vor zehn Uhr aufsteht!“
Ein Novum im Duisburger „Tatort“: Der Prolog zitiert einen Artikel der Wochenzeitung „Der Spiegel“ vom 28.03.1988, der von Ideen handelt, das Gewaltmonopol des Staats bei Demonstrationen, Streiks u.ä. zugunsten privater Sicherheitsdienste aufzugeben. Der eigentliche Fall beginnt mit einem Liveauftritt Rio Reisers mit seiner Band auf der Streikveranstaltung der Stahlwerker, wo man „Über Nacht“ zum Besten gibt. Der Überfall wird betont brutal dargestellt, indem auch ein altes Mütterchen misshandelt und anstelle des Gelds in den „Pott“ geworfen wird. Schimmi ist unterdessen wenig von Thanners Jobwechsel begeistert. Zum Running Gag wird, dass er Thanners Gepäck die ganze Zeit im Kofferraum mit sich herumfährt, während Thanner längst in Bonn ist und verzweifelt an seine Sachen heranzukommen versucht.
„Ich hab‘ dir immer gesagt: Wir sind hier nur von Idioten umgeben!“
Bei einem Gerangel zwischen Bevölkerung und Polizei setzt sich Schimmi für die einfachen Leute und springt rabiat mit den Uniformierten um – ein eindeutiges Zeichen für Schimanskis Sympathieverteilung. Starke Auftritte hat auch Willi Thomczyk („Tatort: Grenzgänger“) als zynisch philosophierender, arbeitsloser Bruder Jos. Nach und nach lernt man Jos ganze Familie kennen, beim gemeinsamen Essen Schimanskis mit Jos Familie gibt’s neben deutscher Küche geballtes Ruhrpott-Naturell – und auf Jos Schwester Vera (Sabine Postel, „The Brief“) wirft Schimmi direkt ein Auge. Hoch her geht’s aber nach wie vor auf der Straße: Schimmi legt sich mit BKA-Schnüfflern an und muss sie gleichzeitig vor einer aufgebrachten Meute beschützen, später gehen Streikende und sie Unterstützende wie ein Lynchmob mit Fackeln auf die Straße und machen Jagd auf Golonska, von dem sie glauben, er sei in den Mord oder den Überfall verwickelt.
„Bügeln und gebügelt werden – Frauenschicksal!“
Das Bonner BKA um seinen von Ludwig Haas („Lindenstraße“) gespielten Chef hingegen präsentiert sich als stocksteife Tafelrunde, in die Thanner nicht so recht passen will – und der sich überrascht von den Plänen hinsichtlich privater Sicherheitsdienste zeigt. In Duisburg wird derweil ganz klassisch per Flugblatt nach Struppek gefahndet, einen Sturz vom Förderturm überlebt er anschließend nicht. Schimmi ist, fertig zu Hause auf seinem Motorrad sitzend, trinkend und Rio Reiser hörend, mit seinem Latein am Ende und sieht sich gezwungen, Thanner um Hilfe zu bitten, der dadurch in einen Gewissens- und Interessenkonflikt gerät. So kommt es schließlich doch wieder zu einer Zusammenarbeit zwischen den beiden – ein schöner erzählerischer Kniff.
Letztlich geht’s um verdeckt operierende BKA-Spitzel und ihre Einflussnahme, aber auch um noch viel mehr: Den Malocher-Hintergrund der Wilms, um Bosse und ihrem Umgang mit der Belegschaft, um Solidarität, Befangenheit, Rache und einen guten Schuss Dramatik und Tragik. Der doppeldeutig betitelte „Tatort: Der Pott“ hantiert dafür vielleicht mit einem etwas großgeratenen Ensemble, dafür erlangte dieses später einige Berühmtheit: Aus Miroslav Nemec, der bereits im „Tatort: Gebrochene Blüten“ dabei war, wurde ein bis dato aktiver Münchener „Tatort“-Kommissar, Sabine Postel heuerte beim Bremer „Tatort“ an, Jos von Leonhard Lansink gespielter zweiter Bruder ist heute als „Wilsberg“ bekannt, Thomczyk machte Hauptrollenkarriere in der Comedy-Serie „Die Camper“. Ludger Pistor („Balko“) ist als Schimanskis Kollege Schäfer auch wieder mit von der Partie.
Sein Gewaltmonopol bei Demos und Arbeitskampf offiziell und unter dem Deckmantel der „Deeskalation“ in private Hände zu geben, das hat der Staat bzw. haben seine Institutionen dann doch nie getan – vor dem ganz realen Hintergrund der Stahlarbeiterstreiks der 1980er erzeugt dieser „Tatort“ aber ein Bewusstsein dafür, wohin so etwas führen könnte: dass sich das BKA für Privatinteressen einsetzt und sich im Zweifelsfall gegen die Arbeiterklasse richtet. Dies wiederum erscheint als der Regierung unterstellte Institution wenig abwegig, betreiben CDU und längst auch SPD i.d.R. doch Lobbypolitik für Konzerne und Kapital. Und wenn ein BKA-Fatzke Thanner droht, er werde dafür sorgen, dass dieser nie wieder einen Job bekomme, erinnert das an ebenfalls ganz reale Fälle zu Zeiten des Kalten Kriegs, in denen bundesdeutsche Inlandsgeheimdienste auf diese Weise beispielsweise das Fußfassen von DDR-Aussiedlerinnen und -Aussiedlern, die ihnen nicht ganz geheuer waren, verhinderten. Angesichts der zahlreichen authentischen Bezüge erscheint es überaus stimmig, dass unter Regisseurin Hercher die zuletzt so Duisburg-„Tatort“-typische Neo-Noir-Ästhetik beinahe vollständig einem anschaulichen Sozialrealismus wich.
Am Ende dieses bockstarken „Tatorts“ betrinkt Schimmi sich und singt Rio „Schicht, Ende, aus“. Seine Dienstmarke wurde Schimanski aber noch nicht los.
„Wenn die Ruhr brennt, wird das Wasser des Rheins nicht ausreichen, sie zu löschen.“
Mit der Verfilmung des Drehbuchs der Autoren Axel Götz und Thomas Wesskamp debütierte die TV-Serienregisseurin Karin Hercher innerhalb der „Tatort“-Reihe: „Der Pott“ ist der 21. Fall der Duisburger Kripokommissare Horst Schimanksi (Götz George) und Christian Thanner (Eberhard Feik). Er wurde 1988 gedreht und am 9. April 1989 erstausgestrahlt.
„[Mord] ist wie alles andere auch, nur mit Leichen.“
Duisburger Stahlarbeiter protestieren gegen Arbeitsplatzabbau, indem sie kurzerhand das Werk ohne gewerkschaftliche Legitimation besetzen. Unterstützung erhalten sie von der Bevölkerung, die mehr als eine halbe Million DM gespendet haben. Der „Pott“ mit diesen Zuwendungen soll im Rahmen einer öffentlichen Protestkundgebung medienwirksam präsentiert werden, wird jedoch bei einem brutalen Überfall entwendet. Das bringt die Streikenden zusätzlich in Bredouille. Damit nicht genug: Günther Broegger (Horst Lettenmeyer), eines der unmittelbaren Opfer des Überfalls, wird in einer Kleingartensiedlung nahe des Arbeiterviertels Duisburg-Hochfeld ermordet aufgefunden. Da Thanner zu einer Außenstelle des Bundeskriminalamts nach Bonn gewechselt ist und Hänschen (Chiem van Houweninge) erst in sechs Wochen wiederkommt, sieht sich Schimanski zunächst gezwungen, die Ermittlungen allein anzugehen. Er kann jedoch Königsberg (Ulrich Matschoss) überzeugen, ihm Jo Wilms (Thomas Rech, „Tatort: Blutspur“) vom Raubdezernat zur Seite zu stellen, der im Falle des gestohlenen „Potts“ ermittelt. Schimanski stellt die Kleinkriminellen Struppek (Michael Brandner, „Nordkurve“) und Golonska (Guido Föhrweißer, „Der Atem“), als sie gerade Broeggers Wohnung durchsuchen. Doch damit ist der Fall längst nicht gelöst, und immer wieder kreuzen sich die Wege der Kripo mit denen eines BKA-Schnüfflers (Miroslav Nemec, „Stahlkammer Zürich“) …
„Für meinen Bruder ist jeder ein Arschloch, der vor zehn Uhr aufsteht!“
Ein Novum im Duisburger „Tatort“: Der Prolog zitiert einen Artikel der Wochenzeitung „Der Spiegel“ vom 28.03.1988, der von Ideen handelt, das Gewaltmonopol des Staats bei Demonstrationen, Streiks u.ä. zugunsten privater Sicherheitsdienste aufzugeben. Der eigentliche Fall beginnt mit einem Liveauftritt Rio Reisers mit seiner Band auf der Streikveranstaltung der Stahlwerker, wo man „Über Nacht“ zum Besten gibt. Der Überfall wird betont brutal dargestellt, indem auch ein altes Mütterchen misshandelt und anstelle des Gelds in den „Pott“ geworfen wird. Schimmi ist unterdessen wenig von Thanners Jobwechsel begeistert. Zum Running Gag wird, dass er Thanners Gepäck die ganze Zeit im Kofferraum mit sich herumfährt, während Thanner längst in Bonn ist und verzweifelt an seine Sachen heranzukommen versucht.
„Ich hab‘ dir immer gesagt: Wir sind hier nur von Idioten umgeben!“
Bei einem Gerangel zwischen Bevölkerung und Polizei setzt sich Schimmi für die einfachen Leute und springt rabiat mit den Uniformierten um – ein eindeutiges Zeichen für Schimanskis Sympathieverteilung. Starke Auftritte hat auch Willi Thomczyk („Tatort: Grenzgänger“) als zynisch philosophierender, arbeitsloser Bruder Jos. Nach und nach lernt man Jos ganze Familie kennen, beim gemeinsamen Essen Schimanskis mit Jos Familie gibt’s neben deutscher Küche geballtes Ruhrpott-Naturell – und auf Jos Schwester Vera (Sabine Postel, „The Brief“) wirft Schimmi direkt ein Auge. Hoch her geht’s aber nach wie vor auf der Straße: Schimmi legt sich mit BKA-Schnüfflern an und muss sie gleichzeitig vor einer aufgebrachten Meute beschützen, später gehen Streikende und sie Unterstützende wie ein Lynchmob mit Fackeln auf die Straße und machen Jagd auf Golonska, von dem sie glauben, er sei in den Mord oder den Überfall verwickelt.
„Bügeln und gebügelt werden – Frauenschicksal!“
Das Bonner BKA um seinen von Ludwig Haas („Lindenstraße“) gespielten Chef hingegen präsentiert sich als stocksteife Tafelrunde, in die Thanner nicht so recht passen will – und der sich überrascht von den Plänen hinsichtlich privater Sicherheitsdienste zeigt. In Duisburg wird derweil ganz klassisch per Flugblatt nach Struppek gefahndet, einen Sturz vom Förderturm überlebt er anschließend nicht. Schimmi ist, fertig zu Hause auf seinem Motorrad sitzend, trinkend und Rio Reiser hörend, mit seinem Latein am Ende und sieht sich gezwungen, Thanner um Hilfe zu bitten, der dadurch in einen Gewissens- und Interessenkonflikt gerät. So kommt es schließlich doch wieder zu einer Zusammenarbeit zwischen den beiden – ein schöner erzählerischer Kniff.
Letztlich geht’s um verdeckt operierende BKA-Spitzel und ihre Einflussnahme, aber auch um noch viel mehr: Den Malocher-Hintergrund der Wilms, um Bosse und ihrem Umgang mit der Belegschaft, um Solidarität, Befangenheit, Rache und einen guten Schuss Dramatik und Tragik. Der doppeldeutig betitelte „Tatort: Der Pott“ hantiert dafür vielleicht mit einem etwas großgeratenen Ensemble, dafür erlangte dieses später einige Berühmtheit: Aus Miroslav Nemec, der bereits im „Tatort: Gebrochene Blüten“ dabei war, wurde ein bis dato aktiver Münchener „Tatort“-Kommissar, Sabine Postel heuerte beim Bremer „Tatort“ an, Jos von Leonhard Lansink gespielter zweiter Bruder ist heute als „Wilsberg“ bekannt, Thomczyk machte Hauptrollenkarriere in der Comedy-Serie „Die Camper“. Ludger Pistor („Balko“) ist als Schimanskis Kollege Schäfer auch wieder mit von der Partie.
Sein Gewaltmonopol bei Demos und Arbeitskampf offiziell und unter dem Deckmantel der „Deeskalation“ in private Hände zu geben, das hat der Staat bzw. haben seine Institutionen dann doch nie getan – vor dem ganz realen Hintergrund der Stahlarbeiterstreiks der 1980er erzeugt dieser „Tatort“ aber ein Bewusstsein dafür, wohin so etwas führen könnte: dass sich das BKA für Privatinteressen einsetzt und sich im Zweifelsfall gegen die Arbeiterklasse richtet. Dies wiederum erscheint als der Regierung unterstellte Institution wenig abwegig, betreiben CDU und längst auch SPD i.d.R. doch Lobbypolitik für Konzerne und Kapital. Und wenn ein BKA-Fatzke Thanner droht, er werde dafür sorgen, dass dieser nie wieder einen Job bekomme, erinnert das an ebenfalls ganz reale Fälle zu Zeiten des Kalten Kriegs, in denen bundesdeutsche Inlandsgeheimdienste auf diese Weise beispielsweise das Fußfassen von DDR-Aussiedlerinnen und -Aussiedlern, die ihnen nicht ganz geheuer waren, verhinderten. Angesichts der zahlreichen authentischen Bezüge erscheint es überaus stimmig, dass unter Regisseurin Hercher die zuletzt so Duisburg-„Tatort“-typische Neo-Noir-Ästhetik beinahe vollständig einem anschaulichen Sozialrealismus wich.
Am Ende dieses bockstarken „Tatorts“ betrinkt Schimmi sich und singt Rio „Schicht, Ende, aus“. Seine Dienstmarke wurde Schimanski aber noch nicht los.