bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Euer Filmtagebuch, Kommentare zu Filmen, Reviews

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Der kleine Horrorladen
Mr. Mushnik (Vincent Gardenia) hat mit Abstand den miesesten Blumenladen in der ganzen Stadt. Sein Gehilfe Seymore (Rick Moranis) schmachtet in seinem Kellerzimmer nach der kessen Verkäuferin Audrey (Ellen Green). Die wiederum verzehrt sich nach dem sadistischen Zahnarzt Orin Scrivello (Steve Martin). Alles geht seinen Gang, nichts läuft, bis Audrey II auftaucht, eine niedliche Pflanze die bald zum Einfamilienhaus-Format heranwächst. Das Geschäft blüht und Audrey II wartet groß, grün und gefräßig auf Menschenfleisch...
Mit Musicals und somit auch Musical-Filmen kann man mich normalerweise jagen, sind sie doch in der Regel ein Garant für den absoluten Kitsch-Overkill. Da wird aus allem eine schwülstige Sing- und Tanznummer gemacht und jede Geschichte bis zur Unkenntlichkeit durch den Familientauglichkeitsfleischwolf gedreht, glattgebügelt bis zum Gehtnichtmehr. Pomp und Oberflächlichkeit gehen miteinander einher und schamlos werden alle Klischees totgeritten, dass sich mir bei „Grease“ & Co. der Magen umdreht.

Doch gibt es einige wenige Produktionen, die andere Wege beschreiten und ich daher von meiner Warte aus als „Anti-Musicals“ bezeichnen möchte. Zum einen wäre da beispielsweise die „Rocky Horror Show“, die die immer stark homophil anmutenden Geschmacksverirrungen gängiger Musicals grotesk überzeichnet und eine bizarre, in allen Belangen übers Ziel hinausschießende Edeltrash-Transvestitenparty zelebriert. Ein weiterer, mir sehr an Herz gewachsener Vertreter ist „Der kleine Horrorladen“, eine Verfilmung des gleichnamigen Musicals, das wiederum auf Roger Cormans schrägem B-Movie „Little Shop of Horrors“ aus dem Jahre 1960 basiert. Der Film stammt aus dem Jahre 1986 und die Regie führte niemand Geringerer als der neben Jim Henson zweite Muppets-Vater Frank Oz, der zuvor darüber hinaus mit Henson bereits das sehr gelungene, ernsthaftere Fantasy-Abenteuer „Der dunkle Kristall“ realisierte.

Zeitlich in den ausklingenden 1950er Jahren angesiedelt, wird die Geschichte einer außerirdischen Pflanze erzählt, die einem chronisch erfolglosen Blumenladen in einem unwirtlichen Viertel einer US-amerikanischen Großstadt zu Ruhm und Erfolg verhilft, sich aber bald als fleischfressendes, rasant wachsendes Ungetüm entpuppt, das vom trotteligen Loser Seymour (Rick Moranis, „Ghostbusters“), der sich von Ladenbesitzer Mr. Mushnik (Vincent Gardenia, „Der Himmel soll warten“) ausbeuten lässt, regelmäßig gefüttert werden will. Seymour wiederum ist unglücklich verliebt in seine Kollegin Audrey (Ellen Green, „Jung, weiblich, gnadenlos“), tauft die Pflanze kurzerhand „Audrey II“ und wittert seine Chance, doch noch bei „Audrey I“ zu landen. Doch diese ist mit dem sadistischen Zahnarzt Orin Scrivello (Steve Martin, „Bowfingers große Nummer“) liiert...

Ja, in prächtigen Kulissen steigert „Der kleine Horrorladen“ zahlreiche 50ies-Klischees bis ins Absurde, seien es die Geschlechterrollen oder soziale Hierarchien und selbstverständlich die phantastischen B-Movies jener Zeit, und überzeichnet seine Charaktere zu wandelnden Reliefs grober Skizzierungen, aus denen die Protagonisten moderner Märchen sind. Da wird Seymour vom geizigen, ausbeuterischen Mr. Mushnik aus dem Waisenhaus geholt und ergibt sich widerspruchslos in sein trauriges Schicksal, da lispelt Audrey als naives Blondchen und träumt später mit Seymour von einem den spießigen „Pleasentville“-Vorstellungen des Jahrzehnts entsprechenden Eheleben und da wird Seymour vom erbarmungswürdigen Verlierer zum gefragten Mann – und eben zum Mörder.

Denn im Prinzip ist „Der kleine Horrorladen“ eine Horrorkomödie, immerhin werden hier Menschen an eine außerirdische Lebensform verfüttert. Blut und Innereien bekommt man aber natürlich nicht zu sehen; stattdessen erfreut man sich an einer (bzw. strenggenommen waren aufgrund ihres Wachstumsprozesses mehrere) aufwändig manuell animierten Pflanzenpuppe, die nie unbeweglich wirkt, sondern der Oz mit seiner diesbezüglichen Erfahrung menschliche Züge einhauchte und ein bizarres Wesen schuf, das den teils anarchisch wirkenden Muppets in nichts nachsteht bzw. sie sogar noch übertrumpft. Und spätestens, wenn „Audrey II“ gemäß des Musicalkonzepts selbst zu singen beginnt, bleibt kein Auge trocken. Drei dunkelhäutige Mädels tauchen immer wieder unvermittelt auf, führen singend durch die Handlung und verdeutlichen bereits zu einem frühen Zeitpunkt, auf welch hohem Niveau sich das musikalische Repertoire dieses Films befindet. Soulige und rock’n’rollige Nummern gehen nicht nur ins Ohr, sondern auch ins Bein und werden perfekt choreographiert von den Charakteren mit unvergleichlicher Spielfreude vorgetragen. Die Songs sind hier kein langweiliges Füllmaterial, sondern unvergessliche Höhepunke, technisch einwandfrei, wortgewandt und -witzig und zum Teil herrlich schrill.

Beispielsweise sei an Steve Martins unnachahmliche Darbietung „Son, be a Dentist“ erinnert, der seinen Part inbrünstig als lachgassüchtiger Sado-Zahnarzt interpretiert und Bill Murray („Und täglich grüßt das Murmeltier“) als masochistischen Patient bekommt. Weitere Nebenrollen wurden mit nicht minder bekannten Namen wie John Candy („Ferien zu dritt“) und James Belushi („Der Verrückte mit dem Geigenkasten“) besetzt. Getragen jedoch wird „Der kleine Horrorladen“ vorrangig von Rick Moranis in seinem Zusammenspiel mit der furiosen Pflanzenkreatur, was entscheidend dazu beiträgt, dass Frank Oz’ Film von der ersten bis zur letzten Sekunde kurzweilige, extrem humorvolle Unterhaltung auf hohem Absurditäten-Niveau und mit der gewohnten Detailverliebt- und sympathischer Verrücktheit bietet, die ihn zur aberwitzigen Musical-Karikatur, in jedem Falle aber zum Kultfilm machen, den jeder mindestens einmal gesehen haben sollte – ganz gleich ob Musicalhasser oder -liebhaber.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Nach "Der kleine Horrorladen" folgte "Die Reise ins Labyrinth". Hier meine älteren Notizen:

Man nehme Jim Hensons verrückte Puppenfiguren, Ex-Monty-Python Terry Jones' abgefahrene Ideen, David Bowies Musik sowie ihn selbst als Bösewicht und die niedliche Jennifer Connelly als Hauptdarstellerin, rühre unter Zugabe von 80er-Fantasy-Flair kräftig durch und... heraus kommt ein verspielter, detailverliebter Fantasy-Film für die ganze Familie, der so unheimlich liebevoll mit einem gewissen pädagogischen Understatement inszeniert wurde, dass es auch heute noch eine wahre Freude ist. "Die Reise ins Labyrinth" strotzt nur so vor skurrilen Gestalten in einer bizarren Welt, dass jeder, der sich noch etwas kindliche Begeisterungsfähigkeit bewahrt hat, diesen Film, der sicherlich einen der Höhepunkte in Hensons Schaffen markiert, in sein Herz schließen wird. Ich zumindest sah ihn mit 30 Jahren zum ersten Mal und wurde erstklassig unterhalten.
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Sssssnake Kobra
Der Student David Blake (Dirk Benedict) sucht sich als Job ausgerechnet eine Stelle im Labor Dr. Stoners aus, der Forschungen an Schlangen betreibt. Passenderweise betrachtet der Doktor seinen jungen Assistenten auch gleich als mögliches Versuchsobjekt für sein neuentwickeltes Serum, daß einen Menschen in ein Schlangenmonstrum verwandeln kann. Leider läßt sich das Ergebnis nicht so gut kontrollieren wie gedacht...
Achtung: Enthält Spoiler!

Viel mehr Mad-Scientist- denn Tierhorror ist US-Regisseur Bernard L. Kowalskis Film „Sssssnake Kobra“ aus dem Jahre 1973, den ich irgendwann – es müsste Anfang der 1990er gewesen – auf einem deutschen Privatsender sah. Meine Erinnerung konnte ich dank der hervorragenden DVD-Veröffentlichung von Koch Media auffrischen.

Dr. Stoner (Strother Martin, „Schwingen der Angst“) stellt den Studenten David (Dirk Benedict, niemand Geringerer als „Faceman“ aus dem „A-Team“!) als Aushilfe für sein Labor ein, hegt aber den sinisteren Plan, ihn mittels eines Serums langsam in eine biologische Neuschöpfung zu verwandeln – eine Kreuzung aus Humanoid und Königskobra.

„Sssssnake Kobra“ ist ein schöner US-B-Movie aus den Siebzigern, der in gemächlichem Tempo eine Menge altertümlicher Wohlfühlatmosphäre verströmt und seine krude Idee durch, wenn auch durchschaubare, doch sehr gelungene Masken- und Make-up-Effekte visualisiert, die, sparsam dosiert, die Höhepunkt des Films darstellen. Erfreulich und ungewöhnlich ist die differenzierte Charakterisierung Dr. Stoners, der keinesfalls als klar erkennbarer Bösewicht erscheint, sondern aus nachvollziehbaren Gründen mit der selbstzerstörerischen Menschheit hadert, von der er sich weitestgehend abgekapselt hat, um sich in seine Forschung zu stürzen und sich seiner Schlangensammlung zu widmen – sein „Harry“ getauftes Exemplar hält er gar liebevoll als Haustier. Diesem kauzigen Mann traut man ein derartiges Vorhaben gar nicht so recht zu, was durchaus für eine gewisse unwohlige Gänsehaut sorgt. Die eingeflochtene Romanze zwischen David und Dr. Stoners Tochter Kristina (Heather Menzies) verschärft das Konfliktpotential zusätzlich.

Lange Zeit passiert nicht wirklich viel, doch der Spielraum, die Charaktere dem Zuschauer näherzubringen, wird gut genutzt, auch die Dialoge unterschreiten nie ein gewisses Niveau. Die erste Konfrontation mit einem Mensch/Schlangen-Hybrid, die man als Zuschauer zunächst noch nicht richtig zuordnen kann, findet im Rahmen einer Freakshow auf einem Rummelplatz statt und ist schon ein kleiner Schocker. Im Finale zieht das Tempo dann ordentlich an, wobei die finale Verwandlung in eine äußerlich herkömmliche Schlange reichlich eigenartig anmutet, hatte man doch eher mit einem Mutantenwesen gerechnet. Der Abspann setzt sodann auch sehr abrupt ein und lässt uns über das endgültige Schicksal der David-Schlange im Unklaren, setzt dafür aber Heather Menzies als „Scream Queen“ gut in Szene.

Für Schlangenliebhaber ist „Sssssnake Kobra“ in jedem Falle erste Wahl, schließlich wurde mit zahlreichen echten Giftschlangen gedreht. Faszinierende Wesen, die die heimlichen, allgegenwärtigen Hauptdarsteller sind. Ihre menschlichen Kollegen durften dabei keinerlei Scheu vor diesen Tieren haben, denn immer wieder kommt es zu direktem Kontakt. Das Zusammenspiel zwischen Mensch und Tier ist hier ausgezeichnet geglückt, nichts wirkt billig improvisiert oder herbeigetrickst.

Unterm Strich ist „Sssssnake Kobra“ sicherlich kein Genre-Highlight, aber gewiss ein kleiner Geheimtipp für Freunde des eigenständigen, sorgfältig inszenierten B-Horrors jenes Jahrzehnts, die sich zudem für züngelnde Kriechtiere erwärmen können. Mich hat Kowalskis Film, der zudem einen sehr stimmigen Klaviersoundtrack für sich verbuchen kann, gut unterhalten und sich mit einigen Bildern in meinem Gedächtnis festgesetzt, weshalb ich guten Gewissens eine Empfehlung für Genrefans aussprechen kann. „Sssssss….“
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Thirst
Eine junge, sympathische Karrierefrau gerät in die teuflischen Fänge eines modernen, weltweiten Vampir- Syndikats. In einer gigantischen, als Forschungsklinik getarnten Blutbank wird sie einer systematischen, ausgeklügelten Gehirnwäsche unterzogen. Mit aller Gewalt soll sie daran glauben, die natürliche Erbin jener Verschworenen zu sein, die ihre Lebenskraft aus menschlichem Blut gewinnen.
Regisseur Rod Hardy, der in erster Linie für TV-Serien tätig war, überraschte mich mit seinem modernen Vampirfilm „Thirst“, einer australischen Produktion aus dem Jahre 1979. Kate Davis wird jäh aus ihrem Alltag gerissen, als eine aus Vampiren bestehende Geheimgesellschaft auf sie aufmerksam wird, da sie eine Nachfahrin der blutrünstigen Gräfin Bathory sein soll. Man dringt in ihr Privatleben ein und konfrontiert sie immer wieder mit menschlichem Blut, um an ihre verborgenen Gelüste zu appellieren und entführt sie gar in ein absonderliches Camp, dem eine Art Blutfabrik angeschlossen ist. Dort werden Menschen wie Vieh gehalten denen das Blut abgezapft, aufbereitet und den Mitgliedern des elitären Bundes als Nahrung zur Verfügung gestellt – keimfrei, pasteurisiert und homogenisiert.

„Thirst“ benutzt das klassische Vampir-Thema lediglich als Aufhänger für seine moderne Adaption und zeigt eine von der Öffentlichkeit unbemerkt agierende Blutindustrie, in der gutsituierte Vampire gezielt Menschen unterjochen, ihnen im wahrsten Sinne des Wortes das Leben aussaugen und auf der Suche nach jungen, neuen Mitgliedern sind. Wie apathisches Melkvieh erscheinen ihre Opfer, die dem einzigen Zweck dienen, ihren Herren wertvollen Lebenssaft zu „spenden“ und sie damit am Leben zu erhalten. Hardy zeigt den verzweifelten Kampf Kates gegen eine übermächtige Kaste, eine elitäre Dynastie, die tief in den Machtstrukturen der Gesellschaft verwurzelt ist. Durch beständigen Psychoterror soll sie gefügig gemacht werden, um sich der gemeinsamen Sache unterzuordnen.

Von Gothic-Horror oder Blutsauger-Romantik fehlt jede Spur in diesem innovativen Genrefilm. Bewusst modernistisch und mit einer vollkommen ironiefreien Ernsthaftigkeit setzt er sein Konzept um, das wie eine finstere Parabel auf die Industriegesellschaft wirkt. Die Härte des Films entsteht aus seiner unnachgiebigen Konsequenz, nicht aus blutigen Effekten, über die er selbstverständlich auch verfügt. Die Konditionierung Kates hin zum vollwertigen Mitglied der speziellen Gesellschaft ist beschlossene Sache, lediglich die Mittel werden zwischen dem liberalen Dr. Fraser (David Hemmings, „Profondo Rosso“) und der bärbeißigen Mrs. Barker (Shirley Cameron) diskutiert – was bereits zu handfesten Konflikten führt. Beinahe, als würden sich zwei oppositionelle Parteien streiten, die dennoch das gleiche Endziel anstreben.

Dabei bedient sich „Thirst“ der Stilmittel wirkungsvoller Paranoia-Psycho-Thriller, indem er seinem Opfer keinen sicheren Rückzugsort gönnt und seine Peiniger allgegenwärtig und übermächtig erscheinen lässt. Chantal Contouri bemüht sich dabei redlich um eine nachvollziehbare Darstellung ihrer unwirtlichen Situation, lässt es aber etwas an Nachhaltigkeit vermissen. Mrs. Barker und Dr. Fraser stehlen ihr derweil die Show, handelt es sich doch zudem aufgrund der mangelnden Charakterisierung Kates um die interessanteren Figuren. Dafür wirkt sie aber sympathisch und vor allem hilflos genug, um die Empathie des Zuschauers zu gewinnen. Mit Henry Silva („Der Teufel führt Regie“) wurde gar eine kleinere Nebenrolle memorabel besetzt. Die größte Stärke ist neben der kreativen Idee die Dramaturgie des Films, die die Spannungsschraube bis zum Schluss angezogen hält, Realität und Paranoia auch für den Zuschauer ineinander verschwimmen lässt und zum rasanten Ende hin einen Plottwist nach dem anderen bereithält. Stärker herausgearbeitet hätte werden dürfen, was genau der Blutkonsum bedeutet und weshalb Kate auf ihn nicht angewiesen ist.

Ein intelligenter Genrebeitrag aus „Down Under“ mit Ecken und Kanten, keinesfalls perfekt und letztlich auch nicht alle Fragen beantwortend, aber auf relativ hohem Niveau und mit diversen Alleinstellungsmerkmalen gesegnet, die ihn auch heutzutage nicht nur für Genrefans interessant machen, zumal die Faszination für Vampirthemen nach wie vor ungebrochen scheint. Wer modernen, entromantisierten Vampiren, denen offensichtlich weder Knoblauch, noch Sonnenlicht oder Kruzifixe etwas anhaben können, in einem klinischen, kalten Umfeld, das sich dann doch gar nicht so sehr von unserem Alltag unterscheidet, etwas abgewinnen kann, sollte „Thirst“ eine Chance einräumen – einen höheren Bekanntheitsgrad hätte dieser feine Film jedenfalls verdient.
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The Last Broadcast
`Fact or Fiction` ist eine harmlose Show im Kabelfernsehen. Die Moderatoren Steven Avkast und Locus Wheeler haben es bei Jugendlichen schon fast zum Kult-Status gebracht. Als die Quoten nachlassen, planen sie eine Episode über den `Jersey Devil`. Zu viert machen sie sich auf die Suche nach dem Teufel von Jersey. Per Internet sind die Zuschauer live dabei. Dann bricht plötzlich die Verbindung für 45 Minuten ab und was danach zu sehen ist, ist ein Blutbad. Zwei Tote, ein Verschwundener. Was ist passiert? Die Polizei braucht Tage um die Leichenteile zu finden. Die Gerichtsmedizin braucht vier Tage, um sie wieder zusammenzusetzen. Die Jury braucht nur eineinhalb Stunden, um Jim Suerd zu lebenslanger Haft zu verurteilen. Sie haben nun ihren Mann. Alle Beweise sprechen gegen ihn. Doch dann stellt der Regisseur David Leigh die entscheidende Frage: `Hat Jim es wirklich getan?`
Huch, ganz so innovativ waren Daniel Myrick und Eduardo Sanchez mit ihrem „Blair Witch Project“ anscheinend dann doch nicht, denn nur ein Jahr zuvor – 1998 – veröffentlichten die US-Amerikaner Stefan Avalos und Lance Weiler mit „The Last Broadcast“ eine „Mockumentary“, also einen Realismus suggerienden, aber vollkommen fiktiven Dokumentarfilm, welcher ebenfalls junge Menschen auf der Suche nach einer finsteren, alten Sage in einen dunklen Wald schickt und mit vermeintlichen Original-Handkameraaufnahmen arbeitet.

Mit Minimalst-Budget wird zunächst im Stile von TV-Dokumentarserien, die spektakuläre oder rätselhafte Mordfälle zum Thema haben und in erster Linie aus Interviews mit Ermittlern, Gerichtsmedizinern und anderen Beteiligten bestehen, die Geschichte zweier freakiger Privatfernsehen-Moderatoren erzählt, die mit „Fact or Fiction?“ eine kleine, sich mit außergewöhnlichen Phänomenen beschäftigende Sendung betreiben. Als man, um mit der Zeit zu gehen, moderne Kommunikationsmedien wie das Internet in die Sendung integriert, wird im Chat der anonyme Vorschlag geäußert, sich doch einmal der Legende des „Jersey Devils“ anzunehmen. Im Zuge der Arbeiten an diesem Projekt tut man sich mit weiteren Leuten zusammen, von denen nach dem live im Internet ausgestrahlten Waldbesuch nur Jim Suerd lebend zurückkehrt – und wegen Mordes an den anderen Teammitgliedern verurteilt wird, woraufhin er sich das Leben nimmt.

Soweit die Prämisse des Films, der ausschließlich mit Laiendarstellern arbeitet, denen man aber soviel Improvisationsraum einräumte, dass ihre Darbietungen – insbesondere die der verschiedenen „Experten“ während der Interviewsequenzen – tatsächlich sehr realistisch wirken. Im Rahmen der „Mockumentary“ wird der Fall neu aufgerollt und die Frage nach der tatsächlichen Schuld Suerds laut. Hierzu wird das mit Handkameras gefilmte Videomaterial des Teams analysiert, auch das zuvor verschollene und währen des Gerichtsverfahrens noch nicht vorliegende Material ist mittlerweile aufgetaucht – „Blair Witch Project“ lässt grüßen. Das Material befindet sich in einem desolaten Zustand und wird aufwändig aufbereitet, um Rückschlüsse auf die wahren Ereignisse jener Nacht zuzulassen und Antworten auf die vielen offenen Fragen zu finden.

Dies ist der Punkt, ab dem „The Last Broadcast“ hauptsächlich mit den auf alt und kaputt getrimmten Aufnahmen arbeitet, die ebenfalls an Realismus nichts zu wünschen übrig lassen. Spätestens hier stellt sich auch der typische „Blair Witch“-Grusel ein – zumindest bei denjenigen, die offen für diese Art von Horrorfilm sind. Wirklich zu sehen bekommt man hier eben nichts, was die Spannung und die Furcht vor dem Unsichtbaren geschickt steigert. Durch den gesamten Film zieht sich die Internet-Aufbruchsstimmung der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre; die „Fact or Fiction?“-Crew wird als richtungweisend und technikaffin dargestellt, die mit ihrem Pioniergeist die Internet-Technologie in ihr Konzept einarbeitet. Wo aber mitten im Pinienwald der Internetanschluss herkommt, erklärt der Film nicht. Heutzutage kein Problem, aber 1998...? Der Postproduktion des Films wird man mit diesem Begriff eigentlich nicht gerecht, denn nicht zuletzt aufgrund des geringen Budgets wurden die Handkameraaufnahmen am Computer stark nachbearbeitet, angepasst und verfremdet – und zwar ebenfalls auf hohem Niveau, jeder Anflug von Realismus zerstörendem CGI-Gepixele bleibt außen vor.

Für die Auflösung und Schlusspointe warf man dieses Konzept allerdings über den Haufen, verließ sowohl die TV-Dokumentarserien- als auch die Handkamera-Ebene und wechselt überraschend von einer auf die andere Sekunde zu einer eindeutig fiktiven Filmebene. Mit der zuvor bereits mehr oder weniger subtil integrierten Kritik sowohl an der Manipulierbarkeit der Justiz als auch der Rolle der Medien in solch spektakulären Fällen wollte man sich nicht begnügen und untermauert letztgenannte Aussage mit dem Holzhammer. Das irritiert stark und ich weiß immer noch nicht so recht, was ich davon halten soll. Einerseits ist es natürlich angenehm, dass nicht alles diffus im Dunkeln bleibt, andererseits wäre die Wirkung des Films ohne Aufgabe des Konzept sicherlich stärker gewesen und hätte zu einem homogeneren Gesamteindruck geführt. Diesen Fehler beging „Blair Witch Project“ nicht und setzte im Vorfeld stark auf die Aufrechterhaltung des Dokumentarstils, statt diesen einstürzen zu lassen wie ein Kind seine Bauklotzbauten.

Da bei „The Last Broadcast“ gar keine echten Filmkameras zu Einsatz kamen, entschied man sich letztlich auch aus Kostengründen dagegen, ihn auf 35 mm zu kopieren, stattdessen verteilte man ihn in digitaler Form. Damit war man ebenfalls Vorreiter einer heute gängigen Verfahrensweise der Verleiher, die damals zu diesem kreativen, experimentellen Film hervorragend passte.
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Kentucky Fried Movie
Komischer Episodenfilm mit loser Verbindung der einzelnen Elemente als Teil eines Tagesfernsehprogramms. Parodiert werden u.a. Katastrophenfilme, Pornofilme, Blaxploitation, Eastern, Werbespots, Reportagen, Tiersendungen, Ansagen, Spionagefilme, Trailer und Nachrichtensendungen. Die Beiträge sind alle von unterschiedlicher Länge, als längstes Element dient die Bruce-Lee/007-Parodie "A Fistful of Yen", die etwa 35 Minuten lang ist.
„Kentucky Fried Movie“ aus dem Jahre 1977 ist das Debüt der US-Komödienschmiede Zucker/Abrahams/Zucker, die später u.a. mit der „Die nackte Kanone“-Reihe Weltruhm erlangte. Als Regisseur verpflichtete man den Jungen John Landis („American Werewolf“, „Bloody Marie – Eine Frau mit Biss“). Zu den Darstellern zählen neben diesen vieren u.a. Donald Sutherland („Die Körperfresser kommen“) und Leslie Nielsen („Die nackte Kanone“).

Ist der Klamauk- und Slapstick-Humor späterer ZAZ-Produktionen nun nicht unbedingt der meinige, gefällt mir dieses Frühwerk, für das man sich gar nicht erst um eine Rahmenhandlung bemühte und stattdessen Sketch an Sketch in unterschiedlichster Länge reihte, aufgrund seiner extremen Kurzweiligkeit einerseits, aber auch erfrischender Frechheit andererseits recht gut. Inhaltlich handelt es sich um eine Kino- und TV-Satire, die zahlreiche Formate und Genres persifliert. Am herausragendsten ist dabei die Eastern-Parodie „Für eine Handvoll Yen“ des fiktiven Produzenten „Samuel L. Bronkowitz“, die mit einer guten halben Stunde die längste Spielzeit einnimmt und damit nicht nur ein Fake-Trailer, sondern ein richtiger Film im Film ist, der zudem äußerst professionell und mit echten Kampfsportlern umgesetzt wurde.

Weitere Höhepunkte sind meines Erachtens die bereits erwähnten Fake-Trailer für weitere „Samuel L. Bronkowitz“-Produktionen wie den Sleazefilm „Katholische Schulmädchen in Not“, den Katastrophenfilm „That’s Armageddon!“ oder den Blaxploitation-Kracher „Cleopatra Schwartz“. Darüber hinaus gibt es viele Seitenhiebe auf schwachsinnige TV-Shows, die aber längst von der Realität eingeholt wurden. Je weniger der Humor parodistischer Natur ist, desto einfacher ist er und verlässt sich häufig auf nackte Tatsachen, indem man die Darsteller gern oben ohne präsentiert. Diese Mischung garantiert letztlich aber vermutlich eine breite Massenakzeptanz und lässt sich ebenso gut konsumieren wie ein altes „Mad“-Heft.
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Die Hand
Der Comic-Zeichner Jon Lansdale (Michael Caine) verliert durch einen Autounfall seine Hand. Arbeitsunfähig und voller Depressionen fühlt er sich mehr und mehr von der Hand verfolgt.
Vom Regisseur von „Platoon“ und „Natural Born Killers“ erwarte ich eigentlich keinen langweiligen Film, doch genau das ist Oliver Stones Frühwerk aus dem Jahre 1981, „Die Hand“, leider über weite Strecken. Erzählt wird eine klassische Schauermär um Comic-Zeichner John Lansdale (Michael Caine, „Der weiße Hai IV – Die Abrechnung“), der bei einem Autounfall eine Hand verliert, die nie gefunden wird, fortan aber ein Eigenleben zu führen scheint...

Das Hauptproblem des Films scheint mir zu sein, dass er sich nie wirklich entscheiden kann, ob er Horrorfilm oder Psychothriller sein will und stattdessen in einer Angststarre verharrt, um den Überraschungseffekt der Auflösung nicht zu gefährden. Lansdale wälzt private Probleme, seine Ehe liegt in Schutt und auch beruflich sieht es schlecht aus. Statt Caines Rolle konsequent psychologische Tiefe zu verleihen, bleibt sein Charakter dem Publikum eher verschlossen. Die Identifikation mit Lansdale fällt schwer. Die Horrorszenen, in denen die animierte Hand zum Zuge kommt, wurden zwar tricktechnisch professionell umgesetzt und sind nett anzusehen, letztlich aber unspektakulär. Die Morde fielen wenig grafisch aus. Stone kann oder will keine Horroratmosphäre erschaffen; das extrem langsame Tempo erzeugt kaum Grusel, sondern wirkt einer enttäuschenden Einfallslosigkeit geschuldet. Letztlich erscheint der Film viel zu lange dröge und trocken, blutarm gleich in doppelter Hinsicht.

Nach einem zähen Verlauf kommt „Die Hand“ zum Ende hin endlich in Fahrt und beweist das Potential aller Beteiligten. Doch wurde der Zuschauer gerade erst mit dem Aha-Effekt im Finale versöhnt, das den Film deutlich aufwertet, zerstört eine aufgesetzt wirkende, misslungene Schlusspointe, die nicht zum Film passt, diesen guten Eindruck wieder – symptomatisch für den gesamten Film, denn auch hier fällt keine eindeutige Entscheidung zugunsten eines Psychothriller oder eines Horrorfilms bzw. wird sich gleich für beides entschieden und dafür jegliche innere Logik des Films über Bord geschmissen, die man bereits vorher nicht unbedingt allzu sehr hinterfragen hätte sollen.

Ich hatte mir wesentlich mehr von Stones Film versprochen und zücke sehr wohlwollende 5,5 Punkte, stelle aber fest, dass dieser leider Film nur Hand, nicht aber Fuß hat.
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Time Out – Richter der Zeit
Irgendwo in der nahen Zukunft wird der 15-jährige Vinnie Dawson fälschlicherweise des Mordes überführt. Statt zu einer Gefängnisstrafe wird er dazu verurteilt, künstlich 30 Jahre zu altern. Nach der klinischen Zwangsbehandlung ist er 45 Jahre alt und versucht verzweifelt, seine Unschuld zu beweisen, um die Alterung rückgängig zu machen. Er kommt durch ein Spiel in der virtuellen Realität auf die Spur des wahren Täters und muss sich nun zwischen seiner Jugend und seiner Liebe Darla entscheiden, die ihn als 45-jährigen Mann liebt.
„Time Out – Richter der Zeit“ ist eine US-amerikanische Science-Fiction-TV-Produktion aus dem Jahre 1998, Regie führte Michael Tuchner. Im Jahre 2020 werden Straftäter gerne mal geriatrifiziert, was bedeutet, dass sie nicht ins Gefängnis gesteckt, sondern um das Strafmaß künstlich gealtert werden. Das Verfahren ist umstritten und anscheinend nicht ganz frei von Nebenwirkungen. Es erwischt den 15-jährigen Vinnie Dawson (Hugh O’Conor, „RawHeadRex“), der justizirrtümlicherweise des Mordes an seinem Stiefvater verurteilt wird und fortan als 45-Jähriger (Robert Hays, „Katzenauge“) versucht, seine Unschuld zu beweisen.

Das wenig originelle Thema bietet immerhin Raum für die Ausarbeitung altersspezifischer Konflikte, mit denen ein 15-Jähriger im Körper eines 45-Jährigen konfrontiert wird. Nur gab es das schon allzu häufig und wurde vermutlich in den meisten Fällen interessanter umgesetzt als hier. Wirken bereits die Generationskonflikte, die der 15-Jährige Vinnie mit seinem Stiefvater hat, aufgesetzt und bemüht, nimmt man seine Geriatrifizierung zum Anlass für eine Romanze mit einer aus Sicht eines 15-Jährigen älteren Dame, die eindeutig in die Kategorie „nervig seicht“ gehört. Nebenbei bemüht man sich um ein wenig Thrill, wenn Dawson den wahren Mörder sucht, doch auch das wirkt alles flach und emotionsarm – als würde Dawson seine Situation zwar als irgendwie lästig empfinden, andererseits aber nicht als Grund für Gefühlsausbrüche betrachten. Kritik an dieser Art der justizialen Bestrafung wird zwar leise geübt, macht aber ebenfalls nichts aus ihren Möglichkeiten – eine nähere Auseinandersetzung mit der Technologie und ihren Gefahren, beispielsweise durch die Einbindung weiterer Opfer in die Handlung, findet ebenso wenig statt wie die Klärung der nicht ganz uninteressanten Frage, welche Auswirkungen es auf eine Gesellschaft hat, deren Mitglieder nicht mehr wissen können, ob sie einen älteren Menschen oder einen gealterten Straftäter vor sich haben.

Die heutzutage wenig ferne Vision des Jahres 2020 zielt in vielen Detailfragen daneben; durchaus etwas abgewinnen konnte ich aber den Videospielen, die Dawson und seine Freunde spielen und das komplette Eintauchen ihrer Charaktere in eine virtuelle Welt erlauben. Nach einem unspektakulären bis zähen Handlungsverlauf schien man sich daran zu erinnern, hiermit etwas tatsächlich annehmbar Futuristisches kreiert zu haben und verlagerte kurzerhand das Finale auf diese Ebene – was dem Zuschauer wiederum ins Gedächtnis ruft, es hier mit einem Science-Fiction-Film zu tun zu haben.

Fazit: Kaum geforderte Schauspieler in einem äußerlich technisch soliden, inhaltlich aber belanglosen und dramaturgisch drögen Science-Fiction-Abenteuer für gelangweilte Kinder, die am Sonntagnachmittag durch die Privatsender zappen. Nicht unerwähnt lassen möchte ich aber, dass Robert Hays als 45-jähriger Dawson bereits 50 Jahre alt war, aber sogar jünger als 45 aussah. Das ist doch wahre Science Fiction...
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Amazonen auf dem Mond oder Warum die Amerikaner den Kanal voll haben
Ein amerikanischer Fernsehsender zeigt den 50er Jahre Film "Amazonen auf dem Mond", in dem Erdastronauten auf der dunklen Seite des Mondes in die Fänge männerhassender Amazonen gelangen. Der Film wird laut Moderation ohne Unterbrechung gesendet. Und dies ist nicht einmal gelogen, zwar wird der gezeigte Film ständig durch andere Sendungen, Werbebeiträge, Filmvorschauen und ähnliches unterbrochen, der Film läuft in der Zwischenzeit aber ungeniert weiter, so dass sich der TV-Zuschauer nach den Zwischensequenzen immer in neuen Situationen des Science Fiction-Filmes zurechtfinden muss.
„Amazonen auf dem Mond“ ist die Quasi-Fortsetzung der Zucker/Abrahams/Zucker-Produktion „Kentucky Fried Movie“, die 1987, also zehn Jahre später, erschien. Die Produzenten waren diesmal andere, die Regie teilte sich John Landis („Michael Jackson’s Thriller“) mit Joe Dante („Das Tier“, „Gremlins“, „Meine teuflischen Nachbarn“), Carl Gottlieb („Caveman“), Peter Horton („Mississippi – Fluss der Hoffnung“) und Robert K. Weiss, doch das Konzept blieb weitestgehend dasselbe: Ein aneinandergereihtes Sketch-Feuerwerk. Nahm „Kentucky Fried Movie“ noch nahezu gleichberechtigt die TV- und Kinolandschaft aus Korn, beschränkt man sich nun aufs Fernsehen. Dafür gibt es so etwas wie eine Rahmenhandlung: In Art eines „Running Gags“ taucht immer wieder ein Rentner in Unterwäsche auf, der sich aus Versehen ins TV-Programm gezappt hat. Aufhänger des Films ist die 50ies-Science-Fiction-B-Movie-Parodie auf Filme wie „Cat-Women of the Moon“, „Bestie des Grauens“ oder „In den Krallen der Venus“, die hier den passenden Titel „Amazonen auf dem Mond“ verpasst bekam.

Diese alten Heuler wurden offensichtlich sehr genau beobachtet, denn die Parodie trifft den Nagel auf den Kopf. Doch nicht genug, dass man dem TV-Publikum der 1980er diese olle Kamelle vorsetzt, die Ausstrahlung hat zudem mit technischen Problemen zu kämpfen und wird immer wieder durch Werbung unterbrochen, die den Zuschauer zum Umschalten animiert – wobei er auf allerlei weitere Absonderlichkeiten stößt wie die von Henry Silva („Der Teufel führt Regie“) moderierte Mystery-Serie mit dem treffenden Titel „Bullshit or not?“, die „The Invisible Man“-Parodie „Son of Invisible Man“, bei der der Unsichtbare peinlicherweise gar nicht unsichtbar ist oder seelenlose Schwarze, die den Republikanern verfallen oder wie Don Simmons flache Liebesschnulzen für ein anspruchsloses weißes Publikum trällern – und Blues-Legende B.B. King dazu animieren, zur Hilfe für diese bemitleidenswerten Mitmenschen aufzurufen.

Das sind die Höhepunkte, die mir spontan einfallen, wenn ich an „Amazonen auf dem Mond“ denke, der mir sogar noch etwas besser als „Kentucky Fried Movie“ gefällt. Er ist noch kurzweiliger konsumierbar, da kein Sketch bzw. keine Parodie so raumfüllend ausfiel wie die Eastern-Verballhornung im Original, im Gegenteil: Die Szenen des titelgebenden, fiktiven 50ies-B-Movies hätten gern länger ausfallen dürfen. Generell habe ich den Eindruck, dass die wirklich flachen Witzchen seltener geworden sind und häufig makabrem oder bissigem Humor weichen, wie beispielsweise im Falle der Literaturkritikerrunde, die einen ihrer Zuschauer durch einen Verriss seines Lebens ins Grab bringt, die Beerdigung aber zu einer Comedy-Nummer ausartet. Doch auch nackte Haut – nicht nur bei „Son of Invisible Man“ – wird wieder gern gezeigt, z.B. wenn ein Nacktmodell auch den Alltag vorzugsweise ohne Kleidung bestreitet. Für die Besetzung konnte man neben den bereits genannten Silva und King u.a. auf Michelle Pfeiffer („Scarface“) zurückgreifen, Regisseur Peter Horton beteiligt sich ebenso wie Tittenfilm-Ikone Russ Meyer.

Fazit: Leicht gesteigertes Niveau, ebenso kultverdächtig wie sein Vorgänger, so temporeich, dass lange, bevor etwas langatmig werden könnte, bereits „weitergezappt“ wird und so abwechslungsreich, dass es schwer sein dürfte, konsequent an sämtlichen Geschmäckern vorbeizuzielen. Eine quietschvergnügte Mediensatire, sicherlich massenkompatibel, aber frech und respektlos genug, um nicht in die Belanglosigkeit abzurutschen. Auch hier möchte ich gern wieder den Vergleich mit einem guten, alten „Mad“-Heft anbringen.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

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Was?
Die junge Amerikanerin Nancy reist per Anhalter durch Europa. Vor den Handgreiflichkeiten einiger Papagalli flüchtet sie in eine italienische Villa am Meer, die einem ebenso alten wie schwerreichen Sonderling gehört. Die luxuriösen Räume werden von einer Schar exzentrischer Nichtstuer bevölkert, die lediglich noch von ausgefallenen Sex-Spielen motiviert werden können. Der ehemalige Zuhälter Alex zum Beispiel streift sich ein Tigerfell über und läßt seine Partnerin die Peitsche schwingen. Bereitwillig, aber ziemlich unbeteiligt, läßt Nancy alle Verrücktheiten über sich ergehen...
Nach seiner Macbeth-Inszenierung, aber noch vor „Chinatown“ drehte Roman Polanski („Rosemaries Baby“) mit „Was?“ 1972 einen Film in deutsch-französisch-italienischer Koproduktion, der bei seinen Fans und Kritikern für Stirnrunzeln sorgte. Äußerlich eine leichte, frivole, naive Sommerkomödie, ergibt die Handlung um die junge US-amerikanische Touristin Nancy (Sydne Rome, „Ein süßes Biest“), die in Italien vor Vergewaltigern in ein luxuriöses Anwesen flüchtet und dort auch auf allerlei verschrobene Klientel trifft, keinerlei Sinn.

Eine mögliche Interpretation ist laut Sekundärliteratur die einer Parodie auf die Sexfilme der 1970er, von denen ich aber zu wenig kenne, um das beurteilen zu können. Andererseits wird dafür in dieser an sich sehr schlüpfrigen Komödie dann doch zu wenig gevögelt – oder ist das bereits Teil der Parodie? Hält man sich nicht lange mit der Sinnfrage auf, lässt sich „Was?“ aber durchaus als leichter Sommerfilm genießen, der in sonnendurchfluteten Bildern eine stets mindestens halbnackte Sydne Rome durch die lasterhafte Dekadenz der dem schönen Leben frönenden Villenbewohner flitzen lässt, dabei Gestalten wie den tuntigen Alex (Marcello Mastroianni) kennenlernt, der mit ihr seine skurrilen Sexfetische auslebt, am zweiten Tag feststellt, dass sich viele Ereignisse déjà-vu-artig wiederholen und schließlich auf den todkranken Hausherren trifft, dessen Erbschaft anzutreten offensichtlich die degenerierte Menschenansammlung um ihn herum kaum erwarten kann. Brav notiert sie all das in kurzen Sätzen in ihr Tagebuch.

In seiner Ver- bzw. Entrücktheit hat „Was?“ beinahe etwas von „Alice im Wunderland“ bzw. geht gar weiter, wenn Dialoge keinerlei Sinn ergeben oder gar nicht erst stattfinden, weil die Protagonisten lediglich Monologe halten, Handlungsstränge nur scheinbar aufgegriffen werden, denn im weiteren Verlauf kommen sie überhaupt nicht mehr vor, und wann immer der Zuschauer glaubt, einen roten Faden erkennen zu können, er schnell wieder Lügen gestraft wird. Möglicherweise ist dies auch Polanskis Art, das sinnbefreite, parasitäre Leben dekadenter Reicher aufs Korn zu nehmen. Wie auch immer dem sei, nicht zuletzt aufgrund seiner guten Schauspieler (u.a. Polanski mit blauem Auge) macht es Spaß, dem debilen Treiben zu folgen und dass es eben ein Polanski ist, macht die irritierende Sichtung auf ihre Weise interessant.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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