bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Sonne, Sand und heiße Schenkel
Die hübsche Angela (Gloria Guida) genießt alle Freiheiten, die ihr Leben so mit sich bringt. Ihr alleinstehender Vater ist beruflich viel unterwegs und so kann Angela tun und lassen was sie will. Diese Freiheit scheint jedoch ernsthaft in Gefahr zu geraten als ihr Vater die attraktive Irene (Dagmar Lassander) kennenlernt. Angela hat panische Angst davor, eine Stiefmutter zu bekommen und versucht alles, um die neue Freundin des Vaters so schnell wie möglich loszuwerden...
Um es gleich vorwegzunehmen: Der Film „Sonne, Sand und heiße Schenkel“ des italienischen Regisseurs Silvio Amadio („Amuck“) aus dem Jahre 1975 ist ebensowenig eine seichte Sleazeklamotte wie Fernando Di Leos „Oben ohne, unten Jeans“, dem bei der deutschen Titelgebung ein ähnliches Schicksal widerfuhr. Der englische Titel „So Young, So Lovely, So Vicious…“ trifft es da wesentlich besser, handelt es sich schließlich um ein Erotikdrama, das es durchaus in sich hat.

Backfisch Angela (Gloria Guida, „Oben ohne, unten Jeans“) sieht ihr sorgloses Lotterloben bedroht, denn ihr Vater hat Irene (Dagmar Lassander, „Das Haus an der Friedhofmauer“) kennengelernt. Angela hat aber so gar keinen Bock auf eine Stiefmutter und beginnt, Intrigen gegen sie auszuhecken…

Mit Gloria Guido konnte man auf eines der schönsten Kinder des italienischen Kinos zurückgreifen, die sehr zeigefreudig das verwöhnte Gör Angela – nach außen hin ein blondes Engelchen – mimt, welches verschlagen und hinterlistig ihrer Egozentrik freien Lauf lässt und stets gute Miene zum bösen Spiel macht. Die weniger kindliche, aber ebenso attraktive Dagmar Lassander verkörpert die souveräne Irene, die so viel über sich ergehen lassen muss, bis ihre Fassade durchbricht und ein sensibler, verletzlicher Mensch zum Vorschein kommt. Das Psycho-Duell, das sich diese beiden Hauptrollen liefern, ist insofern einseitiger Natur, als der Zuschauer im Laufe der Handlung erfahren muss, dass Angela vollkommen zu Unrecht Irene von selbiger unbemerkt attackiert, da sich diese als charakterlich überaus integer heraus- und sich gar nichtsahnend schützend vor Angela stellt.

Der von Angela ausgehende rasende Terror, von ihr aber erschreckend professionell und vollkommen gefühlskalt in ein bösartiges Intrigenspiel verpackt, für das sie ihr entwaffnendes Lächeln, ihre Schutzbedürftigkeit, ihren Charme und ihre Eloquenz, am Ende gar ihre Sexualität, gezielt und berechnend einsetzt, steht im Kontrast zu den Sorglosigkeit und Glück suggerierenden, sonnendurchfluteten Bildern, die trügerische Urlaubsstimmung atmen. Angela kämpft mit den Waffen einer Frau und ist falscher als die Rolex auf dem Marktplatz von Sardinien, an dessen Strand der Film spielt. Die Übergänge von harmlosen infantilen Eifersüchteleien und jugendlichen Spielchen beim Austesten von Grenzen zur kaltschnäuzigen Inkaufnahme der Zerstörung des Gegenübers sind dabei fließend, wobei die Konsequenzen nicht im vollen Ausmaß bewusst zu sein scheinen, da Lebenserfahrung und Verantwortungsgefühl fehlen.

Mit seiner in luxuriösen, gutsituierten Kreisen angesiedelten Handlung hat „So Young, So Lovely, So Vicious…“ eindeutig etwas gialloeskes an sich, bleibt in seiner Ausrichtung aber dramatisch und der tragischen Entwicklung der Beziehung Irenes zu Angela verpflichtet. Dabei spielt Angelas Vater interessanterweise keine Rolle, tritt kaum in Erscheinung und auch ihr Freund Sandro (der Norweger Fred Robsahm, „Barbarella“, „Django und die Bande der Bluthunde“) scheint in erster Linie nützliches Mittel zum Zweck zu sein, das von Angela eindeutig dominiert wird und von ihrem Wohlwollen abhängig ist. Um finanziell über die Runden zu kommen, ist er das wiederum von einer reiferen Hausbesitzerin, die ihn sich als eine Art Prostituierten hält. Die Feststellung, Amadio zeige hier eine von Frauen dominierte Welt der Oberflächlichkeit, des Egoismus und des Status, ist sicherlich nicht von der Hand zu weisen.

Inwieweit dies beabsichtigte Kritik an der Dekadenz Vermögender oder an (vermeintlich?) weiblichen Verhaltensmustern oder schlicht dem Umstand geschuldet ist, sich auf die beiden Schönheiten zu konzentrieren, möchte ich nicht beurteilen. Bei der Integration und Fotographie der erotischen Szenen wurde allerdings darauf geachtet, nicht in allzu billige Sleaze-Gefilde abzugleiten und die schauspielerischen Leistungen sind sicherlich nicht preisverdächtig, aber ordentlich und ohne gröbere Aussetzer – einmal abgesehen von den unvermeidlichen Discopop-Tanzszenen, die wie so oft auch hier unbeholfen, hölzern und unfreiwillig komisch wirken. So viel diabolischen Argwohn das Drehbuch Jugendlichen wie Angela auch zugetraut hat, so wenig Ahnung hatte man anscheinend von Teenager-Partys.

Um beim Thema Musik zu bleiben, möchte ich den durchwachsenen Soundtrack nicht unerwähnt lassen, der in einigen Szenen mit unpassenden Komödienklängen entweder versucht, sein Publikum ebenso auf eine falsche Fährte zu locken wie der deutsche Verleih oder eine Unschuld Angelas zu suggerieren, an die der Zuschauer bereits von Beginn an nicht glaubt. Überwiegend weiß die musikalische Untermalung dann aber doch zu gefallen, gesungene Stücke tragen die sanfte Melancholie eines schicksalhaften Sommerurlaubs in sich und transportieren die passende Stimmung aufs heimische Sofa. Und so sollte „So Young, So Lovely, So Vicious…“ auch genossen werden: Wie ein Stück ernstzunehmender Anti-Kitsch in kitschiger Idylle, die begleitet von Guidas blankem Traumkörper demontiert wird. Der Teufel ist ein Eichhörnchen...
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Dorotheas Rache
Dorothea, 17 Jahre alt - Unerfahren, aber neugierig. Naiv, aber liebenswert. Das "unerfahren" ist es, das Dorothea (Anna Henkel) stört und so begibt sie sich ausgerechnet auf den Hamburger Kiez um zwischen Sadisten, Masochisten, Exhibitionisten, Huren, Zuhältern und Freiern ihre ersten Erfahrungen zu machen. Eigentlich auf der Suche nach Liebe und Gefühlen findet Dorothea aber nur Abgründe aus aneinandergereihten Perversionen und niedersten Trieben vor ...
Die 17-jährige Dorothea (Anna Henkel) dreht getrieben von Neugierde und Forscherdrang ihren eigenen Sexualreport, für den sie auch ihren eigenen Körper zur Verfügung stellt, und begibt sich dafür auf den Hamburger Kiez. Sie muss feststellen, dass die Sexualität genauso als Produkt vermarktet wird, wie es ihr Vater als Lachsackfabrikant mit dem Lachen tut und stößt auf bizarre Abnormitäten.

„Dorotheas Rache“ wurde 1973 von Peter Fleischmann („Jagdszenen aus Niederbayern“) in deutsch-französischer Koproduktion als satirische Reaktion auf die erfolgreichen pseudodokumentarischen Sexreport-Filme gedreht. Ausschließlich mit Laiendarstellern, dafür aber mit zahlreichen echten Kiezianern umgesetzt, wirkt „Dorotheas Rache“ wie ein Amateurfilm, was aber zur unbekümmert-naiven Art Dorotheas passt, die sich bzw. ihren Körper direkt zu Beginn nackt dem Publikum vorstellt und fortan unterschiedliche Stationen der Sexualität ihrer Mitmenschen erfährt – und eben aktiv mitmischt.

Dabei versucht sie sich selbst als Prostituierte, lässt sich nacheinander von drei widerlichen Kerlen begatten, holt einem geistig behinderten Exhibitionisten einen runter und bietet sich schließlich gar ihrem eigenen Vater an. Sie besucht eine Domina, die gerade ihre Sklaven bestraft und geht ihr helfend zur Hand, schaut sich eine Live-Sex-Show an etc. pp. Nackte Haut, männliche wie weibliche, bekommt man zuhauf zu sehen, echte Sexualität aber nicht. Erigierte Penisse werden häufig durch Attrappen dargestellt, ein recht sinnfreier Einschub zeigt hingegen gleich drei echte in einer Reihe. Die meisten Szenen werden überzeichnet dargestellt und wirken albern, mindestens aber stellenweise sicherlich auch unfreiwillig komisch, einigen wohnt aber auch eine gewisse Tragik inne, die das schmutzige Spiel bzw. Geschäft mit der Sexualität deutlich werden lässt.

Als reinrassige Parodie oder Satire würde ich „Dorotheas Rache“ nicht beschreiben, zu groß erscheint mir die Lust des Regisseurs, vor dem Hintergrund der sexuellen Revolution das Thema des tabulosen, selbstbestimmten Sexuallebens junger Frauen auszuschlachten und ich erlaube mir, die Frage in den Raum zu stellen, wie sehr sich ein Peter Fleischmann evtl. selbst eine frei von jeglichen Emotionen es aus reiner Neugierde oder aus als Mitleid unentgeltliche offerierte Dienstleistung mit älteren Kerlen treibende Dorothea wünscht, deren im Titel angekündigte Rache ausbleibt?

In jedem Falle ist „Dorotheas Rache“ ein ganz eigenartiger und -ständiger, experimenteller Film, wie er nur zu seiner Zeit überhaupt möglich war und der mir persönlich vor allem eines verdeutlicht hat: Um Erotik zu erzeugen oder sein Publikum schlicht anzutörnen, bedarf es weit mehr als plump gefilmter nackter Haut. „Dorotheas Rache“ vermiest mir mehr die Lust auf Sex, als dass er sie fördern würde – wobei ich nicht glaube, dass das bewusst „anti-pornographisches“ Kalkül Fleischmanns war, sondern der Unerfahrenheit des gesamten Teams auf diesem Gebiet geschuldet ist.
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Der weiße Hai
In dem auf einer Insel gelegenen kleinen Badeort Amity kommt es zu verschiedenen Todesfällen ungeklärter Herkunft. Der vom Festland stammende Polizeichef Brody (Roy Scheider) vermutet schon bald die Anwesenheit eines Hais, doch der Stadtrat und der Bürgermeister weigern sich wegen der bevorstehenden Touristensaison, die Strände sperren zu lassen. Als sich eine Bürgerjagd als erfolgreich erweist, scheint das Problem gelöst, doch der von Brody herbeigerufene Meeresbiologe Hooper (Richard Dreyfuss) prophezeit, daß der Terror weitergehen wird, denn es handelt sich um einen großen Weißen Hai, nicht um das von den Jägern gefangene Tier. Nachdem es fast zur Katastrophe gekommen ist, engagiert Brody den Haijäger und Seebären Quint (Robert Shaw), der mit Hooper und dem wasserscheuen Sheriff selbst auf dem kleinen Schiff "Orca" aufbricht, das mörderische Tier zu töten. Doch auf dem Meer hat der Hai Heimspiel...
Am Badestrand des Touristenörtchens Amity geht ein weißer Hai auf arglose Spaß- und Erholungssuchende los. Sheriff Brody (Roy Scheider, „Das fliegende Auge“) muss sich mit Stadtrat und Bürgermeister herumstreiten, die die Gefahr nicht ernst nehmen und aus kommerziellen Gründen den Strand keinesfalls absperren lassen möchten. Schließlich tut sich Brody mit dem Biologen Hooper (Richard Dreyfuss, „Stand By Me – Das Geheimnis eines Sommers“) und Seemann Quint (Robert Shaw, „Liebesgrüße aus Moskau“) zusammen, um Jagd auf das Tier zu machen.

Steven Spielberg („E.T. – Der Außerirdische“, „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“, „Jurassic Park“ etc.) ist der Meister des Kitsches. Wie kaum ein anderer Regisseur prägte er den Stil mehr oder weniger familienfreundlicher US-amerikanischer Mainstream-„Blockbuster“. Damit habe ich grundsätzlich kaum ein Problem, solange es sich um Kinderunterhaltung handelt. Anders verhält es sich, wenn ein Film als Horrorfilm angekündigt wird, wie der 1975 veröffentlichte „Der weiße Hai“, um den seinerzeit ein großer Hype veranstaltet wurde und der von der Generation, die ihm damals ausgeliefert war, bis in Filmkritikerkreise hinein bis heute nostalgisch verklärt kritiklos überbewertet wird. Nein, „Der weiße Hai“ war nicht der erste Tierhorrorfilm, zuvor gab es bereits Hitchcocks „Die Vögel“ und davor wiederum gab es Filme wie „Tarantula“ und „Formicula“, die Tierhorror mit Science-Fiction-Elementen verbanden sowie bereits Filme mit anderen Meeresbewohnern, ganz zu schweigen von „Godzilla“ und „King Kong“. „Der weiße Hai“ hat aber eine Welle an Tierhorror-Produktionen losgetreten, da viele aufgrund des großen Erfolgs etwas vom Kuchen abbekommen wollten. Ironischerweise sind einige in diesem Zuge entstandene Filme tatsächlich besser als Spielbergs Film. Warum das nicht unbedingt zu den schwierigsten Aufgaben zählt, möchte ich zu erläutern versuchen.

Als ich als Präpubertierender nach Horrorfilmen gierte, konnte ich mir auch die „Der weiße Hai“-Reihe im TV ansehen. Ich erinnere mich, dass ich zwar moderat unterhalten wurde, aber doch eher enttäuscht war. Das sollte alles gewesen sein? Das waren die berüchtigten weißen Haie? Als ich kurze Zeit später Tierhorrornachzügler sah, die stumpf normale Tiere auf Überlebensgröße aufbliesen und dadurch Angst und Schrecken verbreiten wollten, ohne aber den Charme der alten Schwarzweiß-Produktionen reproduzieren zu können, war das Kapitel „Tierhorror“ zunächst für mich abgehakt und wurde zur uninteressantesten Genre-Spielart. Nach einigen befriedigenden Ausflügen ins Tierhorror-Subgenre als Erwachsener drängte ich irgendwann auf eine Neusichtung und -bewertung des weißen Hais, so nun geschehen:

Selbstverständlich versteht es Steven Spielberg, Filme zu drehen. Er erzeugt schöne, durchkomponierte Bilder, die ihre Wirkung nicht verfehlen. Er weiß, wie man Stimmungen überträgt, wie man Emotionen schürt. Doch wie er sein Talent für die Verfilmung des mir unbekannten Romans Peter Benchleys einsetzt, stößt mir bisweilen sauer auf. Dass das Drehbuch den Zuschauer für dumm verkauft, indem es nicht einmal den Versuch unternimmt, eine Erklärung für die vollkommen unrealistischen Haiattacken zu liefern, ist schlimm genug und hat letztlich entschieden dazu beigetragen, diese Tiergattung beinahe auszurotten, nimmt das dumme „Blockbuster“-Publikum den Unfug doch für bare Münze. Spielberg indes macht gute Miene zum bösen Spiel und verhindert durch ständige platte Gags konsequent jegliche bedrohliche Atmosphäre, ironisiert dafür das Geschehen und macht eine halbe Komödie aus dem nach ein paar abgetrennten Gliedmaßen zusehends familientauglicher werdenden Film. Den Hai bekommt man lange Zeit überhaupt nicht zu sehen, was völlig in Ordnung geht, aber auch verdeutlicht, dass man tricktechnisch nicht allzu viel zu tun hatte. Geplant war das anscheinend anders, doch der mechanische Hai funktionierte schlicht nicht richtig. Erst im Finale sieht man ihn in ganzer Pracht, wo ich mich aber weniger erschreckt, als mir viel mehr gewünscht habe, er möge das Trio endlich verspeisen und möglichst nicht wieder ausspucken.

Denn die Charakterzeichnungen fielen viel zu flach und eindimensional aus. Wen wundert’s, wenn das Drehbuch keinen Platz für Schurken mit dunklen Geheimnissen oder falsche Spiele spielende Unholde bietet? Dass Brody der typische heldenhafte US-Amerikaner ist, der ein Wässerchen höchstens mit Haiblut trüben kann, liegt ja noch auf der Hand; weshalb man Dreyfuss aber ein so peinliches Overacting als hyperaktivem Biologen gestattet, begreife ich nicht. Das ist Charakterzeichnung mit dem Holzhammer. Dass es sich beim kauzigen Haijäger Quint um einen Kriegsveteranen handelt, der herhalten muss, um eines von vielen Ami-Kriegstraumata krampfhaft in den Film hineinzupressen, zu verarbeiten zu versuchen und gleichzeitig den Atombombenabwurf auf Japan zu rechtfertigen, ist man hingegen beinahe gewohnt, was es aber nicht weniger ärgerlich macht. Drei Männer auf einem Boot – da ist schlecht Fotzelecken, aber gut den aufopferungsvollen Patrioten Raushängenlassen, bis der Hai seine Märtyrer fordert, wiederum wenig überraschend, denn wer überlebt, steht von vornherein fest.

Der langwierig erscheinende Weg zum Finale ist gepflastert mit wenigen Toten, dafür umso mehr Dialogen zwischen Brody und denjenigen Figuren, die hier die andere Menschen in Gefahr bringenden, skrupellosen Geschäftemacher sein sollen, vom Drehbuch aber so dermaßen mit Samthandschuhen angefasst werden, dass man fast Verständnis für sie entwickelt. Das war sicherlich beabsichtigt, denn wirklich böse ist hier natürlich niemand außer dem Hai. Geld muss verdient werden, ist doch klar, so ist das nun mal im land of the free. Dass bei einer derartigen Figurenkonstellation die Dramaturgie auf der Strecke bleibt, liegt in der Natur der Sache. Spielberg begegnet dem mit einigen starken Suspense-Szenen wie dem am Strand wachenden Brody, der das wuselige, laute Treiben der Menschen beobachten und differenziert beurteilen muss. Natürlich muss auch der minimalistische Soundtrack als Glücksgriff betrachtet werden, der mit seinen gerade einmal zwei bis drei, aber dafür dramatisch arrangierten Klängen wie kein zweiter für nahendes Unterwasserunheil steht und die eine oder andere Szene aufwertet bzw. erst zu dem macht, was sie ist. Einsamer Schockmoment, der wirklich überrascht, ist der Tod eines Kindes. Doch offensichtlich dachte Spielberg, damit wäre es genug und er könne seinem Publikum keinesfalls mehr zumuten; anschließend scheint er sich fast dafür entschuldigen zu wollen.

Herrje, auch wenn es gerade den gegenteiligen Anschein erweckt: Ich habe wirklich versucht, diesen Film zu mögen, ihn endlich als den großen, wichtigen Klassiker akzeptieren zu können, als den ihn so viele betrachten. Stattdessen bekam ich aber den üblichen Spielberg-Kitsch, wie er immer wieder kopiert wird und mir schon immer zum Halse heraus hing. „Der weiße Hai“ fehlt es an dem entscheidenden Quäntchen Düsternis, der Prise Verkommenheit, dem anarchischen Etwas, das einen Horrorfilm zu einem Horrorfilm macht. „Der weiße Hai“ ist weder furchterregend, noch intelligent, er ist zu nett und auf den kleinsten gemeinsamen Nenner des Massengeschmacks ausgerichtet, ohne die Massen, die er anzieht, wirklich verstören zu wollen. Spielbergs emotionalem und fotographischem Geschick zum Trotz ist „Der weiße Hai“ ein Schritt zurück gegenüber dem Tierhorror der 1950er. Von „Der weiße Hai“ ermutigte Produktionen, die sich an deren Grundsujet erinnerten und mit einer klugen, ökologischen Aussage einhergehen, ohne dabei den Unterhaltungsfaktor zu vernachlässigen – ganz im Gegenteil, sind sie doch gerne weniger zimperlich als Spielberg – liegen in meiner Gunst eindeutig höher und wenn es dabei auch mal holpert und rumpelt und nicht so glattgebügelt erscheint wie Spielbergs Urlaubsidylle, umso besser.
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Razorback – Kampfkoloss der Hölle
Gamulla ist ein kleiner Ort im australischen Busch. Hier lebt der alte Farmer Jack Cullen mit seinem zweijährigen Enkel Scotty. Eines Abends wird er durch ein merkwürdiges Geräusch aufgeschreckt und von einem riesigen Koloß zu Boden geworfen. Als er sich ins Haus schleppt, ist Scotty verschwunden. Vor Gericht glaubt niemand dem Alten die Geschichte von dem Koloß, und Jake wird wegen Mordes an seinem Enkel verurteilt. Jahre später macht sich die amerikanische Fernseh-Journalistin Beth Winters auf die Reise nach Australien. Man begegnet ihr nicht gerade herzlich. In Petbak Cannery trifft Beth auf die Brüder Benny und Dicko Baker. Von da an verliert sich ihre Spur. Auf der Suche nach seiner Frau findet ihr Ehemann, Carl Winters, in der hübschen Sarah Cameron eine beherzte Helferin, doch was sie gemeinsam erleben, übertrifft an Grausamkeit all ihre Befürchtungen...
Aussie-Regisseur Russel Mulcahys zweiter Film und erster Ausflug in das phantastische Genre „Razorback“ entstand 1984, also noch vor dessen Kassenknüller „Highlander“, und ist ein Tierhorrorfilm der besonderen Art. Im australischen Outback treibt ein Riesenkeiler sein Unwesen, stürmt eines Abends die Bude von Farmer Jack Cullen (Bill Kerr), raubt dessen Enkel Scotty und bringt gar das Haus zum explodieren...

Ok, diese eigenartige Prämisse gilt es erst einmal zu akzeptieren. Ist einem das gelungen, kann man sich auf einen bildgewaltigen Film einlassen, in dessen Verlauf die US-amerikanische Journalistin Beth Winters (Judy Morris, „Not Quite Hollywood“) ins Outback reist, um kritisch über das Abschlachten von Kängurus zu berichten, was unter den Bewohnern auf wenig Gegenliebe stößt. Als diese nach einer Begegnung mit den degenerierten Brüdern Benny und Dicko Baker ebenfalls verschwindet, reist ihr Ehemann Carl (Gregory Harrison, „Trapper John M.D.“) nach, um sie zu suchen und sieht sich alsbald ebenfalls mit dem gefährlichen Ungetüm konfrontiert.

Bevor Mulcahy mit „Highlander“ durchstartete, war er Videoclip-Regisseur und trug entschieden zur visuellen Ästhetik der 1980er bei. Sein diesbezügliches Talent kommt in „Razorback“ voll zum tragen, denn bei ihm sieht die australische Wüste aus wie gemalt, verfärben sich Landschaft und Himmel in hochatmosphärische, bavaesk-artifizielle bonbonfarbene Panoramen und sorgt eine phantastische Kameraarbeit für optischen Hochgenuss, die in originellen Schnitten kulminiert. Beinahe zur Nebensache erklärt wird da die Handlung, die mit ihren Backwood-Versatzstücken mit Öko-Ansatz inkl. sehr ansprechend ausstaffierter Kulissen letztlich nicht immer zwingend Sinn ergibt. Ein kleiner Schock für den Zuschauer ist es, wie schnell die charismatische, nassforsche Journalistin aus der Handlung herausgenommen und durch den austauschbaren Gregory Harrison als Ehemann Carl faktisch ersetzt wird, der in kitschigem US-Western-Schrott vermutlich besser aufgehoben ist als in einem Horrorfilm. Dieser lernt die faszinierende, alleinstehende Sarah Cameron (Arkie Whiteley, „Mad Max II – Der Vollstrecker“) kennen, die sich ganz allein in der unwirtlichen Umgebung durchschlägt und einen starken femininen Charakter darstellt. Arkie Whiteley ist leider viel zu verstorben, was eine schreiende Ungerechtigkeit ist!

Ungerecht ist das auch das Massakrieren von Kängurus, um sie zu Hundefutter zu verarbeiten, jedoch scheint mir „Razorback“ seine kritische Aussage ab einem gewissen Punkt gänzlich über Bord zu werfen und konzentriert sich auf die Jagd auf das Wildschwein, das fortan wenig differenziert als bösartige Kreatur herhalten muss. Vage Hoffnungen, dass es als eine Art Rache der Natur charakterisiert wird, haben sich damit leider größtenteils erledigt, schwingen aber evtl. noch leise im Hintergrund mit, während vordergründig ausgerechnet Sympathieträger Carl als Unschuldiger gegen das Tier kämpfen muss. Was Spezialeffekte betrifft, wird nicht sonderlich viel geboten; je weiter das Tier entfernt zu sehen ist, desto bedrohlicher wirkt es. In weiser Voraussicht wird auf explizite Nahaufnahmen verzichtet, denn manch eine Attacke, bei der die Kreatur zumindest ausschnittweise zu sehen ist, kratzt vermutlich budgetbedingt an der Grenze zum Albernen.

Doch obwohl es dem Film dennoch gelingt, eine gewisse Spannung dramaturgisch geschickt bis zum Ende aufrechtzuerhalten, bleibt es dabei, dass der Stil des Films das stärkste Argument für eine Sichtung darstellt, nicht zuletzt auch aufgrund des schönen 80er-Ambient-Soundtracks, der die Stimmung der weitläufigen Fremde, der bedrohlichen Einsamkeit und der Kraft der übermächtigen Natur wunderbar unterstreicht. Insofern allen nicht immer positiven Eigenartigen und Schwächen zum Trotz eine klare Empfehlung sowohl für 80er-Ästheten als auch Tierhorror-Anhänger. Am besten gemütlich vom Bett aus ansehen und sich von der Bildern ins Kissen drücken lassen.
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Cold Prey – Eiskalter Tod
5 Freunde machen sich auf, um in den tief verschneiten Bergen Norwegens eine Snowboard-Tour zu unternehmen. Als sich allerdings einer von ihnen, bei einem Unfall, das Bein bricht, müssen sie notgedrungen in einem abgelegenen und verlassen wirkendem Hotel übernachten, um am nächsten Morgen nach Hilfe zu suchen. Doch sie ahnen nicht, dass sie in diesem Haus nicht alleine sind. Denn der, vor 20 Jahren in eine Gletscherspalte verunglückte und von seinen Eltern schändlichst im Stich gelassene, Sohn der damaligen Hotel-Inhaber nimmt eiskalte Rachen an allen, die seine Ruhe stören...
Mit seinem Spielfilmlängendebüt begab sich der norwegische Regisseur Roar Uthaug im Jahre 2006 für „Cold Prey“ auf Slasher-Terrain, um eine Gruppe jugendlicher Snowboard-Urlauber im norwegischen Gebirge Bekanntschaft mit einem irren Mörder mit Spitzhacke machen zu lassen. Denn nachdem sich der erste leichtsinnige Wintersportler direkt die Haxen bricht, stört man dessen Winterschlaf, als man ein nur scheinbar verlassenes Hotel entdeckt und kurzerhand bezieht.

Es ist durchaus angenehm, als Slasher-Publikum einmal in wunderschöne schneeverhangene Gebirgslandschaften entführt zu werden und vor einerseits prächtiger weißer Kulisse in andererseits beabsichtigt trostlos blassgefilterten Farben Zeuge der sich dort abspielenden Gräuel zu werden. Auch die Charaktere sind eine willkommene Abwechslung zum überzeichneten Ami-Teenie-Klischee-Einheitsbrei und wirken erfreulich natürlich bis authentisch. Blutorgien sollte man hier allerdings nicht erwarten, denn Uthaug bemüht sich darum, den Zuschauer mit den Charakteren vertraut zu machen, behutsam eine ruhige, unterschwellig bedrohliche Stimmung aufzubauen und die Kulisse des alten Hotels als unübersichtlichen, verwinkelten Ort des Schreckens in Szene zu setzen. Das gelingt nicht schlecht, wenn seine Figuren auch weit weniger interessant sind, als er sie uns verkaufen möchte. Die Konsequenz, die die Gorefraktion entnervt das Handtuch werfen lassen dürfte, ist die Wartezeit von knapp 40 Minuten bis zum ersten Mord.

Ab da gewinnt „Cold Prey“ zwar an Tempo, jedoch ist bereits die zweite Gewaltszene weitestgehend ungrafisch, Uthaug lässt sich zu keinen Blutbädern hinreißen. Prinzipiell auch kein Problem, wäre die Handlung nur nicht so arg hervorsehbar, die Hintergrundgeschichte des Mörders eher alibimäßig integriert statt tragendes, ausgeschmücktes Element und dementsprechend die schlussendliche Enttarnung seiner Identität weder überraschend, noch sonderlich schockierend oder mit irgendeiner Art von Aha-Effekt versehen worden – woran so viele modernere Genrebeiträge kranken Damit bleibt unterm Strich ein solider, unterhaltsamer Saisonfilm in nicht alltäglichem Ambiente und skandinavisch-unterkühlter Unaufgeregtheit inkl. sich auch musikalisch hörenswert äußerndem Lokalkolorit, dem es leider am gewissen Etwas mangelt, das ihn deutlich über den Durchschnitt herausheben und seinen Platz im Langzeitgedächtnis der Slasher-Historie sichern würde.
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Nightwatch – Nachtwache
Der Student Martin übernimmt eine Stelle als Nachtwächter in einem Krankenhaus Copenhagens. Der Job ist eher von der grusligen Sorte, denn seine Rundgänge führen ihn auch in die Pathologie und durch die Leichenräume, wo es vor Jahren einen Skandal um einen Nachtwächter gegeben hatte, der nekrophil gewesen ist. Zur gleichen Zeit ist ein Frauenmörder in der Stadt unterwegs, der auf besonders brutale Weise mordet und seine Opfer skalpiert. Als Martin aufgrund einer Risikoweitte, die er mit seinem Freund Jens abgeschlossen hat, mit einer Prostituierten ausgeht, wird auch diese zum Opfer. Plötzlich ist Martin für Kommissar Wörmer der Hauptverdächtige, denn gerade in der Pathologie geschehen seltsame Dinge...
„Das hier ist ein schlechter Film!“

Was für ein Debüt! Ole Bornedals erste Kino-Regiearbeit „Nightwatch – Nachtwache“, mit der er 1994 an die Öffentlichkeit trat, dürfte zum Besten gehören, was Dänemark im Bereich des Thrillers vorzuweisen hat. Der Psycho-Thriller mit Horrorschlagseite erzählt die Geschichte des Studenten Martin (Nikolaj Coster-Waldau, „Black Hawk Down“), der einen Job als Nachtwächter in der Pathologie antritt und sich in seiner Freizeit ein grenzwertiges Mutproben-/Wett-Spiel mit seinem unausgelasteten Kumpel Jens (Kim Bodnia, „In China essen sie Hunde“) liefert. Gleichzeitig geht ein Serienmörder in der dänischen Hauptstadt um, der es auf junge Frauen abgesehen hat und dessen Opfer eben in der Pathologie landen. Seine Mutproben bringen Martin in die Bredoullie, während der Nachtwache flattert sein Nervenkostüm und nach merkwürdigen Vorfällen beginnt man nicht nur, an seinem Verstand zu zweifeln, auch die Spuren des Serienmörders führen zu ihm.

Bornedal geht recht eigenwillige Wege, seine Geschichte zu erzählen, indem er zunächst Nebensächlichkeiten als Aufhänger für eigentlich Entscheidendes nimmt, was den Zuschauer in Sicherheit wiegt und allerlei Überraschungen für ihn bereithält. Das trägt nicht nur dazu bei, das Geschehen aus Martins Sicht zu erleben, sondern wirkt sich auch positiv auf die Dramaturgie aus. Wenn sich das Netz um den unscheinbaren Martin immer enger zieht, wird Hochspannung erzeugt, wie es ein Hitchcock nicht besser gekonnt hätte. Gebannt folgt man den locker-sympathischen und doch undurchsichtigen Charakteren, denen man alles und nichts zutraut. Bornedal gelang eine nahezu perfekte Balance zwischen bedeutsamen Dialogen, einer etwas zynischen, überaus angenehm in den Film integrierten, nie dessen Stimmung riskierenden Art von Humor sowie wohlplatzierten Schlüsselszenen, die die Handlung vorantreiben, eingebettet in das verunsichernde Ambiente eines kleinen Büros neben einer großen Leichenhalle. Erzählerisch überaus geschickt gelöst.

Dabei wird stark auf nachvollziehbare Emotionen gesetzt, die von den hervorragend in ihre Rollen passenden Schauspielern zum Ausdruck gebracht werden, während ihre Charaktere etwas Doppeldeutiges, Diffuses behalten – was das Interesse des Zuschauers konsequent aufrecht erhält. Kim Bodnia erinnert mich optisch ein wenig an James Belushi, aber das nur am Rande. Ulf Pilgaard spielt als Inspektor Wörmer groß auf, mit zunehmender Spieldauer gewinnt seine Rolle an Bedeutung. Mit Enttarnung des Täters setzt nicht etwa Entspannung beim Zuschauer ein, im Gegenteil: Unnachgiebig verhindert Bornedal durch ein rasantes Finale, das die Spannung nicht nur weiterhin gewährleistet, sondern gar steigert, dass man sich zurücklehnen und in Sicherheit wiegen könnte. Er dreht noch einmal ordentlich auf, bis er im Epilog den Bogen zurück zum Humoristischen schlägt und einen überaus befriedigten Thriller-Freund versöhnlich zurücklässt. Denn „Nightwatch – Nachwache“ ist interessanterweise keineswegs ein pessimistischer Terrorfilm o.ä., sondern auch eine sympathische Geschichte über Männerfreundschaft und junges Erwachsensein und durchzogen worden mit einem Augenzwinkern den Alltag betreffend, den nicht nur Bornedal mit seinem Film, sondern den auch seine Protagonisten gern mit spitzbübischer Attitüde an der Grenze dessen, was man noch als Spiel oder Streich bezeichnen kann, aufmischen und damit Spießigkeit und Establishment zumindest einen leichten Tritt verpassen. Ja, für einen Genrefilm, der vorrangig spannend unterhalten will, ist „Nightwatch“ quasi perfekt gelungen; ein Rädchen greift ins andere, als hätte Bornedal nie etwas anderes gemacht, als derartige Filme zu drehen. „Nightwatch – Nachtwache“ überzeugt in sämtlichen Belangen und ist Pflichtprogramm für jeden Krimi-, Thriller- und Horrorfan! Dänen lügen nicht – außer im von mir an den Kopf meiner Kritik gestellten Zitat.
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Der Fan
Simone ist 17 und verliebt in den Popstar R. Diese Liebe zerfrisst sie und macht sie blind für die Realität. Nachdem sich R. auf ihre Briefe nicht meldet, reißt sie von Zuhause aus, fährt nach München und wartet vor einem Fernsehstudio auf ihren Star. Nach tagelangem Warten trifft sie ihn tatsächlich, sie lernen sich kennen und haben eine heiße Nacht in einer leerstehenden Wohnung. Doch noch am selben Abend stellt sich heraus, dass sie nur ein Abenteuer für ihn war. Simone erschlägt R. daraufhin mit einer kleinen Skulptur, zerschneidet ihn mit einem Elektromesser in seine Einzelteile, bewahrt diese in einer Kühltruhe auf und isst sie im Laufe der Tage auf. Die Knochen und die anderen harten Teile verarbeitet sie zu Mehl. Schließlich kehrt sie kahlgeschoren nach Hause zurück und wir erfahren, dass Simone schwanger ist... (Inhaltsangabe stammt aus Haiko's Filmlexikon)
Mit „Der Fan“ sorgte der deutsche Schmuddelfilmer Eckhart Schmidt 1982 – darf man den Überlieferungen Glauben schenken – für einen zünftigen Skandal. Die noch minderjährige Simone, gespielt von der ebenfalls noch minderjährigen Désirée Nosbusch (bekannt als TV-Moderatorin) hat sich unsterblich in den Synthie-/Elektro-Pop-Künstler „R“ (Bodo Steiger, Sänger der Gruppe „Rheingold“) verliebt, den sie aber lediglich aus der Bravo und dem Fernsehen kennt. Unnachlässig schreibt sie ihm Liebesbriefe, die allesamt unbeantwortet bleiben. Eines Tages reißt sie von zu Hause aus und schafft es tatsächlich, ihn persönlich zu treffen – eine folgenschwere Begegnung für beide...

In „Der Fan“ thematisiert Schmidt das Starkult- und Groupiephänomen und liefert Einblicke in eine verwirrte Teenager-Seele. Simone fühlt sich „R“ nah, lebt komplett zurückgezogen in ihrer eigenen Welt und lässt niemanden mehr an sich heran – weder Freunde, noch Eltern oder Lehrer. Nach außen hin wirkt sie völlig verschlossen, aus dem Off hört man sie Monologe voller Sehnsucht und Hoffnung halten und aus ihren aus einer völligen Realitätsentrückung resultierenden Briefen an „R“ zitieren, durchzogen von einer bitteren Melancholie. Als sie erkennen muss, dass „R“ nach einem Schäferstündchen offensichtlich kein weitergehendes Interesse an ihr hegt, nimmt das Unheil seinen Lauf und sie erschlägt ihn, zersägt ihn mit klinischer Präzision mit einer Elektrosäge und verspeist seine Einzelteile. Interessanterweise ändert auch sie wie so viele Frauen nach der, ähem, Trennung von einem, ähem, Lebensgefährten radikal ihre Frisur.

Noch lange vorm Kannibalen von Ro(h)tenburg zeigt Schmidt, wie Liebe durch den Magen geht, lässt Nosbusch lange Zeit splitterfasernackt und in aller Seelenruhe ihre Tat begehen, setzt sie dabei hocherotisch in Szene und kostet Einzelheiten in langen Kameraeinstellungen aus – ohne allerdings dabei sonderlich in Blut zu baden und mit Gedärmen zu werfen. Den gesamten Film durchzieht die Kälte einer künstlich wirkenden Welt, ebenso unwirklich wie die Traumwelt, in der Simone gefangen ist und zu der die von der Gruppe „Rheingold“ beigesteuerten Elektrostücke perfekt passen. Anfänglich noch eher flotterer Natur, weicht die musikalische Untermalung bald einer schweren, getragenen Klangkulisse. Simone indes lässt man kaum außerhalb des Offs sprechen, was die Verschlossenheit ihres Charakters unterstreicht, andererseits aber auch Nosbuschs eingeschränkte schauspielerische Fähigkeiten kaschiert, die bei zahlreichen Nebenrollen deutlich hervorstechen. Idealerweise erweist sich aber auch dieser Umstand als der alptraumhaften Unwirklichkeit des Films zuträglich, wobei ich mir nicht sicher bin, inwieweit das bewusst eingesetztes Stilmittel oder Zufallsprodukt ist. Generell handelt es sich bei „Der Fan“ aber um einen dialogarmen Film, der seine Protagonisten passend zu ihren oberflächlichen Beziehungen zueinander in erster Linie Belanglosigkeiten austauschen lässt.

Das Tempo des Films ist vergleichbar mit den schweren Füßen eines unglücklich Verliebten und macht „Der Fan“ mindestens im Nachhinein zu einem Hochgenuss für Freunde der 1980er und deren Populärkultur. Frei von jeder Hektik begibt man sich auf eine wohlige Zeitreise, die exploitativ-krude endet. Dass sogar ein Joachim Fuchsberger sich zu einer Nebenrolle in diesem Film überreden ließ, dürfte man einen sich ungläubig die Äuglein reiben lassen. Doch auch abseits seines exploitativen Charakters und seines Zeitkolorits weiß „Der Fan“ zu gefallen, denn was vermutlich gern übersehen wird, ist der zwar heutzutage evtl. schablonenhaft und eindimensional erscheinende, meines Erachtens aber alles andere als weit hergeholte Einblick ins Simones Psyche, während Simone selbst weitestgehend uncharakterisiert, beabsichtigt austauschbar bleibt und ausnahmsweise keine Pädagogenkeule geschwungen wird, die versucht, ihre Entrücktheit zu erklären. Man begleitet Simone im Prinzip lediglich während dieses einen Abschnitts ihres Lebens – weniger ist eben manchmal mehr. Interessieren würde mich durchaus, ob es „Der Fan“ seinerzeit geschafft hat, besorgte Eltern zu erschrecken, deren Kinder „Bravo“-Starschnitte an die Wand hängen? Ich kann mir durchaus vorstellen, dass der Film Schwierigkeiten hatte, sein Publikum zu finden – durch Indizierung vor der Jugend verschlossen, für Horrorfans zu sehr Drama, für Ältere zu übertrieben und schmuddelig und damit zu wenig ernstzunehmen.

Nicht so recht ins Konzept passend und zumindest in ihrer Plumpheit mehr bemüht als sinnstiftend erscheinen die Verweise auf den Führerkult der Nazis, die offensichtlich Parallelen zu Simones Vergötterung eines Popstars aufzeigen sollen, sich damit aber auf äußerst dünnem Eis bewegen. Ob Schmidt seinem Film damit den Anstrich eines Anspruchs geben wollte, den er gar nicht hatte? Wie dem auch sei, eine makabre Pointe hat mich begeistert aus diesem in seinem Stil einzigartigen Filmerlebnis entlassen, das nicht fröhlich zu den kunterbunten 80ern tanzt, sondern konsequent in den Untergang schwoft. Danke, Herr Schmidt, Frau Nosbusch und Herr Steiger! Auch wenn man sich anschließend vor Gericht statt auf Preisverleihungen wiedersah...
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Die letzten Amerikaner – Southern Comfort
In den Sümpfen von Louisiana ist eine Gruppe von US-Army-Reservisten während einer Übung unterwegs. Als sie zur Überquerung eines Flusses drei Boote der ansässigen Cajun-Bewohner stehlen und zum Spaß mit Platzpatronen auf sie feuern, schießen diese scharf zurück. Dabei stirbt nicht nur ihr Kommandant, sondern auch wichtige Teile der Ausrüstung gehen verloren. Schon bald hat sich die Gruppe hoffnungslos verirrt, auch ein gefangener Sumpfbewohner hilft ihnen nicht weiter. Konflikte und psychische Belastung lassen die Gruppe schnell zerfallen, während die Cajuns schon bald eine wahre Menschenjagd auf die immer kleiner werdende Gruppe eröffnen...
US-Action-Regisseur Walter Hill („Die Warriors“) holte 1981 für seinen intelligenten, psychologisch hintergründigen Backwood-Survival-Film „Southern Comfort“ den Vietnamkrieg in Form seiner Parabel in die Sümpfe von Louisiana. Eine Reservisteneinheit der US-Nationalgarde begibt sich für eine Übung tief ins Unterholz, wo sie auf Cajuns stoßen, die keinen Spaß verstehen und einen Guerilla-Krieg entfachen, um die Eindringlinge loszuwerden...

Hill nimmt sich Zeit für eine genaue Charakterisierung des bunt zusammengewürfelten Reservistenhaufens, der sich untereinander wenig grün ist und angesichts der Extremsituation, der die Männer unerwartet ausgeliefert sind, beginnt, sich selbst zu zerfleischen und somit zum leichten Opfer der stets im Hintergrund agierenden Cajuns wird. Die maßlose Selbstüberschätzung der Reservisten wird schnell Lügen gestraft; ihr sprichwörtliches Verhalten „wie die Axt im Walde“ macht es leicht, ein gewisses Verständnis für ihre Jäger zu entwickeln und ist unschwer als Parallele auf das US-amerikanische Vietnam-Trauma zu verstehen. Die Sümpfe muten ähnlich unübersichtlich und bedrohlich an wie ein südostasiatischer Dschungel; bald entwickelt sich eine ausgeprägte, lähmende, vernünftige Entscheidungen erschwerende Paranoia, der nach und nach fast alle Mitglieder anheim fallen.

Nein, „Southern Comfort“ ist kein ausuferndes Action-Feuerwerk, keine Ballerorgie, keine Geschichte über heldenhafte Patrioten – eher eine über Menschen, die sich dafür halten und ihre Grenzen aufgezeigt bekommen. Die Fraktionsbildung der Einheit erlaubt Sympathieverteilung sowie ein gewisses Mitgefühl beim Zuschauer; die differenzierte Ausarbeitung der Charaktere macht es mit fortschreitender Spieldauer gar möglich, Mitleid zu empfinden und zu hoffen, dass diejenigen, die zweifelsohne ihre Lehre aus den Ereignissen gezogen haben, den Wahnsinn überleben werden. Diese Stimmung verstand Hill nahezu perfekt umzusetzen, das Ambiente wird effektiv von der Kamera eingefangen und lässt seine Figuren wie ausgesetzte Findelkinder in einer viel zu großen Parallelwelt erscheinen. Hill erzeugt eine wahnsinnige Spannung, indem er die Unvorhersehbarkeit der Handlung bis zum Schluss aufrechterhält.

Die Schauspieler, unter Ihnen Keith Carradine, Powers Boothe, Fred Ward und T.K. Carter, sind allesamt echte, teils erfahrene Charakterköpfe und spielen ihre Rollen überaus glaubwürdig, wenngleich sie Hill bisweilen zur Veranschaulichung überzeichnet. Auch außerhalb des Vietnam-Vergleichs ist „Southern Comfort“ als Abhandlung über fragwürdiges menschliches Verhalten in Extremsituationen zu betrachten, die mit psychologischer Härte und Wucht im wahrsten Sinne des Wortes keine Gefangenen macht. Dabei begeht das Drehbuch nie den Fehler, ein eindeutiges Gut/Böse-Schema anzuwenden und die Cajuns zu Freiheitskämpfern o.ä. zu verklären, denn darum geht es in „Southern Comfort“ nicht. Es ist vielmehr ein Abgesang auf kriegerische Handlungen zum Mittel der Konfliktlösung und eine unbedingte Ermahnung zum respektvollen Umgang mit fremden bzw. fremdartigen Kulturen beim Betreten ihres Territoriums.

Das hypnotische Finale in der Cajun-Siedlung wurde mittels Schnitt und Gegenschnitt zwischen feiernden Frankophonen und ums Überleben kämpfenden Soldaten nervenzerreißend gestaltet und ist unausweichliche Zuspitzung des Konflikts und gewissermaßen Stilbruch zugleich, wenn sich Jäger und Gejagte endlich von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen und es zum direkten Kampf kommt, die Reservisten also endlich ihre Stärken in die Waagschale werfen können.

Begleitet von einem ruhigen, eigentlich zur Entspannung geeignetem, im Kontext der Handlung aber zum unheilschwangeren, zynischen Begleiter werdenden Akustikgitarren-Soundtrack zeigt Hill in einem höchst unterhaltsamen und zugleich anspruchsvollen Film die globale US-amerikanische Selbstüberschätzung im lokalen Rahmen. Große Klasse!
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Tödliche Ferien
Zwei junge englische Krankenschwestern, Jane und Cathy, sind per Rad auf Urlaubsfahrt durch Frankreich unterwegs. Doch die Radtour wird zum schrecklichen Horrortrip, als Cathy plötzlich spurlos verschwindet. Kurz darauf taucht ein wenig Vertrauen erweckender junger Mann auf und behauptet, Detektiv zu sein. Er ist einem ungeklärten Sexualmord auf der Spur, der vor drei Jahren hier begangen wurde. Hat der immer noch frei herumlaufende Mörder erneut zugeschlagen?
„Hat man dir in den Hintern gekniffen?“ – „So was machen sie nur in Italien!“

Mit der britischen Produktion „Tödliche Ferien“ aus dem Jahre 1970 lieferte Regisseur Robert Fuest nach seiner Beteiligung an der beliebten Serie „Mit Schirm, Charme und Melone“ einen feinen Psycho-Thriller ab und empfahl sich damit für seine folgenden Horrorproduktionen „Das Schreckenscabinett des Dr. Phibes“ und „Die Rückkehr des Dr. Phibes“ mit dem unvergleichlichen Vincent Price.

Die jungen Mädels Jane (Pamela Franklin, „Schloss des Schreckens“, „Tanz der Totenköpfe“) und Cathy (Michele Dotrice, „Der Teufel tanzt um Mitternacht“, „In den Krallen des Hexenjägers“) unternehmen in einer abgelegenen, ländlichen Gegend Frankreichs einen Fahrradurlaub. Nach einem Streit verschwindet Cathy spurlos und Jane fällt immer mehr einer Paranoia anheim – wer ist der junge Mann, der sie zu verfolgen scheint und welchen Plan verfolgt er? Ist er wirklich der Detektiv, der er zu sein vorgibt, oder hat er gar etwas mit dem drei Jahre zurückliegenden, noch immer ungeklärten Sexualmord zu tun?

Herausstechendstes Merkmal in Fuests Film ist der Verzicht auf typische Grusel-/Thriller-Charakteristika wie Dunkelheit, Regen oder Gewitter, die für eine unheilschwangere Atmosphäre sorgen sollen. Stattdessen vollbringt Fuest das Kunststück, eine trügerische, sonnendurchflutete Idylle zu erschaffen, deren Stimmung ab Cathys Verschwinden kippt und sich ins Gegenteil verkehrt: Jane wirkt verängstigt und verloren in einem fremden Land mitsamt Sprachbarriere und kauzigen Einheimischen, die menschenleere Landstraße symbolisiert ihre Reise mit ungewissem Ziel ohne jeglichen Bezugspunkt. Ihr zunehmendes Misstrauen gipfelt nachvollziehbar in paranoiden Stresssituationen, in der sie sich ihrer Entscheidungen nicht sicher sein kann.

Fuest beschränkt sich für seine Handlung auf lediglich einen einzigen Tag bis zum Einbruch der Dämmerung und setzt voll auf Suspense durch eine extrem langsame Erzählweise, nur von einigen „Jumpscares“ unterbrochen. Fuest nimmt sich alle Zeit der Welt, was sich heutzutage kaum noch eine Genreregisseur traut. Gut so, denn wahre Filmkunst besteht nicht in der plumpen Abbildung von Dingen, Menschen oder Emotionen, sondern darin, ohne viel davon zeigen zu müssen, Stimmungen zu transportieren, auf dem heimischen Sofa fühlbar zu machen. Die Auffassungsgabe dafür ist gerade jüngeren Zuschauern nicht immer gegeben, die „Tödliche Ferien“ voreilig als langweilig abtun könnten – doch das ist „Tödliche Ferien“ mitnichten. Fuest setzt sein Tempo bewusst als Stilelement ein und kontrastiert zudem weitläufige Landschaften mit Nahaufnahmen der Gesichter seiner Protagonisten, deren Augenpartien mehr sagen als tausend Worte. Die Schauspieler, allen voran Pamela Franklin, beherrschen diese leiseren Töne und ordnen sich dem Filmkonzept unter.

Ein vielleicht vorhersehbares, weil die innere Unruhe Janes bestätigendes, dennoch erschreckendes, weil die unheilige Ruhe der lähmenden, trockenen Hitze durchbrechendes Finale setzt den konsequenten Schlusspunkt unter einen Film, der Suspense-Freunden, die auf jegliche spekulative Elemente verzichten können (was nicht heißen soll, dass Pamela Franklin nicht ein optischer Leckerbissen in ihren Hot Pants wäre), unbedingt ans Herz gelegt sei.
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Klass
Joseep (Pärt Uusberg), ein estnischer Schüler mit leicht autistischen Zügen, wird von seiner ganzen Klasse nur als "Freak" angesehen und ist Ziel ständiger Hänseleien. Sein Mitschüler Kaspar (Vallo Kirs) will dies nicht mehr mit ansehen und verteidigt Joseep fortan. Dies bringt die Klassenanführer jedoch nur noch mehr in Rage. Während die Erwachsenenwelt hilf- bzw. verständnislos agiert, entsteht eine Spirale der Gewalt...
„Ich sterbe nicht. Euch zum Trotz. Ich sterbe nicht.“

Die Schulzeit – ein Lebensabschnitt, auf den viele gern zurückblicken als eine Zeit der jugendlichen Unbedarftheit, des Abenteuers und des Spaßes, der Ernst des Lebens noch weit entfernt. Für einige jedoch wird diese Zeit schnell zur Hölle auf Erden: Außenseiter, die zu Opfern systematischen Mobbings werden, dem sie nicht aus dem Weg gehen können, da der Terror von der eigenen Klasse ausgeht.

In Zeiten, in denen auch in Europa immer mal wieder Außenseiter an Schulen Amok laufen und schwer bewaffnet scheinbar wahllos mit Papis Gewehren in die Menge feuern, sind anschließend in der Regel alle schwer entsetzt, betroffen und um Erklärungsversuche bemüht. Der estnische Spielfilm „Klass“ aus dem Jahre 2007, anscheinend bis dato das einzige Werk von Regisseur Ilmar Raag greift dieses heikle Thema auf und zeigt anhand dramatisch verlaufender sieben Tage, was sich normalerweise über Monate oder gar Jahre aufstaut und ankündigt.

Joseep (Pärt Uusberg) wurde ungefragt zum Prügelknaben seiner Schulklasse ausgewählt, unter der Rädelsführung sportlicher, tyrannischer Typen wird er systematisch psychisch wie physisch gedemütigt. Die Begründung lautet lapidar, dass er ein „Freak“ wäre; selbst sich viel mehr selbst als „Freak“ gebende Mitschüler stimmen in diese Rechtfertigung mit ein, die einfach unhinterfragter Konsens ist, während Gleichgültigkeit regiert. Während Joseep längst resigniert und sich in seine Rolle eingefügt hat, auf die er bisweilen gar mit zynischem Humor reagiert, bricht Kaspar (Vallo Kirs) hingegen dieses ungeschriebene Gesetz und nimmt sich seines gepeinigten Klassenkameraden an – mit fatalen Folgen.

In komprimierter Form zeigt Raag den unbarmherzigen Vernichtungsfeldzug, dem Joseep und Kaspar ausgeliefert sind, geht dabei auch auf die erschreckenden Rollen der Lehrer und Eltern ein, die die Lage vollkommen verklären, ihr mit Desinteresse begegnen oder durch ihr Verhalten alles nur noch schlimmer machen und zeichnet eine besorgniserregende Gruppendynamik inklusive der Gefahren, der couragierte Mitmenschen ausgesetzt sind, nach, wie sie nicht nur auf den Mikrokosmos einer Schulklasse beschränkt täglich tausendfach stattfindet. Dabei kann er sich auf seine ambitionierten Jungdarsteller 100%ig verlassen, die den Film in seinem semidokumentarischen Stil tragen und fast durchgehend glaubwürdig agieren. Mit dem Einsatz leicht verfremdender Kameratechniken und Filmmusik lässt Raag nie einen Zweifel an der Fiktion seines Films, ohne aber jemals den Realitätsbezug aufzugeben.

Perfiderweise lässt Raag sein Publikum so starke Empathie für Joseep und Kaspar entwickeln, dass dieses nach Art eines Revenge-Movies im erahnbar unausweichlichen Finale mit ihnen während ihres verzweifelten Befreiungsschlag zweier Menschen, die glauben, nichts mehr zu verlieren zu haben, mitfiebern, ja richtiggehend hoffen, die Täter mögen ihre gerecht erscheinende Strafe erhalten. Der Zuschauer wird zum Komplizen eines Amoklaufs gemacht! Das ist starker Tobak, der erst einmal verdaut werden will und sich lange im Gedächtnis festsetzen dürfte. Die mögliche Skandalträchtigkeit wird geschickt umschifft, indem zwar für Verständnis im Sinne einer möglichen Erklärung für derartige Taten geworben wird, ohne auch mit nur einer Silbe selbige zu rechtfertigen. Der Stil des Films verhindert dies, die Bewertung, die ethische Einordnung bleibt dem Zuschauer überlassen. Dramaturgischer Höhepunkt des konsequenten, trotz Vorhersehbarkeit des Ausgangs immens fesselnden Films ist die über den Amoklauf hinausgehende deftige Schlusspointe, die sofort weitere Fragen aufwirft.

Zu guter Letzt habe ich lediglich einen wirklichen Kritikpunkt an dieser durch ihren pessimistischen Realismus mahnenden Sozialstudie: Um Menschen so weit zu bringen wie Joseep und Kaspar braucht es nicht unbedingt physische Vergewaltigungen und Waffengewalt seitens der Täter bzw. späteren Opfer, wie hier im Verlaufe der Zuspitzung der zur völligen Eskalation führenden Ereignisse geschehen– ein Verzicht zugunsten stärkerer Subtilität, der Mut zu mehr Psychoterror, hätte „Klass“ zu einem brillanten Meisterwerk veredelt, evtl. aber etwas von seiner Plakativität eingebüßt, die möglicherweise für einfachere Gemüter zum Verständnis des Films vonnöten ist.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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