bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Moderator: jogiwan

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Shining
Der ehemalige Lehrer Jack Torrance (Jack Nicholson) erklärt sich bereit, mit seiner Familie den Winter im luxuriösen, aber abgeschiedenen „Overlook“-Hotel zu verbringen, um Kälteschäden vorzubeugen. Was Jack nicht ahnt: In dem Gebäude spukt es, und das nicht zu knapp. Sowohl seine Frau Wendy (Shelley Duvall) als auch Sohn Danny (Danny Lloyd), der von Anfang an kein gutes Gefühl bei der Sache hatte, merken schon sehr bald, dass Jack so langsam, aber sicher um den Verstand gebracht wird...
Meisterregisseur Stanley Kubrick („A Clockwork Orange“) beendete das für den Horrorfilm äußerst innovative und experimentelle Jahrzehnt der 1970er-Jahre mit einem wahren Paukenschlag: Der Leinwandadaption des Stephen-King-Bestsellers „Shining“. Der Schriftsteller und trockene Alkoholiker Jack Torrance, unschwer als Alter Ego Kings zu erkennen, der selbst unter Alkoholproblemen litt, übernimmt den Job als instandhaltender Hausmeister des abgeschiedenen Overlook-Hotels in den US-amerikanischen Bergen, das in der Wintersaison geschlossen hat und in der Vergangenheit Schauplatz zahlreicher Gewalttaten war. Die Ruhe möchte er nutzen, um ohne Ablenkung schreiben zu können – doch verfällt er zunehmend dem Wahnsinn…

Oberflächlich betrachtet ist „Shining“ ein „Haunted House“-Film, doch das würde dem Film in keiner Weise gerecht. Ich interpretiere „Shining“ als das Psychogramm eines Alkoholikers, der in völliger Isolation konfrontiert mich sich selbst, seinen inneren Dämonen, den Verstand verliert und beginnt, das, was er eigentlich liebt, töten zu wollen. Ein Selbstzerstörungstrip, für den seine Familie als Ventil dient, während das Ambiente des Hotels mit seiner unrühmlichen Vergangenheit als Katalysator fungiert.

„Shining“ konfrontiert den Zuschauer mit seinen Ängsten vor den Verstand verlierenden, amoklaufenden Gewalttätern sowie Suchtkranke mit ihrer Angst vor dem Kontrollverlust, unter dem diejenigen, die sie lieben, zu leiden haben. Doch als ein typischer „King“ verfügt „Shining“ auch über übersinnliche Phänomene, so z.B. das titelgebende Shining, eine Art zweites Gesicht, das den kleinen Sohnemann Danny per Gedankenübertragung mit anderen dem Shining Mächtigen kommunizieren und Unheil vorausahnen lässt. Dieses Element aus Kings Vorlage, das trotz seines Beitrags zur Namensgebung eine untergeordnete Rolle spielt, wurde von Kubrick übernommen, der sein Drehbuch ansonsten aber stark von der Vorlage variiert. Kubrick hat eine sehr eigenständige Interpretation vorgenommen und umwerfend auf die Leinwand transportiert. Nicht zuletzt durch den verstärkten Einsatz rasanter Steadicam-Fahrten und die häufige Verwendung panoramaartiger bzw. in die Tiefe gehender Perspektiven lässt er seine Protagonisten im riesigen Hotel verloren wirken, als würde es sie nach und nach absorbieren. Vieles, was in der Romanvorlage insbesondere durch ausführlichste Schilderungen der Gedankenebene der Charaktere verdeutlich wurde, wird bei Kubrick – zumindest in den europäischen Fassungen – lediglich angedeutet, so z.B. der Alkoholismus Jacks. Das erfordert ein gewisses Mitdenken des Zuschauers, der damit aber nie überfordert wird.

Bei der Wahl der Schauspieler bewies man ein exzellentes Händchen: Jack Nicholsons („Einer flog über das Kuckucksnest“) Darstellung des schon zu Beginn leicht wahnsinnig wirkenden, jähzornigen und doch bemitleidenswerten Jack Torrance wurde zu seiner Paraderolle, mit der man ihn ewig in Verbindung bringen wird. Mit seinen Fähigkeiten zu exaltiertem Mienenspiel war er prädestiniert für die Rolle, ich könnte mir niemand anderen in ihr vorstellen. Shelley Duvall empfand ich seinerzeit zunächst etwas gewöhnungsbedürftig als Jacks Ehefrau Wendy, doch mittlerweile habe ich erkannt, dass sie nicht minder gut in ihre Rolle passt: Mit ihren strähnigen Haaren und ihren großen Augenlidern strahlt sie von Anfang an etwas aus, das bereits ohne erläuternde Worte auf einen nicht stressfreien Eheverlauf hindeutet. Sie wirkt, als hätte sie bereits einiges durchmachen müssen und gibt so Rückschlüsse auf das, was in der Vergangenheit zwischen ihr und Jack vorgefallen sein muss. Auch hier bleibt es jedoch bei Andeutungen, was im Roman in aller Breite ausgeführt wird. Scatman Crothers als der ebenfalls zum Shining fähige Dick Hallorann setzt Akzente mit seinem charakteristischen Antlitz und ausdrucksstarker Mimik, Joe Turkel überzeugt als Barkeeper Lloyd mit stoischem, regungslosem Blick. Und dann wäre da natürlich noch Danny Lloyd, der den kleinen Danny Torrance mimt und es bereits im zarten Kindesalter versteht, authentisches Entsetzen zum Ausdruck zu bringen. Eine großartige Besetzung, die Kubrick Überlieferungen zufolge in seinem Drang nach Perfektion bis an den Rand der Belastbarkeit trieb. Und das Ergebnis kann sich sehen lassen, wenn auch manch nervöse Zappelei Wendys im Finale auf mich ein wenig befremdlich wirkt.

Kubricks Perfektionismus manifestiert sich zudem in einer millisekundengenauen Regie, die nichts, aber auch gar nichts dem Zufall überlasst. Alles scheint perfekt auf das bedeutungsschwanger-gemächliche, permanent Unheil suggerierende Erzähltempo abgestimmt, das wiederum in positiver Hinsicht überaus nervenzerrend von einem mit klassischen Orchesterinstrumenten erzeugten Soundtrack begleitet wird und stets die richtigen Töne trifft, um die Vorgänge im Hotel und insbesondere in der Psyche der Bewohner zu untermalen. Über weite Strecken wird „Shining“ damit zu einem extremen Psycho-Thriller, der sich mit einigen Horrorcharakteristika paart. Addiert ergibt das die für Kubrick typische durchästhetisierte, artifiziell und doch organisch wirkende, besondere Atmosphäre, die das Ambiente auf eine noch bedrohlichere Weise erscheinen lässt.

Ohne Möglichkeit, dem Alkoholkonsum zu frönen, entwickelt Jack mit der Zeit typische Katersymptome und wird immer mehr zum psychischen Wrack. Zu den meines Erachtens stärksten Szenen des Films gehören Jacks Abstecher in den Ballsaal, wo er sich am Tresen sitzend mit dem (imaginären?) Barkeeper Lloyd unterhält und ihm der Wahnsinn aus jeder Gesichtsregung funkelt. Kubrick zelebriert das Spiel mit Jacks angeschlagener, schwacher, beeinflussbarer Psyche ohne Rücksicht auf Verluste, lässt sowohl ihn als auch seine Familie und eben den Zuschauer leiden und sich die Situation bis hin zur absoluten Ausweglosigkeit zuspitzen. Hoffnungsschimmer, positive Energie, die King ursprünglich in Form von Dick Hallorann hatte einfließen lassen, tötet Kubrick in wütender Raserei und besiegelt damit das Schicksal seines Films als konsequenten Schocker, der nur wenig Rücksicht auf sein Publikum nimmt.

Die Handlung wirft in Hinsicht auf die geisterhaften Erscheinungen viele Fragen auf, die nicht eindeutig geklärt werden, sich aber im Finale, wenn Wendy ihnen ebenfalls begegnet, zumindest damit beantworten lassen, dass es sich tatsächlich um ein „Spukhaus“ handelt. Letztendlich ist das der Schulterschluss mit King, dessen Roman bei allem Realitätsbezug eben doch der Phantastik entspringt. Wem das wie mir zu profan ist, wird vermutlich eine Heidenfreude dabei empfinden, sie als Symbole für psychische Abgründe zu deuten und zu interpretieren. Apropos Symbole, apropos Finale: Jacks Amoklauf ist ein surrealer Terrortrip par excellence, der letztlich in einem Labyrinth endet, das stellvertretend für das Innere des ausladenden Gebäudekomplexes und letztlich für Jacks Psyche zu stehen scheint.

Zusammen mit John Carpenters „Das Ding aus einer anderen Welt“ ist „Shining“ sicherlich der perfekte Winterhorrorfilm, ein Saisonhöhepunkt, den man sich immer und immer wieder gern ansieht – aus heller Freude an Kubricks Perfektionismus, an seinem Ideenreichtum, an Jack Nicholson und am blanken Entsetzen. Und in meinem Falle nicht zuletzt aufgrund des für mich ultimativen Gänsehautmoments, wenn Jack kurz vor Eintreten des Abspanns auf einem Foto an der Hotelwand erscheint – als Ballteilnehmer in einem längst vergangenen Jahrzehnt. Er ist eins geworden mit dem Hotel…

Wäre Stephen King nicht so verdammt eitel (und würde er wirklich etwas von Horrorfilmen verstehen), hätte er Kubricks Interpretation nicht abgelehnt, sondern ihm bescheinigt, sich von der Vorlage zu einem großartigen Geniestreich des Horrorfilms inspiriert haben zu lassen. Stattdessen hat King in den 1990ern eine eigene Verfilmung, eine TV-Produktion, bei seinem Haus-und-Hof-Regisseur Mick Garris in Auftrag gegeben, die sich zwar wesentlich näher am Roman orientiert und relativ solide ausfiel, damit aber auch den Beweis antritt, dass sich Literatur – insbesondere King’sche – nicht einfach 1:1 in einen Spielfilm übertragen lässt, ohne viel von ihrer Wirkung einzubüßen.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Ju-on: The Curse
Um herauszufinden, weswegen der Schüler Toshio (Ryôta Koyama) seit einiger Zeit nicht mehr in der Schule war, macht sein Lehrer Kobayashi (Yûrei Yanagi) einen Hausbesuch bei ihm. In dem verwahrlosten Gebäude angekommen und auf die Eltern des Jungen wartend, macht Kobayashi eine schreckliche Entdeckung: Einst geschah hier ein grausamer Doppelmord und nun scheint ein Fluch auf dem Haus zu liegen. Auch eine Familie, die einige Zeit später dort wohnt, wird von dem Fluch heimgesucht, genau wie jeder andere, der mit dem Haus auf die eine oder andere Weise zu tun hat.
„Ju-on: The Curse“, eine japanische TV-Horror-Produktion von Takashi Shimizu aus dem Jahre 2000, ist der Auftakt zur „Ju-on“- bzw. „The Grudge“-Filmreihe um ein verfluchtes, von tödlichen Geistererscheinungen heimgesuchtes Haus, die später ostasiatische Kino-Remakes sowie eine populäre US-amerikanische Neuverfilmung und weitere Fortsetzungen erfuhr.

Gewöhnungsbedürftig ist zunächst einmal der TV-Look des Films, der atmosphärischen Grusel nur schwer vorstellbar macht. Doch recht schnell wird klar, dass man „Ju-on“ damit Unrecht tut, denn die mit eher einfachen Mitteln – einer unheimlichen Geräuschkulisse und Make-Up-Effekten – umgesetzten Schockmomente haben es in sich. Die meisterlich erzeugte Spannung, die diese Szenen ankündigt, trägt entschieden zum Gelingen bei und der TV-Look, der nun einmal derartiges kaum vermuten lässt, lässt sie umso verstörender erscheinen. Ja, die Japaner wussten, was sie taten, als sie mit dieser Art von Geisterfilmen auf den Markt drängten und ein neues Kapitel des Suspense-Horrors einläuteten.

Neben den japanischen Darstellern und ihren aus westeuropäischer Sicht exotisch anmutenden Namen macht es aber der sperrige Aufbau des in einzelne mal mehr, mal weniger Bezug aufeinander nehmende, zu unterschiedlichen Zeitpunkten spielende Episoden unterteilten Films für hiesige Sehgewohnheit nicht unbedingt leicht, die Zusammenhänge zu erkennen und der Handlung zu folgen. Mit Eintreten des Abspanns bleiben viele Fragen offen, zum Teil durchaus beabsichtigt, wie die Fortsetzung zeigen wird, aber im Gedächtnis spuken die unheimlichen Erscheinungen munter vor sich hin, die nachhaltig beeindrucken – meines Erachtens allen voran die Szene, in der einem Mädchen der komplette Unterkiefer fehlt. Da wird es fast nebensächlich, warum der nun fehlt, ihre Wirkung verfehlen solche Momente dadurch nicht. Wer braucht da schon eindeutige Sympathieträger, Hauptrollen oder eine stringent erzählte Geschichte?

Wer Lust auf exotischen Suspense-Horror verspürt, der so richtig schön gegen den Hollywood-Einheitsbrei gebürstet ist und eine kleine Herausforderung für das gewohnte Sehverhalten darstellt, ist hier goldrichtig.
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Ju-on: The Curse 2
"Ju-on: The Curse 2" schließt direkt an seinen Vorgänger an und zeigt, dass auch die überlebenden Beteiligten des ersten Films, wie etwa der Immobilienmakler Suzuki (Makoto Ashikawa), nicht von dem Fluch verschont bleiben. Auch die Polizisten Kamio (Taro Suwa) und Lizuka (Reita Serizawa), die die mysteriösen Todesfälle aufklären wollen, begeben sich in große Gefahr.
Die direkte Fortsetzung „Ju-on: The Curse 2“ stammt vom selben Regisseur und aus dem gleichen Produktionsjahr (2000) wie „Ju-on: The Curse“. Sie bedient sich ebenfalls eines semiprofessionellen TV-Looks.

Hat man den verwirrenden, aber faszinierenden Vorgänger gesehen, fällt die Fortsetzung nicht mehr ganz so gewöhnungsbedürftig aus. Man weiß, was einen erwartet und sollte man sich an Teil 1 nicht mehr erinnern können, wird einem durch die Wiederholung der letzten beiden Episoden des Erstlings wieder auf die Sprünge geholfen – zu meinem Entsetzen über eine halbe Stunde lang (wenn auch mit zusätzlichen Szenen innerhalb der Episode „Kyoko“). Damit reduziert sich die eigentliche Spielzeit des mit lediglich rund 75 Minuten ohnehin schon kurzen Films beträchtlich.

Doch diese wird genutzt, um – erneut in miteinander verwobenen bzw. aufeinander aufbauenden Episoden - zumindest ein wenig Licht ins verwirrende Dunkel des Vorgängers zu bringen, man erfährt etwas mehr von der Vorgeschichte. Letztlich punktet vor allem das Finale, das diesmal mit einem Schulhof voll beängstigender Geistergestalten nicht nur eine fast schon apokalyptische Vision bietet, sondern zudem mit einem zwar deutlich von „Ringu“ inspirierten, aber dennoch wahnsinnig gruseligen und packenden Verfolgungsszenario auftrumpft. Zum wiederholten Male wird mit einfachen Mitteln – Geräuschkulisse, etwas Make-Up und durch leichte Beschleunigung unnatürlich verfremdete Bewegungen – Horror in Reinkultur geschaffen, der die Schwächen des Films die Handlung und Charaktere betreffend relativiert, wenn nicht gar mystifiziert.

Ich bin angefixt und habe die Asia-Kino-Neuverfilmungen des Zweiteilers bereits geordert.
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Lammbock – Alles in Handarbeit
Stefan und Kai betreiben in der Pizzeria Lammbock einen Lieferservice der ganz besonderen Art: Sie verschicken Cannabis-Produkte aus eigener Ernte frei Haus. Als ihre kleine Plantage von Blattläusen befallen wird, wenden sie sich ausgerechnet an einen verdeckten Drogenermittler um Rat. Und schon stecken sie mittendrin im Chaos, aus dem es keinen Ausweg zu geben scheint.
Christian Züberts Regiedebüt „Lammbock“ aus dem Jahre 2001 ist eine dieser unverkrampften, lockeren, moderneren deutschen Komödien, die den Kultstatus, um den sie buhlen, zwar nur selten wirklich und nachhaltig erreichen, aber durchaus viel Spaß machen und angenehme Unterhaltung garantieren.

„Lammbock“ handelt von zwei jungen Pizzeriabetreibern und Freunden (Moritz Bleibtreu als Kai und Julian Weigend als Achim), deren Hauptstandbein eigentlich das Dealen mit Haschisch ist. Zudem sind beide selbst dem Konsum bewusstseinserweiternder Substanzen alles andere als abgeneigt. Doch bald heftet sich ein Zivilbulle an ihre Fersen…

„Lammbock“ besteht naturgemäß aus viel Kifferhumor, also skurrilen Situationen, die sich aus Rauschzuständen ergeben und vernebelten, sinnfreien Dialogen, doch nicht ausschließlich. Zur Situations- und Sprachkomik gesellen sich beinharte Fremdschämmomente, teilweise leider auf Pubertätsniveau wie beim Staubsauger im Genitalbereich, sowie Beziehungskisten und daraus resultierende verhältnismäßig ernste Momente, denen eine gewisse Tragik sowie ein Art sehnsüchtige Melancholie inne wohnt. Das irritiert etwas, bringt es den Film doch um ein eindeutiges Konzept und fällt es nicht immer leicht, als Zuschauer entsprechend schnell geistig umzuschalten. Ferner wird die Polizei durch den Kakao gezogen, mit Stereotypen gespielt und mit einer (angedeuteten) Inzest-Szene der Versuch eines Tabubruchs unternommen.

Je deutlicher wird, in welch verfahrener Situation sich Kai und Achim am Ende befinden, desto deutlicher spielt „Lammbock“ bei allen Albernheiten seine kritische Note aus, die von verwandtschaftlich und „Vitamin-B“ bedingter Bevorzugung durch die Justiz erzählt. Letztlich zieht Jura-Student Achim daraus seine Konsequenzen und vergeigt absichtlich seine Abschlussprüfung; vermutlich, da er folgerichtig den Glauben an die Justiz verloren hat. Damit schafft „Lammbock“ ein versöhnliches Ende, das ohne Moralismen gegen die Kifferszene auskommt, ihr Treiben aber dennoch nicht unbedingt verharmlost. Ein angenehm gelungener Spagat.

Viel von seinem Reiz bezieht „Lammbock“ durch sein Schauspielerensemble. Moritz Bleibtreu ist der dominanteste Charakter, der voll in seiner Rolle als bodenständiger und eloquenter, aber vorlauter, leicht zynischer, doch stets sympathischer und humorvoller Kiffer Kai aufgeht, der ebenso wenig wie Kumpel Achim gängige Klischees von zotteligen, verwahrlosten, lethargischen Haschisch-Konsumenten erfüllt. Jener ist gespielt von Julian Weigend so etwas wie ein Gegenpol – ein Student aus gutem Hause, zurückhaltender und verträumter als Kai. Er gibt sich vernunftbetonter, muss sich letztlich aber eingestehen, ebenso die Kontrolle verloren zu haben wie Kai. In Nebenrollen erfreuen die von mir immer gern gesehen Alexandra Neldel, die mit ihrer natürlichen Ausstrahlung punktende Marie Zielcke sowie einige karikierend überzeichnete Charaktere den Zuschauer, die allesamt einen deutlichen Kontrast zur zwar als einflussreich, aber spröde und langweilig umrissenen Welt der „Alten“, verkörpert u.a. durch Elmar Wepper, darstellen.

Wie ein roter Faden zieht sich die Huldigung des ex-Fußballprofis und -Nationalspielers Mehmet Scholl durch die Handlung, der zwar nicht mitspielt, aber Bestandteil vieler Dialoge ist, insbesondere einer denkwürdigen Abhandlung über homoerotischen Oralverkehr mit eben jenem ehemaligen Bayern-Kicker. Inwieweit Scholl den Film gesponsert hat, entzieht sich aber meiner Kenntnis. Ein hörenswerter, rockiger Soundtrack, der ebenfalls Kifferklischees entgegensteht, rundet das Filmvergnügen ab.

Kein zweiter „Bang Boom Bang“, aber sympathisch und unterhaltsam.
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Haus der Verdammnis
Psychologieprofessorin und Parapsychologin Dr. Joyce Reardon (Nancy Travis) hat eine Gruppe ausgewählter Medien um sich versammelt um mit diesen in ein als Geisterhaus berüchtigtes Anwesen in Seattle, dem "Rose Red", zu erforschen. Mit Hilfe der Gruppe will Dr. Joyce Reardon endlich den offiziellen Beweis für die Existenz von Geistern erbringen. Doch viel zu spät erkennt die Gruppe, welche unheimlichen Kräfte man erweckt hat...
Für den fürs US-Fernsehen produzierten Haunted-House-Horror-Mehrteiler „Haus der Verdammnis“ verfasste niemand Geringerer als Horrorautor Stephen King das Drehbuch und beteiligte sich an der Produktion. Die Regie übernahm Craig R. Baxley, veröffentlicht wurde die Reihe 2002.

Ein Film wie „Es“ bewies seinerzeit, dass sich eine TV-Produktion nach King’scher Romanvorlage nicht zwangsläufig hinter Kinofilmen zu verstecken braucht. Jedoch fungierte dort King weder als Regisseur, noch als Drehbuchautor. Kings eigene Ausflüge in den Horrorfilmbereich waren meist eher geringerer Qualität und ähnlich verhält es sich mit dem vierstündigen Epos „Haus der Verdammnis“. Man bekommt es mit einer Mixtur typischer King-Ingredienzien zu tun; am auffälligsten und dominantesten ist dabei die mehrköpfige Gruppe von Menschen mit übersinnlichen Fähigkeiten. Zusammengetrommelt wurde diese von Dr. Joyce Reardon, die das Anwesen „Rose Red“, in dem es kräftig gespukt haben soll, zusammen mit eben jener Gruppe erneut zum Spuken herausfordern und erforschen will. Die Handlung beginnt dabei relativ vielversprechend, die einzelnen Charaktere werden mal mehr, mal weniger intensiv vorgestellt und nach Betreten des „Rose Red“-Anwesens macht die anschauliche Kulisse schnell deutlich, dass das mit Sicherheit kein gemütliches Kaffeekränzchen wird.

Doch viel zu schnell beginnt „Das Haus der Verdammnis“ eher belanglos vor sich hinzuplätschern. Die teils handgemachten, teils computeranimierten Gruseleffekte sind mal mehr, meist aber weniger gruselig und nutzen sich aufgrund ihrer Ähnlichkeit irgendwann ab – bei dieser Filmlänge wahrlich kein Wunder. Von King könnte man nun erwarten, dass zwecks punktgenauer Charakterisierung der Protagonisten die Schauwerte in den Hintergrund rücken und man beginnt, sich für die Figuren zu begeistern, sie genau kennenzulernen und mit ihnen mitzuleiden, mitzulachen, mitzufiebern. Doch weit gefehlt – was King in seinen Romanen normalerweise vorzüglich gelingt, muss hier doch als ziemlich missglückt bezeichnet werden. Die Gruppe übersinnlich Begabter agiert nicht nur angesichts ihrer Erlebnisse verwunderlich emotionsarm, nein, größtenteils sind sie auch noch uninteressant bis richtiggehend unsympathisch – letzteres nicht immer beabsichtigt. Definitiv beabsichtigt ist dies aber im Falle Emery Watermans, mit maximalem Overacting maximal nervig gemimt von Matt Ross. Positive Akzente zu setzen vermag eigentlich nur das Geschwisterpärchen Rachel, genannt „Sister“, und Annie Wheaton, gespielt von Melanie Lynskey und Kimberly J. Brown. Dem ganzen Rest der ausdruckslosen Mischpoke ist man beinahe geneigt, einen schnellen Abgang herbei zu wünschen, in der Hoffnung, damit die Handlung zu straffen.

Jene suggeriert nämlich irgendeine besondere Verbindung der telekinetisch begabten Autistin Annie zum Gruselhaus und gibt sich allgemein bedeutungsschwanger und betont mystisch. Doch obwohl nun wirklich mehr als genügend Zeit dafür vorhanden wäre, werden kaum nachvollziehbare Erklärungen für die geheimnisumwitterten Vorgänge geliefert, kein großes Geheimnis gelüftet, kein Aha-Effekt provoziert. Das wäre prinzipiell gar nicht so schlimm, würde die Handlung nicht immer wieder so tun, als würde die Geduld des Zuschauers mit einem entsprechenden Ende belohnt werden. So aber ist man gezwungen, einfach hinzunehmen, was passiert und sich selbst grundlegende charakterliche Änderungen einzelner Rollen zu versuchen, selbst wohlwollend zu deuten, möchte man nicht vorzeitig auch den letzten Spaß an dieser aus einer zwischen leidlich und gerade noch solide unterhaltsam einzuordnenden Aneinanderreihung gängiger Genrecharakteristika bestehenden, innovationslosen Melange verlieren.

Unterm Strich würde ich „Haus der Verdammnis“ als enttäuschend, aber noch durchschnittlich einordnen. Alles kann man nicht falsch gemacht haben, sonst hätte ich bei vier Stunden Film schon zu einem früheren Zeitpunkt das Interesse verloren. Richtig funktionieren tut das aber alles nicht und es bereitet mir alles andere als Vergnügen, zu sehen, wie King seine eigenen, weitaus besser, wenn nicht sogar teilweise grandios und unerreicht eingesetzten Ideen halbgar aufwärmt und für Produktionen wie diese verwurstet. Seinen unvermeidlichen Cameo-Auftritt hat Stephen King übrigens als neugieriger Pizzabote.
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Eiskalt
Der ehemalige Terrorist Giorgio Pellegrini (Alessio Boni) kommt als Kronzeuge auf freien Fuß und bemüht sich um die juristische Rehabilitation, durch die nach dem Gesetz seine Straftaten vollständig verbüßt sein werden. Doch ehe er sich's versieht, holt ihn in der Gestalt des Nachtclubbesitzers Vesuviano (Riccardo Zinna) und des korrupten Polizisten Anedda (Michele Placido) seine Vergangenheit wieder ein. Durch den Kontakt mit ihnen werden Straftaten von Erpressung bis Mord wieder sein täglich Brot; um ein Vergehen zu vertuschen, muss er wieder neue begehen und schließlich wird auch seine Ehefrau Roberta (Alina Nadelea) zur Gefahr für ihn.
Den Italiener Michele Soavi habe ich in seiner Eigenschaft als Regisseur bisher mit Horrorfilmen wie dem von mir geschätzten „Aquarius“ alias „Stage Fright“ in Verbindung gebracht oder dem leider immer noch auf eine Sichtung wartenden „The Church“. Im Jahre 2006 drehte er mit „Eiskalt“ einen Thriller nach Romanvorlage von Massimo Carlotto. Man wird Zeuge, wie ein je nach Sichtweise sich entweder im politischen Freiheitskampf oder eben Terrorismus befindender Mann, Giorgio (Alessio Boni), zum Verräter wird und anschließend zum typischen, nur auf seinen eigenen Vorteil bedachten Gangster konvertiert, der die Karriereleiter empor klettert – aber auch nicht immer wirklich die freie Wahl hat, denn natürlich begibt er sich in Abhängigkeiten und ist erpressbar. Wirklich stören tut ihn das aber alles nicht, denn ohne erkennbare Gefühlsregung geht er über Leichen.

Was „Eiskalt“ ganz sicher nicht will, ist um Verständnis für rückfällig werdende Verbrecher buhlen. Stattdessen zeichnet Soavi das Bild einer verkommenen, korrupten Gesellschaft ohne Werte und Moral, in der das Gesetz des Stärkeren bzw. Skrupelloseren gilt. Im Prinzip beobachtet man den gesamten Film lang, wie Giorgio mit einem Kapitalverbrechen nach dem anderen durchkommt. Leider gelingt es über weite Strecken nicht, daraus ein für den Zuschauer schockierendes, ihm nahe gehendes Martyrium zu machen oder ihn mit pessimistischem Nihilismus zu konfrontieren. Durch das Fehlen jeglicher Symapthiefiguren ist eine Identifikation mit einer der Rollen unmöglich und um Giorgio Faszination und Ausdruckskraft zu verleihen zu können, wird er zu eindimensional und zurückhaltend charakterisiert. Letztlich verfolgt man das Geschehen recht teilnahmslos und erfreut sich stattdessen an einigen schönen Kamerafahrten oder der tristen, „kalten“ Optik des Films, die durchaus für so etwas wie die passende Atmosphäre sorgt. Ebenfalls ein Hingucker ist Michele Placido als korrupter Bulle.

Erst im letzten Drittel dreht „Eiskalt“ so richtig auf. Giorgio heiratet eine süße, kleine Frau und gerät – natürlich – in Konflikt mit ihr. Hier bekommt man endlich einen Charakter geboten, mit dem man mitfiebern kann – und wie! Was Soavi da am Schluss mit dem Zuschauer macht, grenzt an Folter. Diese Ohnmacht, diese Verzweiflung, diese Tragik! Das ist wirklich großes Kino, inhaltlich konsequent, künstlerisch sehr beachtlich in Szene gesetzt. „Arrivederci amore, ciao...“

Fazit: Zwei Drittel des Films ließen mich „eiskalt“, das letzte Drittel hingegen ist hochemotional und rettet Soavis Film über den Durchschnitt.
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Profondo Rosso
Der Engländer Mark Daly wird in seiner italienischen Heimat eines Nachts Zeuge eines Mordes an einer telepathisch begabten Frau, die zuvor auf einem Kongreß die Anwesenheit eines Mörders gespürt hat. Zusammen mit der Reporterin Gianna macht er sich auf die Suche nach dem Mörder und kommt über ein vom Mörder gespieltes Kinderlied einer alten Urban Legend auf die Spur, die auf Tatsachen zu beruhen scheint. Jede Entdeckung führt jedoch zu neuen Morden, vor allem an Marks Helfern, wobei es seltsam ist, wie gut der Mörder Marks Schritte nachvollziehen kann. Ein von Kinderhand gemaltes Bild und eine alte Villa führen in schließlich des Rätsels Lösung nahe, doch der Mörder ist auch hinter ihm her...
Nach Abschluss seiner sog. Tier-Trilogie drehte der italienische Regisseur und Drehbuchautor Dario Argento 1975 mit „Profondo Rosso“ erstmals wieder einen Giallo – und ließ eine veränderte, gereifte, auf einem höheren Level agierende Handschrift erkennen, die unverkennbar immer noch die desjenigen Mannes ist, der mit „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“ sein Regiedebüt ablieferte, aber um zusätzliche Charakteristika erweitert wurde. Zusammen mit den beiden Gialli „Tenebrae“ und „Opera“, die noch folgen sollten, meines Erachtens der stärkste Film des italienischen Ausnahmeregisseurs.

Argento-typisch wird ein Ausländer, in diesem Falle der britische Musiker Marcus Daly (David Hemmings, „Blow Up“), Zeuge eines Mordes, infolge dessen er sich, ähnlich wie in Argentos Regiedebüt, an ein wichtiges Detail zu erinnern versucht, das bei der Identifikation des Täters hilfreich sein könnte. Dadurch, dass das Mordopfer eine übersinnlich begabte Frau war, die zuvor während eines Kongresses die Anwesenheit eines Mörders gespürt hatte und dafür sterben musste, befindet sich „Profondo Rosso“ mit einem Bein im Bereich der Phantastik. Argento inszenierte einen atmosphärisch sehr düsteren Mystery-Giallo, der sich vieler Versatzstücke aus dem Gruselbereich bedient und damit letztlich stärker am Horror- als am Kriminalfilm ist.

Giallo-typische Elemente weist „Profondo Rosso“ dennoch zuhauf auf, während die Gruselkante ihm ganz besonders gut zu Gesicht steht und meinen Sehgewohnheiten als Freund des Horrorgenres entgegenkommt. Aufgrund dieser Ausrichtung kann Argento sein Talent für das Erzeugen einer düsteren Stimmung, sei es durch entsprechend ausstaffierte oder in Szene gesetzte Drehorte und Kulissen, sein Gespür für das Erzeugen einer leicht (oder auch gern mal weniger leicht…) surreal anmutenden Parallelwelt, in der eigene Gesetze herrschen, oder die Freude an der verstörenden Ästhetisierung grafisch expliziter, brutaler Morde, perfekt einbringen und mit seiner von Altmeister und Giallo-Pionier Mario Bava inspirierten Kameraarbeit kombinieren, die unvergessliche Bilder einfängt und gern im Künstlerisch-künstlichen schwelgt. Seine berüchtigten ausufernden Kamerafahrten sollte er hingegen erst mit den folgenden beiden Gialli auf die Spitze treiben.

Hemmings, hier ein wenig ein Paul-McCartney-Lookalike, tritt in einer bisweilen dramaturgisch unkonventionellen Handlung, die keinen Hehl daraus macht, zwischenzeitlich immer einmal wieder komplett in den Hintergrund zu treten und die Bühne zu räumen für die Entfaltung selbstzweckhafter visueller/akustischer Schauwerte, die insbesondere einen Argento-Giallo zu einem Hochgenuss für die Sinne machen, längere Zeit auf der Stelle, bis er zusammen mit der vorwitzigen, aber hochcharmanten Journalistin Gianna (Daria Nicolodi, „Tenebrae“) auf eine alte Legende in Zusammenhang mit einem Kinderlied stößt… Und während sich die Mordopfer häufen, macht das ungleiche Duo Bekanntschaft mit undurchsichtigen, unheimlichen Gestalten wie der kleinen Olga (Nicoletta Elmi, „Spuren auf dem Mond“) und erforscht eine wenig einladende Villa, die ein dunkles Geheimnis zu beherbergen scheint.

Bei all dem wirkt „Profondo Rosso“, als hätte man den Film bewusst nicht um eine heldenhafte Figur in der Hauptrolle aufgebaut, die Dreh- und Angelpunkt des Films ist und den Zuschauer sozusagen an die Hand nimmt bzw. sich erst im Finale als negativer Charakter herausstellt und damit den Zuschauer überrascht. Dafür erscheint Marcus Daly zu häufig zu verunsichert und verloren; er wurde von vornherein als Durchschnittstyp angelegt und baut kaum etwas auf, was im Finale eingerissen werden könnte. „Star“ des Films ist erneut die von Argento geschaffene artifizielle, dennoch organisch und vor allem bedrohlich wirkende Welt, der sich alles andere – auch die Darsteller – unterzuordnen hat. Viele symbolhafte Bilder und Details sowie einige krude Einfälle, stets entweder vom gruseligen Kinderlied oder vom fabelhaften Progressiv-Soundtrack der Gruppe „Goblin“ begleitet, unterstreichen diesen Eindruck und erscheinen oftmals erinnerungswürdiger als Hemmings‘ eingeschränktes Mienenspiel.

So hochwertig „Profondo Rosso“ in vielerlei Hinsicht ist, hat sich leider doch auch etwas eingeschlichen, das zur Abwertung führt – in Anlehnung an den äußerst fragwürdigen Humor aus Argentos Debüt nenne ich es das „Servus-Syndrom“. So durchzieht lobenswerterweise ein Subtext zum Thema Geschlechter bzw. Geschlechterkampf den Film, der sich im Finale offensiv entlädt – nur leider wurde dieser nicht subtil und zur Stimmung des Films passend eingewoben, sondern findet vor allem statt in Form fast schon dümmlicher Dialoge und Situationskomik zwischen Marcus und Gianna. Beide hegen ein verhaltenspsychologisch alles andere als uninteressantes Verhältnis zueinander, das Anlass gibt, um gängige Geschlechterklischees aufs Korn zu nehmen. Bedauerlicherweise wählte Argento dafür weitestgehend unlustigen Schenkelklopferhumor, der nicht nur nicht zur mystischen, düsteren Ausrichtung des Films passen will, sondern zu allem Überfluss auch noch als eine Art „Running Gag“ zu etablieren versucht wurde, der aber nach hinten losgeht. Erst mit „Tenebrae“ hatte Argento sein „Servus-Syndrom“ so weit domestiziert, dass es erträglich wurde und selbst ich Griesgram schmunzeln musste (aber John Saxon hatte nun mal auch einfach einen tollen Hut).

Ansonsten aber ein wirklich sehr starker Film, mit dem Argento spätestens zu seinem ganz eigenen, so typischen Stil fand und dem man den bei näherer Betrachtung hier und da doch etwas wacklig konstruiert wirkenden Handlungsverlauf als italophiler Zuschauer sofort verzeiht.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von jogiwan »

welche Fassung hast du denn geschaut?
it´s fun to stay at the YMCA!!!



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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

jogiwan hat geschrieben:welche Fassung hast du denn geschaut?
Den deutschsprachigen Director's Cut.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

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Möderisch
Eine attraktive Blondine heiratet einen Hotelangestellten, den sie gerade kennen gelernt hat und dem sie dafür 2000 Dollar anbietet. Miriam Webster, der Name, den sie angibt, ist falsch. Den Friedensrichter, der sie mitten in der Nacht trauen soll, ersticht sie während der Zeremonie und fährt davon. Wir erfahren, dass sie eigentlich Emily heißt und als Krankenschwester für eine Helga Swenson arbeitet. Miriam Webster ist der Name der Halbschwester von Emilys Gatten Warren. Erst nach einem weiteren Mord stellt sich das eigentliche Motiv heraus.
William Castle („Das Haus auf dem Geisterhügel“), berüchtigter US-Low-Budget-Filmer, ließ sich für seinen Film „Mörderisch“ aus dem Jahre 1961 offensichtlich stark von Hitchcocks „Psycho“ inspirieren und drehte einen im Prinzip ganz ähnlichen Schwarzweiß-Film.

Dennoch gibt es einige entscheidende Unterschiede, die „Mörderisch“ nicht zu einem reinen Rip-Off machen: Das Motiv für die Morde ist materielles Interesse statt in erster Linie psychopathologischer Natur und „Mörderisch“ greift den transsexuellen Aspekt Psychos auf, um ihn für damalige Verhältnisse sicherlich schockierend auf die Spitze zu treiben. Subtilität ist dabei Seines nicht; er geht wesentlich offensiver und direkter vor als Hitchcock, was dem Unterhaltungswert des Films aber natürlich zugute kommt. Einen zweiten Anthony Perkins mit seiner tragischen Zerbrechlichkeit sollte man zwar nicht erwarten, doch Joan Marshall in der Hauptrolle macht ihre Sache ganz hervorragend und ist, gleich in welcher Montur, ein echter Hingucker. Die Skrupellosigkeit und Brutalität, die das Drehbuch in ihre Rolle legte und von der Regie in Form spannend und blutig inszenierter Morde dankbar aufgegriffen wurden, stehen im Gegensatz zu ihrem äußeren Erscheinungsbild und wirkend daher umso erschreckender.

William Castle neigte gern zu Übertreibungen, so dass es kaum verwunderlich ist, dass die Reaktionen der Nebendarsteller meist zwischen Overacting und glaubhafter Hysterie pendeln, aber auch hier zählt für jemanden, der sich bewusst auf einen William-Castle-Film einlässt, selbstverständlich der Unterhaltungsfaktor, der durchgehend hoch ist. Trotz seiner Vorhersehbarkeit – insbesondere mit „Psycho“ sowie x Jahren Horror- und Thriller-Erfahrung im Hinterstübchen – ist „Mörderisch“ ein nicht nur auf Kurzweiligkeit bedachter, total liebenswerter Psycho-Thriller, der zu jeder Sekunde Castles Liebe zu dieser Art Kino erkennen lässt und nicht nur wieder vom Regisseur persönlich angesagt wird, sondern kurz vorm großen Finale den Zuschauer eindrücklich warnt und einen Countdown herunterzählt – genial, muss man mal gesehen haben!

„Mörderisch“ ist gnadenlos unterbewertet und zumindest hierzulande viel zu unbekannt. Ich brauche dringend mehr Castle-Stoff!
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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