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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mi 27. Jul 2011, 23:49
von buxtebrawler
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Heat
In Los Angeles treiben der Berufsverbrecher Neil McCauley (Robert De Niro) und seine Bande ihr Unwesen. Obwohl perfekt geplant, ging ihre letzte Aktion schief und der knallharte FBI-Agent Vincent Hanna (Al Pacino) wird auf die Bande aufmerksam. Da Hanna das Team auf frischer Tat ertappen will, schlägt er erst bei einem groß angelegten Banküberfall zu. In der folgenden Straßenschlacht zwischen der Polizei und den Verbrechern wird Cauleys Team zerschlagen. Obwohl Cauley zunächst fliehen kann, kommt es schließlich zum finalen Duell der beiden Vollprofis.
In US-Regisseur Michael Manns auf Epos-Länge aufgeblähter Action/Thriller/Drama-Mixtur aus dem Jahre 1995 kreuzen sich die Wege Neil McCauleys (Robert De Niro, „Taxi Driver“) und Vincent Hannas (Al Pacino, „Scarface“) – während McCauley ein professioneller, smarter Berufsverbrecher ist, der nur die ganz großen Dinger dreht, handelt es sich bei Hanna um einen unnachgiebigen, aufbrausenden FBI-Agenten, einen harten Hund. Beiden gemein ist die Unfähigkeit, sich auf funktionierende zwischenmenschliche Beziehungen einzulassen. McCauley ist stets um Sachlichkeit und emotionale Abschottung bemüht, während Hannas Verbissenheit und Cholerik sowie seine berufsbedingte Verrohung sein privates Glück auf die Probe stellen.

In „Heat“ wird der Zuschauer Zeuge, wie ein Coup nicht so abläuft, wie es sich McCauley gedacht hat – der neu zur Bande hinzugestoßene Waingro (Kevin Gage, „May – Die Schneiderin des Todes“) entpuppt sich als unberechenbarer Soziopath und erschießt mehrere wehrlose Opfer kaltblütig -, woraufhin sich Hanna an die Fersen McCauleys & Co. heftet, bis es letztlich zu einem finalen Showdown kommt.

Ob es Michael Mann, der mit seinen Filmen „Blutmond“ und insbesondere „Der Insider“ bei mir punkten konnte, tatsächlich beabsichtigte, die US-amerikanische Großstadt als einen chaotischen, der Anomie nahen Ort zu zeichnen, in der jeder machen kann, was er will, wenn er nicht gerade mehrere Cops killt, entzieht sich meiner Kenntnis. Jedenfalls stoßen McCauley & Co. bis zum Disput mit Waingro kaum auf Widerstand, holen sich wie selbstverständlich Insiderinfos ein und verhalten sich nach einem Raubmord alles andere als unauffällig (besuchen z.B. einen vollbesetzten Fast-Food-Imbiss und schlagen dort auf Waingro ein). Allgemein scheint mir das Ambiente doch arg der Realität entrückt, um die passende Spielwiese für die Protagonisten dieses Films zu schaffen – womit ich bereits meinen ersten Kritikpunkt genannt hätte, denn in einer als lebensecht(er) empfindbaren filmischen Umgebung entwickelt ein Gangsterthriller meines Erachtens einfach mehr Spannung.

„Heat“ ist aber dennoch durch und durch US-amerikanisch: Es hagelt vulgär-pseudocoole Sprüche en masse, bei Telefongesprächen wird sich grundsätzlich nicht verabschiedet, sondern einfach eingehängt und viele Nebenrollen wirken wie vom Reißbrett für US-Action-Kost. Ja, es ist eine unbarmherzige, ruppige Welt, und wer sich ihr nicht anpasst, kommt in ihr um – so oder so ähnlich scheint das altbekannte Motto zu lauten. Seine Qualitäten im Actionbereich werden jedoch bei einer sauber choreographierten, packenden und die Adrenalinausschüttung ankurbelnden, minutenlangen Schießerei auf offener Straße ausgespielt, die zahlreiche Opfer fordert – das ist wirklich großes Actionkino; eine Ballerorgie wie die, vor denen Pädagogen so gerne warnen, weil sie den Zuschauer zu einer blutrünstigen Bestie machen, die möglichst viele Opfer sehen will und auf eine effektive Dezimierung der jeweils gegnerischen Seite hofft. Dass man hierbei mit den Gangstern mitfiebert, löst noch einmal einen besonderen Kick aus, der sich mit der Panik vermischt, dass deren Plan misslingen könnte. Grandios!

Doch vornehmlich geht es natürlich um die Charakterisierung McCauleys und Hannas; und diese fiel höchstens in ihren Ansätzen leicht klischeebehaftet aus, denn man erlaubt dem Publikum einen tiefgehenden Einblick in die Gefühlswelt beider zunächst recht vertraut erscheinenden Pole (Gentleman-Gangster und Härtner-Bulle), der auf intelligente Subtilität setzt, zum Mitdenken anregt und den Holzhammer im Werkzeugkeller lässt. Irgendwo dort muss aber auch die Stoppuhr verschütt gegangen sein, denn manch Szene des Drama-Anteils wurde doch sehr ausgedehnt, bis auch der Letzte kapiert hat, dass die Beziehungskisten der beiden so nicht funktionieren und sie trotz ihrer ausfüllenden Jobs meilenweit von wirklichem Glück entfernt sind. Statt Holzhammer die „Steter Tropfen“-Methode sozusagen. Hier hätte etwas Straffung wirklich gut getan, denn ein Michael Mann ist kein Coppola, „Heat“ trotz Überüberlänge kein Epos und eine Action-Thriller/Drama-Mischung alles andere als einen stringenten Filmgenuss ungefährdend. Will sagen: Mir ist das zuviel des Guten, trotz Umgehung der Kitschfalle zu dick aufgetragen, zu breitgewalzt, zu – uninteressant, wenn ich eigentlich wissen will, wie der nächste Job der Jungs läuft und ob Hanna seine Schlinge enger zieht. Aber was weiß ich elender Ignorant schon, zahlreiche Kritiken beweisen, dass ich mit meiner Meinung eher auf verlorenem Posten stehe...

Bevor meine Notizen ähnliche Ausmaße annehmen wie die von mir gerade kritisierten Szenen, versuche ich mich kurzzufassen: Der Gangster-Action-Thriller-Anteil ist sehr unterhaltsam und technisch einwandfrei, relativ komplex mit seinen vielen Namen, mit denen um sich geworfen wird und die zumindest bei der Erstsichtung bisweilen etwas Verwirrung stiften können und De Niro ist einmal mehr verdammt großartig. Pacino als Hanna wird von De Niro nach Punkten geschlagen und erscheint mir ein wenig überzeichnet, wertet aber allein durch seine Präsenz bereits jeden Film auf. Positiv sind ferner der Verzicht auf patridiotische Gut/Böse-Schwarzweißmalerei zumindest innerhalb der moralischen Bewertung der beiden Hauptcharaktere und ihrer engsten Verbündeten (mehr kann man im Action/Thriller-Bereich vermutlich nicht verlangen bzw. würde sonst so ein Film nicht funktionieren) sowie der melancholisch-düstere Ansatz besonders der visuellen Umsetzung, beispielsweise mit wunderschönen Nachtpanoramen der von Neonlichtern erleuchteten Stadt, der für meinen Geschmack stärker betont hätte werden dürfen. Das unbefriedigende Ende, das nach dem starken ersten direkten Aufeinandertreffen McCauleys und Hannas und dem daraus resultierenden inhaltsschwangeren Dialog, welcher spätestens zu jenem Zeitpunkt für eine eindeutige Sympathieverteilung zugunsten der Gangster sorgt, natürlich bewusst so gewählt worden ist, verfehlt leider seine angestrebte Gänsehautwirkung bei mir knapp, denn ein Leone ist Michael Mann auch nicht.

Fazit: Sehr interessanter, eigenständiger Film mit Top-Besetzung, dessen Zutatenwahl und –gewichtung mir mit meinem eigenartigen Geschmack und meiner Skepsis nicht zu 100% zusagt, ich aber sehr gut nachvollziehen kann, weshalb er vielen anderen so gut mundet. Letztlich bin ich froh, diese Wissenslücke geschlossen zu haben, sehe weniger überambitionierte, stilistisch etwas anders gelagerte Filme aber weiter oben als „Heat“.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Do 28. Jul 2011, 23:14
von buxtebrawler
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Troll 2
Joshua reist in den Ferien mit seiner Familie in eine ländliche Stadt namens "Nilbog". Schnell stellt sich für ihn heraus, dass in der Stadt unheimliche Dinge geschehen und er entdeckt, dass Nilbog (rückwärts gesprochen Goblin) die Hauptstadt der Trolle ist. Die Trolle sind hässliche Kreaturen, die sich in Menschen verwandeln können, außerdem sind sie Vegetarier. Deshalb verwandeln sie ihre Opfer erst in Pflanzen und verspeisen sie dann. Mit Hilfe seines verstorbenen Großvaters Seth und seiner Familie muss er nun versuchen, gegen die gemeinen Monster anzukommen, die schon einige Leute auf dem Gewissen haben.
„Fleisch, und damit meine ich jetzt auch all dieses stinkende, ekelerregende Zeug: Hamburger, Steaks, Currywurst oder Jägerschnitzel aus dem Schnellimbiss, der Gestank gebratener Hähnchenkeulen! In den Städten ernähren sich Menschen von diesen Dingen und vergewaltigen ihre Körper! Sie infizieren sich und bekommen unheilbare Leiden: Nässenden Ausschlag! Eitrige Blasen! Ganze Trauben von Hämorrhoiden! Dickflüssige, stinkende Exkremente!“

Claudio Fragasso, italienischer Vollbluttrasher und Regisseur solch Kulturguts wie „Zombi 4“, kurbelte 1990 in den USA in US-amerikanisch-italienischer Koproduktion durch Joe D’Amato („Man-Eater“, „Sado – Stoß das Tor zur Hölle auf“) und Brenda Norris (wer?) dieses eigenartige Filmchen herunter, das trotz der Abwesenheit von Trollen in Anlehnung an John Carl Buechlers vier Jahre vorher veröffentlichte Fantasy-Horror-Komödie „Troll“ als dessen Fortsetzung, eben „Troll 2“, auf den Markt geworfen wurde. Hatte Buechlers Werk schon eine starke Trash-Komponente, spottet selbige bei Fragassos Totalunfall jeglicher Beschreibung!

Dass Fragasso auch noch höchstpersönlich zusammen mit seiner Freundin das Drehbuch verfasst hat, macht den Wahnsinn perfekt. Den kleinen Joshua verschlägt es zusammen mit seinen Eltern und seiner pubertierenden Schwester sowie deren zusammen mit seinen beschränkten Kumpels nachreisenden Freund für einen Sommerurlaub ins Dörfchen Nilbog. Dort gibt es allerdings keine Menschenseele mehr, sondern nur Goblins (und keine Trolle), anfänglich noch in Menschengestalt, die strenge Vegetarier sind und deshalb ihren Hunger stillen, indem sie Menschen zunächst in Pflanzen bzw. eine undefinierbare grüne Pampe verwandeln, um sie anschließend guten Gewissens verzehren zu können. Klingt doch logisch, oder? Nein? Dann dürfte es ebenso verwundern, dass Joshua, übrigens ein pottenhässliches Kind, als einzigem sein verstorbener Großvater Seth erscheint, der ihn vor der Goblin-Plage warnt, die Zeit anhalten kann und sogar am Schluss im finalen Kampf kräftig mitmischt. Und selbst, wenn man das erst einmal verdaut und akzeptiert hat, reibt man sich ungläubig die Augen und krümmt sich gleichzeitig vor Lachen, wenn Joshua auf den gedeckten Esstisch uriniert, um seine Familie davon abzubringen, den gift- bzw. nukleargrünen Goblin-Fraß zu sich zu nehmen, der unweigerlich eine chlorophyllische Metamorphose nach sich ziehen würde, wenn eines der jugendlichen Opfer von der Obergoblinhexe als Mensch/Pflanzen-Hybrid in einem Blumentopf gehalten wird, wenn bei einem „heißen“ Techtelmechtel sich ein Maiskolben in kiloweise Popcorn verwandelt und sich Blutwurstbrote als wirkungsvolle Waffe gegen die grüne Gefahr herausstellen. Warum das Betatschen eines „magischen Steins“ in Kombination mit „menschlicher Liebe“ (oder so) die Gefahr letztlich (wenn auch nur scheinbar) bannt, hinterfragt dann wohl niemand mehr.

Ja, hier jagt eine unfassbare Idee die nächste und das schönste daran ist, dass das alles offensichtlich ernstgemeint war und ein richtiger Horrorfilm werden sollte...!? Dabei könnte man den Anfang trotz eines die Marschrichtung eigentlich schon vorgebenden, fiesen Anschlussfehlers mit etwas Wohlwollen sogar noch halbwegs ernstnehmen – doch spätestens, wenn Joshua mit seinen Eltern im Auto sitzt, ihn plötzlich die von „Black Emanuelle“ Laura Gemser aus Kartoffelsäcken und starren Latexmasken zusammengenähten Goblin-Masken anglotzen (das menschliche Äußere dient ihnen nur zur Tarnung) und die Familie ein schwachsinniges Lied zu trällern beginnt, ist bereits alles vorbei. Die Masken sind herrlich billig und lachhaft, die „Schauspieler“ pendeln zwischen den Extremen Ausdruckslosigkeit und vor allem aber gnadenlosem Overacting (die Goblinhexe!!!), die Dialoge sind zum Totlachen und eine Horroratmosphäre aufzubauen wurde anscheinend in den idyllischen Dorfkulissen und den lichten Laubwäldern gar nicht erst versucht. Stattdessen sprudelt es nur so aus allen Beteiligten heraus und man gönnt dem Zuschauer kaum eine Pause. Das ist tatsächlich alles so dermaßen übertrieben und neben der Spur, dass es die reinste Freude ist.

Zugegeben, eine handvoll Spezialeffekte sind sogar recht gelungen, aber ansonsten handelt es um eine filmische Vollkatastrophe, die eben daraus einen irrsinnigen Unterhaltswert bezieht. „Troll 2“ ist DIE Definition von „so schlecht, dass es schon wieder gut ist“ und dass sich ein Kult um diesen Film entwickelt hat, kann ich nur zu gut nachvollziehen. Zwar tat das gegen diese Geschichte rebellierende Gehirn nach dem Abspann dann doch etwas weh, aber das war den Spaß wert.

Ach, was sag ich, als allegorische Warnung vor militanten Vegetariern ist „Troll 2“ eine Wucht. Also, nehmt euch vor Grünzeug in Acht!

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mo 1. Aug 2011, 21:02
von buxtebrawler
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Mordanklage gegen einen Studenten
Bei Studentenprotesten an der Architektur-Fakultät eskalieren die Ereignisse. Die Polizei greift mit Schlagstöcken an, während die Studenten mit Steinen antworten und auf die Polizisten zustürzen. Als im Gemenge ein Schuss fällt und ein Student getroffen zu Boden fällt, verliert Fabio Sola (Massimo Ranieri) vor Wut die Kontrolle und schlägt mit einem zufällig auf dem Boden gefundenen Schlagring auf einen Polizisten ein. Dieser bleibt ebenfalls tot liegen. Um den Schuldigen für den Tod ihres Kollegen zu finden, werden wahllos Studenten festgenommen, bevor der gleich zu Beginn der Demo verhaftete Massimo Trotti (Luigi Diberti) als Hauptverdächtigter präsentiert wird. Richter Sola (Martin Balsam) bekommt die Ermittlungen übertragen, ohne zu ahnen, dass sein Sohn der wirkliche Täter ist...
„Die Studenten sind alles rauschgiftsüchtige Strolche!“

Peu à peu entdecke ich die alten italienischen Polit- und Justiz-Thriller für mich, gleichermaßen inhaltlich bedeutsame, oft mutige und unterhaltsame Filme, die ohne hollywoodtypischen Kitsch und Pathos auskommen und wesentlich mehr Aufmerksamkeit verdienten. Ein anscheinend auch unter den Kennern der Materie recht unbekannter Vertreter ist Mauro Bologninis „Mordanklage gegen einen Studenten“ aus dem Jahre 1972, der sich thematisch mit den sozialistisch-fortschrittlich motivierten Studentenprotesten, dem ihnen u.a. zugrunde liegenden Generationskonflikt, der aus der Konfrontation mit den staatlichen Repressionsorganen resultierenden Eskalation der Gewalt und dem Umgang der Justiz mit ihren Folgen auseinandersetzt.

So beginnt der Film mit einer sehr gut choreographierten gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen Schutzkleidung tragenden und mit Schusswaffen ausgerüsteten Carabinieri und mit einfachen Schlaginstrumenten ausgestatteten Studenten, in deren Folge ein Student erschossen wird und anschließend ein Student in blinder Wut einen Polizisten mit einem gefundenen Schlagring erschlägt. Um den Generationskonflikt verdeutlichen zu können, erklärt das Drehbuch den Totschläger Fabio (Massimo Ranieri, „Eine Kugel für den Bullen“) kurzerhand zum Sohn des Richters Sola (Martin Balsam, „Hexensabbat“), welcher aber nichts von den Verwicklungen seines Filius weiß. Stattdessen wird willkürlich ein unschuldiger Student verhaftet.

Soweit zur Handlung dieser gleichberechtigten Mischung aus Polit-/Justiz-Thriller und Drama, das um Ausgewogenheit, Objektivität und Neutralität bemüht ist. Das Stilmittel der Überzeichnung ist Bologninis nicht; er versucht offensichtlich, so realistisch wie möglich zu bleiben und schlägt sich nicht plakativ auf eine Seite, sondern appelliert an die Vernunft und ruft zur Kommunikation zwischen den verfeindeten Lagern auf. Das macht „Mordanklage gegen einen Studenten“ vielleicht ein wenig unspektakulär, wirkt durch den Verzicht auf Idealisierung und Verteufelung seiner Protagonisten aber aufrichtig und läuft nur selten Gefahr, sich in die eine oder andere Richtung naiv zu präsentieren. So gibt es durchaus einen faschistoiden Polizisten, der Verdächtige misshandelt und markige Sprüche klopft und ein Rechtssystem, das dessen Opfer kaum zu schützen vermag. Doch auch die Studenten schrecken vor unlauteren Methoden nicht zurück und können auf den Vorwurf, zur zukünftigen Elite des Landes zu gehören, die letztlich für die reiche Oberschicht arbeiten wird, kaum etwas erwidern. Die Polizei verhaftet einen nachweislich Unschuldigen, Richter Sola jedoch scheint um tatsächliche Aufklärung bemüht. Er sieht sich aber auch mit Vorwürfen konfrontiert, dass nicht entschieden genug in den eigenen Reihen ermittelt wird, was nicht von der Hand zu weisen ist etc.

Die dramatische Komponente bekommt der Film durch den Umstand, dass Solas Sohn der Totschläger ist, was zu einem unvorhersehbaren, halboffenen Ende mit Symbolcharakter führt und die Unmöglichkeit eines befriedigenden Auswegs aus der verfahrenen Situation verdeutlicht. Sola senior wie junior erleben eine Entwicklung, die sie ihr eigenes Handeln hinterfragen und unterschiedliche Konsequenzen ziehen lässt. Der Weg dorthin wird niveau- und stilvoll von ausdrucksstarken Schauspielern, die ihren Rollen Leben und Temperament einhauchen, gegangen und von Maestro Ennio Morricones wunderbarer Musik untermalt.

Letztlich warnt der Film vor einer Gewaltspirale, in der Unschuldige zu Opfern (gemacht) werden und ist trotz seines Pessimismus ein wichtiges Bekenntnis zur Sachlichkeit in einer meist hitzig geführten, emotional aufgeladenen Debatte, das ohne Verklärung um Verständnis für die aufrührerischen Studenten wirbt und konstruktive Kritik am italienischen Polizei- und Justizapparat übt. Ein sehr guter Film, der vollkommen zu Unrecht ein – wenn überhaupt – Nischendasein fristet.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mo 1. Aug 2011, 21:19
von buxtebrawler
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The Decline Of Western Civilization

US-Regisseurin Penelope Spheeris (“Suburbia”, “Wayne’s World”) tauchte Ende der 1970er/Anfang der 1980er für ihr Debüt, den Dokumentarfilm „The Decline Of Western Civilization“, in die Punkszene von Los Angeles ein, um der noch relativ jungen, rebellischen, seinerzeit noch häufig von der Öffentlichkeit mit Ignoranz und Boykott gestraften Musik- und Subkultur ihre Aufmerksamkeit zu widmen. Daraus entstand dieser ironisch betitelte Film, der sich angenehmerweise sämtliche Kommentare aus dem Off spart und auf die Kraft seiner Bilder und Interviews mit den Protagonisten der Szene, vom Musiker über Clubbetreiber bis zu Fanzinern, setzt. Und diese zeichnen ein Bild einer unheimlich energiegeladenen, kreativen und kraftvollen Szene, die dem Rock’n’Roll neues Leben einhauchte und keineswegs gleichförmigen Krach produzierte, sondern durchaus über eine gewisse stilistische Bandbreite verfügte und unterschiedliche Einflüsse in ihrer Musik zusammenführte.

Zu sehen bekommt man legendäre Liveaufnahmen von BLACK FLAG, damals noch mit Ron Reyes am Gesang, und den CIRCLE JERKS, die vor ungebändigter Aggression und Energie nur so sprühen und auf Schallplatte nie so, in all ihrer Intensität, konserviert werden können, von den GERMS, deren Sänger sich hier bereits wie ein Drogenwrack präsentiert – was sehr schade ist, da so nicht deutlich wird, welch begnadete Band die GERMS waren - und kurze Zeit nach Veröffentlichung des Films und des dazugehörigen Soundtracks das Zeitliche segnete und zu deren Besetzung seinerzeit übrigens Pat Smear gehörte, der später bei NIRVANA die zweite Gitarre auf der „In Utero“-Tournee und bei der Unplugged-Session für MTV übernahm und nach Cobains Tod bei Dave Grohls FOO FIGHTERS einstieg, die sich professionell und musikalisch wiederum ganz anders gepolt präsentierenden X, von denen ich mir dringend die ersten beiden Platten besorgen muss sowie FEAR, die ihr Publikum so lange provozieren, bis es zu einer Schlägerei auf der Bühne kommt (und sich ebenfalls erschreckenderweise noch nicht in meiner Plattensammlung wiederfinden). Weitere Bands, die durch diesen Film abgedeckt werden, sind die ALICE BAG BAND und CATHOLIC DISCIPLINE. All diese unverfälschten Originalaufnahmen sind Gold wert und wirken damals wie heute ungeheuer faszinierend.

„The Decline Of Western Civilization” zählt zu einer Handvoll Dokumentarfilmen, die mehr oder weniger lokalen Szenen zu weitreichenderer Popularität verholfen und den einen oder anderen nachhaltig mit dem Punkvirus infiziert haben dürften. Wenige Jahre später drehte Spheeris mit „Suburbia“ einen fiktiven Spielfilm, der in der Punkszene spielt und beweist, dass sie verstanden hat, worum es geht. Wiederum später widmete sie sich dem Hardrock- und Metal-Bereich, was leider zum halbgaren Nachfolger „The Decline Of Western Civilization, Part 2: The Metal Years“ und solch murksigen Komödien wie „Wayne’s World“ führte. „The Decline Of Western Civilization” ist aber essentieller Stoff für alle subkulturell Interessierten.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mo 1. Aug 2011, 22:23
von Vinz Clortho
buxtebrawler hat geschrieben:... die sich professionell und musikalisch wiederum ganz anders gepolt präsentierenden X, von denen ich mir dringend die ersten beiden Platten besorgen muss
Unbedingt! Und wenn Du schon dabei bist, besorg' Dir am besten gleich noch das grandiose Livealbum "Live at the Whisky a Go-Go On The Fabulous Sunset Strip" mit dazu ... nicht wenige Leute (Vinz inkl.) behaupten, dass die Platte zu den besten und energiegeladensten Livescheiben ever gehört:

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Und wo wir schon mal beim Thema sind ... hier noch eine weitere, ebenso empfehlens- wie sehenswerte Doku zum Thema West Coast Punk:

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Wirklich hervorragend, das Teil! :nick:

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mo 1. Aug 2011, 22:34
von buxtebrawler
Vinz Clortho hat geschrieben:Unbedingt! Und wenn Du schon dabei bist, besorg' Dir am besten gleich noch das grandiose Livealbum "Live at the Whisky a Go-Go On The Fabulous Sunset Strip" mit dazu ... nicht wenige Leute (Vinz inkl.) behaupten, dass die Platte zu den besten und energiegeladensten Livescheiben ever gehört:

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Und wo wir schon mal beim Thema sind ... hier noch eine weitere, ebenso empfehlens- wie sehenswerte Doku zum Thema West Coast Punk:

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Wirklich hervorragend, das Teil! :nick:
Alright, danke für die Tipps, Vinz! :thup:

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mo 8. Aug 2011, 23:59
von buxtebrawler
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The Decline Of Western Civilization, Part 2: The Metal Years

Nachdem US-Regisseurin Penelope Spheeris (“Suburbia”, “Wayne’s World”) mit dem ersten Teil ihrer Dokumentarfilmreihe einen intimen Einblick in die L.A.-Punkszene erlaubte, widmete sie sich von 1986 bis 1988 der Heavy-Metal-Szene – bzw. dem, was sie dafür hielt. Auf den ersten Blick scheint dem Film das gleiche Konzept wie dem Erstling zugrunde zu liegen, sprich: Keine Off-Kommentare, sondern ausschließlich O-Töne aus Interviews und Livemitschnitte der Protagonisten.

Jedoch ist bereits der Name irreführend. AEROSMITH beispielsweise spielen sicherlich vieles, aber gewiss keinen Metal. Ebenso fraglich ist es, inwieweit Hard-/Cock-/Poser-/Glamrock-Acts wie FASTER PUSSYCAT, POISON etc. zum Metal-Bereich zu zählen sind. Trotzdem nehmen diese Gruppen neben u.a. KISS, OZZY OSBOURNE, MEGADETH, Lemmy von MOTÖRHEAD und Chris Holmes von W.A.S.P. einen großen Teil des Films ein. Liveaufnahmen gibt es hingegen lediglich von LIZZY BORDEN, SEDUCE, LONDON, ODIN und eben den bereits erwähnten FASTER PUSSYCAT zu sehen, die wirklich großen Namen wurden in dieser Hinsicht also ausgespart.

Stattdessen rücken sich die Bandmitglieder teilweise aberwitzig in Szene (Paul Stanley von KISS im Bett, umringt von Frauen, Ozzy Osbourne in irgendeiner Küche bei der Frühstückszubereitung, Chris Holmes betrunken im Swimmingpool, an dessen Rand seine Mutter (!) sitzt etc.) und labern viel, viel hirnlose Scheiße von Geld, Ruhm, Drogen und Sex. Einige Szenen sind dabei eindeutig gestellt (Chris Holmes überkippt sich angeblich mit Fusel) bzw. wurden nachträglich eingefügt (eine Großaufnahme von angeblich Osbournes Hand, wie sie beim Einschenken von Orangensaft den Großteil danebenkippt), was den dokumentarischen Anspruch ad absurdum führt. Überhaupt ist mir die Intention des Films unklar: Wenn die bereits damals dem Untergang geweihte Poser-Szene vorgeführt werden sollte – was sie definitiv wird -, warum beschränkte man sich nicht auf einen Film über eben jene Unkultur? Warum werden MOTÖRHEAD-Lemmy und MEGADETH in so einem Film verwurstet, in den auch eine Band wie SEDUCE nur bedingt passt? Wollte man einen Gegenpol aufzeigen? Sicherlich nicht, dann wären die entsprechenden Interviews anders ausgefallen. Oder hatte man alle Bands über einen Kamm scheren wollen und hat die grundlegenden Unterschiede zwischen ihnen gar nicht erkannt? Sollen die Fake-Szenen andeuten, dass es sich bei den Gruppen um reine Showacts handelt, an denen ebenfalls nichts echt ist?

Wie dem auch sei, Gene Simmons versucht sich ein wenig in Selbstironie, Ozzy Osbourne sieht aus wie eine wahnsinnige Hausfrau, verfügt aber über einen fatalistischen Humor und Dave Mustaine von MEGADETH wird ein paar Statements los und darf seinen Song „In My Darkest Hour“ anreißen. Und witzig ist es allemal, die ganzen Poser-Tunten mit ihren affigen Frisuren zu beobachten, vor allem, wenn der Nachwuchs von ebenfalls großen Rockstar-Karrieren träumt, man rückblickend aber weiß, dass sich das Publikum nur allzu bald von der ganzen Scheiße ab- und ehrlicherer, gehaltvollerer Musik zugewandt hatte, was Anfang der 1990er dann als „Grunge-Boom“ ausgeschlachtet wurde. Vielleicht trug dieser Film auch zu dieser Entwicklung bei.

Als vernünftige Metal-Dokumentation taugt „The Decline Of Western Civilization, Part 2: The Metal Years” aber so gut wie nichts. Während Spheeris mit ihrer Arbeit über die L.A.-Punks ein faszinierender Einblick in einen spannenden Underground gelang, bewegt sich dessen Nachfolger fast ausschließlich an der entstellten Mainstream-Oberfläche der härteren Rockmusik, beschränkt sich auf nur wenige Stilrichtungen und verteilt seine Prioritäten zu Ungunsten der wirklich interessanten Bands und Subszenen jener Zeit. Insofern eine Mogelpackung.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Fr 12. Aug 2011, 23:19
von buxtebrawler
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Hard Rock Zombies
Jesse und seine Band verdienen sich ihren Unterhalt als kleine Heavy Metal-Band und stehen kurz vor ihrem großen Durchbruch. Ihnen steht eine große Show im kleinen Städtchen Grand Guignol bevor, da warnt sie die junge Cassie, nicht dort aufzutreten. Die Anwohner der schrulligen Ortschaft befürchten, dass die Musik schlechten Einfluss auf ihre Kinder hat und wollen die Band verbieten lassen, doch die trotzt allen Widrigkeiten und bereitet ihren großen Gig vor. Die Band bekommt sogar Gelegenheit auf einem Anwesen in der Nähe der Stadt zu übernachten und dort vor den etwas seltsamen Anwohnern zu proben. Doch bald wissen sie, warum sie hierhin gelockt wurden: Die Familie ist ein sadistischer, blutrünstiger Haufen Wahnsinniger, geleitet von keinem Geringerem als Adolf Hitler, der mit Hilfe seiner Leibgarde der Band ein schreckliches Ende bereitet. Doch die Weltherrschaftspläne Hitlers werden jäh durchkreuzt, als die Band auf Hilferuf ihres größten Fans als Untote aus den Gräbern steigen. Nun müssen sie ein letztes Mal ihre große Rockshow abliefern und dabei die untoten Horden und Gehilfen des verrückten Diktators aus dem Weg räumen. [Quelle: wicked-vision]
“Holt die braune Unterwäsche raus, die ganze Welt soll sie sehen! Heut ist der Tag der Tage, auch der kritischen Tage, meine Damen! Es gibt viel zu tun, fangt schon mal an! No hope, no dope, no future! Überall wo ich bin, herrscht Chaos, aber ich kann nicht überall sein! Ich fordere Freiheit für Luis Trenker, nieder mit dem Watzmann, nieder mit der Schwerkraft, es lebe der Leichtsinn! Lieber Petting statt Pershing, lieber geil als cruise missile, lieber kopulieren als koalieren! Amis raus aus USA, Winnetou ist wieder da!“

Oh mein Gott! Was der indische (!) Regisseur Krishna Shah im Jahre 1984 mit der US-Produktion „Hard Rock Zombies“ abgeliefert hat, ist definitiv der schlimmste aller „Horror meets Metal“-Filme, die die 1980er hervorgebracht haben. „Hard Rock Zombies“ ist sozusagen der Troma-Film, der keiner war, denn an jene freiwilligen Trasher erinnert dieses völlig überdrehte Machwerk doch stark. Neben Hardrock- bzw. Metal-Klischees hagelt es Geschmacklosigkeiten am laufenden Band, wenn Jesse und seine Band auf Tour ins kleine Kaff Grand Guignol (man beachte den Namen und sehe notfalls bei Wikipedia nach...) kommen und sich mit einer debilen, ablehnenden Dorfbevölkerung konfrontiert sehen, welche der Gruppe übel mitspielt. Obwohl Jesse noch konstatiert „Ohne Rock keinen Bock!“ hat dort kaum jemand Bock auf Rock, lediglich die niedliche Cassie hegt Sympathien, doch ihre Warnungen werden nicht ernst genommen. So kommt es, wie es kommen muss (?) und die Band wird nach einer Probe in die nicht ganz so ewigen Jagdgründe ähm... gejagt. Es stellt sich nämlich bald heraus, dass es sich bei der wahnsinnigen Familie nicht etwa um herkömmliche Südstaaten-Asis, sondern um den GröFaZ höchstpersönliche sowie dessen Frau Eva und ihre (kleinwüchsigen) Nachkommen handelt. Doch glücklicherweise verhilft die Kraft des Rock’n’Roll den Musikern zu einer zweiten Karriere als untote Nazi- und Ghoul-Jäger, so dass dem Siegeszug der „Hard Rock Zombies“ gegen größenwahnsinnige Diktatoren nichts mehr im Wege steht.

„Das ist ja alles wie in einem billigen Film!“, heißt es da, und das trifft es auf den Kopf: „Hard Rock Zombies“ macht zu keiner Sekunde einen Hehl daraus, eben genau das zu sein: Ein billiger Film, ein Trash-Exploiter par excellence, ein Feuerwerk des schlechten Geschmacks. Der Film wirkt wie eine Semi-Amateur-Produktion, schauspielerische Leistungen, die Qualität der durchaus vorhandenen Masken- und Splattereffekte etc. bewegen sich auf unterem Niveau, doch darum geht es auch gar nicht. Es sind vielmehr die unglaublichen Ideen, die die Handlung dem Zuschauer auftischt und mit einer irrsinnigen Freude zelebriert, ohne sich dabei zu schämen, ganz im Gegenteil: Es wird ständig noch einer draufgesetzt, lediglich die hochprofessionellen, aber superkitschigen Kommerzrock-Songs von Emmy-Gewinner Paul Sabu, die zu diesem Film passen wie der Papst auf ein Black-Metal-Konzert, laden zu Verschnaufpausen ein. Ob Sabu wusste, wofür er seine Stücke beisteuert? Leider spielt die Band auch in zombifiziertem Zustand keinen Death Metal... Ach ja, und unbedeckte, sekundäre weibliche Geschlechtsmerkmale dürfen bei dieser Sause natürlich ebenso wenig fehlen wie eine nette Romanze.

Als das seltsame Familienoberhaupt sich seine Maske vom Kopf reißt und als Hitler zu erkennen gibt, wäre ich fast vom Stuhl gekippt. Doch damit nicht genug, die Dialoge – allen voran Hitlers Geplapper (unbedingt die ungeschnittene Fassung sichten!) – sind der absolute Hammer und eigentlich allesamt zitierwürdig („Je mehr Leute man unter die Erde bringt, desto weniger verpesten sie die Luft!“). Das spare ich mir aber genauso wie eine Aufzählung aller idiotischen Szenen wie die eines sich selbst aufessenden Zwergs in einer Latexmaske, Hitlers Enkelkinder, die Opa beim Sex zusehen wollen und auch dürfen oder Eva Brauns zweite Identität als Werwölfin. Selbst ansehen lautet die Devise, aber Vorsicht: Mit dem einen oder anderen Troma-Film, Naziploiter oder einem harmloseren Vertreter trashigen Musikhorrors sollte man sich schon einmal auseinandergesetzt haben – anderenfalls liefe man Gefahr, einen schwerwiegenden Kulturschock zu erleiden. Und für Menschen, die nicht über genügend Distanz zu den Greuel des Dritten Reichs verfügen, dürften all die Hakenkreuze und Hitlers von einem dreifachen „Sieg Heil!“ abgeschlossene Lobrede auf seine Gaskammerkonstruktion eindeutig zuviel sein.

P.S.: Ob die Rechtschreibfehler im Abspann Absicht waren, um den Trash-Aspekt noch einmal zu unterstreichen...?

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Sa 13. Aug 2011, 00:59
von buxtebrawler
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Zeder – Denn Tote kehren wieder
Frankreich 1956. Ein weiterer Mord in einem feinen Haus. Zwei Polizisten bleiben über Nacht da. Als sich dann der Fußboden bewegt, dringen sie mit der Tochter des Hauses in den riesigen Keller des Hauses ein, dort finden sie ein Grab mit einigen Knochen drin. Dann woanders: Ein junger Schriftsteller namens Stefano bekommt von seiner Freundin eine Schreibmaschine geschenkt, die sie im Leihhaus bei einer Versteigerung bekommen hat. Auf dem Farbband entdeckt Stefano seltsame Sachen, die über ein Gebiet erzählen, in dem es keine Zeit gibt und die Toten aus der Erde aufstehen können. Diese These hat ein gewisser Zeder aufgestellt und ließ sich zum Beweis nach seinem Tod auf einem solchen Gebiet verbuddeln, eben in dem Keller jenes Hauses. Stefano ist nun völlig besessen, mehr über diese Sache zu erfahren...
„Hexerei, Magie, Teufelsglaube, Wiedergeburt, Esoterik, Poltergeister?“ – „Ja, es geht um etwas in dieser Richtung.“

Mit seinem 1976 entstandenen Suspense-Horrorfilm „The House With The Laughing Windows“ hatte der italienische Regisseur Pupi Avati einen überaus empfehlenswerten Genrebeitrag geschaffen. 1983 widmete er sich mit „Zeder – Denn Tote kehren wieder“ erneut diesem Bereich; wieder geht es um einen Mann, der einem alten, tödlichen Geheimnis auf der Spur ist: Der nicht sonderlich erfolgreiche Schriftsteller Stefano (Gabriele Lavia, „Profondo Rosso“) entdeckt auf dem Farbband einer antiquarischen Schreibmaschine Informationen über sog. K-Zonen, die sich dem herkömmlichen Raum-Zeit-Kontinuum entziehen und Tote wieder lebendig machen können. Getrieben von seiner Neugier macht er sich auf die Suche nach weiteren Informationen und eben so einer K-Zone, gerät dabei aber in den Strudel einer geheimlogenartigen Verschwörung, die bald ihre ersten Opfer fordert.

Auch „Zeder“ ist ein „Suspense-Grusler“, also ein Horrorfilm, der auf Spannung und eine morbide bzw. geheimnisvolle Atmosphäre setzt, statt mit Schauwerten zu schockieren. Um einen klassischen Italo-Zombiefilm handelt es sich demnach keinesfalls. Besonders zum Entstehungszeitpunkt des Films war das ein ehrenwertes Unterfangen, wurde das Genre zumindest in Italien doch längst von Splatter und Gore dominiert. Doch im Gegensatz zum rundum gelungenen „The House...“ sind hier dann doch einige Schwächen erkennbar, die den ansonsten positiven Gesamteindruck etwas trüben. Da wäre zum einen die Dialoglastigkeit, die allein noch keine geheimnisvolle Gruselstimmung erzeugt. Evtl. war Avati da etwas zu sehr von seinen Fähigkeiten überzeugt, als er zu einem großen Teil auf klassisch-düstere, nebelverhangene oder regnerische Kulissen verzichtete und seinen Protagonisten stattdessen durch sonnendurchflutete Landschaften schickte. Im Zusammenhang mit den zahlreichen Dialogen ist das einer Gänsehautbildung eher abträglich und erinnert mehr an einen Mystery-Krimi als einen Horrorfilm. Die Mystik, die letztendlich diesen Film aus macht, ist omnipräsent, der Gruselanteil beschränkt sich aber leider auf höchstens eine Handvoll Szenen. Der Handlungsverlauf wirkt etwas unübersichtlich und leicht holprig, da eine Vielzahl Nebencharaktere eingeführt wird, von denen längst nicht alle von Bedeutung sind, aber dennoch die Konzentration des Zuschauers erfordern, der zudem meist mehr weiß als Stefano. Möglich, dass das als bewusstes Stilmittel eingesetzt wurde, ich empfand es als etwas unglücklich.

Neben einer Kameraarbeit, die einige ungewöhnliche Perspektiven parat hat und damit einige prächtige Bilder offeriert sowie Riz Ortolanis aufpeitschendem Elektro-/Geigen-Score (der aber manch Szene drastischer erscheinen lässt, als sie eigentlich ist) ist aber die Grundidee der Handlung positiv hervorzuheben, die besonders mit ihrem dramatischen, tragischen Ende stark an Stephen Kings Horrorklassiker „Friedhof der Kuscheltiere“ erinnert. Wer sich da von wem hat inspirieren lassen, ist bis heute leider nicht überliefert..

Allein schon deshalb ist Avatis Film von besonderem Interesse. Aber auch ohne diesen Umstand hätte man es mit einem ungewöhnlichen, interessanten Mystery-/Horror-Mix zu tun, der es jedoch inbesondere heutzutage schwer haben dürfte, sein geeichtes, entsprechend geduldiges und offenes Publikum zu finden und verglichen mit Avatis vorausgegangenem „The House...“ ein wenig enttäuscht.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mo 15. Aug 2011, 23:56
von buxtebrawler
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Turm der lebenden Leichen
Ein gellender Schrei in der Nacht, dann Stille - Totenstille. Als sich der dichte Nebel auf der kleinen Insel vor der englischen Küste lichtet, bietet sich ein Bild des Grauens. Vier grausam zugerichtete Leichen liegen in der Umgebung des alten Leuchtturms. Für die Polizei steht die einzige Überlebende dieses Massakers - die Amerikanerin Penelope Reed - als Täterin fest. Detektiv Brent aber ist skeptisch, zumal der Leuchtturmwächter mitsamt seiner Familie auf rätselhafte Weise verschollen ist. Brent beginnt Nachforschungen anzustellen, um diesem und anderen geheimnisvollen Vorgängen auf den Grund zu gehen. Die Spur führt in die finsteren Gänge unter dem Leuchtturm, zu einer Kultstätte des Gottes 'Baal'. Aus Neugier wird die Gier nach Gold, die einem nach dem anderen das Leben kostet...
„Auf der Insel hat’s niemals etwas anderes gegeben als Elend und Unglück!“

„Turm der lebenden Leichen“, eine britisch-US-amerikanische Koproduktion aus dem Jahre 1972 von Regisseur Jim O'Connolly ist ein netter Low-Budget-Prä-Slasher und erinnert nicht nur vom deutschen Titel her an den ein Jahr später veröffentlichten „Tunnel der lebenden Leichen“ – um Etikettenschwindel handelt es sich aber hier wie da, denn mit Zombies bekommt man es nicht zu tun.

Mit seiner bisweilen recht nebelverhangenen Leuchtturminsel fühlt man sich hin und wieder ferner an John Carpenters „The Fog“ erinnert, doch das sind wirklich nur kleine Aufblitzer in dieser ansonsten eher einfach gehaltenen Horrorerzählung, die ihre handwerklichen und technischen Mängel mit viel Charme auszugleichen versucht. So wird die Geschichte von einer unheimlichen Mordserie auf der Insel, die im doch ziemlich stimmigen und expliziten Prolog ihr vorläufiges Ende nimmt, die es aufzuklären gilt und in irgendeinem Zusammenhang mit der Gottheit Baal zu stehen scheint und zudem einen Goldschatz verspricht, in Studiokulissen und nicht selten mithilfe von Miniaturmodellen erzählt. Doch das ist eigentlich gar kein wirkliches Problem, mittels seiner unterschiedlichen Handlungsebenen – Rückblenden und filmische Gegenwart – baut sich die Handlung vielversprechend auf. Leider gingen dem Drehbuch anscheinend die Ideen für einen Vollzeitfilm aus, so dass man sich die Protagonisten – slashertypisch – in alberne und der Situation unangemessene Liebe- und Eifersüchteleien ergehen lässt; erfreulicherweise nicht unter totalem Verzicht auf unbekleidete Weiblichkeit. Das sind die Momente, in denen sich „Turm der lebenden Leichen“ auf leichtfüßiges Trash-Terrain begibt, zum Ende hin aber wieder die Kurve kriegt und ein befriedigendes, wenn auch recht vorhersehbares Ende zelebriert, das die unheimliche Geräuschkulisse, die einen besonderen atmosphärischen Kniff des Films darstellt und zum Funktionieren der Geschichte beiträgt, erklärt und durchaus eine morbide Faszination ausstrahlt.

Daher verzeihe ich dem „Turm“ gern seine Schwächen, hat er es doch geschafft, mich mit meinem Faible für europäische Gruselkost der alten Schule und meinem großen Herz gerade auch für kleinere, unscheinbarere Produktionen passabel zu unterhalten. Wer nur in der Lage ist, sich auf eine altmodische Schauermär einzulassen, wenn ein Film die perfekte Illusion einer anderen Realität erzeugt, ist hier aber falsch. Man sollte sich schon drauf einlassen können, auf den Turm, auf Baal, auf bärtige alte Männer... usw. Ich hatte meinen Spaß, gerne mehr davon!