Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
Verfasst: Mi 27. Jul 2011, 23:49
Heat
In US-Regisseur Michael Manns auf Epos-Länge aufgeblähter Action/Thriller/Drama-Mixtur aus dem Jahre 1995 kreuzen sich die Wege Neil McCauleys (Robert De Niro, „Taxi Driver“) und Vincent Hannas (Al Pacino, „Scarface“) – während McCauley ein professioneller, smarter Berufsverbrecher ist, der nur die ganz großen Dinger dreht, handelt es sich bei Hanna um einen unnachgiebigen, aufbrausenden FBI-Agenten, einen harten Hund. Beiden gemein ist die Unfähigkeit, sich auf funktionierende zwischenmenschliche Beziehungen einzulassen. McCauley ist stets um Sachlichkeit und emotionale Abschottung bemüht, während Hannas Verbissenheit und Cholerik sowie seine berufsbedingte Verrohung sein privates Glück auf die Probe stellen.In Los Angeles treiben der Berufsverbrecher Neil McCauley (Robert De Niro) und seine Bande ihr Unwesen. Obwohl perfekt geplant, ging ihre letzte Aktion schief und der knallharte FBI-Agent Vincent Hanna (Al Pacino) wird auf die Bande aufmerksam. Da Hanna das Team auf frischer Tat ertappen will, schlägt er erst bei einem groß angelegten Banküberfall zu. In der folgenden Straßenschlacht zwischen der Polizei und den Verbrechern wird Cauleys Team zerschlagen. Obwohl Cauley zunächst fliehen kann, kommt es schließlich zum finalen Duell der beiden Vollprofis.
In „Heat“ wird der Zuschauer Zeuge, wie ein Coup nicht so abläuft, wie es sich McCauley gedacht hat – der neu zur Bande hinzugestoßene Waingro (Kevin Gage, „May – Die Schneiderin des Todes“) entpuppt sich als unberechenbarer Soziopath und erschießt mehrere wehrlose Opfer kaltblütig -, woraufhin sich Hanna an die Fersen McCauleys & Co. heftet, bis es letztlich zu einem finalen Showdown kommt.
Ob es Michael Mann, der mit seinen Filmen „Blutmond“ und insbesondere „Der Insider“ bei mir punkten konnte, tatsächlich beabsichtigte, die US-amerikanische Großstadt als einen chaotischen, der Anomie nahen Ort zu zeichnen, in der jeder machen kann, was er will, wenn er nicht gerade mehrere Cops killt, entzieht sich meiner Kenntnis. Jedenfalls stoßen McCauley & Co. bis zum Disput mit Waingro kaum auf Widerstand, holen sich wie selbstverständlich Insiderinfos ein und verhalten sich nach einem Raubmord alles andere als unauffällig (besuchen z.B. einen vollbesetzten Fast-Food-Imbiss und schlagen dort auf Waingro ein). Allgemein scheint mir das Ambiente doch arg der Realität entrückt, um die passende Spielwiese für die Protagonisten dieses Films zu schaffen – womit ich bereits meinen ersten Kritikpunkt genannt hätte, denn in einer als lebensecht(er) empfindbaren filmischen Umgebung entwickelt ein Gangsterthriller meines Erachtens einfach mehr Spannung.
„Heat“ ist aber dennoch durch und durch US-amerikanisch: Es hagelt vulgär-pseudocoole Sprüche en masse, bei Telefongesprächen wird sich grundsätzlich nicht verabschiedet, sondern einfach eingehängt und viele Nebenrollen wirken wie vom Reißbrett für US-Action-Kost. Ja, es ist eine unbarmherzige, ruppige Welt, und wer sich ihr nicht anpasst, kommt in ihr um – so oder so ähnlich scheint das altbekannte Motto zu lauten. Seine Qualitäten im Actionbereich werden jedoch bei einer sauber choreographierten, packenden und die Adrenalinausschüttung ankurbelnden, minutenlangen Schießerei auf offener Straße ausgespielt, die zahlreiche Opfer fordert – das ist wirklich großes Actionkino; eine Ballerorgie wie die, vor denen Pädagogen so gerne warnen, weil sie den Zuschauer zu einer blutrünstigen Bestie machen, die möglichst viele Opfer sehen will und auf eine effektive Dezimierung der jeweils gegnerischen Seite hofft. Dass man hierbei mit den Gangstern mitfiebert, löst noch einmal einen besonderen Kick aus, der sich mit der Panik vermischt, dass deren Plan misslingen könnte. Grandios!
Doch vornehmlich geht es natürlich um die Charakterisierung McCauleys und Hannas; und diese fiel höchstens in ihren Ansätzen leicht klischeebehaftet aus, denn man erlaubt dem Publikum einen tiefgehenden Einblick in die Gefühlswelt beider zunächst recht vertraut erscheinenden Pole (Gentleman-Gangster und Härtner-Bulle), der auf intelligente Subtilität setzt, zum Mitdenken anregt und den Holzhammer im Werkzeugkeller lässt. Irgendwo dort muss aber auch die Stoppuhr verschütt gegangen sein, denn manch Szene des Drama-Anteils wurde doch sehr ausgedehnt, bis auch der Letzte kapiert hat, dass die Beziehungskisten der beiden so nicht funktionieren und sie trotz ihrer ausfüllenden Jobs meilenweit von wirklichem Glück entfernt sind. Statt Holzhammer die „Steter Tropfen“-Methode sozusagen. Hier hätte etwas Straffung wirklich gut getan, denn ein Michael Mann ist kein Coppola, „Heat“ trotz Überüberlänge kein Epos und eine Action-Thriller/Drama-Mischung alles andere als einen stringenten Filmgenuss ungefährdend. Will sagen: Mir ist das zuviel des Guten, trotz Umgehung der Kitschfalle zu dick aufgetragen, zu breitgewalzt, zu – uninteressant, wenn ich eigentlich wissen will, wie der nächste Job der Jungs läuft und ob Hanna seine Schlinge enger zieht. Aber was weiß ich elender Ignorant schon, zahlreiche Kritiken beweisen, dass ich mit meiner Meinung eher auf verlorenem Posten stehe...
Bevor meine Notizen ähnliche Ausmaße annehmen wie die von mir gerade kritisierten Szenen, versuche ich mich kurzzufassen: Der Gangster-Action-Thriller-Anteil ist sehr unterhaltsam und technisch einwandfrei, relativ komplex mit seinen vielen Namen, mit denen um sich geworfen wird und die zumindest bei der Erstsichtung bisweilen etwas Verwirrung stiften können und De Niro ist einmal mehr verdammt großartig. Pacino als Hanna wird von De Niro nach Punkten geschlagen und erscheint mir ein wenig überzeichnet, wertet aber allein durch seine Präsenz bereits jeden Film auf. Positiv sind ferner der Verzicht auf patridiotische Gut/Böse-Schwarzweißmalerei zumindest innerhalb der moralischen Bewertung der beiden Hauptcharaktere und ihrer engsten Verbündeten (mehr kann man im Action/Thriller-Bereich vermutlich nicht verlangen bzw. würde sonst so ein Film nicht funktionieren) sowie der melancholisch-düstere Ansatz besonders der visuellen Umsetzung, beispielsweise mit wunderschönen Nachtpanoramen der von Neonlichtern erleuchteten Stadt, der für meinen Geschmack stärker betont hätte werden dürfen. Das unbefriedigende Ende, das nach dem starken ersten direkten Aufeinandertreffen McCauleys und Hannas und dem daraus resultierenden inhaltsschwangeren Dialog, welcher spätestens zu jenem Zeitpunkt für eine eindeutige Sympathieverteilung zugunsten der Gangster sorgt, natürlich bewusst so gewählt worden ist, verfehlt leider seine angestrebte Gänsehautwirkung bei mir knapp, denn ein Leone ist Michael Mann auch nicht.
Fazit: Sehr interessanter, eigenständiger Film mit Top-Besetzung, dessen Zutatenwahl und –gewichtung mir mit meinem eigenartigen Geschmack und meiner Skepsis nicht zu 100% zusagt, ich aber sehr gut nachvollziehen kann, weshalb er vielen anderen so gut mundet. Letztlich bin ich froh, diese Wissenslücke geschlossen zu haben, sehe weniger überambitionierte, stilistisch etwas anders gelagerte Filme aber weiter oben als „Heat“.