Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen
Verfasst: Mi 3. Mär 2021, 16:40
Tatort: Saarbrücken an einem Montag
„Fußball interessiert mich überhaupt nicht.“
Der zweite Beitrag zur öffentlich-rechtlichen Krimireihe „Tatort“ datiert (ausgerechnet) auf den 13.12.1970. Die Produktion des Saarländischen Rundfunks war der erste von nur zwei Saarbrücker Fällen um Kriminalhauptkommissar Peter Liersdahl (Dieter Eppler, „Die Nackte und der Satan“), aber nicht der Einzige, der in der Anfangszeit der Reihe ursprünglich gar nicht als „Tatort“-Episode, sondern als eigenständiger Fernsehfilm geplant gewesen war. Das Drehbuch Johannes Niems inszenierte Regisseur Karl-Heinz Bieber („Hotelboy Ed Martin“), dessen einziger „Tatort“ diese „Saarbrücken an einem Montag“ betitelte Episode bleiben sollte.
„Ich bin nämlich Eidetiker.“ – „Eidetiker?“ – „Eidetiker.“
In Saarbrücken erschleicht sich ein falscher Kripokommissar die Rente betagterer Damen und verschwindet die junge, in einem Stahlwerk angestellte Datenverarbeiterin Eva Konalsky (Eva Christian, „Cream – Schwabing-Report“) spurlos. Zwei Fälle, die nur scheinbar nichts miteinander zu tun haben. Die Kriminalhauptkommissare Lierdahl und Schäfermann (Manfred Heidmann, „Quax, der Bruchpilot“), der just nach Saarbrücken versetzt wurde, müssen eng zusammenarbeiten, um die Fälle zu lösen, und auch die französische Polizei hinter der nahegelegenen Grenze konsultieren. Dennoch können Sie einen Mord nicht verhindern, der mit ehemaligen Fremdenlegionären zusammenhängt…
„Schön ham’ses hier!“
Laut der ARD basiert dieser „Tatort“ auf einem realen Kriminalfall, der sich in Saarbrücken ereignet haben soll. Die Eröffnungssequenz gehört dem falschen Kripokommissar, dem es jedoch nicht gelingt, sein aktuelles Opfer zu übertölpeln – dafür schlägt er es brutal nieder. Bei Dr. Günther Hartmann (Horst Naumann, „Der Arzt von St. Pauli“), wie Eva im Stahlwerk tätig, hängt derweil der Haussegen schief: Seine Frau Irene (Eva Maria Meineke, „Die Braut des Satans“) wirft ihm Überstunden und einen verschwundenen Ehering vor, vermutet, er gehe fremd. Sie schnüffelt in seinen Sachen und stellt einer jungen Frau nach, die sie für seine Geliebte hält und sich als die kurz darauf verschollene Eva Konalsky herausstellen wird. Dabei wird Irene Zeugin einer Geldübergabe. Erst hiernach führt man die beiden Hauptkommissare in die Handlung ein, die als recht gegensätzlich charakterisiert werden: Lierdahl verfügt über ein ausgeprägtes Gedächtnis und eidetische Fähigkeiten, nimmt es mit der Bürokratie dafür nicht so genau, während sein neuer Kollege Schäfermann lieber streng nach Vorschrift vorgeht und sich zahlreiche Notizen anfertigt.
Das Publikum wird mit einer weiteren undurchsichtigen Figur konfrontiert: Gerd Dietz (Erik Schumann, „Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn“), einem alten Freund Dr. Hartmanns. Er entpuppt sich als derjenige, mit dem Eva eine Geldübergabe durchführte – die Zuschauerinnen und Zuschauer erhalten auf diese Weise einen Wissensvorsprung gegenüber der Kripo, wenngleich Evas Aufenthaltsort und ein etwaiges Motiv, sie verschwinden zu lassen, im Unklaren bleiben. Die Kommissare ermitteln zunächst im Stahlwerk und anschließend in Konalskys Wohnung, wobei ihnen die spießbürgerliche Vermieterin Frau Helgesheim, großartig gespielt von Ellen Frank („Die Klosterschülerinnen“), behilflich ist. Die Handlung thematisiert nun den Kalten Krieg, indem Konalsky aufgrund ihrer ostdeutschen Herkunft der Spionage verdächtigt wird, und setzt verstärkt auf den in Saarbrücken allgegenwärtigen Frankreich-Bezug. Konalskys Freund (Arthur Brauss, „Mädchen: Mit Gewalt“) ist ein französischer Soldat, ein auf Französisch verfasster Drohbrief wird in ihren Sachen gefunden und zuvor arbeitete sie in einer Gaststätte unmittelbar hinter der französischen Grenze. Jenes Grenzgebiet wird ebenfalls zum Schauplatz polizeilicher Ermittlungen, während nach und nach ein Bild davon entsteht, wer Eva Konsalsky ist oder war.
„Saarbrücken an einem Montag“ ist also wie der erste „Tatort“ ein Grenzgänger und scheint ein gutes Stück weit der deutsch-französischen Völkerverständigung verpflichtet, wie insbesondere in Form der Amtshilfe leistenden französischen Polizei deutlich wird. Zugleich ist die Handlung relativ komplex. Mehrere Verdächtige und Motive werden präsentiert und viel klassische Polizeiarbeit geleistet. Evas Vermieterin wird ebenfalls niedergeschlagen und Dr. Hartmanns Frau mischt sich auch noch ein, was ihr nicht gut bekommen wird – als ältere Dame lebte man in diesem „Tatort“ gefährlich. Wie ein Frankreich-Klischee mag das Fremdenlegionssujet anmuten, das Teil der entscheidenden Wendung gegen Ende ist. Diese erweitert die ohnehin schon etwas unübersichtliche Gemengelage um einen alten Mord, ist aber recht ordentlich konstruiert und fügt alle Puzzleteile zu einem befriedigenden Ausgang zusammen. Leider wurden die maßgeblichen Gewaltakte vollständig ausgespart, finden also nicht vor der Kamera statt. In dieser Hinsicht hätte man sich gern etwas mehr trauen dürfen.
Und sonst? Einige neckische Dialoge tragen zur Unterhaltung bei, Lierdahl lässt sich von seiner Sekretärin Frühstück (mit zwei Eiern!) an den Schreibtisch servieren und es wird suggeriert, saarländische Kripobullen würden bis 19:30 Uhr und länger arbeiten… Dank der Originalschauplätze, der rätselhaften, nicht immer hundertprozentig auf Hochspannung angelegten, aber zumindest immer interessanten Geschichte und des französischen Touchs, der Deutschlands etwas provinzielles Mini-Bundesland beinahe etwas Europäisches verleiht, kann sich dieser erst zweite „Tatort“ sehen lassen. Zwischen 1977 und 1984 sollte Kommissar Schäfermann noch viermal ohne Lierdahl als „Tatort“-Ermittler in Erscheinung treten.
„Fußball interessiert mich überhaupt nicht.“
Der zweite Beitrag zur öffentlich-rechtlichen Krimireihe „Tatort“ datiert (ausgerechnet) auf den 13.12.1970. Die Produktion des Saarländischen Rundfunks war der erste von nur zwei Saarbrücker Fällen um Kriminalhauptkommissar Peter Liersdahl (Dieter Eppler, „Die Nackte und der Satan“), aber nicht der Einzige, der in der Anfangszeit der Reihe ursprünglich gar nicht als „Tatort“-Episode, sondern als eigenständiger Fernsehfilm geplant gewesen war. Das Drehbuch Johannes Niems inszenierte Regisseur Karl-Heinz Bieber („Hotelboy Ed Martin“), dessen einziger „Tatort“ diese „Saarbrücken an einem Montag“ betitelte Episode bleiben sollte.
„Ich bin nämlich Eidetiker.“ – „Eidetiker?“ – „Eidetiker.“
In Saarbrücken erschleicht sich ein falscher Kripokommissar die Rente betagterer Damen und verschwindet die junge, in einem Stahlwerk angestellte Datenverarbeiterin Eva Konalsky (Eva Christian, „Cream – Schwabing-Report“) spurlos. Zwei Fälle, die nur scheinbar nichts miteinander zu tun haben. Die Kriminalhauptkommissare Lierdahl und Schäfermann (Manfred Heidmann, „Quax, der Bruchpilot“), der just nach Saarbrücken versetzt wurde, müssen eng zusammenarbeiten, um die Fälle zu lösen, und auch die französische Polizei hinter der nahegelegenen Grenze konsultieren. Dennoch können Sie einen Mord nicht verhindern, der mit ehemaligen Fremdenlegionären zusammenhängt…
„Schön ham’ses hier!“
Laut der ARD basiert dieser „Tatort“ auf einem realen Kriminalfall, der sich in Saarbrücken ereignet haben soll. Die Eröffnungssequenz gehört dem falschen Kripokommissar, dem es jedoch nicht gelingt, sein aktuelles Opfer zu übertölpeln – dafür schlägt er es brutal nieder. Bei Dr. Günther Hartmann (Horst Naumann, „Der Arzt von St. Pauli“), wie Eva im Stahlwerk tätig, hängt derweil der Haussegen schief: Seine Frau Irene (Eva Maria Meineke, „Die Braut des Satans“) wirft ihm Überstunden und einen verschwundenen Ehering vor, vermutet, er gehe fremd. Sie schnüffelt in seinen Sachen und stellt einer jungen Frau nach, die sie für seine Geliebte hält und sich als die kurz darauf verschollene Eva Konalsky herausstellen wird. Dabei wird Irene Zeugin einer Geldübergabe. Erst hiernach führt man die beiden Hauptkommissare in die Handlung ein, die als recht gegensätzlich charakterisiert werden: Lierdahl verfügt über ein ausgeprägtes Gedächtnis und eidetische Fähigkeiten, nimmt es mit der Bürokratie dafür nicht so genau, während sein neuer Kollege Schäfermann lieber streng nach Vorschrift vorgeht und sich zahlreiche Notizen anfertigt.
Das Publikum wird mit einer weiteren undurchsichtigen Figur konfrontiert: Gerd Dietz (Erik Schumann, „Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn“), einem alten Freund Dr. Hartmanns. Er entpuppt sich als derjenige, mit dem Eva eine Geldübergabe durchführte – die Zuschauerinnen und Zuschauer erhalten auf diese Weise einen Wissensvorsprung gegenüber der Kripo, wenngleich Evas Aufenthaltsort und ein etwaiges Motiv, sie verschwinden zu lassen, im Unklaren bleiben. Die Kommissare ermitteln zunächst im Stahlwerk und anschließend in Konalskys Wohnung, wobei ihnen die spießbürgerliche Vermieterin Frau Helgesheim, großartig gespielt von Ellen Frank („Die Klosterschülerinnen“), behilflich ist. Die Handlung thematisiert nun den Kalten Krieg, indem Konalsky aufgrund ihrer ostdeutschen Herkunft der Spionage verdächtigt wird, und setzt verstärkt auf den in Saarbrücken allgegenwärtigen Frankreich-Bezug. Konalskys Freund (Arthur Brauss, „Mädchen: Mit Gewalt“) ist ein französischer Soldat, ein auf Französisch verfasster Drohbrief wird in ihren Sachen gefunden und zuvor arbeitete sie in einer Gaststätte unmittelbar hinter der französischen Grenze. Jenes Grenzgebiet wird ebenfalls zum Schauplatz polizeilicher Ermittlungen, während nach und nach ein Bild davon entsteht, wer Eva Konsalsky ist oder war.
„Saarbrücken an einem Montag“ ist also wie der erste „Tatort“ ein Grenzgänger und scheint ein gutes Stück weit der deutsch-französischen Völkerverständigung verpflichtet, wie insbesondere in Form der Amtshilfe leistenden französischen Polizei deutlich wird. Zugleich ist die Handlung relativ komplex. Mehrere Verdächtige und Motive werden präsentiert und viel klassische Polizeiarbeit geleistet. Evas Vermieterin wird ebenfalls niedergeschlagen und Dr. Hartmanns Frau mischt sich auch noch ein, was ihr nicht gut bekommen wird – als ältere Dame lebte man in diesem „Tatort“ gefährlich. Wie ein Frankreich-Klischee mag das Fremdenlegionssujet anmuten, das Teil der entscheidenden Wendung gegen Ende ist. Diese erweitert die ohnehin schon etwas unübersichtliche Gemengelage um einen alten Mord, ist aber recht ordentlich konstruiert und fügt alle Puzzleteile zu einem befriedigenden Ausgang zusammen. Leider wurden die maßgeblichen Gewaltakte vollständig ausgespart, finden also nicht vor der Kamera statt. In dieser Hinsicht hätte man sich gern etwas mehr trauen dürfen.
Und sonst? Einige neckische Dialoge tragen zur Unterhaltung bei, Lierdahl lässt sich von seiner Sekretärin Frühstück (mit zwei Eiern!) an den Schreibtisch servieren und es wird suggeriert, saarländische Kripobullen würden bis 19:30 Uhr und länger arbeiten… Dank der Originalschauplätze, der rätselhaften, nicht immer hundertprozentig auf Hochspannung angelegten, aber zumindest immer interessanten Geschichte und des französischen Touchs, der Deutschlands etwas provinzielles Mini-Bundesland beinahe etwas Europäisches verleiht, kann sich dieser erst zweite „Tatort“ sehen lassen. Zwischen 1977 und 1984 sollte Kommissar Schäfermann noch viermal ohne Lierdahl als „Tatort“-Ermittler in Erscheinung treten.