Re: Was vom Tage übrigblieb ...
Verfasst: Do 23. Jan 2025, 04:53
Erbarmen (Mikkel Nørgaard, 2013) 6/10
Literaturverfilmungen haben es nicht leicht. Gelungene Beispiele wie DER HERR DER RINGE oder DOKTOR SCHIWAGO sind gut und schön, aber die Regel ist das nicht. Und im Kriminal- bzw. Thrillergenre macht es das Gesetz der Serie nicht einfacher: Wie, bitte schön, verfilmt man den ersten Teil einer erfolgreichen Thrillerromanserie so, dass die Fans einen hohen Wiedererkennungseffekt haben, sich dabei aber nicht langweilen, und diejenigen, denen der Roman unbekannt ist, sich trotzdem zurechtfinden? Wie es am Beispiel der Serie um den dänischen Kommissar Carl Mørck betrachtet werden kann. Die Romane von Jussi Adler-Olsen sind unglaublich erfolgreiche, spannende und düstere Thriller, die sich erstklassig lesen, und in den Jahren ab 2007 überall die Bestsellerlisten dominierten. Und die durch ihre Art und ihren Erfolg vor allem nach einer Verfilmung geradezu schrien. ERBARMEN ist nun der erste Teil dieser Serie.
Nach einem extrem misslungenen Einsatz mit dem Ergebnis eines toten und eines querschnittsgelähmten Kollegen muss Kommissar Mørck die Mordkommission verlassen. Weil er aber ein guter, durch seine miefige Art wenngleich auch extrem unbeliebter, Polizist ist, bekommt er ein eigenes Dezernat, das Sonderdezernat Q: Im untersten Keller gelegen, darf er alte, unaufgeklärte Fälle, sortieren und ablegen. Nicht lösen, wohlgemerkt! Nur ablegen. Als Hilfskraft bekommt er Assad, einen Syrer aus der Registratur (der im Roman, wenn ich mich richtig erinnere, sogar eine Putzkraft war). Doch gleich die erste Akte zieht Mørck in seinen Bann: Vor fünf Jahren verschwand die junge und aufstrebende Politikerin Merete Lynggaard spurlos von einer Fähre, vermutlich Selbstmord, und dem erfahrenen Kriminalisten Mørck fallen sofort mehrere Ungereimtheiten ins Auge. Wer nimmt denn seinen schwerbehinderten und geliebten Bruder mit auf ein Schiff, wenn er vor hat sich gleich umzubringen? Und während Mørck und Assad mühsam versuchen zu ermitteln, erfährt der Zuschauer parallel nach und nach, dass Merete noch lebt. Aber nicht mehr lange …
Meiner Frau, die die Romane nicht kennt, hat es gefallen, also kann es nicht schlecht sein! Ich für meinen Teil habe die Romane verschlungen, und sitze dann hin- und hergerissen vor der Glotze: Mørck ist zu jung. Assad ist zu groß und vor allem nicht geheimnisvoll genug. Die Komplexität eines 600-Seiten-Romans wird auf anderthalb Stunden komprimiert, was (für den Kenner) zwangsläufig zu Frustrationen führt. Die tief im Alltag verankerte Brutalität des Romans flöten geht zugunsten einer pathetischen Langsamkeit, die sich in erster Linie in rätselhaften Blicken äußert. Das Verhältnis zwischen Mørck und Assad, die Kabbeleien, die tiefe Einsamkeit und die Misanthropie Mørcks, wo sind sie? Die Machart ist stark an amerikanische Thriller angelegt, was nichts anderes bedeutet, als dass die beiden Hauptfiguren fast aus dem Stand heraus als gut funktionierendes Ermittlerteam gezeigt werden, als echte Buddys also, die wie im großen Vorbild gut miteinander funktionieren und sowas ähnliches wie Lebensgefährten sind. Von den Schwierigkeiten Assads, den Panzer Mørcks zu durchdringen, erfahren wir nur in ein oder zwei Sätzen, von den Problemen Mørcks mit Assad noch viel weniger.
Das Kernproblem ist halt wirklich, diesen komplexen und psychologisch gut aufgebauten Roman in dieses kleine Anderthalbstunden-Format zu zwängen. Und da hätte es entweder einen Regisseur mit Vision benötigt (ich werfe jetzt mal jemanden wie David Fincher in den Ring, der die schwedische Konkurrenz mit VERBLENDUNG deutlich auf die Plätze verwies), oder eine erheblich längere Laufzeit. Vielleicht sogar so etwas wie eine Fernsehserie, um die psychologischen Hintergründe und die horizontalen Erzählstränge abzubilden. Denn abgesehen von dieser gewissen Weichgespültheit für den Mainstream, die bei den Hauptfiguren die Ecken und Kanten massenkompatibel abschleift, abgesehen davon ist der Geist des Romans durchaus getroffen. In Dänemark ist es düster oder es regnet. Oder beides. Die Häuser sind schmutzig oder modern. Oder beides. Und die Vorgesetzten sind stichwortgebende Sidekicks, die zu nichts anderem nützen als den Widerborst der Polizisten heraus zu locken.
Trotzdem, meiner Frau hat es gefallen, und sie bedrängt mich eingehend, die anderen Teile auch sehen zu wollen. Also scheint dieses Konzept im Film gut zu funktionieren, und ich muss auch zugeben: Ich bin sehr gespannt auf die nächsten Teile! Die dann bereits eingeführten Charaktere dürften mehr Raum zur Entfaltung bekommen, und irgendwie bin ich ja doch angefixt. Obwohl ich vorwiegend Negatives zu schreiben habe, trotzdem will ich weitersehen. Will ich in diese düstere und brutale Welt absteigen. Irgendwas hat Regisseur Mikkel Nørgaard also richtig gemacht!
Und noch ein Trotzdem: Wenn man jetzt einmal die Romanvorlage beiseitelässt, und den Film als Standalone hernimmt, dann fällt recht schnell auf, dass der Regisseur Mikkel Nørgaard streng genommen nichts anderes auf die Beine gestellt hat als einen klassischen Noir. Wir haben hier einen Helden, dessen Seele zerbrochen ist. Der sich fluchend und seinen Zynismus tief auslebend durch die Welt schleppt, der kein Familienleben hat (und das bisschen, das er hat, ist dysfunktional), der im Job als Arschloch gilt, und dessen einziger Freund der Whisky ist. Dieser „Held“ bekommt einen gesellschaftlichen Außenseiter an die Seite und darf sich um Dinge kümmern, die zum Zeitpunkt der Handlung keine Sau interessieren: Uralte und nicht abgeschlossene Fälle für das Archiv. Der Held zeigt seinen Vorgesetzten also den erhobenen Mittelfinger und macht alles das, was er eigentlich gar nicht machen darf. Er ermittelt, er weckt schlafende Hunde, er stört die Friedhofsruhe einer gut eingespielten Bürokratie, und er lässt sich nicht einschüchtern. Er und sein gar nicht komischer Sidekick ziehen durch den Regen und stellen sich einer unvorstellbaren Gewalt, die ihre Welt restlos erschüttert.
Ein Film Noir, und aus dieser Warte heraus ein guter! Man darf ihn nur nicht mit dem Buch vergleichen …
Literaturverfilmungen haben es nicht leicht. Gelungene Beispiele wie DER HERR DER RINGE oder DOKTOR SCHIWAGO sind gut und schön, aber die Regel ist das nicht. Und im Kriminal- bzw. Thrillergenre macht es das Gesetz der Serie nicht einfacher: Wie, bitte schön, verfilmt man den ersten Teil einer erfolgreichen Thrillerromanserie so, dass die Fans einen hohen Wiedererkennungseffekt haben, sich dabei aber nicht langweilen, und diejenigen, denen der Roman unbekannt ist, sich trotzdem zurechtfinden? Wie es am Beispiel der Serie um den dänischen Kommissar Carl Mørck betrachtet werden kann. Die Romane von Jussi Adler-Olsen sind unglaublich erfolgreiche, spannende und düstere Thriller, die sich erstklassig lesen, und in den Jahren ab 2007 überall die Bestsellerlisten dominierten. Und die durch ihre Art und ihren Erfolg vor allem nach einer Verfilmung geradezu schrien. ERBARMEN ist nun der erste Teil dieser Serie.
Nach einem extrem misslungenen Einsatz mit dem Ergebnis eines toten und eines querschnittsgelähmten Kollegen muss Kommissar Mørck die Mordkommission verlassen. Weil er aber ein guter, durch seine miefige Art wenngleich auch extrem unbeliebter, Polizist ist, bekommt er ein eigenes Dezernat, das Sonderdezernat Q: Im untersten Keller gelegen, darf er alte, unaufgeklärte Fälle, sortieren und ablegen. Nicht lösen, wohlgemerkt! Nur ablegen. Als Hilfskraft bekommt er Assad, einen Syrer aus der Registratur (der im Roman, wenn ich mich richtig erinnere, sogar eine Putzkraft war). Doch gleich die erste Akte zieht Mørck in seinen Bann: Vor fünf Jahren verschwand die junge und aufstrebende Politikerin Merete Lynggaard spurlos von einer Fähre, vermutlich Selbstmord, und dem erfahrenen Kriminalisten Mørck fallen sofort mehrere Ungereimtheiten ins Auge. Wer nimmt denn seinen schwerbehinderten und geliebten Bruder mit auf ein Schiff, wenn er vor hat sich gleich umzubringen? Und während Mørck und Assad mühsam versuchen zu ermitteln, erfährt der Zuschauer parallel nach und nach, dass Merete noch lebt. Aber nicht mehr lange …
Meiner Frau, die die Romane nicht kennt, hat es gefallen, also kann es nicht schlecht sein! Ich für meinen Teil habe die Romane verschlungen, und sitze dann hin- und hergerissen vor der Glotze: Mørck ist zu jung. Assad ist zu groß und vor allem nicht geheimnisvoll genug. Die Komplexität eines 600-Seiten-Romans wird auf anderthalb Stunden komprimiert, was (für den Kenner) zwangsläufig zu Frustrationen führt. Die tief im Alltag verankerte Brutalität des Romans flöten geht zugunsten einer pathetischen Langsamkeit, die sich in erster Linie in rätselhaften Blicken äußert. Das Verhältnis zwischen Mørck und Assad, die Kabbeleien, die tiefe Einsamkeit und die Misanthropie Mørcks, wo sind sie? Die Machart ist stark an amerikanische Thriller angelegt, was nichts anderes bedeutet, als dass die beiden Hauptfiguren fast aus dem Stand heraus als gut funktionierendes Ermittlerteam gezeigt werden, als echte Buddys also, die wie im großen Vorbild gut miteinander funktionieren und sowas ähnliches wie Lebensgefährten sind. Von den Schwierigkeiten Assads, den Panzer Mørcks zu durchdringen, erfahren wir nur in ein oder zwei Sätzen, von den Problemen Mørcks mit Assad noch viel weniger.
Das Kernproblem ist halt wirklich, diesen komplexen und psychologisch gut aufgebauten Roman in dieses kleine Anderthalbstunden-Format zu zwängen. Und da hätte es entweder einen Regisseur mit Vision benötigt (ich werfe jetzt mal jemanden wie David Fincher in den Ring, der die schwedische Konkurrenz mit VERBLENDUNG deutlich auf die Plätze verwies), oder eine erheblich längere Laufzeit. Vielleicht sogar so etwas wie eine Fernsehserie, um die psychologischen Hintergründe und die horizontalen Erzählstränge abzubilden. Denn abgesehen von dieser gewissen Weichgespültheit für den Mainstream, die bei den Hauptfiguren die Ecken und Kanten massenkompatibel abschleift, abgesehen davon ist der Geist des Romans durchaus getroffen. In Dänemark ist es düster oder es regnet. Oder beides. Die Häuser sind schmutzig oder modern. Oder beides. Und die Vorgesetzten sind stichwortgebende Sidekicks, die zu nichts anderem nützen als den Widerborst der Polizisten heraus zu locken.
Trotzdem, meiner Frau hat es gefallen, und sie bedrängt mich eingehend, die anderen Teile auch sehen zu wollen. Also scheint dieses Konzept im Film gut zu funktionieren, und ich muss auch zugeben: Ich bin sehr gespannt auf die nächsten Teile! Die dann bereits eingeführten Charaktere dürften mehr Raum zur Entfaltung bekommen, und irgendwie bin ich ja doch angefixt. Obwohl ich vorwiegend Negatives zu schreiben habe, trotzdem will ich weitersehen. Will ich in diese düstere und brutale Welt absteigen. Irgendwas hat Regisseur Mikkel Nørgaard also richtig gemacht!
Und noch ein Trotzdem: Wenn man jetzt einmal die Romanvorlage beiseitelässt, und den Film als Standalone hernimmt, dann fällt recht schnell auf, dass der Regisseur Mikkel Nørgaard streng genommen nichts anderes auf die Beine gestellt hat als einen klassischen Noir. Wir haben hier einen Helden, dessen Seele zerbrochen ist. Der sich fluchend und seinen Zynismus tief auslebend durch die Welt schleppt, der kein Familienleben hat (und das bisschen, das er hat, ist dysfunktional), der im Job als Arschloch gilt, und dessen einziger Freund der Whisky ist. Dieser „Held“ bekommt einen gesellschaftlichen Außenseiter an die Seite und darf sich um Dinge kümmern, die zum Zeitpunkt der Handlung keine Sau interessieren: Uralte und nicht abgeschlossene Fälle für das Archiv. Der Held zeigt seinen Vorgesetzten also den erhobenen Mittelfinger und macht alles das, was er eigentlich gar nicht machen darf. Er ermittelt, er weckt schlafende Hunde, er stört die Friedhofsruhe einer gut eingespielten Bürokratie, und er lässt sich nicht einschüchtern. Er und sein gar nicht komischer Sidekick ziehen durch den Regen und stellen sich einer unvorstellbaren Gewalt, die ihre Welt restlos erschüttert.
Ein Film Noir, und aus dieser Warte heraus ein guter! Man darf ihn nur nicht mit dem Buch vergleichen …