Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen
Verfasst: Mi 29. Nov 2023, 13:15
Tatort: Borowski und das unschuldige Kind von Wacken
„Ich steh‘ auf Metal!“
Wenn das ehemalige Wacken-Kult-Festival bisher noch in keinem schleswig-holsteinischen „Tatort“ aufgegriffen wurde, wurd’s aber mal Zeit – dachten sich mutmaßlich die Verantwortlichen, die längst zum überteuerten Megakommerzfestival mutierte Metal-Kirmes vermutlich immer noch „kultig“ findend. So wurde Hauptkommissar Klaus Borowskis (Axel Milberg) 40. Fall (der neunte seiner Kollegin Mila Sahin (Almila Bagriacik)) im Sommer 2022 in Wacken und um Wacken herum von Regisseurin Ayşe Pola („Im toten Winkel“) nach einem Drehbuch Agnes Pluchs inszeniert, womit Pola ihren zweiten Beitrag zur öffentlich-rechtlichen Krimireihe leistete. Uraufgeführt wurde „Borowski und das unschuldige Kind von Wacken“ am Tag der deutschen Einheit auf dem Filmfest Hamburg, anschließend lief er auf Nordischen Filmtagen in Lübeck sowie in einem Kieler Kino. Die Fernseherstausstrahlung folgte am 26. November 2023.
„Also komplett falsche Spur…“
Eine aus Osteuropa stammende Mutter (Irina Potapenko, „Revanche“) ist mit ihrem frischgeborenen Baby in der Nähe Kiels unterwegs. Kurz darauf scheint sie vor irgendetwas wegzurennen. Plötzlich ist sie verschwunden – und das Baby wird tot aufgefunden. Um herauszufinden, was passiert ist, wird Hauptkommissar Klaus Borowski aus seinem Urlaub abberufen, um zusammen mit seiner Kollegin Mila Sahin die Spur aufzunehmen. Diese führt nach Wacken, wo gerade die letzten Vorbereitungen für das alljährliche Heavy-Metal-Open-Air laufen und bereits die ersten Gäste anreisen. Borowski und Sahin finden Unterstützung in Person einer örtlichen Dorfpolizistin (Regine Hentschel, „Der Ghostwriter“) und tauchen tief in die Dorfgemeinschaft ein…
„Wenn sich so viel Liebe in einem Menschen anstaut, geht das selten gut…“
Wir sehen eine junge Nachwuchs-Düstermetal-Band in ihrem Proberaum (die Musik stammt von der realen Band NebellebeN); ihr Sänger ist Jan Thomsen (Marven Gabriel Suarez-Brinkert, „The Social Experiment“), der sich im Laufe der Zeit nur zögerlich als Zeuge zu erkennen geben wird. Er probt in Räumlichkeiten der Dorfkneipe Kurt Stindts (Andreas Döhler, „Die Hände meiner Mutter“), dessen Frau Sarah (Anja Schneider, „Niemand ist bei den Kälbern“) ein Kind erwartet. Die erste Befragung nach dem Fund des toten Babys gilt Prostituierten außerhalb Wackens, anschließend unterbricht Borowski seinen Urlaub. Dass Sahin und er ohne Weiteres ein Zimmer finden – wohlgemerkt kurz vor Festivalbeginn –, kann in den Bereich der Fabel verwiesen werden. In Wacken nimmt ein etwas überproportionierter, bärtiger, langhaariger junger Mann (Nicolas Dinkel, „Wendehammer“) in seinem Zimmer unterm Dach einen Metal-Podcast auf, der mehr wie eine Live-Radiosendung wirkt, und begrüßt seine Hörerinnen und Hörer mit „Metal, Leute!“ – offenbar eine (reichlich überflüssige) Reminiszenz an den „Drachenlord“. Dadurch, dass er offenbar wenig Erfolg beim weiblichen Geschlecht hat und in Netzkatalogen nach Frauen aus dem ehemaligen Ostblock sucht, wird er als einer von mehreren Verdächtigen eingeführt. Er ist der Sohn der Polizistin.
„Du brauchst wirklich Urlaub.“
Zunächst etabliert dieser „Tatort“ einen Nebenhandlungsstrang um Jan aus der Nachwuchsband, der jedoch bald mit der eigentlichen Handlung zusammengeführt wird: Borowski und Sahin beziehen ihre Zimmer im Haus seiner Mutter (Bärbel Schwarz, „Last Exit Schinkenstraße“). Dies ist symptomatisch für das sicher nicht unrealistisch dargestellte Phänomen, dass in so einem Dorf jeder jeden kennt und alle miteinander zu tun haben. Daraus resultiert, dass jede Nebenrolle dual angelegt wurde, also in zwei Eigenschaften für die Handlung in Erscheinung tritt. Mittlerweile weiß man auch, dass Christina Chorol, die Mutter des toten Babys, entführt wurde, gefesselt und geknebelt ist sie in einen Kellerraum gesperrt. Mehrere Personen verhalten sich irgendwie verdächtig, doch nach 55 Minuten wird den Zuschauerinnen und Zuschauern gegenüber die Identität des Täters preisgegeben.
„Das war ein Mensch!“
Als Topos dieses „Tatorts“ kristallisiert sich mitnichten irgendein Bezug zu Heavy Metal oder Festivals heraus, sondern das Thema illegaler Leihmutterschaften, das mit all seinen unangenehmen Begleiterscheinungen in einem besonders krassen Fall exemplarisch durchexerziert wird. In dieser Hinsicht erweist sich „Borowski und das unschuldige Kind von Wacken“ als ein recht empathischer Krimi – mit einem dann doch überraschend deftigen Ende. Das Wacken Open Air ist dabei lediglich Staffage; dessen echter Chef Thomas Jensen darf ein paar wenige Sätze etwas steif in die Kamera sagen und von der Musikspur ertönt für einen „Tatort“ ungewöhnlich viel Musik aus dem Metal- und Punkbereich, ohne dabei allzu dominant zu werden. Ansonsten laufen immer mal wieder Statisten in unkenntlich gemachten Bandshirts durchs Bild und wird zumindest im Ansatz ein Eindruck des Prä-Festival-Gewusels vermittelt.
Dass man gegen Ende den kongenialen Motörhead-Song „God Was Never On Your Side“ prominent herausstellt, ist ein echter Glücksgriff, der Epilog hingegen dann doch etwas cringe: Natürlich trifft Borowski einen Kollegen in zivil, der das Festival als normaler Gast besucht, und steht man gemeinsam auf dem Acker (während eines The-Halo-Effect-Auftritts), um zur Erkenntnis zu gelangen, hier werde nicht der Tod, sondern das Leben gefeiert. Die Verquickung des Festivals als Hintergrund der Ermittlungen mit Kritik an einem ausbeuterischen Leihmutterschaftsgeschäft und etwas persönlichem Drama wirkt ein wenig bemüht, der Kontrast von überlauten verzerrten Gitarren und Double-Bassdrums zu Borowskis ruhigem Gemüt wird kaum für unterhaltsame Szenen genutzt. Der Kommissar benimmt sich zuweilen aber recht seltsam – wegen des unterbrochenen Urlaubs? Es wird jedenfalls nicht problematisiert. Und was genau passiert ist und das Baby sein Leben gekostet hat, wird nicht etwa in Form einer Rückblende aufbereitet, sondern bleibt diffus in Streitdialoge verpackt.
Wenn man Borowskis unprätentiöses, nordisch ruhiges Wesen als fast schon trotzigen Gegenentwurf zum Action-Krimi schätzt, hat man vermutlich auch an diesem „Tatort“ seine Freude, und auch den Spagat zwischen seriösem Krimi und subkulturellen Klischees hat man schon schlechter gesehen, sicherlich aber auch besser. Borowski selbst kann und hat hier gar nicht so viel auszurichten und gerät beinahe zum Statist innerhalb einer Dorfgemeinschaft mit nicht uninteressanten Figuren, deren Geheimnisse dramaturgisch jedoch stets dann gelüftet werden, wenn es eigentlich beginnt, wirklich spannend werden zu können…
„Ich steh‘ auf Metal!“
Wenn das ehemalige Wacken-Kult-Festival bisher noch in keinem schleswig-holsteinischen „Tatort“ aufgegriffen wurde, wurd’s aber mal Zeit – dachten sich mutmaßlich die Verantwortlichen, die längst zum überteuerten Megakommerzfestival mutierte Metal-Kirmes vermutlich immer noch „kultig“ findend. So wurde Hauptkommissar Klaus Borowskis (Axel Milberg) 40. Fall (der neunte seiner Kollegin Mila Sahin (Almila Bagriacik)) im Sommer 2022 in Wacken und um Wacken herum von Regisseurin Ayşe Pola („Im toten Winkel“) nach einem Drehbuch Agnes Pluchs inszeniert, womit Pola ihren zweiten Beitrag zur öffentlich-rechtlichen Krimireihe leistete. Uraufgeführt wurde „Borowski und das unschuldige Kind von Wacken“ am Tag der deutschen Einheit auf dem Filmfest Hamburg, anschließend lief er auf Nordischen Filmtagen in Lübeck sowie in einem Kieler Kino. Die Fernseherstausstrahlung folgte am 26. November 2023.
„Also komplett falsche Spur…“
Eine aus Osteuropa stammende Mutter (Irina Potapenko, „Revanche“) ist mit ihrem frischgeborenen Baby in der Nähe Kiels unterwegs. Kurz darauf scheint sie vor irgendetwas wegzurennen. Plötzlich ist sie verschwunden – und das Baby wird tot aufgefunden. Um herauszufinden, was passiert ist, wird Hauptkommissar Klaus Borowski aus seinem Urlaub abberufen, um zusammen mit seiner Kollegin Mila Sahin die Spur aufzunehmen. Diese führt nach Wacken, wo gerade die letzten Vorbereitungen für das alljährliche Heavy-Metal-Open-Air laufen und bereits die ersten Gäste anreisen. Borowski und Sahin finden Unterstützung in Person einer örtlichen Dorfpolizistin (Regine Hentschel, „Der Ghostwriter“) und tauchen tief in die Dorfgemeinschaft ein…
„Wenn sich so viel Liebe in einem Menschen anstaut, geht das selten gut…“
Wir sehen eine junge Nachwuchs-Düstermetal-Band in ihrem Proberaum (die Musik stammt von der realen Band NebellebeN); ihr Sänger ist Jan Thomsen (Marven Gabriel Suarez-Brinkert, „The Social Experiment“), der sich im Laufe der Zeit nur zögerlich als Zeuge zu erkennen geben wird. Er probt in Räumlichkeiten der Dorfkneipe Kurt Stindts (Andreas Döhler, „Die Hände meiner Mutter“), dessen Frau Sarah (Anja Schneider, „Niemand ist bei den Kälbern“) ein Kind erwartet. Die erste Befragung nach dem Fund des toten Babys gilt Prostituierten außerhalb Wackens, anschließend unterbricht Borowski seinen Urlaub. Dass Sahin und er ohne Weiteres ein Zimmer finden – wohlgemerkt kurz vor Festivalbeginn –, kann in den Bereich der Fabel verwiesen werden. In Wacken nimmt ein etwas überproportionierter, bärtiger, langhaariger junger Mann (Nicolas Dinkel, „Wendehammer“) in seinem Zimmer unterm Dach einen Metal-Podcast auf, der mehr wie eine Live-Radiosendung wirkt, und begrüßt seine Hörerinnen und Hörer mit „Metal, Leute!“ – offenbar eine (reichlich überflüssige) Reminiszenz an den „Drachenlord“. Dadurch, dass er offenbar wenig Erfolg beim weiblichen Geschlecht hat und in Netzkatalogen nach Frauen aus dem ehemaligen Ostblock sucht, wird er als einer von mehreren Verdächtigen eingeführt. Er ist der Sohn der Polizistin.
„Du brauchst wirklich Urlaub.“
Zunächst etabliert dieser „Tatort“ einen Nebenhandlungsstrang um Jan aus der Nachwuchsband, der jedoch bald mit der eigentlichen Handlung zusammengeführt wird: Borowski und Sahin beziehen ihre Zimmer im Haus seiner Mutter (Bärbel Schwarz, „Last Exit Schinkenstraße“). Dies ist symptomatisch für das sicher nicht unrealistisch dargestellte Phänomen, dass in so einem Dorf jeder jeden kennt und alle miteinander zu tun haben. Daraus resultiert, dass jede Nebenrolle dual angelegt wurde, also in zwei Eigenschaften für die Handlung in Erscheinung tritt. Mittlerweile weiß man auch, dass Christina Chorol, die Mutter des toten Babys, entführt wurde, gefesselt und geknebelt ist sie in einen Kellerraum gesperrt. Mehrere Personen verhalten sich irgendwie verdächtig, doch nach 55 Minuten wird den Zuschauerinnen und Zuschauern gegenüber die Identität des Täters preisgegeben.
„Das war ein Mensch!“
Als Topos dieses „Tatorts“ kristallisiert sich mitnichten irgendein Bezug zu Heavy Metal oder Festivals heraus, sondern das Thema illegaler Leihmutterschaften, das mit all seinen unangenehmen Begleiterscheinungen in einem besonders krassen Fall exemplarisch durchexerziert wird. In dieser Hinsicht erweist sich „Borowski und das unschuldige Kind von Wacken“ als ein recht empathischer Krimi – mit einem dann doch überraschend deftigen Ende. Das Wacken Open Air ist dabei lediglich Staffage; dessen echter Chef Thomas Jensen darf ein paar wenige Sätze etwas steif in die Kamera sagen und von der Musikspur ertönt für einen „Tatort“ ungewöhnlich viel Musik aus dem Metal- und Punkbereich, ohne dabei allzu dominant zu werden. Ansonsten laufen immer mal wieder Statisten in unkenntlich gemachten Bandshirts durchs Bild und wird zumindest im Ansatz ein Eindruck des Prä-Festival-Gewusels vermittelt.
Dass man gegen Ende den kongenialen Motörhead-Song „God Was Never On Your Side“ prominent herausstellt, ist ein echter Glücksgriff, der Epilog hingegen dann doch etwas cringe: Natürlich trifft Borowski einen Kollegen in zivil, der das Festival als normaler Gast besucht, und steht man gemeinsam auf dem Acker (während eines The-Halo-Effect-Auftritts), um zur Erkenntnis zu gelangen, hier werde nicht der Tod, sondern das Leben gefeiert. Die Verquickung des Festivals als Hintergrund der Ermittlungen mit Kritik an einem ausbeuterischen Leihmutterschaftsgeschäft und etwas persönlichem Drama wirkt ein wenig bemüht, der Kontrast von überlauten verzerrten Gitarren und Double-Bassdrums zu Borowskis ruhigem Gemüt wird kaum für unterhaltsame Szenen genutzt. Der Kommissar benimmt sich zuweilen aber recht seltsam – wegen des unterbrochenen Urlaubs? Es wird jedenfalls nicht problematisiert. Und was genau passiert ist und das Baby sein Leben gekostet hat, wird nicht etwa in Form einer Rückblende aufbereitet, sondern bleibt diffus in Streitdialoge verpackt.
Wenn man Borowskis unprätentiöses, nordisch ruhiges Wesen als fast schon trotzigen Gegenentwurf zum Action-Krimi schätzt, hat man vermutlich auch an diesem „Tatort“ seine Freude, und auch den Spagat zwischen seriösem Krimi und subkulturellen Klischees hat man schon schlechter gesehen, sicherlich aber auch besser. Borowski selbst kann und hat hier gar nicht so viel auszurichten und gerät beinahe zum Statist innerhalb einer Dorfgemeinschaft mit nicht uninteressanten Figuren, deren Geheimnisse dramaturgisch jedoch stets dann gelüftet werden, wenn es eigentlich beginnt, wirklich spannend werden zu können…