Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen
Verfasst: Fr 7. Mai 2021, 17:43
Tatort: Nachtfrost
„Man sah es ihr schon an…“
Auch der vierte Kieler „Tatort“ um Kriminalhauptkommissar Finke (Klaus Schwarzkopf) entstand unter der Ägide des Duos aus Herbert Lichtenfeld (Drehbuch) und dem späteren Hollywood-Regisseur Wolfgang Petersen. Der Fall „Nachtfrost“ wurde bereits im Februar 1972 gedreht, jedoch erst knapp zwei Jahre später, am 20. Januar 1974, erstausgestrahlt.
„Ein Herr Metz war da, in Beischlafabsicht.“
Die Geschäftsführerin einer Boutique und Gelegenheitsprostituierte Renate Plikat, eine hübsche junge Frau, wird in ihrer Zweitwohnung in der Kieler Seiboldstraße tot aufgefunden – vor zwei bis drei Tagen brutal von hinten erschlagen. Ihre Mutter (Helga Bammert, „Glücksritter – Eine Geschichte von heute“) und ihr Stiefvater Paul Strube (Uwe Dallmeier, „Kümo Henriette“) wollen nichts vom Nebenberuf Renates gewusst haben. Diesen hatte sie offenbar ausgeübt, um genug Geld zusammen zu bekommen, sich mit einer eigenen Boutique selbständig zu machen. Kurz vor ihrem gewaltsamen Tod hatte sie zu diesem Zweck 20.000 DM abgehoben, die nun unauffindbar sind. Handelte es sich um einen Raubmord? Anhand ihres Notizbuchs klappern Kommissar Finke und dessen Assistenz zahlreiche Personalien ab und geraten unter anderem an den Zuhälter Heiko Schulz (Peter Lakenmacher, „Sonderdezernat K1“) sowie den Schüler Bertram Schaarf (Marcel Werner, „Dem Täter auf der Spur: Ohne Kranz und Blumen“), der mit Renate eng befreundet gewesen sein soll – zum Unmut seiner Eltern (Ulla Jacobsson, „Sie tanzte nur einen Sommer“ und John van Dreelen, „Das unheimliche Erbe“) aus der höheren Gesellschaftsschicht. Auch Kioskbetreiber Miesbach (Rudolf Beiswanger, „Klein Erna auf dem Jungfernstieg“) wird zu einem möglicherweise wichtigen Zeugen, hatte er doch aus seinem Kiosk häufig beobachten können, wie verschiedene Männer in Plikats Wohnung ein- und ausgingen. Wer ist der Täter – und was war sein Motiv?
„Du denkst zu viel mit den Augen!“
In „Nachtfrost“ muss Kommissar Finke erstmals ohne seinen Assistenten Jessner (Wolf Roth) auskommen. An dessen Stelle treten die junge, attraktive Kripobeamtin Frau Scheffler (Ursula Sieg, „Grabenplatz 17“) und der schnauzbärtige Assistent Franke (Hans-Peter Korff, „Pappa ante Portas“). Jessner donnert sich auf und gibt sich als Renate Plikat aus, um deren Freiern eine Falle zu stellen – Polizeiarbeit mit (nicht ganz) vollem Körpereinsatz. Nackte Haut gibt es hingegen beim rein dienstlichen Besuch eines Striplokals zu sehen, wenn sich eine Tänzerin bis aufs Schamhaar entblättert. Zudem wurde das Sexblättchen „Frivol“ prominent im Hintergrund des Zeitungskiosks positioniert. Ansonsten ist diese Episode für ihr Sujet recht bieder ausgefallen, was jedoch auch dem Konzept geschuldet ist, die Tote gerade nicht im Rotlichtmilieu, sondern in einem bürgerlichen, unauffälligen Umfeld anzusiedeln.
So bekommt man es hier in erster Linie mit sehr viel klassischer Polizeiarbeit zu tun, indem man dem etwas untersetzten, herrlich knorrigen Kommissar Finke dabei zusieht, wie er sich eine möglicherweise involvierte Person nach der anderen vorknöpft und einsilbig befragt. Diese werden jeweils knapp vorgestellt; immerhin ergibt sich dadurch so etwas wie ein Sittenbild, das offenbart, welche Klientel Plikats Dienste in Anspruch nahm. Ein wenig Action wird angedeutet, wenn ein Ermittler während einer Observation hinter verschlossener Tür zusammengeschlagen wird. Wesentlich beeindruckender ist da die Verfolgungsjagd eines Ford Mustangs über und durch Kiels Straßen, Tunnel und Brücken. Im Laufe der Handlung rückt immer mehr in den Fokus, welche Rolle eigentlich Plikats juveniler Freund spielte, war er eventuell ein Nachsteller? Im in ein Waldgebiet ausscherenden, dramatischen Finale wird sich herausstellen, dass mehrere Täter unterschiedlicher Straftaten schuldig sind.
Es ist sicher nicht zu viel verraten, wenn man erwähnt, dass Bertram eine entscheidende Figur in dieser Konstellation ist, in seiner charakterlichen Entwicklung offenbar zerrieben zwischen der patriarchalen Dominanz seines Vaters und der Lustfeindlichkeit seiner Mutter. Doch obschon Bertrams Beziehung zu Plikat der eigentlich interessante und neugierige machende Aspekt dieses „Tatorts“ ist, bleiben Lichtenfeld und Petersen eine Aufarbeitung schuldig. Dabei hätten sich die Beziehung aufdröselnde Rückblenden geradezu aufgedrängt. So aber bleibt alles sehr diffus und wichtige Fragen, letztlich auch zum Tatmotiv, ungeklärt. Das ist schade und dürften viele derjenigen ebenfalls so empfunden haben, die seinerzeit „Nachtfrost“ mit satten 76 % Marktanteil zum bis dahin meistgesehen „Tatort“ machten. Der damals so gern absolvierte reiheninterne Gastauftritt fiel diesmal übrigens dem im Südwesten ermittelnden Kommissar Lutz zu. Ob mit Lutz oder ohne: Hier wurde Potential verschenkt.
„Man sah es ihr schon an…“
Auch der vierte Kieler „Tatort“ um Kriminalhauptkommissar Finke (Klaus Schwarzkopf) entstand unter der Ägide des Duos aus Herbert Lichtenfeld (Drehbuch) und dem späteren Hollywood-Regisseur Wolfgang Petersen. Der Fall „Nachtfrost“ wurde bereits im Februar 1972 gedreht, jedoch erst knapp zwei Jahre später, am 20. Januar 1974, erstausgestrahlt.
„Ein Herr Metz war da, in Beischlafabsicht.“
Die Geschäftsführerin einer Boutique und Gelegenheitsprostituierte Renate Plikat, eine hübsche junge Frau, wird in ihrer Zweitwohnung in der Kieler Seiboldstraße tot aufgefunden – vor zwei bis drei Tagen brutal von hinten erschlagen. Ihre Mutter (Helga Bammert, „Glücksritter – Eine Geschichte von heute“) und ihr Stiefvater Paul Strube (Uwe Dallmeier, „Kümo Henriette“) wollen nichts vom Nebenberuf Renates gewusst haben. Diesen hatte sie offenbar ausgeübt, um genug Geld zusammen zu bekommen, sich mit einer eigenen Boutique selbständig zu machen. Kurz vor ihrem gewaltsamen Tod hatte sie zu diesem Zweck 20.000 DM abgehoben, die nun unauffindbar sind. Handelte es sich um einen Raubmord? Anhand ihres Notizbuchs klappern Kommissar Finke und dessen Assistenz zahlreiche Personalien ab und geraten unter anderem an den Zuhälter Heiko Schulz (Peter Lakenmacher, „Sonderdezernat K1“) sowie den Schüler Bertram Schaarf (Marcel Werner, „Dem Täter auf der Spur: Ohne Kranz und Blumen“), der mit Renate eng befreundet gewesen sein soll – zum Unmut seiner Eltern (Ulla Jacobsson, „Sie tanzte nur einen Sommer“ und John van Dreelen, „Das unheimliche Erbe“) aus der höheren Gesellschaftsschicht. Auch Kioskbetreiber Miesbach (Rudolf Beiswanger, „Klein Erna auf dem Jungfernstieg“) wird zu einem möglicherweise wichtigen Zeugen, hatte er doch aus seinem Kiosk häufig beobachten können, wie verschiedene Männer in Plikats Wohnung ein- und ausgingen. Wer ist der Täter – und was war sein Motiv?
„Du denkst zu viel mit den Augen!“
In „Nachtfrost“ muss Kommissar Finke erstmals ohne seinen Assistenten Jessner (Wolf Roth) auskommen. An dessen Stelle treten die junge, attraktive Kripobeamtin Frau Scheffler (Ursula Sieg, „Grabenplatz 17“) und der schnauzbärtige Assistent Franke (Hans-Peter Korff, „Pappa ante Portas“). Jessner donnert sich auf und gibt sich als Renate Plikat aus, um deren Freiern eine Falle zu stellen – Polizeiarbeit mit (nicht ganz) vollem Körpereinsatz. Nackte Haut gibt es hingegen beim rein dienstlichen Besuch eines Striplokals zu sehen, wenn sich eine Tänzerin bis aufs Schamhaar entblättert. Zudem wurde das Sexblättchen „Frivol“ prominent im Hintergrund des Zeitungskiosks positioniert. Ansonsten ist diese Episode für ihr Sujet recht bieder ausgefallen, was jedoch auch dem Konzept geschuldet ist, die Tote gerade nicht im Rotlichtmilieu, sondern in einem bürgerlichen, unauffälligen Umfeld anzusiedeln.
So bekommt man es hier in erster Linie mit sehr viel klassischer Polizeiarbeit zu tun, indem man dem etwas untersetzten, herrlich knorrigen Kommissar Finke dabei zusieht, wie er sich eine möglicherweise involvierte Person nach der anderen vorknöpft und einsilbig befragt. Diese werden jeweils knapp vorgestellt; immerhin ergibt sich dadurch so etwas wie ein Sittenbild, das offenbart, welche Klientel Plikats Dienste in Anspruch nahm. Ein wenig Action wird angedeutet, wenn ein Ermittler während einer Observation hinter verschlossener Tür zusammengeschlagen wird. Wesentlich beeindruckender ist da die Verfolgungsjagd eines Ford Mustangs über und durch Kiels Straßen, Tunnel und Brücken. Im Laufe der Handlung rückt immer mehr in den Fokus, welche Rolle eigentlich Plikats juveniler Freund spielte, war er eventuell ein Nachsteller? Im in ein Waldgebiet ausscherenden, dramatischen Finale wird sich herausstellen, dass mehrere Täter unterschiedlicher Straftaten schuldig sind.
Es ist sicher nicht zu viel verraten, wenn man erwähnt, dass Bertram eine entscheidende Figur in dieser Konstellation ist, in seiner charakterlichen Entwicklung offenbar zerrieben zwischen der patriarchalen Dominanz seines Vaters und der Lustfeindlichkeit seiner Mutter. Doch obschon Bertrams Beziehung zu Plikat der eigentlich interessante und neugierige machende Aspekt dieses „Tatorts“ ist, bleiben Lichtenfeld und Petersen eine Aufarbeitung schuldig. Dabei hätten sich die Beziehung aufdröselnde Rückblenden geradezu aufgedrängt. So aber bleibt alles sehr diffus und wichtige Fragen, letztlich auch zum Tatmotiv, ungeklärt. Das ist schade und dürften viele derjenigen ebenfalls so empfunden haben, die seinerzeit „Nachtfrost“ mit satten 76 % Marktanteil zum bis dahin meistgesehen „Tatort“ machten. Der damals so gern absolvierte reiheninterne Gastauftritt fiel diesmal übrigens dem im Südwesten ermittelnden Kommissar Lutz zu. Ob mit Lutz oder ohne: Hier wurde Potential verschenkt.