Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
Verfasst: Di 6. Dez 2011, 15:37
Mother of Tears
Das ist er also, der Abschluss der Mütter-Trilogie des italienischen Kult-Regisseurs Dario Argento, der 1977 mit „Suspiria“ und 1980 mit „Inferno“ die ersten beiden Teile vorlegte und damit faszinierende, bildgewaltige, unverkennbar eigenständige Horrorfilme schuf. Mehr als ein Vierteljahrhundert ist seitdem ins Land gezogen. Ist diese italienisch-US-amerikanische Koproduktion aus dem Jahre 2007 ein würdiger Abschluss? Nur sehr bedingt…Bei Ausgrabungen in der Nähe von Rom öffnen die amerikanische Kunststudentin Sarah Mandy (Asia Argento) und ihre Kommilitonin Giselle (Coralina Cataldi-Tassoni) durch ein Versehen eine alte Urne und setzen damit unwissentlich den Geist von Mater Lacrimarum (Moran Atias), einer der mächtigsten Hexen der Welt, frei. Als nach Giselles grausamer Ermordung eine spektakuläre Serie von mysteriösen Selbstmorden Rom in Angst versetzt und sich zahlreiche, unerklärliche Ereignisse häufen, wird sich Sarah der Tragweite ihres Fehlers bewusst - und beschließt, der "Mutter der Tränen" die Stirn zu bieten...
Nach Ausgrabungen in der Nähe Roms wird durch Öffnen einer uralten Urne Mater Lacrimarum, der Mutter der Tränen (Moran Atias), der Weg zurück in die Gegenwart geebnet, was mit Tod und Verderben (nicht nur) auf den Straßen Roms einhergeht. Die US-Kunststudentin Sarah (Asia Argento, „Dance of the Demons 2“, „The Stendhal Syndrome“) nimmt den Kampf gegen die Hexe und ihre Gefolgschaft auf, nachdem sie erfährt, dass sie selbst Nachkommin einer guten Hexe ist – derjenigen, die seinerzeit Mater Suspirianum so sehr schwächte, dass ihr schließlich in „Suspiria“ der Garaus gemacht werden konnte.
Waren „Suspiria“ und „Inferno“ hauptsächlich auf die jeweiligen Gebäude in Freiburg und New York beschränkt, beschreitet man mit „Mother of Tears“ andere Wege: Die Spielwiese der Tränenmutti ist ganz Rom, wo sie und ihre Helferinnen für Selbstmorde, Gewalt und Chaos sorgen. Die Intention dahinter war vermutlich, aus dem Trilogieabschluss etwas wahrhaft Apokalpytisches zu machen, die von der Hexe ausgehende Gefahr zu steigern. Dumm nur, dass – aufgrund eines radikal zusammengekürzten Budgets, wie man sich erzählt – von dieser Idee kaum etwas in einer Weise umgesetzt wurde, die diesen Anspruch wirkungsvoll untermauern würde. Die kurzen Einspieler vom Treiben auf den Straßen jedenfalls erzeugen noch lange keine Endzeitstimmung und die Darstellung der Hexengefolgschaft als freche Gothpunk-Mädels, die pöbelnd durch die Straßen ziehen, strotzt nur so vor Klischees und verfehlt ihren Effekt komplett. Die Tränenmutti selbst bekommt man schon verdammt früh zu sehen. Sie scheint einer Fetischszene zu entspringen und ist zudem recht attraktiv gebaut, also kein Vergleich zu den geheimnisumwitterten Gestalten aus Argentos vorausgegangenen „Mater-Filmen“, die man erst gegen Ende zu Gesicht bekam. Das nennt man wohl Entmystifizierung.
Überhaupt versucht „Mother of Tears“ zu quasi keinem Zeitpunkt, etwas von der unvergleichlichen Stimmung der Vorgänger in die Gegenwart herüberzuretten. Moderne Optik, kaum Argento-typische visuelle Charakteristika wie ausgedehnte Kamerafahrten oder bavaeske Farbdramaturgie, generell kaum Zeit für die Entfaltung einer mystischen, unheilschwangeren Atmosphäre. „Mother of Tears“, ist schrill und laut. Und das wiederum gar nicht mal so verkehrt: Wie bereits in anderen Argentos jüngeren Datums wird auch hier gerne auf Splatter und Gore gesetzt, integriert in die Handlung statt selbstzweckhafter Blutorgie und im Falle der handgemachten Spezialeffekte hervorragend realisiert. Leider konnte man sich aber nicht dazu durchringen, komplett auf CGI-Effekte zu verzichten, worunter der Film doch beträchtlich leidet. Statt übertriebene Gewaltszenen wie die Pfählung eines Opfers mithilfe von CGI auf die Spitze zu treiben, wären sie effektiver ausgefallen, hätte man auf den Computereinsatz verzichtet. Die Erscheinungen von Sarahs Mutter aus dem Geisterreich wirken zudem sehr fantasyartig und damit in diesem Film fehl am Platz. Dass man Asia Argentos tatsächliche Mutter verwandte, hat hingegen schon wieder etwas. Computeranimationen wie ausgewölbte Türen oder Wände erinnern mich spontan an Peter Jacksons Horrorkomödie „The Frighteners“, wo sie gut, vor allem aber besser als in einem Argento aufgehoben waren. Claudio Simonettis Soundtrack hingegen ist von der ersten Sekunde an angenehm düster und rundum gelungen. Stilistisch also eine durchwachsene, vor allem aber – insbesondere im direkten Vergleich mit den anderen beiden Trilogie-Teilen – hochgradig ungewohnte Angelegenheit.
Asia Argentos Schauspiel ist ok, wenn sie in diesem Film auch nicht gerade ein Augenschmaus ist. Ihre Hauptrolle meistert sie aber souverän, für die Schauwerte ist die böse Hexenbrut zuständig, deren Blankziehen die Ausrichtung des Films auf oberflächlichen Unterhaltungswert unterstreicht. Udo Kier wird in einer zu kleinen Nebenrolle verschenkt. Herausragendes, sonderlich Erinnerungswürdiges leistet ansonsten niemand aus der Darstellerriege. Waren insbesondere in „Inferno“ die Darsteller ohnehin der Optik respektive den Kulissen des Films eindeutig untergeordnet, ist dies hier nicht der Fall, doch versucht man, immer wieder den Bezug zu „Suspiria“ und „Inferno“ herzustellen und als eine Art Überbau zu installieren. Ja, das sorgt hier und da für wohlige Erinnerungen, die aber nur allzu schnell in Wehmut umschlagen, wenn beispielsweise die geheimnisumwitterten Aufzeichnungen des Hexenhaus-Architekten ein unfassbar lächerlich einfach zu lösendes „Rätsel“ offenbaren und schnell deutlich wird, dass auch all die Verweise die kongeniale Mystik der Vorgänger nicht erreichen können. Letztlich führen Sarahs Recherchen mithilfe ihrer Geistermutter in Katakomben, die ein zwar durch ihre Kulissen durchaus endlich einmal bildgewaltiges, inhaltlich aber enttäuschend unspektakuläres Finale den Raum bieten.
Schafft man es aber, ohne irgendeine über herkömmlichen Horror hinausgehende Erwartungshaltung an „Mother of Tears“ heranzugehen, klingt das alles viel Negativer, als es eigentlich ist. Argentos Film ist zwar eine atmosphärische Nullnummer, ansonsten aber flotter, unterhaltsamer Okkult-Hexenhorror, der oft an nichtitalienische Subgenreklassiker erinnert und durch seine Verquickung mit krudem Splatter und in Gestalt ungruseligen Popcorn-Kinos dann irgendwie doch etwas Besonderes ist. Aber wer schafft es schon, ein letztes Trilogiedrittel losgelöst von den anderen beiden zu betrachten?