Re: Was vom Tage übrigblieb ...
Verfasst: Di 24. Dez 2024, 05:43
Der denkwürdige Fall des Mr. Poe (Scott Cooper, 2022) 7/10
Ein eisiger Winter ist es, und eisig sind nicht nur die Temperaturen, sondern auch die Stimmung in der Offiziers-Akademie West Point im Jahre 1830. Es ist so dermaßen eisig, dass einer der Kadetten es nicht mehr aushält und sich an einem Baum erhängt. Oder wurde er aufgehängt? Der zur Untersuchung herbeigerufene frühere Polizist Augustus Landor findet schnell heraus, dass hier von Mord gesprochen werden muss, aber das ist noch nicht alles: Letzte Nacht wurde der Leichnam geschändet – Ihm wurde das Herz herausgeschnitten! Wahrscheinlich also zwei Fälle, der Mörder des Kadetten, und derjenige der das Herz stahl. Oder vielleicht doch nur ein einziger Fall? Ein anderer Kadett bietet sich als Hilfe an. Einer, der den Diebstahl eines Herzens von der lyrischen Seite genauso perfekt erläutern kann wie von der religiös-wahnhaften Seite. Sein Name: Edgar A. Poe.
Ein eisiger Winter ist es, und Eis und Schnee bilden die perfekte Szenerie für ein Verbrechen, das auf den ersten Blick so leidenschaftslos und überlegt wirkt. Und eine perfekte Szenerie für eine Welt, die sich auf Traditionen und formelhafte Masken beschränkt, und Gefühle weit von sich weist. Eine Welt, in der ein schwarzromantisches Mädchen mit Epilepsie sich mit einem Verehrer auf einem Friedhof trifft, weil nur dort, unter dem Ausschluss der (lebenden) Öffentlichkeit, über Gefühle gesprochen werden kann. Wie wohltuend ist da als Gegensatz das kerzenbeleuchtete Heim mit der trauten Familie. Oder die warmen und gemütlichen Gasthäuser, wo Alkohol und die Arme der Wirtin Trost schenken. Und Männer über dem Austausch von Gedanken und Trinksprüchen Freundschaften schließen können.
Wie die Freundschaft zwischen Landor und Poe. Auch wenn Poe oft zu viel redet, und auch wenn Landor den jungen Poe oft aus einer Position der Überheblichkeit betrachtet, so bahnt sich doch eine echte Freundschaft an, denn beide Männer haben Verluste erlitten, und beide versuchen ihre Leere und ihre sie manchmal überwältigenden Dämonen in exzessivem Alkoholgenuss zu ertränken. Vor allem aber sind beide Männer kulturell beflissen, lesen Bücher, und können sich darum über Poes dunkle Worttiraden dem Kern des Verbrechens allmählich nähern. Eine düstere Freundschaft als Gegenstück zur Distanziertheit der Gesellschaft …
Was also ist die Quintessenz aus einer eisigen Stimmung und einer düsteren Freundschaft? Richtig, ein ruhig und stringent erzählter Who-Dunnit-Krimi, der seine Überraschungen und seine Twists nicht mit Knalleffekten und Jump Scares ankündigt, sondern wie ein langer und ruhiger Fluss den Schrecken nur ganz allmählich aufbaut, um ihn erst zum Schluss explodieren zu lassen. Dann, wenn man denkt dass nichts mehr kommt. Bis dahin ist DER DENKWÜRDIGE FALL DES MR. POE an der ein oder anderen Stelle vielleicht ein klein wenig zu ruhig, aber Regisseur Scott Cooper schafft es ohne Probleme, eine außerordentliche und stimmige Atmosphäre zu erschaffen, in die der Zuschauer mühelos und bis über beide Ohren eintauchen kann. Genauso wie er ebenfalls mühelos alle Fäden zu einem befriedigenden Ende zusammenknüpfen kann, und auch wenn dies im Lauf des Films vielleicht nicht immer so erscheinen mag, so wird am Ende tatsächlich eine runde Geschichte erzählt.
Vor allem die Schauspieler sind es, denen diese Stimmigkeit in hohem Maße anzulasten sind. Christian Bale als Landor ist ruhig, ist völlig alleine, ist jemand, den ein Mahlstrom aus Gefühlen verzehrt. Landors Frau starb vor einigen Jahren, und zudem ist vor kurzem seine Tochter spurlos verschwunden. In seinem Herzen ist dieser Mann unglaublich einsam, und Bale gibt dieser Einsamkeit ein zutiefst verstörendes Gesicht.
Harry Melling spielt Edgar Allen Poe. Harry Melling IST Edgar Allen Poe. Ein unglaubliches Talent dieser Mann, der den jungen und von schwarzen Fantasien besessenen Mann mit unbeschreiblich viel Leben ausstattet. Dass Harry Melling in den HARRY POTTER-Filmen der dicke dumme depperte Dudley Dursley war, das ist … nicht zu glauben.
Auch die Nebenrollen sind exquisit besetzt. Allen voran Toby Jones als Arzt und Gillian Anderson als Mutter der Familie Marquis können mit kleinen Blicken und Gesten wunderbar abgründig sein, Charlotte Gainsbourg kann in einer kleinen Rolle kleine warme Farbtupfer setzen, und irgendwie macht es da fast gar nichts mehr, dass die jungschen Kadetten der üblen Bande alle ein wenig blass bleiben. Warum auch nicht, schließlich ist es ein eisiger Winter in einer eisigen Gesellschaft. Nur der Film, der Film ist nicht eisig. Der Film ist mit Liebe zum Detail und Hingabe zum Geschichtenerzählen spannend und wunderschön geworden. Ruhig, aber nicht einschläfernd. Spannend, aber nicht übertrieben. Wie ein Fluss im Winter, unter dessen zugefrorener und unbeweglich erscheinender Oberfläche ein Universum von Abgründen und Höhepunkten, von Räubern und edlen Menschen zu finden ist. Genaueres Hinsehen lohnt sich hier auf jeden Fall …
Ein eisiger Winter ist es, und eisig sind nicht nur die Temperaturen, sondern auch die Stimmung in der Offiziers-Akademie West Point im Jahre 1830. Es ist so dermaßen eisig, dass einer der Kadetten es nicht mehr aushält und sich an einem Baum erhängt. Oder wurde er aufgehängt? Der zur Untersuchung herbeigerufene frühere Polizist Augustus Landor findet schnell heraus, dass hier von Mord gesprochen werden muss, aber das ist noch nicht alles: Letzte Nacht wurde der Leichnam geschändet – Ihm wurde das Herz herausgeschnitten! Wahrscheinlich also zwei Fälle, der Mörder des Kadetten, und derjenige der das Herz stahl. Oder vielleicht doch nur ein einziger Fall? Ein anderer Kadett bietet sich als Hilfe an. Einer, der den Diebstahl eines Herzens von der lyrischen Seite genauso perfekt erläutern kann wie von der religiös-wahnhaften Seite. Sein Name: Edgar A. Poe.
Ein eisiger Winter ist es, und Eis und Schnee bilden die perfekte Szenerie für ein Verbrechen, das auf den ersten Blick so leidenschaftslos und überlegt wirkt. Und eine perfekte Szenerie für eine Welt, die sich auf Traditionen und formelhafte Masken beschränkt, und Gefühle weit von sich weist. Eine Welt, in der ein schwarzromantisches Mädchen mit Epilepsie sich mit einem Verehrer auf einem Friedhof trifft, weil nur dort, unter dem Ausschluss der (lebenden) Öffentlichkeit, über Gefühle gesprochen werden kann. Wie wohltuend ist da als Gegensatz das kerzenbeleuchtete Heim mit der trauten Familie. Oder die warmen und gemütlichen Gasthäuser, wo Alkohol und die Arme der Wirtin Trost schenken. Und Männer über dem Austausch von Gedanken und Trinksprüchen Freundschaften schließen können.
Wie die Freundschaft zwischen Landor und Poe. Auch wenn Poe oft zu viel redet, und auch wenn Landor den jungen Poe oft aus einer Position der Überheblichkeit betrachtet, so bahnt sich doch eine echte Freundschaft an, denn beide Männer haben Verluste erlitten, und beide versuchen ihre Leere und ihre sie manchmal überwältigenden Dämonen in exzessivem Alkoholgenuss zu ertränken. Vor allem aber sind beide Männer kulturell beflissen, lesen Bücher, und können sich darum über Poes dunkle Worttiraden dem Kern des Verbrechens allmählich nähern. Eine düstere Freundschaft als Gegenstück zur Distanziertheit der Gesellschaft …
Was also ist die Quintessenz aus einer eisigen Stimmung und einer düsteren Freundschaft? Richtig, ein ruhig und stringent erzählter Who-Dunnit-Krimi, der seine Überraschungen und seine Twists nicht mit Knalleffekten und Jump Scares ankündigt, sondern wie ein langer und ruhiger Fluss den Schrecken nur ganz allmählich aufbaut, um ihn erst zum Schluss explodieren zu lassen. Dann, wenn man denkt dass nichts mehr kommt. Bis dahin ist DER DENKWÜRDIGE FALL DES MR. POE an der ein oder anderen Stelle vielleicht ein klein wenig zu ruhig, aber Regisseur Scott Cooper schafft es ohne Probleme, eine außerordentliche und stimmige Atmosphäre zu erschaffen, in die der Zuschauer mühelos und bis über beide Ohren eintauchen kann. Genauso wie er ebenfalls mühelos alle Fäden zu einem befriedigenden Ende zusammenknüpfen kann, und auch wenn dies im Lauf des Films vielleicht nicht immer so erscheinen mag, so wird am Ende tatsächlich eine runde Geschichte erzählt.
Vor allem die Schauspieler sind es, denen diese Stimmigkeit in hohem Maße anzulasten sind. Christian Bale als Landor ist ruhig, ist völlig alleine, ist jemand, den ein Mahlstrom aus Gefühlen verzehrt. Landors Frau starb vor einigen Jahren, und zudem ist vor kurzem seine Tochter spurlos verschwunden. In seinem Herzen ist dieser Mann unglaublich einsam, und Bale gibt dieser Einsamkeit ein zutiefst verstörendes Gesicht.
Harry Melling spielt Edgar Allen Poe. Harry Melling IST Edgar Allen Poe. Ein unglaubliches Talent dieser Mann, der den jungen und von schwarzen Fantasien besessenen Mann mit unbeschreiblich viel Leben ausstattet. Dass Harry Melling in den HARRY POTTER-Filmen der dicke dumme depperte Dudley Dursley war, das ist … nicht zu glauben.
Auch die Nebenrollen sind exquisit besetzt. Allen voran Toby Jones als Arzt und Gillian Anderson als Mutter der Familie Marquis können mit kleinen Blicken und Gesten wunderbar abgründig sein, Charlotte Gainsbourg kann in einer kleinen Rolle kleine warme Farbtupfer setzen, und irgendwie macht es da fast gar nichts mehr, dass die jungschen Kadetten der üblen Bande alle ein wenig blass bleiben. Warum auch nicht, schließlich ist es ein eisiger Winter in einer eisigen Gesellschaft. Nur der Film, der Film ist nicht eisig. Der Film ist mit Liebe zum Detail und Hingabe zum Geschichtenerzählen spannend und wunderschön geworden. Ruhig, aber nicht einschläfernd. Spannend, aber nicht übertrieben. Wie ein Fluss im Winter, unter dessen zugefrorener und unbeweglich erscheinender Oberfläche ein Universum von Abgründen und Höhepunkten, von Räubern und edlen Menschen zu finden ist. Genaueres Hinsehen lohnt sich hier auf jeden Fall …