Was vom Tage übrigblieb ...

Euer Filmtagebuch, Kommentare zu Filmen, Reviews

Moderator: jogiwan

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Maulwurf
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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Der Würger von Schloss Blackmoor (Harald Reinl, 1963) 7/10

Nach langem Dienst für die Krone in Südafrika steht Lucius Clark nun die Adelung ins Haus: SIR Lucius Clark. Er platzt fast vor Stolz, und weil ein Ritter seiner Majestät der Königin keine schmutzigen Schulden haben darf, ist Sir Lucius bereit, seine Verbindlichkeiten an den schmierigen Nachtclubbesitzer Tavish zurückzuzahlen, und zwar in Form von Rohdiamanten. Rohdiamanten, die er seinem damaligen Partner Mannings gestohlen, und diesen dann ermordet hat. Doch ein Mensch weiß offensichtlich von dieser Tat, und droht Sir Lucius mit dem Tode. Zuerst muss der Aufseher des Schlosses dran glauben, und dann der Bote, der die Diamanten nach London bringen soll. Tavish geht davon aus, dass Sir Lucius ihn bescheißen will, und Sir Lucius selber bekommt es zunehmend mit der Angst zu tun. Jeder in seinem Umfeld könnte der Würger sein. Jeder! JEDER!!

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Wenn man die frühen Edgar Wallace-Filme der Rialto ein paar mal gesehen hat, dann sind auch die anderen Filme aus dieser Zeit, die sich an den Erfolg der Rialto anhängen wollten, ein wenig wie Nachhausekommen: Ein habgieriger Schlossbesitzer, eine hübsche Nichte die sich in den ermittelnden Inspektor verliebt, ausgesprochen zwielichtige Gestalten in der Umgebung des Schlosses, schmierige und lichtscheue Finsterlinge der Londoner Unterwelt die ein Schnäppchen wittern, der Nebel wabert durch das Moor, das Feuer flackert im Kamin, und ein Schrei gellt durch das dunkle Schloss …

Das ist es, was man bei dieser Art Film aus dieser Entstehungszeit erwartet, und das ist es im Wesentlichen auch, was DER WÜRGER VON SCHLOSS BLACKMOOR bietet. Oder, wie es das Hamburger Abendblatt 1963 schrieb: „Auch hier Schloßgewölbe, Nebelschwaden und das bis zuletzt gewahrte Geheimnis des Maskierten als bewährte Spannungsträger.“ (1)
Dazu gern gesehene Schauspieler in ihren Standardrollen: Karin Dor als selbstbewusste und doch feminine Reporterin, Harry Riebauer als alleskönnender Inspektor, Rudolf Fernau ist der hinterfotzige Lucius Clark, Dieter Eppler sein halb wahnsinniger Butler und Gehilfe, Hans Nielsen der Nachtclubbesitzer und Richard Häussler der miese Anwalt Dr. Tromby. Walter Giller hat hier die Rolle des kauzigen Schlossbesitzers Sir Blackwood bekommen, und kalauert sich angenehmerweise nicht von Szene zu Szene wie Eddy Arent in den Filmen der Konkurrenz, sondern bleibt britisch-distinguiert und ernst, was vor allem im Showdown zu einigen starken Momenten führt. Und mittendrin das heute eher unbekannte Gesicht Ingmar Zeisberg als Gräfin und Bardame, als Zünglein an der Waage der Begierden. Leidenschaft, Habgier und Ehrgeiz gehen in dieser Frau eine starke Symbiose ein, machen ihre Szenen zu etwas Besonderem und geben dem Film Schliff und Format.

Wie gesagt, diese Filme sind wie wenn man nach Hause kommt. Man weiß was einen erwartet, und genau deswegen schaut man sich so etwas ja auch an. Eine Mischung aus angenehmen Grusel und wohliger Spannung, psychotischen Adligen, gierigen Gaunern, respektablen Polizisten, und über allem das wohlgesetzte Flair des britischen Empires Made in Berlin. Wobei ein paar echte Straßenaufnahmen aus dem London des Jahres 1963 noch für zusätzliches Flair sorgen, genauso wie rollende Köpfe und der Umstand, dass Inspektor Mitchell in den erstklassigen Actionszenen dem Würger ziemlich unterlegen scheint. Mit einem Wort: Spannend!

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(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Der_W%C3% ... _Blackmoor
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Jack Grimaldi
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Maulwurf
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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Die Rache der Kannibalen (Umberto Lenzi, 1981) 6/10

Die Anthropologin Gloria reist in den Dschungel, um für ihre Doktorarbeit daheim in New York zu beweisen, dass es keinen Kannibalismus gibt. Niemals gegeben hat. Dass Kannibalismus eine Erfindung der italienischen Filmindustrie ist, und basta! Begleitet wird sie dabei von ihrem Bruder Rudy und einer Freundin, Pat. Schnell zeigt sich, dass der Dschungel gewaltig unterschätzt wurde, nämlich als der Jeep im Schlamm steckenbleibt, man gezwungen ist zu Fuß weiterzugehen, und dann auch sehr schnell auf die übel zugerichteten Leichen einiger Eingeborenen stößt. Dort trifft man auch Mike und Joe, die sich auf der Flucht vor ein paar blutrünstigen Indianern befinden, die ihnen übel mitgespielt haben. Die Gruppe versteckt sich in einem Hüttendorf, um Joes Verletzungen ein wenig ruhen zu lassen. Irgendwann erzählt Joe allerdings, dass nicht die Indianer Mike und Joe Böses angetan haben, sondern dass es genau andersherum war. Dass Mike Angehörige der Indios grausam gefoltert und getötet hat. Und dass die Indianer jetzt zurückkommen und gleiches mit gleichem vergelten werden. Oder mit noch schlimmerem …

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Was kann man zu seinem Film sagen, der selber damit wirbt, dass er angeblich in 31 Ländern der Welt verboten ist? Wo NACKT UND ZERFLEISCHT mit einer Sozialkritik daherkommt die sich gewaschen hat, und damit fast alle Vorwürfe über die gezeigten Grausamkeiten hinwegfegt, da suhlt sich CANNIBAL FEROX im eigenen Saft. Die Zurschaustellung der Gewalt und der blutigen Details hat keinen anderen Grund mehr, als der Befriedigung blut- und effektgeiler Zuschauer zu dienen, was dann allgemein mit dem Wort selbstzweckhaft kennzeichnet wird - Der Film wird verboten, und die Welt ist wieder in Ordnung.

Doch ist das wirklich so?

Auf der einen Seite ist es bekannt, dass das italienische Kino ab den späten 70er-Jahren ernsthafte Probleme hatte, und sich ab den frühen 80ern dann qualitativ und strukturell im Sinkflug befand. Das Rezept, um Menschen in die Kinos zu locken, war, wie so oft, ein Mehr an Sex und Gewalt, und die kurze Welle der Kannibalenfilme zwischen etwa 1977 und 1981 war letzten Endes nichts anderes als ein Versuch, durch die massive Erhöhung expliziter Schauwerte Geld in die Kassen einer siechen Industrie zu spülen. Das Publikum möchte bis heute gerne sterbende Gladiatoren sehen, damals im Kolosseum, heute auf der Leinwand. Früher mal als Western, später dann eben im Kannibalenfilm. Unter dem Druck von Zeit und Budget (CANNIBAL FEROX hatte ein Budget von nur 100.000 Dollar) wurden allerdings Dinge wie eine sorgfältige Produktion oder ein ausgearbeitetes Drehbuch vernachlässigt, wichtiger waren die Menge an eingesetztem Kunstblut, herausquellendem Gedärm und an dargestellter nackter Haut.

Vor allem von den ersten beiden Punkten bietet CANNIBAL FEROX reichlich, und die Schlagzahl an explizit gezeigten Grausamkeiten ist tatsächlich extrem hoch. Vielleicht nicht so hoch wie in den Horrorfilmen dieser Zeit, dafür aber, durch das im hier und heute spielende Setting, realistisch, und damit umso überzeugender in seiner Darstellung. Es ist halt ein emotionaler Unterschied, ob eine Kunstfigur Zombie einen Darsteller zerfleischt, oder eine real existierende Figur Amazonas-Indio: Zwei Männer werden kastriert, eine Frau wird mit Fleischerhaken an ihren Brüsten zum Sterben aufgehängt, einem Mann wird die Kopfplatte mit einer Machete abgeschlagen und das Hirn wird gegessen. Auch wenn die Filmtricks mitunter leicht durchschaubar sind, so sind die Resultate definitiv eines: Schockierend und grausam.

Was in CANNIBAL FEROX allerdings noch grausamer erscheint ist die hohe Menge an Tiersnuff. Wo Ruggero Deodato die Darsteller völlig unnötig genüsslich und in Großaufnahme eine Schildkröte ausweiden ließ, langt Umberto Lenzi (un)ziemlich in die Vollen: Der Tier-Bodycount beinhaltet eine Schildkröte, den Kampf eines Nasenbärs gegen eine Anakonda, ein Schwein, und bestimmt noch einiges was ich gerade verdrängt habe. Entschuldigt wird dies prinzipiell mit der Aussage, dass die Natur halt so ist, was spätestens beim Todeskampf des angebunden Nasenbärs ad absurdum geführt wird, da das Kerlchen extra für diese Szene an den Pfahl gefesselt wurde. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Deodato der Tiersnuff bis heute vorgeworfen wird, Lenzi aber anscheinend wenig Probleme hatte mit solcherart Kritik. Offiziell als Tierquäler zu gelten war 1981 noch lange kein solches Schandmal wie 2020. Oder ob das vielleicht an der Relevanz des jeweiligen Films liegen mag? Giovanni Lombardo Radice hat sich auf jeden Fall geweigert das Schweinchen zu töten, und für das Abschlachten musste tatsächlich ein Double benutzt werden. Lenzi hat wohl anscheinend versucht, Radice mit den Worten „De Niro würde das tun“, zu überzeugen, woraufhin Radice antwortete „De Niro würde Deinen Arsch bis zurück nach Rom treten.“ Nichtsdestotrotz ein Umstand, der sehr gegen CANNIBAL FEROX spricht. Oder gegen Umberto Lenzi, je nachdem wie man das sehen mag. Mir persönlich hat es beim Ansehen jedenfalls ein paar mal ziemlich gereicht. Aber auch hier gilt wohl, dass die Gladiatoren zu sterben haben, um das Publikum zu befriedigen. Selbst, wenn es nur kleine Schweinchen sind, deren einziges Verbrechen war, am Bein von Lorraine De Selle zu schnuffeln …

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Aber hat CANNIBAL FEROX denn wirklich gar nichts qualitativ Ansprechendes zu bieten? Ist denn hier wirklich alles nur Blut und Innerei und … Schweinerei?

Nun ja, das ist nicht so einfach zu sagen. Sicher ist, dass Handlung und Dramaturgie(?)des Films auf einen Bierdeckel passen. Die eingeschobenen Sequenzen in New York, welche eine Drogengeschichte als Hintergrund zu Mike aufbauen, und am Schluss dafür sorgen dass die Kavallerie überhaupt noch am Ort des Gemetzels auftaucht, dienen in erster Linie sicherlich der Streckung der Laufzeit auf 93 Minuten. Aber wenn man den Tiersnuff und die New York-Szenen wegnimmt, dann bleibt halt auch nicht mehr viel übrig. Wenig Budget, wenig Inhalt, wenig Sorgfalt – Lenzi hat sich hier nicht gerade ein Denkmal gesetzt. Ganz im Gegenteil, nachdem im Vorjahr NACKT UND ZERFLEISCHT formal und finanziell der große Erfolg war, und Lenzis eigene Filme MONDO CANNIBALE (1972) und LEBENDIG GEFRESSEN (1980) ebenfalls ziemliche Erfolge waren, was lag da näher, als sich an den aktuellen Trend anzuhängen und Deodatos Meisterwerk mal eben zu kopieren? Wir nehmen ein paar junge Leute die im Dschungel Studien treiben wollen, wir nehmen Eingeborene die sich für ein erlittenes Unrecht rächen wollen, wir packen Tiersnuff hinein und würzen das ganze mit ein klein wenig nackter Frau, dazu ein extrem heftiger Schuss Gore (der Fulci hat ja damit auch gerade so einen Erfolg) – und fertig ist der Metzelsalat. Und ganz ehrlich, mehr hat der Film auch nicht. Fast.

Fast bedeutet, dass da dann doch noch ein paar Dinge sind, die den Film über das Niveau einer durchschnittlichen Zombies-rennen-durch-den-Park- Amateur-Produktion heben. Da ist einmal natürlich Giovanni Lombardo Radice, der hier, wie immer möchte man sagen, eine erstklassige Performance als mieses Schwein abliefert. Erscheint er zu Beginn, beim ersten Auftauchen im Dschungel, noch als akzeptabler Underdog mit Hang zum Drogenkonsum, leistet er sich spätestens im letzten Dorf der Eingeborenen ein paar ganz heftige Dinge, für die ihm der ein oder andere Zuschauer seinen Filmtod sicher zu recht wünscht. Radice ist auf jeden Fall derjenige, der in diesem Film alle Register zieht und jede Szene, in der er zu sehen ist, eindeutig beherrscht. Ob das nun daran lag, dass er mit Lenzi permanenten Streit hatte, oder weil er einfach ein extrem guter Schauspieler war, das möchte ich jetzt mal dahinstellen. Aber es dürfte wohl beides zutreffen …

Dann ist da noch ein Moment, der mein kleines Maulwurfsherz auf das Liebevollste erwärmt hat. Nach der Kastration von Mike gibt es einen ziemlich heftigen Schnitt, wir befinden uns wieder in New York, und dürfen längere Zeit einer Kapelle der Heilsarmee zuhören, während außenrum Plakate mit „Save our souls“-Sprüchen zu lesen sind. Ob das beabsichtigt war weiß ich nicht, aber diese Zusammenstellung ist gleichzeitig gänsehauterzeugend und zutiefst boshaft-sarkastisch, und ich möchte sie in meinen Filmerinnerungen nicht mehr missen.

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Und zu guter Letzt hat CANNIBAL FEROX, allen Plattheiten und Idiotien zum Trotz, tatsächlich ein gerüttelt Maß an Stimmung zu bieten. Während des Films merkt man das durch den hohen Goregehalt gar nicht so sehr, aber wenn Lorraine De Selle am Ende in die Kamera schaut, und das ganze Grauen, all die entsetzlichen Erlebnisse, wieder und wieder an ihr vorbeiziehen, dann merkt der Zuschauer, dass hier neben blutigen Schauwerten und erstklassigen Effekten doch noch etwas ganz Bestimmtes geboten wurde, nämlich Atmosphäre. Nicht so extrem wie in NACKT UND ZERFLEISCHT, doch der lässt sich sowieso nicht übertreffen. Aber wir waren auf einem wahrhaft höllischen Trip in den Amazonasdschungel, und Lenzi hat sich durchaus Mühe gegeben, ein wirklich intensiver und teuflischer Reiseleiter zu sein. Und auch wenn CANNIBAL FEROX im Grunde genommen ein rechter Schmarrn ist, so überzeugt er doch mit Stimmung, Setting und Giovanni Lombardo Radice. Anschließend war dann erstmal Schluss mit Kannibalismus im Kino, und diese letzte Aussage des Herrn Lenzi, dass alles nur eitel Blut und Gedärm ist, die passt als Schlussstrich unter ein Genre, dass im Wesentlichen aus nichts anderem bestand, ja auch wieder ganz gut.
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Maulwurf
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Beitrag von Maulwurf »

Die eiskalten Killer (Gianfranco Pagani, 1978) 5/10

Der alte Boss teilt sein Imperium zwischen seinen drei Vertrauten auf: Ein Stückchen an John (Luciano Pigozzi), ein Stückchen an Peter (Giancarlo Sisti), und ein Stückchen an den schmierigen Max Astarita (Gabriele Ferzetti). Der Alte schwört die drei darauf ein, ein einig Volk von Brüdern zu sein, doch natürlich kommt was kommen muss: Ein Killer meuchelt sowohl den Alten wie auch kurz darauf John, und der Krieg unter den potentiellen Nachfolgern ist im vollen Gange. Und während der ahnungslose Polizeiinspektor Morris (Marc Porel) noch munter Discotheken stürmt und Verdächtige Drogenkonsumenten zusammenschlägt, wohnt der Zuschauer bereits dem aufziehenden Drama bei: Die schöne Frau ohne Namen ist die Frau von Peter und die Liebhaberin von Max, und weiß in dieser Konstellation zu viel um sich nicht bestens abzusichern. Problemlos wartet sie ab wer von den beiden in diesem Spiel gewinnen wird, um demjenigen dann ihre Zuneigung zu schenken. Der Einsatz ist ein Koffer mit immerhin einer Million Dollar, von Peter hinterlegt in einem Schließfach.

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Ich weiß gar nicht so recht, wo ich da anfangen soll? Bei dem stückwerkhaften Drehbuch? Bei der amateurhaften Regie? Beim Schnitt der aussieht, als ob ein Kind mit Schere und Tesa durch die gedrehten Filmrollen durchgegangen ist? Oder einfach bei dem Umstand, dass der Film in Amerika spielt, und die amerikanische Polizei in 131er Fiats unterwegs ist, mit Fantasieuniformen und großen Klebebuchstaben am Auto? Die Drehorte sind mit großer Sicherheit mal in den Alpen (ich glaube das Val Bregaglia erkannt zu haben) oder möglicherweise in den Abruzzen, und die Settings sind so italienisch wie nur was. Was mag da schief gegangen sein?

Gianfranco Pagani war seines Zeichens eigentlich Produktionsleiter, der sich dann irgendwann mal an zwei Filme gewagt hat: Den Erotikfilm TRE SCIMMIE D’ORO, immerhin mit Laura Antonelli, und den Poliziotto DIE EISKALTEN KILLER, der rein besetzungstechnisch einiges bietet. Mit Gabriele Ferzetti, Laura Belli, Marc Porel und Raymond Pellegrin in den Hauptrollen war das Budget wahrscheinlich schon soweit erschöpft, dass Pagani nicht viel anderes übrig blieb, als den Rest quasi im Alleingang zu machen: Regie, Drehbuch und Schnitt lagen als wichtigste Betätigungsfelder alle in seiner Hand, und das Ergebnis ist, nun ja, wie soll ich es sagen … Durchwachsen. Ein Koch verdirbt viel Brei …

Streng genommen ist der Film erstmal ein ziemlicher Stuss. Die Personen laufen durch das Bild wie auf der Suche nach einem Wurstbrötchen, und wenn sie keines finden stehen sie in der Gegend herum und stieren in die Kamera oder an die Wand. Die Dekors sind genau so, wie man es sich bei einem extrem unterbudgetierten Film vorstellt, nämlich kaum vorhanden (das Polizeirevier wird dadurch identifiziert, dass 3 (in Worten: Drei) schief aufgehängte Bilder mit Gesichtern eine Fahndungsliste darstellen sollen), und die bereits erwähnten Klebebuchstaben an den „Polizeiautos“ machen die Sache auch nicht besser.

Raymond Pellegrin sitzt im Wesentlichen an seinem Schreibtisch und fragt sich, was zur Hölle er da tut, aber immerhin legt er dabei eine rechte Spielfreude an den Tag. Trotzdem, für einen Schauspieler, der rund 100 Filme in seiner Vita stehen hat, ist seine Anwesenheit schlichtweg verschenkt. Luciano Pigozzi hat höchstens knappe 5 Minuten Spielzeit, und dann kommen wir bereits zu den Hauptfiguren: Marc Porel hat einen schnieken Anzug an und strahlt die Coolness eines Inspektors aus, der genau weiß wo er die Verdächtigen im Verhör schlagen muss damit es nicht auffällt. Mit dem Fuß an den Hals, um Beispiel. … Sein Inspektor Morris ist zum zweiten Mal verheiratet, nämlich mit der wunderschönen Gloria (Laura Belli), und seine erste Frau wurde von Gangstern getötet. Seitdem befindet sich Morris im Krieg mit der Unterwelt. Es gibt keine Unschuldigen oder Verdächtigen mehr, es gibt nur noch ihn und die Schweine da draußen. Schweine mit einer Walther 38 (so der übersetzte Originaltitel). Das gängige Sujet des Poliziottos, dem prügelnden Cop einen mäßigenden Vorgesetzten an die Seite zu stellen ist hier nicht, Morris hat alle Freiheiten die er will. Alle! Folgender, sinngemäß wiedergegebener, Dialog findet per Funk statt: „Inspektor Morris, wo befinden sie sich?“ „Kann ich nicht sagen, ich folge meinem Instinkt.“

Als Gegenspieler haben wir Giancarlo Sisti als Peter und Gabriele Ferzetti als Max Astarita. Ersterer bleibt eher blass, weswegen er die Bühne dann auch irgendwann wieder verlassen darf. Denn Astarita ist der Mann der Stunde. Mit den Informationen seiner Geliebten, welche die Frau Peters ist/war, besitzt er schnell den Schlüssel in dem Spiel. Astarita lacht schmierig, lächelt schmierig, ist schmierig. Astarita hat ein sonniges Gemüt: Als ihm der Gepäckaufbewahrungsschein für den Millionenkoffer von einem Taschendieb gestohlen wird, lacht er, und freut sich, und schaut in die Sonne – Alles wird gut! So ein Gemüt hätte ich auch gerne, wenn mal wieder alles so richtig schief geht …

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Aber Astarita bekommt wie erwähnt diesen Koffer mit dem Inhalt von einer Million Dollar, da macht man als habgierige Frau auch mal gute Miene zum bösen Spiel. Denn der Hauptcharakter in DIE EISKALTEN KILLER ist definitiv Lea Landers namenlose Frau. Die Frau, die sich gleich zwei Gangstern hingibt und in aller Ruhe abwartet, wer denn letzten Endes das Rennen machen wird: Peter oder Astarita. Die Frau handelt kühl, überlegt, schnell entschlossen, und ist für alle Liebhaber von ruchlosen Frauen ein wahrer Leckerbissen. Was sie macht als sie nach Hause kommt, und ihren Süßen im Drogenrausch im Bett mit einer anderen findet, das dürfte die Grundlage für das berühmte klingonische Sprichwort Tarantino’scher Provenienz sein. So wenig Screentime Lea Lander zu Beginn hat, so wichtig wird sie im Lauf des Films noch, und die Entwicklung, die sie dabei durchläuft, ist eine spannende und interessante Sache. Ihre letzten Worte im Film sollte man eher der mauen deutschen Synchro zurechnen, ihr Filmcharakter würde niemals so sinnlos winseln. Eine eiskalte und steinharte Frau, die ihren Weg bis zum Ende geht. Ein weiblicher Lee Marvin. Beeindruckend!

Vielleicht nicht ganz so beeindruckend ist hier Marc Porel. Der Schweizer Schauspieler hat in den ersten zwei Dritteln recht wenig zu tun, und wenn er mal was macht, dann tritt und schlägt er entweder auf nebensächliche Verdächtige ein, oder er steht am Schießstand und durchlöchert Zielscheiben. Vorzugsweise mit Zeichnungen von Menschen darauf. Sein Familienleben ist nett, aber etwas patchworkig. Doch die traute und zu Beginn etwas überflüssig erscheinende Familienidylle hat filmlisch gesehen immerhin einen Sinn, denn irgendwann wird von Astaritas stümperhaftem Mann fürs Grobe Morris‘ Töchterchen gekidnappt, und seine Frau Gloria gleich hinterher. Mächtig böser Fehler, denn Morris klemmt sich eine Kippe in den Mundwinkel, setzt sich in seinen Ford Mustang, und fährt die Staatsstraße 104 auf und ab bis irgendwas passiert. Jawoll! Ein knallharter Cop, der genau weiß, wie er zu ermitteln hat: Keine Fahndung ausrufen, sondern abwarten bis eine Streife das Versteck der Gangster gefunden hat. Wenn Polizeiarbeit so ginge, wäre ich auch gerne Cop geworden …

Nein im Ernst, Marc Porel macht seine Sache hier ordentlich, und ist einer der Gründe, warum der Film trotz einer ewigen Auflistung von Idiotie-Faktoren trotzdem halbwegs funktioniert. Klar, man ist die ganze Zeit am Kopfschütteln – Entweder über die hanebüchenen Schnitte, oder über das zweizeilige Drehbuch. Und wenn dann doch mal irgendwas Ernsthaftes passiert, dann kommt sofort die deutsche Video-Synchro daher und macht die ganze Stimmung wieder kaputt. Aber der Film hat einfach was. Ständig passiert etwas Unvorhergesehenes, man muss die ganze Zeit sorgfältig aufpassen, und die vollkommen vertrottelten Gangster sorgen immer wieder für handfeste Überraschungen. Was ich sagen will ist dies: In einem Film von zum Beispiel Umberto Lenzi weiß man genau, wie sich der Kriminelle gleich verhalten wird. Hier verhält er sich anders! Unüberlegter. Dümmer. Und damit, für den Zuschauer, überraschender und spannender.

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Darum mag ich DIE EISKALTEN KILLER nicht einfach als langweilig verteufeln, und ich mag ihn genauso wenig in die Trash-Ecke stellen, denn da gehört er eigentlich gar nicht hin. Er ist halt nur … billiger als andere Poliziotteschi. Billiger nicht nur in Hinsicht des Budgets, sondern auch in seinem ganzen Flair, aber dabei schafft er es tatsächlich, einigermaßen zu unterhalten. Das Niveau eines, sagen wir, PROVINZ OHNE GESETZ wird selten erreicht, darüber zu bleiben schafft es DIE EISKALTEN KILLER meistens …
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Maulwurf
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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Okami – Der weiße Pfad der Hölle (Kenji Misumi, 1973) 4/10

Der einsame Wolf nimmt den Auftrag an, einen alten Priester zu töten, um gestohlene geheime Dokumente zurückzuholen, und diese Papiere an die Führer des Kuroda-Clans zu geben. Er nimmt aber auch noch einen weiteren Auftrag an: Er soll den Führer des Kuroda-Clans sowie dessen Frau und das kleine Kind töten. Okami nimmt den Auftrag an …

Was wie ein zeitgenössischer Western beginnt, verwandelt sich schnell in – ausufernde Langeweile. Die Unbesiegbarkeit Okamis, der mit unbeschreiblichen Massen von Gegnern in kürzester Zeit fertig wird, ohne auch nur einen einzigen Kratzer davonzutragen, hatte mich in den ersten drei Teilen ja schon zunehmend gestört (und gerade seine Verwundbarkeit ist einer der Gründe, warum mir der vierte Teil, DIE TÄTOWIERTE KILLERIN, um so vieles besser gefällt). Auch dass die Geschichten Haken schlagen und reiner Selbstnutz sind, also nur dazu dienen, die Kampfszenen zu verbinden, das ist nichts Neues. Aber dieses Mal hat es mich schon sehr gestört, dass außer den wunderschönen Bildern und den brachialen Kampfszenen so rein gar nichts vorhanden ist. Die kleine Geschichte um den Initiationsritus Daigoros in die Welt der Ronins, der verstoßenen und gesetzlosen Samurai, ist launig und bringt etwas Abwechslung ins Spiel, doch der Rest ist eine triste Abfolge ewig gleicher Aktionen: Okami nimmt nacheinander fünf Mordaufträge an, nacheinander überbracht durch fünf Kamikaze-Boten, Okami nimmt den sechsten Mordauftrag an, Okami schiebt den Kinderwagen durch die Gegend, Okami tötet.

Dass er es dabei mit immer größeren Heerscharen von Gegnern zu tun hat ist eine Falle, in welche die Drehbuchautoren sehenden Auges gelaufen sind, und nun keinen Ausweg mehr wissen. Im Kampf Mann gegen Mann ist Okami praktisch unbesiegbar, innert Sekunden metzelt er jeden Gegner nieder. Um also ein klein wenig Spannung zu entwickeln, wächst die Zahl der Feinde von Kampf zu Kampf. Und was macht Okami? Richtig, er metzelt alles nieder … Dabei hat es zwar sehr splatterig-hübsche Momente, und die Blutfontänen färben den Himmel über Japan tiefrot, aber Dinge wie Abwechslung und Spannung bleiben dabei schnell auf der Strecke, und machen Eintönigkeit und Langeweile Platz.

Nein, so leid es mir tut: mit DER WEISSE PFAD DER HÖLLE konnte ich sehr wenig anfangen. Zu viel Einerlei, ein zu strahlender und unverwundbarer Held, zu wenig Abwechslung.
Zuletzt geändert von Maulwurf am Sa 13. Mär 2021, 07:22, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitrag von Maulwurf »

London to Brighton – Gejagte Unschuld (Paul Andrew Williams, 2006) 8/10

Die zentrale Szene ist das 12-jährige Mädchen, das auf der Fahrt zum Freier im Taxi geschminkt wird. So viel Einsamkeit und Grauen sind in dieser kurzen Sequenz enthalten. Die Quintessenz eines Filmes, der uns eine Welt vorhält, die wir niemals wollten, und von der wir genau wissen, dass sie da draußen tatsächlich existiert. Eine Welt, in der die 12-jährige Joanne von Zuhause abhaut, weil ihre Mutter tot ist und ihr Vater immer nur säuft und sie verprügelt. Letzte Woche hat sie ihm die Kippen geklaut, da hat er ihr in die Rippen getreten. Jetzt ist Joanne auf der Walze und bettelt in irgendeinem U-Bahnaufgang. Kelly sieht sie, und Kelly ist gerade auf der Suche nach einer 12-jährigen, die für irgendeinen alten und reichen Sack für 100 Pfund die Beine breit machen soll. Derek hat sie mit der Suche beauftragt, und Kelly bekommt dafür 200 Pfund. Eine verdammte Menge Geld, und selbst wenn sie ein sehr schlechtes Gewissen dabei hat – 200 Pfund bedeuten, mal einen oder zwei Tage nicht im Regen auf der Straße stehen zu müssen.
Doch der Job läuft gnadenlos aus dem Ruder, und zurück bleibt ein toter Mann. Ein Mann, dessen Sohn, Stuart, ein Boss der Londoner Unterwelt ist, und der wissen will, wer zur Hölle seinen Vater umgelegt hat. „Mein Vater ist tot, und einer wird dafür bezahlen!“ Dass Derek da seine Finger drin hat weiß Stuart sehr schnell, also schickt Stuart Derek los, das Mädchen einzufangen. Der Preis für Derek: Das Leben. Also geht jetzt die Jagd los. Die Jagd auf ein 12-jähriges Mädchen, und ihre Freundin wider Willen.

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Neben der Szene im Taxi gibt es auch noch einen anderen bemerkenswerten Moment, nämlich wenn Derek in das Haus eintreten möchte in dem er Joanne und Kelly vermutet, und er gezwungen ist sich ein Lächeln abzuringen. Dieses „Lächeln“, also das Anheben der Mundwinkel um etwa 1 bis 2 Millimeter, ist die so ziemlich einzige nicht-aggressive Gefühlsbewegung des gesamten Films. Ansonsten gibt es nur Angst, Misstrauen, Gewalt und nochmals Gewalt. Derek ist ein dummes Schwein, dessen Leben daraus besteht, Mädchen zu verkaufen und in den Fernseher zu schauen. Stuart hat da schon ein erheblich höheres Niveau – Seine Leute sind loyaler und abgeklärter, und seine Gewalt ist auch kälter und erheblich effizienter als die von Derek. Aber auch diejenigen, die keine Gangster sind, sind weitgehend kalte und gefühlsarme Tiere, denen es nichts ausmacht sich selber zu verkaufen, solange die Kohle stimmt. Und vielleicht noch was zu Rauchen dabei abfällt.
Eine Welt, die aus Schlägen, Zigaretten und einer Tasse Tee besteht. Eine Welt, in der ein Vater seinen Sohn zwingt, eine Schachtel Zigaretten zu essen – Komplett! Mit Packung, Silberpapier und allem … Nur die Sache mit dem 12-jährigen Mädchen, die bringt die meisten dann doch ins Straucheln. Das ist etwas zu früh um bestialisch durchgefickt und zum Ziel von blutigen und grausamen SM-Szenarien zu werden. Was halt alles so einen kleinen und zarten Mädchenkörper penetrieren kann. Aber auf der anderen Seite: Das Geld! Für Geld wird alles getan, für Geld schiebt auch Kelly ihre Bedenken beiseite …

LONDON TO BRIGHTON ist düster, hart, gemein, schmutzig, und hat das Flair eines regnerischen Wintermorgens in einer U-Bahnunterführung, irgendwo in Süd-London. Die wenigen helleren Momente, etwa wenn Joanne und Kelly versuchen, an einem dieser Automaten einen Teddybären zu erspielen, werden sofort wieder abgeblockt: „Ich nenne meinen Sarah, und wie nennst Du Deinen?“ „Ich nenne ihn Vierpfundachtzig.“ Diese Welt ist nicht lustig und nicht heiter oder angenehm. Aber leider ist sie real. Der Film ist nicht lustig und nicht heiter oder angenehm. Aber sehr sehr gut …

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Tatort: Borowski und der Fluch der weißen Möwe (Hüseyin Tabak, 2020) 6/10

Ein Tag wie jeder andere im Leben der Polizisten in Ausbildung: Fahrtraining mit Blaulicht im fließenden Verkehr, eine Menge Spaß, ein geduldiger Ausbilder. Dann ein Notruf, Einsatz: Eine junge Frau steht auf dem Dach eines Hochhauses. Die jungen Polizisten scheinen die Situation unter Kontrolle zu bekommen, dann kommt der zweite Streifenwagen dazu, die junge Nasrin, ebenfalls in Ausbildung stürmt aufs Dach, sieht die junge Frau, die junge Frau sieht sie – und springt …
Ein Tag wie jeder andere im Leben der Polizisten in Ausbildung: Heute steht ein Rollenspiel auf dem Lehrplan. Verhörsituation am Tatort ist das Thema. Nasrin ist die Polizistin, ihr Kollege Sandro der Ehemann einer aufgefundenen Toten. Doch Sandro nutzt die Chance zur Eskalation, nimmt Nasrin als Geisel und hält ihr einen Schraubenzieher an den Hals. Nasrin dreht sich um, schlägt Sandro nieder, und sticht wie eine Irre mit dem Schraubenzieher auf ihn ein. Bevor die anwesenden Ausbilder eingreifen können ist Sandro tot. Kommissar Borowski und seine Kollegin Sahin versuchen herauszubekommen, was da eigentlich passiert ist.

Prinzipiell ist dieser TATORT erstmal ein Mix aus verschiedensten Genreformaten. EIN MANN SIEHT ROT ist da genauso dabei wie beliebige Maurizio Merli-Filme, in denen der Polizist das Gesetz in die eigenen Hände nimmt. INFERNO – DIE HÖLLE habe ich ebenfalls bemerkt, und was ich auch gesehen habe ist einiges an deutscher Fernsehgemütlichkeit. Klar, nicht jeder TATORT kann ein Tschiller oder ein Schimanski sein, aber manche Szenen kratzen schon arg an der Betulichkeit. Schade, denn eigentlich ist FLUCH DER WEISSEN MÖWE eine interessante Geschichte um Vergewaltigung und Rache, die vor allem eine Frage aufwirft: Warum wird jemand Polizist? Die Frage wurde zwar nicht gestellt, aber sie steht im Raum: Warum wurde Nasrin, die vor x Jahren Zeugin einer Vergewaltigung wurde, Polizistin? Und warum wurden Tobias und Leroy Polizisten, die jetzt das Gesetz in die eigene Hand nehmen?

Trotzdem, dieser TATORT ist spannend und flüssig erzählt, er hat ein paar echte Highlights (der Boxkampf im Verhörraum, die Momente, wenn Nasrin von den Erinnerungen überflutet wird), und er ist in sich stimmig. Vor allem wird die Geschichte nicht zu früh von der Leine gelassen, der Mitrate-Effekt ist recht hoch. Und wenn die Schauspieler jetzt noch lernen würden, nicht so grauenhaft zu nuscheln, dann wäre das alles eigentlich angenehme Fernsehunterhaltung auf vernünftigem Niveau. Nichts zum Unwohlfühlen, nichts zum Philosophieren, aber auch nichts zum langweilen. Passt …
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Finale in Berlin (Guy Hamilton, 1966) 7/10

Oberst Stok ist derjenige russische Geheimdienstoffizier, dem die Berliner Mauer untersteht. Und Oberst Stok will überlaufen in den Westen. Zumindest heißt es so beim britischen Secret Service, also reist Harry Palmer ins geteilte Berlin des Jahres 1966, um Stok aus dem Ost-Sektor herauszuholen. Palmer ist klüger als sein Vorgesetzter und wittert die Falle, aber nach einem Treffen mit Stok scheint dann doch alles klar zu sein: Stok will anscheinend tatsächlich rübermachen. Palmers Helfer sind der britische Agent Johnny Vulkan, der Berlin genau kennt, und der Fluchthelfer Kreutzmann. Und dann ist da noch die schöne Samantha Steel, die zwar von Palmer sofort als Agentin eines anderen Dienstes erkannt wird, die er aber trotzdem heiß und innig in seine Arme nimmt. Denn fast niemand in dieser Geschichte ist der, der er zu sein vorgibt. Und mögliche Verbündete sind in diesem Geschäft genauso selten wie Freunde oder Wahrheiten …

Teil 2 der erfolgreichen Harry Palmer-Geschichten aus der Feder von Len Deighton. Nach IPCRESS – STRENG GEHEIM muss der Agent wider Willen Palmer nun nach Berlin und seinen Scharfsinn im Kalten Krieg beweisen. Nach wie vor ist Palmer prinzipiell ein Anti-James Bond, aber es sind gewitzte Oneliner dazugekommen, und Palmer bekommt mühelos jede Frau ins Bett die er haben will. Zum einen sicher eine Reminiszenz an James Bond, zum anderen aber auch an den geänderten Status Michael Caines, der nach seinen ersten Erfolgen schnell zum Mädchenschwarm avancierte.

Dieser stärkeren Ausrichtung zum modernen Agententhriller zum Trotz hat FINALE IN BERLIN immer noch genügend Bodenhaftung, und wirkt grundlegend schmutzig und brutal. Der sehr geerdete Paul Hubschmid als Palmers Freund Johnny Vulkan und die vielen Ruinen der Stadt Berlin zeichnen ein düsteres und verkommenes Bild der Frontstadt, und die Geschichte, die sich zwischen diesen Ruinen entfaltet, ist vielschichtig und ebenfalls düster. Keiner der Beteiligten ist ein strahlender Held, optisch vielleicht am ehesten noch Samantha Steel im Juwelen-Bikini. Aber auch sie wird schnell umsteigen zu Rollkragen und Jeans, und mit beiden Beinen in der Realität stehen.
Die ganze Stimmung ist grundsolide, und Palmers Verzweiflung über die verfahrene Situation ist deutlich zu spüren: Instinktiv wittert er, dass der vermeintliche Überläufer Oberst Stok eine Falle ist, aber niemand glaubt ihm, und er bekommt seinen Verdacht nicht zu fassen. Wie ein Beobachter, mit nur wenigen Eingriffsmöglichkeiten, muss er die Geschichte rollen lassen und versuchen, hier und da steuernd einzugreifen. Sein angeborenes Misstrauen kommt ihm dabei zu Hilfe um vermeintliche Verbündete als Feinde zu identifizieren, genauso wie sein harmloses Äußeres. Der Satz „Palmer ist einfältig, er wird mir vertrauen“ ist mehrmals zu hören, was beim Zuschauer recht schnell zu einem Lächeln führen wird. Zu einem Lächeln, aber auch zu Zweifeln, ob die Mitspieler in diesem tödlichen Spiel nicht vielleicht doch Recht haben könnten mit ihrer Einschätzung. Die dadurch entstehenden Zweifel gesellen sich zu der dunklen und sich ständig verändernden Atmosphäre.

Zu dieser Stimmung gehört natürlich auch die Verwendung Berlins als Hintergrund. Die Geschäfte und Kinos, der Verkehr, die Mauer – Das alles ergibt ein einzigartiges Zeitbild, und eine perfekte Ergänzung für diese Geschichte. Straßen die beginnen und mittendrin einfach zu Ende sind. Bewohnte Häuser, die auf der Hälfte von der Mauer zerschnitten werden und auf der Rückseite Ruinen sind, diese Requisiten finden ihre Entsprechungen in der Story, in der die Personen nach vorne etwas anderes darstellen, als sie es dann letzten Endes sind. Die in der Öffentlichkeit zum Beispiel einen Juwelen-Bikini tragen, aber in der Dunkelheit, wenn keiner hinschaut, zur Maschinenpistole greifen. Eine Mehr- und Doppelbödigkeit, die FINALE IN BERLIN in jeder Sekunde spannend hält. Was in Summe zu einem in sich zwar ruhigen, dabei aber sehr spannenden Agentenfilm ohne eine einzige Länge führt.
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Jack Grimaldi
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Maulwurf
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Beitrag von Maulwurf »

Four Lions (Christopher Morris, 2010) 7/10

Mudschaheddin in England. Eine islamistische Zelle, mitten in einer englischen Großstadt. Vier Männer, zwei davon aus einem pakistanischen Ausbildungslager, die mit ihrem Leben abgeschlossen haben, und als Selbstmordattentäter in das Paradies eintreten wollen. Ihr Ziel: Ääh, mal sehen. Ah ja: Eine Moschee! Eine Moschee? “Willst Du vor Allah treten und sagen ‘Sieh, wie viele Ungläubige ich mitgebracht habe‘, oder willst Du sagen ‚Sieh, wie viele Brüder ich mitgebracht habe‘“?
Wer sind diese Vier? Faisal wird als Märtyrer in die Geschichte eingehen: Er sprengt ein Schaf in die Luft, nachdem er seit 12 Jahren Wasserstoffperoxyd im immergleichen Geschäft gekauft, und sich zur Tarnung verschiedene Stimmen zugelegt hat, unter anderem eine IRA-Stimme. Hassan dreht gerne Bekennervideos, auf denen er rappt: „I‘m a mudschaheddin and I’m making the scene ...“. Omar hat seine ganze Familie in den Dschihad mit eingebunden – Frau und Sohn haben es längst akzeptiert, dass Omar ins Paradies will, und unterstützen ihn wo es nur geht. Und Omars Freund Waj wird das mit dem Selbstmordattentat wie Wildwasserfahren im Vergnügungspark erklärt: „Willst Du Schlange stehen oder willst Du dabei sein?“

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Die Juden haben die Zündkerzen erfunden, um den internationalen Verkehr zu kontrollieren.

Es würde mich wirklich interessieren, wie dieser Film innerhalb der islamischen Gemeinde Großbritanniens angekommen ist. Wurde Regisseur Christopher Morris mit einer Fatwa belegt? Wurden die Darsteller als Verräter am Dschihad verfolgt? Oder sind die englischen Moslems mittlerweile soweit anglisiert, dass sie über so etwas lachen können? Erfolgreich war der Film in England auf jeden Fall …
Denn FOUR LIONS ist in erster Linie mal wahnsinnig komisch. Allein was Waj an Schenkelklopfern rauslässt toppt jeden Ach so lustigen Adam Sandler-Film, und die einzig gültige Replik auf seinen Plan, das Internet zu sprengen, kommt postwendend: „Wie denn? Mit einer Arschbombe auf das Laptop?“ Das Problem ist nicht, dass die vier Mudschaheddin (von denen zwei für ein paar Tage in einem pakistanischen Ausbildungslager waren, und dabei aus Versehen das naheliegende Lager der arabischen Terroristen zerstört und Osama Bin Laden getötet haben), das diese Vier also als grenzdebil dargestellt werden, sondern dass zumindest Omar, Hassan und Waj auch ziemlich nette Kerle sind, mit denen man jederzeit in den Pub um die Ecke ziehen würde. Hassan wäre für die gute Stimmung dabei, Waj für die Kalauer, und Omar, der intelligenteste der Vier, für das gute Gespräch.

Der nette, bombenlegende Moslem von nebenan. Das sind die Vier Löwen, und das bemerkenswerteste ist halt, dass kein Hass aufgebaut wird, sondern, wie Christopher Morris es ausdrückt, FOUR LIONS „ein warmherziger Film“ ist. Die Löwen sind einfach von Grund auf nette Kerle. Vielleicht etwas beschränkt, aber nett. Solche Leute kann man nicht hassen und man soll sie auch nicht hassen, schließlich sind sie ein Teil unserer Kultur. Wieso Omar sich unbedingt in die Luft sprengen will? Keine Ahnung, der Film liefert keine Antworten, und das liegt auch gar nicht in seiner Absicht. FOUR LIONS will zeigen, dass Fanatismus (genauso wie Dummheit) nur mit Offenheit und Entgegenkommen begegnet werden kann. Wer aufgenommen wird, der hasst nicht. Wer abgewiesen wird, schon. Und genauso wie WILLKOMMEN BEI DEN SCH’TIS macht FOUR LIONS sich nicht lustig über andere, sondern zeigt, dass die anderen ganz normale und nette Leute sind. Etwas schrullig vielleicht, aber nett. Für die anderen sind wir schließlich genauso schrullig. Mindestens …

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Und das ist es letzten Endes auch, was diese Groteske ausdrücken will: Ganz normale Briten mit einem ganz normalen Leben und einem ganz normalen Dialekt, die ein Teil der örtlichen Kultur sind, und verdammt noch mal nicht ausgegrenzt werden sollen und dürfen. Und dieser Sachverhalt kommt in die Köpfe der Zuschauer halt immer noch am Besten als Komödie. In diesem Fall, auch etwas, was FOUR LIONS mit den SCH’TIS gemeinsam hat, als extrem lustige Komödie, wobei hier der Schluss zusätzlich auch noch zum Grübeln anregt, und geschickt dafür sorgt, dass einem das Lachen gemeinerweise im Halse stecken bleibt.

Fazit: Pflichtprogramm für jeden der denkt, dass Andere prinzipiell doof sind. Oder um es mit Django Asül zu sagen: „Sagt der Polizist zu mir: ‘Geh dahin zurück, wo Du herkommst!‘ Ey, was soll ich in Landshut?“
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Beitrag von Maulwurf »

The iguana with the tongue of fire (Riccardo Freda, 1971) 7/10

Als der Chauffeur den Kofferraum der Botschafterlimousine öffnet, liegt darin - eine entstellte Frauenleiche. Der Botschafter verhält sich der Polizei gegenüber zwar durchaus entgegenkommend, ist aber nichtsdestotrotz ein Botschafter, und damit quasi fremdes Staatseigentum. Inspektor Lawrence muss also zur Aufklärung dieses Mordfalles zu ungewöhnlichen Methoden greifen, und seine ungewöhnliche Methode heißt Norton. Inspektor Norton, genannt „Der Henker“. Norton versucht erstmal, Zugang zur Familie des Botschafters zu bekommen, indem er mit der Tochter des Botschafters ins Bett geht und ungehemmt mit der Ehefrau flirtet. Aber er kann nicht verhindern, dass die Mitglieder der Familie eines nach dem anderen grauenhaften Säureattentats zum Opfer fallen. Und dann konzentriert sich der Mörder auch noch auf die Familie von Norton …

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Der rote Hering mit dem feurigen Atem. Die Menge an roten Heringen ist riesig, und ich hatte selten so wenig Ahnung, wer denn letztendlich der Mörder sein mag. Was sehr wohl als Kompliment zu versehen ist, handelt es sich bei BESTIE schließlich um einen archetypischen Whodunit-Giallo, mit vielen Zutaten die ein Giallo aus dieser Zeit so benötigt: Ein Mörder mit schwarzen Handschuhen, grausige Morde, sinistere Atmosphäre, … OK, der Ermittler ist dieses Mal keine Privatperson und steht nicht selber unter Verdacht, die nackten Damen sind recht selten, und das ganze spielt nicht unter der warmen Sonne Italiens sondern im kalten Nieselregen Dublins (was auch erklären könnte, warum die Frauen so standhaft angezogen bleiben. Bis auf Dagmar Lassander, aber als Deutsche ist sie dieses Klima natürlich eher gewohnt …). Die Charaktere sind durch die Bank merkwürdig und haben auch alle irgendwie Dreck am Stecken, oder zumindest tun sie so als ob, wodurch generell eine kühle und bedrückte Stimmung aufgebaut wird, in der sich die düstere Story um den Mörder mit der Vitriolflasche unaufhaltbar entfalten und verästeln kann.

Dabei ist viel den erstklassig gecasteten Schauspielern zu verdanken, allen voran Anton Diffring als arroganter Diplomat Sobieski, der genau weiß, dass ihm niemand etwas kann. Und ja, gegen Ende des Films merkt er, dass auch das Gegenteil zutreffen mag. Dann natürlich Luigi Pistilli als Ermittler Norton. Raubeinig und hemdsärmelig prügelt er sich bis in die Auflösung dieses Rätsels, und sein Holzfällercharme ist genau das, was BESTIE vom Mittelmaß abhebt: Pistillis Natürlichkeit und Erdung bieten das perfekte Gegenstück zum distinguiert-abgehobenen Diffring. Zwei entgegengesetzte Pole von Männlichkeit, die sich mit einem gesunden gegenseitigen Misstrauen umschleichen, ergänzt vom trocken-biederen Arthur O’Sullivan als Inspektor, der seine Fragen wie ein Heckenschütze aus dem Hinterhalt abfeuert, dabei aber niemals die Fasson verliert.
Bei den Frauen natürlich die wundervolle Valentina Cortese, welche die Ehe mit Sobieski nur erträgt, weil sie sich dem regelmäßigen Genuss von Marihuanazigaretten hingibt, und weil die jetzige Situation immer noch erheblich besser ist als diejenige, in der Sobieski sie damals aufgelesen hat. Und, ganz wichtig, die Filmtochter Dagmar Lassander, die unabhängig von der Familie ihre völlig eigenen Wege geht. Sowohl in der Wahl der Männerbekanntschaften wie auch der Aufenthaltsorte ist ihre Helen modern und lässt sich von niemandem etwas vorschreiben. Eine Diplomatentochter mit Hang zur Straße. Ganz die (Stief-)Mama …

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Aber auch die Nebenfiguren sind hinreißend gezeichnet: Nortons krimilesende Mutter, die nur gut hört wenn sie ihre Brille aufhat. Der Chauffeur mit der Sehschwäche. Der ausgesprochen skurrile Arzt, der mit seiner drolligen Art die Figur eines Dr. Brinkmann aus DER WIXXER vorwegnimmt („Der Mörder muss ein Experte sein. So wie ich!“). Oder vielleicht auch eines Professors Boerne aus den Münster-TATORTs, je nachdem wie man das sehen mag. Nur Werner Pochath hätte gerne mehr Screentime haben dürfen. Auf der anderen Seite: Mit Halbglatze schaut Pochath fast aus wie Ralf Wolter …

Dazu ein ohrenschmeichelnder Score von Stelvio Cipriani, eine unauffällige Kameraführung von Silvano Ippoliti, und was dann am Ende herauskommt mag vielleicht kein Highlight des Giallogenre sein, aber es unterhält enorm. Das Einzige, was man dem Film vorwerfen kann, und woran ich Freda mittlerweile auch erkenne, ist sein fehlendes Gefühl für gute Special Effects. Bereits der erste Mord erweckt schlimme Erinnerungen an den Autounfall in DAS GESICHT IM DUNKELN oder die Axtattacke in MURDER OBSESSION. Aber gut, da muss man einfach drüber stehen. Der Rest passt schließlich und stellt einen erstklassig besetzten Giallo aus der zweiten Reihe dar, der seinen geringen Bekanntheitsgrad und den schlechten Ruf überhaupt nicht verdient hat …

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Der Engländer, der auf einen Hügel stieg und von einem Berg herunterkam (Christopher Monger, 1995) 7/10

Im Jahre 1917 kommen zwei englische Kartographen, Anson und Garrad, in ein kleines walisisches Dorf, um den Ffynnon Garew, den dortigen Hausberg, zu vermessen. Obwohl die beiden Engländer sind werden sie durchaus gastfreundlich willkommen geheißen, doch groß ist der Schock, als vermeldet wird, dass der Ffynnon Garew keine 1000 oder gar 2000 Fuß hoch ist, wie immer angenommen, sondern nur 984 Fuß. Und ihm damit 16 Fuß, also etwa 4 Meter achtzig, fehlen, damit er sich Berg nennen darf. Der Ffynnon Garew bleibt damit ein Hügel!
Das können die Einheimischen natürlich nicht auf sich sitzen lassen, also wird der Plan gefasst, den Gipfel um die fehlenden knapp Viermeterundachtzig aufzustocken. Die Erde dafür kommt aus den heimischen Gärten, allerdings müssen die beiden Kartographen dafür noch ein paar Tage im Ort festgehalten werden. Deren Automobil wird sabotiert, Personenzüge können plötzlich nicht mehr auf den gleichen (unterspülten) Gleisen fahren wie Kohlezüge, und als alles nichts fruchtet, greift Wirt Morgan zur Geheimwaffe: Die leichtlebige Betty soll Garrad schöne Augen machen. Doch die verliebt sich in den jungen, gutaussehenden und schüchternen Anson. Und der sich in sie …

Kein krachschepperfürchterlich, kein Weltuntergang, keine depressive Weltanschauung, sondern schlicht und ergreifend(es) Wohlfühlkino. Sympathische Charaktere, die in einem heimeligen Dorf in einer wunderschönen Natur vor eine Aufgabe gestellt werde, die Herz und Verstand fordert. Und zwar in dieser Reihenfolge! Erstklassige Schauspieler, die uns mit viel Ausstrahlung und großer Natürlichkeit in eine Welt entführen, die bei allen Fehlern und Nachteilen irgendwie eine ganz klein wenig bessere Welt zu sein scheint. Dass die Arbeiter 24 Stunden am Tag schuften wird genausowenig verschwiegen wie die allgemeine, kriegsbedingte Knappheit. Aber das scheint alles so weit weg zu sein, wie auf einem anderen Planeten. In dieser fast heilen Welt hält eine Dorfgemeinschaft zusammen und bekehrt einen Engländer dazu, ein Waliser zu werden. Was für einen Engländer beileibe nicht die schlechteste Verwandlung ist …

DER ENGLÄNDER … ist ein Film mit Charme und Magie, der seine fast ein wenig märchenhafte Geschichte mit viel Liebe zum Detail und zu den Menschen erzählt. Ein ziemlich perfekter Film für den Abend eines mühsamen Tages. Wunder-voll …
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