Inner Senses – Im Schattenreich der Geister
Erscheinungen von Geistern machen der jungen Yam das Leben zur Hölle. Am Rande des Nervenzusammenbruchs wendet sie sich an den Psychiater Jim, der davon überzeugt ist, dass Yam sich alles nur einbildet. Als sich Yam in Jim verliebt und dadurch geheilt wird, ist er es jedoch plötzlich selbst, der seltsame Erscheinungen hat: Eine ehemalige Freundin, die einst aus Liebeskummer Selbstmord begangen hatte, scheint ihn zu verfolgen...
(Warnung vor dem Spoiler!)
„Inner Senses“, Hongkong 2002, Regie Law Chi-Leung – ein weiterer Asia-Grusler, der auf der Welle von „Ringu“ und „Ju-On“ mitschwimmen will? Zum Teil sicherlich, aber „Inner Senses“ ist weitaus mehr.
Er beginnt relativ konventionell mit einer jungen Frau, Yan (Kar Yan Lam), die sich in ihrer neuen Wohnung von den Geistern der verstorbenen Vormieter verfolgt sieht und einem rational denkenden Psychiater, Jim Law (Leslie Cheung), der Seminare über die psychischen Ursachen vermeintlich übersinnlicher Erscheinungen hält und sich schließlich Yans Fall annimmt. Dieser geht einher mit einigen gutgemachten Schockeffekten, die zwar nichts wirklich Neues bieten, ihre Wirkung aber keinesfalls verfehlen. Sind also tatsächlich Geister hinter der armen Yan her und muss sich auch Jim davon überzeugen lassen? Pustekuchen!
Es stellt sich heraus, dass das alles Hirngespinste Yans waren, die Jim, nachdem er sich durch Yans Tagebücher und damit ihre Vergangenheit gearbeitet hat sowie Unterredungen mit ihrem Vermieter und ihrem Nachbarn abhielt, erfolgreich therapieren konnte. Und damit nicht genug – die beiden verlieben sich ineinander und leben fortan zusammen. Doch plötzlich beginnt Jim zu Schlafwandeln und sieht sich seinerseits vom Geist seiner Jugendliebe verfolgt, die vor etlichen Jahren Selbstmord beging.
Diese Wendung im Geschehen kommt überraschend. Ebenso überraschend stellt sich heraus, dass die Rückblenden, die man während Jims Forschen in Yans Vergangenheit zu sehen bekam, keinesfalls die schwierige Jugend Yans skizzieren, sondern Jims Erinnerungen an seine Jugendliebe sind. Durch die Auseinandersetzung mit Yans Vergangenheit und dem Aufbau einer Liebesbeziehung zu ihr wird Jim also mit seinen eigenen unverarbeiteten Traumata konfrontiert, die ihn in den Wahnsinn zu treiben drohen. Ab hier lässt es der Film geschickter Weise offen, inwieweit es sich um physische Manifestationen oder um ebenfalls rein in der Psyche Jims – und der Yans, ausgelöst durch die enge emotionale Verbundenheit mit Jim? – stattfindende Trugbilder handelt. Jene Erscheinungen jedenfalls beginnen im bekannten „Ringu“-Stil verdammt unheimlich, werden im Finale aber so inflationär gebraucht, dass der Horror sich bald abnutzt – ein beabsichtigter Kniff, denn der latent stets vorhandene Liebesdrama-Anteil von „Inner Senses“ schiebt sich nun in den Vordergrund und lässt Jim, dem Selbstmord nahe, endlich seine Schuldgefühle gegenüber seiner Jugendliebe verarbeiten, dargestellt in Form von Kommunikation mit der Geistererscheinung und schließlich sogar der Versöhnung mit selbiger! Was jetzt total kitschig und daneben klingt, wurde aber so gefühlvoll und emotional intensiv umgesetzt, dabei den morbiden Charme nicht nur nicht außer Acht lassend, sondern geradezu bedienend, dass ich wahrlich Tränen in den Augen hatte – meine Güte, was für eine irrsinnige Gänsehaut wurde da erzeugt?!
Somit wurde letztendlich alles gut – für Jim und seine Beziehung zu Yan durch die Konfrontation mit seinen inneren Dämonen, seinen Leichen im Keller, und für den Zuschauer durch die direkte Konfrontation mit der Schauergestalt, die ihr am Ende allen Schrecken nahm und stattdessen Verständnis und Mitleid fühlen ließ.
Doch mit der äußerst gelungenen und ebenso geheimnisumwittert wie spannend dargereichten Geschichte, die übrigens diesmal durchaus angenehm durch ein paar wenige sympathisch-amüsante Einschübe in Bezug auf Yans grantigen Nachbarn aufgelockert wird und ich hier nur stark abstrahiert wiedergegeben habe, ist es nicht getan. Die schauspielerischen Leistungen, insbesondere Leslie Cheungs, sind hervorragend. Der Mann spult eine wahnsinnige Bandbreite menschlicher Gefühlsregungen ab und bleibt dabei stets glaubwürdig und nachvollziehbar. Kar Yan Lam spielt ihre Rolle ebenfalls sehr gut. Was ihrer Figur an Emotionsreichtum fehlt, macht sie mit ihrem attraktiven Äußeren wett und – und das ist das Wichtigste – schafft es spielend, männliche Beschützerinstinkte zu provozieren. Kein Nebendarsteller ist mir negativ aufgefallen. Die ausgeprägte psychologische Ebene des Films wird auf intelligente Weise direkt thematisiert, pseudowissenschaftlichen Humbug gibt es keinen. Kameraarbeit, akustische Untermalung, Tricktechniken – alles wurde nahezu makellos aufeinander abgestimmt. Mit seiner Melange aus konventionellem Asia-Geister-Grusel und einer ans Herz gehenden, dramatischen Romanze hat „Inner Senses“ anscheinend genau meinen Nerv getroffen. „Inner Senses“ weckt Verständnis für verzweifelte junge Frauen und traumatisierte Menschen im Allgemeinen, schenkt Hoffnung, erschreckt mit Geistern und nimmt ihnen gleichzeitig den Schrecken – um letztendlich ein Plädoyer für die Liebe auszusprechen. Ich glaube, dieser Film ist etwas ganz Besonderes.
Seine 8/10 Punkte hat er sich damit redlich verdient.
P.S.: Wie unendlich tragisch ist es da, dass sich kurze Zeit später Hauptdarsteller Leslie Cheung tatsächlich durch einen Sturz aus einem Hochhaus das Leben genommen hat… Möge er in Frieden ruhen.