Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen
SWR-“Tatort“ mit Heike Makatsch wird eingestellt
ARD-Krimireihe spart an prominenter Stelle
Die Sparmaßnahmen in der ARD haben nun auch das Krimi-Aushängeschild am Sonntagabend erreicht. So bestätigte der SWR am Montag gegenüber epd Medien, dass die „Tatort“-Reihe mit Heike Makatsch als Kriminalhauptkommissarin Ellen Berlinger aus finanziellen Gründen nicht weiter fortgesetzt wird. Makatsch ermittelte seit 2016 in Freiburg und Mainz. Fünf Filme wurden bislang produziert.
Quelle und weitere Infos:
https://www.fernsehserien.de/news/swr-t ... ingestellt
ARD-Krimireihe spart an prominenter Stelle
Die Sparmaßnahmen in der ARD haben nun auch das Krimi-Aushängeschild am Sonntagabend erreicht. So bestätigte der SWR am Montag gegenüber epd Medien, dass die „Tatort“-Reihe mit Heike Makatsch als Kriminalhauptkommissarin Ellen Berlinger aus finanziellen Gründen nicht weiter fortgesetzt wird. Makatsch ermittelte seit 2016 in Freiburg und Mainz. Fünf Filme wurden bislang produziert.
Quelle und weitere Infos:
https://www.fernsehserien.de/news/swr-t ... ingestellt
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen
Tatort: Usambaraveilchen
„Ich kann nicht mehr!“
Am 20. April 1981 nahm der nächste „Tatort“-Kommissar, der die 1970er innerhalb der öffentlich-rechtlichen Krimireihe mitgeprägt hatte, seinen Hut: Der Münchner Kriminalhauptkommissar Melchior Veigl (Gustl Bayrhammer) verabschiedete sich mit seinem 15. Fall. Dieser war von Herbert Rosendorfer geschrieben und von Wilm ten Haaf inszeniert worden, der damit seine fünfte von insgesamt sieben „Tatort“-Episoden ablieferte.
„Sie war schon tot.“
Walter Berg (Stephan Orlac, „Die Wicherts von nebenan“), ein nach außen hin biederer, graumelierter Rechtsanwalt, ist verheiratet, hat jedoch seit fünf Jahren in der Apothekerin Ulla Brendl (Karin Kernke, „Die Nackte und der Satan“) eine Geliebte. Diese Affäre beendet er nun – und zwar endgültig. Mit seiner Frau (Maria Körber, „Sonne, Sylt und kesse Krabben“) spricht er offen darüber, doch ihr Vertrauen zu ihrem Mann bleibt erschüttert. Bereits am nächsten Tag reist er für eine Woche nach Regensburg, da er vor dem dortigen Gericht die Verteidigung eines Mandanten übernehmen muss. Er quartiert sich für diese Zeit bei seinem Kollegen Runau (Otto Stern, „Liebesspiele junger Mädchen“) und dessen Familie (u.a. Maddalena Kerrh, „Die Moral der Ruth Halbfass“) ein, mit der er freundschaftlich verbunden ist. Jedoch sorgt er sich auch um Ulla. Als er sie telefonisch mehrmals nicht erreicht, fährt er für einen kurzen Abstecher nach München zurück, wo er sie erschossen in ihrer Wohnung liegend auffindet. Ohne sich bei der Polizei zu melden, verlässt er den Tatort wieder. Ullas Leichnam wird schließlich wenige Tage später von der Hausmeisterin Frau Hoiss (Margot Mahler, „Zum Gasthof der spritzigen Mädchen“) gefunden. Daraufhin übernimmt die Münchner Mordkommission um Kommissar Veigl, der Herrn Berg vom Stammtisch kennt, den Fall. Im Nachbarn Wiedemann (Wolfgang Büttner, „Der 20. Juli“) ist ein wichtiger Zeuge schnell gefunden. Er hatte sowohl Herrn Bergs regelmäßige Besuche als auch Frau Bergs abendlichen Besuch bei Ulla beobachtet. Frau Berg wollte sich mit Ulla aussprechen und hatte ihr ein weißes Usambaraveilchen mitgebracht…
Ausgangssituation dieses „Tatorts“ ist ein wohlsituierter Herr, der sich unmoralisch verhält und, obschon nicht der Mörder, so doch in einen Mordfall hineingezogen wird. Im Prinzip bietet „Usambaraveilchen“ ein klassisches Whodunit?-Sujet, wenngleich das Fernsehpublikum einigen Wissensvorsprung gegenüber der Polizei hat. Deren Ermittlungen gestalten sich mäßig spannend, da man ihr dabei zusieht, wie sie herausfindet, was man ohnehin schon weiß – und dies recht dialogreich und ohne viel Witz oder Schmiss. Brettschneider (Willy Harlander) befragt Ullas Chef, den Apotheker Froschhammer (Robert Naegele, „Sie liebten sich einen Sommer“), und man reist nach Regensburg, um mit Herrn Berg zu sprechen, der mit der vollen Wahrheit – soweit er sie kennt – nicht so recht herausrücken will. Neben der Rätselei um die Täterschaft sorgen aber Nebenfiguren wie der kauzige Rentnernachbar für Unterhaltung: Diesem ist in seinem eigenen Leben derart langweilig, dass er penibel dokumentiert hat, wann genau Herr Berg Ulla jeweils besuchen kam. Dieser verschrobene Spießer ist lange Zeit der wichtigste Zeuge, bis die Nachbarin der Bergs Frau Berg entlastet. Nun ist guter Rat wieder teuer.
Im letzten Drittel rettet sich die Dramaturgie in eine überraschende Wendung und einige Konfusionen gegen Ende, bis Tathergang und Täter endlich ans Licht kommen. Eine Rückblende dröselt alles auf. Etwas arg seltsam und herbeikonstruiert wirkt es bei genauerer Überlegung indes, dass der pedantische Nachbar ausgerechnet davon nichts mitbekommen haben will. Ich fürchte, dass das Drehbuch hier eine gröbere Schwäche offenbart. Dasselbe Drehbuch hätte Veigls Abschied gern auch etwas feierlicher ausfallen lassen dürfen, so durchwachsen der Münchner „Tatort“-Zweig unter dessen Regentschaft auch war. Immerhin wird in einem Dialog vermittelt, dass Veigl in Pension geht und Lenz (Helmut Fischer) sein Nachfolger wird. In diesem Kontext dürfen die beiden sich wenigstens ein wenig kabbeln, und Raum für Veigls obligatorische Presseschelte findet sich später ebenfalls.
Die Staatsanwaltschaft kommt hier übrigens reichlich schlecht weg, und die Polizei tritt eine ganze Weile auf der Stelle, weil sie gar nicht erst auf die Idee kommt, dass es neben Herrn Berg auch andere Männer in Ulla Brendls Leben gegeben haben könnte. Bemerkenswert ist der offene Umgang Herrn Bergs mit seiner Affäre (zumindest gegenüber seiner Frau). Das Thema emotionale Erpressung wird nur kurz angerissen und als Aufhänger dafür genutzt, dass sich Herr Berg nach seiner Trennung von Ulla noch um sie sorgt. Der „Tatort: Usambaraveilchen“ ist gemütliche Fernsehkrimikost, wenn auch etwas sehr trocken. Es ist kein Paukenschlag, mit dem sich Veigl von seinem Publikum verabschiedet, aber auch kein Reinfall. Wer „Derrick“ und Konsorten goutiert, dürfte einen relativ soliden Fall zu sehen bekommen. Vom Feuer, der Spritzigkeit, dem Witz und der Frische manch älteren „Tatorts“ aus den 1970ern ist „Usambaraveilchen“ jedoch weit entfernt.
Ein letztes Mal kapriziös gibt man sich ganz am Ende, als der Abspann mitsamt „Tatort“-Melodie bereits überm noch Handlung vermittelnden Bewegtbild einsetzt. Ich freue mich nun auf die sieben Münchner Lenz-„Tatorte“ aus den Jahren 1981 bis 1987 mit Helmut Fischer in der Hauptrolle, dem bereits unter Bayrhammer für mich heimlichen Star der Reihe, der nach seiner parallelen Zusammenarbeit mit Helmut Dietl für die Serie „Der ganz normale Wahnsinn“ seine dortige Nebenrolle als Stenz in „Monaco Franze – Der ewige Stenz“ ausbauen durfte und damit endgültig zum Publikumsliebling avancierte. Aber dazu später und anderer Stelle mehr.
„Ich kann nicht mehr!“
Am 20. April 1981 nahm der nächste „Tatort“-Kommissar, der die 1970er innerhalb der öffentlich-rechtlichen Krimireihe mitgeprägt hatte, seinen Hut: Der Münchner Kriminalhauptkommissar Melchior Veigl (Gustl Bayrhammer) verabschiedete sich mit seinem 15. Fall. Dieser war von Herbert Rosendorfer geschrieben und von Wilm ten Haaf inszeniert worden, der damit seine fünfte von insgesamt sieben „Tatort“-Episoden ablieferte.
„Sie war schon tot.“
Walter Berg (Stephan Orlac, „Die Wicherts von nebenan“), ein nach außen hin biederer, graumelierter Rechtsanwalt, ist verheiratet, hat jedoch seit fünf Jahren in der Apothekerin Ulla Brendl (Karin Kernke, „Die Nackte und der Satan“) eine Geliebte. Diese Affäre beendet er nun – und zwar endgültig. Mit seiner Frau (Maria Körber, „Sonne, Sylt und kesse Krabben“) spricht er offen darüber, doch ihr Vertrauen zu ihrem Mann bleibt erschüttert. Bereits am nächsten Tag reist er für eine Woche nach Regensburg, da er vor dem dortigen Gericht die Verteidigung eines Mandanten übernehmen muss. Er quartiert sich für diese Zeit bei seinem Kollegen Runau (Otto Stern, „Liebesspiele junger Mädchen“) und dessen Familie (u.a. Maddalena Kerrh, „Die Moral der Ruth Halbfass“) ein, mit der er freundschaftlich verbunden ist. Jedoch sorgt er sich auch um Ulla. Als er sie telefonisch mehrmals nicht erreicht, fährt er für einen kurzen Abstecher nach München zurück, wo er sie erschossen in ihrer Wohnung liegend auffindet. Ohne sich bei der Polizei zu melden, verlässt er den Tatort wieder. Ullas Leichnam wird schließlich wenige Tage später von der Hausmeisterin Frau Hoiss (Margot Mahler, „Zum Gasthof der spritzigen Mädchen“) gefunden. Daraufhin übernimmt die Münchner Mordkommission um Kommissar Veigl, der Herrn Berg vom Stammtisch kennt, den Fall. Im Nachbarn Wiedemann (Wolfgang Büttner, „Der 20. Juli“) ist ein wichtiger Zeuge schnell gefunden. Er hatte sowohl Herrn Bergs regelmäßige Besuche als auch Frau Bergs abendlichen Besuch bei Ulla beobachtet. Frau Berg wollte sich mit Ulla aussprechen und hatte ihr ein weißes Usambaraveilchen mitgebracht…
Ausgangssituation dieses „Tatorts“ ist ein wohlsituierter Herr, der sich unmoralisch verhält und, obschon nicht der Mörder, so doch in einen Mordfall hineingezogen wird. Im Prinzip bietet „Usambaraveilchen“ ein klassisches Whodunit?-Sujet, wenngleich das Fernsehpublikum einigen Wissensvorsprung gegenüber der Polizei hat. Deren Ermittlungen gestalten sich mäßig spannend, da man ihr dabei zusieht, wie sie herausfindet, was man ohnehin schon weiß – und dies recht dialogreich und ohne viel Witz oder Schmiss. Brettschneider (Willy Harlander) befragt Ullas Chef, den Apotheker Froschhammer (Robert Naegele, „Sie liebten sich einen Sommer“), und man reist nach Regensburg, um mit Herrn Berg zu sprechen, der mit der vollen Wahrheit – soweit er sie kennt – nicht so recht herausrücken will. Neben der Rätselei um die Täterschaft sorgen aber Nebenfiguren wie der kauzige Rentnernachbar für Unterhaltung: Diesem ist in seinem eigenen Leben derart langweilig, dass er penibel dokumentiert hat, wann genau Herr Berg Ulla jeweils besuchen kam. Dieser verschrobene Spießer ist lange Zeit der wichtigste Zeuge, bis die Nachbarin der Bergs Frau Berg entlastet. Nun ist guter Rat wieder teuer.
Im letzten Drittel rettet sich die Dramaturgie in eine überraschende Wendung und einige Konfusionen gegen Ende, bis Tathergang und Täter endlich ans Licht kommen. Eine Rückblende dröselt alles auf. Etwas arg seltsam und herbeikonstruiert wirkt es bei genauerer Überlegung indes, dass der pedantische Nachbar ausgerechnet davon nichts mitbekommen haben will. Ich fürchte, dass das Drehbuch hier eine gröbere Schwäche offenbart. Dasselbe Drehbuch hätte Veigls Abschied gern auch etwas feierlicher ausfallen lassen dürfen, so durchwachsen der Münchner „Tatort“-Zweig unter dessen Regentschaft auch war. Immerhin wird in einem Dialog vermittelt, dass Veigl in Pension geht und Lenz (Helmut Fischer) sein Nachfolger wird. In diesem Kontext dürfen die beiden sich wenigstens ein wenig kabbeln, und Raum für Veigls obligatorische Presseschelte findet sich später ebenfalls.
Die Staatsanwaltschaft kommt hier übrigens reichlich schlecht weg, und die Polizei tritt eine ganze Weile auf der Stelle, weil sie gar nicht erst auf die Idee kommt, dass es neben Herrn Berg auch andere Männer in Ulla Brendls Leben gegeben haben könnte. Bemerkenswert ist der offene Umgang Herrn Bergs mit seiner Affäre (zumindest gegenüber seiner Frau). Das Thema emotionale Erpressung wird nur kurz angerissen und als Aufhänger dafür genutzt, dass sich Herr Berg nach seiner Trennung von Ulla noch um sie sorgt. Der „Tatort: Usambaraveilchen“ ist gemütliche Fernsehkrimikost, wenn auch etwas sehr trocken. Es ist kein Paukenschlag, mit dem sich Veigl von seinem Publikum verabschiedet, aber auch kein Reinfall. Wer „Derrick“ und Konsorten goutiert, dürfte einen relativ soliden Fall zu sehen bekommen. Vom Feuer, der Spritzigkeit, dem Witz und der Frische manch älteren „Tatorts“ aus den 1970ern ist „Usambaraveilchen“ jedoch weit entfernt.
Ein letztes Mal kapriziös gibt man sich ganz am Ende, als der Abspann mitsamt „Tatort“-Melodie bereits überm noch Handlung vermittelnden Bewegtbild einsetzt. Ich freue mich nun auf die sieben Münchner Lenz-„Tatorte“ aus den Jahren 1981 bis 1987 mit Helmut Fischer in der Hauptrolle, dem bereits unter Bayrhammer für mich heimlichen Star der Reihe, der nach seiner parallelen Zusammenarbeit mit Helmut Dietl für die Serie „Der ganz normale Wahnsinn“ seine dortige Nebenrolle als Stenz in „Monaco Franze – Der ewige Stenz“ ausbauen durfte und damit endgültig zum Publikumsliebling avancierte. Aber dazu später und anderer Stelle mehr.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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- FarfallaInsanguinata
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen
Tatort: Parasomnia
"Eigentlich" schaue ich keine Tatorte mehr, an diesen geriet ich bei der Erstausstrahlung durch Zufall. Die Ermittlerinnen sind mir sympathisch, der Fall ist spannend, jedoch alles Nebensache. Hannah Schiller macht es für mich! Habe bisher drei Fernsehproduktionen mit ihr gesehen und in allen dreien war sie unfassbar gut. Texte auswendig lernen und aufsagen schaffen wir fast alle, die Kunst ist, Emotionen glaubwürdig auszudrücken. Bin immer wieder beeindruckt von ihr, deshalb habe ich mir diese Episode gerne ein zweites Mal gegönnt.
"Eigentlich" schaue ich keine Tatorte mehr, an diesen geriet ich bei der Erstausstrahlung durch Zufall. Die Ermittlerinnen sind mir sympathisch, der Fall ist spannend, jedoch alles Nebensache. Hannah Schiller macht es für mich! Habe bisher drei Fernsehproduktionen mit ihr gesehen und in allen dreien war sie unfassbar gut. Texte auswendig lernen und aufsagen schaffen wir fast alle, die Kunst ist, Emotionen glaubwürdig auszudrücken. Bin immer wieder beeindruckt von ihr, deshalb habe ich mir diese Episode gerne ein zweites Mal gegönnt.
Diktatur der Toleranz
Die Zeit listete den Film in einem Jahresrückblick als einen der schlechtesten des Kinojahres 2023. Besonders bemängelt wurden dabei die Sexszenen, die von der Rezensentin als „pornografisch“ und „lächerlich“ bezeichnet wurden.
Die Zeit listete den Film in einem Jahresrückblick als einen der schlechtesten des Kinojahres 2023. Besonders bemängelt wurden dabei die Sexszenen, die von der Rezensentin als „pornografisch“ und „lächerlich“ bezeichnet wurden.
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen
Tatort: Das Lederherz
„Alles musste immer gebraten in den Mund fliegen!“
Neue Dekade, neues Glück? Am 3. Mai 1981 trat mit der von Schauspielerin Karin Anselm („Der Bastian“) verkörperten Ermittlerin Hanne Wiegand erstmals eine weibliche Ermittlerin innerhalb der öffentlich-rechtlichen Krimireihe auf den Plan. Ihr Debüt „Das Lederherz“ wurde im Juli und August 1980 (strenggenommen also noch in der ausklingenden ‘70er-Dekade) in Baden-Baden und Umgebung nach einem Drehbuch Irene Rodrians unter der Regie Imo Moszkowiczs („Max, der Taschendieb“) gedreht. Es blieb Moszkowiczs einzige „Tatort“-Inszenierung.
„Wenn etwas zerstört ist, was nicht mehr zu reparieren ist, repariert man plötzlich die unwichtigsten Dinge…“
Die attraktive Eva Dieckmann (Margit Schulte-Tigges, „Diese Drombuschs“) schlüpft in ein sexy Outfit und versucht, am Freitagabend die Aufmerksamkeit ihres Manns Gert (Peter Dirschauer, „Blutspur“), einem freischaffenden Architekten, zu erregen. Sie würde sich gern einmal wieder mit ihm ins Nachtleben stürzen. Dieser ist jedoch in seine Arbeit vertieft und würdigt sie keines Blickes. Erst reagiert sie daraufhin zum wiederholten Male eifersüchtig auf seine Arbeitskollegin, dann wird sie immer aggressiver, bis er ihr eine Ohrfeige gibt. Nun beschimpft sie ihn und will sich gar umbringen. Nachdem er ihr ihre Tabletten weggenommen hat, droht sie, sich aus dem Fenster zu stürzen. Auf dem Fensterbrett verliert sie plötzlich den Halt. Zunächst versucht Gert noch, sie festzuhalten und hochzuziehen, lässt jedoch irgendwann los. Dabei reißt sie ihm noch einen herzförmigen Lederflicken von der Jacke. Haben ihn seine Kräfte verlassen oder hat er absichtlich losgelassen? Nachbarn beschuldigen Gert alsbald, Eva aus dem Fenster gestoßen zu haben. Nun ist es an Kriminalkommissarin Wiegand, in diesem potentiellen Fall von Mord oder Totschlag zu ermitteln. Dafür versucht sie, Gerts Vertrauen zu gewinnen…
Gedreht wurde also in Baden-Baden und drumherum, eine konkrete Lokalisierung fällt aber schwer: Der Handlungsort wird nie genannt und Lokalkolorit gibt es keines, niemand spricht einen Dialekt o.ä. und der überwiegende Teil der Handlung spielt entweder in Gerts Wohnung oder im Polizeirevier. Das ist schade, dafür ist der Auftakt überaus gelungen: Man beginnt mit einer Oben-ohne-Szene Evas vorm Spiegel, während der man noch nichts von der unmittelbar darauffolgenden Eskalationsschraube ahnt, die fulminant überdreht wird, während Eva Wahnsinn und Verachtung ins Gesicht geschrieben sind. Das ist toll von Schulte-Tigges geschauspielert, kurioserweise läuft währenddessen übrigens ein „Tatort“ in der gemeinsamen Wohnung. Gert kann einem leidtun und man erwischt sich beim Gedanken, Verständnis dafür zu entwickeln, dass er sie im entscheidenden Moment losgelassen hat. Wenn er es denn hat! Man sieht es zwar, aber ob das nun Absicht war oder er sie nicht länger halten hat können, wird nicht ganz klar. Klar hingegen ist, dass es zumindest kein Kalkül war, man es also keinesfalls mit einem klassischen Mordfall zu tun hat.
So taugt dieser Umstand auch nicht wirklich dazu, über die volle Länge Spannung zu erzeugen. Wiegand als erste Kommissarin wird als eine Frau eingeführt, die mittels damals in erster Linie dem weiblichen Geschlecht zugeschriebener Soft Skills wie Einfühlungsvermögen und Empathie versucht, der Wahrheit näherzukommen. Dass sie den unter Schock stehenden Gert direkt mit aufs Revier nimmt, um ihm dort einer ersten Befragung zu unterziehen, steht im Kontrast dazu und ist ziemlich hanebüchen, schien man damals aber für normal gehalten zu haben. Bewusst als eher ungewöhnliche Ermittlungsmethode etabliert wird im Anschluss, dass sie Gert nach Hause fährt und mit in die Wohnung kommt, woraufhin man etwas über sein Leben und seine Ehe erfährt. Halbwegs interessant ist es noch, wie Eva auf diese Weise posthum als verwöhnte Frau, die von Beruf Tochter eines vermögenden Architekten (Herbert Steinmetz, „Kommissariat IX“) ist, charakterisiert wird, auch der angerissene Generations- und Weltanschauungskonflikt zwischen Evas Vater und Gert lässt zuweilen aufhorchen; vollkommen redundant hingegen, dass er ihr den Verlauf des Streits noch einmal haarklein erzählt – das weiß man schließlich schon alles, hat es ja selbst gesehen. Von nun an durchziehen langatmige Dialoge diesen Fall, der damit zu einem einschläfernden Laber-Kriminaldrama verkommt.
Wiegands Assistenten Rolf Simon (Wolfgang Kaven, „Die Fälschung“) und Erwin Brunner (Peter Pankalla) halten es für möglich, dass Gert schuldig ist, sind sich aber dennoch uneins. Bei einem ihrer Besuche bei Gert hat Wiegand den titelgebenden Flicken auf der Straße gefunden, der zu einem Indiz hochstilisiert wird, obwohl er eigentlich – außer vielleicht im metaphorischen Sinne – keinerlei Aussagekraft besitzt. Etwas Auflockerung erfährt dieser bis dahin seltsam beengt wirkende „Tatort“, wenn Gert der Kommissarin Plattenbauarchitektur zeigt und mit ihr ins Café geht, was aber dennoch zu keinem wahrnehmbaren Plus an lokalem Ambiente führt. Nach dem gelungenen Prolog hat „Das Lederherz“ kaum Schauwerte zu bieten und steuert zähflüssig bis trocken auf sein offenes Ende hin, für das das Bild ein paar Sekunden lang eingefroren wird, bevor der Abspann eintritt. Sogar auf musikalische Untermalung wurde weitestgehend verzichtet. Das ist enttäuschend, denn interessante Ansätze waren durchaus vorhanden und Wiegand als sympathischem, etwas mütterlichem Blickfang mit ihren großen, weit auseinanderstehenden Augen hätte man einen besseren Einstand in dieser traditionsreichen Reihe gegönnt.
„Alles musste immer gebraten in den Mund fliegen!“
Neue Dekade, neues Glück? Am 3. Mai 1981 trat mit der von Schauspielerin Karin Anselm („Der Bastian“) verkörperten Ermittlerin Hanne Wiegand erstmals eine weibliche Ermittlerin innerhalb der öffentlich-rechtlichen Krimireihe auf den Plan. Ihr Debüt „Das Lederherz“ wurde im Juli und August 1980 (strenggenommen also noch in der ausklingenden ‘70er-Dekade) in Baden-Baden und Umgebung nach einem Drehbuch Irene Rodrians unter der Regie Imo Moszkowiczs („Max, der Taschendieb“) gedreht. Es blieb Moszkowiczs einzige „Tatort“-Inszenierung.
„Wenn etwas zerstört ist, was nicht mehr zu reparieren ist, repariert man plötzlich die unwichtigsten Dinge…“
Die attraktive Eva Dieckmann (Margit Schulte-Tigges, „Diese Drombuschs“) schlüpft in ein sexy Outfit und versucht, am Freitagabend die Aufmerksamkeit ihres Manns Gert (Peter Dirschauer, „Blutspur“), einem freischaffenden Architekten, zu erregen. Sie würde sich gern einmal wieder mit ihm ins Nachtleben stürzen. Dieser ist jedoch in seine Arbeit vertieft und würdigt sie keines Blickes. Erst reagiert sie daraufhin zum wiederholten Male eifersüchtig auf seine Arbeitskollegin, dann wird sie immer aggressiver, bis er ihr eine Ohrfeige gibt. Nun beschimpft sie ihn und will sich gar umbringen. Nachdem er ihr ihre Tabletten weggenommen hat, droht sie, sich aus dem Fenster zu stürzen. Auf dem Fensterbrett verliert sie plötzlich den Halt. Zunächst versucht Gert noch, sie festzuhalten und hochzuziehen, lässt jedoch irgendwann los. Dabei reißt sie ihm noch einen herzförmigen Lederflicken von der Jacke. Haben ihn seine Kräfte verlassen oder hat er absichtlich losgelassen? Nachbarn beschuldigen Gert alsbald, Eva aus dem Fenster gestoßen zu haben. Nun ist es an Kriminalkommissarin Wiegand, in diesem potentiellen Fall von Mord oder Totschlag zu ermitteln. Dafür versucht sie, Gerts Vertrauen zu gewinnen…
Gedreht wurde also in Baden-Baden und drumherum, eine konkrete Lokalisierung fällt aber schwer: Der Handlungsort wird nie genannt und Lokalkolorit gibt es keines, niemand spricht einen Dialekt o.ä. und der überwiegende Teil der Handlung spielt entweder in Gerts Wohnung oder im Polizeirevier. Das ist schade, dafür ist der Auftakt überaus gelungen: Man beginnt mit einer Oben-ohne-Szene Evas vorm Spiegel, während der man noch nichts von der unmittelbar darauffolgenden Eskalationsschraube ahnt, die fulminant überdreht wird, während Eva Wahnsinn und Verachtung ins Gesicht geschrieben sind. Das ist toll von Schulte-Tigges geschauspielert, kurioserweise läuft währenddessen übrigens ein „Tatort“ in der gemeinsamen Wohnung. Gert kann einem leidtun und man erwischt sich beim Gedanken, Verständnis dafür zu entwickeln, dass er sie im entscheidenden Moment losgelassen hat. Wenn er es denn hat! Man sieht es zwar, aber ob das nun Absicht war oder er sie nicht länger halten hat können, wird nicht ganz klar. Klar hingegen ist, dass es zumindest kein Kalkül war, man es also keinesfalls mit einem klassischen Mordfall zu tun hat.
So taugt dieser Umstand auch nicht wirklich dazu, über die volle Länge Spannung zu erzeugen. Wiegand als erste Kommissarin wird als eine Frau eingeführt, die mittels damals in erster Linie dem weiblichen Geschlecht zugeschriebener Soft Skills wie Einfühlungsvermögen und Empathie versucht, der Wahrheit näherzukommen. Dass sie den unter Schock stehenden Gert direkt mit aufs Revier nimmt, um ihm dort einer ersten Befragung zu unterziehen, steht im Kontrast dazu und ist ziemlich hanebüchen, schien man damals aber für normal gehalten zu haben. Bewusst als eher ungewöhnliche Ermittlungsmethode etabliert wird im Anschluss, dass sie Gert nach Hause fährt und mit in die Wohnung kommt, woraufhin man etwas über sein Leben und seine Ehe erfährt. Halbwegs interessant ist es noch, wie Eva auf diese Weise posthum als verwöhnte Frau, die von Beruf Tochter eines vermögenden Architekten (Herbert Steinmetz, „Kommissariat IX“) ist, charakterisiert wird, auch der angerissene Generations- und Weltanschauungskonflikt zwischen Evas Vater und Gert lässt zuweilen aufhorchen; vollkommen redundant hingegen, dass er ihr den Verlauf des Streits noch einmal haarklein erzählt – das weiß man schließlich schon alles, hat es ja selbst gesehen. Von nun an durchziehen langatmige Dialoge diesen Fall, der damit zu einem einschläfernden Laber-Kriminaldrama verkommt.
Wiegands Assistenten Rolf Simon (Wolfgang Kaven, „Die Fälschung“) und Erwin Brunner (Peter Pankalla) halten es für möglich, dass Gert schuldig ist, sind sich aber dennoch uneins. Bei einem ihrer Besuche bei Gert hat Wiegand den titelgebenden Flicken auf der Straße gefunden, der zu einem Indiz hochstilisiert wird, obwohl er eigentlich – außer vielleicht im metaphorischen Sinne – keinerlei Aussagekraft besitzt. Etwas Auflockerung erfährt dieser bis dahin seltsam beengt wirkende „Tatort“, wenn Gert der Kommissarin Plattenbauarchitektur zeigt und mit ihr ins Café geht, was aber dennoch zu keinem wahrnehmbaren Plus an lokalem Ambiente führt. Nach dem gelungenen Prolog hat „Das Lederherz“ kaum Schauwerte zu bieten und steuert zähflüssig bis trocken auf sein offenes Ende hin, für das das Bild ein paar Sekunden lang eingefroren wird, bevor der Abspann eintritt. Sogar auf musikalische Untermalung wurde weitestgehend verzichtet. Das ist enttäuschend, denn interessante Ansätze waren durchaus vorhanden und Wiegand als sympathischem, etwas mütterlichem Blickfang mit ihren großen, weit auseinanderstehenden Augen hätte man einen besseren Einstand in dieser traditionsreichen Reihe gegönnt.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Diese Filme sind züchisch krank!
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen
Tatort: Das Zittern der Tenöre
Mein lieber Herr Gesangsverein!
„Mit Zigarette im Mund spricht man nicht!“
Genau zwischen der Einführung zweier gegensätzlicher neuer Figuren, nämlich der ersten „Tatort“-Kommissarin Wiegand in „Das Lederherz“ und dem rüpelhaften Ruhrpottler Schimanski in „Duisburg-Ruhrort“, durfte der Lübecker Kriminalhauptkommissar Horst Greve (Erik Schumann, „Himmel ohne Sterne“) in seinem einzigen Fall ermitteln: Dem am 31. Mai 1981 erstausgestrahlten Fall liegt ein Drehbuch des Schriftstellers Hansjörg Martin zugrunde, das auf dessen gleichnamigem Roman fußt. Mit der Regie wurde Hans Dieter Schwarze betraut, der im Jahre 1972 seine erste (von zwei) „Tatort“-Episoden inszeniert hatte: „Der Fall Geisterbahn“, ebenfalls nach einem Drehbuch Martins.
„Schrecklich, diese alten Männer…“
Das (fiktionale) schleswig-holsteinische Örtchen Endwarden: Pensionär Otto Fintzel (Georg Lehn, „Die Brücke“) findet beim Renovieren seines Dachbodens einen Koffer seines Bruders Julius, der den Zweiten Weltkrieg nicht überlebt hat. Julius war überzeugter Nazi, wie auch so viele aus Ottos Freundeskreis, mit denen er sich regelmäßig im Männergesangsverein Germania zum Singen und anschließendem Umtrunk trifft. Diese sind allesamt gut in der Bundesrepublik angekommen, denken aber gern an die alten Zeiten zurück. Der unbekannte Kofferinhalt jedoch macht sie nervös. Sie fürchten, dass er belastendes Material über sie enthalten könnte: Dokumentiert er persönliche Mitschuld? Oder wie man vom Genozid an den Jüdinnen und Juden persönlich profitierte? Einem etwas jüngeren Vereinsmitglied käme das eigentlich ganz gelegen… Als beim heimlichen Versuch, an den Koffer zu gelangen, der Wirt Klaus Möhlmann (Heinz Schimmelpfennig, „Tatort“-Kommissar Gerber) tödlich auf der Treppe stürzt, ruft dies Kommissar Greve auf den Plan.
„Könnt ihr nicht endlich mal die alten Zeiten in Ruhe lassen?“
Nach Fintzels schicksalhaftem Kofferfund lernen wir Lehrer Rainer Buchholz (Paul Edwin Roth, „Die Gentlemen bitten zur Kasse“) kennen. Dieser soll befördert werden, was mit einer saftigen Gehaltserhöhung verbunden ist. Ein Haus wolle er sich und seiner Frau (Eva-Ingeborg Scholz, „Der Verlorene“) nun endlich bauen. Seinen als Punkband probenden Schülern hört er eher mit Grausen zu. Das ist jedoch nichts gegen den Kofferfund, aufgrund dessen er um seine Beförderung fürchtet. Was, wenn dadurch seine Vergangenheit als linientreuem NS-Dichter an die Öffentlichkeit kommt? Dabei verkennt er, dass zumindest ein Mitglied jener Punkband (übrigens gespielt von den echten HH-Punks „Copslayers“) längst Bescheid weiß und seinen Drummer (Zacharias Preen, „Rivalen der Rennbahn“) einweiht, vollkommen unabhängig vom Koffer. Der ein „Jaws“-Shirt tragende Drummer macht sich daraufhin einen Spaß daraus, Buchholz mit anonymen Schreiben zu provozieren, was diesen zusätzlich verunsichert.
„Dass ihr nicht erwachsen werden könnt!“
Zusammen mit Fintzel und Buchholz (bizarr: Seine Frau und er schlafen im selben Zimmer, aber in getrennten Betten) wird eine Vielzahl an Figuren eingeführt, die sich schließlich zum gemeinsamen Singen und Feiern versammeln. Gefeiert wird traditionell in der von Klaus Möhlmann betriebenen Gaststätte. Möhlmann belästigt seine wesentlich jüngere Angestellte gern sexuell, seine Frau (Renate Grosser, „Das Schlangenei“) gibt natürlich ihr daran die Schuld. In schneelosem Winterambiente wird so nach und nach ein Milieu skizziert, in dem nach außen hin eine gut- bzw. kleinbürgerliche Fassade aufrechterhalten wird, hinter der aber eine verdrängte, unbewältigte Vergangenheit lauert, die im betrunkenen Zustand beim Schmettern der alten Lieder kultiviert wird, nun aber ganz nüchtern zur Gefahr zu werden droht. Beim Johlen der Kameradenlieder ist man stolz auf die Vergangenheit; sind jedoch persönliche Nachteile zu befürchten, schämt man sich ihrer. Der „Tatort“ zeichnet damit ein sicherlich nicht unrealistisches Generationenporträt der damaligen Zeit. Und dafür nimmt sich die Regie selbige; als Möhlmann schwerverletzt wird und im Krankenhaus stirbt, ist bereits über die Hälfte der Laufzeit vergangen. Die Polizei kommt erst nach 50 Minuten ins Spiel, Kommissar Greve gar erst nach 58.
„Der singt wie ‘ne Gießkanne.“
Greve tritt inkognito auf und versucht, in den Gesangsverein aufgenommen zu werden, um so an die Männer und die Wahrheit heranzukommen. Dies klappt zwar nicht, dennoch gerät er in den Nebenkriegsschauplatz um Hermann Kroll junior (Udo Thomer, „Buddenbrooks“), der eigens nach Hamburg reist, um einen Ganoven (Michael Grimm, „Im Auftrag des Drachen“) zu rekrutieren, wodurch einige schöne Bilder St. Paulis (und Arcade-Spielautomaten in Großaufnahme) in diesen „Tatort“ finden. Dass sich der Koffer als klassischer MacGuffin, also einen für die Handlung zentralen Gegenstand, der letztlich aber irrelevant ist, entpuppt, ist eine schöne Ironie. Was den Dreck angeht, den die graumelierten Herren am Stecken haben, bleibt indes vieles nebulös. So wird der Eindruck erweckt, Buchholz‘ einzige Leiche im Keller sei seine NS-Dichterei. In der Romanvorlage jedoch soll er ein Kriegsverbrecher gewesen sein, der Menschenleben auf dem Gewissen hat. So ist „Das Zittern der Tenöre“ mit seinem langen, geheimnisumwitterten Vorlauf, der marginalen Polizeiarbeit und der Abstinenz von Mord und Totschlag mehr eine Milieustudie als ein Spannungskrimi, wenn auch eine, die Rückschlüsse auf die bundesdeutsche Gesellschaft zulässt.
Das würde man dramaturgisch heutzutage sicherlich ganz anders lösen, funktioniert trotz seiner Betulichkeit aber gerade aufgrund seiner Andersartigkeit. Dies liegt sowohl am namhaften Schauspielensemble als auch an der musikalischen Untermalung Peter Janssens‘, einem Sacropop-Musiker, der ungewöhnliche, das Gezeigte aber harmonisch begleitende Klänge erzeugt (und in einer Nebenrolle auch vor die Kamera tritt). Für ein subkulturell Interessiertes Publikum ist auch der Auftritt der Kidpunks Copslayers interessant, deren Drummer Zacharias Preen der Schauspielerei bis heute treu blieb.
Mein lieber Herr Gesangsverein!
„Mit Zigarette im Mund spricht man nicht!“
Genau zwischen der Einführung zweier gegensätzlicher neuer Figuren, nämlich der ersten „Tatort“-Kommissarin Wiegand in „Das Lederherz“ und dem rüpelhaften Ruhrpottler Schimanski in „Duisburg-Ruhrort“, durfte der Lübecker Kriminalhauptkommissar Horst Greve (Erik Schumann, „Himmel ohne Sterne“) in seinem einzigen Fall ermitteln: Dem am 31. Mai 1981 erstausgestrahlten Fall liegt ein Drehbuch des Schriftstellers Hansjörg Martin zugrunde, das auf dessen gleichnamigem Roman fußt. Mit der Regie wurde Hans Dieter Schwarze betraut, der im Jahre 1972 seine erste (von zwei) „Tatort“-Episoden inszeniert hatte: „Der Fall Geisterbahn“, ebenfalls nach einem Drehbuch Martins.
„Schrecklich, diese alten Männer…“
Das (fiktionale) schleswig-holsteinische Örtchen Endwarden: Pensionär Otto Fintzel (Georg Lehn, „Die Brücke“) findet beim Renovieren seines Dachbodens einen Koffer seines Bruders Julius, der den Zweiten Weltkrieg nicht überlebt hat. Julius war überzeugter Nazi, wie auch so viele aus Ottos Freundeskreis, mit denen er sich regelmäßig im Männergesangsverein Germania zum Singen und anschließendem Umtrunk trifft. Diese sind allesamt gut in der Bundesrepublik angekommen, denken aber gern an die alten Zeiten zurück. Der unbekannte Kofferinhalt jedoch macht sie nervös. Sie fürchten, dass er belastendes Material über sie enthalten könnte: Dokumentiert er persönliche Mitschuld? Oder wie man vom Genozid an den Jüdinnen und Juden persönlich profitierte? Einem etwas jüngeren Vereinsmitglied käme das eigentlich ganz gelegen… Als beim heimlichen Versuch, an den Koffer zu gelangen, der Wirt Klaus Möhlmann (Heinz Schimmelpfennig, „Tatort“-Kommissar Gerber) tödlich auf der Treppe stürzt, ruft dies Kommissar Greve auf den Plan.
„Könnt ihr nicht endlich mal die alten Zeiten in Ruhe lassen?“
Nach Fintzels schicksalhaftem Kofferfund lernen wir Lehrer Rainer Buchholz (Paul Edwin Roth, „Die Gentlemen bitten zur Kasse“) kennen. Dieser soll befördert werden, was mit einer saftigen Gehaltserhöhung verbunden ist. Ein Haus wolle er sich und seiner Frau (Eva-Ingeborg Scholz, „Der Verlorene“) nun endlich bauen. Seinen als Punkband probenden Schülern hört er eher mit Grausen zu. Das ist jedoch nichts gegen den Kofferfund, aufgrund dessen er um seine Beförderung fürchtet. Was, wenn dadurch seine Vergangenheit als linientreuem NS-Dichter an die Öffentlichkeit kommt? Dabei verkennt er, dass zumindest ein Mitglied jener Punkband (übrigens gespielt von den echten HH-Punks „Copslayers“) längst Bescheid weiß und seinen Drummer (Zacharias Preen, „Rivalen der Rennbahn“) einweiht, vollkommen unabhängig vom Koffer. Der ein „Jaws“-Shirt tragende Drummer macht sich daraufhin einen Spaß daraus, Buchholz mit anonymen Schreiben zu provozieren, was diesen zusätzlich verunsichert.
„Dass ihr nicht erwachsen werden könnt!“
Zusammen mit Fintzel und Buchholz (bizarr: Seine Frau und er schlafen im selben Zimmer, aber in getrennten Betten) wird eine Vielzahl an Figuren eingeführt, die sich schließlich zum gemeinsamen Singen und Feiern versammeln. Gefeiert wird traditionell in der von Klaus Möhlmann betriebenen Gaststätte. Möhlmann belästigt seine wesentlich jüngere Angestellte gern sexuell, seine Frau (Renate Grosser, „Das Schlangenei“) gibt natürlich ihr daran die Schuld. In schneelosem Winterambiente wird so nach und nach ein Milieu skizziert, in dem nach außen hin eine gut- bzw. kleinbürgerliche Fassade aufrechterhalten wird, hinter der aber eine verdrängte, unbewältigte Vergangenheit lauert, die im betrunkenen Zustand beim Schmettern der alten Lieder kultiviert wird, nun aber ganz nüchtern zur Gefahr zu werden droht. Beim Johlen der Kameradenlieder ist man stolz auf die Vergangenheit; sind jedoch persönliche Nachteile zu befürchten, schämt man sich ihrer. Der „Tatort“ zeichnet damit ein sicherlich nicht unrealistisches Generationenporträt der damaligen Zeit. Und dafür nimmt sich die Regie selbige; als Möhlmann schwerverletzt wird und im Krankenhaus stirbt, ist bereits über die Hälfte der Laufzeit vergangen. Die Polizei kommt erst nach 50 Minuten ins Spiel, Kommissar Greve gar erst nach 58.
„Der singt wie ‘ne Gießkanne.“
Greve tritt inkognito auf und versucht, in den Gesangsverein aufgenommen zu werden, um so an die Männer und die Wahrheit heranzukommen. Dies klappt zwar nicht, dennoch gerät er in den Nebenkriegsschauplatz um Hermann Kroll junior (Udo Thomer, „Buddenbrooks“), der eigens nach Hamburg reist, um einen Ganoven (Michael Grimm, „Im Auftrag des Drachen“) zu rekrutieren, wodurch einige schöne Bilder St. Paulis (und Arcade-Spielautomaten in Großaufnahme) in diesen „Tatort“ finden. Dass sich der Koffer als klassischer MacGuffin, also einen für die Handlung zentralen Gegenstand, der letztlich aber irrelevant ist, entpuppt, ist eine schöne Ironie. Was den Dreck angeht, den die graumelierten Herren am Stecken haben, bleibt indes vieles nebulös. So wird der Eindruck erweckt, Buchholz‘ einzige Leiche im Keller sei seine NS-Dichterei. In der Romanvorlage jedoch soll er ein Kriegsverbrecher gewesen sein, der Menschenleben auf dem Gewissen hat. So ist „Das Zittern der Tenöre“ mit seinem langen, geheimnisumwitterten Vorlauf, der marginalen Polizeiarbeit und der Abstinenz von Mord und Totschlag mehr eine Milieustudie als ein Spannungskrimi, wenn auch eine, die Rückschlüsse auf die bundesdeutsche Gesellschaft zulässt.
Das würde man dramaturgisch heutzutage sicherlich ganz anders lösen, funktioniert trotz seiner Betulichkeit aber gerade aufgrund seiner Andersartigkeit. Dies liegt sowohl am namhaften Schauspielensemble als auch an der musikalischen Untermalung Peter Janssens‘, einem Sacropop-Musiker, der ungewöhnliche, das Gezeigte aber harmonisch begleitende Klänge erzeugt (und in einer Nebenrolle auch vor die Kamera tritt). Für ein subkulturell Interessiertes Publikum ist auch der Auftritt der Kidpunks Copslayers interessant, deren Drummer Zacharias Preen der Schauspielerei bis heute treu blieb.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen
Tatort: Im Fadenkreuz
Bavaria, der Lenz ist da!
„Wozu denn das ganze Theater?!“
Nach Gustl Bayrhammers Ausstieg aus dem Münchner „Tatort“-Zweig wurde der damals aufstrebende Schauspieler Helmut Fischer zu dessen Nachfolger als Kriminalhauptkommissar befördert, sprich: der bisherige Hauptmeister Lenz beerbte seinen ehemaligen Chef Veigl. Sieben Monate nach Veigls noch im Jahre 1980 gedrehten Abschied debütierte Fischer respektive Lenz in seiner neuen Rolle: „Im Fadenkreuz“ wurde am 15. November 1981 erstausgestrahlt. Da die Dreharbeiten im Mai und Juni 1981 stattfanden, handelt es sich um den ersten echten Münchner „Tatort“ der ‘80er-Dekade. Der erfahrene Kino- und Fernsehregisseur Thomas Engel („Meine Tochter und ich“) inszenierte hiermit seine erste von zwei Episoden der öffentlich-rechtlichen Krimireihe, das Drehbuch stammte von Peter Hemmer.
„Ein Beckenbauer isser nicht, der Rummenigge!“
Der flüchtige Verbrecher Theo Scholz (Ralph Schicha, „Loft – Die neue Saat der Gewalt“) entzieht sich einer Personenkontrolle in einem Münchner Wirtshaus, flieht erst auf den Bahnhof und setzt seine Flucht per Taxi fort, indem er den Fahrer mit vorgehaltener Waffe bedroht. Kollegen des Fahrers sowie eine Polizeistreife verfolgen ihn. Nachdem er gestellt wurde und zu Fuß weiterfliehen will, wird er von einem Polizisten angeschossen. Schwerverletzt wird er ins Krankenhaus eingeliefert. Im Bahnhof hatte Scholz jedoch einen Schließfachschlüssel fallenlassen und versteckt, hinter dem nun andere her sind. Gefunden und verwendet wurde der Schlüssel von einem wiederum gänzlich unbedarften Bahnhofsbesucher, was die Sache für keine der Parteien einfacher macht – auch nicht für den frischgebackenen Kriminalhauptkommissar Ludwig Lenz, der zunächst völlig im Dunkeln tappt, bald aber auch einen handfesten Mord aufzuklären hat…
„Taxifahrer leben gefährlich!“
Lenz‘ erster Fall in voller Verantwortung beginnt rasant, nämlich mit einer (ansprechend gefilmten) Taxiverfolgungsjagd durch München mit anschließendem Schusswaffeneinsatz. Eine Unterredung Lenz‘ mit Kriminalrat Schubert (Rolf Castell) unterstützt die Einführung dieser neuen Hauptkommissarsfigur, die kurz darauf mit einem Mord konfrontiert wird: Derjenige Taxifahrer, den Delinquent Scholz zu seiner Fluchtfahrt gezwungen hatte, wird brutal ermordet in seinem Taxi aufgefunden. Der Wissensvorsprung des Fernsehpublikums, das bereits vom Schließfachschlüssel weiß, wird durch einen Perspektivwechsel zu Scholz‘ Rechtsanwalt Overdiek (Peter Fricke, „Nathan der Weise“) ausgebaut: Dieser wird nämlich erpresst, weshalb er fieberhaft versucht, von seinem schwerverletzten Klienten im Krankenhaus in den derzeitigen Ort des Schließfachschlüssels in Erfahrung zu bringen und sich schließlich Lenz anvertraut. Daraus entwickelt die Narration ein ungleiches, sich gegenseitig skeptisch gegenüberstehendes Duo, das sich jedoch zusammenzuarbeiten gezwungen sieht. Die Differenzen, die man berufsbedingt hat, werden an- und ausgesprochen.
Daraus resultiert viel mitunter etwas dröge Polizeiarbeit, die sich ungefähr ab der Hälfte der Laufzeit dahingehend verdichtet, dass Spannung durch die konkrete Suche nach der Diebes- und Erpresserbande erzeugt wird. Und um diese interessanter zu gestalten, arbeitet Lenz – der besondere Kniff dieses „Tatorts“ – inkognito als Taxifahrer. Ein riskantes Unterfangen, denn dadurch gerät er zwar direkt an die Kriminellen, damit aber auch in unmittelbare Gefahr. Diese wird im Finale auf die Spitze getrieben, was „Im Fadenkreuz“ jedoch nicht daran hindert, über weite Strecken eher unspektakulär, dazu etwas zäh, geschwätzig und leicht überkonstruiert zu sein. Dabei unterschreitet er jedoch nie ein gewisses inhaltliches wie dramaturgisches Niveau, sondern bleibt solide und gewinnt mit bayrischer Biergarten-Lebensart und Gemütlichkeit in schönen sommerlichen Bildern die Gunst zumindest desjenigen Teils der Zuschauerschaft, der sich darin wiederfindet oder zumindest dafür empfänglich zeigt. Auch der nachdenkliche, kritische Fragen aufwerfende Epilog gefällt.
Helmut Fischer macht sich hier gut in seiner Rolle, kann sich profilieren, wenn auch seinen Charme noch nicht ganz ausspielen. An seiner Seite befindet sich weiterhin Willy Harlander als Kriminalobermeister Brettschneider, neu im Bunde ist Henner Quest („Der Brandner Kaspar“) als Kriminalassistent Faltermayer. Nicht zuletzt zählt „Im Fadenkreuz“ zu den ersten 1981 ausgestrahlten „Tatort“-Episoden, die auch wirklich nach den 1980ern aussehen: Die letzten ‘70er-Frisuren waren dem Friseur oder der Friseurin zum Opfer gefallen, das Filmmaterial offenbar gegen schöne, satte, bunte Farben transportierendes Band ausgetauscht und die miefige zweite Hälfte der ‘70er zugunsten einer Zuversicht in ein neues, abenteuerreiches (und abenteuerliches…) Jahrzehnt verabschiedet worden.
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„Wozu denn das ganze Theater?!“
Nach Gustl Bayrhammers Ausstieg aus dem Münchner „Tatort“-Zweig wurde der damals aufstrebende Schauspieler Helmut Fischer zu dessen Nachfolger als Kriminalhauptkommissar befördert, sprich: der bisherige Hauptmeister Lenz beerbte seinen ehemaligen Chef Veigl. Sieben Monate nach Veigls noch im Jahre 1980 gedrehten Abschied debütierte Fischer respektive Lenz in seiner neuen Rolle: „Im Fadenkreuz“ wurde am 15. November 1981 erstausgestrahlt. Da die Dreharbeiten im Mai und Juni 1981 stattfanden, handelt es sich um den ersten echten Münchner „Tatort“ der ‘80er-Dekade. Der erfahrene Kino- und Fernsehregisseur Thomas Engel („Meine Tochter und ich“) inszenierte hiermit seine erste von zwei Episoden der öffentlich-rechtlichen Krimireihe, das Drehbuch stammte von Peter Hemmer.
„Ein Beckenbauer isser nicht, der Rummenigge!“
Der flüchtige Verbrecher Theo Scholz (Ralph Schicha, „Loft – Die neue Saat der Gewalt“) entzieht sich einer Personenkontrolle in einem Münchner Wirtshaus, flieht erst auf den Bahnhof und setzt seine Flucht per Taxi fort, indem er den Fahrer mit vorgehaltener Waffe bedroht. Kollegen des Fahrers sowie eine Polizeistreife verfolgen ihn. Nachdem er gestellt wurde und zu Fuß weiterfliehen will, wird er von einem Polizisten angeschossen. Schwerverletzt wird er ins Krankenhaus eingeliefert. Im Bahnhof hatte Scholz jedoch einen Schließfachschlüssel fallenlassen und versteckt, hinter dem nun andere her sind. Gefunden und verwendet wurde der Schlüssel von einem wiederum gänzlich unbedarften Bahnhofsbesucher, was die Sache für keine der Parteien einfacher macht – auch nicht für den frischgebackenen Kriminalhauptkommissar Ludwig Lenz, der zunächst völlig im Dunkeln tappt, bald aber auch einen handfesten Mord aufzuklären hat…
„Taxifahrer leben gefährlich!“
Lenz‘ erster Fall in voller Verantwortung beginnt rasant, nämlich mit einer (ansprechend gefilmten) Taxiverfolgungsjagd durch München mit anschließendem Schusswaffeneinsatz. Eine Unterredung Lenz‘ mit Kriminalrat Schubert (Rolf Castell) unterstützt die Einführung dieser neuen Hauptkommissarsfigur, die kurz darauf mit einem Mord konfrontiert wird: Derjenige Taxifahrer, den Delinquent Scholz zu seiner Fluchtfahrt gezwungen hatte, wird brutal ermordet in seinem Taxi aufgefunden. Der Wissensvorsprung des Fernsehpublikums, das bereits vom Schließfachschlüssel weiß, wird durch einen Perspektivwechsel zu Scholz‘ Rechtsanwalt Overdiek (Peter Fricke, „Nathan der Weise“) ausgebaut: Dieser wird nämlich erpresst, weshalb er fieberhaft versucht, von seinem schwerverletzten Klienten im Krankenhaus in den derzeitigen Ort des Schließfachschlüssels in Erfahrung zu bringen und sich schließlich Lenz anvertraut. Daraus entwickelt die Narration ein ungleiches, sich gegenseitig skeptisch gegenüberstehendes Duo, das sich jedoch zusammenzuarbeiten gezwungen sieht. Die Differenzen, die man berufsbedingt hat, werden an- und ausgesprochen.
Daraus resultiert viel mitunter etwas dröge Polizeiarbeit, die sich ungefähr ab der Hälfte der Laufzeit dahingehend verdichtet, dass Spannung durch die konkrete Suche nach der Diebes- und Erpresserbande erzeugt wird. Und um diese interessanter zu gestalten, arbeitet Lenz – der besondere Kniff dieses „Tatorts“ – inkognito als Taxifahrer. Ein riskantes Unterfangen, denn dadurch gerät er zwar direkt an die Kriminellen, damit aber auch in unmittelbare Gefahr. Diese wird im Finale auf die Spitze getrieben, was „Im Fadenkreuz“ jedoch nicht daran hindert, über weite Strecken eher unspektakulär, dazu etwas zäh, geschwätzig und leicht überkonstruiert zu sein. Dabei unterschreitet er jedoch nie ein gewisses inhaltliches wie dramaturgisches Niveau, sondern bleibt solide und gewinnt mit bayrischer Biergarten-Lebensart und Gemütlichkeit in schönen sommerlichen Bildern die Gunst zumindest desjenigen Teils der Zuschauerschaft, der sich darin wiederfindet oder zumindest dafür empfänglich zeigt. Auch der nachdenkliche, kritische Fragen aufwerfende Epilog gefällt.
Helmut Fischer macht sich hier gut in seiner Rolle, kann sich profilieren, wenn auch seinen Charme noch nicht ganz ausspielen. An seiner Seite befindet sich weiterhin Willy Harlander als Kriminalobermeister Brettschneider, neu im Bunde ist Henner Quest („Der Brandner Kaspar“) als Kriminalassistent Faltermayer. Nicht zuletzt zählt „Im Fadenkreuz“ zu den ersten 1981 ausgestrahlten „Tatort“-Episoden, die auch wirklich nach den 1980ern aussehen: Die letzten ‘70er-Frisuren waren dem Friseur oder der Friseurin zum Opfer gefallen, das Filmmaterial offenbar gegen schöne, satte, bunte Farben transportierendes Band ausgetauscht und die miefige zweite Hälfte der ‘70er zugunsten einer Zuversicht in ein neues, abenteuerreiches (und abenteuerliches…) Jahrzehnt verabschiedet worden.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen
Tatort: Tod auf dem Rastplatz
„Des is a Wahnsinn!“
Knapp fünf Monate nach seinem ersten Einsatz als Kriminalhauptkommissar hatte Ludwig Lenz (Helmut Fischer) seinen zweiten Fall in München zu lösen: Der mit nur 62 Minuten ungewöhnlich kurze „Tatort: Tod auf dem Rastplatz“ wurde von Frank Lämmel geschrieben und von Wilm ten Haaf inszeniert, der damit seinen sechsten von insgesamt sieben Beiträgen zur öffentlich-rechtlichen Krimireihe einreichte. Die Dreharbeiten fanden im November und Dezember 1981 statt, die Erstausstrahlung folgte am 12. April 1982.
„Dann droht wohl eine einstweilige Erschießung, was?“
Student Bruno Harkort (Werner Schulze-Erdel, „Tatort: Kein Kinderspiel“) jobbt als Lastwagenfahrer und wird eines Tages auf einem Autobahnrastplatz erschossen. Kommissar Lenz und seine Männer ermitteln unter anderem in Brunos Schwabinger Wohngemeinschaft, die sich zu Teilen aus Aktivisten der Anti-AKW-Bewegung zusammensetzt, der auch Bruno angehörte. Hängt sein Tod damit zusammen? Jedoch war Bruno an seinem Todestag lediglich für seinen Kollegen Werner Latsche (Manfred Lehmann, „Drei Damen vom Grill“) eingesprungen. Galten eigentlich ihm die tödlichen Kugeln? Und wenn ja, warum?
„Der hat a Pistoln!“
Werner Schulze-Erdel tippt auf seiner Schreibmaschine, als, äh, Werner anruft und um den Schichttausch bittet, womit die Zuschauerschaft einen Informationsvorsprung gegenüber der Polizei erhält. Auf dem Rastplatz hört man nur die Schüsse und sieht das Resultat; die Einschüsse werden nicht gezeigt, der Täter schon gar nicht. Die Ermittlungen führen in die WG, bei der es sich um keine Kommune handle, wie die Nachbarin betont. Die Bewohnerinnen und Bewohner seien gerade demonstrieren, auf ihre jungen Leute lasse sie aber nichts kommen, berichtet sie Lenz. Dessen Kollege Brettschneider (Willy Harlander) spricht derweil mit dem Spediteur und erfährt so vom Schichttausch, womit der erwähnte Informationsvorsprung dahin ist. Dabei bleibt es auch bis zum Schluss.
Im weiteren Verlauf erfährt man, dass Bruno und sein Mitbewohner Rolf (Pierre Franckh, „Lausbubengeschichten“) mehr oder weniger militante AKW-Gegner (gewesen) seien, weshalb Lenz & Co. nach einem Gespräch mit WG-Bewohnerin Nina (Gisela Freudenberg, „Berlin Chamissoplatz“) Rolf vorverurteilen. Schließlich habe dieser zuletzt häufig Streit mit Bruno gehabt, es sei um den akzeptablen Grad der Militanz gegangen und Bruno habe aussteigen wollen. Dies reicht der Polizei bereits, wobei das Fernsehpublikum wissen dürfte, dass sich diese auf dem Holzweg befindet – denn da sind ja auch noch Latsche und der Schichttausch. Als Lenz seinen Irrtum endlich bemerkt, kommt er in Wallung und Fischer kann sein schauspielerisches Talent unter Beweis stellen. Diese Entwicklung kulminiert in einen spannenden, aber sehr kurzen Showdown mit tragischer Komponente.
Autor Lämmel griff damit sowohl das Phänomen radikaler werdender politischer Strömungen in der Bundesrepublik als auch den schlechten Leumund junger, progressiv engagierter Menschen auf, der zu Drangsalierung und Vorverurteilung durch die Exekutive führt, die hier – wenn auch relativ sanft – kritisiert wird, und liefert gleich auch einen Grund mit, weshalb man in einem solchen Falle besser nicht mit den Kriminalbeamten reden sollte. Die am Schluss aus einem Fernseher im Hintergrund, aber doch deutlich vernehmbar erklingende Berichterstattung über eine eskalierende Demonstration und in diesem Zuge verletzte Polizisten scheint um Verständnis für die Polizei zu werben, rundet diesen „Tatort“ aber als gelungenes, interessantes Zeitdokument mit sozialem Gewissen ab, dessen knackige Kürze ihm guttut und dessen Besetzung Spaß macht.
„Des is a Wahnsinn!“
Knapp fünf Monate nach seinem ersten Einsatz als Kriminalhauptkommissar hatte Ludwig Lenz (Helmut Fischer) seinen zweiten Fall in München zu lösen: Der mit nur 62 Minuten ungewöhnlich kurze „Tatort: Tod auf dem Rastplatz“ wurde von Frank Lämmel geschrieben und von Wilm ten Haaf inszeniert, der damit seinen sechsten von insgesamt sieben Beiträgen zur öffentlich-rechtlichen Krimireihe einreichte. Die Dreharbeiten fanden im November und Dezember 1981 statt, die Erstausstrahlung folgte am 12. April 1982.
„Dann droht wohl eine einstweilige Erschießung, was?“
Student Bruno Harkort (Werner Schulze-Erdel, „Tatort: Kein Kinderspiel“) jobbt als Lastwagenfahrer und wird eines Tages auf einem Autobahnrastplatz erschossen. Kommissar Lenz und seine Männer ermitteln unter anderem in Brunos Schwabinger Wohngemeinschaft, die sich zu Teilen aus Aktivisten der Anti-AKW-Bewegung zusammensetzt, der auch Bruno angehörte. Hängt sein Tod damit zusammen? Jedoch war Bruno an seinem Todestag lediglich für seinen Kollegen Werner Latsche (Manfred Lehmann, „Drei Damen vom Grill“) eingesprungen. Galten eigentlich ihm die tödlichen Kugeln? Und wenn ja, warum?
„Der hat a Pistoln!“
Werner Schulze-Erdel tippt auf seiner Schreibmaschine, als, äh, Werner anruft und um den Schichttausch bittet, womit die Zuschauerschaft einen Informationsvorsprung gegenüber der Polizei erhält. Auf dem Rastplatz hört man nur die Schüsse und sieht das Resultat; die Einschüsse werden nicht gezeigt, der Täter schon gar nicht. Die Ermittlungen führen in die WG, bei der es sich um keine Kommune handle, wie die Nachbarin betont. Die Bewohnerinnen und Bewohner seien gerade demonstrieren, auf ihre jungen Leute lasse sie aber nichts kommen, berichtet sie Lenz. Dessen Kollege Brettschneider (Willy Harlander) spricht derweil mit dem Spediteur und erfährt so vom Schichttausch, womit der erwähnte Informationsvorsprung dahin ist. Dabei bleibt es auch bis zum Schluss.
Im weiteren Verlauf erfährt man, dass Bruno und sein Mitbewohner Rolf (Pierre Franckh, „Lausbubengeschichten“) mehr oder weniger militante AKW-Gegner (gewesen) seien, weshalb Lenz & Co. nach einem Gespräch mit WG-Bewohnerin Nina (Gisela Freudenberg, „Berlin Chamissoplatz“) Rolf vorverurteilen. Schließlich habe dieser zuletzt häufig Streit mit Bruno gehabt, es sei um den akzeptablen Grad der Militanz gegangen und Bruno habe aussteigen wollen. Dies reicht der Polizei bereits, wobei das Fernsehpublikum wissen dürfte, dass sich diese auf dem Holzweg befindet – denn da sind ja auch noch Latsche und der Schichttausch. Als Lenz seinen Irrtum endlich bemerkt, kommt er in Wallung und Fischer kann sein schauspielerisches Talent unter Beweis stellen. Diese Entwicklung kulminiert in einen spannenden, aber sehr kurzen Showdown mit tragischer Komponente.
Autor Lämmel griff damit sowohl das Phänomen radikaler werdender politischer Strömungen in der Bundesrepublik als auch den schlechten Leumund junger, progressiv engagierter Menschen auf, der zu Drangsalierung und Vorverurteilung durch die Exekutive führt, die hier – wenn auch relativ sanft – kritisiert wird, und liefert gleich auch einen Grund mit, weshalb man in einem solchen Falle besser nicht mit den Kriminalbeamten reden sollte. Die am Schluss aus einem Fernseher im Hintergrund, aber doch deutlich vernehmbar erklingende Berichterstattung über eine eskalierende Demonstration und in diesem Zuge verletzte Polizisten scheint um Verständnis für die Polizei zu werben, rundet diesen „Tatort“ aber als gelungenes, interessantes Zeitdokument mit sozialem Gewissen ab, dessen knackige Kürze ihm guttut und dessen Besetzung Spaß macht.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen
Tatort: Mord ist kein Geschäft
„Wollen Sie sich etwa beschweren?!“
Der 13. Fall des Stuttgarter Kriminalhauptkommissars Eugen Lutz (Werner Schumacher) verschlug ihn und seinen Assistenten Wagner (Frank Strecker) in die Halb- und Unterwelt der Schutzgelderpressungen. Der im Sommer 1982 gedrehte Fall wurde von Felix Huby und von Routinier Theo Mezger inszeniert, der damit seinen zwölften von insgesamt 16 Beiträgen zur öffentlich-rechtlichen Krimireihe lieferte.
„Sie haben das Zeug zum Sozialarbeiter, Lutz!“
Ein Bauer ist gerade mit seinem Traktor im Schwäbischen Wald unterwegs, als er einen Campingbus mit den sterblichen Überresten des ermordeten Günther Happel findet und die Polizei verständigt. Kommissar Lutz und sein Assistent Wagner statten dem Campingplatz, auf dem Happel gemeldet war, einen Besuch ab und treffen dort auf den einschlägig polizeibekannten Alfons Kehl (Peter Lakenmacher, „Mutschmanns Reise“), der Happel sucht. Kehl steht im dringenden Verdacht, Teil einer Schutzgelderpresserbande zu sein, die sich seit Kurzem allerdings einer zahlungsunwilligen Klientel gegenübersieht, die vom griechischen Restaurantbetreiber Costas (Janis Kyriakidis, „Shirins Hochzeit“) und dessen türkischen Kollegen Önökyl (Meray Ülgen, „Tu was, Kanake“) angeführt wird. Unklar ist, welche Rolle Happel innerhalb dieser Gemengelage spielte – und da weder die Gangster noch die Gastwirte mit der Polizei reden wollen, suchen Lutz und Wagner den Musiker Peter Horn (Hartmut Reck, „Der längste Tag“) auf, der mit Happel befreundet war. In Kehls Vorgesetztem Sakowsky (Peter Ehrlich, „Die Moral der Ruth Halbfass“) findet man sowohl einen Verdächtigen als auch einen eventuell wichtigen Zeugen, während Wagner sich in Önökyls Tochter Aischa (Despina Pajanou, „Zwei verrückte Kinovögel“) verguckt…
„Was machen Sie denn hier?“ – „Eure Drecksarbeit!“
Direkt nach dem Leichenfund werden unkommentiert erste Maßnahmen der Spurensicherung gezeigt, um dem „Tatort“-Auftrag, realistische Einblicke in die Polizeiarbeit zu gewähren, nachzukommen. Auf dem Campingplatz wird man mit einem garstigen Platzwart konfrontiert, der dazu ein echter schwäbischer Geizkragen ist, sowie mit ersten Einblicken in die Sommermode der frühen ‘80er. Nein, Freunde seien sie nicht gewesen, gibt der wie ein Yuppie aussehende Kehl der Polizei Auskunft. Wie ein „Loddel“ sehe hingegen der in anderen Fällen inkognito ermittelnde Kriminalmeister aus, so attestiert es ihm zumindest Wagner. Jener Kriminalmeister taucht kurz in Lutz‘ Büro auf, wird aber seltsamerweise im weiteren Verlauf keine Rolle mehr spielen. So fungiert er lediglich als Hinweisgeber, der von Kehls Schutzgelderpressungen in der Gastronomie weiß, während der tote sich als bisher unbeschriebenes Blatt erweist.
„Komisch: Der heißt Horn und spielt Saxophon…“
In der Gastwirtschaft, die Lutz und Wagner daraufhin aufsuchn, traut man den deutschen Bullen nicht, dafür spielt dort aber eine Dixieland-Band. „Bei den Nazis wurde diese Musik verboten“, weiß Lutz. Saxophonist Horn kannte Happel und gibt Auskunft, wodurch dieser posthum charakterisiert wird. Kehl sei einer von Happels neuen Freunden gewesen, kein guter Umgang. Auf der Straße werden die Polizist anschließend von Punks (u.a. Dominique Horwitz, „David“) belästigt – typische Fernseh-Klischeepunks –, Lutz gibt ihnen trotzdem etwas Geld. Bei einer Attacke mutmaßlicher Schutzgelderpresser auf Önökyls Restaurant kommt ein wenig Action in die Episode, die offenbar mit Klischees aufräumen will: Die Schutzgeldmafia besteht aus deutsche Hintermännern, nicht aus Ausländern, Önökyl betreibt keinen Döner-Imbiss, sondern das Weinstüberl, seine Tochter Aischa spricht perfekt deutsch und studiert Germanistik – und scheint sich für Wagner zu interessieren. Darauf springt Wagner – Typ halb Mensch, halb Brille – auch rasch an, was zum einen oder anderen amüsanten Moment führt. Sie trägt schöne bunte ‘80er-Kleider, während Wagner sich eigens mit offenem Hemd aufdonnert, wenn sie für einen Besuch auf der Wache vorbeischaut. Doch so ganz koscher scheint auch sie nicht zu sein…
„Es gibt Sachen, mit denen ich allein fertig werden muss. Ganz allein!“
Happels Rolle bleibt lange nebulös, und dann kommt auch noch Sakowsky ins Spiel, ein krummer Hund mit Gangstervisage, aber junger Freundin, vermutlich auch türkischer oder griechischer Abstammung. Als Lutz am Wochenende in alb-traumhafter Kluft auf die Alb fährt, folgt Sakowsky ihm, um als potenziell wichtiger, aber auch unter Mordverdacht stehender Zeuge sich zu ent- und andere zu belasten sowie ihm einen Deal anzubieten. Wagner zeigt Aischa derweil eine Arbeitererholungsstätte, über deren Ursprung er ihr – und damit auch dem Publikum – berichtet. „Mord ist kein Geschäft“ ist lange sehr unterhaltsam und, wenn auch nicht einer klassischen Spannungsdramaturgie folgend, interessant erzählt. Je weiter er sich aber über verschlungene Umwege der Auflösung nähert, desto anstrengender wird es, der Figurenkonstellation zu folgen und Nebensächlichkeiten von Relevantem zu unterscheiden. Wer dranbleibt, lernt ein Elektronenmikroskop als modernes Ermittlungsinstrument kennen und wird – vermutlich interessanter – Zeuge einer dann doch noch gefährlichen Zuspitzung inklusive einer Entführung. Die Auflösung ist dann aber vielleicht doch ein bisschen zu sozial ausgefallen, denn man weigert sich, überhaupt einen wirklich Schuldigen zu finden.
Mit seiner über zehnminütigen Überlänge ist „Mord ist kein Geschäft“ insbesondere in der zweiten Hälfte etwas zäh ausgefallen. Lutz gibt hier den älteren, stets besonnenen und verständigen Ermittler, im Gegensatz zum permanent schwäbelnden Wagner spricht er reinstes Hochdeutsch. Die Vorzimmerdame (Annetraud Lutz) bei der Polizei wird wiederholt Opfer dummer Sprüche der Herren, möglicherweise ein Running Gag dieses „Tatort“-Zweigs. Lakenmacher hat als Kehl seinen verruchten Gangsterblick gut drauf. Despina Pajanou, die ich als herb maskuline Polizistin in „Doppelter Einsatz“ kennengelernt hatte, ist hier ein echter Hingucker als moderne Deutschtürkin. Jonas C. Haefelis funkige Musik erinnert in einem viel Zeitkolorit der 1980er transportierenden „Tatort“ zuweilen noch ans vorherige Jahrzehnt, wird dramaturgisch aber gut eingesetzt. Etwas gestrafft hätte dieser mit viel sozialem Gewissen versehene Fall ein richtig guter „Tatort“ werden können.
„Wollen Sie sich etwa beschweren?!“
Der 13. Fall des Stuttgarter Kriminalhauptkommissars Eugen Lutz (Werner Schumacher) verschlug ihn und seinen Assistenten Wagner (Frank Strecker) in die Halb- und Unterwelt der Schutzgelderpressungen. Der im Sommer 1982 gedrehte Fall wurde von Felix Huby und von Routinier Theo Mezger inszeniert, der damit seinen zwölften von insgesamt 16 Beiträgen zur öffentlich-rechtlichen Krimireihe lieferte.
„Sie haben das Zeug zum Sozialarbeiter, Lutz!“
Ein Bauer ist gerade mit seinem Traktor im Schwäbischen Wald unterwegs, als er einen Campingbus mit den sterblichen Überresten des ermordeten Günther Happel findet und die Polizei verständigt. Kommissar Lutz und sein Assistent Wagner statten dem Campingplatz, auf dem Happel gemeldet war, einen Besuch ab und treffen dort auf den einschlägig polizeibekannten Alfons Kehl (Peter Lakenmacher, „Mutschmanns Reise“), der Happel sucht. Kehl steht im dringenden Verdacht, Teil einer Schutzgelderpresserbande zu sein, die sich seit Kurzem allerdings einer zahlungsunwilligen Klientel gegenübersieht, die vom griechischen Restaurantbetreiber Costas (Janis Kyriakidis, „Shirins Hochzeit“) und dessen türkischen Kollegen Önökyl (Meray Ülgen, „Tu was, Kanake“) angeführt wird. Unklar ist, welche Rolle Happel innerhalb dieser Gemengelage spielte – und da weder die Gangster noch die Gastwirte mit der Polizei reden wollen, suchen Lutz und Wagner den Musiker Peter Horn (Hartmut Reck, „Der längste Tag“) auf, der mit Happel befreundet war. In Kehls Vorgesetztem Sakowsky (Peter Ehrlich, „Die Moral der Ruth Halbfass“) findet man sowohl einen Verdächtigen als auch einen eventuell wichtigen Zeugen, während Wagner sich in Önökyls Tochter Aischa (Despina Pajanou, „Zwei verrückte Kinovögel“) verguckt…
„Was machen Sie denn hier?“ – „Eure Drecksarbeit!“
Direkt nach dem Leichenfund werden unkommentiert erste Maßnahmen der Spurensicherung gezeigt, um dem „Tatort“-Auftrag, realistische Einblicke in die Polizeiarbeit zu gewähren, nachzukommen. Auf dem Campingplatz wird man mit einem garstigen Platzwart konfrontiert, der dazu ein echter schwäbischer Geizkragen ist, sowie mit ersten Einblicken in die Sommermode der frühen ‘80er. Nein, Freunde seien sie nicht gewesen, gibt der wie ein Yuppie aussehende Kehl der Polizei Auskunft. Wie ein „Loddel“ sehe hingegen der in anderen Fällen inkognito ermittelnde Kriminalmeister aus, so attestiert es ihm zumindest Wagner. Jener Kriminalmeister taucht kurz in Lutz‘ Büro auf, wird aber seltsamerweise im weiteren Verlauf keine Rolle mehr spielen. So fungiert er lediglich als Hinweisgeber, der von Kehls Schutzgelderpressungen in der Gastronomie weiß, während der tote sich als bisher unbeschriebenes Blatt erweist.
„Komisch: Der heißt Horn und spielt Saxophon…“
In der Gastwirtschaft, die Lutz und Wagner daraufhin aufsuchn, traut man den deutschen Bullen nicht, dafür spielt dort aber eine Dixieland-Band. „Bei den Nazis wurde diese Musik verboten“, weiß Lutz. Saxophonist Horn kannte Happel und gibt Auskunft, wodurch dieser posthum charakterisiert wird. Kehl sei einer von Happels neuen Freunden gewesen, kein guter Umgang. Auf der Straße werden die Polizist anschließend von Punks (u.a. Dominique Horwitz, „David“) belästigt – typische Fernseh-Klischeepunks –, Lutz gibt ihnen trotzdem etwas Geld. Bei einer Attacke mutmaßlicher Schutzgelderpresser auf Önökyls Restaurant kommt ein wenig Action in die Episode, die offenbar mit Klischees aufräumen will: Die Schutzgeldmafia besteht aus deutsche Hintermännern, nicht aus Ausländern, Önökyl betreibt keinen Döner-Imbiss, sondern das Weinstüberl, seine Tochter Aischa spricht perfekt deutsch und studiert Germanistik – und scheint sich für Wagner zu interessieren. Darauf springt Wagner – Typ halb Mensch, halb Brille – auch rasch an, was zum einen oder anderen amüsanten Moment führt. Sie trägt schöne bunte ‘80er-Kleider, während Wagner sich eigens mit offenem Hemd aufdonnert, wenn sie für einen Besuch auf der Wache vorbeischaut. Doch so ganz koscher scheint auch sie nicht zu sein…
„Es gibt Sachen, mit denen ich allein fertig werden muss. Ganz allein!“
Happels Rolle bleibt lange nebulös, und dann kommt auch noch Sakowsky ins Spiel, ein krummer Hund mit Gangstervisage, aber junger Freundin, vermutlich auch türkischer oder griechischer Abstammung. Als Lutz am Wochenende in alb-traumhafter Kluft auf die Alb fährt, folgt Sakowsky ihm, um als potenziell wichtiger, aber auch unter Mordverdacht stehender Zeuge sich zu ent- und andere zu belasten sowie ihm einen Deal anzubieten. Wagner zeigt Aischa derweil eine Arbeitererholungsstätte, über deren Ursprung er ihr – und damit auch dem Publikum – berichtet. „Mord ist kein Geschäft“ ist lange sehr unterhaltsam und, wenn auch nicht einer klassischen Spannungsdramaturgie folgend, interessant erzählt. Je weiter er sich aber über verschlungene Umwege der Auflösung nähert, desto anstrengender wird es, der Figurenkonstellation zu folgen und Nebensächlichkeiten von Relevantem zu unterscheiden. Wer dranbleibt, lernt ein Elektronenmikroskop als modernes Ermittlungsinstrument kennen und wird – vermutlich interessanter – Zeuge einer dann doch noch gefährlichen Zuspitzung inklusive einer Entführung. Die Auflösung ist dann aber vielleicht doch ein bisschen zu sozial ausgefallen, denn man weigert sich, überhaupt einen wirklich Schuldigen zu finden.
Mit seiner über zehnminütigen Überlänge ist „Mord ist kein Geschäft“ insbesondere in der zweiten Hälfte etwas zäh ausgefallen. Lutz gibt hier den älteren, stets besonnenen und verständigen Ermittler, im Gegensatz zum permanent schwäbelnden Wagner spricht er reinstes Hochdeutsch. Die Vorzimmerdame (Annetraud Lutz) bei der Polizei wird wiederholt Opfer dummer Sprüche der Herren, möglicherweise ein Running Gag dieses „Tatort“-Zweigs. Lakenmacher hat als Kehl seinen verruchten Gangsterblick gut drauf. Despina Pajanou, die ich als herb maskuline Polizistin in „Doppelter Einsatz“ kennengelernt hatte, ist hier ein echter Hingucker als moderne Deutschtürkin. Jonas C. Haefelis funkige Musik erinnert in einem viel Zeitkolorit der 1980er transportierenden „Tatort“ zuweilen noch ans vorherige Jahrzehnt, wird dramaturgisch aber gut eingesetzt. Etwas gestrafft hätte dieser mit viel sozialem Gewissen versehene Fall ein richtig guter „Tatort“ werden können.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Diese Filme sind züchisch krank!
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen
Mit dem heutigen Magdeburger "Polizeiruf 110: Du gehörst mir" endet die Sommerpause.
https://m.tvspielfilm.de/tv-programm/se ... 5a287.html
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Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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- karlAbundzu
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen
Polizeiruf 110 Magdeburg: Du gehörst mir
Ein Kleinkind wird von einer Frau entführt, während die Mutter sich gerade für einen Teenager einsetzt. Die Mutter hat eine komplizierte toxische Beziehung zu einem Mann, der die Entführung sah. Die Entführerin verlor selbst ihr Neugeborenes, und denkt, Uwe Lemp, der Chef von Brasch und mit halben Fuss schon im Urlaub, hat etwas gemerkt, haut ihn um, und sperrt ihn ein.
Währenddessen ist Kommissarin Brasch noch beim auseinander dübeln des Beziehungsgeflechts.
Eher Psychdrama denn Krimi, auch wenn es tatsächlich auch einen Mord gibt.
Und wirklich fies, intensiv, die Schmerzen, die Mutter und auch Entführerin psychisch erleiden, ohne letzt genannte in Schutz zu nehmen, als auch die physischen, die Lemp erleidet.
Sehr gut gespielt, im Vordergrund die beiden Frauen, Hannah Schiller und Franziska Hartmann. Gut geschrieben und erzählt.
Guter Start in die neue Saison.
Ein Kleinkind wird von einer Frau entführt, während die Mutter sich gerade für einen Teenager einsetzt. Die Mutter hat eine komplizierte toxische Beziehung zu einem Mann, der die Entführung sah. Die Entführerin verlor selbst ihr Neugeborenes, und denkt, Uwe Lemp, der Chef von Brasch und mit halben Fuss schon im Urlaub, hat etwas gemerkt, haut ihn um, und sperrt ihn ein.
Währenddessen ist Kommissarin Brasch noch beim auseinander dübeln des Beziehungsgeflechts.
Eher Psychdrama denn Krimi, auch wenn es tatsächlich auch einen Mord gibt.
Und wirklich fies, intensiv, die Schmerzen, die Mutter und auch Entführerin psychisch erleiden, ohne letzt genannte in Schutz zu nehmen, als auch die physischen, die Lemp erleidet.
Sehr gut gespielt, im Vordergrund die beiden Frauen, Hannah Schiller und Franziska Hartmann. Gut geschrieben und erzählt.
Guter Start in die neue Saison.
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.