bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Denkt bloß nicht, dass wir heulen
Die sechs Jugendlichen Cotton, Teft, Shecker, Goonenow und die beiden rivalisierenden Brüder Lally 1 & 2 haben eines gemeinsam: Sie sind von ihren überforderten Eltern in ein Sommer-Camp gesteckt worden, das aus den rebellischen Teenagern echte Männer machen soll. Als die Jugendlichen jedoch eines Tages Zeuge werden, wie bei einer Jagd-Veranstaltung friedliche Büffel abgeschossen werden, flüchten sie ein paar Tage vor Ende des Sommers aus dem Camp, um die Tiere in einer nächtlichen Aktion zu befreien. Die gemeinsame Reise und das gemeinschaftliche Ziel schweißen die unterschiedlichen Außenseiter zusammen, doch als sie am Ziel ihrer Reise sind, lösen sie indirekt eine Katastrophe aus… (Quelle: deliria-italiano.de)
„Bei euch wird’s mir gefallen. Die in dem anderen Haus, die waren... so normal!“

„Denkt bloß nicht, dass wir heulen“ ist die 1971 unter der Regie Stanley Kramers (Produzent von „12 Uhr mittags“) entstandene Verfilmung des Romans „Bless the Beasts and Children“ von Glandon Swarthout. Der gleichnamige Titelsong stammt von den Carpenters. In einem Jugendferienlager treffen sechs pubertierende Jugendliche aufeinander, die allesamt von ihren überforderten Eltern dorthin verfrachtet wurden, damit sie bei männlichem Spiel, Spaß und Abenteuer an Reife und Normalität bzw. das, was man dafür hält, gewinnen. Doch auch im Lager werden sie rasch zu Außenseitern. Als sie eines Tages entsetzt mit ansehen, wie als Touristenattraktion Büffelherden abgeknallt werden, die schutzlos in einem umzäunten Gebiet ihren Jägern ausgeliefert sind, reift in ihnen der Entschluss, dem Sommerlager den Rücken zu kehren und erneut zu den Büffeln zu reisen, diesmal jedoch ohne ihren Aufseher…

Die Geschichte vermischt „Coming of age“-Motive mit Road-/Buddy-Movie-Charakteristika und täuscht mit ihrem komödiantischen Auftakt: Dieser weicht schnell dem im Lager herrschenden Sozialdarwinismus, der die Kinder und Jugendlichen spielerisch, aber unerbittlich selektiert und in Gewinner und Verlierer unterteilt. Lob und Anerkennung den Starken, Demütigungen den Schwächeren bzw. denjenigen, denen es schwerer fällt, sich in die Gemeinschaft einzufinden und ihre Rituale, ihre ungeschriebenen Gesetze und ihre nicht immer sportlichen Disziplinen vorbehaltlos zu akzeptieren und hochmotiviert, um Anerkennung heischend mitzumischen.

In Rückblenden erfährt man, was alles an Ereignissen im Lager vorgefallen ist und von der individuellen persönlichen Situation jedes einzelnen Jugendlichen, die sie schließlich hierher brachten. Dadurch lernt man die Jungs mit ihren jeweiligen Stärken, Schwächen und Problemen nach und nach kennen und bekommt durch einen Einblick in ihr Familienleben auch direkt eine Vorstellung davon, wer dafür verantwortlich ist, dass etwas schief läuft... Denn letztlich sind es meist die Eltern bzw. einzelne Elternteile, die ihrer erzieherischen Rolle nicht in ausreichendem Maße gerecht werden, sich ihrer Verantwortung aber nicht stellen, sondern im Gegenteil diese von sich weisen und in fremde Hände – in diesem Falle in die der Lagerbetreiber – abgeben. Aneinandergefügt werden die Szenen durch kreative, verspielte Überblendeffekte, die der Handlung etwas von ihrer Schwere nehmen.

Die heimliche und beschwerliche Reise zurück zu den Büffeln wurde sodann als lehrreicher und spannender Selbsterfahrungstrip konzipiert, der an die Kraft der Solidarität appelliert, aber auch jugendliche Naivität und Ängste sowie Eifer und Abenteuerlust aufzeigt. Natürlich wird auch um Verständnis für Außenseiter und Minderheiten geworben, jedoch nie schwülstig um Toleranz bettelnd, sondern aus einem diese engagierten, intelligenten Jungs über die tumbe, angepasste Masse stellendem Selbstverständnis heraus. Wunderschöne Landschaftsaufnahmen, die Freiheit und den Weg als Ziel suggerieren, begleiten dem Zuschauer auf dem Weg zum dramaturgischen Höhepunkt, dem zunächst pannenreichen Finale, das schließlich in einer Katastrophe mündet. Unverhohlen werden Tiermisshandlung und Schusswaffenversessenheit angeprangert und wer möchte, kann nach Parallelen, Symbolen und Metaphern zwischen den Jugendlichen aus dem Lager und den zum Abschuss freigegebenen Tieren suchen.

Damit ist „Denkt bloß nicht, dass wir heulen“ ein starker Film und recht früher Beitrag zu dieser Thematik, die, stärker konzentriert auf die geistigen Entwicklungsprozesse der Protagonisten, später in Stephen Kings Novelle „Die Leiche“ aufgegriffen wurde, die von Rob Reiner mit „Stand By Me – Das Geheimnis eines Sommers“ hervorragend verfilmt wurde. Die Darsteller, insbesondere natürlich die bestens aufgelegten Jungschauspieler, tragen ebenso wie die spannende, dramatische, jedoch niemals zu anrührende, im Zweifelsfall eher Humor und Sachlichkeit verpflichtete Inszenierung dazu bei, dass Kramers Film keinesfalls in die Mottenkiste des pädagogischen Films gehört, sondern jeden, der sich von dieser seltenen, eingangs erwähnten Genre-Melange angesprochen fühlt, interessieren sollte. Ich zücke 7,5/10 und erkenne nicht zuletzt die für konservative Teile der USA vermutlich kontroverse, mutige thematische Ausrichtung und die damit verbundene Allein- und Vorreiterstellung meinen Respekt zum Ausdruck bringend an.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Octalus – Der Tod aus der Tiefe
Eine Bande von Juwelendieben plant, in der Südsee einen scheinbar führerlos treibenden Luxusliner zu entern. An Bord bietet sich ihnen ein Bild des Grauens. Alle Besatzungsmitglieder und sämtliche Gäste sind auf mysteriöse Weise getötet worden. Die toten Körper, die über alle Decks des Schiffes verstreut sind, sind flüssigkeitsleer - scheinbar ausgesaugt. Bevor die blinden Passagiere dem Rätsel auf den Grund gehen können, beginnt für sie der Wettlauf mit der Zeit. Ein gigantisches Monster, das mit seinen Tentakeln zeitgleich überall auf dem Schiff neue Opfer sucht, ist ihnen auf den Fersen...
„Aliens“ meets „Titanic“

„Scheißegal, was sie sind – sagen Sie uns nur, wie wir sie umbringen können!“

Im Jahre 1998 lieferte US-Regisseur Stephen Sommers mit „Octalus“ bereits einen Ausblick auf das, was er kurze Zeit später mit seiner „Die Mumie“-Verfilmung zelebrieren sollte: Computergenerierten Big-Budget-Horror-Trash. Zu einem „Blockbuster“ reichte es mit „Octalus“ trotz aller Bemühungen aber noch nicht, der Flick floppte an den Kinokassen.

Kapitän John Finnegan (Treat Williams, „Dead Heat“) nimmt jeden Auftrag an, ohne ihn zu hinterfragen. So kommt es, dass er eines Tages eine Bande moderner Piraten mitsamt scharfen Torpedos transportiert, die ein luxuriöses Kreuzfahrtschiff versenken will. Nachdem die Piraten mit Waffengewalt Finnegan und seinen Schiffsmechaniker zum Kurs auf den Luxusliner gezwungen haben, bietet sich ihnen dort ein Bild der Verwüstung: Nur wenige haben die Angriffe einer geheimnisvollen, aber kreuzgefährlichen Riesenkrake überlebt, die sich ihre Opfer mit ihren über Mäuler verfügenden Tentakeln schnappt und im Inneren ihres Körpers mittels Säure zersetzt…

„Octalus“ ist dreist zusammengeklaubt wie ein x-beliebiger, uninspirierter B- oder Low-Budget-Exploitation-Movie – als hätte man Camerons „Aliens“ auf dessen „Titanic“ verfrachtet –, gibt sich aber bemüht wie ein „Blockbuster“, der er in Anbetracht seines Budgets auch gern geworden wäre: Flache Charaktere und Dialoge, muskulöse Männer mit dicken Wummen und dummen Sprüchen, alberne, unpassende Komödieneinlagen, viel Action und Rumms und kitschige Orchestermusik von Jerry Goldsmith – Klischee olé! Doch obwohl man zudem die Kreatur ausschließlich am Computer generierte und man ihr das auch deutlich ansieht, weiß „Octalus“ dem weltoffenen Genrefreund dennoch durchaus zu munden. Das liegt zum einen an den allem CGI-Einsatz zum Trotz gelungenen, blutigen Spezialeffekten und Make-up-Arbeiten, die Teile des Schiffs in ein postapokalyptisches Blutbad voll grausam entstellter Leichen verwandeln. Zum anderen wird man – wie aus klassischen Monsterfilmen gewohnt – an die Kreatur behutsam herangeführt. Zunächst sieht man kaum etwas von ihr, dann etwas mehr und am Ende dann in voller Pracht. Dadurch gewöhnt man sich gewissermaßen an sein digitales Äußeres, das dann überraschenderweise doch verhältnismäßig plastisch wirkt und dank guter, rasanter Animationen auch ordentlich aufs Frischfleisch kloppt. Außerdem hielt man – eher „Blockbuster“-untypisch – „Octalus“ weitesgehend frei von sentimentalem Kitsch und Pathos und umgeht damit viele Momente, in denen man normalerweise peinlich berührt die Hand vors Gesicht hält, da man einer sich selbst nicht sonderlich ernstnehmenden Actiontrashsause wie dieser emotionalen Tiefgang niemals abnimmt.

Und auch wenn „Octalus“ aus seiner reinen Popcorn-Kino-Ausrichtung keinen Hehl macht und atmosphärisch außer einigen kruden Kulissen nichts zu bieten hat, fiel er dramaturgisch doch recht spannend aus. Bei aller Klischeehaftigkeit der Charaktere kann man sich nie ganz sicher sein, wer neben Finnegan überleben wird. Das Tempo stimmt auch; kurz, bevor einem die Charaktere zu sehr auf den Geist gehen, kommt die Kreatur ins Spiel und der Actionpart wird mit genügend ruhigeren Szenen aufgelockert, um nicht inflationär zu werden und damit Spaßfaktor und Nervenkitzel zu gefährden. Ja, die Hochglanzproduktion „Octalus“ ist zwar weit entfernt von einem hochqualitativen, intelligenten oder wenigstens charmanten Genrefilm, macht aber tatsächlich Spaß und unterhält kurzweilig, ohne dass er in erster Linie das Fremdschamgefühl bedienen würde. Treat Williams als Finnegan kämpft sich souverän durchs Drehbuch; der Rest der Belegschaft, unter ihnen Famke Janssen, Anthony Heald und Kevin J. O'Connor, wurde mal mehr, mal weniger passend, in jedem Fall nicht sonderlich erinnerungswürdig eingesetzt, hysterisches Overacting dürften sie aber alle beherrscht haben. Und ärgert man sich nach dem großen Finale zunächst noch über ein dümmliches „Happy End“, macht sich kurz vor Einsetzen des Abspanns noch eine nette Schlusspointe bemerkbar. Unterm Strich beschert "Octalus" ein überdurchschnittliches Filmvergnügen.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Mein wunderbarer Waschsalon
Großbritannien während der Thatcher-Regierung, viele sind unzufrieden, die Wirtschaft ist am Boden, doch der pakistanische Familienclan der Husseins hat sich im fremden Land hochgearbeitet, Patriarch Nasser hat den Wohlstand verdient, notfalls auch mit illegalen Aktivitäten, während sein Bruder Ali, als Journalist ohne Arbeitserlaubnis sich dem Alkohol ergibt. Dessen schwuler Sohn Omar jedoch träumt einen ganz anderen Traum: er möchte einen abgewirtschafteten Waschsalon in ein veritables Unternehmen verwandeln und plant eine Trauminstallation, gemeinsam mit seinem Freund Johnny. Doch dieser gehörte zuvor einer Gang rechtgerichteter Punker an, die seinen Ausstieg nicht verziehen haben. Träume und Ideale geraten unter Druck...
Wie bin auf diesen Film nun wieder gekommen? Ursprünglich durch intensive Auseinandersetzung mit dem Computerspiel „Mad TV“, wo man „Mein wunderbarer Waschsalon“ in seinem eigenen TV-Sender ausstrahlen konnte. Unter dem Titel etwas vorstellen konnte ich mir indes nicht. Als ich bei Santini aber in einer alten „Cinema“-Ausgabe blätterte, entdeckte ich einen Artikel über diesen Film und wurde neugierig, so dass ich mir die DVD anschaffte. Es handelt sich um die britische Verfilmung eines Theaterstücks Hanif Kureishis, die 1985 unter der Regie Stephen Frears’ („High Fidelity“) entstand. Ein Drama sowie eine Liebesgeschichte mit satirischen Zügen, angesiedelt im London unter der Regierung der reaktionären Politikerin Margaret Thatcher.

Der Jugendliche Omar (Gordon Warnecke) stammt aus Pakistan und lebt allein mit seinem frustrierten, alkoholabhängigen Vater Hussein Ali (Roshan Seth) – ehemals ein hoch angesehener, sozialistischer Journalist – im Süden Londons. Sein wohlhabender, geschäftstüchtiger Onkel Nasser (Saeed Jaffrey) bietet Omar einen Job an: Er soll einen heruntergewirtschafteten Waschsalon wieder auf Vordermann bringen. Omar willigt ein und trifft Johnny (Daniel Day-Lewis), einen alten Schulfreund, wieder. Johnny hängt mittlerweile mit einer rassistischen Straßengang herum, verliebt sich jedoch in den ebenfalls homosexuellen Omar und arbeitet mit ihm zusammen am und im Waschsalon.

Stephen Frears erzählt unaufgeregt und leicht verdaulich seine Geschichte, die jedoch einige provokante Spitzen bereithält, die auf ganz selbstverständliche Weise die Handlung ausmachen. Ein „Paki“ mit einen erfolgreichen, vermögenden Onkel und dazu auch noch schwul? Das dürfte manch fremdenfeindlichen Briten seinerzeit in helle Aufregung versetzt haben. „Mein wunderbarer Waschsalon“ vermittelt ein Gespür für das gesellschaftliche Klima des Thatcher-Englands und der Situation seiner Außenseiter im täglichen Kampf um Anerkennung und Wohlstand. Dabei umschifft man geschickt die üblichen Klischees und erlaubt sich einen differenzierten, nicht wertenden oder urteilenden Blick auf die Menschen. So sind die Pakistanis keinesfalls leidende Opfer, die es in einem Anfall umgekehrten Rassismus’ besonders zu schützen gilt, sondern dem Mammon verpflichtete Geschäftsleute, Schwerenöter und in Drogengeschäfte verstrickt. Vor allem aber sind sie unterschiedliche, teils gegensätzliche Charaktere, die einen mehr, die anderen weniger sympathisch, wie es nun einmal meist der Fall ist bei seinen Mitmenschen, gleich welcher Herkunft. Johnny und seine gelangweilten Freunde haben sich von der „National Front“, einer neonazistischen Partei, verführen lassen und vertreiben sich ihr Arbeitslosendasein damit, ihren Frust an Minderheiten auszulassen. Nachdem sich Johnny oft aus besetzten Häusern vertreiben lassen musste, wird er, nachdem er sich mit Omars Familie angefreundet hat, zynischerweise selbst zum Rausschmeißer für Immobilienbesitzer Nasser. Von Sozialromantik also keine Spur, stattdessen ein bisweilen ironischer, satirisch-überspitzter Blick auf den Alltag und seine Verteilungskämpfe.

So kommt es dann auch nicht zu den vermuteten großen Konflikten, nicht etwa zum Bruch mit Omars Familie aufgrund seiner Homosexualität, nicht zu rassistisch motivierten Morden oder Verstümmelungen durch Johnnys ehemalige Gang und die Wäscherei wird auch nicht in Brand gesteckt oder in die Luft gesprengt. Stattdessen führen Omar und Johnny von der Öffentlichkeit unbemerkt ihre Beziehung und haben Saß miteinander. Sicherlich, es gibt auch Streit und, klar, der Waschsalon wird angegriffen und Johnny wird zusammengeschlagen; es ist keinesfalls alles eitel Sonnenschein, im Gegenteil. Man verzichtet jedoch komplett auf die sonst üblichen Zuspitzungen. Und das ist es, was zumindest während der Erstsichtung irritieren dürfte. Man will nicht einzelne Gruppen und Individuen als böse brandmarken und darüber pädagogische Botschaften verbreiten, sondern eine Art Momentaufnahme liefern, sensibilisieren, ohne zu schockieren oder zu verstören – außer eben diejenige Klientel, die aufgrund der Thematik ohnehin von vornherein wutentbrannt abwinkt. Mit dieser entwaffnenden Selbstverständlich- und Natürlichkeit ist „Mein wunderbarer Waschsalon“ vermutlich ein wirksameres Instrument gegen rassistische Ressentiments und Homophobie als manch Holzhammerpädagogik. Jedoch muss man sich auch die Kritik gefallen lassen, dass das Drehbuch unpointiert erscheint und trotz allen britischen Charmes und seines sympathischen Einblicks ins turbulente Erwachsenwerden zweier vermeintlich gegensätzlicher junger Männer und ihre damit einhergehenden persönlichen Veränderungen bisweilen dahinplätschert wie ein undichter Waschmaschinenschlauch.

Bei aller inspirierenden Leichtigkeit des Umgangs mit gesellschaftlichen Phänomenen und aller Ambivalenz und Kauzigkeit der markanten Nebenrollen droht „Mein wunderbarer Waschsalon“ mit seinem Liebesglück verheißenden Ende in eine verträumte Naivität zu verfallen, die den gesellschaftlichen Sprengstoff einer auf dem Rücken von Minderheiten und sozial Schwacher ausgetragenen Innenpolitik, die das soziale Klima nachhaltig vergiftet, unterschätzt. Die tatsächliche Bedrohung wird meines Erachtens nicht deutlich genug, die angespannte Stimmung hätte spürbarer werden können, möglicherweise auch durch eine weniger starke Ausrichtung auf die pakistanische Familiensippe. Innerfamiliäre Konflikte, die beispielsweise mit Omars Homosexualität einhergehen könnten, lösen sich in Wohlgefallen auf, gehen irgendwie unter oder werden gar nicht geklärt – immerhin soll er eigentlich mit Tania anbändeln. Nichtsdestotrotz handelt es sich um einen intelligenten Film, der frei ist von jeglicher Idealisierung und lieber eine Beobachterrolle einnimmt und seine Geschichte nicht bierernst, sondern stets mit einem ironischen Augenzwinkern verbreitet. Zum gesellschaftlichen Diskurs seinerzeit mit Sicherheit ein wichtiger Beitrag, der an Aktualität auch nur bedingt eingebüßt hat.

Daniel Day-Lewis startete nach „Ein wunderbarer Waschsalon“ übrigens seine Schauspielkarriere betreffend richtig durch, ist hier aber nur eines von vielen Gesichtern, die ihre Sache einwandfrei machen. Dank Frears’ Regie wird ein konstant souveränes technisches Niveau gewahrt und jegliche Geschwätzigkeit ebenso ausgespart wie Kitsch, Sentimentalität oder was man sonst noch von einem Liebesdrama befürchten könnten – was daran liegt, dass „Mein wunderbarer Waschsalon“ eben gar keines wirklich ist.
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The Body Stealers
Auf einem britischen Militärstützpunkt verschwinden Fallschirmspringer wie von Zauberhand aus der Luft. Alle vermissten Personen haben etwas gemeinsam, sie sind speziell für Raumfahrtmissionen ausgebildet. Als einer der Soldaten wieder auftaucht ist er wie seine Ausrüstung durch Strahlung genetisch so verändert, daß man ihn zwar äusserlich erkennt, er aber nicht mehr die selbe Person ist. Da er stirbt, kann das Rätsel weiterhin nicht gelöst werden. Eine mysteriöse blonde Schönheit sorgt für weitere Fragen...
“Was immer meine Männer sonst noch für Kunststücke probieren und für gewöhnlich auch erfolgreich durchführen – sich aufzulösen gehört jedenfalls nicht dazu!“

Die britische Filmschmiede „Tigon“ war seinerzeit neben „Hammer“ und „Amicus“ die dritte im Bunde, die sich an der Umsetzung phantastischen Stoffs aus dem Horror- und Science-Fiction-Bereich versuchte. Die einzige Regiearbeit Gerry Levys, der 1969 entstandene „Alien Invasion“ alias „(Invasion of) The Body Stealers“ wäre vermutlich gern ein packender Science-Fiction-Streifen geworden, entpuppt sich jedoch vielmehr als holprig inszenierter, ereignisloser Mystery-Krimi der biederen Sorte.

Fallschirmspringer der britischen Armee verschwinden nach ihren Absprüngen plötzlich wie von Zauberhand. Einer der Männer taucht genetisch verändert wieder auf und stirbt kurz darauf. General Bob Armstrongs (George Sanders, „Das Dorf der Verdammten“, „Der Frosch“) Ermittlungen ergeben, dass die Männer „intensive Raumfahrtkonditionsausbildungen“ bekommen haben und eine vom Aussterben bedrohte, außerirdische Spezies hinter den Entführungen steckt…

Am aufsehenerregendsten an „The Body Stealers“ ist der herrlich groovende, swingende Soundtrack, der einen temporeichen, vergnügten Film suggeriert. Stattdessen kredenzt Levy eine arg dialoglastige Handlung, die allerspätestens dann unfreiwillig komisch wird, wenn auf absurde Thesen wie „Vielleicht ist es das Machwerk von schottischen Nationalisten, die irgendeinen fragwürdigen Plan haben, das Hochland neu zu besiedeln!“ bierernst mit „Das wissen wir nicht.“ reagiert wird. Stellenweise erwartet man fast, dass die Monty-Python-Truppe ins Bild platzt und den Film zum Sketch erklärt. Doch anstatt ein schwer unterhaltsames Trash-Feuerwerk abzubrennen, nervt Sanders als bemüht herber, kantiger Schönling, Womanizer, Intelligenzbestie etc., der so toll ist, dass sich sogar ein (vermeintlicher) Geist in ihn verliebt. Diese unglaubliche Eindimensionalität zieht sich durch den gesamten Film, der einfältig und unspektakulär erscheint. Bis auf ein paar Lichteffekte bekommt man keinerlei SFX-Arbeit zu sehen und aufgrund des menschlichen Äußeren der extraterrestrischen Besucher brauchte auch die Make-up-Abteilung nicht sonderlich tätig werden. Zweimal gibt „The Body Stealers“ vor, dass tatsächlich etwas passieren würde, denn wir sehen Menschen, die sich erschrecken und hören ihre markerschütternden Schreie aus dem Off. Was die bemitleidenswerten Opfer gesehen haben, was genau passiert ist, erfährt der Zuschauer jedoch nicht.

Vor allem aber ist „The Body Stealers“ nur äußerst mäßig spannend, denn was Sanders da herauszufinden versucht, ist eigentlich von vornherein mehr oder weniger klar und wurde in der Promotion für den Film – Plakate etc. – bereits verraten. Nebenhandlungen wie Armstrongs Romanze mit einer Außerirdischen wirken arg erzwungen und lockern das Geschehen (welches genau?) nur leidlich auf, vielmehr droht man, sich in unsinnigen Nebenhandlungen endgültig zu verlieren. Somit hat der Film eigentlich so überhaupt nichts zu bieten, doch trotzdem kann man ihm dafür dank seines typisch britischen Charmes und nicht näher definierbaren Wohlfühlfaktors irgendwie nicht böse sein. Auf gewisse Weise ist „The Body Stealers“ „geil langweilig“ und kann demnach von genrefilmhistorisch interessierten Britophilen durchaus wohlwollend konsumiert werden – nur sollte die Erwartungshaltung eben dementsprechend angepasst worden sein.
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Mein liebster Feind
Nachdem er in über 100 Filmen mitgespielt hat, trifft Klaus Kinski auf Werner Herzog. Im Verlauf ihrer Hassliebe schreiben der geniale Regisseur und sein egomanischer Star Filmgeschichte. Aus ihrer Zusammenarbeit erschaffen die beiden Pioniere des deutschen Autorenfilms nach immensen Wutausbrüchen und Mordversuchen legendäre Werke wie Cobra Verde und Fitzcarraldo. Acht Jahre nach dem Tod seines „liebsten Feindes“ geht der Regisseur dem Mythos Kinski nach, reist zurück an die Drehorte in Peru und präsentiert unglaubliche Szenen zwischen zwei Besessenen...
Der deutsche Autorenfilmer Werner Herzog („Nosferatu – Phantom der Nacht“) erzählt in der 1999, also acht Jahre nach Kinskis bedauerlichem frühem Tod, entstandenen Dokumentarfilmproduktion von seiner Zusammenarbeit mit Klaus Kinski, die insgesamt fünf Spielfilme lang hielt. Dafür reist er zurück nach Peru, wo Filme wie „Aguirre, der Zorn Gottes“ und „Fitzcarraldo“ entstanden und berichtet von der Hassliebe zweier Männer, eines manischen Exzentrikers und eines besonnenen, aber nicht weniger von seiner Arbeit besessenen Regisseurs, die eine ganz eigenartige gegenseitige Faszination füreinander und fruchtbare Inspiration miteinander verband.

Wie kaum ein Zweiter hatte Herzog Kinski gefordert und ihm anspruchsvolle Hauptrollen zugeteilt, die wenig mit Kinskis Engagements in europäischen, häufig italienischen Genrefilmen gemein hatten. Herzogs historische Dramen forderten alles von Kinski und dieser war gern bereit, genau dies zu geben – steigerte sich jedoch gleichzeitig, vielleicht gerade deshalb, immer wieder in wahnwitzige Wut- und Gewaltausbrüche und cholerische Anfälle, die die ohnehin schwierigen Produktionsbedingungen weiter verschärften und die Projekte bisweilen ernsthaft gefährdeten. Offensichtlich war es die Professionalität aller Beteiligten, die persönliche Befindlichkeiten den großen Zielen, der Fertigstellung der Filme, unterordneten und unnachgiebig an den Erfolg glaubten, die vorzeitigen Abbrüche der Dreharbeiten verhinderten.

Nun war Kinski ja auch schon vor Herzogs Film als Enfant terrible bekannt und berüchtigt, Gerüchte von (Beinahe-)Mord und (Beinahe-)Totschlag während der Dreharbeiten machten die Runde und ließen den Boulevardblätterwald rauschen. Kinskis Autobiographien lassen kein gutes Haar an Herzog und beschimpfen ihn aufs Übelste. Herzog greift diese Themen mit einigen Jahren Abstand auf und erzählt auf spannende Weise seine Sicht der Dinge, holt sich bisweilen „Schützenhilfe“ von Zeitzeugen, die ihn bestätigen, lässt aber auch die Schauspielerinnen und Drehpartnerinnen Kinskis Eva Mattes und Claudia Cardinale zu Wort kommen, die ausschließlich Positives über Kinski zu berichten wissen. Wähnt man sich zunächst noch in einer moralisch fragwürdigen, späten Abrechnung eines in seiner Würde gekränkten Kinski-Opfers mit einem sich nicht mehr wehren könnenden Verstorbenen, entsteht so mit der Zeit ein differenziertes Bild, das sich bei aller Emotionalität immer wieder um Sachlichkeit und vor allem Fairness bemüht.

Werner Herzog zeigt Originalaufnahmen von Filmproduktionen, die er aus dem Off kommentiert, besucht alte Weggefährten und steht selbst vor der Kamera, im Hintergrund die beeindruckende Kulisse der peruanischen Berglandschaft. In ruhigem, unaufgeregten Tonfall geht er detailliert auf Kinskis Persönlichkeit ein, betont bei allen negativen Merkmalen aber auch Kinskis Talent und erwähnt die vielen schönen und positiven Momente ihrer Zusammenarbeit. Jedoch räumt er unmissverständlich auf mit jeglichem Mythos eines aufbrausenden und harschen, aber letztlich gerechten, autoritätsfeindlichen sozialen Revoluzzers Kinski. Er beschreibt, wie Kinski auch auf harmlose Statisten losging und diese schwer verletzte, wie Kinski in seiner Eitelkeit sich als naturverbundener Mensch in den Regenwäldern für die Öffentlichkeit ablichten ließ, nur im sich im nächsten Moment über Ungeziefer zu beschweren und wie er stets versuchte, im Mittelpunkt zu stehen und dabei jegliches Fingerspitzengefühl vermissen ließ, wenn er beleidigt war, weil ausnahmsweise einmal nicht alle Aufmerksamkeit ihm galt, sondern einem Produktionshelfer, der sich mit einer Kettensäge nach einem Schlangenbiss seines Armes entledigen musste – woraufhin sich Kinski divenhaft über lauwarmen Kaffee beschwerte. Welche Dimensionen speziell die Konflikte zwischen einem besserwisserischen, selbstverliebten Kinski und einem zwangsläufig Pragmatismus und Diplomatie verpflichteten Regisseur zeitweilig einnahmen, beweisen erschreckende Vorkommen von gegenseitigen Todesdrohungen und sowohl angedachten, als auch angebotenen Mordkomplotten – was es fast wie ein Wunder wirken lässt, dass sich die beiden komplexen Charaktere nicht gegenseitig zerfleischt haben. Die kontrastreichen Facetten von Kinskis Persönlichkeit unterstreichen dann auf der anderen Seite Aufnahmen seines liebevollen und vollkommen entspannten Spiels mit einem erstaunlich zahmen Schmetterling, um nur das extremste Beispiel zu nennen.

Ernüchternd ist das von Herzog nachgezeichnete Bild Kinskis für all diejenigen, die den Schauspieler idealisiert und glorifiziert haben. Hochinteressant ist „Mein liebster Feind“ aber für alle, die an einem Blick hinter die Fassade, die Kinski der Öffentlichkeit bot, interessiert sind und einen authentischen Eindruck davon vermittelt bekommen möchten, wie nah Genie und Wahnsinn beieinander liegen können und wie unterschiedlich ausgeprägt die menschliche Psyche sein kann – gerade auch in Extremsituationen, die kollegiale Zusammenarbeit beim Streben nach einem gemeinsamen Ziel erfordern. Ich habe nicht den Eindruck, dass Herzog seinen Dokumentarfilm inszenierte, um schmutzige Wäsche zu waschen oder sich auf dem Rücken Kinskis wieder ins Gespräch zu bringen, wenngleich er sein Licht auch nie unter den Scheffel stellt und sich nicht ohne Stolz als Kinski-Bändiger und aufopferungsvoller Filmemacher präsentiert. Nun kann ich den Wahrheitsgehalt natürlich nicht verifizieren und bin ich auch mit Herzogs Schaffen bisher reichlich wenig vertraut, da ich zugegebenermaßen als sensationslüsterner Krawalltourist zuerst zu genau diesem Film aus der Herzog/Kinski-Box griff. Ich kann aber mit Sicherheit sagen, dass mir a) Herzog mit seinem Film Kinski nicht vorgeführt, sondern als extremen Charakterkopf differenziert näher gebracht hat, mich b) für seine Filme interessiert hat und mich c) erstklassig unterhalten hat, denn mitunter ist „Mein liebster Feind“ der reinste Psycho-Thriller.

Und während „Mein liebster Feind“ mit krawalligen Ausschnitten aus Kinskis „Jesus Christus Erlöser“-Tournee begann, endet er mit Ausschnitten aus dessen Herzensprojekt „Paganini“, mit dem er sich kurz vor seinem Tod seinen Lebenstraum erfüllte. Ein versöhnlicher Ausklang.
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Babylon – Im Bett mit dem Teufel
Krankenschwester Maria (Natja Brunckhorst) will der Familie einer eben verstorbenen Patientien gerade die Todesnachricht überbringen, als sie in deren Haus den schmierigen Vertreter Lothar (Dominic Raacke) trifft. Noch am selben Tag landet sie mit dem Vorzeige-Macho im Bett und wird dabei auch noch schwanger. Als sie unter häufigen Blutungen aus der Bauchdecke und unerträglichen Schmerzen leidet, entschließt sie sich zu einer Abtreibung. Unterdessen schwängert Lothar, der sich nun Gustav nennt, eine Kollegin Marias, die bald darauf stirbt. Maria hegt einen schrecklichen Verdacht und versucht gemeinsam mit ihrem Chef, dem dunklen Geheimnis von Lothar auf die Spur zu kommen.
Bevor der deutsche Regisseur Ralf Huettner mit Helge Schneider für „Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atem“ und Tom Gerhardt für „Voll Normaaal“ zusammenarbeitete und sich damit als Komödienmacher empfahl, drehte er 1992 mit „Babylon – Im Bett mit dem Teufel“ einen der wenigen deutschen (S)Exploitation-Filme des Jahrzehnts, genauer: einen verstörenden, intelligenten Horrorfilm.

Krankenschwester Maria (Natja Brunckhorst, „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“) lernt den schmierigen Vertreter und Betrüger Lothar (Dominic Raacke, „Der Papagei“) kennen und lässt sich auf ein Schäferstündchen mit ihm ein. Da das Kondom reißt, wird sie schwanger. Lothar indes vögelt sich weiter durch die Stadt und macht auch vor Marias Bekanntenkreis nicht halt. Als Maria starke Unterleibsschmerzen bekommt und das Kind schließlich abtreibt, verdichten sich die Anzeichen, dass Lothars Samen nicht ganz normal ist...

„Babylon – Im Bett mit dem Teufel“ geizt nicht mit nackter Haut attraktiver Damen, ist dabei jedoch ein richtiggehender Anti-Sex-Film. Erotische Stimmung kommt kaum auf, wenn man zusieht, wie naive Frauen dem hochgradig unsympathischen Lothar gleich reihenweise verfallen und damit am Beginn eines bitteren Leidensweges stehen. Huettners Film visualisiert auf bisweilen fast surreale Weise tief sitzende feminine Ängste vor sexuell übertragbaren Krankheiten und vor allem ungewollten, schmerzhaften Schwangerschaften, davor, dass es etwas ganz und gar Unerwünschtes parasitär in ihnen heranwächst. Für diese Metaphern bedient man sich der exploitativen Zurschaustellung zwischenmenschlicher Balzrituale, schneller Sexnummern und blutiger Splatter/Gore-Einlagen, eingebettet in eine alp- und fiebertraumhafte Atmosphäre, eine unwirtliche Stimmung von Benutzen und Benutztwerden, die Sexualität als perverse Entartung bzw. Ventil gestörter Egos darstellt und stattfinden lässt zwischen unheilbar kranken Tumorpatienten, menschlichen Tragödien, der Ausweglosigkeit des von unerfüllter Hoffnung und Begierde, Krankheit, Verlust und Tod gezeichneten Daseins.

Verlassen kann sich Huettner dafür auf seinen männlichen Hauptdarsteller Dominic Raacke, der seinen Lothar voller Inbrunst und in aller Konsequenz spielt. Zwar erfüllt dieser locker sämtliche Klischees eines in Chamäleonmanier wandlungsfähigen, aalglatten Arschlochs, was ihm jedoch zu einer starken, bösartigen Aura verhilft, die einen das Publikum emotional ansprechenden Kontrastpunkt innerhalb der Handlung setzt. Ihm gegenüber steht die gutmütige, aber etwas vereinsamte Maria, grazil und fragil gespielt von Natja Brunckhorst, die einen wesentlich ambivalenteren Charakter glaubwürdig darstellt und mit ihren Fehlern und ihrem Leichtsinn glücklicherweise nicht zur ebenfalls aalglatten Heldin taugt, sondern mit ihrer natürlichen Ausstrahlung und eigenwilligen Schönheit zur Identifikationsfigur des Zuschauers wird, der gern seine schützende Hand über sie halten würde. Wie es sich für einen zünftigen Film der eingangs beschriebenen Gattung gehört, ist das vermittelte Frauenbild wenig politisch korrekt aus feministischer Sicht, jedoch sicherlich nicht allzu weit entfernt von der Realität zumindest der gezeigten Charaktertypen innerhalb ihres Umfelds, dabei natürlich zu Veranschaulichungs- und Aufmerksamkeitserhaschungszwecken kräftig überzeichnet worden. Letztlich ist es Anklage des männlichen Chauvinismus in seiner ekelerregenden Form und der weiblichen Herausforderung desselben zugleich und überraschend sensibel in der Auseinandersetzung mit Marias Seelenleben, die stellvertretend für zumindest zu einem gewissen Teil selbstverschuldete Opfer steht, die nach einem unüberlegten Fehltritt anatomisch bedingt lange Zeit mit den Folgen zu kämpfen haben.

Obgleich sich „Babylon – Im Bett mit dem Teufel“ als deftiger Genrefilm präsentiert, ist er doch eigenständig und originell genug, um keinesfalls als Versuch eines Abklatsches ausländischer Vorbilder durchzugehen oder nur aufgrund seiner Schauwerte wie die einer freizügigen Veronica Ferres, bevor sie zur TV-Film-Spießerin wurde, in Erinnerung zu bleiben. Huettner erzählt seine Geschichte spannend, aufwühlend, überraschend und erschreckend, nicht immer ganz pointiert, aber stets handwerklich sauber, zeitweise künstlerisch bestrebt und immer neugierig auf die nächste Szene machend. Das halboffene Ende macht es leicht, die Intention des Autors zu erahnen und bringt den Film zu einem soliden*, den Zuschauer kurz aufatmen lassenden Abschluss, jedoch nicht, ohne ihm Gedankenspiele mit auf den Weg zu geben. Dieses schöne Beispiel einer ambitionierten, mutigen deutschen Genreproduktion, in der Larry Cohen auf David Cronenberg auf Lars von Trier zu treffen scheint, wiederzuentdecken, lohnt sich in jedem Falle. Nur Lust auf Sex wird man danach vermutlich erst einmal nicht mehr haben. Oder etwa doch, und sei es nur zum Trotz?

*)
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Das dritte Auge
Die Hochzeit des jungen Grafen Mino und seiner Verlobten Laura steht kurz bevor als die junge Frau einem tödlichen Autounfall zum Opfer fällt, den die in Mino verliebte Haushälterin Martha auf dem Gewissen hat, die die Bremsen von Lauras Wagen manipulierte. Mino ist nun allein mit Martha und seiner herrschsüchtigen Mutter, die Laura hasste. Als die alte Gräfin kurz darauf ebenfalls stirbt verliert der junge Mann den Boden unter den Füßen. Ein unstillbarer Hass auf attraktive junge Frauen lässt ihn zum Mörder werden...
Italo-Regisseur Mino Guerrini („Schulmädchen lieben heiß“) drehte mit „Das dritte Auge“ im Jahre 1966 einen interessanten Psycho-Thriller/Früh-Giallo komplett in Schwarzweiß und schuf damit die Grundlage für Joe D’Amatos wesentlich populärere Neuverfilmung „Sado – Stoß das Tor zur Hölle auf“.

Graf Mino ist mit Laura verlobt. Kurz vor der Hochzeit manipuliert die eifersüchtige Haushälterin Martha die Bremsen von Lauras Auto, worauf diese den Tod findet. Über das Ableben seiner großen Liebe kommt Mino nicht hinweg. Fortan lebt er allein mit Martha und seiner herrischen Mutter, die Laura abgrundtief verachtete, aus Angst, sie könne ihr ihren Sohn, der noch immer mit ihr im Bett zu nächtigen pflegt, entreißen. Als auch noch seine Mutter stirbt, verliert Mino endgültig den Verstand und ermordet eine junge Frau nach der anderen, während Martha um seine Liebe buhlt, er sich aber an die ausgestopfte Leiche Lauras hält, die er sich in sein Bett gelegt hat.

Die genretypisch bei den privilegierten Herrschaften angesiedelte Geschichte ist herrlich bösartig, krude und plakativ und zeigt den geistigen und sittlichen Verfall eines degenerierten, inzestuösen Adelsgeschlechts, das in seinen Gemäuern weitestgehend isoliert von der Außenwelt vegetiert und den Bezug zur Realität in erschreckendem Ausmaße verliert. Damit hat „Das dritte Auge“ viel von einem Gothic-Grusler und könnte prinzipiell ebenso im viktorianischen Zeitalter spielen, obgleich er zeitlich anscheinend in der Gegenwart angesiedelt wurde. Italo-Western-Star Franco Nero („Django“) ist als Graf Mino in einer für ihn ungewöhnlichen Rolle zu sehen, die mir trotz seines schauspielerischen Talents zu akzeptieren schwerfiel. Zunächst musste ich sogar zweimal hingucken, um zu glauben, dass es sich um Nero und nicht etwa um Fabio Testi handelt, der eigentlich für derartige Schönlingsrollen prädestiniert war. Erst einmal daran gewöhnt, wird das gelackte und pompöse Ambiente inkl. Nero aber zum schönen Kontrast gegenüber dem psychopathologischen Wahnsinn, der sich in ihm abspielt.

Nun setzte Guerrini, sicherlich auch dem Entstehungszeitpunkt geschuldet, nicht sonderlich auf die explizite Darstellung von Sex und Gewalt und verzichtete gar komplett auf Farbe. Das unterstreicht einerseits die unwirtliche Tristesse, in der Mino lebt, ist andererseits aber auch – Mario Bavas zwei Jahre zuvor erschienenen Genrebegründer „Blutige Seide“ im Hinterkopf habend – eine vertane Chance, die dieser bisweilen etwas pseudokünstlerisch und bemüht bedeutungsschwanger wirkenden Farblosigkeit geopfert wurde und dem Giallo das Knallige, Offensive nimmt.

„Das dritte Auge“ wird dramaturgisch ohne bemerkenswerte Längen erzählt und die Schockwirkung, die er seinerzeit mit Sicherheit hatte, ist noch immer spürbar, muss hinter etwas später gefolgten Genreproduktionen aber deutlich zurückstecken, zumal die Umsetzung gerade für einen Giallo trotz solider Leistungen aller Beteiligter eher bieder wirkt. Dennoch entfaltet die absonderliche Geschichte durchaus ihr Potential und weiß über die komplette Distanz ordentlich zu unterhalten. Doch während das unschwer erkennbare, große Vorbild „Psycho“ noch über ein „Whodunit?“ verfügte und andere Gialli knallbunt und/oder künstlerisch verspielt daherkommen und eine aufsehenerregende Ästhetisierung der Gewalt zu bieten haben, fehlt es Guerrinis Film einfach am gewissen Etwas, das ihn fest im Langzeitgedächtnis verankern oder zumindest dafür sorgen würde, dass man ihn sich immer wieder gerne ansieht. Letztlich wird er dadurch stets in erster Linie als Inspirationsquelle für D’Amato betrachtet werden, welcher den brutalen Konsequenzen des psychischen Defekts Minos visuell Ausdruck verlieh und damit seinen vermutlich besten Film schuf. Aber das ist ein anderes Kapitel des italienischen Genrekinos.
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Nackt über Leichen
Nach dem Tod seiner Frau soll George (Jean Sorel) eine hohe Versicherungssumme kassieren. Plötzlich taucht eine Stripperin namens Monica (Marisa Mell) auf, die seiner verstorbenen Frau Susan stark ähnelt. Behörden wittern daraufhin einen Versicherungsbetrug und lassen deshalb Susan's Leiche exhumieren. Es stellt sich raus, daß die Verstorbene vergiftet worden ist. Weil George seit langem eine Beziehung zu einer anderen Frau hat, wird ihm auch noch Mord vorgeworfen.
„Denk nicht so viel. Zieh dich aus!“

Der im Deutschen reißerisch betitelte Spielfilm „Nackt über Leichen“ aus dem Jahre 1969 ist das Giallo-Debüt des später für seine splatterlastigen Horrorfilme berüchtigten italienischen Regisseurs Lucio Fulci („The Beyond“, „Woodoo – Schreckensinsel der Zombies“, „Ein Zombie hing am Glockenseil“), der auch das Drehbuch verfasste.

Klinikleiter Dr. George Dumurrier (Jean Sorel, „Malastrana“) steckt in finanziellen Schwierigkeiten, zudem ist seine Frau Susan (Marisa Mell, „Gefahr: Diabolik“) schwer an Asthma erkrankt. Ihr verschweigt er eine Affäre mit Jane (Elsa Martinelli, „..und vor Lust zu Sterben“), die sich von ihm trennen möchte. Als Susan gestorben ist, erfährt er überraschend, dass sie eine hohe Lebensversicherung abgeschlossen und ihn als Begünstigten eingetragen hatte. George gerät unter Mordverdacht. In einem Stripclub trifft er auf die Tänzerin Monica (Marisa Mell), die seiner verstorbenen Frau zum Verwechseln ähnlich sieht...

Mit Fulcis späteren in hohem Maße gewalthaltigen Filmen hat „Nackt über Leichen“ noch nicht viel gemein, er lässt sich am ehesten als dramatischer Erotikkrimi einordnen. Fulci setzt seine stets professionell und überzeugend agierenden Schauspielerinnen, allen voran die bedauerlich früh verstorbene Marisa Mell, hocherotisch in Szene, ohne sie blutig abzumurksen. Komplett in San Francisco, USA, angesiedelt, sind eine komplexe, aber – verglichen mit manch Spätwerk Fulcis – sauber konstruierte, nachvollziehbare Handlung und eine originelle, kreative, künstlerische Inszenierung gleichberechtigte Bestandteile dieses damit anspruchsvollen Genrebeitrags. Jean Sorel wird als ambivalenter Charakter eingeführt, der seine Rolle mit Fein- und Fingerspitzengefühl spielt, während der Zuschauer eine beobachtende Funktion einnimmt, ohne sich 100%ig mit George zu identifizieren. Erinnert Georges Begegnung mit Monica noch stark an Hitchcocks „Vertigo“, ist die Handlung bis zur ungewöhnlich frühen Auflösung unvorhersehbar, geheimnisvoll und durchzogen von einer knisternden Atmosphäre zwischen Erotik, Gefahr und Realitätsverlust. Weisen die Indizien vermögende Oberschicht, freizügiger Sündenpfuhl, Dopplungen und Mordverdacht eines Unschuldigen eindeutig auf das Giallo-Genre hin, ist der ermittelnde Part dominant wie in einem Kriminalfilm und nahm sich Fulci ausreichend einfallsreiche schöpferische Freiheit, um nicht der Gefahr der Klischeefalle anheimzufallen, sondern im Gegenteil vermutlich inspirierend auf nachfolgende Produktionen zu wirken. Die Kameraarbeit verdient dabei besondere Beachtung, die sich gern ähnlich, aber auf eigene Weise verspielt gibt wie in damals noch nicht gedrehten Martino- und Argento-Klassikern. So wird künstlerisch und effektiv mit Spiegelungen gearbeitet, experimentell das Liebesspiel fotografiert und perspektivisch manch Überraschung bereitgehalten. Eine bisweilen unruhige Kameraführung ist dabei individuelles Merkmal, das es in dieser Form als kontrastierendes Stilelement zum noblen Erscheinungsbild nicht häufig zu sehen gibt; die Kombination aus allem ist gewagte Filmkunst im Rahmen eines Unterhaltungsfilms, die mir Respekt abringt. Trotz seines mittlerweile erreichten Alters wirkt „Nackt über Leichen“ damit erfrischend, beseelt vom Pioniergeist eines außergewöhnlichen Filmmachers.

Bestimmt hält die Auflösung des Mysteriums logischen Überlegungen nicht gänzlich stand, doch die das Publikum für sich einnehmende Bilderflut, der zeitweise richtiggehend sinnliche Rausch, den Fulci zelebriert, lenkt geschickt davon ab. Zum Finale hin scheint es jedoch, als wollte Fulci sich besinnen, dem Zuschauer nicht zuviel zumuten oder dessen Geduld nicht überstrapazieren und ein wenig auf Kosten der Eleganz sein Werk zu einem für einen Giallo fast schon ungewöhnlich konventionellen Ende bringen. Dabei galoppiert die Dramaturgie urplötzlich davon und erweckt den Anschein, als lande man in den USA ohne Prozess in der Gaskammer. Das ist ein klein wenig schade, von meiner Warte hätte Fulci gern noch mutiger zu Werke gehen dürfen. Riz Ortolanis („Cannibal Holocaust“) gewöhnungsbedürftiger Score indes lässt keine Melancholie oder Verträumtheit, die „Nackt über Leichen“ hier und da sicherlich nicht schlecht zu Gesicht gestanden hätte, zu und setzt verstärkt auf „Swingin’ Sixties Jazzfunkgroove-Gedröhne“, oder wie auch immer man diese Musik kategorisieren möchte.

Es existieren unterschiedliche Schnittfassungen des Films: Während die eine mehr auf Erotik setzt, bietet die andere mehr Hintergrundinformationen die eigentliche Handlung betreffend und Einblicke in die Polizeiarbeit. Die Alternativszenen der züchtigeren Version wurden zum Teil so wunderschön und schwelgerisch gefilmt, dass ich mir fast eine integrale Schnittfassung wüschen würde, wider alle Vernunft. Unterm Strich ein absolut empfehlenswerter End-’60er-Giallo von Altmeister Fulci, dem ich sehr gerne vor dem Hintergrund der übermächtigen „Konkurrenz“, die das Genre in den 1970ern hervorbrachte, 7,5 von 10 Punkten gebe, die Italo-Verrückte bedenkenlos aufrunden dürfen.
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Das Geheimnis der blutigen Lilie
In einem mehrstöckigen Wohnkomplex werden nacheinander mehrere attraktive Frauen ermordet. Mittlerweile ist auch das Fotomodell Jennifer (E. Fenech) auf der Liste des Mörders. Ist der Täter jemand der mit den Reizen des zarten Geschlechts enorme Probleme hat oder steckt etwas anderes dahinter?
„Ach, hören Sie doch auf! Ihr Polizisten seid doch das Letzte!“

Im Jahre 1972 trieb irgendetwas Italo-Western-Regisseur Giuliano Carnimeo alias „Anthony Ascott“ („Sartana - Töten war sein täglich Brot“) dazu, sein angestammtes Genre zu verlassen und einen waschechten Giallo nach Drehbuch von Ernesto Gastaldi zu drehen, der auch an den nur ein Jahr zuvor umgesetzten Sergio-Martino-Gialli „Der Killer von Wien“ und „Der Schwanz des Skorpions“ mitschrieb.

In einem Hochhauskomplex geht ein Mörder um, der es auf attraktive junge Damen abgesehen hat. Nach einem Mord im Fahrstuhl wird ein Zimmer für Fotomodell Jennifer frei, die mit Mildred eine Wohngemeinschaft gründet. Fortan befinden sich beide in Gefahr, doch wer steckt hinter der Maske des kaltblütigen Schlitzers? Der Kreis der Verdächtigen ist nicht gerade klein: Jennifers ihr nachstellender Ex-Mann, ihr aktueller Freund Architekt Andrea und die ganze sich eigenartig verhaltende Nachbarschaft.

Die Handschuhe des Mörders sind diesmal gelb statt schwarz, ansonsten finden sich aber fast alle gemeinhin mit dem Genre in Verbindung gebrachten Charakteristika in Carnimeos Frühsiebziger-Giallo. Allen voran wäre da die irrwitzig konstruierte Handlung zu nennen, die hier den Zuschauer nicht etwa für dumm zu verkaufen versucht, sondern großen Spaß macht. Man kann herrlich miträtseln und letztlich sogar tatsächlich auf eine halbwegs richtige Spur kommen. Sunnyboy George Hilton („Der Killer von Wien“), diesmal mit Blutphobie als „Gimmick“, trifft einmal mehr auf die bezaubernde, hocherotische, sinnliche, einzigartige Edwige Fenech („Der Killer von Wien“), was zusammen ein eingespieltes Giallo-Team ergibt, das für Qualität in Form schauspielerischer Leistungen und optischer Leckerbissen bürgt. Nicht nur wegen der Fenech ist der Erotikanteil hoch, nackte Haut gibt es reichlich zu bewundern. Man geizt nicht mit teilweise wunderbar absonderlichen, sexuell aufgeladenen Szenen, wenngleich die Rückblenden im Rahmen des Sex-Sekten-Subplots aus Jennifers Vergangenheit doch arg offensichtlich spekulativ angelegt wurden und die Dramaturgie nur bedingt vorantreiben.

Stelvio Massis Kameraarbeit ist der reinste Genuss und braucht sich hinter der eines Emilio Foriscots für die Martino-Gialli nicht zu verstecken. Kreativ, originell, verspielt, innovativ gar – ein absoluter Leckerbissen, insbesondere in Kombination mit dem stylishen Interieur! Für den Part der ermittelnden Polizei bekommt man es mit einem ungleichen Duo zu tun. Während Chefinspektor Enci (Giampiero Albertini, „Die Viper“) ein eher grimmiges und ernstes Naturell an den Tag legt, schlittert man mit dessen Assistenten Redi (Franco Agostini, „Teenager-Liebe“) haarscharf am von mir gern als solches bezeichneten „Servus-Syndrom“ vorbei, was unpassende alberne Comedy-Einlagen meint, wie sie bereits Dario Argento in „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“ zelebrierte. Obwohl eindeutig komödiantisch, ausgerichtet, bleibt aber noch alles in Rahmen der Erträglichkeit und gefährdet die Stimmung des Films nicht ernsthaft. Diese ist allgemein grell und überdreht, die Vorgänge exploitativ überzeichnet, dabei aber stets stilsicher einer Ästhetik folgend, die aus „Das Geheimnis der blutigen Lilie“ einen in Pizza-statt-Popcorn-Manier zu genießenden, höchst unterhaltsamen Giallo macht, ohne es darauf anzulegen, sein Publikum – trotz einiger böser, blutiger Momente – nachhaltig zu verstören. Andere Gialli verfügen sicherlich über mehr emotionalen Tiefgang, hier hingegen scheint immer wieder schelmische Gesellschaftssatire durch.

Neben der verschachtelten Handlung und der alle anderen verblassen lassenden Fenech sind es besonders die vielen kuriosen Details, die im Gedächtnis haften bleiben. Dass für diese das Tempo häufig gedrosselt wird und man die Dramaturgie bisweilen auf der Stelle treten lässt, fällt in Anbetracht ihrer Kurzweil nicht ins Gewicht. Die erste, harmlose Badewannenszene beispielsweise verführte mich zu einem mittelschweren Lachanfall und soll stellvertretend genannt werden für das lustvolle Spiel mit dem Zuschauer und dessen Erwartungshaltung, die immer wieder bewusst ad absurdum geführt wird.

Unterlegt von einem schönen Soundtrack Bruno Niccolais präsentiert sich „Das Geheimnis der blutigen Lilie“ als Giallo der Oberklasse, der genauso gut von Sergio Martino zu seiner Hochphase hätte kommen können und sich stark an dessen Stil orientiert. Einmal mehr hat schlichtweg jeder – inkl. der sympathischen Hauptrolle – seine Leichen im Keller respektive irgendwie einen an der Waffel und macht sich aufgrund seines neurotischen Verhaltens verdächtig, so dass auch dieser Giallo auf seine Weise ein bissiger Zivilisationskommentar ist, der zudem überholte Vorstellungen von Anstand und Züchtigkeit aufs Korn nimmt, sich vorsichtig gegenüber Feminismus und alternativen Lebensentwürfen positiv positioniert, nicht ohne Letzteren in Form der Sekten-Seitenhiebe auch einen einzuschenken und der durchgehend nicht nur stimmig, sondern geradezu prachtvoll inszeniert wurde. Pflichtstoff nicht nur für Gelbsüchtige!
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Das Geheimnis der grünen Stecknadel
Der Lehrer Henry Rossini hat eine Affäre mit einer seiner Schülerinnen. Während einer gemeinsamen Bootstour beobachtet sie einen Mord, er schenkt ihr jedoch keinen Glauben. Als dann jedoch weitere Morde unter den Schülerinnen geschehen, sieht sich Rossini schnell im Visier des ermittelnden Kommissars Barth. Rossini stellt selbst Nachforschungen an und stößt auf das Mädchen Solange, deren schreckliche Kindheitserlebnisse etwas mit den Morden zu tun zu haben scheinen...
„Da ist ein junges, blühendes Leben abgeschnitten worden wie eine welke Blume, gebrochen von einem Tier, das durch einen göttlichen Irrtum Menschengestalt angenommen hat.“

„Das Geheimnis der grünen Stecknadel“ ist eine späte, auf dem Roman „Das Geheimnis der Stecknadel“ basierende Verfilmung des britischen Schriftstellers Edgar Wallace. Sie entstand im Jahre 1971 in deutsch-italienischer Koproduktion unter der Regie des Italieners Massimo Dallamano („Der Tod trägt schwarzes Leder“), ist der Auftakt zu dessen „Schulmädchen in Not“-Trilogie und hat viel mehr mit typisch italienischen Gialli gemein als mit den deutschen Edgar-Wallace-Krimis der 1950er und 1960er Jahre. Im Frühjahr 1972 kam er in die Kinos.

London: Enrico „Henry“ Rosseni (Fabio Testi, „Syndikat des Grauens“, „Racket“) ist Italienisch-Lehrer an einem katholischen Mädcheninternat und mit seiner deutschen Frau Herta (Karin Baal, „Die Halbstarken“, „Rosa Luxemburg“) verheiratet, die ebenfalls am Internat unterrichtet. Doch nebenher hat er eine Affäre mit seiner Schülerin Elizabeth (Cristina Galbó, „Das Versteck“, „Das Leichenhaus der lebenden Toten“) laufen. Als er sie eines Tages im Hyde Park trifft, wird sie Zeugin eines Mordes. Enrico schenkt ihr jedoch keinen Glauben und hält das für ein Ablenkungsmanöver Elizabeths aufgrund seiner sexuellen Avancen. Als er die schreckliche Wahrheit erfährt und weitere Schülerinnen umgebracht werden, gerät er unter Mordverdacht. Kommissar Barth (Joachim Fuchsberger, „Der Frosch mit der Maske“, „Der Mönch mit der Peitsche“) nimmt die Ermittlungen auf und auch Enrico und Herta ermitteln auf eigene Faust. Die Spuren führen zu einem Mädchen namens Solange (Camile Keaton, „I Spit On Your Grave“). Welche Rolle wird ihr in diesem mörderischen Puzzlespiel zuteil?

Bis auf seinen britischen Drehort und die zum Teil deutsche, aus vorausgegangenen Wallace-Filmen bekannte Besetzung wirkt „Das Geheimnis der grünen Stecknadel“ geradezu durch und durch italienisch: Da wäre zum einen die unverkennbare Kameraarbeit, mit der der berüchtigte, häufig zu Unrecht unterschätzte Aristide Massaccesi alias Joe D’Amato (Regie bei „Man-Eater“, „Sado – Stoß das Tor zur Hölle auf“ etc.) einmal mehr sein kinematographisches Geschick unter Beweis stellt, zum anderen der wunderbare Soundtrack von Maestro Ennio Morricone höchstpersönlich. Und natürlich der verschachtelte Aufbau der Handlung mit seinen typischen Giallo-Elementen, diesmal deutlich inspiriert von Dario Argento: Ein unschuldiger Ausländer gerät unter Mordverdacht und ist (mehr oder weniger) gezwungen, selbst zu ermitteln, jemand – hier Schülerin Elizabeth – kann sich an ein wichtiges Detail nicht mehr erinnern. Darüber hinaus bekommen wir es natürlich auch hier mit einer sexuell aufgeladenen Geschichte zu tun, deren visuelle Umsetzung mit ihren Nacktszenen gern den Weg Richtung Sleaze einschlägt; zudem war ein Mordinstrument selten so eindeutig als Phallussymbol zu erkennen wie in „Das Geheimnis der grünen Stecknadel“ – es wird den Opfern grausam in die Vagina gerammt.

Selbstverständlich fällt es bei einer Vielzahl gelegter Fährten auch schwer, den Mörder zu erraten, was in diesem Falle schlichtweg unmöglich ist, da der Zuschauer erst relativ kurz vor dessen Enthüllung die nötigen Informationen erhält. Bis es soweit ist, kann sich das Publikum aber an einem niveauvollen, in erstem Tonfall vorgetragenen Giallo erfreuen, der zeitweise, z.B. während der Gewitternacht, richtiggehend gruselig wird und generell eine unbehagliche Stimmung erzeugt. So ist es alles andere als einfach, nach dem ersten Mord eine Penetration nicht mit einer Messerattacke zu assoziieren, was den Erotikgehalt konterkariert. Der optische Härtegrad wird dabei verglichen mit anderen Gialli zumeist nicht überstrapaziert, hauptsächlich ist er inhaltlicher Natur und erzeugt die entsprechenden Bilder im Kopf des Rezipienten, ohne allzu viel zeigen zu müssen. Die Dialoge sind, passend zur Ernsthaftigkeit des Films, auf sprachlich recht hohem Niveau. Eine winzige komödiantische Einlage ist tatsächlich lustig, wenn auch etwas unpassend. Um den Film als Wallace-Giallo nicht ad absurdum zu führen, nimmt die Polizei genreuntypisch eine starke, dominante Rolle ein, ist nicht unfähig, sondern engagiert, was eine willkommene Abwechslung darstellt und der Dramaturgie der Handlung gut tut. Massaccesis Arbeit bietet subjektive Kameraführung, manch rasante Kamerafahrt, kreative und voyeuristische Perspektiven. Die grelle, in bunten Farben oder selbstzweckhaftem Stil gezeichnete Ästhetik anderer italienischer Thriller geht Dallamanos Film indes ab, der sich mit dem häufigen Gebrauch matter Farbtöne im nebelverhangenen England tendenziell eher dem klassischen Kriminalfilm verpflichtet zeigt.

Schönling Fabio Testi wird für seine Rolle mit einem Bart in der Tat so etwas wie Reife und Erfahrung verliehen, sein Schauspiel meistert er überraschend glaubwürdig und damit professionell und über Kritik erhaben. Ich kann mich nicht erinnern, Testi zuvor ähnlich stark gesehen zu haben. Karin Baal als seine Frau sieht selbst noch fast aus wie eine Teenagerin, durch das Drehbuch gewinnt ihre Rolle gegen Ende an Bedeutung und charakterlicher Tiefe. Generell bemühte man sich erfolgreich um facettenreiche, ambivalente Charaktere, die sich einfachen Schwarzweiß-Schemata entziehen. Bei aller entsetzlichen Dimension, die die Handlung nach und nach offenbart, fallen eindeutige Schuldzuweisungen schwer und sind nicht im Sinne der Autoren. Zudem zielt Dallamano nicht ganz so offensichtlich auf exploitative Panikmache im Zeitalter freizügiger Sexualität bereits junger Frauen ab wie im Quasi-Nachfolger „Der Tod trägt schwarzes Leder“, sondern reißt die biedere Fassade einer katholischen Lehranstalt und ihrer Doppelmoral ein. Seine jungen Protagonistinnen werden dennoch unverhohlen auf frühreife Früchtchen, die es faustdick hinter den Ohren haben, gezeichnet, von denen sich ausgerechnet diejenige, die eine Affäre mit ihrem Lehrer hat, als die Harmloseste herausstellen wird. Das kann jedoch durchaus als Mahnung zum verantwortungsvollen Umgang mit der Sexualität und seinem Körper verstanden bzw. muss nicht zwangsläufig als konservative oder alibihafte Positionierung gegenüber sexueller Selbstbestimmung geschlechtsreifer Mädchen interpretiert werden. Dafür setzt sich Dallamano über weite Strecken zu sensibel und behutsam mit seinen Protagonisten auseinander und erzählt auf spannende Weise in idealem Tempo letztlich ein bewegendes, aufwühlendes Drama in tadelloser Giallo-Manier mit tatkräftiger Unterstützung aus dem Wallace-erfahrenen Deutschland, das mit Joachim Fuchsberger eine Seriosität einbringt, die einerseits Kontrastpunkt zu all den kruden Versatzstücken der Mordserie ist, sich andererseits aber perfekt mit dem italienischen Kino ergänzt und „Das Geheimnis der grünen Stecknadel“ damit zu einem überaus starken, ernstzunehmenden Vertreter seiner Zunft macht – der vorzugsweise in seiner ungeschnittenen Fassung genossen werden sollte.

Für Giallo-Freunde ein Muss, für konservativere Wallace-Konsumenten eine interessante, im Optimalfall inspirierende Grenzerfahrung.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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