Seite 65 von 245

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: So 4. Mär 2012, 02:08
von buxtebrawler
Bild
The Human Centipede II (Full Sequence)
Martin, ein kleiner, dicker Astmathiker, Mitte 40, lebt bei seiner Mutter und verdient sein Geld als Nachtwächter in einem Londoner Parkhaus. Sein Lieblingsfilm ist THE HUMAN CENTIPEDE. Nacht für Nacht sieht er sich diesen an und steigert sich so in eine Obsession. Er ist besessen von dem Gedanken sich einen eigenen menschlichen Hundertfüßler zu bauen. Und so beginnt Martin damit Menschen zu sammeln und sie in einer Lagerhalle unter extremen, unhygienischen Bedingungen zu verbinden. Sein sexuelles Verlangen steigert sich dadurch nur noch mehr und entlädt sich in einem beispiellosen Gewaltakt ...
Nach dem grafisch eher zurückhaltenden Horrorfilm „The Human Centipede (First Sequence)“ um den deutschen Arzt Dr. Heiter, der aus drei bedauernswerten Touristen warum auch immer einen menschlichen Hundertfüßer bzw. einen Teil davon formt, indem er sie Mund an Arsch aneinander näht, präsentiert der niederländische Regisseur Tom Six in der niederländisch-britisch-US-amerikanischen koproduzierten Fortsetzung „The Human Centipede II (Full Sequence)“ aus dem Jahre 2011 das, was man aufgrund des Rummels im Vorfeld eigentlich bereits von Teil 1 erwartet hatte: einen superekligen Sicko.

Dafür erklärt er in der Fortsetzung den Vorgänger zum Film, genauer: zum Lieblingsfilm Martins (Laurence R. Harvey), einem Mittvierziger, Asthmatiker, Fettsack und Muttersöhnchen, dem das Leben nicht viel zu bieten hat. Er wurde von seinem Vater sexuell missbraucht, der daraufhin im Gefängnis landete. Dafür gibt ihm seine Mutter die Schuld, mit der er zusammenlebt. Seine Nachbarn tyrannisieren ihn und sein Psychologe ist selbst nicht ganz dicht. Martin arbeitet als Parkhauswächter in London, wirkt zurückgeblieben und ist sozial vollkommen isoliert. Fasziniert von seinem Lieblingsfilm fertigt er genaue Aufzeichnungen der chirurgischen Abläufe an, entführt einen Menschen nach dem anderen – darunter Ashlynn Yennie, die Schauspielerin aus Teil 1 –, pfercht sie in einem Lagerraum zusammen und baut mit Humanmaterial nach, was er im Film gesehen hat...

Komplett in Schwarzweiß gedreht, passt die Farblosigkeit gut zur Handlung, denn Farbtupfer sucht man in ihr vergebens. „The Human Centipede II (Full Sequence)“ ist von der ersten Minute an ein Ausflug in eine kranke, zutiefst gestörte Welt und steuert konsequent auf sein abartiges Finale hin. Zu lachen gibt es höchstens in den ersten Minuten etwas, nämlich über Martin ob seiner unbeholfenen, tollpatschigen Art, doch je näher man ihn kennenlernt, desto mehr verstummt das Lachen ebenso wie die Stimme Martins, der den gesamten Film über kaum einen Ton von sich gibt. Nein, „The Human Centipede II (Full Sequence)“ ist kein Unterhaltungsfilm im eigentlichen Sinne, macht keinen Spaß und agiert stets an der Grenze zur Unerträglichkeit. Im ausgiebig ausgeschlachteten Finale bekommt man all das zu sehen, was Teil 1 dem Zuschauer ersparte, als wolle Six seinen Kritikern eine Überdosis dessen geben, was sie verlangten und dadurch vorführen, bestrafen, verstören. Details erspare ich mir, nur soviel: Es wird onaniert, vergewaltigt, gekotzt, geschissen, verstümmelt, mit Blut und Fäkalien gespritzt, bis es selbst hartgesottene Zuchauer flau im Magen werden lässt.

„The Human Centipede II (Full Sequence)“ ist damit das, was man heutzutage gern als „Torture Porn“ bezeichnet. Kaum etwas wird der Phantasie überlassen, mittels realistisch anmutender Effekttechnik und voll draufhaltender Kamera wird jedweder Voyeurismus übermäßig bedient. Das ist nicht unterhaltsam, sondern in erster Linie ekelerregend und widerwärtig und schlägt schwer auf die Stimmung, statt Spannung zu erzeugen, sein Publikum lieb gemeint zu erschrecken oder wohligen Grusel zu bieten. Stellt sich natürlich die Frage, wie man solch einen Film bewertet. Ich kann Six nur dazu gratulieren, offensichtlich das erreicht zu haben, was seine Intention war. Sein Film wirkt nicht wie gewollt, aber nicht gekonnt, sondern funktioniert als Film, als Illusion einer Realität. Er bewirkt etwas beim Zuschauer, zumindest im Moment des Zusehens. Mag er auch keine Langzeitwirkung haben, so nimmt man als Zuschauer den Film doch für voll, lässt sich auf ihn ein, nimmt ihn an – obwohl man ihn vielleicht gar nicht haben will. Seine Schauspieler mussten einiges auf sich nehmen, über sich ergehen lassen, Mut beweisen. Und sie sind gut! Das vollkommen unbeschriebene Blatt Laurence R. Harvey ist schlicht perfekt für die Rolle des eigentlich bemitleidenswerten Psychopathen, der das Mitgefühl seiner Zuschauer auf eine harte Probe stellt. Er stolpert nicht hölzern von einem Ekeleffekt zum nächsten, nein, er ist Martin, dem seine unförmige Unterhose unterm ausladenden Hintern baumelt, dessen Mutter mit Selbstmord droht und der vom (übrigens sehr sehenswert) tätowiertem Nachbarn einmal mehr zur Schnecke gemacht wird, bis sein Selbstvertrauen nicht mal mehr mikroskopisch wahrnehmbar ist. Die erdrückende, ausweglos anmutende Atmosphäre des Films entsteht nicht plump aus dem Verzicht auf Farben, sondern durch das Interagieren der Charaktere in ihr, die wandelnde Klischees sein mögen, aber doch Menschentypen verkörpern, die leider durchaus auch aus der Realität bekannt sind.

Zudem erzählt „The Human Centipede II (Full Sequence)“ tatsächlich eine Geschichte, wenn auch keine sonderlich komplexe, anspruchsvolle oder überraschungsreiche. Doch denkt man etwas über sie nach, kommt man nicht umhin, es zumindest als mögliche Option zu betrachten, dass Six nicht nur möglicherweise seine blut- und fäkaliengeilen Kritiker abwatschen wollte, sondern evtl. auch diejenigen, die in Horrorfilmen die Gefahr sehen, Nachahmungstäter zu animieren. Unser Martin wäre so ein klassischer Fall. Genretypisch ist es, gesellschaftliche Ängste aufzugreifen und zu verarbeiten, wobei es eben nicht zur Aufgabe von Horrorfilmen gehört, dem Publikum diese Ängste zu nehmen, sondern sie zu bedienen. In dieser Hinsicht könnte man mit etwas Wohlwollen „The Human Centipede II (Full Sequence)“ ob seiner Übertreibungen gar als bitterböse, rabenschwarze, vollkommen unlustige Satire betrachten.

Des Weiteren stellt sich unweigerlich die Frage, warum man sich so etwas anschauen sollte. Diese Frage muss jeder für sich selbst beantworten. Um seine verdammte Neugier zu befriedigen? Um auszutesten, ob einen ein solcher Film noch an den Eiern packen kann? Zur Selbstkasteiung? Oder um ihn sich wieder und wieder auf seinem Laptop anzuschauen und... nein, das führt zu weit.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 6. Mär 2012, 00:01
von buxtebrawler
Bild
Oblivion
Der brutale Alien-Bandit Redeye (Andrew Divoff) und seine Bande terrorisieren das Städtchen Oblivion. Den Marshal des Ortes bringt Redeye kurzerhand um. Zack (Richard Joseph Paul), der Sohn des Marshals, will dem Schurken das Handwerk legen. Gemeinsam mit dem Deputy-Cyborg Stell (Meg Foster) nimmt er den Kampf auf.
„Ihr Vater hat die Mühsal des Lebens für immer hinter sich gelassen. Er hat die Gefangenschaft der Seele beendet und das Zeitliche gesegnet, das in Tränen erliegt. Ihr Vater hat sich auf den Weg gemacht, schon vorzeitig im Himmelschor den unendlichen Choral der Ewigkeit mitzusingen.“ – „Was heißt das?“ – „Er ist tot.“

Nachdem ich zuletzt einige Nulpen aus der „Full Moon Entertainment“-Direct-to-Video-Fabrik gesehen hatte, hat es der unter der Regie Sam Irvins („Aliens, Akkordeons und jede Menge Ärger“) 1994 entstandene „Oblivion“ alias „Alien Desperados“ doch tatsächlich geschafft, mich wieder mit Charles Bands Produktionsfirma zu versöhnen. In einem originellen Science-Fiction-Western-Crossover lässt er im kleinen Städtchen Oblivion den außerirdischen Banditen Redeye (Andrew Divoff, „Wishmaster“) auf den Marshall (Mike Genovese, „Blood In Blood Out - Verschworen auf Leben und Tod“) los, den er kurzerhand in die ewigen Jagdgründe schickt, um ungestört seine Terrorherrschaft ausbauen zu können. Des Marshalls Sohnemann Zack (Richard Joseph Paul, „Knight Rider 2010“) rettet Indianer Stinking Turncoat (Tim Miller) vor den bösen Nachtskorpionen, freundet sich nach anfänglichen Diskrepanzen mit Cyborg-Deputy Stell (Meg Foster, „Sie leben!“) an und überlegt fortan, wie er möglichst gewaltlos der Lage Herr werden könnte...

„Oblivion“ bewegt sich irgendwo zwischen Komödie und freiwilligem Trash, meist ohne allzu peinliche Übertreibungen, und scheint direkt einem abgedrehten Comicstrip entsprungen. Kulissen und Kostüme sind farbenfroh und ansehnlich, die Mixtur aus Science Fiction und Western funktioniert überraschend gut und äußert sich in vielen Details und Redeye erinnert an „Killer Croc“ aus den Batman-Comics. Die Darstellerriege setzt sich aus vielen bekannten Namen zusammen, die sich in Nebenrollen fröhlich parodistisch durch den Film zitieren dürfen. Aber das Wichtigste: „Oblivion“ ist wirklich witzig. Es handelt sich um keine Schenkelklopferkomödie, aber er lädt verdammt oft zum Schmunzeln ein, unter Verwendung eines angenehmen, nicht dümmlichen oder pubertären Humors. Stark dazu bei tragen die skurrilen Charaktere, deren Unterhaltungswert nicht aus Overacting und Slapstick resultiert (wenngleich ersteres natürlich alle bis zu einem gewissen Grad betreiben), sondern aus ihrer Konzeption zwischen parodierendem Klischee und interessanter individueller Gestaltung, die nicht immer die ganz lauten Töne benötigt, um ihr Anliegen zu verdeutlichen.

So wird vielleicht manch einem die Vielzahl weiser Indianersprüche Stinking Turncoats erst auffallen, als seine Freunde genervt auf sie reagieren. Beim hünenhaften Totengräber (Carel Struycken, „The Addams Family“) reicht seine bloße Anwesenheit, um Angst und Schrecken zu verbreiten wie der Schnitter höchstpersönlich, er dient als Katalysator für den Aberglauben der einerseits hochtechnisierten, andererseits aber im Westernambiente verharrenden Einwohner Oblivions, die damit gut und gerne die US-amerikanische Zivilisationsgesellschaft zwischen Aufgeklärtheit und Anti-Wissenschaftlichkeit persiflieren dürften, wenn man denn so will. In erster Linie aber setzt sich „Oblivion“ augenzwinkernd mit der angestrebten Gewaltlosigkeit des sensiblen Zacks und seinen daraus resultierenden Gewissenskonflikten und der Erwartungshaltung als Sohn des Marshalls auseinander. Nun darf man natürlich keine tiefschürfenden philosophischen Abwägungen erwarten, denn „Oblivion“ ist und bleibt primär ein trashiger kleiner Unterhaltungsfilm, der jeden Anflug von Ernsthaftigkeit schnell wieder zunichte macht, sei es durch spaßige, immer für Überraschungen gute Ideen, vermutlich budgetbedingt etwas verhaltene Actioneinlagen oder eben Wortwitz und Situationskomik. Kommen Tricktechniken zum Einsatz, wurden diese durchaus ansprechend und charmant umgesetzt und wissen überwiegend zu gefallen.

Bei allem Vergnügen, das Irvins Film bietet, kann das Niveau jedoch nicht durchgehend gehalten werden. Immer mal wieder macht sich Leerlauf breit und die Handlung scheint etwas auf der Stelle zu treten, rettet sich aber immer wieder rechtzeitig aus der Durchschnittlichkeit. Als wirklich gut würde ich diesen Spaß daher nicht bezeichnen wollen und ein nach gängigen Maßstäben guter Film zu werden, wird auch nicht die Intention des Drehteams gewesen sein. „Oblivion“ hatte aber den Überraschungseffekt auf seiner Seite und geht so liebevoll und unverhohlen mit seinen Einschränkungen um, dass mit Einsetzen des Abspanns ein grundsympathischer Eindruck an die Stelle des sonst bei „Full Moon Entertainment“ gerne mal provozierten Gefühls der Zeitverschwendung tritt. Mir jedenfalls steht plötzlich der Sinn nach mehr Blödsinn, ein Troma-Film muss bald wieder her und ich überlege „ernsthaft“ (welch paradoxer Begriff in diesem Zusammenhang), nach der Fortsetzung „Badlands“ alias „Kopfgeldjäger und Aliens“ Ausschau zu halten. „Bingo!“

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 6. Mär 2012, 20:51
von buxtebrawler
Bild
Psycho Cop II
Officer Joe Vickers (Robert R. Shafer), erlangte traurige Berühmtheit durch grausames Morden. Er ist Polizist, Richter und die Jury in einem, so fällt er selbst das Todesurteil über seine Opfer. Nach seinem Scheintod kehrt er jetzt zurück, noch grausamer und blutrünstiger als er es zuvor schon war. Diesmal verwandelt er eine Junggesellenabschieds-Party in ein schreckliches Blutbad...
„Sie sind verhaftet. Sie haben das Recht, weiterhin tot zu sein. Alles was Sie sagen, kann und wird gewiss gegen Sie verwandt werden und die Wissenschaft verblüffen, da Sie ja tot sind. Sie haben das Recht auf einen Anwalt, aber der wird Ihnen kaum was nützen, da sie ja tot sind.“

US-Regisseur Adam Rifkin („Detroit Rock City“) machte aus der Fortsetzung des spaßig-trashigen B-Slashers „Psycho Cop“ im Jahre 1993 eine hysterische Horrorkomödie, der erneut nicht der Sprung aus der Durchschnittlichkeit gelingt. Officer Joe Vickers (Robert R. Shafer, „Psycho Cop“) ist wieder auf Streife, diesmal in der Großstadt, wo er eine Junggesellenabschiedsparty in einem Bürokomplex ordentlich aufmischt, indem er auf seine ganz eigene Weise mitfeiert.

Auf die Vorgeschichte des untoten durchgeknallten Satanistenbullen wird so gut wie gar nicht eingegangen, lediglich blutige Pentagrammschmierereien weisen auf seinen Hintergrund hin. Dafür weiß man aber von vornherein, woran man ist, denn ein Blick ins Wageninnere Shafers offenbart Überreste verstümmelter Leichen. Die Büroangestellten Larry (Rod Sweitzer) und Brian (Miles Dougal) planen eine Junggesellenabschiedsparty nach Feierabend in den Räumen des Hochhauses, bestechen den Pförtner, organisieren reichlich Alkohol sowie Prostituierte und freuen sich darauf, so richtig die Sau rauslassen zu können. In einer Kneipe belauscht Vickers jedoch ein Gespräch der beiden und weiß fortan, wo sein nächster Einsatz stattfinden wird. Dieser Beginn des Films macht anhand Sweitzers Overacting bereits deutlich, wie viel Ernsthaftigkeit von dieser Fortsetzung zu erwarten ist, weiß ansonsten aber gut zu gefallen: Larrys Bullenparanoia ist nachvollziehbar, insbesondere, als der bullige Vickers sich zu ihm und seinem Kollegen gesellt und in ein Gespräch verwickelt. Die Angst vor der Willkür einer selbstgefälligen Exekutive, die theoretisch jedem etwas anhängen könnte, schwingt hier erst- und leider auch letztmalig mit, denn fortan bleibt zwar Larrys Verfolgungswahn (den natürlich niemand erstnimmt) erhalten, nicht aber der kritische Ton, für den der Film eigentlich prädestiniert wäre.

Stattdessen verkommt „Psycho Cop II“ zusehends zu einem stumpfen Partyslasher voller Klischeecharaktere, wie er ab der zweiten Hälfte der 1980er typisch wurde. Humor der eher flachen Sorte gesellt sich zu nackter Haut der weniger flachen Sorte; mal mehr, meist aber weniger erfahrene Darsteller blödeln und ziehen sich aus. Psycho-Cop Vickers legte man wieder bemüht zynische Einzeiler in den Mund, mit denen er seine Taten kommentiert. Erneut erreicht man dabei aber weder das Niveau eines Freddy Kruegers oder Dr. Giggles, sondern passt sich der allgemeinen Primitivität an. Echte Hingucker sind dafür die Morde der ungeschnittenen Fassung, die einen gesteigerten Härtegrad aufweisen und tricktechnisch gut umgesetzt wurden. Unechte Hingucker sind hingegen die Plastikhupen manch begattungswilliger Dame. Irgendwann während des letzten Drittels überrascht „Psycho Cop II“ aber, indem er die neben Vickers eigentlich designierte Hauptrolle ins Gras beißen lässt und plötzlich eine Handvoll Mädels das Ruder in einem dann doch recht temporeichen, stimmungsvollen Finale übernimmt.

Fazit: Blutige Komödie im B-Slasher-Gewand mit durchaus einem gewissen Unterhaltungsfaktor, atmosphärisch aber die reinste Nullnummer. Slashersüchtige werden ihren Spaß haben, alle anderen packen sich unweigerlich an die Rübe - denn wie heißt es so bezeichnend in Minute 53? „Wir sind doch nicht in ‚Freitag der 13.’ oder bei Freddy Krueger!“

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mi 7. Mär 2012, 00:08
von buxtebrawler
Bild
Witchboard – Die Hexenfalle
Jim und Linda, ein jungverliebtes Paar ziehen zusammen in eine alte viktorianische Villa. Bei ihrer Einweihungsparty unterhält Brandon, ein ehemals guter Freund von Jim, die Gäste mit einem magischen Spiel, dem Witchboard. Einem Brett welches Kontakt mit Verstorbenen herstellen kann. Brandon nimmt mit David Kontakt auf, einem kleinen Jungen der bei einem Unfall sein leben ließ. Die Party endet sehr abrupt als ohne ersichtlichen Grund ein Reifen an Brandons Auto explodiert. Linda, von der Vorführung des Witchboards sichtlich beeindruckt, fühlt sich immer stärker zu dem Brett hingezogen, das Brandon in der Aufregung im Haus vergessen hat. Was als Spaß begann, wird zum tödlichen Ernst. Zusehends verfällt Linda dem Bann des Witchboard und wird total besessen. Irgendetwas scheint von Linda besitz zu ergreifen und so geschehen die ersten Todesfälle und unerklärbare Vorgänge. [wicked-vision]
Noch vor seinem wohl bekanntesten Film „Night of the Demons“ drehte US-Regisseur Kevin Tenney im Jahre 1986 mit „Witchboard – Die Hexenfalle“ sein Regiedebüt, einen Horrorfilm über durch ein Ouija-Brett gerufene Geister, die man nur schwer wieder loswird. Mit Hexen indes hat der Film nichts zu tun, hierbei handelt es sich um einen typischen Fauxpas des deutschen Verleihers.

Linda (Tawny Kitaen, „Bachelor Party“) und Jim (Todd Allen, „Nur 48 Stunden“) geben eine Einweihungsparty, auf der Brandon (Stephen Nichols, „House“) gegen Jim stänkert und Linda schließlich in die Faszination seines Ouija-Bretts einweiht, über das er zusammen mit ihr Kontakt zum mit nur zehn Jahren gestorbenen David aufnimmt. Da sich Jim fortwährend darüber lustig macht, bricht der Kontakt abrupt ab und der kleine David scheint verstimmt. Da auch Brandon und Jim im Streit auseinandergehen, vergisst Brandon sein Brett, dessen sich Linda fortan annimmt und immer wieder den Kontakt zu David sucht und findet, bis sie richtiggehend besessen davon scheint, sich die merkwürdigen Vorfälle, die mit einem scheinbar grundlos geplatzten Reifen während der Party begannen, häufen und immer gefährlicher werden: Bald gibt es in Jims Arbeitskollegen den ersten Toten zu beklagen und es sieht so aus, als galt der „Unfall“ eigentlich Jim...

„Witchboard“ ist weitestgehend vorhersehbare, innovationslose Genreware, die aufgrund ihrer okkult bleibenden Bedrohung leider noch ohne Creature Design auskommen muss und zudem kaum gruselig ist. Schrecken versucht Tenney durch eine Reihe sog. Jump Scares zu erzeugen, die meist jedoch falscher Alarm sind, der i.d.R. ausgelöst wird, wenn sich mal wieder irgendjemand von hinten anschleicht, ohne dabei etwas im Schilde zu führen – kennt man aus x anderen Filmen. Positiv fällt hingegen auf, dass man für seine Protagonisten nicht auf typische Abziehbilder setzte, sondern ihnen tatsächlichen Charakter einhauchte, mit ein wenig Tiefgang versah und das Drehbuch ihnen eine Entwicklung zugestand. Die Dreierkonstellation Linda/Jim/Brandon birgt Konfliktpotential, da Brandon ebenfalls in Linda verliebt ist, gar mit ihr liiert war, bevor sie zu Jim ging. Im Laufe der Handlung entpuppt sich Brandons anfängliche unsympathische, snobistische Arroganz als ernsthafte Sorge um eine geliebte Person, gepaart mit nachvollziehbarer Eifersucht.

Im Kampf gegen das Böse und auch Sorge um Linda beginnen die beiden Männer, die früher einmal befreundet waren, sich wieder einander anzunähern und zusammenzuarbeiten. Leider löst das Drehbuch den unüberwindbar und deshalb für den Zuschauer interessant erscheinenden Konflikt recht plump, wie man es eben in Horrorfilmen, in denen Menschen sterben, gemeinhin tut. Das alles weiß in jedem Falle besser zu gefallen als der anscheinend unvermeidliche Komödienanteil, der hier in Form eines auf freakig getrimmten weiblichen Mediums auftritt und schlimmer nervt als jeder Poltergeist. Wie man eine Rolle subtiler mit Humor ausstattet, beweist Burke Byrnes („Die Prophezeiung“) als ermittelnder und Jim verdächtigenden Lt. Dewhurst, dessen Rolle mich ein wenig an Inspektor Columbo erinnerte.

Das Erzähltempo ist alles andere als hektisch und bietet den Charakteren sowie der recht angenehmen, eher zurückhaltenden 80er-Atmosphäre Raum zur Entfaltung. Ein paar sparsam eingesetzte, blutige Effekte belohnen für die Geduld. Hauptdarsteller Todd Allen ist gewiss kein großer Schauspieler, weiß mit seiner souverän-lässigen, schnoddrigen Art aber zu gefallen ist wird als Sympathieträger schnell akzeptiert. Tawny Kitaen als Linda ist ein rothaariges Luder, Typ „rostiges Dach – feuchter Keller“, der man es abnimmt, dass sich zwei Kerle um sie balgen und die dezent eingestreut auch etwas mehr ihres Körpers zeigen darf. Stephen Nichols hingegen sieht aus wie direkt aus seinen „Dallas“- und „Denver Clan“-Serien entsprungen und gibt damit einen passablen Gegenpart zu Jim ab. Das genretypisch im Tempo anziehende Finale überrascht urplötzlich mit ungewöhnlichen Kameraperspektiven positiv, mit ganz billiger Bildmontage am Ende aber auch negativ und sorgt für ein so sicherlicht nicht beabsichtigtes Wechselbad der Gefühle. Unterlegt wird das okkulte Treiben von einem belanglosen Standardsoundtrack mit etwas Gedudel und dramatischen Klangkulissen, aber auch einem zeitgenössischen, wirklich netten Heavy-Rock-Soundtrack. Auch in dieser Hinsicht also Licht und Schatten.

Als Fazit bin ich fast geneigt, zu behaupten, die Stärken und Schwächen von „Witchboard“ heben sich gegenseitig auf und ich glaube, das trifft es tatsächlich ganz gut. Ergo glatter Durchschnitt, der dem einen etwas besser, dem anderen etwas schlechter gefallen wird. Genrefreunde mit einer Affinität für 80er-US-Grusel könnten durchaus Gefallen hieran finden, müssen sich aber mit einer überraschungsarmen und zudem nicht sonderlich spannend erzählten, altbekannten Geschichte begnügen.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mi 7. Mär 2012, 15:34
von buxtebrawler
Bild
Sukkubus – Den Teufel im Leib
Zwei Hirten und ein Junge müssen mit ihrem Vieh für eine längere Zeit auf eine abgelegene Hochalm in den Schweizer Alpen. In der Enthaltsamkeit kommt den Männern aus Langeweile und Geilheit eines Abends eine Idee. Sie formen sich aus einem Wurzelstock, Lumpen und Stroh eine lebensgroße Puppe, die ihnen als Frauenersatz Befriedigung verschaffen soll. Als die Männer sich betrunken an der Puppe vergehen, geschieht das Unglaubliche. Die Puppe verwandelt sich in eine echte Frau und erwacht zum Leben. Voller Entsetzen stehen die Männer nun einer teuflischen Hexe (Pamela Prati) gegenüber, die es auf ihr Leben abgesehen hat...
Der deutsche Regisseur Georg Tressler („Die Halbstarken“) verfilmte im Jahre 1989 eine alte schweizerische Sage: Ein durch ein heidnisches Ritual herbeigerufenes, scharfes Hexenweib rückt einsamen, notgeilen Hirten auf die Pelle und tötet Mensch und Vieh.

„Sukkubus“ räumt kräftig mit verklärten Illusionen eines glücklichen Lebens von Viehhirten in der freien Natur auf. Isolation, Langeweile und sexueller Notstand bestimmen den Alltag der beiden gezeigten Rinderhirten (Peter Simonischek und Giovanni Früh), den sie irgendwo in den Alpen bzw. in ihrer kargen Berghütte verbringen. Auch der mithelfende und wild pubertierende Sohnemann (Andy Voß) taugt nicht sonderlich zum Zeitvertreib, zumal dieser Gefallen an warmen Kuhzungen findet.... Also wird kräftig onaniert, gesoffen und gar ein Blick auf den zarten Jüngling geworfen, bis man eines Nachts seine allgegenwärtige abergläubische Angst vor allem und jedem überwindet, die letzten Moralvorstellungen beiseiteschiebt und aus Wurzelholz, Stroh und Stoff seine eigene Sexpuppe bastelt. Das Vergnügen, das man mit ihr hat, ruft allerdings die böse Berghexe herbei.

Die Darstellung der Hirten wirkt dabei wie die Eingeborener eines primitiven Naturvolks und es ist fast verwunderlich, dass man nicht in Grunzlauten miteinander kommuniziert. Insbesondere Peter Simonischek wirkt wie ein finsterer Höhlenmensch. Von romantischer Idylle also keine Spur. Die Italienerin Pamela Prati, die kurioserweise bereits ein Jahr zuvor im Sci-Fi-Trashheuler „Alien Transformations“ eine als „Women Succubus“ aufgeführte Rolle bestritt, springt nackt durch die alpine Berglandschaft und geilt die Herren der Schöpfung auf, nur um sie schließlich zu töten und ihnen die Haut abzuziehen. Mit ihren kaltblauen Kontaktlinsen sieht sie tatsächlich wie ein gleichsam faszinierender, erotisierender und furchterregender Dämon aus, den Tressler verstand, gruselig in Szene zu setzen. Und wenn sie sich unter einen Kuheuter legt und die Milch wie bei einem Cumshot ins Gesicht spritzt, ist spätestens klar, dass „Sukkubus“ eindeutig in sexploitativen Fahrwassern fischt.

Wirklich explizit wird’s aber eigentlich nur, wenn man – warum auch immer – einer verunglückten Kuh die Haut vom Gesicht zieht. Ansonsten ist „Sukkubus“ zurückhaltend, was die die Darstellung grafischer Gewalt betrifft und setzt mehr den Erotikfaktor Pratis. Insgesamt ist „Sukkubus“ ein sehr eigenartiger Film, der sich klamauk- und humorfrei präsentiert, sich viel Zeit für die Entfaltung seiner ungemütlichen Atmosphäre lässt und gängige Horror- sowie Sexploitation-Klischees größtenteils ausspart. Sparsam wirkt eigentlich die gesamte Inszenierung, die beinahe ein Kammerspiel ist und auf jedwedes Präpentiöse, das über die eingeschränkten zur Verfügung stehenden Mittel hinausgegangen wäre, in einer Weise verzichtet, dass man als aufgeschlossener Filmfreund nichts vermisst, sondern diesen Film als das annimmt, was er ist: Eine wie ein unabhängiges deutsches Experiment wirkende Obskurität – bei der übrigens dem viel zu früh verstorbene Christoph Schlingensief die Regieassistenz zuteilwurde.

Im Jahre 2010 entstand unter der Regie Michael Steiners in schweizerisch-österreichisch-französischer Koproduktion der Film „Sennentuntschi“, der die gleiche Sage zum Thema hat, aber ungleich aufwändiger produziert wurde.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Fr 9. Mär 2012, 00:14
von buxtebrawler
Bild
The Abandoned – Die Verlassenen
Im Jahr 1966 wurde Marie Jones (Anastasia Hille) von einem britischen Ehepaar als Baby adoptiert, doch 40 Jahre später erfährt die Schauspielerin, die ihre Mutter nie kennenlernte, das ihr elterliches Gut an sie vererbt wurde. Sie kehrt nach Rußland zurück, wo sie von dem Anwalt Misharin Informationen erhält, nachdem das Gut in einer abgelegenen Einöde zu finden ist. Marie macht sich auf Spurensuche, doch sie kommt nur unter Schwierigkeiten auf die Insel, wo sich das Gut befindet, inmitten eines Flußes. Die Gebäude sind zerfallen und heruntergekommen und plötzlich steht Marie mitten in der Nacht allein in der Wildnis - und sie ist offenbar nicht allein in diesem Haus, denn leichenhafte Figuren laufen ihr über den Weg. Als sie zu ertrinken droht, retten der Soldat Nicolai (Karel Roden) sie und stellt sich anschließend als ihr Zwillingsbruder vor. Doch damit wird ihre Situation nicht besser, denn es gibt keinen Weg von der Insel und die Bedrohung wird immer deutlicher...eine Bedrohung aus der Vergangenheit ihrer Familie...
Der spanische Regisseur Nacho Cerdà, der seinerzeit mit seinem Kurzfilm „Aftermath“ berüchtigt wurde, drehte im Jahre 2006 mit dem in spanisch-bulgarisch-britischer Koproduktion entstandenen Horrorfilm „The Abandoned – Die Verlassen“ seinen ersten Film in Spielfilmlänge.

Marie Jones (Anastasia Hille, „The Hole“), gebürtige Russin, aber bereits kurz nach der Geburt von einem britischen Paar adoptiert worden, lebt in den USA und verdingt sich als Filmproduzentin. Ihre biologische Mutter hat sie nie kennengelernt. Als ein Notar ihr eröffnet, dass sie das elterliche Gut geerbt hat, reist sie nach Russland, um das verfallene Haus, das sich auf einer abgelegenen Insel befindet, aufzusuchen. Plötzlich wird sie mit einer ihr verdammt ähnlich sehenden, geisterartigen Erscheinung konfrontiert und trifft zudem auf den Soldaten Nicolai (Karel Roden, „Orphan – Das Waisenkind“), der sich als ihr Zwillingsbruder vorstellt, dem sie aber zunächst misstraut. Welches dunkle Geheimnis birgt das Gebäude, was hatte es mit ihren Eltern auf sich und wie soll sie jemals wieder von der Insel herunterkommen?

Grob einordnen lässt sich „The Abandoned“ als Geisterhausgrusler. Das von Cerdà zusammen mit Karim Hussain und Richard Stanley verfasste Drehbuch birgt eine eigentlich nicht sonderlich komplexe Handlung, die jedoch relativ umständlich und in verschiedenen Zeit- und Bewusstseinsebenen verschachtelt erzählt wird. Diese wird visuell eingefangen von der künstlerischen Kamera Xavi Giménez’ („The Nameless“), der fantastische Bilder voll düsterer, trister, auswegloser Stimmung mit Blick für Details und eine (in Bulgarien statt Russland gedrehte) gleichzeitig unwirtliche wie faszinierende Landschaft erzeugt. Zusammen mit einem sich morbide in die Gehörgänge schleichenden Soundtrack und sorgfältig ausstaffierten Kulissen eines Anwesens, das sämtliche Schutz- und Herbergsfunktionen eingebüßt hat, entsteht eine hochgradig gruselige, organische Atmosphäre, die sich anfühlt wie der Biss in einen fauligen Apfel. Einmal mehr beweist ein Spanier, dass er und seine Landmänner in den letzten ein, zwei Jahrzehnten ein Gespür für so etwas haben, wobei ich „The Abandoned“ klar an der Spitze spanischer Genrebeiträge sehe.

Die 40-jährige Hauptdarstellerin, die eine ebenso alte Rolle spielt, lässt man weitestgehend klischeefrei agieren und ein Stück Normalität in einem abnormen Ambiente bieten, das zur Identifikation, nicht aber zur Idealisierung durch den Zuschauer taugt. Karel Roden als Nicolai stellt ebenfalls sein schauspielerisches Talent unter Beweis. Man lässt ihn immer etwas mehr wissen als Marie, ihr stets einen Schritt voraus sein und souveräner erscheinen, letztendlich jedoch genauso zwischen verzweifelter Resignation und Kampfeswille pendeln. Die meiste Zeit beobachtet man diese beiden Hauptfiguren, wie sie nach und nach das Geheimnis des Hauses und die mit ihm in Verbindung stehende Familientragödie zu entpuzzeln versuchen. Häppchenweise, jedoch inhaltlich nicht allzu überraschend offenbart sich das gesamte Ausmaß, wobei die verklausulierte Erzählweise bisweilen etwas anstrengt, jedoch nicht so sehr, dass sie Enttäuschung hervorrufen würde. Sparsam und effektiv eingesetzte blutige Effekte verkommen zu keinem Selbstzweck, sondern betonen die gleichsam diffuse wie handfeste Gefahr des Orts. Außerdem kommen die fiesesten Wildschweine seit „Razorback“ und „Hannibal“ zum Einsatz.

„The Abandoned“ ist ein atmosphärisch perfekter, inhaltlich trauriger Film über die Unabänderlichkeit des Schicksals, der in seiner pessimistischen Ausrichtung das Verlassenwerden als Glück begreift. Ich liebe diese ernsten, humorfreien Iberen-Grusler, die der Stimmung eines verregneten Abends oder einer stürmischen Nacht die Krone aufsetzen und auch ein genreerfahrenes Publikum noch wirkungsvoll zu erschrecken verstehen. Deprimierend und dabei doch so kunstvoll und unterhaltsam – hervorragend geeignet für die gewissen Momente im Leben, in denen man sich in eine solche Gefühlslage hineinsteigern muss, um sie überwinden zu können. Oder eben einfach klassischer, in der Neuzeit angekommener Grusel auf ziemlich hohem Niveau, der die Vermittlung einer intensiven Stimmung hektischer Effekthascherei vorzieht und sein Publikum ernstnimmt, statt es für ADHS-Patienten zu halten.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Sa 10. Mär 2012, 02:10
von buxtebrawler
Bild
Die Stunde der grausamen Leichen
Der Buckelige Gotho arbeitet als Handlanger in einem Krankenhaus. Dort verliebt er sich in die totkranke Ilsa, die alsbald das Zeitliche segnet. Gotho kann sich damit nicht abfinden und schleppt die Leiche in seine unterirdische Behausung. Er bittet den skrupellosen Dr. Orla, Ilsa wieder zum Leben zu erwecken. Dieser wittert daraufhin die Chance, in Gothos Heim ein Laboratorium zu errichten, um dort illegale Reanimations-Experimente durchzuführen, für die ihm der ergebene Gotho das menschliche "Material" liefert. Doch Orla erschafft keine neue Ilsa, er erschafft ein Monstrum...
„Atme den Duft der Rosen, atme ihn ein! Es ist das Letzte, was du in deinem Leben atmest!“

Je mehr Filme ich von/mit Paul Naschy („Die Vampire des Dr. Dracula“) sehe, desto bewusster wird mir, dass ich das Pferd in der Vergangenheit ungewollt von hinten aufgezäumt hatte, indem ich mir zunächst die weniger gelungenen (bis völlig misslungenen) Naschys andrehen lassen hatte und desto mehr erschließt sich mir, welches Potential in diesem Mann steckte, welche Schlüsselfunktion er für die Entwicklung des Horrorfilms auf der iberischen Halbinsel hatte. Konnte er mich kürzlich in seiner bedeutenden Nebenrolle in „Der Totenchor der Knochenmänner“ schon vollends überzeugen, wagte ich den Griff zu „Die Stunde der grausamen Leichen“, der im Jahre 1973 unter der Regie Javier Aguirres entstand. Drehbuch: Jacinto Molina – alias Paul Naschy.

Der durch einen überdimensionalen Buckel entstellte Wolfgang Gotho arbeitet abgeschottet von der Außenwelt in einer Leichenhalle. Seine Mitmenschen haben für ihn nur Verachtung übrig und verspotten ihn, sogar Kinder greifen ihn auf offener Straße an und bewerfen ihn mit Steinen. Nachdem ein trinkfreudiger Student das Zeitliche segnete, nimmt er Kontakt zu dessen todkranker Verlobter Ilsa (María Elena Arpón, „Die Nacht der reitenden Leichen“) auf. Er besucht sie im Krankenhaus, bringt ihr Blumen mit und verliebt sich in sie. Als auch sie verstirbt, nimmt er ihren Körper mit in seine unterirdischen Katakomben, die in der Vergangenheit als Folterkammer der Inquisition dienten. Dr. Orla (Alberto Dalbés, „Todesmarsch der Bestien“) macht sich Gothos Gutgläubigkeit zunutze, indem er vorgibt, Ilsa wieder zum Leben erwecken zu können, wenn Gotho ihn nur mit genügend Leichenteilen versorgte. Gotho willigt ein, doch Dr. Orla führt ganz anderes im Schilde: In seinem in den Katakomben eingerichteten Geheimlabor möchte er künstliches Leben erschaffen und erbittet schon bald das erste noch lebendige Menschenmaterial...

Naschys Drehbuch merkt man seine Begeisterung für klassische Genremotive überdeutlich an: Es ist ein wildes Konglomerat, vollgepackt mit unterschiedlichen Motiven von Mad-Scientist-Thematik à la „Frankenstein“ über „Der Glöckner von Notre Dame“-Außenseitertragik und angedeuteter Nekrophilie bis hin zu Lovecraft’schen Tentakelmutationen, gewürzt mit exploitativen Goreszenen und einer dramatischen Schauerromanze. Ziemlich viel Stoff für solch einen Genrefilm, der über weite Strecken aber erstaunlich gut funktioniert. Langeweile kommt dadurch keine auf, stattdessen wirkt „Die Stunde der grausamen Leichen“ eher etwas überladen.

Angesiedelt in Feldkirch, Deutschland, wurde in Wirklichkeit an verschiedenen Orten Spaniens gedreht, zumeist an Originalschauplätzen: Die Katakomben gibt es tatsächlich in Madrid, das Krankenhaus war ein echtes Krankenhaus usw. Das bedeutet, dass man es angenehmerweise nicht mit billigen Studiokulissen zu tun bekommt, sondern die Bilder einen hohen Grad an Authentizität ausstrahlen, eingefangen in satten, warmen Brauntönen in gotisch-stimmungsvoller Atmosphäre voller Morbidität. Naschy, der sich glücklicherweise auf eine Rolle beschränkte, spielt seinen Gotho voller Inbrunst und legte all sein tragisches Talent und offensichtlich viel Herzblut in diesen ambivalenten Charakter, der eigentlich ein herzensguter Mensch ist, von seinem Umfeld aber zu einem mordenden Monstrum gemacht wird. Er versteht es tatsächlich, einen buckligen Mörder, der nach vorn gebeugt und mit hängenden Armen wie ein Menschenaffe umherläuft, zum Sympathieträger des Publikums zu machen, das mit dieser bedauernswerten Gestalt mitfiebert und ihm die Tränen, die über sein geschminktes Gesicht kullern, ebenso abkauft wie es ihm seine Wutausbrüche verzeiht. Doch der Schlingel ist nicht auf den Kopf gefallen und schrieb sich selbst eine Sexszene ins Drehbuch, die seinen Gotho mit der attraktiven, eine überaus verständnisvolle Ärztin spielenden Rosanna Yanni („Die rote Sonne der Rache“) in den Federn landen lässt. Sicherlich ein Novum in Verbindung mit dieser Art „Film-Dorfdeppen“. Leider bekam man diese Szene in ihrer ursprünglichen Form in Francos Spanien nicht durch die Zensur, angeblich wurde sie sogar vernichtet und ist somit unwiederbringlich verloren. Übrig blieb eine kurze Szene, die nicht sonderlich viel offenbart.

Dafür gibt man sich in Sachen grafischer Gewalt expliziter: Da werden Gliedmaßen abgetrennt, nehmen Menschen unfreiwillig Säurebäder und quillt das Gekröse aus dem offenen Bauch – durchaus wohldosiert und mit dem Konzept des Films als Genre-Sammelsurium im Exploitation-Gewand unter dem Dach des atmosphärischen Gothic-Horrors einhergehend. Und wenn am Ende endlich das mittlerweile ausgewachsene, künstlich erschaffene Monster auf den Plan tritt und durch die Katakomben brüllt und tobt, erreicht „Die Stunde der grausamen Leichen“ pointiert seinen Höhepunkt. Was gibt es also zu kritisieren? Neben dem angesichts der opulenten Optik und detailreichen Ausstaffierung des Films sehr unauffälligen und unterdimensionierten Soundtrack beispielsweise, dass direkt zu Beginn nicht wirklich klar wird, woran der Student verendet. Hat er sich totgesoffen, bricht also infolge übermäßigen Alkoholkonsums auf offener Straße zusammen, nachdem er eben noch fröhlich trällernd durch die Gassen wankte? Oder hat sich Gotho für den verächtlichen Umgang mit ihm gerächt und ihn getötet? Unklar bleibt ebenfalls, woran die sterbenskranke Ilsa eigentlich leidet. Im Film wirkt es so, als wäre sie wegen eines harmlosen Hustens im Krankenhaus, wegen dem ihr die Ärzte nur noch ein, zwei Tage zu Leben geben...? Ihre Sterbeszene, die vermutlich gern tragisch gewesen wäre, ist sodann an Unspektakularität kaum zu überbieten. Die Eröffnungsszene in einer vermeintlich deutschen Gastwirtschaft strotzt nur so vor Klischees vom biersaufenden Deutschländer und wirkt unfreiwillig komisch – was eben nicht im Alter des Films begründet liegt und sich damit ebenso wenig entschuldigen lässt wie gerade bei Effekten wenig elegante Schnitte und Anschlussfehler wie ein sich wie von Zauberhand von selbst umdrehender abgeschlagener Kopf.

Doch gemessen an meinem eigentlichen Anlass zur Kritik sind das nur Details: Anscheinend hielt sich hartnäckig das Gerücht, für diverse Leichenhallenszenen wäre an echten Leichen herumgeschnippelt worden. Das stellt sich letztlich als wesentlich harmloser heraus, als befürchtet: Es wird einmal in den Hals eines echten Verstorbenen geschnitten, die eigentlich Kopfabtrennszene wurde laut Naschy aber bereits wieder getrickst. Regisseur Aguirre jedoch schien eine sonderbare Kaltschnäuzigkeit zu entwickeln, denn angeblich wäre es ihm am liebsten gewesen, die gesamte Szene mit einem echten Körper zu drehen. In Anbetracht dessen ist es dann auch kaum verwunderlich, dass es offensichtlich das Normalste der Welt war, echte Ratten für eine vollkommen überflüssige und sinnlose Szene bei lebendigem Leibe zu verbrennen und auf ihrer verzweifelten Flucht zum Zwecke purer Effekthascherei zu filmen. So ein sympathisches und kultiviertes Völkchen sie sonst auch sein mögen, ein asozialer, grausamer Umgang mit seinen Mitgeschöpfen scheint in Spanien besonders verbreitet zu sein. So etwas vermiest mir das Filmvergnügen extrem, so etwas möchte ich nicht sehen und reißt mich unwillkürlich aus der Handlung. Natürlich erfreue ich mich an Gewaltdarstellungen in Horrorfilmen – da ich mich an guten, plastischen Effekten, an gelungener Tricktechnik, an der Erzeugung einer Illusion erfreue. Je authentischer, desto besser, ganz klar. Das bedeutet aber nicht, dass diese Authentizität erreicht werden soll durch jeglichen Verzicht auf Spezialeffekte, indem man Tiere quält und ohne Sinn und Verstand grausam tötet, indem man sich kurzerhand an echten menschlichen Kadavern vergreift oder auch schleimige Tentakeln als wabernde mutierende Massen zeigt, indem man stumpf und plump gleich mehrere lebendige Oktopusse in ein viel zu enges Glasgefäß zwängt. Das ist ein Schlag ins Gesicht jeder ehrlichen Spezialeffektarbeit, eine ethische Bankrotterklärung für das eigene Handwerk, was sich mit zwei Punkten Abzug in meiner Bewertung niederschlägt.

In diesem Falle ist es besonders schade, da es sich ansonsten um einen sehr gelungenen, sehenswerten, wegweisenden Horrorbeitrag aus Spanien handelt, der nicht nur mit einem bestens aufgelegten Paul Naschy glänzt, sondern auch darüber hinaus in schauspielerischer Hinsicht kaum trashige Ausreißer zu verzeichnen hat. Der Ernst, mit dem alle Beteiligten bei der Sache, sorgt zwar hin und wieder für ein Schmunzeln, letztlich wird aber ein jeder Genrekenner dem Endergebnis Respekt zollen. Und nun würde ich gern endlich einmal Paul Naschy als Waldemar Daninsky sehen...

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Mo 12. Mär 2012, 17:47
von buxtebrawler
Bild
Die Vorstadtkrokodile
Der an den Rollstuhl gefesselte Kurt wird von seinen Mitmenschen nicht als gleichwertig angesehen, nur eine Kinderbande, die Krokodile - ihr Kennzeichen ist ein aufgenähtes Krokodil, lernen ihn nach diversen Anlaufschwierigkeiten als Freund und Menschen schätzen und nehmen ihn in die Bande auf. Die anfänglichen Bedenken Kurt könnte auf Grund seiner körperlichen Schranken nicht zu ihnen passen, werden schnell aus der Welt geschafft, als er sich nicht vor einer Mutprobe scheut …
„Sanierung ist, wenn alles abgerissen wird!“

Die unter der Regie Wolfgang Beckers (diverse „Der Kommissar“-, „Derrick“- und „Tatort“-Folgen) 1977 entstandene Verfilmung des deutschen Kinderabenteuers „Die Vorstadtkrokodile“ von Max von der Grün unterhält Jung und Alt prächtig und versteht es, eine positive Aussage zu treffen, ohne dabei die pädagogische Keule zu schwingen. Zu den dem Kindheitsalter entwachsenen Schauspielern gehören Wolfgang Grönebaum und Marie-Luise Marjan („Die Lindenstraße“) sowie Martin Semmelrogge („Das Boot“).

„Die Krokodile“ sind eine vornehmlich aus Jungs bestehende Kinderbande aus einem Vorort am Niederrhein, die ein Baumhaus unterhält, viel mit ihren Fahrrändern unterwegs ist und neue Mitglieder nur nach einer bestandenen Mutprobe aufnimmt – wie den zehnjährigen Hannes, der auf ein hohes Dach klettern muss und dadurch einen Feuerwehreinsatz auslöst. Denn beobachtet wird die Szenerie vom an den Rollstuhl gefesselten Kurt, mit dem sich Hannes anfreundet und ihn den anderen „Krokodilern“ vorstellt. Dort stößt Kurt aufgrund seiner Behinderung zunächst auf Ablehnung, erweist sich jedoch als intelligenter und aufgeweckter Kerl, der gar nicht so anders als die anderen und ihnen in mancher Hinsicht gar überlegen ist. So hat er beispielsweise einen Einbruch beobachtet und lotst seine neuen Freunde zum Versteck des Diebesguts, wo die „Krokodile“ ihr neues Lager errichten. Und während allgemein angenommen wird, die „Itaker“ wären für den Einbruch verantwortlich, stellt sich heraus, dass Egon (Martin Semmelrogge), älterer Bruder des „Krokodilers“ Frank, mit der Sache zu tun hat…

Temporeich inszeniert unter Begleitung zeitgenössischer Rock- und Popmusik, erzählt „Die Vorstadtkrokodile“ nahezu frei von Kitsch, Pathos und Rührseligkeiten ein Plädoyer für Solidarität und Zusammenhalt sowie das Überwinden von Ausgrenzungen und den Dialog. Seine Authentizität erlangt der Film neben den Originalschauplätzen nicht zuletzt durch die Besetzung mit echten Gören vom Niederrhein, die quatschen, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist; Laidendarsteller, die man nicht in enge Korsetts zerrte, sondern befreit aufspielen ließ. Zudem bleibt der erhobene Zeigefinger in der Tasche. Gefährliche Mutproben werden durchgeführt, die von den Erwachsenen zwar verurteilt werden, hingegen kaum negative Folgen für die Kinder nach sich ziehen. Ein Hausarrest wird übertreten, die Kinder laben sich ausgiebig am Wein, die Eltern rauchen noch in Anwesenheit des Nachwuchses in der Wohnung und die Sprache ist noch nicht durch politisches korrektes Neusprech ersetzt worden. Scheint „Die Vorstadtkrokodile“ anfänglich noch Vorurteile gegen italienische Einwanderer in den Fokus rücken zu wollen, findet dieses Thema zwar nur am Rand statt, ist aber dennoch allgegenwärtig – ohne dabei die Italiener zu verklären, denn aus heutiger Sicht, mit heutigen Sehgewohnheiten im Hinterkopf, ist es überraschend, dass man diese tatsächlich als Langfinger darstellt. Das würde alles so heutzutage nicht mehr gedreht werden, schon gar nicht als ein Kinderfilm. Niemand hatte hier die Nachahmungsgefahr überbewertet, stattdessen wurde noch auf die Eigenintelligenz des Publikums vertraut.

Bemerkenswert auch das Frauenbild des Films: Während sich erwachsene Frauen i.d.R. als Hausmütter verdingen, ist „Krokodilerin“ Maria, das einzige weibliche Mitglied, bereits reifer und sichtlich weiterentwickelt als der Rest der Bande, größer als die meisten anderen und nimmt eine durchaus dominante Rolle ein. In einer Szene, in der sich die Jungs zu sehr schämen, Kurts Hose zu öffnen und ihm beim Wasserlassen zu helfen, tut sie das mit einer Selbstverständlichkeit und entlarvt die Jungs damit als verunsichert und verklemmt. Ironischerweise wird Kurt von einem burschikosen Mädchen gespielt, dürfte daher in dieser Szene gedoublet worden sein. Generell zeigt der Film, dass Ablehnung und Ausgrenzung häufig aus Desinformation und Verunsicherung resultieren und man lässt die „Krokodiler“ auch bandeninterne Meinungsverschiedenheiten ausfechten, die Argumentationsstrukturen der Erwachsenenwelt aufweisen und eine Reflektion ihrer sind. Zudem arbeitete man das Konfliktpotential resultierend aus hoch angesehen, einflussreichen Bewohnern, ihrer privilegierten Behandlung und der Angst vor negativen Folgen nach Auseinandersetzungen mit ihnen in die Handlung auf kritische Weise ein.

Mit seiner Unbedarftheit wirkt „Die Vorstadtkrokodile“ auch – oder gerade – heute sehr erfrischend. Zeitgenössisch und dabei modern finden damals aktuelle Themen Einzug in eine wiederum zeitlose Geschichte, die es in unzähligen Varianten zu erzählen gibt, hier aber besonders gelungen umgesetzt wurde. Diese besondere Zeit der Präpubertät, die Zeit der nicht immer kindgerechten, großen Abenteuer, die dem eigenen Leben starke Impulse auf dem Weg zum Erwachsenwerden verleihen können, die Becker stattfinden lässt in einem Zeitabschnitt, als Kinder noch selbstbewusst auf der Straße herumtollten, Baumhäuser bauten und sich zahlreichen Gefahren aussetzten, die sie kraft ihrer Gemeinschaft meist selbst durchstanden, weiß jeden, der selbst einmal Ähnliches erlebt hat, zu überzeugen und löst möglicherweise sogar etwas Wehmut aus. Aber nur ein bisschen.

P.S.: War dies evtl. der erste deutsche Spielfilm, in dem Skateboards auftauchten?

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 13. Mär 2012, 17:08
von buxtebrawler
Bild
Abwärts
Freitagabend in einem Bürohaus. Vier Menschen treffen im Expreßaufzug aufeinander. Sekunden später sind sie Gefangene, mehr als hundert Meter über dem Boden, eingesperrt auf wenige Quadratmeter. Enge, Klaustrophobie, Angst - während die naht, entscheiden sich Schicksale. Doch einer wird der Falle nicht entkommen...
Der schweizerische Regisseur Carl Schenkel („Exquisite Tenderness – Höllische Qualen“) empfahl sich mit der deutschen Produktion „Abwärts“ aus dem Jahre 1984 für spätere höher budgetierte Projekte, denn es gelang ihm, mit sehr eingeschränkten Mitteln einen gut funktionierenden Psycho-Thriller zu kreieren.

An einem Freitagabend bleiben vier Menschen im Fahrstuhl eines Frankfurter Bürokomplexes stecken: Werbekaufmann und Yuppiemacho Jörg (Götz George, „Der Totmacher“), Kollegin und Karriereblondchen Marion (Renée Soutendijk, „Eve 8 – Außer Kontrolle“), der auf alternativ machende, lässige Pit (Hannes Jaenicke, „Rosa Luxemburg“) und der schweigsame, alte Buchhalter Gössmann (Wolfgang Kieling, „Der Millionenraub“). Damit prallen Welten – insbesondere zwischen Jörg und Pit – aufeinander und Konflikte treten offen zutage, als die Egos der beiden jüngeren Männer sich gegenseitig nur bedingt zu dulden bereit sind. Da die Situation aber immer ernster wird und Hilfe nicht in Sicht scheint, pendelt man zwischen konstruktiver Zusammenarbeit, um der engen Kabine zu entkommen, und offenen Anfeindungen bis hin zu nonverbalen Auseinandersetzungen.

Schenkels klaustrophobischer Thriller gleicht die meiste Zeit einem Kammerspiel, findet es doch hauptsächlich in der Fahrstuhlkabine statt. Dabei möchte er menschliches Verhalten in Extremsituationen aufzeigen, die beinahe alle guten Manieren und vordergründige Etikette vergessen lassen. George nimmt man seine Rolle des sich in seiner Männlichkeit durch Pits Anwesenheit gefährdet sehenden, prolligen Möchtegern-Upperclass-Yuppies zu jeder Sekunde ab, wobei sich mir bei dieser Art des Schauspiels immer die Frage stellt, inwieweit er nicht einfach sich selbst spielt. Jaenicke feiert in „Abwärts“ sein Spielfilmdebüt und ist aus heutiger Sicht zunächst sehr gewöhnungsbedürftig als, ja, als was eigentlich? Ein angepunkter Anarcho? Ein Sponti-Student? Was immer er da genau spielt, seine Rolle, die die Antithese zu Jörg darstellen soll, erscheint mir etwas eigenartig konstruiert, doch Jaenicke füllt sie mit Leben. Und während Kieling als unauffälliger Buchhalter Gössmann erst zu einem relativ späten Zeitpunkt das Sprichwort von den tiefen, stillen Wassern bestätigen darf, verwundert die aufgetakelte, aber recht uncharismatische Soutendijk als Objekte der Begierde sowohl Jörgs als auch Pits. Klar, zu Jörg passt diese oberflächlich erscheinende, egozentrische Schlampe, aber zu Pit? Möglicherweise lässt das Drehbuch sich Pit nur für Marion interessieren, um Jörg eins auszuwischen und schwer auf die Nerven zu gehen.

Generell ist kein wirklicher Sympathieträger vorhanden, Pit nervt ebenso wie Jörg, nur eben auf etwas andere Weise. Am erträglichsten erscheint da noch der Buchhalter, der wenigstens den Mund hält. Kehrseite der Medaille ist, dass man ihn zunächst überhaupt nicht kennenlernt. Dennoch funktioniert „Abwärts“ gut, wenn auch nicht alle Dialogzeilen sofort nachvollziehbar erscheinen. Spannung wird erzeugt, wann immer unsere Gefangenen durchs Kabinendach in den Fahrstuhlschacht klettern, um nach einer Möglichkeit zu suchen, endlich aus dem Schlamassel herauszukommen. Das führt zu schmutzigen Klamotten und blutigen Verletzungen, von der schweißtreibenden Lebensgefahr ganz zu schweigen. Als nach langer Zeit endlich Rettung naht, treibt man die Spannung mit einer nervenzerreißenden Geräuschkulisse auf den Höhepunkt und als es schlussendlich tatsächlich „abwärts“ geht, stellt sich die Frage, wer diesen Wahnsinn wie überleben wird.

Nicht schlecht, was Herr Schenkel da fabriziert hat, wahrlich nicht. Ein paar Abstriche muss man sicherlich bei den konstruierten Charakteren und manch Textzeile des dialoglastigen Films machen, der zudem bisweilen etwas klinisch-kühl und distanziert wirkt. Ansonsten aber gerade für Fahrstuhlphobiker zu empfehlen, die sich „Abwärts“ am besten im Doppelpack mit „Fahrstuhl des Grauens“ anschauen.

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Verfasst: Di 13. Mär 2012, 22:39
von buxtebrawler
Bild
Ein Fremder ohne Namen
Ein geheimnisvoller Fremder reitet aus der Wüste kommend in eine kleine Westernstadt und tötet drei Revolvermänner, die die Stadt terrorisiert haben. Trotzdem hat fast jeder in der Stadt Angst vor dem Fremden, der sich entscheidet auf unbestimmte Zeit zu bleiben. Die Bewohner fordern ihn auf zu gehen, da sie die Rückkehr und die Rache der gesamten Bande fürchten, doch der Fremde hat sowohl mit der Stadt als auch mit der Bande noch eine Rechnung offen...
Der Italo-Western, der gar keiner ist

„Sie sind Abfall und das wissen Sie auch! Ein besoffener Landstreicher, der die Manieren eines Ziegenbocks hat!“

Clint Eastwoods nach einem Thriller zweite veröffentlichte Regiearbeit „Ein Fremder ohne Namen“ aus dem Jahre 1973 ist eine Rachewestern à la Italiano, in dem er persönlich die Hauptrolle verkörpert, die ihm Jahre zuvor Sergio Leone auf den Leib geschneidert hatte: Den namenlosen fremden Revolverhelden.

Dieser sucht eines Tages das Örtchen Lago auf, verteidigt sich schussgewandt gegen drei großkotzige Minenbeschützer, vergewaltigt eine Frau und macht den Einwohnern klar, dass er nicht die Absicht hat, allzu bald wieder zu gehen und dem verängstigten und nun schutzlosen Völkchen stattdessen gegen die Rückkehr drei auf Rache sinnender Pistoleros zu helfen bereit ist – wenn er in Lago schalten und walten kann, wie er will...

„Wozu eine Anklage? Vergeben und vergessen, das ist unser Motto!“

Mit Eastwood als Anti-Held mit verkniffenem Gesichtsausdruck und Zigarillo im Mundwinkel ist „Ein Fremder ohne Namen“ durch und durch italienisch, ebenso die Charakterzeichnungen, denn kaum jemand hat hier keinen Dreck am Stecken oder ist wirklich charakterlich integer. Eastwood hingegen ist supercool und kommentiert das groteske Geschehen mit lässigen Sprüchen, wenn er Amts- und Würdenträger entmachtet, ein Hotel für sich allein räumen lässt, sich einfach nimmt, was er braucht und die Bewohner Lagos gar Picknicktische aufbauen und die Gebäude rot anstreichen lässt. Dabei kommt es zu einer Menge zitierwürdiger Dialoge und Einzeiler, ohne ins Alberne abzudriften. Für etwas Komik sorgen ein, zwei Nebenrollen, vornehmlich Billy Curtis als ehemals verspotteter Kleinwüchsiger, den der geheimnisvolle Fremde zum Marshall machte sowie die Situation an sich, die das feige, heuchlerische, opportunistische Lagoer Völkchen erniedrigt und demütigt.

Nach und nach erfährt der Zuschauer, durch Rückblenden und Gespräche der Ortsbewohner, was sich vor des Fremden Ankunft wirklich in Lago abgespielt hat, das genaue Motiv offenbart sich ihm allerdings erst als Schlusspointe, die in der Originalsynchro übrigens weniger eindeutig ist als im deutschen Ton. Bis dahin wird man Zeuge eines überwiegend auch grafisch harten Westerns auf technisch und schauspielerisch hohem Niveau, der mit derbstem Sexismus schockiert und es schwierig macht, den Fremden als Sympathieträger anzunehmen, was in anderer Genrekost trotz der Unerbittlichkeit der Rollen in der Regel gelingt. Inwieweit dies genau so beabsichtigt war oder aber auch eine Vergewaltigung als „hart, aber gerecht“ angesehen wurde, entzieht sich meiner Kenntnis. Die Authentizität leidet etwas, wenn der Fremde einige bedrohliche Situationen allzu leicht mit seinen Schießkünsten löst. Der großartige Showdown jedoch verwandelt Lago in eine infernale Hölle und zeichnet die Rache des Fremden als reinigende, aber verbrannte Erde zurücklassende Feuersbrunst. Die Kameraarbeit Bruce Surtees’ ist durchweg schön anzusehen, nimmt aber nicht die epischen Ausmaße eines Leones an, wie auch der Soundtrack Dee Bartons den Film zwar unterstützt, aber kein Vergleich zu den Werken großer italienischer Filmkomponisten ist.

Fazit: Clint Eastwoods Neuinterpretation von „Für eine Handvoll Dollar“, wenn man so will. Spannender, harter, technisch gänzlich überzeugender Western; eine gelungene Variation des bekannten Rachemotivs mit einigen frag- und diskussionswürdigen Szenen. Für Italo-Western-Freunde und Eastwood-Fans ein Muss und mir 7,5 von 10 Punkten wert.