Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Moderator: jogiwan

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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von buxtebrawler »

Tatort: Wenn Steine sprechen

„Machen Sie keinen Massenmord daraus!“

Der 15. Beitrag zur damals noch jungen öffentlichen-rechtlichen Fernsehkrimireihe „Tatort“ hat die Stadt Baden-Baden zum Schauplatz und ist der erste und zugleich letzte um die Figur Kommissar Pflüger (Ernst Jacobi, „Nachruf auf Jürgen Trahnke“) – ein Novum: Pflüger war der erste „Tatort“-Kommissar, der nicht in Serie geschickt wurde. „Wenn Steine sprechen“ wurde von Bruno Hampel geschrieben, von Erich Neureuther inszeniert und am 13. Februar 1972 erstausgestrahlt. Mit „Der Mann auf dem Hochsitz“ führte Neureuther im Jahre 1978 zum zweiten und letzten Mal bei einem „Tatort“ Regie.

„Gibt’s Belohnung?“

Der ältere Tippelbruder Matysiak (Horst Beck, „Die Gentlemen bitten zur Kasse“) wird von einem etwa gleichaltrigen Mann ins Koma geprügelt. Als er erwacht, schafft er es noch in die Stadt und bricht dort zusammen, woraufhin er ins Krankenhaus eingeliefert wird. Er faselt immer wieder etwas von einem Mord im Jahre 1939 und Beton – auch gegenüber Kommissar Pflüger, der aus diesem Grunde zu ihm ans Krankenbett bestellt wurde. Es geht um den Westwallbunker am Rheinufer, wo jemand namens Lothar 1939 ermordet worden sei. Offenbar weiß Matysiak wirklich zu viel, denn kurz darauf wird er im Krankenhaus per Luftinjektion umgebracht. Tatsächlich gilt ein Lothar Windegger seit damals als vermisst – man vermutete, er habe sich zur Fremdenlegion abgesetzt. Pflüger ermittelt und stößt dabei auf zwei Männer, die sowohl Matysiak als auch Windegger gekannt haben – einer von ihnen ist der Krankenhaus-Masseur Pohl (Max Mairich, „Hoopers letzte Jagd“), angestellt in jenem Krankenhaus, in dem Matysiak ermordet wurde…

„Des Menschen Wille ist sein Himmelsreich!“

Pflüger bekommt es also mit gleich zwei Mordfällen zu tun – kein schlechter Schnitt für nur einen einzigen „Tatort“-Einsatz. Bevor dieser auf den Plan tritt, wirft einen Neureuther jedoch mitten in die Rauferei am Rheinufer, gefilmt mit subjektiv anmutender Wackelkamera. Matysiak erwacht später schwer lädiert und nimmt den Bus in die Stadt, was die Handlung zwar kaum voran-, einem aber Matysiak etwas näherbringt. Einen Kontrast zum elend aussehenden Matysiak bildet das Tennismilieu, in dessen Rahmen der stirnglatzige Kommissar eingeführt wird. Während dessen ersten Gesprächs mit Matysiak scheint letzterer zu sterben; doch es stellt sich heraus, dass er lediglich eingeschlafen ist – war wohl gelangweilt vom etwas unauffälligen und biederen Kommissar, dessen einzige Marotte zu sein scheint, mit Lyrikzitaten wie später Ulmen in Weimar zu protzen. Dabei versteht man nicht unbedingt immer alles, denn die nicht nachsynchronisierten O-Töne sind mitunter arg leise geraten, zudem werden gleich mehrere verschiedene süddeutsche Dialekte gesprochen (hier wären Untertitel hilfreich gewesen).

Zu einem wichtigen Zeugen avanciert der Angler (Werner O. Feißt, „Tatort: Tod eines Einbrechers“), der Zeuge wurde, wie Matysiak sich wieder aufgerappelt hat. Aus dessen und Matysiaks arg bruchstückhaften Aussagen muss Pflüger nun etwas kombinieren, was ihm grundsätzlich gelingt, wenngleich er die Hilfe des bayrischen Kommissars Veigl (Gustl Bayrhammer) benötigt, dem er in München einen Besuch abstattet – der in den frühen „Tatorten“ obligatorische Gastauftritt eines anderen „Tatort“-Kommissars. Gemeinsam plaudert man über Freiluftsport (köstlicher Dialog!) und stattet Mutter Windegger (Dora Altmann, „Charlie und die Schokoladenfabrik“) einen Besuch ab. Allmählich nimmt der Fall Kontur an und da das Publikum lange Zeit kaum mehr weiß als die Polizei, ist etwas Spannung gegeben. Ein Nägelkauer ist dieser „Tatort“ jedoch nicht.

Achtung, Spoiler: Einen Wissensvorsprung erhalten die Zuschauerinnen und Zuschauer erst relativ spät, als sich Masseur Pohl mit dem wohlhabenden Bauunternehmer Bernbacher (Detlof Krüger, „Bischof Ketteler“) unterhält und dabei pikante Details ausspuckt. Dass sich „Wenn Steine sprechen“ nun in die Badener Oberschicht begibt und diese alles andere als vorteilhaft aussehen lässt – man ist auf der Karriereleiter ohne Weiteres über Leichen zu gehen bereit –, wertet ihn unheimlich auf. Bernbachers Arroganz und Selbstgefälligkeit richten sich gegen Pohl, der zum Bauernopfer wird. Dass es bereits die Pointe darstellt, dass Bernbachers Feier ein Reinfall wird, weil niemand erscheint, auch wenn Bernbacher noch so cholerisch herumbrüllt, nun, darauf muss man erst einmal kommen. Kommissar Pflüger kann Bernbacher also nichts anhaben, doch ist Bernbacher nun zur persona non grata geworden.

Dabei belässt es die Handlung, die zuvor mit dem aufgestemmten Bunker und der perfiden Ermordung Matysiaks weitere dramaturgische Höhepunkte aufweisen konnte. Demgegenüber stehen belanglose Smalltalks, die Einblicke in Pflügers Privatleben bieten sollen. Heutzutage kurios mutet das Geschlechterklischee an, dass fast alle Frauen hier Kaffee servieren – oder auch mal ein Likörchen oder einen Gin… Denjenigen, der Matysiak anfangs verprügelte und der später ebenfalls im Krankenhaus umherschlich, vergisst das Drehbuch leider irgendwann vollends, dafür sorgt die Kameraarbeit mit ihren etwas schrägen Perspektiven und ihren Großaufnahmen der Figuren für Dynamik und Unmittelbarkeit, und auch der Schnitt ist meist auf der Höhe.

Nach nur einem Einsatz wäre es ungerecht, Pflüger bzw. seinem Schauspieler einen Vorwurf zu machen; erst weitere Episoden hätten gezeigt, ob seine bedächtige, ruhige und zurückhaltende, nicht unsympathische Art sich gut in die Krimireihe eingefügt hätte. So bleibt gewissermaßen ein „Tatort“-Kuriosum, das es mir mit seinen Figuren und seiner eigentlich recht reißerischen, von der italienischen Mafia inspirierten Geschichte allen genannten Schwächen zum Trotz irgendwie angetan hat. 6,5 von 10 Tassen Kaffee lasse ich da gern bringen. Fräulein!
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von buxtebrawler »

Morgen endet die Sommerpause. Erster neuer "Tatort": Der Frankfurter Fall "Wer zögert, ist tot".

:arrow: https://www.daserste.de/unterhaltung/kr ... t-100.html
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von buxtebrawler »

„Tatort“: Nora Tschirner hört als Kommissarin auf
Zukunft des Weimarer „Tatort“ offen

Ursprünglich war der Weimarer „Tatort“ mit der Folge „Die fette Hoppe“ im Jahr 2013 als einmaliges Special geplant. Dank der positiven Resonanz wurden Nora Tschirner und Christian Ulmen daraufhin langfristig als „Tatort“-Duo verpflichtet. Damit soll nun allerdings Schluss sein. Gegenüber den Zeitschriften der Funke-Mediengruppe sagte Tschirner: "Der aktuelle Stand ist: Es geht nicht weiter."

Quelle und weitere Infos:
:arrow: https://www.fernsehserien.de/news/tator ... ssarin-auf

:(
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von buxtebrawler »

Heute läuft der erste "Polizeiruf 110" nach der Sommerpause: "Bis Mitternacht" von Forenliebling Dominik Graf! Ein Münchner Fall um Elisabeth "Bessie" Eyckhoff.

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Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von McBrewer »

buxtebrawler hat geschrieben: So 5. Sep 2021, 19:02 Heute läuft der erste "Polizeiruf 110" nach der Sommerpause: "Bis Mitternacht" von Forenliebling Dominik Graf! Ein Münchner Fall um Elisabeth "Bessie" Eyckhoff.

:arrow: https://www.daserste.de/unterhaltung/kr ... t-100.html
Klasse, mit Verena Altenberger :knutsch:
Ihre Kommissarin mag ich ja seit dem letzten Polizeiruf sehrrrrr :nick:
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von buxtebrawler »

McBrewer hat geschrieben: So 5. Sep 2021, 19:23 Klasse, mit Verena Altenberger :knutsch:
Ihre Kommissarin mag ich ja seit dem letzten Polizeiruf sehrrrrr :nick:
Ich sehe sie auch gern. Ist übrigens bereits der zweite Polizeiruf 110, den Graf mit ihr gedreht hat.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von McBrewer »

buxtebrawler hat geschrieben: So 5. Sep 2021, 19:34
McBrewer hat geschrieben: So 5. Sep 2021, 19:23 Klasse, mit Verena Altenberger :knutsch:
Ihre Kommissarin mag ich ja seit dem letzten Polizeiruf sehrrrrr :nick:
Ich sehe sie auch gern. Ist übrigens bereits der zweite Polizeiruf 110, den Graf mit ihr gedreht hat.
Yep, wobei ich ehrlich gesagt den ersten Einsatz nicht so dolle fand. bzw. hat dieser mich damals nicht mitgenommen :-|
Aber seitdem haben sich die Folgen mit Verena kontinuierlich gesteigert so das ich mich heute Abend sehr auf das Wiedersehen freue :popcorn:
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Beitrag von buxtebrawler »

McBrewer hat geschrieben: So 5. Sep 2021, 19:42 Yep, wobei ich ehrlich gesagt den ersten Einsatz nicht so dolle fand. bzw. hat dieser mich damals nicht mitgenommen :-|
Aber seitdem haben sich die Folgen mit Verena kontinuierlich gesteigert so das ich mich heute Abend sehr auf das Wiedersehen freue :popcorn:
Bei mir ist's umgekehrt: Grafs "Die Lüge, die wir Zukunft nennen" fand ich klasse, mit "Frau Schrödingers Katze" konnte ich hingegen nicht so viel anfangen...
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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karlAbundzu
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Beitrag von karlAbundzu »

Eben gesehen: kurz: Toll.
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
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CamperVan.Helsing
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von CamperVan.Helsing »

buxtebrawler hat geschrieben: So 5. Sep 2021, 19:02 Heute läuft der erste "Polizeiruf 110" nach der Sommerpause: "Bis Mitternacht" von Forenliebling Dominik Graf! Ein Münchner Fall um Elisabeth "Bessie" Eyckhoff.

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Danke für den Hinweis, den hätte ich wohl verpasst.

Und Karlschis kurzem Fazit kann ich mich nur anschließen.
My conscience is clear

(Fred Olen Ray)
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